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verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

plötzlich brach sie von Neuem in eine Art von Raserei aus, sprach von Königssälen, glänzenden Festen, ihrem hohen Range, Polizeidienern, so daß des Arztes Miene immer bedenklicher wurde. In diesem Wechsel von Ruhe und Wuth – so muß ich’s nennen – blieb der Zustand der Kranken tagelang. Else und ich verwendeten all unsere Sorgfalt auf die Pflege der Bemitleidenswerthen, und der gute Doctor war uns ein treuer Gefährte.

Eines Vormittages suchte er mich in meiner Wohnung auf.

‚Ich muß Ihnen die volle Wahrheit enthüllen,‘ sagte er, herzlich meine Hände drückend. ‚Erschrecken Sie nicht!‘ beruhigte er mich, als er sah, wie ich erbleichte, ‚die Sache ist nicht so schlimm, wie sie im ersten Augenblick erscheinen mag. Es ist ja noch nicht alle Hoffnung auf eine völlige Wiederherstellung geschwunden, und außerdem müssen wir auf die Gnade der Vorsehung vertrauen. Sagen Sie das auch Ihrer Braut zum Troste. Frau von Saremba ist leider – wahnsinnig. Das ist das traurige Ergebniß meiner Beobachtungen. Die treueste Pflege reicht nicht aus, ihre Wiederherstellung herbeizuführen, an der ich nicht zweifle.‘ Bei diesen Worten spielte ein eigenthümliches mitleidiges Lächeln um seinen Mund. ‚Ich rathe Ihnen daher, die Kranke in eine Anstalt für Nervenkranke zu geben, deren wir ja ganz vorzügliche in der Nähe Berlins haben. Dort wird man sicher Alles aufwenden, um ihr, wenn möglich, die völlige Gesundheit zurückzugeben.‘

Ich verstand den Arzt. Arme Else! – Aber sie durfte das Schreckliche in seinem ganzen Umfange noch nicht erfahren. Sie mußte festhalten an der Hoffnung auf Genesung. Meine Liebe zu der Geliebten meines Herzens ließ mich in den zartesten Worten ihr das Tieftraurige mittheilen. Wunderbar gefaßt hörte sie mich an, meinen Anordnungen beistimmend. Dann sank sie todesmatt in meine Arme, um an meinem Herzen sich auszuweinen.“ –

Hier unterbrach Herr von Persin seine Erzählung. Ich hielt es nicht für schicklich, über seine seltsamen Mittheilungen in diesem Augenblick ein Urtheil abzugeben.

„Das arme Kind!“ sagte er dann leise; „es war aber auch viel, was sie zu erdulden hatte, zuviel für ihr weiches, junges Herz.“ –

„Und dann –?“ fragte ich.

„Ja, mein Freund,“ rief er, mit feuchtem Blick mir seine Hände entgegenstreckend, „das waren bittere Tage des Leidens. Nun werden – so Gott will – klare, sonnenbeglänzte des reinsten Glückes kommen. Uebermorgen führ’ ich Else als mein geliebtes Weib heim. Noch ist die Mutter krank, doch ist nach des Arztes Bericht eine kleine Besserung in ihrem Zustande eingetreten – vielleicht kehrt sie noch genesen wieder zu uns zurück. Dann kehren wir in meine Heimathprovinz zurück, und alles Vergangene soll dann in ihrem Gedächtniß ausgelöscht sein. Auf ihren Wunsch erhalten die Armen der Stadt an unserem Hochzeitstage ein namhaftes Geldgeschenk – eine Sühne. –

Else durfte nicht schutzlos während dieser Zeit dastehen; darum eilte ich so sehr, mir mein volles Glück zu sichern. Freilich war es des holden Kindes Herzenswunsch, aus den Armen der Mutter in die meinigen zu sinken. Unsere Vermählung soll still gefeiert werden. Du und mein alter, treuer Diener Albrecht, nur Ihr werdet der heiligen Handlung beiwohnen. Else hat keine Verwandte, soll sie nicht haben. Ich will ihr Einziges auf der Welt sein, wie sie es mir ist.“

Am Hochzeitstage meines Freundes fand ich mich in der Wohnung der Frau von Saremba ein. Die junge Braut, unsagbar lieblich anzuschauen in dem duftigen weißen Kleide, mit den jungfräulichen Myrthen in den blonden Locken, begrüßte mich freundlich mit holdem Erröthen.

