Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil/Siebentes Buch

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Siebentes Buch.
Vom Veredeln und Verschönern der Liebe überhaupt.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Ihr, die ihr mir bis jetzt in meinen Untersuchungen über die Liebe gefolgt seyd, erntet nun die Frucht eurer Aufmerksamkeit und eurer Geduld ein! Ihr werdet nicht weiter Gefahr laufen, Gefühle und Empfindungen veredeln zu wollen, die der Liebe nicht gehören, oder sie mit Reitzen zu schmücken, die mit ihrem Wesen streiten.

Aber fern von uns sey auch der Irrthum, daß die Liebe bereits an und für sich selbst und unbedingt Anspruch auf unsere Schätzung, und sogar auf unsere Verehrung habe! In unzähligen Fällen ist diese Liebe nichts als gefährliche Schwäche, die Quelle unendlicher Leiden, das Verderben des Körpers und der Seele.

Aber gesetzt, sie erscheint auch nicht in diesem gehässigen Lichte; welcher Adel, welche Schönheit, welche Vollkommenheit, kann darin liegen, einem unwillkührlichen [14] Triebe zu huldigen, sich einer Wonne zu überlassen, die oft in Begleitung des Bedürfnisses erscheint!

O ihr, die ihr Adel, Schönheit und Vollkommenheit der Fähigkeit zu lieben unbedingt beylegt; wißt, daß der rohe Wilde an unwillkührlicher Gutherzigkeit, an zärtlicher und leidenschaftlicher Aufopferung für das Wohl des Geliebten den Weisen unter den aufgeklärtesten Nationen oft übertrifft! Wißt, daß es zur Würde des Menschen gehört, seine liebenden Triebe zu leiten, und daß der überlegte Eigennutz nicht selten einen höhern Anspruch auf unsere Achtung und auf das Gefühl des Edeln und Schönen haben kann, als jene instinktartige Liebe, die oft Armseligkeiten und Laster nutzt, den Geliebten zu beglücken!

Wir dürfen, wir müssen die Liebe veredeln und verschönern! Aber wie vielen Gefahren gehen wir hier wieder entgegen! Statt sie edler erscheinen zu lassen, geben wir ihr vielleicht eine abenteuerliche und ungeheure Form; statt sie zu schmücken, machen wir sie geziert und prunkend! Wie leicht entschlüpft sie während dieser anmaßenden Bemühung unsern Händen, und Triebe, die der Selbstheit oder dem Beschauungshange gehören, bleiben allein zurück! was rettet uns vor diesen Gefahren? Was dient uns zum Leitfaden in diesem Labyrinthe? – Nichts als genaue Bestimmung der Begriffe, aus denen richtige Grundsätze gefolgert werden mögen! In Ansehung der Liebe haben wir uns vielleicht nicht ohne Glück bemüht, diese nähere Bestimmung zu geben! Auf meine Freunde! laßt uns noch einen Ansatz wagen, um den Fels zu erklimmen, der uns zu angenehmeren Gefilden führt! Laßt uns bestimmen, was Edel heiße, und was Schön?

[15]
Zweytes Kapitel.
Was heißt Edel?

Beyde Worte: Edel und Schön, bezeichnen Eindrücke und Bilder, die wollüstig und wonnevoll auf unsern Beschauungshang wirken, d. h. auf diejenige Seite unserer Reitzbarkeit, die bey völliger Ruhe unsers Bestrebungsvermögens, bey abgezogener Aufmerksamkeit von unserm selbsteigenen Zustande, bloß durch die Bemerkung des Auffallenden der Eigenthümlichkeiten eines Gegenstandes, dem wir uns von ferne nähern, zur Lust oder Unlust gereitzt werden kann.

Hieraus ergiebt sich sogleich, warum beydes oft mit einander verwechselt wird. Denn beydes setzt etwas Abstechendes, Auffallendes und Hervorragendes zum Voraus, das unmittelbar bey der Wahrnehmung und Erkenntniß, ohne vorgängige Beziehung auf unsre Person, und unsre selbstischen oder sympathetischen Verhältnisse, Wonne erweckt. Die Aufopferung für andere wird daher so wohl edel als schön genannt, in so fern wir sie mit der Klugheit des Eigennutzes, oder mit der sympathetischen Mitfreude vergleichen.

Allein wir unterscheiden das Edle von dem Schönen, wenn wir verschiedene Wonnegefühle, die dem Beschauungshange gehören, unter sich vergleichen. Edel, nicht schön, ist dann das Riesenmonument, das dem Zahne der Zeit seit Jahrtausenden trotzt; schön, nicht edel, ist die niedliche Bauernhütte, deren mahlerische Form die Landschaft belebt. Edel, nicht schön, ist der mürrische [16] Misanthrop, der sein Leben für die Mitbürger aufopfert, die er verwünscht; schön, nicht edel, ist die fein organisierte Seele, die in die gewöhnlichsten Handlungen einen Reitz für Aug’ und Herz zu legen weiß.

Ich will hier gleich die Begriffe von beyden angeben, und sie dann einzeln zu entwickeln suchen.

Edel heißt das Bild von dem innern Gehalte, von dem Geistigen der Dinge, das auf unser höheres Wesen, auf unsern Geist, wonnevoll bey der bloßen Beschauung wirkt.

Schön heißt das Bild von der äußern Form der Dinge, das auf unser niederes Wesen wollüstig und wonnevoll bey der Beschauung wirkt.

Zuerst von dem Edeln!

Das Edle wird allemahl dem Gemeinen und Gewöhnlichen entgegengesetzt! Warum? Einmahl, weil die Empfindung, die wir mit diesem Nahmen bezeichnen, dem Beschauungshange gehört, der nur durch das Auffallende, Hervorragende, Abstechende der Gegenstände die wir aus der Ferne betrachten, gereitzt werden kann; zweytens, weil diese Empfindung dem höheren Seelenwesen in uns gehört: drittens, weil es allemahl Eigenschaften in den Gegenständen sind, die wir zu ihrem höheren Wesen rechnen, deren Bild diese Empfindung bey uns erwecken kann.

Dreist darf ich behaupten, daß jeder Mensch, er sey noch so sehr, oder noch so wenig kultiviert, an jedem Gegenstande, den er wahrnimmt und erkennt, etwas Inneres und etwas Aeußeres; etwas Geistiges und etwas Körperliches; einen Gehalt und eine Form [17] unterscheidet. Dreist darf ich ferner behaupten, daß jeder Mensch an sich selbst ein niederes, dem Instinkte der Thiere ähnelndes Wesen, von einem andern höhern, das ihm als vernünftigen Menschen zukommt, absondert, und es fühlt, daß er mit dem letzten eigentlich in den innern Gehalt der Dinge, in dasjenige, was hinter dem Scheine ist, eindringt, mit dem ersten aber nur die Form derselben wahrnimmt. Denn auch Thiere sind fähig, an bloße Sinnenerscheinungen Erinnerungen eines gehabten, Vorahndungen eines zukünftigen Zustandes zu knüpfen, darnach Unterschiede zu bilden, und darauf Schlüsse zu bauen.

So verschieden nach dem verschiedenen Grade der Ausbildung unter den Menschen die Begriffe von demjenigen sind, was an den äußern Gegenständen zum Gehalt und zur Form gerechnet wird; so verschieden eben diese Begriffe über dasjenige seyn mögen, was wir an uns selbst zu unserm höheren und niederen Wesen rechnen; so unläugbar ahndet ein Jeder diese Dinge und ihren Unterschied, und fühlt die Verhältnisse, die zwischen dem innern Gehalte und unserm höhern Wesen, zwischen der bloßen Form und unserm niedern Wesen Statt finden.

Es sey mir erlaubt, unser höheres Seelenwesen, die letzte Adhärenz unsers Ich’s, wie schon oft von mir geschehen ist, unsern Geist zu nennen. Zwischen diesem unsern Geiste und dem innern Gehalte der Dinge findet nun oft nicht bloß ein Verhältniß, sondern ein solches Wohlverhältniß Statt, daß wir bey seiner bloßen Beschauung unsern Geist mit Wonne erfüllt sehen: und diese Wonne setzen wir dann auf Rechnung des Edeln.

[18] Nichts ist nehmlich natürlicher, als daß wir den innern Gehalt der Dinge unserm Geiste assimilieren, da jener so wie dieser dem Wesen der Dinge am nächsten liegt, und einen unsinnlichen Gegenstand der Erkenntniß ausmacht. Dieß vorausgesetzt, kann das Geistige des Gegenstandes, unsern Geist zuweilen begeistern: theils durch die lebhafte Darstellung, die unsere höhere, mit dem Geiste in näherer Verbindung stehende Phantasie von dem Unsinnlichen auffaßt: theils durch die Verwandschaft, worin diese unsinnlichen, geistigen Eigenschaften mit den herrschenden Trieben unsers Geistes stehen.

Die herrschenden Triebe unsers Geistes, deren Inbegriff seine Sinnlichkeit, wenn ich so sagen darf, ausmacht, sind: die Neigung nach dem Gefühle seiner Stärke, seiner Stetigkeit, seiner Fortdauer, seiner Erhöhung und Herrschaft über andere Geister, und über sein eigenes niedriges Wesen: geistiger Stolz, Ruhmsucht, u. s. w.

Die innern, geistigen Eigenschaften der äußern Gegenstände, deren Bilder mit diesen Neigungen im Wohlverhältnisse stehen, sind Kraft, Dauer, Seltenheit, Fülle, Ansehn, u. s. w.

Wenn wir diese Eigenschaften ausdrücklich auf unser Selbst beziehen, oder sie sympathetisch mitempfinden, so gehört die Wonne, welche sie unserm Geiste gewähren, nicht dem Beschauungshange, mithin nicht dem Edeln. Wenn ich einen Menschen von außerordentlicher Geistesstärke und Festigkeit darum mit Wonne ausfinde, weil ich ein muthvolles Unternehmen sicherer mit ihm auszuführen hoffe; so gehört diese Wonne der baren Selbstheit. Wenn ich mich darüber freue, daß mein Nebenmensch in [19] der Stärke und Festigkeit seines Charakters ein Mittel zu seinem Glücke findet; so gehört diese Wonne der Sympathie.

Es giebt aber Verhältnisse, unter denen die bloßen Bilder des Geistigen, ohne alle eigennützige oder sympathetische Beziehung auf meine Person, unmittelbar in meinem Geiste Wonne bey der Beschauung erwecken, und diese Wonne gehört alsdann dem Edeln. Dieser Fall tritt jedesmahl ein, wo das Geistige unsere geistige Phantasie, (diejenige, welche das Unsinnliche darstellt,) mit lebhaften Bildern erfüllt, und unsre geistigen Triebe dunkel rührt, ohne uns jedoch so nahe zu stehen, um von unserer Selbstheit als ein Mittel zur Befriedigung dieser Triebe beachtet, oder von unserer Sympathie als der Zustand eines andern Wesens gefühlt zu werden, in den wir uns theilend hineinversetzen.

Beyspiele werden die Sache am sichersten aufklären.

Jedes lebhafte Bild einer Aufopferung des Lebens, der Ruhe, der Bequemlichkeit, und überhaupt aller Neigungen, die zu unserm niedern Wesen gerechnet werden, kann uns mit der Wonne des Edeln erfüllen, wenn diese Aufopferung nicht unsern Eigennutz oder unser Mitleiden in Regung setzt.

Jedes lebhafte Bild der Herrschaft eines Menschen über andere Geister, der Erhebung zu Gott, als dem höchsten Geiste unter allen, kann uns mit der Wonne des Edeln erfüllen, sobald wir weder einen selbstischen noch sympathetischen Antheil daran nehmen.

Jedes lebhafte Bild einer außerordentlichen Auszeichnung, die dem geistigen Stolze, ja nur der Ruhmsucht anderer Menschen schmeichelt, kann unter eben den angegebenen Bedingungen die Wonne des Edeln erwecken. [20] Auffallender ist dieß noch, wenn die Auszeichnung auf Nachruhm hinweiset, wenn Ideen von Dauer, von Ewigkeit, sich damit verbinden.

Oft betrachten wir die Bilder des Geistigen gar nicht als Eigenschaften einer besondern Person, oder eines Menschen. Das Unbegreifliche, Furchtbare, Majestätische, Gewaltige, Prächtige, Dauernde, – gleichviel, wo und bey wem es angetroffen wird, – erweckt lebhafte Bilder eines hervorragenden, außerordentlichen Geistigen, und wirkt die Wonne am Edeln.

Wir nehmen diese Bilder sogar von sichtbaren Körpern ab, von deren ausgezeichneten Merkmahlen wir einige zu ihrem Innern, Geistigen, andere zu ihrem Aeußern, Körperlichen, rechnen. So wird das Hohe, das ausgedehnte Ebene, das Gleiche, das abgemessen Wiederkehrende, das Glänzende, u. s. w. zu Bildern des Edeln an Bäumen, Felsen, Gewässern, Gegenden, Gebäuden, Gestalten der Thiere und der Menschen.

In diesen und hundert andern ähnlichen Fällen erweckt das Unsinnliche die Wonne des Beschauungshanges, durch eine lebhaftere Wirksamkeit derjenigen Phantasie, die darum die geistigere genannt zu werden verdient, weil sie Bilder des Geistigen schafft, und durch eine dunkle Rührung, in welche sie die herrschenden Triebe unsers Geistes versetzt.

Allein von diesem Edeln kann einiges den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft unterworfen werden, anderes nicht. Dieß letzte nenne ich das vage, unbestimmt Edle, das erste aber das ästhetisch Edle. Das moralisch Edle macht einen Theil [21] des ästhetisch Edeln aus, wie die Folge sogleich lehren wird.

Unabhängig von den Bedingungen, unter denen ein Bild unsre geistige Phantasie und die herrschenden Triebe unsers Geistes zur Lust, zur Wonne, reitzen kann, existieren in unserm Innern gewisse Gesetze, deren Erfüllung uns nicht so wohl dieses sichert, daß wir in dem gegenwärtigen Augenblicke, und für unser Individuum Lust empfinden, als vielmehr dieß: daß die Lust für die ganze Dauer unsrer Existenz sicherer wiederkehren, und von andern Menschen mit uns empfunden werden wird. Diese Gesetze drücken wir mit den Worten aus: das Edle muß wahr, es muß zweckmäßig seyn.

Wahr ist ein Ding, wenn wir bey seiner Erkenntniß, Zusammenhang der mannigfaltigen Theile woraus es besteht, und bestimmte Absonderung dieses zusammenhängenden Mannigfaltigen von andern Dingen, die mit ihm in Raum und Zeit zugleich erscheinen können, in solcher Maße antreffen, daß wir hoffen dürfen, daß wir selbst es unter allen Verhältnissen als etwas Bestehendes unterscheiden, und daß andere Menschen es mit uns unterscheiden werden. Diese Wahrheit zu finden, ist das Geschäft unsers Verstandes.

Zweckmäßig oder tüchtig, ist ein Ding, wenn es in seinen innern Verhältnissen dergestalt wohlgeordnet, und in seinen Verhältnissen zu äußern Gegenständen diesen dergestalt angemessen befunden wird, daß wir selbst unter allen Lagen das Ding seine Bestimmung ausfüllen zu sehen hoffen dürfen, und uns darauf verlassen, daß andere Menschen es eben so beurtheilen werden. [22] Diese Zweckmäßigkeit oder Tüchtigkeit zu finden, ist das Geschäft der Vernunft.

Um aber über die Wahrheit und Zweckmäßigkeit eines Dinges zu urtheilen, muß nothwendig dieses Ding ein Ganzes seyn, das nach Gattung und Art, wenigstens einem empirischen Begriffe von seinem Wesen und seiner Bestimmung unterworfen ist. Wo dieß nicht der Fall ist, da können wir unmöglich ein Urtheil darüber fällen, ob es alles hat, und es in der Maße hat, um es allemahl wieder zu erkennen, und es allemahl als geschickt zu einer gewissen Bestimmung wieder zu finden.

Diese Gesetze des Verstandes und der Vernunft lassen sich nun auch auf das Edle anwenden, um das Allgemeingültige desselben zu beurtheilen.

Das Aesthetisch Edle ist nehmlich dasjenige Bild eines geistigen Wesens, das meinen Geist unter Leitung des Verstandes und der Vernunft mit Wonne an seiner bloßen Beschauung erfüllt.

Das Bild des Ganzen eines moralisch edeln menschlichen Geistes ist das Ideal, ist eine Art von Regel für alles übrige ästhetisch Edle.

