Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Lat. u. gr.
Band III,1 (1897) S. 391 (IA)–400 (IA)
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Bibelübersetzungen. Es können hier nur die griechischen und lateinischen Übersetzungen der Bibel zur Sprache kommen – hinter denen die zahllosen anderen, grösstenteils Afterversionen, auch ohnehin an Bedeutung zurückstehen –, und zwar griechische nur für das alte Testament, soweit es in hebraeischer oder aramaeischer Sprache geschrieben war; die biblischen Bücher christlichen Ursprungs wie auch schon einige jüdische Apokryphen sind von vornherein griechisch concipiert worden, so dass die lateinische Bibel ganz, die griechische aber nur zum Teil durch Übersetzerthätigkeit entstanden ist.

Griechische Übersetzungen

Mündlich waren in den Synagogen der Diaspora, wo selbst in der Judenschaft die Kenntnis der Muttersprache sehr abnahm, die heiligen Texte wohl schon längere Zeit in die Landessprache übertragen worden, als angeblich auf Befehl des Ptolemaios Philadelphos (s. Aristeas Nr. 13) von zweiundsiebzig Dolmetschern das Gesetzbuch der Juden zum erstenmal schriftlich, und zwar von allen gleichlautend, ins Griechische übersetzt wurde. Die legendarischen Ornamente wird niemand für wahr halten, an dem Kern der Geschichte wird nicht zu zweifeln sein: die der Sage zu liebe Septuaginta (οἱ ο’) genannte Übersetzung des alten Testaments geht mit ihren Anfängen in das 3. Jhdt. v. Chr. zurück, sie ist in Alexandrien entstanden, und litterarischen Interessen, nicht religiösem Bedürfnis verdankt sie ihr Dasein. Doch sind an ihr sehr verschiedene Hände und mit sehr verschiedenem Geschick und verschiedener Methode thätig gewesen, und mehr als ein Jahrhundert ist bis zu ihrem Abschluss verlaufen; der Verfasser des Prologs zum griechischen Sirachbuch um 132 v. Chr. kennt schon Gesetz, Propheten καὶ τὰ λοιπὰ τῶν βιβλίων in griechischem Texte, aber [392] der Siracide wird nicht der letzte gewesen sein der verdolmetscht wurde: die Grenzen des Kanons selber waren ja zur Zeit Jesu noch schwankend. Ursprünglich für den Privatgebrauch bestimmt, sind diese Übersetzungen heiliger Bücher des Judentums allmählich und schon vor der christlichen Zeit gewissermassen zu officieller Anerkennung in der Judenschaft gelangt; der griechisch redende Teil der Juden benützte allerwärts, nicht mehr blos in Ägypten, zu gottesdienstlichen wie zu wissenschaftlichen Zwecken diese Übertragung deren Ruhm durch die Aristeaslegende natürlich nur gesteigert wurde; und wie die meisten christlichen Autoren des 1. Jhdts. haben auch Philon und Josephos sie als ihre ‚Schrift‘ besessen. Dieser erste Versuch, eine ganze Sammlung semitischer Schriftwerke zu einem Bestandteil der hellenischen Litteratur zu machen, behält etwas Grossartiges so offen die Mängel der Übersetzung zu Tage liegen. Merkwürdigerweise sind die ältesten Stücke, der Pentateuch, am besten gelungen; in den Prophetenbüchern sind ganze Abschnitte fast unverständlich, und bei den jüngsten Schriften wechselt eine buchstäbliche Wörtlichkeit – so z. Β. beim Hohelied – mit einer Freiheit, die mehr umschreibt als übersetzt und selbst grössere Zusätze anzubringen wagt, so bei Hiob und Daniel. Es wäre ein Wunder, wenn der Text aller Bücher in der LXX gleich gut erhalten worden wäre bei der massenhaften Vervielfältigung des Ganzen und einzelner Teile drangen Fehler und Emendationen in verschiedenem Grade ein; wenn ein alttestamentlicher Vers bei Philon anders als bei Paulus citiert wird, so ist das kein Beweis, dass einer von beiden neben der LXX noch eine andere Übersetzung benutzt haben müsste.