Der Glanz des Glückes in ihrem schönen Gesichte wurde aber bisweilen durch einen tiefen Schatten verdüstert. Die Mutter war ihr fern. Und als der Segen des Höchsten sie mit dem Geliebten verband, machte all das Leid, aber auch all die Seligkeit, die in ihrem reinen Herzen wohnte, sich in heißen Thränen Luft. Doch der glückliche Gatte küßte ihr warm und innig die feuchten Augen und schloß das geliebte Weib fest in seine Arme. Hier ruhte sie eine Weile stumm, dann richtete sie sich muthig und neubelebt empor – sie fühlte sich sicher und ungefährdet an dem klopfenden Herzen, in dem starken Arme des geliebten Gatten. Sie hatte ihre echte, rechte Heimath gefunden.

Der Freund aber flüsterte mir mit einem glücklichen Lächeln zu: „Und all meine Seligkeit verdanke ich der Bettlerin mit dem Schleier.“

August Krüger.




Blätter und Blüthen.

Zum Bildnisse Herwegh’s. (Mit Portrait Seite 521.) Nachdem wir dem Andenken Georg Herwegh’s alsbald nach seinem am 7. April dieses Jahres erfolgten Hinscheiden einen ausführlicheren Artikel gewidmet haben, glauben wir Vielen unserer Leser durch ein Bild des Mannes aus den letzten Jahren seines Lebens um so mehr eine Freude zu bereiten, als die bis jetzt vorhandenen Portraits uns nur seine jugendliche Erscheinung zeigen und seitdem eine Wiedergabe seiner Züge nicht in die Oeffentlichkeit gekommen ist. Selbstverständlich ist es uns dabei nicht um eine Verherrlichung des phantastischen Politikers Herwegh zu thun, von dem nunmehr die Zeitungen berichten, daß er seinem Sohne die Mahnung auf die Seele gebunden, ihm nach erfolgtem „Untergange Preußens“ (!) noch die Worte auf den Grabstein zu setzen: „Freue Dich, Vater, Preußen ist nicht mehr.“ Erwähnen wir das, so geschieht es nur, weil wir fürchten, daß Mancher durch solche, im Grunde doch recht harmlose Träumereien und Schwächen excentrischen Poetenzorns sich die Gestalt des herrlichen Sängers trüben ließe, wie er einst während der ersten vierziger Jahre in blühender Jugendschöne seinem halbschlummernden Volke aufgeleuchtet als ein weithin tief die Geister und Gemüther aufrüttelnder Strahl aus dem Reiche echter Poesie.

Wer den Sturm warmer Begeisterung erlebt und mitgefühlt, den einst der hinreißende Zauberklang des Herwegh’schen Wortes und der melodischen Kraft seiner freiheitathmenden Verse geweckt, der wird mit uns nicht glauben können, daß solch’ ein wahrer Dichter dem Gedächtnisse seines Volkes wieder verloren gehen kann. Georg Herwegh gehört nicht blos als ein Name, als eine historische Schattengestalt der Geschichte unseres Vaterlandes an – das Feuer seines Geistes hat gezündet und lebendig fortgewirkt in den Geschicken und allem Freiheitsringen der deutschen Nation, und viele seiner Lieder werden gelesen und gesungen werden, so lange es eine deutsche Jugend giebt. Gegen diese Thatsache würde selbst der Widerspruch des in der Fremde unseren ferneren Entwickelungen abwendig gewordenen Dichters nichts ausrichten können; wir betrachten mit Verehrung sein Bildniß, legen frischen Lorbeer auf sein Grab und feiern ihn als einen der wirkungsreichen Miterwecker eines gewaltigen Umschwunges der Dinge, dessen wir heute uns freuen, wenn er von dem Verlauf der Weltgeschichte auch nicht im Sinne der Herwegh’schen Parteipolitik vollzogen wurde. Ist ja doch Herwegh nicht der einzige Deutsche von Bedeutung gewesen, den einst das verrottete bundestägliche Polizeiregiment zu einem unstäten und verbitterten Flüchtling gemacht, dem es mit der Heimath auch die frühere Liebe zur Heimath und das Verständniß für ihre Zustände und Bedürfnisse genommen hat.