Ein Geist, der sich aus freyer Selbstbestimmung alle Eigenschaften, welche das höhere Wesen des Menschen begründen, in möglichster Höhe, Ausdehnung und Bestimmtheit beyzulegen sucht; ein Geist, der möglichst wohlgeordnet in seinen verschiedenen Verhältnissen zu sich selbst während der ganzen Dauer seiner Existenz, möglichst angemessen den Verhältnissen der Dinge um ihn her, und dadurch geschickt erscheint zur Ausfüllung seiner Bestimmung, das Wohl aller vernünftigen Wesen zu befördern; – ein solcher Geist ist wahr, ist zweckmäßig. [23] Er erweckt nicht bloß für mich, und in einem einzigen Augenblicke meines Lebens, ein lebhaftes Bild in meiner geistigen Phantasie, das zugleich meine geistigen Neigungen wonnevoll rührt; nein! ich bin sicher, daß ich selbst immer so von ihm werde afficiert werden, und daß Andere eben diese Empfindung immer mit mir erhalten müssen.

Dieß Ideal des ästhetisch Edeln, dieß moralisch edle Ganze, schwebt besonders dem kultivierten Menschen beständig vor, und erleichtert ihm das Urtheil über das Wahre und Zweckmäßige alles andern Edeln, das sich nach Verschiedenheit der Gegenstände sehr vielfältig modificieren muß.

Beurtheilen wir nehmlich die einzelne Handlung, die als moralisch edel vor uns aufgestellt wird, so fällt das Urtheil ganz anders aus, als wenn wir den moralischen Charakter, aus dem sie fließen sollte, im Ganzen beschauen. Eine Aufopferung der niedrigeren Triebe der Selbstsucht, die bestimmt auf die Absicht, andern Menschen nützlich zu seyn, zurückweiset, und ihnen wirklich nützlich wird, rechtfertigt das Gefühl des Edeln vor unserm Verstande und unsrer Vernunft. Sie hat alles, was zur Wahrheit und Zweckmäßigkeit einer einzelnen tugendhaften Handlung erfordert wird. Wer uns aber einen tugendhaften Mann schildern, und nur einen einzigen Zug dieser Art in sein Gemählde hineinbringen wollte, den eine vorübergehende Aufwallung von Pflichtgefühl hervorgebracht hat, würde der wohl das Bild und das Gefühl des ästhetisch Edeln erwecken können? Ein Curtius, ein Wollüstling, beschließt ein Leben voll der niedrigsten Ausschweifungen mit einem heldenmüthigen Tode: er stürzt sich in den Abgrund, um seine Mitbürger [24] von der Pest zu befreyen, und er befreyet sie! Was ist hier ästhetisch edel? Curtius, oder seine That? Unstreitig nur die letzte! Der Charakter kann nur ein unbestimmt edles Bild und Gefühl erwecken.

Beurtheilen wir die Stärke des Geistes, abgezogen von ihren Gründen und Folgen, als ein Ganzes für sich; so wird das Urtheil wieder verschieden modificiert. Jede Gewalt des höheren Wesens an uns über das niedrige erweckt das Gefühl des ästhetisch Edeln, wenn sie nur bestimmt auf Stärke zurückweiset, und nicht mit Schwäche verwechselt werden kann; wenn sie wirklich als geschickt erscheint, immer über die Sinnlichkeit zu triumphieren. Der Märtyrer eines Irrthums, den er für Wahrheit erkennt, zeigt eine ästhetisch edle Gewalt über sich selbst, so lange uns nur diese Gewalt, nicht aber das Moralische der Handlung als ein Ganzes im Bilde dargestellt wird. Geschieht dieß, so verliert sich das ästhetisch Edle. Der Mönch, der sich aus Schwärmerey oder aus Eigensinn für die runde oder spitze Kapuze freudig braten läßt, ist kein ästhetisch edler Gegenstand, weil offenbar unser Urtheil nicht bloß die Stärke seines Geistes, sondern zugleich das Moralische der Handlung umfaßt, und zwischen beyden ein auffallendes Mißverhältniß in Rücksicht auf Wahrheit und Zweckmäßigkeit antrifft. Aus eben diesen Gründen kann der Terrorist, der sich willig dem Tode darbietet, um nur eine anarchische Schreckensregierung, die er aus Ueberzeugung für die bestmöglichste hält, unter seinem Volke einzuführen, nie ein ästhetisch edles Bild abgeben. Hingegen werden ein Polyeukt, eine Sophronia, eine Corday, welche die Götzen einer falschen Religion, oder einer verirrten Volksgunst zerstören, und dafür dem Tode mit Muth entgegensehen, ästhetisch edle [25] Bilder abgeben, weil unsre Aufmerksamkeit auf das Ganze der moralischen Handlung nicht hingezogen, und das Unwahre, Unzweckmäßige, was in dieser Rücksicht darin liegen würde, nicht beachtet wird. Diese Personen erscheinen uns wahr und zweckmäßig als starke Geister, und unterscheiden sich in dieser Rücksicht noch sehr von denjenigen, die bloß in einem Anfalle von Leidenschaft oder Verzweiflung, oder gar in ihrem Leichtsinne oder in ihrer Apathie, eine vorübergehende Stärke finden, die mit der Schwäche in ihrem ganzen übrigen Benehmen contrastiert.

Demungeachtet können wieder jede Leidenschaft, jede Gesinnung, jede Handlung, etwas ästhetisch Edles zeigen, in so fern sie nur für sich, und ohne Beziehung auf etwas Weiterliegendes betrachtet, und den Gesetzen des Wahren und Zweckmäßigen unterworfen werden können. Es ist ästhetisch edel, wenn wir den Ruhmsüchtigen, als solchen betrachtet, gern sein Leben aufopfern sehen. Aber der Liebende, der, unbekümmert um das Nachweinen des Geliebten, sein Leben willig hingeben würde, um sich den Nachruhm der Großmuth zu sichern; der würde nicht wahr, nicht zweckmäßig, als Liebender, mithin nicht ästhetisch edel erscheinen. Es ist ästhetisch edel, wenn der Liebende Gewalt und Ansehn aufopfert, um sich ganz dem Glück der Geliebten zu widmen, und in ihren Armen dem Glanze des Throns gern entsagt. Aber in dem Bilde des Ruhmsüchtigen hat dieß nichts ästhetisch Edles. Ja! der Mann, der willig den Thron verläßt, um bey der Geliebten sein Leben zu vertändeln[WS 1], zeigt nicht einmahl als Liebender etwas ästhetisch Edles, wenn das Bild klar auf Selbstsucht [26] der niedrigsten Art, und nicht auf den Wunsch hinweiset, das Geliebte zu beglücken.

Eben so verhält es sich nun mit allen übrigen Gegenständen, die das Bild und das Gefühl des Edeln erwecken können, mit unsinnlichen und körperlichen Gegenständen; mit Naturprodukten und Kunstwerken; mit Gegenden, menschlichen und thierischen Gestalten; mit Gedichten, Gebäuden, Statuen, Gemählden, u. s. w. Ehe diese Gegenstände nicht wenigstens einem empirischen Begriffe von ihrem Wesen und ihrer Bestimmung unterworfen sind, wornach ihre Wahrheit und Zweckmäßigkeit beurtheilt werden mag; ehe kann ihre Kraft, Gewalt, Höhe, Einfachheit, Festigkeit, Dauer, Dunkelheit, Glanz, u. s. w. nur unbestimmt edle Bilder und Empfindungen erwecken. Dann aber werden sie ästhetisch edel, wenn diese Bilder mit dem Wesen und der Bestimmung der Gegenstände, von denen sie abgenommen werden, zusammengehen, und dadurch zugleich wahr und zweckmäßig erscheinen. Ein gewisses Dunkel erweckt leicht das Bild des Unbegreiflichen, Geheimnißvollen, Feyerlichen, Majestätischen, und dadurch Bilder eines Geistigen, das auf unsern Geist wonnevoll wirkt. Es ist unbestimmt edel. Ein düsterer Dohm, der Verehrung der Gottheit geweiht, kann ästhetisch edel seyn. Wer aber ein Odeum, einen Ort, der zu öffentlichen Vergnügungen bestimmt wäre, düster einrichten wollte, um ihm einen edeln Charakter zu geben, würde eine Absurdität begehen. Ausgebreitete Ebenen, Wiederholungen der nehmlichen Gestalten in abgestuften Zwischenräumen, erwecken leicht Bilder des Unendlichen, Unermeßlichen, Ewigen, und dadurch Bilder eines Geistigen, das wonnevoll auf unsern Geist wirkt. Sie sind unbestimmt [27] edel. An Colonnaden und Prachtgebäuden sind sie ästhetisch edel. Landschaften, die auf diese Art angeordnet wären, würden aber widerlich einförmig erscheinen.

Also ist das unbestimmt Edle von dem ästhetisch Edeln verschieden. Dieß letzte ist das Geistige in einem jeden Gegenstande, das unsere geistige Phantasie mit lebhaften Bildern erfüllt, die dunkel auf unsere geistigen Neigungen wirken, und uns dadurch bey der bloßen Beschauung unter Leitung des Verstandes und der Vernunft mit Wonne erfüllen.

Das moralisch Edle ist eine Art des ästhetisch Edeln, in so fern das Bild des Geistigen mit dem sittlichen Charakter des Menschen, dem Ideal des ästhetisch Edeln, in näherem Verhältnisse steht.


Drittes Kapitel.
Was heißt Schön?

So viel über das Edle, nun zu dem Schönen! Ich habe bereits den Begriff im Allgemeinen angegeben; ich habe gesagt, daß wir mit diesem Nahmen die Formen der Dinge bezeichnen, die auf unser niederes Wesen wonnevoll bey der bloßen Beschauung wirken.

Ich wiederhole es: der Begriff von dem, was Form an einem Gegenstande ist, läßt sich schwer im Allgemeinen angeben. Bey der Anwendung auf das Einzelne ist er leicht zu fassen. Der Inbegriff der Merkmahle, [28] die wir bey der Erkenntniß eines Gegenstandes mehr von seinen Verhältnissen mit der Sinnenwelt, als von seinen Verhältnissen mit dem Reiche des Unsichtbaren abnehmen, macht seine Form aus. So ist am Menschen der Körper die Form, die Seele der Gehalt; an dem Körper, die Gestalt die Form, der Ausdruck in Mienen und Geberden der Gehalt; an der Seele das niedere Wesen die Form, das höhere der Gehalt; an jenem niedern Wesen der Seele: die Anlagen zur Empfindung und Bearbeitung dessen, was die Sinne reitzt, die Form; hingegen die Anlage zur Empfindung und Bearbeitung dessen, was die Phantasie und das Herz reitzt, so wie zur Unterwerfung unter die Regeln des Verstandes und der Vernunft, der Gehalt. Betrachtet man das höhere Wesen an uns, den Geist, für sich, so werden Verstand und Vernunft den Gehalt, die höhere Phantasie und das höhere Empfindungsvermögen hingegen die Form abgeben. In dem Verstande und der Vernunft wird wieder Sittlichkeit als Gehalt; Klugheit als die Form angenommen werden können: in der Sittlichkeit wird das Gesetzmäßige die Form; der Zweck, (das Wohl aller vernünftigen Wesen,) hingegen den Gehalt ausmachen: endlich wird in allem diesem das Ich, das immer Bestehende im Menschen, dem alle angezeigte Veränderungen zukommen, wie der Gehalt in der Form erscheinen.

Allemahl wird also das Aeußere dem Innern, das Körperliche dem Unkörperlichen; – das Vergegenwärtigte dem Geahndeten und Anerinnerten; – das Niedere dem Höheren; – der Sinnenreitz dem Reitz des Herzens und der Phantasie; – das Geistige dem Vernunftmäßigen; [29] – das Vernunftmäßige dem Moralischen; – das Zweckmäßige dem Zweck; endlich das Veränderliche dem Bestehenden; – wie Form dem Gehalte entgegengesetzt seyn.

Bey jedem Gegenstande werden diese Begriffe anders modificiert. Oft ist etwas Form an einem Gegenstande, was an dem andern zum Gehalte gehört. Die Stufe der Leiter zum Reiche des Uebersinnlichen, worauf ein jeder Gegenstand steht, giebt darunter die nähere Bestimmung an die Hand. Es giebt Gegenstände, die in Vergleichung mit allen übrigen als Formen erscheinen, und dennoch gewisse Merkmahle zeigen, die als Gehalt von dem Aeußern, der Form, abgesondert werden. So ist die Münze, in so fern sie repräsentatives Zeichen des Vermögens ist, offenbar nur zu den Formen gehörig; und dennoch unterscheidet man an ihr die Form, das Gepräge, von ihrem laufenden Werthe. So sind Statuen, Gemählde nur Formen; aber Farben, Beleuchtung, Umrisse, Aufrisse und Ründung, unterscheiden sich, als Form, deutlich von der Bedeutung und dem Ausdruck, die hier für den Gehalt genommen werden. Das Gedicht ist gleichfalls nur Schein, nur Form; Aeußerung einer Empfindung des Herzens, Darstellung der Bilder der Phantasie; aber die Einkleidung wird deutlich von der Wahrheit der Empfindung, von der Vergegenwärtigung, von dem Süjet selbst, als von etwas Innerem, unterschieden.

Eben so wenig läßt sich im Allgemeinen der Begriff von unserm niedern Wesen mit Leichtigkeit fassen. Bey der Anwendung auf einzelne Fälle, und im Gegensatze gegen das höhere, den Geist, stellt er sich gleichsam von selbst dar. Es ist der Inbegriff von Kräften [30] an uns, die mit dem Instinkte der Thiere in näherem Verhältnisse stehen, als mit der Natur vernünftiger Wesen. Als da sind unsere Sinnen: da ist unser thierisches Wahrnehmungsvermögen, das Erinnerungen eines vergangenen, Vorahndungen eines zukünftigen Zustandes an gegenwärtige sinnliche Eindrücke knüpft, darnach wieder erkennt, und Merkmahle für’s Künftige aufnimmt; da ist besonders diejenige Phantasie, die das Unkörperliche verkörpert, das abwesende Sinnliche mit der Lebhaftigkeit eines gegenwärtigen sinnlichen Eindrucks empfindet; dahin gehören endlich alle diejenigen Triebe und Neigungen, welche zu ihrer Befriedigung körperliche Gegenwart, oder wenigstens Unterhaltung und Genuß für den Augenblick verlangen, das Neue und Abwechselnde dem Dauernden und Bestehenden, das Allmählige dem Anstrengenden, und das Niedliche und Feine dem Großen und Starken vorziehen. –

Inzwischen modificiert sich der Begriff von diesem unserm niedern Wesen ins Unendliche, bey jeder verschiedenen Wirksamkeit, worin wir unsre Kräfte bey der Wahrnehmung und Erkenntniß eines Gegenstandes antreffen. Dasjenige Vermögen in uns, das den Geist der Gottheit fühlt, ist das höhere Wesen, in Vergleichung mit demjenigen, das nur den Geist in der Statue Jupiters empfindet. Immer aber ist das für den Adel in dieser Statue empfindliche Wesen ein höheres, als dasjenige, das nur für den Liebreitz einer Venus Sinn hat: dieß wieder höher, als dasjenige, was bloß von der todten Gestalt gereitzt wird; und dieß ist dennoch wieder höher, als dasjenige, das in der Göttin nur das Werkzeug niedriger Begierden ahndet.

[31] Hieraus folgt, daß kein Gegenstand gedacht werden mag, bey dessen Erkenntniß wir nicht zwey Wesen in uns geschäftig fühlen könnten, von denen wir, beyde gegen einander gestellt, das eine zu dem andern im Verhältnisse des höheren zu dem niederen antreffen sollten. Wir denken uns nicht die Gottheit ohne Erscheinungen ihrer Vollkommenheit, die ein Wesen in uns auffaßt, das im Verhältnisse zu demjenigen, welches die Substanz der Gottheit selbst auszuahnden sucht, das niedere ist. Wir betrachten keine Pflanze, keinen Stein, ohne das Wesen in uns, das diese Körper nach Gattung und Art einem Begriffe von ihrem Wesen und ihrer Bestimmung unterwirft, von demjenigen zu unterscheiden, das ihre körperlichen Eigenschaften wahrnimmt, und über ihre Höhe, Härte, u. s. w. urtheilt.

