Seite:Wilhelm ChinVolksm 017.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

eins; aber du mußt es nicht deinen Geschwistern verraten.“ Und sie gab ihr eins. Da wachte die zweite Tochter auf und fragte die Mutter, was sie da koche. Sie sagte: „Wildenteneier. Wenn dus deinen Schwestern nicht verrätst, so will ich dir eins geben.“ Und so ging es fort. Schließlich hatten die Töchter die Eier aufgegessen, und es waren keine mehr da.

Am Morgen war der Vater sehr böse auf die Kinder und sagte: „Wer geht mit zur Großmutter?“ Er wollte aber die Kinder in die Berge führen und da von den Wölfen auffressen lassen. Die ältesten Töchter merkten es und sagten: „Wir gehen nicht mit.“ Aber die zwei jüngsten sagten: „Wir gehen mit.“ Sie fuhren mit dem Vater fort. Als sie lange gefahren waren, sagten sie: „Wann sind wir denn bei der Großmutter?“ Der Vater sagte: „Gleich.“ Und als sie ins Gebirge gekommen waren, sagte der Vater: „Wartet hier! Ich will voraus ins Dorf und es der Großmutter sagen, daß ihr kommt.“ Da fuhr er mit dem Eselswagen weg. Und sie warteten und warteten, und der Vater kam nicht. Endlich dachten sie, daß der Vater sie nicht mehr holen würde und sie allein im Gebirge verlassen hätte. Und sie gingen immer tiefer ins Gebirge hinein und suchten ein Obdach für die Nacht. Da sahen sie einen großen Stein. Den suchten sie sich aus als Kopfkissen und rollten ihn an die Stelle, wo sie sich zum Schlafen hinlegen wollten. Da sahen sie, daß der Stein die Tür einer Höhle war. In der Höhle war ein Lichtschein, und sie gingen hinein. Das Licht kam von vielen Edelsteinen und Kleinodien aller Art. Die Höhle gehörte einem Wolf und einem Fuchs. Die hatten viele Töpfe mit Edelsteinen und Perlen, die bei Nacht leuchteten. Da sagten sie: „Das ist aber eine schöne Höhle; wir wollen uns gleich in die Betten legen.“ Denn es standen zwei goldne Betten mit goldgestickten Decken da. Und sie legten sich hin und schliefen ein. Nachts kamen der Wolf und der Fuchs nach Hause. Und der Wolf sprach: „Ich rieche Menschenfleisch.“

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_017.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)