Amerikanische Justiz. Wer den schwungvollen Artikel auf Seite 9 der Gartenlaube von 1874: „Ein amerikanischer Millionär“ gelesen hat, aber durch „Nachträgliches zu dem New-Yorker Millionär“ auf Seite 634 nicht ernüchtert worden ist, mag es durch die Nachricht werden, daß der Millionendieb Tweed nach kurzer Haft von nicht zwei Jahren (statt von zwölf Jahren) aus dem Zuchthause entlassen worden ist. Ein Formfehler mußte die Handhabe bilden, dem Diebe wieder zu seiner Freiheit zu verhelfen. Zwar spaziert der Millionendieb vom Zuchthause in das Ludlowstreetgefängniß, wo er aber in Hülle und Fülle leben kann, bis er die Bürgschaft von 3,000,000 Dollars aufzubringen vermag, welche man in den gegen ihn erhobenen Civilklagen verlangt hat. Indessen auch hier wird sich die amerikanische Justiz leicht eine Nase drehen lassen; denn – es ist ja genug (gestohlenes) Geld vorhanden.


Kleiner Briefkasten.

H. St. in Halberstadt. Ihre Frage, „ob der Vogel aus dem Gelben oder aus dem Weißen des Eies entstehe?“ klingt, als ob das Eine von Beiden nothwendig das Richtige sein müßte. Sollten Sie mit Ihrem Gegner gewettet haben, dann stünde die Sache sehr schlimm, denn Sie haben Beide Recht und Beide Unrecht, je nachdem man’s nimmt. Die Anlage des jungen Thieres liegt nämlich, wie die Wahrheit gewöhnlich, in der Mitte, das heißt zwischen dem Weißen und Gelben an der Oberfläche des letzteren und ist die im Volksmunde als „Hahnentritt“ bezeichnete Keimscheibe. Dieselbe wächst, während Eiweiß und Dotter gleichmäßig den zu ihrer Vergrößerung erforderlichen Nahrungsstoff hergeben, und insofern entsteht der Vogel aus Beiden. Eine genauere Auskunft finden Sie in Häckel’s „Anthropogenie“, von welcher, obwohl noch kein Jahr seit dem Erscheinen der ersten Auflage verflossen ist, bereits die dritte vorbereitet wird, in Schleiden’s „Meer“ und anderen auf die Entwickelungsgeschichte eingehenden Populärwerken.

L. Mrge. in Montpellier. Uebersetzungen bringen wir grundsätzlich nicht zum Abdrucke. Besten Dank!

M. K. in Stettin. Sie haben im Stoffe fehlgegriffen und wollen uns gütigst Ihre Adresse zur Rücksendung mittheilen.

F. J. B. … in Wien. Längst in den Orkus des Papierkorbes hinabgestiegen.

G. J. F. Verdorben – gestorben!

C. E. K. Ihre Arbeit „Ein deutscher Dichterheld“ können wir nicht verwenden, da das Thema zu wenig neu ist. Geben Sie uns gefälligst Ihre Adresse zur Rücksendung des Artikels an!


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_532.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)