Die Eigentümlichkeiten der einzelnen an der LXX beteiligten Übersetzer fängt man neuerdings an zu beobachten, und solche Untersuchung kann sehr wertvolle Resultate haben; dennoch bleibt für das ganze Werk der Satz gültig, dass es eine besondere Art von griechischer Sprache vertritt: lexikalisch und grammatisch ist das Griechisch der LXX reich an Bildungen, die sonst entweder überhaupt nicht oder nur da, wo Abhängigkeit von der LXX zweifellos ist, vorkommen. Mit dem Ausdruck ‚Judengriechisch‘ würde die Gesamtheit jener Sonderbarkeiten nicht genügend umfasst werden; wenn gebildete Juden – und nur solche sind als Mitarbeiter an der LXX zu denken – sich im Verkehr oder zu litterarischen Arbeiten der griechischen Sprache bedienten, so bekam ihr Griechisch wohl eine mehr oder minder semitische Färbung, aber es blieb für jeden Griechen verständlich (z. Β. Philon, Paulus!); die LXX zwängt das griechische Idiom unter die Regeln der hebraeischen Vorlage und schafft so eine Sprache, die bisweilen fast nur dem Schein nach griechisch heissen kann. Ihr Einfluss auf das ‚Judengriechische‘, d. h. die Redeweise der sich täglich mit ihr beschäftigenden Kreise jüdischen oder christlichen Bekenntnisses dürfte am gewichtigsten auf lexikalischem Gebiet gewesen sein; ein griechisches Wort muss die vielleicht sehr verschiedenen Bedeutungen eines entsprechenden hebraeischen Wortes tragen; der geborene Grieche würde sie oft nicht verstehen; aus dem Zusammenhang begreift der jüdische [393] Leser den Sinn und gewöhnt sich nun das Wort auch seinerseits in solcher durch die griechische Wurzel absolut nicht gerechtfertigten Bedeutung zu gebrauchen. Dass ägyptische Provinzialismen gelegentlich mitbeteiligt sein können, wird niemand leugnen, aber so selbständig hebt sich selten in der Sprachgeschichte ein fest umgrenztes Litteraturgebiet heraus, wie die griechischen Übersetzungen des alten Testaments. Leider ist nach älteren Ansätzen die methodische Bearbeitung der hier vorliegenden Probleme lange vernachlässigt worden; gute Anfänge einer Lösung sind Edw. Hatch Essays in Biblical Greek, Oxford 1889 und A. Deissmann Bibelstudien, Marburg 1895, besonders S. 55–168: Beiträge zur Sprachgeschichte der griech. Bibel. Freilich ist jetzt ein LXX-Lexikon ein besonders dringendes Bedürfnis, denn J. F. Schleusner (Novus thesaurus phil.-criticus sive lexicon in LXX … 1820. 1821 5 Bde.) ist völlig veraltet. Das Lexikon wieder setzt eine LXX-Concordanz voraus; bisher war die brauchbarste Abr. Trommii Concordantiae graecae versionis vulgo dictae LXX interpr., 2 Bde., Amsterd. 1718; im Erscheinen begriffen ist Hatch and Redpath Α concordance to the LXX and the other greek versions of the Old Test. Oxf. 1892ff.