Genug! Alle Gegenstände haben eine Form, und haben einen innern Gehalt: bey aller Erkenntniß eines Gegenstandes ist ein höheres und ein niederes Vermögen in uns geschäftig. Wenn die Form eines Gegenstandes unser niederes Wesen zur Wollust und Wonne der Beschauung einladet, so nennen wir das Bild und die Empfindung Schön, zur Unterscheidung von derjenigen Beschauungswonne, die wir mit dem Nahmen des Edeln bezeichnen.

Wenn wir sehr bestimmt reden wollen, so dürfen wir das Wort schön, das von Scheinen, Glänzen, herkommt, nur von der sichtbaren Form der Körper gebrauchen, die unmittelbar unsre Sehkraft, unser Auge, zu wollüstigen Gefühlen reitzt, ohne unsern substanziellern Körper, unsern Leib, zu berühren. Allein alle unsere Organe sind Agenten unsers niedern Wesens und des damit verbundenen Beschauungshanges; und [32] überhaupt sind alle Kräfte, die bey der Wahrnehmung und Erkenntniß der Form eines Gegenstandes, er mag materiell oder immateriell seyn, in Wirksamkeit gerathen, als Werkzeuge anzusehen, durch deren Mittel wir Bilder und Gefühle des Schönen erhalten.

Das Wohlverhältniß zwischen den Formen der Gegenstände und unserm niedern Wesen beruht auf sehr vielfachen Gründen. Einiges liegt an der unmittelbar wohlthätigen Wirkung der sinnlichen Eindrücke auf unsre Nerven. Einiges an der angenehmen Wirksamkeit, worein unser thierisches Wahrnehmungsvermögen und unsre verkörpernde Phantasie gerathen; einiges endlich an der dunkeln Aufregung unserer niedern Neigungen nach körperlichem, oder wenigstens gegenwärtigem Genuß, nach allmähliger Thätigkeit, und so weiter.

Damit aber das Wohlverhältniß zwischen der Form der Gegenstände und unserm niedern Wesen eine Wollust und Wonne der Beschauung hervorbringe, wird durchaus erfordert, daß es ein Verhältniß aus der Ferne sey, worein beyde mit einander kommen. Denn sobald meine Organe sich dem Körper dergestalt nähern, daß entweder meine Hand sich in die sanfte Oberfläche einlagern will, oder daß mein Gaumen die Speise, die ihn durch das Auge reitzt, überzunehmen trachtet; so gehört die Wollust nicht dem Beschauungshange meines niedern Wesens, sondern seiner Sympathie und Selbstheit. Eben so verhält es sich mit dem thierischen Wahrnehmungsvermögen und der verkörpernden Phantasie. Wenn ich mich darum von der physischen Gegenwart eines Körpers [33] zu überzeugen, oder mir das Bild des Abwesenden leibhaft darzustellen suche, weil ich einen anschaulicheren Begriff dadurch zu erhalten, oder einen jeden andern weiter liegenden Trieb dadurch zu begünstigen hoffe; so gehört die Wonne nicht dem Beschauungshange, sondern der Selbstheit und Sympathie. Gewiß empfindet der Geitzige, der bey dem Anblick des glänzenden Goldes in Entzückung geräth, nicht die Wonne des Schönen, sondern der Selbstheit. Gewiß hat der Freund, der die blühende Farbe des Freundes darum so gern ansieht, weil sie ihm die sinnliche Ueberzeugung von dessen Wohlbefinden giebt, nicht die Empfindung des Schönen, sondern der Sympathie. Und eben so wenig wird man behaupten mögen, daß derjenige die Wonne des Schönen empfinde, dem es gelingt, sich das Bild eines abwesenden Weibes mittelst der Phantasie zu verkörpern, um dadurch seine Lüsternheit zu begünstigen.

Wenn es gleich nicht geläugnet werden kann, daß viele selbstische und sympathetische Triebe unsers niedern Wesens bey der Wonne am Schönen im Geheimen mitwirken; so muß es doch durchaus unter solchen Verhältnissen geschehen, unter denen eine ausdrückliche, deutliche Beachtung und Beziehung auf unsre Selbstheit und Sympathie der Regel nach nicht Statt findet. Solche Verhältnisse liefern besonders die schönen Künste und die Geschichte längst vergangener Begebenheiten. Früchte, weibliche Figuren, aus Marmor gebildet, oder im Gemählde gesehen, regen höchst wahrscheinlich sehr selbstische Triebe in uns auf; dichterische Darstellungen rührender und unterhaltender Situationen aus dem geselligen Leben laden uns zur Sympathie ein; aber alles dieß liegt uns zu fern, als daß wir dabey an wirklichen Genuß [34] für unsre Selbstheit oder Sympathie denken, und diesen als den Zustand beachten sollten, warum uns das Bild gefiele. Unsre Aufmerksamkeit bleibt vielmehr von unserm wirklichen Zustande ab, und auf die Eigenthümlichkeiten des äußern Gegenstandes hingeleitet. Was bey den Werken der schönen Künste so auffallend ist, das kann auch bey wirklichen Gegenständen Statt finden. Wer wird es läugnen wollen, daß wir eine vegetierende Frucht, ein lebendes Weib, eine Situation im gemeinen Leben unter gewissen Verhältnissen mit Wollust und Wonne beschauen können, ohne Eßlust, Lüsternheit und Begierde nach wirklicher Theilnehmung zu empfinden?

Ich glaube hierdurch den vorhin aufgestellten Begriff des Schönen gerechtfertigt zu haben: es ist die Form, der Schein der Gegenstände, der auf unser niederes Wesen bey der bloßen Beschauung Wollust und Wonne erweckt.

Ehe ich den Unterschied zwischen dem unbestimmten Schönen und dem ästhetisch Schönen entwickle, sey es mir erlaubt, einen bereits bemerkten Umstand noch einmahl in Erinnerung zu bringen. Das Schöne wird nur dann in der angegebenen eingeschränkten Bedeutung genommen, wenn es dem Edeln entgegengesetzt wird. Sonst wird überhaupt alles, was wollüstig und wonnevoll auf den Beschauungshang überhaupt wirkt, mit dem Nahmen des Schönen bezeichnet.

Das Schöne wird aber dem Edeln in einer doppelten Beziehung entgegengesetzt: Ein Mahl, in so fern wir auf das Wesen und die Bestimmung der Bilder, die unsern Beschauungshang reitzen, überhaupt Rücksicht nehmen, und diese unter sich in Formen und Wirklichkeiten eintheilen: dann, in so fern wir an jedem einzelnen [35] Gegenstande wieder etwas Form und Gehaltmäßiges wahrnehmen.

Alle Werke der schönen Künste gehören zu dem Gebiete des Schönen, weil sie in Vergleichung mit wirklichen Gegenständen der Natur und der Künste des Nutzens als Formen erscheinen, und das Wesen in uns, worauf sie wirken, in Vergleichung mit demjenigen, wodurch wir über das wirklich Vorhandene und wirklich Brauchbare urtheilen, zu dem niedern an uns gehört.

Allein an diesen schönen Werken giebt es wieder vieles, das wir ihrem innern Gehalt beylegen, und in Vergleichung mit demjenigen, was unsere Sinne und unsern Instinkt zur Wollust und Wonne reitzt, zum Edeln rechnen. Z. B. die Natur des Apollo von Belvedere gehört zu dem Gebiete des Schönen, in Vergleichung mit dem Charakter eines Cato, der den Untergang der Republik nicht überleben will. Allein die Hoheit des Ausdrucks, die über die ganze Figur des Apollo ausgegossen ist, gehört, in Vergleichung mit seiner todten Gestalt, zu dem Edlen.

Auf der andern Seite haben auch alle Gegenstände, die wir zu dem Edeln rechnen, etwas Formartiges an sich, was im Gegensatze zu dem innern Gehalte als Schön beurtheilt werden muß. Z. B. Aufopferung für andere gehört zu dem Edeln. Aber die Worte, die Geberden, die Handlungen, worin sich diese Aufopferung einkleidet, werden mit Recht zu dem Schönen gerechnet.


So wie man das Edle in das unbestimmte und ästhetisch Edle eintheilt, so muß eben diese Eintheilung bey dem Schönen Statt finden.

[36] Wir können nehmlich auf die Bilder der Formen, welche unsern Beschauungshang zur Wonne reitzen, Gesetze des Verstandes und der Vernunft anwenden, eine Wahrheit und eine Tüchtigkeit an ihnen erkennen, und dadurch auf eine Allgemeingültigkeit unsers Urtheils, daß eine gewisse Form bey der bloßen Beschauung mit Wonne empfunden werden müsse, Anspruch machen. Ohne diese Gesetzmäßigkeit gleicht das Schöne bloß dem Wohlschmeckenden, und ist keiner Beurtheilung zu unterwerfen.

Es ist gewiß, daß die Gesetze des Verstandes und der Vernunft, so immateriell sie an sich seyn mögen, sich dennoch unserer Seele unter Bildern darstellen, und gleichsam zu Regelformen werden können. Die regulären mathematischen Figuren geben davon auffallende Beyspiele. Aber überhaupt wird leicht zu fassender Zusammenhang und Bestimmtheit in den sinnlichen Merkmahlen, die wir von einem Bilde aufnehmen, zur Form der Wahrheit: ein leicht abzumessendes Verhältniß der Theile gegen einander, und des Ganzen des Bildes zu dem Raume und zu der Zeit, worin es erscheint, zur Form der Zweckmäßigkeit oder Tüchtigkeit.

Der freyeste Zierrath kann diesen Regelformen unterworfen werden, ja er muß es werden, wenn er ästhetisch schön seyn soll. Nur in wenigen Fällen ist die Anwendung dieser Gesetze zu fein, als daß wir ihr auf die Spur kommen sollten; aber wir ahnden sie auch da, wo wir sie nicht begreifen. So kann bereits die unbedeutendste Blumenranke einen Umriß zeigen, der sich in allen seinen leicht an einander hängenden Direktionen bestimmt von dem Raume absondert, in dem er erscheint: Bild der Wahrheit; sie kann in ihren Sprossen wohl balanciert, in dem Verhältnisse ihrer Spitze zu ihrem [37] Fuße wohl ponderiert seyn: beydes Bilder des Wohlgeordneten; sie kann endlich mit dem Grunde, von dem sie absteht, leicht wieder vermählt werden; Bild der Angemessenheit, mithin der Zweckmäßigkeit.


Je weiter man zu Arabesken, Cartouschen, und andern sichtbaren Körpern hinauf steigt, die ein sichtbares Ganze ausmachen, desto leichter wird die Anwendung nicht allein der Regelformen, sondern auch gewisser empirischer Begriffe von demjenigen, was die Form dieser Körper zeigen muß, um zu einer gewissen Gattung und Art von Körpern zu gehören, und ihre Bestimmung auszufüllen. Man fängt an Begriffe des Leichten, Natürlichen, Einfachen, u. s. w. auf sie anzuwenden, und nimmt bey ihrer Beurtheilung auf den Ort Rücksicht, wo sie angebracht sind. Eben dieß trifft aber auch auf dasjenige Schöne zu, welches uns durch das Ohr und das innere Wahrnehmungsvermögen zugeführt wird. Jede Tonfolge muß unter sich leicht zusammenhängen, und sich durch ein bestimmtes Zeitmaß von andern Arten von Tonfolgen wohl unterscheiden lassen; Bild der Wahrheit. Sie muß aber auch wohlgeordnete Abstufungen, leichte Uebergänge in andere Tonfolgen darbieten; Bild der Zweckmäßigkeit. – Wenden wir diese Grundsätze noch auf das Mechanische der Poesie an! – Jeder Vers muß durch ein bestimmtes Metrum leicht zusammenhängen, und sich von andern Arten der Einkleidungen unserer Gedanken, und von andern Versarten bestimmt unterscheiden; er muß aber auch seine Cäsur, seine periodische Ründung, seine männlichen und weiblichen Reime haben, die ihm inneres Gleichgewicht in seinen Theilen unter einander geben, [38] und ihn mit andern Versen wieder in angemessene Verbindung setzen.

Man verstehe mich aber nicht unrecht! Ich behaupte nicht, daß es hinreichend sey, Bilder der Wahrheit und Zweckmäßigkeit auf eine Form anwenden zu können, um diese ästhetisch schön zu machen! Nein! Die Formen müssen an sich schon das unbestimmte gemeine Schöne an sich tragen, und sich dann außerdem jenen gesetzmäßigen Formen anpassen lassen, um ästhetisch schön zu werden. Keine geometrische Figur wird durch die Bestimmtheit, den leichten Zusammenhang ihrer Umrisse, und durch das Wohlverhältniß ihrer Theile schön. Aber ein Gesicht wird ästhetisch schön, wenn es zu gleicher Zeit durch seine Form unser niederes Wesen zur Wonne der Beschauung reitzen, und den gesetzmäßigen Formen der Symmetrie, Eurythmie, u. s. w. angepaßt werden kann. Keine Tonfolge wird durch den bloßen Rythmus wohlklingend, das taktmäßige Klappern giebt den Beweis; aber wenn das Wohllautende zugleich unter gesetzmäßigen Formen dem Ohre zugeführt wird, dann ist es ästhetisch schön. Eben so verhält es sich mit dem Verse. Er kann bey dem regelmäßigsten Bau hart und widerlich seyn; aber seine wohlklingende Eigenschaft, unter gesetzmäßige Formen gebracht, giebt ihm Anspruch auf das ästhetisch Schöne.

Gehören nun gar diese ästhetisch schönen Formen Geschöpfen der Natur und der Kunst an, deren Körper als ein Ganzes, nach Gattung und Art empirischen Begriffen von ihrem Wesen und ihrer Bestimmung unterworfen werden können; so treten nicht bloß Formenbilder, [39] sondern sogar Begriffe von Wahrheit und Zweckmäßigkeit hinzu. Man kann dann fragen: hat der Körper die Gestalt, die er haben muß, um immer als Körper dieser Gattung und Art wieder erkannt zu werden? Man kann fragen: hat er alles, was dazu erfordert wird, um ihn immer für geschickt zu halten, seine Bestimmung auszufüllen? Diese Begriffe werden empirisch festgesetzt und instinktartig angewandt: nicht wie der Anatomiker, der Physiker, der Philosoph sie formt, und zur Frage bringt; aber so wie der wohlerzogene Mensch sie von den bekanntesten Körpern, die im gemeinen Leben vorkommen, mit sich herumträgt.

Der menschliche Körper ist das Ideal, die Regel solcher ästhetisch schönen Ganzen, die wir Schönheiten nennen wollen. Er zeigt nicht bloß in seinen schönen Umrissen leichten Zusammenhang und Bestimmtheit; nicht bloß in seinem Aufrisse innere Wohlverhältnisse, und in seiner Ründung, in seiner Farbe, in seinem Helldunkeln Angemessenheit zu den äußern Gegenständen; kurz, es lassen sich nicht bloß auf ihn die Formen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit anwenden, wie etwa auf eine gewisse Arabeske; – nein! er kann empirischen Begriffen unterworfen werden, über die Art, wie ein wahres und zweckmäßiges Werkzeug einer lebendigen Kraft und eines vernünftigen Geistes beschaffen seyn muß; er kann als Spiegel einer edlen Denkungsart betrachtet werden. Folglich kann er durch seine ästhetisch schönen Formen das Bild eines schönen Ganzen erwecken, das sich vor der Vernunft und dem Verstande rechtfertigen läßt. Wir dürfen daher auch hoffen, daß unsre Wonne an seiner Beschauung dauernd für uns selbst, und von andern Menschen mit uns werde empfunden werden. [40] Dadurch erhält unser Geschmack etwas Allgemeingültiges; unser Urtheil über ihn ist ästhetisch.

Kein Wunder also, daß wir die Schönheit des menschlichen Körpers zuerst als das Ideal aller sichtbaren Schönheit, dann aber auch für alle nicht sichtbare körperliche, und sogar unsinnliche Formen ansehen, die als solche ein Ganzes ausmachen, das nach Gattung und Art einem Begriffe von seinem Wesen und seiner Bestimmung unterworfen werden kann. Liefert dieß Ganze ästhetisch schöne Bilder und Gefühle, die zugleich mit dem Begriffe von seinem Wesen und seiner Bestimmung in uns aufsteigen, und diesen sogar erhöhen; so ist die Form des nicht sichtbaren, gar unsinnlichen Gegenstandes, eine Schönheit.

Daher giebt es Schönheiten in der Tonkunst, in der Poesie, in der Urbanität, sogar in den Sitten, in so fern wir den Anstand, die äußere Form der innern Gesinnung, als ein Ganzes betrachten.


Viertes Kapitel.
Was heißt Vollkommen?

