Nachträgliches zu dem „New-Yorker Millionär“

Textdaten
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Autor: D.
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Titel: Nachträgliches zu dem „New-Yorker Millionär“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 634
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[634] Nachträgliches zu dem „New-Yorker Millionär“ (Gartenlaube 1874, Seite 9). Während man den armen Teufel, der aus Noth einen Laib Brod gestohlen hat, der äußersten Disciplin gemäß im Zuchthause mit der größten Härte behandelt, werden dem Millionendiebe Tweed, welcher die Casse und den Staat New-York auf eine so freche Weise beraubt hat, nicht nur Erleichterungen und Privilegien aller Art gestattet, sondern es soll sogar im Werke sein, daß er auf der Insel, welche das Zuchthaus trägt, in das er verurtheilt worden ist, nur – internirt wird. Ein Schritt weiter, und es wird dieser großartige Dieb, den man für sich und die Seinigen im ruhigen Besitz und Genuß seines Raubes gelassen hat, völlig – begnadigt, geht frei aus, und die ganze Geschichte ist eine Komödie gewesen. Und welch eine Komödie, das möge der geneigte Leser aus der folgenden Beschreibung der Bestrafung des großen Diebes entnehmen, welche das „Belletrist. Journal“ enthält. Des Zweckes halber möchte die „Gartenlaube“ hier wohl einmal von ihrer Regel, nichts schon anderweitig Veröffentlichtes wieder vorführen zu wollen, abweichen. Der Zweck ist aber zunächst der, in Deutschland vor der idealen Auffassung amerikanischer Zustände ernstlich warnen zu wollen. – Nur die nüchternste und kälteste Beobachtung kann vor dieser Veridealisirung bewahren. Es ist überhaupt seltsam, wie man in Deutschland – sogar in der Presse – von einem Lande, mit dem so viele und mancherlei Berührungen und Beziehungen bestehen, noch so viel Unverstandenes, Unrichtiges gedacht, gesagt, geschrieben und behauptet wird. Das besagte Blatt aber bringt in seiner Nr. 23 folgende Notiz:

„Tweed auf Blackwells Island. – Mr. Tweed hat noch nie einem Patienten eine Hülfeleistung geboten;*[1] seine Pflichten werden von einem der Reconvalescenten im Hospitale versehen, den er dafür bezahlt. Das Einzige, was er thut, ist, daß er die täglich verordneten Medicamente in ein neues Buch einträgt; aber auch dies wird ihm mitunter langweilig, und dann läßt er die Sache von jemand Anderem besorgen.

Tweed steht gegen sieben Uhr auf und liest die Morgenzeitungen, deren er sich sechs hält; dann geht er zum Frühstück, welches er im Hause des Wardens (Aufsehers), das ungefähr eine Viertelmeile vom Hospitale liegt, einnimmt. Gegen neun Uhr kehrt er zu seinem übrigens elegant möblirten Kerker (?) zurück, der einstweilen sorgfältig in Ordnung gebracht worden ist, und beschäftigt sich mit seinem Privatsecretär oder empfängt Besuche bis ein Uhr. Hierauf folgt eine Promenade, ein gutes Diner und Siesta bis drei Uhr. Das Abendessen. wird ihm auf das Zimmer (wo ist der Kerker?) geschickt. Er ist auf seinen Gängen von Niemandem bewacht und kann, wenn er Lust hat und seine Freunde ihn befreien wollen, jeden Augenblick entfliehen.

Jeden Tag besuchen seine Söhne den düstern Kerker (!) und bringen ihm Weine, Liqueure und alle Delicatessen, welche die Saison bietet. Einer der Gefangenen, welcher an einem Expreßdiebstahl betheiligt war, ist sein Kammerdiener. Sein (Tweed’s) hartes Lager besteht aus einer (Spring-)Feder-Bettstelle und zwei Haarmatratzen; der Boden des Kerkers ist von einem eleganten Teppiche bedeckt, und die Aussicht auf den East-River**[2] gehört zu den schönsten, welche man sich in der Umgegend von New-York denken kann.

Die weiblichen Mitglieder seiner Familie besuchen ihn jeden Samstag gegen zwei Uhr Nachmittags und bleiben bis vier ein halb Uhr. Tweed empfängt sie gewöhnlich am Boothause oder im Hause des Wardens.

Bei einem kürzlich stattgefundenen Besuche der Grand Jury mußte er, welch ein Hohn! ‚nach Vorschrift‘ die Sträflingsuniform***[3] anziehen, welche er bisjetzt im Ganzen nur dreimal (!) getragen hat. Dann kehrte er in’s Hospital zurück und zog seine gewöhnlichen Kleider wieder an. Viele der Geschworenen begrüßten ihn, als er uniformirt war, mit warmem Händedrucke und erklärten sich bereit, Alles für ihn zu thun, was in ihren Kräften stände; worauf der ‚Boß‘ versicherte, daß er sich nach Umständen ganz wohl befinde. Kein Wunder! Wie mancher New-Yorker würde, namentlich jetzt, seine Freiheit gern mit einem solchen Kerkerleben vertauschen!“

D.

  1. * Jeder Sträfling muß sich nützlich machen, arbeiten. Dem Millionendiebe ward die Obliegenheit eines Krankenwärters übertragen.
  2. ** Blackwells Island ist die größte der New-York umgehenden Inseln und hat eine reizende Lage. Auf ihr befinden sich das Strafarbeitshaus, das Armenhaus und das Arbeitshaus, sowie eine Irrenanstalt und ein Krankenhaus.
  3. *** Diese Uniformen sind zebra-ähnlich.