Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Die Höhle der Tiere
Untertitel:
aus: Chinesische Volksmärchen, S. 16–19
Herausgeber: Richard Wilhelm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Eugen Diederichs
Drucker: Spamer, Leipzig
Erscheinungsort: Jena
Übersetzer: Richard Wilhelm
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach Digitale Bibliothek Band 157: Märchen der Welt
Eintrag in der GND: [1]
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Bearbeitungsstand
fertig
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8. Die Höhle der Tiere

Es war einmal eine Familie, die hatte sieben Töchter. Eines Tages ging der Vater aus, Holz zu suchen; da fand er sieben Wildenteneier. Er brachte sie nach Hause und dachte nicht daran, sie seinen Kindern zu geben. Er wollte sie selber mit seiner Frau essen. Abends wachte die älteste Tochter auf und fragte, was die Mutter da koche. Die Mutter sagte: „Ich koche Wildenteneier. Ich gebe dir [17] eins; aber du mußt es nicht deinen Geschwistern verraten.“ Und sie gab ihr eins. Da wachte die zweite Tochter auf und fragte die Mutter, was sie da koche. Sie sagte: „Wildenteneier. Wenn dus deinen Schwestern nicht verrätst, so will ich dir eins geben.“ Und so ging es fort. Schließlich hatten die Töchter die Eier aufgegessen, und es waren keine mehr da.

Am Morgen war der Vater sehr böse auf die Kinder und sagte: „Wer geht mit zur Großmutter?“ Er wollte aber die Kinder in die Berge führen und da von den Wölfen auffressen lassen. Die ältesten Töchter merkten es und sagten: „Wir gehen nicht mit.“ Aber die zwei jüngsten sagten: „Wir gehen mit.“ Sie fuhren mit dem Vater fort. Als sie lange gefahren waren, sagten sie: „Wann sind wir denn bei der Großmutter?“ Der Vater sagte: „Gleich.“ Und als sie ins Gebirge gekommen waren, sagte der Vater: „Wartet hier! Ich will voraus ins Dorf und es der Großmutter sagen, daß ihr kommt.“ Da fuhr er mit dem Eselswagen weg. Und sie warteten und warteten, und der Vater kam nicht. Endlich dachten sie, daß der Vater sie nicht mehr holen würde und sie allein im Gebirge verlassen hätte. Und sie gingen immer tiefer ins Gebirge hinein und suchten ein Obdach für die Nacht. Da sahen sie einen großen Stein. Den suchten sie sich aus als Kopfkissen und rollten ihn an die Stelle, wo sie sich zum Schlafen hinlegen wollten. Da sahen sie, daß der Stein die Tür einer Höhle war. In der Höhle war ein Lichtschein, und sie gingen hinein. Das Licht kam von vielen Edelsteinen und Kleinodien aller Art. Die Höhle gehörte einem Wolf und einem Fuchs. Die hatten viele Töpfe mit Edelsteinen und Perlen, die bei Nacht leuchteten. Da sagten sie: „Das ist aber eine schöne Höhle; wir wollen uns gleich in die Betten legen.“ Denn es standen zwei goldne Betten mit goldgestickten Decken da. Und sie legten sich hin und schliefen ein. Nachts kamen der Wolf und der Fuchs nach Hause. Und der Wolf sprach: „Ich rieche Menschenfleisch.“ [18] Der Fuchs sagte: „Ach was, Menschen! Hier können doch keine Menschen hereinkommen in unsre Höhle. Die ist doch so gut verschlossen.“ Da sagte der Wolf: „Gut, dann wollen wir uns in unsre Betten legen und schlafen.“ Der Fuchs sagte: „Wir wollen uns in die Kessel auf dem Herd legen. Da ist es noch ein bißchen warm vom Feuer.“ Der eine Kessel war aus Gold, der andere aus Silber. Da legten sie sich hinein.

Als die Mädchen früh aufstanden, da sahen sie den Fuchs und den Wolf liegen und bekamen große Angst. Und sie deckten die Kessel zu und taten viele große Steine drauf, so daß der Wolf und der Fuchs nicht mehr heraus konnten. Dann machten sie Feuer. Der Wolf und der Fuchs sagten: „O, wie schön warm wird es am Morgen! Wie kommt das bloß?“ Endlich wurde es ihnen zu heiß. Sie merkten, daß die zwei Mädchen Feuer gemacht hatten, und sie riefen: „Laßt uns heraus! Wir wollen euch viele Edelsteine und viel Gold geben und wollen euch nichts tun.“ Die Mädchen aber hörten nicht auf sie und machten das Feuer nur immer größer. Da starben der Wolf und der Fuchs in den Kesseln.

So lebten die Mädchen viele Tage glücklich in der Höhle. Den Vater aber ergriff wieder Sehnsucht nach seinen Töchtern, und er ging ins Gebirge, sie zu suchen. Er setzte sich gerade auf den Stein vor der Höhle, um auszuruhen, und klopfte die Asche aus seiner Pfeife. Da riefen die Mädchen von innen: „Wer klopft an unsre Tür?“ Da sagte der Vater: „Ist das nicht die Stimme meiner Töchter?“ Die Töchter riefen: „Ist das nicht die Stimme unsers Vaters?“ Da machten sie den Stein auf und sahen, daß es ihr Vater war, und der Vater freute sich, daß er sie wieder sah. Und er wunderte sich, wie sie in diese Höhle voll Perlen und Edelsteinen gekommen seien. Und sie erzählten ihm alles. Da holte der Vater Leute herbei, die sollten ihm die Edelsteine nach Hause tragen helfen. Und als sie zu Hause ankamen, verwunderte sich die Frau, wo sie denn alle diese [19] Schätze her hätten. Da erzählten der Vater und die Töchter alles, und sie wurden eine sehr reiche Familie und lebten glücklich bis an ihr Ende.

Anmerkungen des Übersetzers

[387] 8. Die Höhle der Tiere. Quelle: mündliche Überlieferung.

Vgl. das Märchen von Brüderchen und Schwesterchen.