Unter dem Schönen wird oft das Vollkommne mit begriffen, weil es gleichfalls oft auf den Beschauungshang wirkt. Auch der Ausdruck edel begreift oft das Vollkommne in sich. Man sagt daher verschönern und veredeln für vervollkommnen.

Allein bey genauerer Prüfung läßt sich ein merklicher Unterschied zwischen diesen drey Begriffen antreffen, der nothwendig näher entwickelt werden muß.

[41] Ich habe das Edle für dasjenige erklärt, was durch seinen innern Gehalt unser höheres Wesen zur Wonne bey der bloßen Beschauung reitzt. Ich habe das Schöne für die Form der Dinge erklärt, die unser niederes Wesen bey der bloßen Beschauung zur Wonne reitzt. Ich habe endlich gezeigt, daß wenn das Edle und das Schöne unter Leitung des Verstandes und der Vernunft empfunden, und ihre Gesetze erfüllt werden, das unbestimmt Edle und Schöne ästhetisch werde.

Es kann aber die Uebereinstimmung mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft auch unmittelbar Wonne erwecken, ohne daß eine Anwendung auf die herrschenden Triebe, oder die Sinnlichkeit unsers Geistes und unsers Instinktes dabey vorausgesetzt zu werden braucht. Im gemeinen Leben deutet man dieß dadurch an, daß man sagt, es ist schön, aber es hat nichts fürs Herz.

Dasjenige, was auf eine mehr als gewöhnliche Art mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft übereinstimmt, nennen wir vollständig, vortrefflich, vollkommen. Alle drey Ausdrücke werden oft mit einander verwechselt. Ich will sie hier gleichfalls zusammenfassen. Inzwischen findet bey einiger aufmerksamen Prüfung ein Unterschied zwischen ihnen Statt, der auch im gemeinen Leben beobachtet wird. Was ausgezeichnet wahr ist, mithin alles zeigt, was wir nach festgesetzten Begriffen von seinem Wesen verlangen, um es in jeder Rücksicht für ein bestehendes Ganze von allen andern Ganzen seiner Gattung und Art abzusondern, und es dennoch als zu ihnen gehörig wieder zu erkennen, das nennen wir vollständig. Es befriedigt die Gesetze des Verstandes auf eine ausgezeichnete Art. So nennen wir eine Geschichte [42] vollständig, wenn wir darin Ursachen und Wirkungen einer Begebenheit in seltener Ausdehnung und im auffallenden Zusammenhange mit dem Kreise unserer Erfahrungen entwickelt finden. Was hingegen ausgezeichnet zweckmäßig ist, mithin alles zeigt, was nach Begriffen von seiner Bestimmung gefordert wird, um es in jeder Rücksicht als ein tüchtiges Ganze wieder zu erkennen, das nennen wir vortrefflich. Es befriedigt die Forderungen der Vernunft in ausgezeichneter Maße. Eine Geschichte ist vortrefflich, wenn ihre pragmatische Anwendung auf den Kreis unserer Bedürfnisse in außerordentlichem Umfange, und mit ungewöhnlicher Wichtigkeit wahrgenommen wird. Was zugleich vollständig und vortrefflich ist, das nennen wir vollkommen. Ich habe inzwischen bereits bemerkt, daß ich hier diese drey Unterschiede nicht weiter beobachten, sondern mit dem Nahmen des Vollkommnen alles dasjenige benennen werde, was die Gesetze des Verstandes und der Vernunft in ungewöhnlicher Maße befriedigt.

Dieß Vollkommne wirkt zuweilen auf unsern Beschauungshang, und reitzt uns, unabhängig von aller Beziehung auf die Sinnlichkeit unsers Geistes und unsers Instinkts, zur Wonne. Es fragt sich: wann?

Die erste Bedingung ist diese: daß die Uebereinstimmung der Gegenstände mit den Gesetzen unsers Verstandes und unserer Vernunft instinktartig erkannt werden muß. Alle Erkenntniß des Vollkommnen, die wir einer Anstrengung unsers Verstandes und unserer Vernunft verdanken, giebt uns entweder keine Wonne, oder sie giebt uns nur die Wonne der Selbstheit. Haben wir ein Bedürfniß der Ungewißheit gestillt, so ist die Lust, sie gestillt zu sehen, bloße affektvolle Zufriedenheit; wir sind [43] wieder ruhig. Liegt ein Bestreben der Ausgelassenheit unsers Geistes zum Grunde, der gern erkennen und wissen will, um sich stark und gewaltig, und erhoben über andere Geister zu fühlen, und dieß Bestreben nun wirklich gestillt fühlt; so ist es Wonne, aber Wonne der feinern Selbstheit, die erst das Vollkommene, was der Geist erkennt, auf unsre Person beziehen muß, um dadurch zur Lust gereitzt zu werden.

Die zweyte Bedingung ist diese: daß das Vollkommene nicht erst durch Beziehung auf meine selbstischen und sympathetischen Verhältnisse mich zur Wonne einladen muß. Die Wonne muß unmittelbar mit der Erkenntniß, ohne weitere Beziehung entstehen. Ein Sammler von Naturprodukten, der ein vollkommnes Exemplar einer Muschel, oder eines Steins, seinem Cabinette mit einer Wonne beylegt, die ihm dieß Produkt, in einem andern Cabinette angetroffen, nicht gegeben haben würde; ein solcher Sammler empfindet offenbar nur die Wonne der Selbstheit. Der Mensch, der sich über die Vollkommenheit eines andern freuet, weil das Bewußtseyn derselben denjenigen, der sie an sich trägt, beglücken wird, empfindet nicht die Wonne des Beschauungshanges, sondern der Sympathie.

Die dritte Bedingung ist endlich diese: daß die Uebereinstimmung mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft sich in einem lebhaften, gehobenen Bilde der Phantasie darstellen muß, das die Triebe, welche unmittelbar mit jenen Seelenkräften verbunden sind, ungewöhnlich begünstigt.

Beyspiele werden diesen letzten Satz am sichersten erläutern.

[44] Ich fange mit derjenigen Wonne am Vollkommnen an, die uns bloße Formen zuführen können. Eine reguläre geometrische Figur befriedigt die Triebe des Verstandes und der Vernunft nach dem Uebereinstimmenden und Geordneten durch eine instinktartige Erkenntniß einer Form, welche diese Eigenschaften darstellt. Aber eine solche Figur, auf einer kleinen Fläche hingezeichnet, wird jenen Trieben nur eine sehr schwache Lust bereiten. Man hebe sie durch den Contrast mit mehreren irregulären Figuren, man bringe sie an wirklichen Körpern, besonders an solchen an, die eine große Ausdehnung und eine künstliche Bearbeitung zeigen; schnell erwacht ein lebhafteres Bild des Uebereinstimmenden und Wohlgeordneten; und mit ihm Wonne der Beschauung.

Dieses Mittels bedient sich besonders die Architektur und die Gartenkunst: oft unter Begleitung des Edeln und Schönen, oft allein, ja oft zum Nachtheile dieser letzten. Die reguläre geometrische Figur kann, an Prachtgebäuden und Lustgärten angetroffen, diese oft steif und widrig machen. Gebäude und Gärten, die zum Nutzen bestimmt sind, gewähren oft dem Beschauungshange bloß Wonne durch ihre Regularität. Man denke an große Magazine und Wirthschaftsgebäude. Man denke an große regulär gepflanzte Baumschulen.

Auffallender ist die Wonne am Vollkommnen da, wo das Bild des Uebereinstimmenden und Wohlgeordneten, und weiterhin des Wahren und Zweckmäßigen, von der innern Anordnung und Einrichtung eines Gegenstandes zur bessern Erkenntniß und zum bessern Gebrauche desselben abgenommen wird.

Die Distribution der Zimmer in einem Gebäude, wodurch jeder Platz genutzt, und die Abtheilungen in [45] leichte Verbindungen mit einander gebracht sind, wird diese Empfindung erwecken, wenn der Umfang desselben groß ist, und die Bequemlichkeit stark auffällt. Die innere Einrichtung einer Maschine, deren Theile im leicht zu übersehenden Zusammenhange erscheinen, wird bey der bloßen Beschauung die Wonne am Vollkommenen erwecken, wenn irgend ein Umstand hinzutritt, der das Bild dieses wohlgeordneten Zusammenhangs hervorhebt; es sey die Vergleichung mit andern Maschinen; es sey die Größe des Umfangs und die Stärke der Wirkungen, die wir durch einfache Mittel hervorgebracht sehen.

Hieher gehört die Anwendung der Figuren auf einem Gemählde, die Stellung der Gliedmaßen an einer Statue, in so fern dabey nicht so wohl auf Schönheit, als auf bequeme Uebersicht des Ganzen und Verständniß des Süjets gesehen wird. Beyde Rücksichten sind sehr verschieden: die Wonne am Vollkommenen der Anordnung steht oft der Wonne am Edeln und Schönen entgegen. Die Aegyptischen Figuren mit geschlossenen Beinen, und hart am Leibe liegenden Armen sind steif; die reguläre Anordnung thut oft der mahlerischen Wirkung Abbruch.

Eben hieher gehört die Wonne an der wohlgeordneten Entwickelung der Bilder und Empfindungen in einem Gedichte, an der zusammenhängenden Verkettung der Begebenheiten in einer Erzählung, an der natürlichen Folge der Gedanken in einer philosophischen Untersuchung, wenn die Größe und der Umfang des Werks, verbunden mit der Schwierigkeit des Unternehmens, diese Bilder beleben. Alles dieß ist ganz verschieden von den Gefühlen des Edeln und Schönen. Manche Ode, manches Schauspiel, manches epische Gedicht, sind langweilig, wenn wir gleich die Anordnung darin bewundern [46] müssen. Eben so verhält es sich mit der Geschichte und der Philosophie, deren Werke dem Beschauungshange oft gerade nur diese Wonne bereiten.

Endlich kann jede Gesinnung, jede Handlung, jeder Charakter, die Wonne am Vollkommenen noch unabhängig von der Wonne am Edeln und Schönen erwecken, sobald nur das Bild des Uebereinstimmenden, des Geordneten, des Wahren und Zweckmäßigen durch irgend einen Umstand gehoben wird. Z. B. der Gatte auf dem Throne, der seine Gattin mit Treue und Zärtlichkeit liebt, erweckt an sich weder die Empfindung des Edeln noch des Schönen. Denn seine wahre und zweckmäßige Liebe, die übrigens weder Folge eines hohen Geistes, noch eines verfeinerten Geschmacks ist, würde uns, im Mittelstande angetroffen, höchstens die Zufriedenheit des befriedigten Bedürfnisses, den Menschen wahr und zweckmäßig in seinen ehlichen Verhältnissen zu finden, gewähren. Aber in seiner Lage rührt uns das Bild mit der Wonne am Vollkommnen. Ferner: ein Mensch, der einem gewöhnlichen Berufe, dessen Ausfüllung an sich weder Höhe des Geistes, noch verfeinerten Geschmack voraussetzt, sein ganzes Leben hindurch mit Haltsamkeit und Treue nachgekommen ist, erfüllt uns mit der Wonne am Vollkommnen, wenn er mit andern in Contrast gesetzt wird, die sogar in einzelnen Handlungen Inconsequenzen zeigen, oder wenn seine Stetigkeit durch irgend einen andern Umstand hervorgehoben wird.


Genug! Die Wonne an der Beschauung des Vollkommnen ist außer Zweifel gesetzt. Dieß Vollkommene ist aber von zwiefacher Art. Es ist entweder relativ: [47] in so fern ein Gegenstand in Vergleichung mit andern Gegenständen seiner Gattung und Art vollkommen erscheint; oder sie ist absolut: in so fern der Gegenstand das Bild eines in jeder Rücksicht vollkommenen Wesens erweckt.

Dieß letzte Wesen ist ein bloßes Verstandes- und Vernunftwesen, das[WS 2] keine Anschauung zuläßt, mithin als eine Erscheinung in dieser Sinnenwelt unserer Erkenntniß nicht vorgestellt werden kann. Wir denken uns nur die Gottheit unter diesem Begriffe.

Inzwischen erweckt dasjenige, was seinem innern Gehalte nach moralischen Adel, seiner äußern Form nach Schönheit zeigt, jenen nach Art des Ganzen eines menschlichen Charakters, diese nach Art des Ganzen eines menschlichen Körpers, ein Bild jenes Abstrakts von Vollkommenheit, und die Wonne, die wir beym Anblick eines Bildes dieser Art empfinden, übertrifft alle andere, die der Beschauungshang uns zuführen kann.

Es hat privilegierte Menschen gegeben, die wirklich an ihrer ganzen Person, oder wenigstens an ihrem Innern, das Bild einer solchen absoluten Vollkommenheit gezeigt haben. Häufiger aber ist der Fall, daß ihre Werke es zeigen. Einzelne Meisterstücke der Künste, einzelne Stimmungen des Gemüths, einzelne Handlungen, haben das Vorrecht, unsere Phantasie mit einem Bilde zu erfüllen, das sich dem Verstandes- und Vernunftwesen von absoluter Vollkommenheit nähert, und uns dadurch in den höchsten Zustand der Entzückung zu versetzen.

[48] Von diesem Bilde des absolut Vollkommnen ist das Bild des relativ Vollkommnen verschieden, das nur die Triebe nach dem Uebereinstimmenden, Wohlgeordneten, und weiterhin nach Wahrheit und Zweckmäßigkeit überhaupt begünstigt.

Jene Wonne an dem Bilde der absoluten Vollkommenheit gehört zu dem Edeln und zu dem Schönen: sie vereinigt beydes. Diese Wonne an dem Bilde des relativ Vollkommnen besteht sogar mit dem Niedrigen und Häßlichen. Caricaturen, ausgezeichnete Anekdoten von Dummheit, Niederträchtigkeit und Schädlichkeit können sie erwecken, wenn nur die Wahrheit und Zweckmäßigkeit des Bildes zur Darstellung des Häßlichen oder Verworfenen recht auffallend wird. Man sagt von solchen Bildern: sie sind vollkommen in ihrer Art.


Fünftes Kapitel.
Was heißt nun veredeln und verschönern?

Veredeln und verschönern heißt nun in einer für beyde Handlungen zutreffenden Bedeutung, die auch oft für vervollkommnen gilt, etwas fähig machen, den Beschauungshang in uns zur Wonne zu reitzen.

In so fern diese beyden Ausdrücke sich einander entgegengesetzt werden, heißt veredeln so viel, als den Gehalt eines Dinges fähig machen, den Geist zur Wonne der Beschauung zu reitzen; verschönern hingegen so viel, als die Form eines Dinges fähig machen, das niedere Wesen an uns zur Wonne der Beschauung zu reitzen.

[49] Beydes kann auf eine unbestimmte Art geschehen, ohne daß wir darauf rechnen mögen, die Wirkung bey uns und andern auf beständig hervorzubringen; oder es geschieht auf eine Art, wodurch unser Geschmacksurtheil Allgemeingültigkeit erhält. Dieß letzte heißt ästhetisch veredeln und verschönern, oder was einerley ist, unter Leitung der Gesetze des Verstandes und der Vernunft veredeln und verschönern.

Unter veredeln und verschönern wird oft auch diejenige Handlung verstanden, mittelst der wir ein Ding fähig machen, durch ein auffallendes Bild der Verstandes- und Vernunftmäßigkeit den Beschauungshang zur Wonne zu reitzen. Etwas in seiner Art vollständig und vortrefflich erscheinen lassen, oder vervollkommnen, heißt veredeln und verschönern, wenn das Vervollkommnete unmittelbar auf unsern Beschauungshang wirkt.

Wir veredeln und verschönern aber besonders dann, wenn wir das Bild einer absoluten Vollkommenheit erwecken; und dieß geschieht, wenn wir ein Wesen schaffen, das seinem Innern nach als ein ästhetisch edles Ganze, nach Art des moralisch menschlichen Geistes erscheint, und zugleich seinem Aeußern nach ein ästhetisch schönes Ganze, nach Art des schönen menschlichen Körpers, darstellt.

Ich gehe jetzt dazu über, diese Grundsätze auf die Liebe anzuwenden.

[50]
Sechstes Kapitel.
Die Liebe trägt viel unbestimmt Edles und Schönes an sich.

Nichts ist so fähig, uns bey der Beschauung mit Wonne zu erfüllen, als das Bild der Liebe. Der bloße Ausruf Liebe, Liebe! wirkt in uns dunkle Bilder des Vollkommnen, des Edeln und des Schönen.

Woher diese Erscheinung?

