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Rahel (eilt verstohlen schnell zu Daniel und hebt beschwörend die Hände gegen ihn): Daniel, Daniel, nimm nicht den Purpur, den er dir bietet! Nimm nicht das Gold, das seine verruchte Hand dir gibt! Sieh, er bot mir einen Thron und seine Liebe, aber ich bin treu geblieben dir und unserm Gott! Ich weiß, du siehst nicht nach Weibern, aber ich, ich liebe dich, seit ich dich zum ersten Male sah! Ich weiß, du bist weise und gut – – nimm nicht den Purpur dieses Hundes – Daniel! bleibe dir treu!

Daniel: Weib, wen ermahnst du?

Rahel (leise): Vergib meiner Sorge, wenn sie mich zu kühn macht, und meinem Herzen, das dich liebt! (sie geht langsam zurück)

Belsazar (starrt auf Daniel): Nun, weiser Jude, kannst du dir den Purpur verdienen?

Daniel (hoheitsvoll): Behalte deine Gaben und gib deine Geschenke andern. Aber die Schrift will ich dir dennoch lesen. (mit erhobener Stimme, die sich immer mehr steigert) Gott, unser höchster Herr, gab deinem Vater Macht und Ehre und Herrlichkeit. Und alle Leute und alle Völker scheuten sich vor solcher Macht, die ihm gegeben war. Er tötete, wen er wollte, er ließ leben, wen er wollte, er erhöhte, wen er wollte, und er demütigte, wen er wollte. Da aber sein Herz hoffärtig ward und stolz, ward er verstoßen von seinem Thron und verlor seine Ehre. Und er lernte, daß Gott der Herr der Höchste ist und Gewalt hat über Königreiche und sie gibt, wem er will! (kurze Pause)(mit starker Stimme) Du aber Belsazar, sein Sohn, hast dein Herz nicht gedemütigt, obwohl du das Schicksal deines Vaters kennst! Sondern du hast wider den Herrn des Himmels gefrevelt und die Gefäße seines heiligen Tempels hast du dir bringen lassen und mit deinen Weibern daraus getrunken. Und du hast deine falschen Götter gelobt, die nicht sehen und nicht fühlen, den Gott aber, der dir deinen Atem gegeben, der deine Seele in seiner Hand hat, den Gott hast du verhöhnt! – Darum hat er dir diese Schrift gesandt, die da geschrieben steht. Und was da verzeichnet steht, heißt: Mene, mene tekel upharsin! Dieses aber bedeutet es! Mene, das ist: Gott hat dein Königreich gezählt und vollendet! ... Tekel, das ist: deine Seele ist gewogen und zu leicht befunden... (mit stärkster Stimme) Pharsin, das ist: dein Königreich wird geteilt und den Persern gegeben, und dein Volk wird zerschmettert werden!

Belsazar (fährt sich mit irren Blicken über die Stirn, lallend): Gebt ihm, – gebt ihm, wie ich sagte – – kleidet ihn mit Purpur (er reißt sich eine Kette vom Halse) hier, nimm die Kette... und teile meinen Thron mit mir!

Daniel (mit furchtbarem Nachdruck): Behalte dein Golde... behalte deinen Purpurmantel, der die Stufen deines Thrones bedeckt. Belsazar, König von Babylon, dein Weg ist vollendet... ein anderer Purpur wird bald die Stufen deines Thrones säumen! (er entfernt sich langsam)

Rahel ist in die Knie gesunken und streckt ihm die Arme nach.

Belsazar (hat starren Auges zugehört): Er meint mein Blut – er meint... Blut wird herabfließen auf die Stufen – (er blickt wild im Kreise umher) Wer – unter diesen – haha – es ist ja nicht wahr... ein Gaukler... Ha – die Schrift ist fort... (er bedeckt seine Ohren mit der Hand) aber der Sturm, der Sturm heult... he, gebt Wein her! (die Zeichen sind erloschen, aber die Lichter brennen finster wie vorher) Trinkt Wein und seid fröhlich! Fröhlich sollt ihr sein! (alles schweigt)

Belsazar (stampft mit dem Fuß): Hört ihr nicht? Lachen sollt ihr! Trinken, tanzen! Bin ich nicht der König? Bin ich nicht der Herr? – Issar, was blickst du so finster?

Issar: Herr, der Sturm braust daher mit gewaltiger Macht... Im Schloßhof stürzen die Bäume wie Halme...

Belsazar: Laß sie stürzen... es werden neue wachsen!

Issar: Herr – Bäume, die zwei Männer umspannen konnten...

Belsazar: Nun, so werden wir Holz die Menge haben für die Scheiterhaufen.

Empfohlene Zitierweise:
Hennie Raché (1876–1906): Belsazar. Drama in 1 Akt.. , 1904, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hennie_Rach%C3%A9_Belsazar_139.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)