Schätzung liegt dabey vor allen Dingen zum Grunde. Ich sage Schätzung; nicht Achtung, welche ich schon mehrmahls in diesem Werke von jener unterschieden habe, und die dem Menschen bloß vermöge seiner sittlichen Würde zukommt. Schätzung ist dagegen Billigung dessen, was seiner ausgebreiteten Nutzbarkeit und seines wirklichen Nutzens wegen im allgemeinen Preise steht. Keine Neigung im Menschen ist der Regel nach so auffallend, so allgemein nützlich, als die Liebe! Was wäre ohne jene Fähigkeit des Menschen, an dem Daseyn und dem Wohl seiner Mitmenschen unmittelbaren Antheil zu nehmen, die größere und die engere örtliche Gesellschaft? Wenn bloße Klugheit des Eigennutzes uns auffordern sollte, diejenigen nicht zu beleidigen, die uns schaden können, denjenigen wohl zu thun, welche uns nützlich werden mögen; wie viele unserer Mitgeschöpfe würden nicht ein Opfer unserer Selbstgenügsamkeit werden! Wer würde besonders in Zeiten, wo die physische Lust des unnennbaren Triebes so leicht gebüßt, das Bedürfniß der geselligen Unterhaltung so leicht befriedigt werden kann, noch an Gatten, Kindern, Freunden hängen mögen! Aber wir müssen lieben, die Natur hat uns so gemacht! Wir müssen anhängen, ohne Rücksicht [51] auf Vortheil und Gewinn! Und dennoch zieht jeder aus dieser liebenden Anlage Vortheil! Der eine, daß er geliebt wird, der andere, daß er liebt und Gegenliebe für sich erweckt! Diese allgemeine Nutzbarkeit und Nützlichkeit der Liebe macht ihre Vorstellung generisch interessant, und setzt uns daher in die Lage, ihr Bild wonnevoll zu fühlen, ohne erst zu fragen: was sie uns, unserer Person, und unsern individuellen Verhältnissen werth sey.

So natürlich aber die Fähigkeit zu lieben dem Menschen ist, so sehr sie zur Wahrheit und Zweckmäßigkeit seines Daseyns gehört; so sehr überwiegt doch bey den mehrsten der Eigennutz, und so häufig hemmt die Einrichtung der policierten Gesellschaft ihre Wirksamkeit. Wo sie also angetroffen wird, da erweckt sie das Bild einer seltenen Wahrheit, – der Vollständigkeit, – einer seltenen Zweckmäßigkeit, – der Vortrefflichkeit, – mithin im Ganzen ein Bild der Vollkommenheit des Innern im Menschen, das mit Wonne beschauet werden kann.

Denken wir uns nun gar die Liebe als zärtliches oder leidenschaftliches Verhältniß, – mit allen den Aufopferungen unserer Selbstheit, der Ruhe, der Bequemlichkeit des Alleinseyns, für die Wonne des Zusammenseyns; mit der anstrebenden rastlosen Thätigkeit, die alle Kräfte anspannt, alle Hindernisse überwindet, um zu einem Zweck zu gelangen, welcher der menschlichen Gesellschaft so manchen zufälligen Nutzen bringt; – mit so vielen seligen Folgen für den Strebenden selbst und für die Verbündeten; so entsteht gar leicht das Bild einer freyen Selbstbestimmung zu einem höchst kraftvollen und zugleich höchst nützlichen Wesen, das unsern Geist begeistert.

[52] Sie führt aber auch unendlich viel Schönes mit sich, diese Liebe, indem wir unsere Aufmerksamkeit mehr auf die Form wenden, unter der sie sich uns darstellt, als auf ihr Inneres. Sie ist es, welche die höchsten sinnlichen Freuden herbeyführt; sie ist es, welche bey ihren Aeußerungen der Gestalt die reitzendsten Mienen und Geberden, dem Munde die wohlklingendsten Töne, dem Herzen und der Phantasie die rührendsten, feinsten, schlauesten, reichsten Mittel lehrt, sich auszudrücken, und zu ihrem Zwecke zu gelangen; sie endlich ist mit den Künsten, mit der geselligen Unterhaltung so genau verwebt, daß wir ihre Vorstellung kaum anders, als unter Formen fassen können, die unmittelbar auf unser niederes Wesen wirken, und dieß mit Wonne der Beschauung erfüllen.

Die Liebe, das mächtigste und sich selbst aufopferndste Wesen in sich selbst, – die Liebe, das Wesen, das sich am reitzendsten und unterhaltendsten einkleidet, – das sind die Bilder, welche bey der Beschauung ihres Innern unsern Sinn des Edeln, und bey der Beschauung ihrer Form unsern Sinn des Schönen zur Wonne reitzen.


Siebentes Kapitel.
Wir glauben aber auch oft edle und schöne Liebe anzuschauen, wo wir nur veredelte und verschönerte gesellige Triebe bemerken.

Wie geneigt sind wir aber nicht, dieß mächtigste, sich selbst aufopferndste Wesen, das sich zugleich so reitzend, so unterhaltend einkleidet, allerwärts wieder zu finden, wo wir Bilder einer großen Anstrengung menschlicher [53] Kräfte nach Befriedigung geselliger Triebe, besonders der Geschlechtssympathie, und einen feinen Ausdruck geselliger Empfindungen antreffen.

Ovid sagt irgendwo: ach! daß ich derjenige wäre, den die Geliebte aus Eifersucht übel behandelte, zu dem sie unter Thränen sagte: ich möchte dich hassen, wenn ich könnte!

Ist dieß der Ausdruck der Liebe? Der Wunsch, im Kummer des andern Genuß zu finden, gehört der zu dem wonnevollen Streben nach der Ueberzeugung von des Geliebten Glück? Nein! es ist der vollkommene Ausdruck üppiger Eitelkeit; es ist ästhetische Veredlung der Geschlechtssympathie.

An einer andern Stelle läßt eben dieser Dichter eine seiner Heldinnen sagen: O mein Geliebter! Mögen dich die Götter vor dem Gedanken bewahren, tapfer zu seyn! Rette dich lieber mit schimpflicher Flucht, um dich für deine Geliebte zu erhalten!

Auch hier ist vollkommener Ausdruck eines heftigen Strebens vorhanden! Aber wornach? Nach Zusammenseyn! Nicht nach der Ueberzeugung von der Selbstzufriedenheit des Geliebten, die sich ohne Selbstwürde nicht denken läßt.

Eben so kann man oft gesellige Triebe durch feinen und reitzenden Ausdruck verschönern, ohne daß darum das Verschönerte Liebe sey! Hero erwartet, bey eben diesem Dichter, den Leander. Sie fragt ihre Amme: kommt er noch nicht bald; wird er noch nicht bald da seyn? Die Amme nickt mit dem Kopfe, aber nicht zum Zeichen der Bejahung; nein, sie ist eingeschlafen, die gleichgültige Vertraute; und dieser Contrast mit der ungeduldigen Hero hebt den Ausdruck der Wachsamkeit, den [54] die Liebe mit jeder Leidenschaft theilt. Hero, die diesen Contrast fühlt und darstellt, giebt dadurch ihren geselligen Empfindungen einen feinen und reitzenden Schmuck; aber der Liebe gehört er nur sehr zufällig an.

Der gefangene Maupertuis wird vor die Kaiserin, Maria Theresia, geführt. Auf ihre Frage: „ist es wirklich wahr, daß die Prinzessin Amalia von Preussen die schönste Dame ihres Zeitalters sey?“ antwortet er: „Bis auf diesen Tag hab’ ich es geglaubt!“ – St. Aulaire wird von der Herzogin de Maine ihr Apollo genannt. „Wenn ich es wäre, antwortete er, so würden Sie nicht meine Muse seyn. Sie würden Thetis seyn, und der Tag würde endigen!“ – Ich brauche nicht zu sagen, daß dieser feine, reitzende Ausdruck geselliger Empfindungen nicht der Liebe gehöre. Es wird daher die Liebe nicht dadurch verschönert.

Minder auffallend wird eine solche Verwechselung veredelter und verschönerter Liebe mit bloßer veredelter oder verschönerter Geschlechtssympathie, oder einem andern veredelten und verschönerten geselligen Triebe in folgenden Beyspielen.

Die Samniter setzen das schönste Mädchen zum Preis für den tapfersten Krieger. – Die Normänner glauben, daß man nur durch tapfere Thaten das Herz des schönsten Weibes gewinnen könne. Wie? ist die Liebe, jenes wonnevolle Streben nach der Ueberzeugung von eines andern Glück, dadurch veredelt? Im geringsten nicht! Jene Samniter betrachten das schöne Mädchen als das Mittel zu einem sinnlichen Genuß, dessen Hoffnung ihren Muth entflammt; diese Normänner setzen an die Stelle des gröberen Genusses den feineren der üppigen Eitelkeit und des Stolzes auf den Besitz. Das Glück, [55] die Zufriedenheit des Geliebten kommt dabey nicht in Anschlag. Nur die Geschlechtssympathie, die sonst auf niedrigeren Wegen ihre Befriedigung sucht, wird veredelt.

Eben dieß gilt nun von einer Menge von Bildern außerordentlicher Aufopferung unserer niederen Selbstheit, die theils Dichter und Romanenschreiber, theils das gemeine Leben liefert, und durch die wir uns leicht verführen lassen, an wahre Liebe zu glauben.

Wir sehen die Henne auf ihren Eyern, den Hund auf der Leiche seines Herrn verschmachten. Unbekümmert darum, daß beyde keiner Ueberzeugung von dem Wohl anderer Geschöpfe fähig sind, entsteht bey uns das Bild eines mächtigen, sich selbst aufopfernden Wesens; wir transferieren es auf die Liebe, und schnell entsteht bey uns die Wonne der Beschauung des Edeln.

Wir lesen, daß Dido die Flucht des Geliebten nicht überlebt, daß sie sich selbst ersticht, die Augen noch einmahl öffnet, und beym Anblick des verhaßten Lichts erseufzt. Unbekümmert darüber, daß die Verlassene vorher alles Unglück von den Göttern auf den Ungetreuen heraberflehet hatte, bleiben wir bloß bey dem Bilde der Königin stehen, die alles, selbst das Leben, nach der Trennung von dem Geliebten aufopfert, und finden in ihrer That die Aeußerung[WS 3] edler Liebe.

Einer meiner Freunde, ein Maltheser-Ritter, macht während seines Aufenthalts in Maltha einer dortigen Dame von Stande aus Langeweile die Aufwartung. Sie, die schon über die Jahre der Reife hinaus ist, nimmt die Sache ernsthaft, und der Liebhaber wird des Verhältnisses überdrüßig. Er wendet eine Eifersucht vor, und zieht sich auf einige Zeit in die Einsamkeit zurück. Drey [56] Tage lang hält die Dame die Trennung aus. In der Nacht auf den vierten entzieht sie sich der Wachsamkeit ihrer Beobachter mit der größten Gefahr für ihren Ruf und ihr Leben, und schleicht, mit der Blendlaterne in der Hand, in die Wohnung des Geliebten. Sie erwartet er werde in rastloser Verzweiflung empörter Liebe wachen. Aber nein, sie findet ihn schlafend in der sanftesten Ruhe. Außer sich vor Schmerz und Erstaunen bey diesem Anblick, läßt sie die Laterne fallen. Der Ritter erwacht, und ruft: Wer da? – „E tu dormi! Du kannst schlafen, spricht das Weib im Tone des jammernden Vorwurfs, und sinkt in Ohnmacht! – Unbekümmert darum, daß diese Stärke der Empfindung größten Theils an der betrogenen Eitelkeit auf die Macht veralteter Reitze lag, schreyen wir auf über vollkommne und edle Liebe!

Ich will jetzt noch einige Beyspiele eines äußern Schmucks anführen, den wir der Liebe beygelegt glauben, und womit im Grunde nur Geschlechtssympathie bekleidet ist.

Sappho findet in dem niedergedrückten Grase noch die Spuren von Phaons ehmahligen Umarmungen, und benetzt sie mit ihren Thränen; – Rousseau theilt im einfältigen süßen Genuß des traulichen Zusammenseyns sein sparsames Mahl auf der Fensterbank im vierten Stock mit seiner Therese; – Rousseau schreyet laut auf beym Anblick der Pervenche, des Immergrüns, das er ehmahls mit seiner Freundin Warens gesucht hatte. – Die Heroine beym Ovid erzählt ihrem Liebhaber eine Menge kleiner Umstände, von denen es unbegreiflich scheint, wie sie zu ihrer Kenntniß haben kommen können, [57] und antwortet auf die Frage: woher sie das alles weiß? – Ich liebe!

Es ist nicht zu läugnen, daß alle diese Züge bey der Beschauung die Wonne am Schönen erwecken. Aber kann ein einziger davon unmittelbar dem Streben nach der Ueberzeugung, den andern glücklich zu wissen, beygelegt werden? Gehören sie nicht alle weit mehr einer auf Sympathie geimpften Selbstheit?


Achtes Kapitel.
Aesthetische Veredlung und Verschönerung der Liebe.

Ich kann keinen Gegenstand ästhetisch veredeln und verschönern, wenn ich nicht vorher den Begriff von seinem Wesen und seiner Bestimmung gefaßt habe. Sonst laufe ich Gefahr, ihm einen falschen Adel, oder einen falschen Schmuck beyzulegen, der ihn in andern Rücksichten gerade erniedrigt und verunziert.

Sobald ich die Anlage des Menschen zu geselligen Trieben überhaupt darstelle; so sind die eben angeführten Beyspiele ästhetisch edel und schön. Die Aufopferung einer Dido ist wahr und zweckmäßig zur Darstellung der Stärke einer geselligen Leidenschaft überhaupt, in Vergleichung mit dem eigensinnigen Entschluß einer Miß Bellarmi, die um einer geringen Veranlassung willen mit dem Geliebten auf ewig bricht, und ihn und sich aus Eigensinn für beständig unglücklich macht. Die Lebhaftigkeit eines Rousseau beym Anblick der Pervenche ist zweckmäßig zur Darstellung einer zarten Empfindsamkeit für gesellige Verhältnisse, in Vergleichung mit dem [58] Könige, der den Leichenzug der Maitresse mit trocknen Augen beobachten konnte. Aber für Liebe, für wonnevolles Bestreben, den Geliebten zu beglücken, beweisen diese Beyspiele nichts: sie sind in dieser Rücksicht weder wahr noch zweckmäßig, mithin auch nicht ästhetisch edel oder schön. Mancher Geitzige hat sich nach dem Verlust seiner Schätze selbst umgebracht, und der ehrgeitzige Cäsar hat beym Anblick eines Bildnisses des Alexanders Thränen vergossen.

Aesthetisch veredelt erscheint die Liebe da, wo die Aufopferung der Selbstheit, als der innere Gehalt der Gesinnung geradezu auf das wonnevolle Streben nach der Ueberzeugung, den Geliebten zu beglücken, zuführt: folglich mit dem Bilde des hohen, mächtigen Geistes, der unsern Geist empor hebt, zugleich das unzweydeutige Bild der Liebe erweckt wird.

Eine verlaßne Geliebte betrachtet ein Bildniß mit begeisterter Freude. Ist es das Bildniß des Ungetreuen? Nicht einmahl das: es ist das Portrait ihrer glücklicheren Nebenbuhlerin. Arme! Das kann dich erfreuen? Ach! antwortet sie: sie macht ihn so glücklich! – Wer kann dieß lesen, ohne mit dem Bilde der Aufopferung zugleich das der vollkommensten Liebe in seiner Seele aufsteigen zu sehen.

Aesthetisch edel erscheint die Liebe in jener Alceste, die ihr Leben hinopfert, ihren Admet zu erhalten: in jener Herzogin der Normandie, die das Gift aus der Wunde des Gatten saugt, um ihn vom Tode zu retten; und am aller unzweydeutigsten in jenen Liebenden, die, überzeugt, den Geliebten an ihrer Hand nicht beglücken [59] zu können, die seinige mit der Hand eines andern verschränken.

Aesthetische Verschönerung der Liebe suche ich da, wo die Zartheit und die Fülle der Empfindung, als äußere Form der Gesinnung auf ein Herz zurückführt, das fähig wäre, das Glück des Geliebten seinem eigenen vorzuziehen, weil es den Werth eines andern Herzens ganz zu fühlen im Stande ist: wo folglich mit dem Bilde des feinsten und üppigsten Instinkts, der unserm Instinkte schmeichelt, zugleich das unzweydeutige Bild der Liebe erweckt wird.

Aesthetisch schön erscheint daher die Liebe beym La Fontaine in jener liebenden Buhlerin, die nach unzähligen Genüssen der bloßen Sinnlichkeit ihre Freuden zum ersten Mahle in den Armen des Geliebten zu kosten glaubt. Zum ersten Mahle? fragt der Dichter. Ja! setzt er hinzu: wer geliebt hat, der antworte! – Vergleicht dieß Bild sinnlicher Freuden, denen das Herz den höchsten Reitz giebt, mit demjenigen, das die niedergedrückten Grasspitzen bey einer Sappho erweckten, um die nähere Uebereinstimmung mit dem Begriffe der Liebe zu fühlen. [1]

[60] Aesthetisch schön erscheint die Liebe in jener Zenie oder Laura, die heimlich die Sprache des Geliebten, eines Ausländers, lernten, um ihm in süßeren Tönen die Sprache ihres Herzens hören zu lassen. Vergleicht diesen Zug mit Rousseaus Unterhaltungen mit seiner einfältigen Therese! Welch ein reitzenderes, aber auch welch ein wahreres Bild der Liebe?

Niemand aber hat wohl die wohlgefällige Form mit dem wahren Ausdruck der Liebe besser zu verbinden gewußt, als Marmontel in nachstehender Erzählung.

Ein eingekerkertes, äußerst bewachtes Mädchen will den Liebhaber, der es nie hat sprechen, der ihm nur durch Zeichen seine Liebe hat offenbaren können, das erste Merkmahl geben: du wirst geliebt! Aber wie fängt es dieß an? Wie entgeht es dem Auge seiner Wächter? wo findet es einen Schleyer vor seiner eigenen Schamhaftigkeit? – Sein Fenster ist dem seinigen gegenüber. Er zeigt sich daran, bekümmert über sein Schicksal, sehnsuchtsvoll nach dessen endlicher Endscheidung. Des [61] Mädchens Augen halten des Geliebten Blick, sein Herz hält die Warnung der jungfräulichen Züchtigkeit nicht aus. O Liebe! du bist erfindsam! Das Mädchen kehrt sich von ihm, aber es fängt sein Bild in einem Spiegel auf, schaut es an, – drückt einen Kuß auf den Abglanz, und entflieht.

Welch eine Form der höchsten Feinheit zur Einkleidung der Liebe! Nein! So etwas lehrt nur sie!

Vergleicht mit dieser Geschichte das lüsterne Mädchen beym Virgil, das den Schäfer mit zugeworfenen Aepfeln neckt, und sich dann, nicht ohne gehörige Vorsicht, vorher gesehen zu werden, hinter Gesträuchen verbirgt. – Auch hier ist ein feiner, reitzender Ausdruck. Aber gehört er der Liebe? Nein! Er gehört der Geschlechtssympathie!


Neuntes Kapitel.
Veredlung des Charakters überhaupt ist darum noch nicht Veredlung der Liebe.

Der Mensch kann in seinen Verhältnissen gegen die Liebe edel erscheinen, aber seine Liebe ist darum nicht edel. Oft zeigt er sich gerade dadurch edel, daß er seiner Pflicht seine Liebe zum Opfer bringt.

Interessanter Streit der Liebe mit der Pflicht! Wie oft wirst du gekämpft! Seht jene Gattin an, das unglückliche Schlachtopfer menschlicher Conventionen, gebunden an einen Gemahl, der, unwerth ihrer Liebe, Bitterkeit auf jeden Genuß ihres Lebens ausschüttet! Eine sichere Flucht kann sie retten, kann sie auf ewig mit [62] dem Geliebten verbinden, der das Glück seines Daseyns von ihr erwartet, und von dem sie das ihrige allein erhalten zu können glaubt. Dieser beschwört sie auf seinen Knieen, dieß einzige Rettungsmittel zu ergreifen! Aber umsonst sind seine Thränen, umsonst ist seine Verzweiflung! Lieber den Tod: lieber ihr gemeinschaftliches Unglück, als von dem verhaßten Gatten und von ihrer Pflicht zu weichen. Edel ist hier der selbständige Mensch; edel war Titus, als er Berenicen verließ, um sein Volk zu beglücken, in seinen Verhältnissen gegen die Liebe. Aber ihre That war keine Liebe, sondern edle Selbstheit.

In wie viel andern Fällen zeigt sich nicht der nehmliche Unterschied! Cimon, der ungebildete rohe Mensch, gerührt durch den Anblick der Schönheit, wird ein rechtschaffner, und an Cultur ausgezeichneter Mensch. Wem strebt er dadurch Gutes zu thun? Sich selbst! Er bahnt sich den Weg zu dem Herzen der Geliebten auf eine edle Weise. Hofft er durch die Veredlung, die er sich selbst giebt, die Geliebte zu beglücken; ja, dann liebt er auf eine edle Art.

Rousseaus Laura, die Römische Buhlerin, ist Zeugin der edlen Liebe Mylords Bomston zu der Marquise. Mit Abscheu sieht sie forthin auf ihren glänzenden aber lasterhaften Lebenswandel zurück, und vertauscht ihn mit klösterlicher Einsamkeit. Edle Danae! eine gleiche Wirkung verdanktest du deiner Verbindung mit Agathon! Glaubtet ihr den Geliebten durch eure Entfernung zu beglücken: waret ihr überzeugt, daß das Weib, das eigne Würde nicht immer geachtet hat, des Mannes der immer verehrungswürdig war, nicht werth sey; dann habt ihr geliebt! Hat aber Ehrgeitz und die Besorgniß [63] des Stolzes, den Geliebten nicht auszugleichen, euch zu dieser Aufopferung vermocht; dann habt ihr nicht geliebt!


Zehntes Kapitel.
Relative Vollkommenheit der Liebe.

Die Liebe kann in ihrer Art vollkommen seyn, ohne Gefühle des Edeln und des Schönen zu erwecken. Antonius opfert ein Reich in den Armen einer Cleopatra auf: ein weichgeschaffener Jüngling fällt in die Netze einer Buhlerin, einer Manon L’ Escaut, und opfert ihr Vermögen, Ehre, endlich wohl gar Tugend und ein Leben auf, das er um ihretwillen aufs Schaffot bringt; unstreitig ist hier vollkommene Liebe vorhanden. Unsere Phantasie wird von einem Bilde gerührt, das mit dem Begriffe der Liebe, als einer Leidenschaft, die ihr Glück in dem Glücke des Verbündeten sucht, ungewöhnlich übereinstimmt; und dieß gefällt uns in der bloßen Beschauung, ohne darum unsern Geist zu edeln, oder unsern Instinkt zu schönen Gefühlen einzuladen.

Oft kann sogar das Bild einer relativ vollkommnen Liebe die Wonne am Edeln und Schönen geradezu zerstören. Man denke sich einen Gatten, der das Glück seiner Gattin so sehr über sein eigenes setzt, daß er sogar in eine Theilung ihres Besitzes mit dem Buhlen, der ihr unentbehrlich geworden ist, einwilligt. Ist es möglich, dieß Bild, das in Rücksicht auf den Begriff der Liebe ungewöhnlich wahr und zweckmäßig erscheint, ohne Ekel anzuschauen?

[64]
Eilftes Kapitel.
Einfluß des Standpunkts, aus dem wir beschauen, auf unser ästhetisches Urtheil über die Liebe.

Im Grunde kann die einzelne Gesinnung, der einzelne Ausdruck der Liebe, für ihr Daseyn, für Edelsinn und Sinn des Schönen wenig beweisen. Die leichtsinnigste Buhlerin kann in einem Anfall von Leidenschaft der größten Aufopferungen für des andern Glück fähig seyn; und für ihre Aeußerungen eine reitzende Form finden. Erst dann wird man über das Daseyn wahrer Liebe, des Edelsinns, und des Sinns des Schönen mit Sicherheit urtheilen, wenn man die Person selbst kennt, und sie in ihren liebenden Verhältnissen eine längere Zeit zu beurtheilen im Stande ist.

Freylich wird dann nur selten der Beschauungshang zur Wonne aufgefordert werden. Die Annäherung an die Gegenstände unserer Bewunderung und unserer Schönheitsgefühle pflegt diese gemeiniglich zu endigen. Dichter und Redner wissen dieß, und halten daher die Personen, für die sie uns interessieren wollen, gemeiniglich in einer solchen Entfernung von uns, daß die Phantasie ihr völlig freyes Spiel behält. Sie stellen uns einen König, einen Agesilaus dar, der glücklich im Schooße seiner Familie lebt, und in dem Genusse der Zärtlichkeit die höchsten Freuden seines Lebens findet. Wir nähern uns, und finden einen gewöhnlichen Hausvater, der ganz selbstisch sein Vergnügen in häuslicher Geselligkeit und Zurückgezogenheit von rauschenden Zerstreuungen aufsucht, und übrigens seine Gattin und seine Kinder, als Mittel zu seinem Zweck, gut behandelt. Dieser König bleibt freylich immer schätzungswerth, [65] weil sein Beyspiel nützlich für sein Volk wird. Aber die Wonne der Beschauung des Edeln der Liebe ist dahin.

Sie stellen uns einen Schmidt dar, der aus Liebe zu einer Mahlerstochter zum Mahler wurde. Wir nähern uns, und finden, daß er eben so wohl gethan haben würde, sein voriges Handwerk nicht zu verlassen. Sie schildern uns einen Liebhaber, der seine Geliebte bittet, den gestirnten Himmel nicht schön zu finden, weil er ihr den nicht geben kann! Welche Aufopferung! welche Feinheit! Wir nähern uns. – Es ist ein alter Geck, der in die Netze einer jungen Buhlerin gefallen ist, mit der er sein Vermögen und die schönen Worte verschwendet, die bey den Hoffräulein weiter keinen Eingang finden.

So sehr kommt es bey der Wonne der Beschauung auf den Platz an, wohin wir uns stellen! Der Künstler hat den Vorzug, daß er uns in seinem Reiche immer so weit von sich entfernt halten kann, daß wir den Zauberkreis nicht überschreiten. In der wirklichen Welt kommt es auf Verhältnisse an, die wir nicht immer in unserer Gewalt haben, und dasjenige, was uns Heute edel und schön scheint, ist Morgen vielleicht nur verehrungswürdig, schätzungswerth, interessierend, oder gar verächtlich, gleichgültig und unbedeutend.


Zwölftes Kapitel.
In wie fern die liebende Person als ein Bild absoluter Vollkommenheit erscheint.

Ich habe es schon gesagt, daß ein Ding, das in jeder Rücksicht vollkommen wäre, ein bloßes Verstandes- und Vernunftwesen sey, das keinen Gegenstand der Anschauung [66] in dieser Welt sinnlicher Erscheinungen ausmacht. Aber eine entfernte Ahndung, ein Bild der Phantasie, kann zuweilen von dieser Vollkommenheit in uns erweckt werden. Am sichersten geschieht dieß da, wo wir einen Menschen seiner Seele nach als ein edles Ganze, seinem Körper nach als ein schönes Ganze zu erkennen glauben: kurz, wo sich Seelenadel mit Schönheit paart.

Der liebende Mensch, oder die Person, die sich mit einer andern zusammenzusetzen strebt, um sich mit einander zu beglücken, kann ein solches ästhetisch edles Ganze in dem Geiste der Verbindung, ein solches ästhetisch schönes Ganze in den Formen derselben ankündigen, wodurch wir ein ähnliches Bild von absoluter Vollkommenheit mit demjenigen erhalten, welches der einzelne Mensch durch seinen Seelenadel und seine körperliche Schönheit in unserer Phantasie erweckt.

Liebe, als Vollkommenheit betrachtet, ist das Ganze einer auf Zärtlichkeit beruhenden Verbindung, das seinem innern Gehalte nach Seelenadel, seiner äußern Form nach Schönheit zeigt.

Von dieser Art waren die Verbindungen, welche die Sokratische Schule empfahl, und wenigstens in ihren Schriften darstellte. Hier strebten die Liebenden, sich dadurch unter einander zu beglücken, daß sie sich das höchste Gut, die Tugend, einander zuführten, und die Aeußerungen ihrer Zärtlichkeit in ästhetisch schöne Formen kleideten. Ihre zusammengesetzte Person bildete ein vollkommenes Ganze als Liebe, weil sie beyde ganz von dem Wunsche, sich wechselseitig zu beglücken, ganz von Edelsinn und Sinn des Schönen durchdrungen waren.

[67] Ausgezeichnet wahre und zweckmäßige Liebe, die sich als ein edles und schönes Ganze zeigt, ist vollkommene Liebe.


Dreyzehntes Kapitel.
In wie fern der Moralist die Liebe veredelt.

Wenn wir nicht alle Begriffe verwirren, und dasjenige, was in den Sitten des Menschen, (in seinem Verhalten gegen sich selbst und Andere,) von der Rücksicht auf die Einrichtungen der örtlichen und bürgerlichen Gesellschaft, und auf kluge Besorgung des sinnlichen Genusses an die Hand gegeben wird, – mit dem Moralischen verwechseln wollen; so müssen wir durch diesen letzten Ausdruck nur dasjenige in den Sitten des Menschen bezeichnen, was mit seinen Verhältnissen gegen das Reich vernünftiger Wesen, als solcher, in Beziehung steht.

Dieser Begriff bleibt demungeachtet noch sehr weitumfassend. Es gehören darunter alle Bestimmungen unsers Willens, die aus der Anerkennung unserer eigenen Würde fließen, einer Würde, die uns als einem freyen, sich selbst in jedem Augenblicke des Lebens beherrschenden, und als einem zur Fortdauer und zum Vorschreiten auf ewig bestimmten Wesen zukommt. Es gehören darunter diejenigen Bestimmungen unsers Willens, welche das Gefühl der Abhängigkeit von Gott darbietet: es gehören endlich diejenigen Bestimmungen unsers Willens dahin, welche Achtung und Liebe für das vernünftige Wesen in andern Menschen, und das Bewußtseyn eines innigen, auf gemeinschaftliche Natur und Bestimmung [68] beruhenden Zusammenhangs mit ihnen an die Hand geben.

Alles dieß heißt moralisch in der weitläuftigsten aber bereits bestimmten Bedeutung, worin es sich von dem Patriotischen (gut Bürgerlichen,) Anständigen, (gut Geselligen,) Klugen, (weise Genießenden,) im Betragen des Menschen gegen sich selbst und andere unterscheidet.

In einer engeren Bedeutung aber heißt moralisch, was der Moral gemäß ist. Moral aber ist der Inbegriff der Vorschriften, welche aus der Anwendung der Gesetze des Verstandes und der Vernunft, (Wahrheit und Zweckmäßigkeit,) auf die Verhältnisse des Menschen zum Reiche vernünftiger Wesen, als solcher fließen. Also heißt hier moralisch, was in dem Verhalten des Menschen gegen sein eigenes höheres Wesen, gegen dieß Wesen in andern Menschen, und gegen Gott, den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft gemäß, oder mit andern Worten, wahr, (d. h. übereinstimmend mit sich selbst) und zweckmäßig ist, (d. h. zusammenstimmend mit allen übrigen Verhältnissen, worin das vernünftige Wesen im Menschen hiernieden gesetzt ist.)

Das Moralische in diesem Sinne ist oft sehr verschieden von dem Moralischen in dem zuerst angegebenen. In einem Romane des Johannes Damascenus steigt der junge König Josaphat vom Throne, um sich in einer ägyptischen Einöde der Beschauung des höchsten Wesens zu widmen. Unstreitig war dieß eine moralische Handlung in der weitläuftigsten Bedeutung. Er bestimmte seinen Willen nach Rücksichten auf seine Verhältnisse zu dem Reiche vernünftiger Wesen. Aber seine Handlung [69] war unwahr und unzweckmäßig: Unwahr, weil das vernünftige Wesen im Menschen, schon für sich betrachtet, nicht bloß zur unthätigen Beschauung Gottes, sondern zum Handeln aus Achtung und Liebe für sich selbst und andere Menschen innerlich eingerichtet ist: Unzweckmäßig, weil die Aeußerung des vernünftigen Wesens im Menschen durch bloßes Nachstreben nach der Vereinigung mit dem Uebersinnlichen im Widerspruche mit allen übrigen Verhältnissen steht, in welche der Mensch zu der sinnlichen Welt gesetzt ist. Mithin war die Handlung Josaphats in bestimmterer Bedeutung unmoralisch.

Endlich heißt moralisch in der bestimmtesten Bedeutung dasjenige, was man von allen Menschen, die mit dem Bewußtseyn ihrer höheren, über die Sinnlichkeit hinaus reichenden Bestimmung, und mit der Fähigkeit, Wahrheit und Zweckmäßigkeit zu erkennen, versehen sind, in Rücksicht ihres Verhaltens gegen das Reich vernünftiger Wesen fordern kann: dasjenige, was unter den Vorschriften der Moral für alle vernünftige Wesen, als solche, ohne Rücksicht auf besondere Anlagen und Bildung allgemeingültig ist.

Dieß Moralische ist wieder verschieden von dem Moralischen in den beyden ersten angegebenen Bedeutungen. Wir können von allen Menschen fordern, daß sie andern Menschen nicht schaden, und sie nicht hindern sollen, ihr Daseyn als vernünftige Wesen zu genießen, und sich ihrer Bestimmung als solche zu nähern. Aber nur von sehr wenigen kann man fordern, daß sie mit Aufopferung ihres eigenen Wohls das Wohl anderer um ihrer selbst willen befördern sollen.

Nach diesen drey Bedeutungen des Moralischen nimmt nun auch der Moralist, oder der Lehrer im Moralischen, [70] sehr verschiedene Bestimmungen an. Denn er beschäftigt sich entweder überhaupt mit der Kenntniß der Verhältnisse der Menschen gegen das Reich vernünftiger Wesen, oder er unterwirft diese Verhältnisse den Gesetzen der Vernunft und des Verstandes, oder er stellt endlich nur solche Vorschriften auf, die von allen vernünftigen Wesen, als solchen, begriffen und befolgt werden können.

In diesem letzten Sinne, worin ich ihn allein von dem Aesthetiker, dem Gesetzgeber, dem Anstands- und Klugheitslehrer bestimmt unterscheiden kann, nehme ich den Moralisten bey der Frage: in wie fern veredelt er die Liebe?

Genau betrachtet, veredelt er sie gar nicht, sondern dieß ist Geschäft des Aesthetikers. Freylich hebt auch der Moralist die Liebe über das Gemeine empor, indem er allen Menschen, ohne Unterschied der Anlagen und der Bildung, vorschreibt, was sie thun und lassen sollen, um ihre liebenden Triebe dergestalt zu leiten, daß sie ihrer innern Würde, ihren Pflichten gegen Gott, und denjenigen, die sie gegen alle Menschen zu beobachten haben, nicht nachtheilig werden. Nimmt man das Wort Veredeln in dieser weitläuftigen Bedeutung, worin es bloß das Emporheben, oder auch das Vervollkommnen, das wahr und zweckmäßig Einrichten heißt; so veredelt der Moralist die Liebe allerdings. Denn ein liebender Mensch, der zugleich das vernünftige Wesen in sich selbst, in Gott und andern Menschen ehrt, und sich in seinen liebenden Gesinnungen durch diese Rücksichten, so wie durch die Gesetze des Wahren und Zweckmäßigen leiten läßt; ein solcher Mensch, sage ich, ragt unstreitig über denjenigen hervor, der bloß den Eindrücken [71] der Sinnlichkeit folgt, und liebt, weil er liebend geschaffen ist. Jener weiß Maß in demjenigen zu halten, was er für andere empfindet und thut: er sucht nicht das Wohl des Geliebten auf eine Art zu befördern, wobey er sich selbst verachten muß, Gott über die Creatur vernachlässigt, und die Pflichten, welche er allen Menschen schuldig ist, beleidigt, um einen Einzigen oder Wenige zu beglücken. Allerdings ist also ein Mensch, der so liebt, wie der Moralist es von allen vernünftigen Menschen verlangt, vollkommener, mithin edler, als der bloß sinnlich Liebende. [2]

Aber in diesem weitläuftigen Verstande habe ich das Wort Veredeln nicht genommen. Ich nahm es für diejenige Bemühung, die Liebe ihrem innern Gehalte nach fähig zu machen, unsern Geist zur Wonne der Beschauung zu reitzen: und dieß, in so fern es unter Beobachtung der Gesetze des Verstandes und der Vernunft geschieht, ist nicht das Geschäft des Moralisten, sondern des Aesthetikers. Dieser beschäftigt sich gleichfalls oft mit dem Moralischen, aber nur in der ersten und zweyten Bedeutung, in so fern alles dasjenige darunter verstanden wird, was in unserm Verhalten gegen das Reich vernünftiger Wesen den Gesetzen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit unterworfen werden kann. Dieß Moralische nimmt der Aesthetiker auf, und macht es zum Gegenstande der Beschauung für die seltnere Classe [72] von Menschen, die für Edelsinn geschaffen und gebildet ist.

Es finden sich daher mehrere sehr wichtige Unterschiede zwischen beyden, wenn sie das Moralische zum Gegenstande ihrer Bearbeitung nehmen.

Der Moralist will überzeugen; er verlangt, daß wir uns genau mit seinen Lehren und Beyspielen bekannt machen, diese mit Nachdenken, mit Anstrengung erkennen und prüfen sollen; – der Aesthetiker stellt uns ein Bild aus der Ferne dar, und verlangt eine schnelle, leichte, beynahe instinktartige Erkenntniß, und ein eben solches Urtheil. Der Moralist wendet sich nicht bloß an unsern Beschauungshang, sondern hauptsächlich an unsere Selbstheit und an unsere Sympathie; – der Aesthetiker arbeitet nur auf unsern Beschauungshang los. Der Moralist will uns nicht so wohl Wonne, als Genügen des Bedürfnisses, Zufriedenheit gewähren; – der Aesthetiker sucht uns zur Wonne zu reitzen. Der Moralist schreibt allen vernünftigen Wesen, als solchen, Gesetze vor; – der Aesthetiker giebt nur denjenigen Lehren, die für Edelsinn geschaffen und gebildet sind.

Ein Beyspiel wird die Sache klar machen.

Eine liebende Gattin ist von ihrem ungerechten Gatten nach einer Reihe glücklich verlebter Jahre, in denen sie ihm mehrere Kinder geboren hat, auf das schändlichste behandelt, verstoßen, und von ihren Kindern getrennt. Welches moralische Betragen wird ihr der Moralist, welches der Aesthetiker in ihren liebenden Verhältnissen gegen diesen Gatten vorschreiben? – Beyde werden darin übereinkommen, daß wenn alle Hoffnung verloren ist, den Mann zurückzubringen, wenn sogar Gefahr der Erniedrigung und der Verderbniß für [73] die Gattin zu befürchten steht, daß sie dann ihrer eigenen Würde es schuldig sey, sich nicht wieder mit ihm zu vereinigen. Beyde werden es ihr aber dabey zur Pflicht machen, durch ihr nachfolgendes Betragen ihre Unschuld zu bewähren, und so viel es ihr aus der Ferne möglich ist, für das Wohl des unwürdigen Gatten und der Kinder zu sorgen. Alles dieß läßt sich aus Gründen, denen jeder Mensch, der Gefühl für sein moralisches Wesen hat, nach der strengsten Prüfung seinen Beyfall nicht versagen kann, herleiten, beweisen. Ein solches Betragen ist der Selbstheit und der Sympathie des vernünftigen Menschen angemessen: es giebt der Person, die es beobachtet, und jedem vernünftigen Menschen, der es prüft, Genügen des Bedürfnisses und Zufriedenheit: es läßt sich als Regel für alle vernünftige Menschen aufstellen.

Allein weiter geht nun der Moralist nicht. Die verstoßene Gattin darf, sich ihre moralische Aufführung gegen den ungerechten Gatten möglichst zu erleichtern, die Leidenschaft für ihn in einer neuen Ehe zu schwächen, und durch Kinder, die sie dem zweyten Gatten erzieht, ihre mütterlichen Triebe wieder zu befriedigen suchen. Gut! wird aber hier das Bild einer solchen moralisch liebenden Gattin, d. h. einer Gattin, die sich in ihren liebenden Trieben durch Pflichten gegen ihr vernünftiges Wesen bestimmen läßt, unsern Geist begeistern, und diesen in der fernen Beschauung zur Wonne reitzen? Wahrhaftig nicht! Erst dann, wenn der Aesthetiker diese liebende Gattin mehrere Jahre über die Nothwendigkeit, den Geliebten verachten zu müssen, trauern, die unzuverlässigen Aufwallungen von Reue, die er ihr aus bloßer Sinnlichkeit zeigt, um des Bewußtseyns willen, daß sie [74] ihn nicht beglücken kann, sich selbst aber erniedrigen müßte, mit Aufopferung ihres liebsten Wunsches nach Wiedervereinigung zurück weisen, und sie endlich in die Pension, worin die Kinder erzogen werden, als ihre Erzieherin sich einschleichen, und dort bey der Wartung der kranken Lieblinge ihr Leben aufopfern läßt; – dann, dann erwacht die Wonne am Edeln des Moralischen in der Liebe! Aber lassen sich solche Bilder als Regelformen für alle vernünftige Wesen aufstellen? Läßt sich nur ihr Beyfall von allen erwarten? Bedarf es nicht einer seltneren Anlage und Bildung zum Geschmack an demjenigen, was den Geist in der bloßen Beschauung spannt, um eine solche Aufopferung nicht für übertrieben zu halten?

Es ist daher außer Zweifel, daß der Moralist die Liebe genau genommen nicht veredelt. Es ist ihm sogar zu rathen, daß er sich nicht damit abgebe, weil er sehr leicht zu Mißverständnissen und Mißbräuchen Anlaß geben kann, wenn er Lehren, die nur für seltene Menschen passen, als allgemeingültige Vorschriften für alle vernünftige Wesen, als solche, aufstellen will.


Vierzehntes Kapitel.
In wie fern der Gesetzgeber die Liebe veredelt und verschönert.

Heißt veredeln und verschönern so viel, als ein Ding fähig machen, die Wonne der Beschauung zu erwecken; so sollte der Gesetzgeber billig sich mit der Veredlung und Verschönerung keiner einzigen Anlage im Menschen abgeben.

[75] Der Gesetzgeber muß unmittelbar dahin streben, den Menschen und seine Anlagen schätzungswerth durch ihre allgemeine Nutzbarkeit und ihr allgemeines Nützlichseyn zu machen, und zwar so, daß die Selbstheit eines jeden Bürgers, die kluge Ueberlegung seines Vortheils, ihn zur Wonne auffordert, wenn er den Mitbürger so nutzbar und so nützlich für sich und das Ganze erkennt. Der Gesetzgeber wird der Sympathie und dem Beschauungshange nicht entgegen arbeiten: er wird die freye Wirksamkeit beyder durch Wegräumung der Hindernisse, die diesen natürlichen Anlagen im Menschen entgegen stehen, befördern. Aber unmittelbar wird er sich mit ihrer Bildung nicht abgeben.

Die Liebe ist ein Gefühl, das zwar bey dem rohesten Menschen angetroffen wird; aber es ist zu wenig anhaltend, und bey Collisionen des Eigennutzes diesem zu untergeordnet, als daß der Gesetzgeber bey der Menge, welche doch der Gegenstand seiner Bemühungen seyn muß, mit Zuverlässigkeit darauf rechnen könnte. Eben so verhält es sich mit den Gefühlen des Beschauungshanges. Der Einfluß von beyden ist bey einer Menge von bürgerlichen Sitten und Einrichtungen unverkennbar. In der Ehe wird auf jene, bey der Existimation des Geburtsadels auf diese mit gerechnet. Allein alles nur mittelbar, als eine geheime Unterstützung des Schätzungswerthen für die Selbstheit, welche mehr in der guten Sitte, als im Gesetz beruhet.

Es ist sogar gefährlich, wenn der Gesetzgeber darauf ausgeht, den Menschen zur Liebe oder zur Beschauungswonne auszubilden. Er wird ihn sympathetisch weichlich, aber nicht liebend: eitel, aufgelegt zur Begeisterung, aber nicht fähig machen, das moralisch Edle und ästhetisch [76] Schöne zu fühlen. Alles dieß sind Empfindungen, die man bey der Menge, oder bey dem Ganzen der Gesellschaft, nicht allgemein wirksam voraussetzen kann.

Die meisten Gesetzgeber haben die Grenzen ihrer Macht nicht verkannt. Einige haben sich aber so sehr an das allgemeine Beste des Staats mit Vernachlässigung des Wohls der Einzelnen halten wollen, daß sie, um die Geschlechtssympathie allgemein schätzungswerth, d. h. der ganzen Gesellschaft recht nutzbar und nützlich zu machen, ihr die Gestalt eines völlig thierischen Triebes, einer wild umherschweifenden Begierde gegeben haben. Aus Furcht, daß Zärtlichkeit und Leidenschaft zur einzelnen Person der Vaterlandsliebe, dem Ehrgeitz und dem kriegerischen Muthe gefährlich werden könnten, haben sie junge Gemüther früh zur Schamlosigkeit anführen, alle Ideen von Eigenthum der Herzen und der Körper unterdrücken, und eine völlige Gemeinschaft der Weiber und der Männer festsetzen wollen. Ich zweifle, daß diese Ideen in einem policierten Staate je realisiert werden können; sollten sie es aber gewesen seyn, so bin ich überzeugt, daß eine solche Einrichtung, welche den natürlichsten Anlagen des Menschen zur Sympathie und sogar zur Selbstheit widerspricht, schwerlich mit Sicherheit der Personen und des Eigenthums auf die Länge bestanden haben könne.

Andere, welche der Natur getreuer geblieben sind, haben die Geschlechtssympathie dazu genutzt, den Ehrgeitz und den kriegerischen Muth zu entflammen, indem sie den Besitz des Weibes zum Lohne des tapfersten Kriegers gemacht, oder den Beyfall des zärteren Geschlechts zum Preise verwegener Abenteuer aufgesteckt haben. So die Samniter: so die Völker, bey denen die Chevalerie [77] eingeführt gewesen ist. Das Gesetz der Athenienser nutzte eben diese Geschlechtssympathie, die Verbindungen junger Bürger dem Staate nützlich zu machen.

In diesem Allem darf man aber keine Veredlung der Liebe als Absicht der Gesetzgeber suchen. Haben sie wirklich Theil an diesen Anstalten genommen, ist es nicht vielmehr Sitte als Gesetz gewesen, was sie hervorgebracht hat; so ist ihr Zweck nur dahin gegangen, die Geschlechtssympathie schätzungswerth, d. h. allgemein nutzbar und nützlich zu machen. Wir schauen freylich aus der Ferne diese Einrichtungen als edle Liebe an; aber prüft sie nach Gesetzen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit, und der Zauber verschwindet!

Wenn die Geschichte dieser Verhältnisse wird entwickelt werden, so wird sich zeigen, warum heut zu Tage nicht einmahl die Geschlechtssympathie auf diese Art von dem Gesetzgeber genutzt werden könne.

Mögen diese nur überhaupt die Möglichkeit zur edeln und schönen Liebe dadurch befördern, daß sie die Hindernisse wegräumen, die der freyen Wirksamkeit der Sympathie und des Beschauungshanges, so wie der Entwickelung der Kräfte des Verstandes und der Vernunft, und dem Hange zur Vollkommenheit entgegen stehen! Mögen sie besonders die Geschlechtssympathie so leiten, daß sie jenen Anlagen des Menschen und der Zärtlichkeit nicht gefährlich werde! Mögen sie der Dauer ehelicher Verbindungen ihren Schutz gewähren, wechselseitige gute Behandlung, wechselseitige Hülfsleistung der Ehegatten, und gemeinschaftliche Sorge für die Erziehung der Kinder gebieten! Dann wird die gute Sitte des Volks und der örtlichen Gesellschaft schon richtige Begriffe über [78] das Wesen der Liebe herbeyführen, und an ihre Veredlung[WS 4] und Verschönerung mit besserem Rechte und Erfolge Hand anlegen.


Funfzehntes Kapitel.
Ueber die Bildung, welche die Liebe von der guten Sitte erhält.

Die Existimation der Gesellschaft, worunter wir als Privatpersonen leben, und welche ich die örtliche nenne, um sie dadurch von der bürgerlichen abzusondern, giebt den Verhältnissen zwischen beyden Geschlechtern gemeiniglich eine besondere Bildung, die von derjenigen, welche ihnen der Gesetzgeber giebt, noch verschieden ist.

Diese Bildung erstreckt sich zuweilen auf alle Stände, gemeiniglich aber nur auf diejenige Classe wohlerzogener Menschen, die den Ton in den gesellschaftlichen Verhältnissen eines jeden Volks angeben. Der Inbegriff der Ideen und der daraus abgeleiteten Regeln, wie die Menschen im geselligen Umgange sich äußern sollen, um auf Duldung, Schätzung, Verehrung, Liebe, ja Bewunderung und Schönheitsgefühl von ihren Mitgesellschaftern Anspruch machen zu können, wird der gute Ton, die gute Sitte genannt. Sie besteht aber eigentlich aus zweyen Gesetztafeln, von denen die eine das Nothdürftige, Gute, unter dem Nahmen des Anstandes; die andere das Edle und Schöne unter dem Nahmen des feinen Tons unter sich begreift.

Es giebt nun auch eine gute Sitte, mit ihren beyden Unterarten, dem Anstande und dem feinen Tone, in den Verhältnissen des geselligen Umgangs zwischen [79] beyden Geschlechtern. Diese Verhältnisse sind bald weiter, bald enger. Nicht bloß einzelne Akte der geselligen Mittheilung sind der guten Sitte unterworfen, sondern auch engere Verbindungen, die auf Zärtlichkeit und leidenschaftlicher Liebe beruhen. Auf beyde finden die Begriffe und Vorschriften des Anstandes und des feinen Tons ihre Anwendung.

Ich lasse die gute Sitte in Ansehung der geselligen Mittheilung zwischen beyden Geschlechtern in ihren weiteren Verhältnissen unberührt. Was aber die engeren Verhältnisse anbetrifft, so verlangt der Anstand, daß ihre Aeußerungen so geleitet werden sollen, daß der Zweck der geselligen Mittheilung in größern geselligen Zusammenkünften und im weitern Umgange dadurch nicht gestört werde. Der Anstand ist daher theils nachsichtiger, theils strenger wie das Gesetz. Was die gesellige Mittheilung befördert, wenn es gleich den Gesetzen zuwider ist, das leidet er; was diese stört, wenn es gleich das Gesetz zuläßt, das leidet er nicht. Der Anstand hat daher verbotene Verhältnisse zwischen Personen, die nicht verheyrathet waren, von jeher geduldet, so lange sie nur nicht durch offenbare Beleidigung aller Achtung für die Sittlichkeit der Uebrigen, die freye Mittheilung in der Gesellschaft hemmten. Er hat aber aus eben dem Grunde keine Nachsicht mit der Eifersucht des Ehegatten, die doch das Gesetz duldet, wenn dadurch die gesellige Mittheilung gestört wird.

Der beobachtete Anstand in der Zärtlichkeit und Leidenschaft kann keine Wonne der Beschauung erwecken. Er wird nur schätzungswerth durch Beziehung auf den Nutzen, den er für die gesellige Mittheilung in größern Zusammenkünften und im weitern Umgange mit sich [80] führt. Aber der feine Ton bestimmt nun auch oft Begriffe, Bilder, Formen, unter denen die Zärtlichkeit und die liebende Leidenschaft edel und schön erscheinen, oder, was einerley ist, auf Reitz für den Beschauungshang bey allen wohlerzogenen Menschen Anspruch machen soll. Er geht sogar so weit, Ideale von Vollkommenheit der Liebe festzusetzen, deren Erscheinung Gegenstand allgemeiner Bewunderung und eines fernen Nachstrebens für die ausgezeichnetsten Mitglieder der örtlichen Gesellschaft seyn soll. Die griechische Männerliebe, die Galanterie des Mittelalters, und die Cicisbeatura der Italiäner liefern darüber auffallende Beyspiele.

So war es edel in den Ritterzeiten, sich im Nahmen seiner Dame und auf ihr Geheiß jeder Gefahr muthwillig entgegen zu werfen. So war es schön, mit der Geliebten aus einem Becher zu trinken, und den Mund wieder anzusetzen, wo sie ihn beym Trunke abgesetzt hatte. So waren Petrarca und Celadon Ideale von vollkommner Liebe, denen ein Paar Jahrhunderte hindurch diejenigen, die sich im feinen Tone auszeichnen wollten, ihre Bewunderung nicht versagen durften.

Wie selten aber gehen diese Begriffe, Bilder, Formen und Ideale, welche der feine Ton festsetzt, mit wahrer Liebe, wahrem Edelsinn, und wahrer Schönheit zusammen! Ausgezeichnete Menschen, die wie Genies in den engeren Verhältnissen der beyden Geschlechter zu einander erscheinen, Philosophen, Dichter und Fürsten begeistern die Menge durch ihr Beyspiel, modificieren ihre Begriffe über Liebe, Adel, Schönheit und Vollkommenheit, und fordern sie zur gutherzigen Nacheiferung von Vorbildern auf, die vielleicht nirgends als in ihrem Kopfe, in ihren Schriften, und in dem äußern Scheine ihrer [81] Handlungsweise existierten! Wie oft aber verliert nicht die Liebe unter der conventionellen Bildung, die ihr der feine Ton giebt, völlig ihr Wesen und ihre Bestimmung! Zu der Zeit, wie es in Frankreich Ton war, sich Liebe als bloße Unterhaltung des Geistes, als Befriedigung einer üppigen Eitelkeit, als verfeinertes physisches Vergnügen zu denken; wer hätte da das wonnevolle Streben nach Beglückung des Geliebten unter der Gestalt wieder erkannt, die ihr die gute Sitte gegeben zu haben glaubte.


Sechzehntes Kapitel.
Es geht der edlen und schönen Liebe wie den schönen Künsten. Wenige sind darin Kenner: noch weniger große Künstler.

Gesetzt aber, die gute Sitte hätte ein Ideal edler und schöner Liebe angenommen, das mit ihrem Wesen wirklich übereinstimmt, etwa das, welches Sokrates von ihr, nach der Ueberlieferung eines Plato und Xenophon, entworfen hat; so werden doch immer nur wenig Menschen es fassen, noch wenigere es mit Erfolge an sich selbst darstellen.

Es gehört bereits ein gewisser Grad sittlicher Ausbildung dazu, um nur überhaupt für innere Wahrheit und Tüchtigkeit eines Dinges Sinn zu erhalten, d. h. von der Erkenntniß, daß ein Ding sein Wesen und seine Bestimmung ausfüllt, zur Lust gereitzt zu werden. Alle Menschen tragen als verständige und vernünftige Wesen die Anlage dazu in sich; aber nicht bey allen wird sie entwickelt. Diese handeln bloß nach einzelnen Eindrücken [82] und Wahrnehmungen der niedern Seelenkräfte. Sie bringen keinen Zusammenhang, keine Bestimmtheit in die Anerkennungsmerkmahle, wodurch sie die Dinge als verschieden von andern absondern. Sie haben keine Ideen von Ordnung, von Wohlverhältniß der innern Bestandtheile eines Dinges, wornach sie beurtheilen könnten, ob in seiner Einrichtung Hindernisse gegen die Ausfüllung seiner Bestimmung liegen. Sie beachten nicht die Angemessenheit der Verhältnisse eines Dinges zu andern die es umgeben, um darnach ein richtiges Urtheil darüber zu fällen, ob es bloß an zufälligen, oder ob es an fortdauernden, unabänderlichen, äußern Verhältnissen liege, daß das Ding keinen Wirkungskreis zu Ausfüllung seiner Bestimmung finde.

Laßt uns diese Grundsätze auf wahre und tüchtige Liebe anwenden! Der Mensch, bey dem der Sinn für Wahrheit und Zweckmäßigkeit nicht entwickelt ist, sieht sie als Begierde an, physische Lust und Unterhaltung für die Seele herbeyzuführen. Das unterscheidet sie aber nicht von der Wollust und der Wonne der Geschlechtssympathie. Es ist folglich kein Zusammenhang, keine Bestimmtheit in den einzelnen Bemerkungen, die er über ihr Wesen macht. Wüßte er, daß sie das wonnevolle Streben nach der Ueberzeugung sey, daß der Mitmensch sich selbst glücklich fühle; wüßte er, daß ihr Charakter in dem zärtlichen oder leidenschaftlichen Streben nach Vereinigung der Naturen noch besonders modificiert wird; so würde er die Liebe leicht von andern verwandten Affekten und anhaltenden Stimmungen absondern und auskennen.

Der rohe Mensch fühlt vielleicht, daß das Wohl des Mitmenschen bey seinem Vergnügen mit in Betracht [83] kommen. Aber er ordnet diese beyden Bemerkungen nicht gehörig gegen einander, er bringt sie in kein Wohlverhältniß: er kann sich daher in Collisionsfällen seiner Selbstheit mit der Liebe nicht heraus helfen. Er glaubt das Wohl des Mitmenschen bloß als ein Mittel betrachten zu müssen, das seinige zu erhöhen, und setzt dadurch seinem Streben nach des andern Wohl und nach Vereinigung der Personen in unzähligen Fällen innere Hindernisse entgegen. Wüßte er, daß in der Liebe das Wohl des Menschen der unmittelbare Grund seiner Wonne ist; so würde er fühlen, daß beyde sich wohl mit einander vereinigen lassen, und er würde zugleich in Fällen, wo der Eigennutz seine sympathetischen Empfindungen überwiegt, einsehen, daß sein dermahliger Zustand nicht die gehörige Tüchtigkeit habe, welche der Zustand des liebenden Menschen voraussetzt. Er würde aber auch fühlen, daß in zärtlichen und leidenschaftlichen Verbindungen der liebende Zustand nur herrschend seyn muß: daß die Selbstheit und der Beschauungshang neben der Sympathie, wiewohl in untergeordneter Maße, wirken dürfen. Diese Bemerkung würde ihn darauf führen, daß, um die Liebe unsern übrigen Trieben angemessen zu erkennen, sie in einen hinreichenden Abstand von der Selbstheit und dem Beschauungshange, und dennoch zugleich in eine solche Correspondenz mit diesen gesetzt werden müsse, damit ein schickliches Wohlverhältniß zwischen ihr und demjenigen, was neben ihr gefühlt und erkannt wird, begründet werden könne.

Wenig Menschen, sage ich, werden diesen Begriff fassen, ja, ihn nur empirisch fühlen. Denn es ist gewiß, daß es in der Natur Wahrheiten giebt, welche wir durch eine Art von Instinkt und ein geheimes Bewußtseyn, [84] womit wir alle begabt sind, ohne uns davon Rechenschaft geben zu können, und ohne daß sie dem Verstande und der Vernunft als deutliche Begriffe zugeführt zu werden brauchen, sehr richtig einsehen und schätzen.

Gesetzt aber, wir fassen den Begriff der Wahrheit und Zweckmäßigkeit, wir empfinden sie mit einer Reitzung zur Lust: wie selten haben wir Sinn für Adel, Schönheit und Vollkommenheit? Es gehört Scharfsinn dazu und Phantasie!

Aber selbst unter denen, die diesen Sinn haben, werden ihn nicht alle gerade auf die Liebe anwenden! Dazu gehören wieder besondere Anlagen! Es gehört ein Herz dazu, und nicht bloß ein Herz für den einzelnen Affekt der Menschenliebe, sondern auch für die Zärtlichkeit, für Leidenschaft! Also Sinn für Wahrheit und Tüchtigkeit, Scharfsinn, Phantasie, Herz; das alles wird erfordert, um das Bild der Vollkommenheit in der Liebe wieder zu finden, und es mit Wonne anzuschauen. Wie selten wird dieß alles zusammen gehen!

Inzwischen hat es von jeher Menschen gegeben, welche diese Vollkommenheit der Liebe, theils dunkler, theils klarer angeschauet und mit Wonne empfunden haben, wenn ihre Darstellung durch die Hand des Genies vor ihnen hingezaubert ist. Aber eine solche Darstellung selbst zu schaffen, oder sie gar an sich selbst zu realisieren; wie wenigen Menschen ist das vergönnt!

Bey vielen würde es sogar mit der Bestimmung streiten, die sie gegen die größere Gesellschaft und gegen den Staat übernommen haben, wenn sie den Vollkommenheitssinn, der ihnen sonst nicht fremd seyn mag, gerade auf ihre Verhältnisse zu der einzigen geliebten Person anwenden wollten! Sie würden sich in dem Streben [85] nach Vollkommenheit in allen ihren übrigen Verhältnissen als Staatsmänner, Gesellschafter, Künstler, Hausväter, u. s. w. gestört sehen, wenn sie eine besondere Sorgfalt darauf wenden wollten, die zärtlich oder leidenschaftlich liebende Person in ihnen zur Vollkommenheit zu erheben.

Es geht daher der edlen und schönen Liebe gerade wie den geselligen Fertigkeiten und den schönen Künsten. Sie muß besonders mit denjenigen verglichen werden, die so wie die Tanzkunst, die Mimik, die ausübende Tonkunst, den Künstler und das Werk zu gleicher Zeit darstellen. Vielleicht hat sie mit der Urbanität die größte Aehnlichkeit. Denn wie hier der Mensch in seinen Verhältnissen zur größern örtlichen Gesellschaft erscheint, so erscheint, der zärtlich und leidenschaftlich Liebende in seinen Verhältnissen zu dem einzelnen Menschen, mit dem er zu einer Person zusammengesetzt gedacht wird.

Alle geselligen Fertigkeiten, alle schönen Künste, die von Personen vor den Augen der Menge, wenn auch nicht in Beziehung auf sie, ausgeübt werden, gewähren ihr Genuß, und berechtigen sie zum Urtheil. Der große Haufe sucht nur Unterhaltung des Augenblicks bey dem Schauspiele, das sie ihm gewähren. Die gute Sitte, die Mode schreibt ihnen einen gewissen Styl vor. Ausgezeichnete Künstler ahnden Vollkommenheit, nähern sich ihr mehr oder weniger, und liefern Produkte, die unter Billigung der guten Sitte auf einige Zeit zu Mustern dienen. Halbkenner vergleichen neuere Versuche mit jenen ältern Meisterwerken, und entscheiden nach Autoritäten. Wahre Kenner prüfen jene Muster nach den Gesetzen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit, und setzen [86] nur das als Grundsatz fest, was mit diesen übereinstimmt. Ihre Zahl ist klein. Kleiner noch die Zahl der Künstler, deren Darstellungen jene Prüfung aushalten. Keiner ist zu einer solchen Vollkommenheit gelangt, wie der Kenner sie ahndend denkt, das Genie sie ahndend in Momenten der höchsten Begeisterung anschaut. Jener ist nicht fähig, seine Gedanken darüber ganz deutlich zu machen: dieser seine Anschauungen zum Genuß für andere klar darzustellen. Begünstigtes Streben nach Annäherung an das Ideal, das der Kenner deutlich, aber theilweise, im Kopfe; der Künstler ganz, aber undeutlich, in der Phantasie mit sich herumtragen; dieß muß für unsere endliche Welt Sinn für Vollkommenheit heißen.

Und so ist es denn auch mit der vollkommenen Liebe! Viele sind, die sie zu kennen glauben, aber wenige sind, die wirklich sie kennen; noch wenigere, die ihr mit Erfolg nachstreben. Es gehören dazu Genie, Talent, günstige Verhältnisse, als Bedingungen, um in jeder geselligen Fertigkeit, in jeder schönen Kunst, als Meister zu erscheinen.


  1. Einem meiner Freunde, der Gelehrsamkeit und Geschmack mit einem Herzen verbindet, das sich im spätern Alter noch gleich wirksam und lebhaft bey ihm erhält, und mit dem ich oft über meinen Begriff von der Liebe geredet hatte, verdanke ich folgendes Epigramm, in dem gewiß die Liebe in einer ästhetisch schönen Form erscheint: [60]

    Casta sui thalamo cum surgeret Arria Paeti,
    Cujus in amplexu gaudia nox tulerat,
    Os illa ore premens, non quod mihi dulce erat, inquit,
    Sed quod dulce tibi est, hoc mihi dulce fuit.

    Die Feinheit des Ausdrucks dulce geht im Deutschen verloren; sonst ist der Sinn in einer Uebersetzung, die mir ein anderer meiner Freunde mitgetheilt hat, glücklich dahin wieder gegeben:

    Als sich Arria wandt’ aus ihres Pätus Umarmung,
    Welchem die göttliche Nacht Freuden der Liebe verliehn,
    Drückte sie Mund an Mund, und sprach: Nicht was ich genossen,
    Dein Genuß, o Gemahl, war mir der schönste Genuß!

  2. Sehr oft versteht man unter moralischer Veredlung der Liebe weiter nichts, als Leitung der Geschlechtssympathie nach moralischen Vorschriften. Dieß beruhet aber auf einem Mißbrauche des Worts Liebe, den ich schon so oft gerügt habe, daß ich hier füglich darüber schweigen kann.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: vertändelu
  2. Vorlage: daß
  3. Vorlage: Aeußeruug
  4. Vorlage: Verededlung