Als nach der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. und vollends seit dem Barkochba-Aufstande unter Hadrian der Pharisaeismus die Alleinherrschaft im Judentum gewann, fing er an, wahrscheinlich mitbestimmt durch die Vorliebe der Christen für die LXX, an dieser auf Grund des hebraeischen Textes Kritik zu üben und sie, zunächst durch andere Übersetzungen, später durch Zurückweisung jeder Übersetzung, aus dem Gebrauch zu verdrängen. Interessant ist, wie die Kirche sich von dieser LXX-feindlichen Bewegung hat beeinflussen lassen; gerade sie hat mit den Concurrentinnen der LXX sich viel ausdauernder als das Judentum beschäftigt; was wir von jenen späteren Übersetzungen wissen, verdanken wir fast ausschliesslich dem Fleiss christlicher Gelehrten und Schreiber. Der grösste von ihnen, Origenes († 254), kannte ausser der LXX drei vollständige Übersetzungen vom alten Testament, von denen zwei, Aquila (Ἀκύλας) und Theodotion – da Irenaeus adv. haer. III 24 um 180 über sie berichtet – vor 175 angefertigt worden sein müssen, die dritte, die des Symmachos, wohl wenig später. Aquila (s. d. Nr. 7) war nach Irenaeus, den die Späteren ausschreiben, ein jüdischer Proselyt, wahrscheinlicher ein geborener Jude; möglich, dass er im Auftrage der palaestinensischen Rabbinen gearbeitet hat und seine Übersetzung sonach von Haus aus eine officielle ist. Hieronymus weiss von zwei Ausgaben des Aquila, die spätere heisse die genaue; sicher handelt es sich nicht um zwei verschiedene Werke, sondern Aquila hat wohl bei einer Superrevision einige Incorrectheiten aus seinem Texte – und auch das nur in einem Teil der biblischen Bücher – entfernt. Aquila kennt das Hebraeische genau, ebenso die exegetische Tradition der Rabbinen, zugleich scheint er griechische Bildung – Field findet Anklänge an Homer – besessen zu haben; aber seine Übersetzung wird charakterisiert durch eine sklavische (Origen. epist. ad African.: δουλεύων τῇ Ἑβραϊκῇ λέξει) [394] Wörtlichkeit, das hebraeische Accusativzeichen übersetzt er regelmässig durch σύν, weil es im Hebraeischen auch ‚mit‘ bedeuten kann; und weil das Hebraeische von dem Stammwort für ὀστέον in mannigfach abgeleitetem Sinne Worte für ‚stark machen, stark, Stärke‘ bildet, schafft sich Aquila für diese Derivata die Worte ὀστεοῦν, ὀστέϊνος, ὀστέωσις. Das Hochgefühl des Aquila, im Gegensatz zu der verfälschenden LXX den Gläubigen nun einen echten griechischen Text vom alten Testament zu bieten, beruht in erster Linie auf einem, von den christlichen Theologen aber bald angeeigneten, Vorurteil, als wäre der inzwischen von den Palaestinensern constituierte sog. masorethische Text des alten Testaments der ursprüngliche; in Wahrheit stellt er nur eine späte Recension des Urtextes dar, die der von der LXX benützten keineswegs überall vorzuziehen ist. Von Theodotion, dem ephesinischen Proselyten, wissen wir leider noch nicht, ob er Aquila bereits benützt hat, jedenfalls steht er der LXX näher, er will sie nicht sowohl verdrängen als dem neuen Texte entsprechend gestalten. Wo in der LXX Stücke des masorethischen Textes fehlten, hat Theodotion sie eingefügt, dabei wie auch sonst in seinen Correcturen sprachlich der LXX nahe verwandt. Der Ebionit Symmachos hält sich auch an den neuen Text, versteht ihn auch mindestens so gut wie Aquila, ist aber im Gegensatz zu diesem bemüht ein allgemein verständliches Griechisch zu schreiben; man darf seiner Übersetzung sogar eine gewisse Eleganz nachrühmen.

Dass wir von den drei späteren Übersetzern noch einiges wissen, verdanken wir fast allein dem Origenes. Er hat ein Riesenwerk angefertigt und in der Bibliothek von Caesarea in Palaestina niedergelegt – das Ganze ist wohl nie abgeschrieben worden und spätestens um 600 verloren gegangen –, τὰ ἑξαπλᾶ, d. h. eine Ausgabe der alttestamentlichen Texte in sechs Columnen (σελίδες), von denen 1 den hebräischen Wortlaut in hebraeischen, 2 denselben in griechischen Buchstaben enthielt, 3 die Version des Aquila, 4 Symmachos, 5 LXX, 6 Theodotion. Im Interesse der Übersichtlichkeit war dafür gesorgt, dass durch alle Columnen hindurch die entsprechenden Sätze – soweit sie vorhanden waren – neben einander zu stehen kamen. Mit dem gelegentlich vorkommenden Namen Oktapla (auch Heptapla) wird das gleiche Werk bezeichnet; für einige biblische Bücher hatte nämlich Origenes noch eine fünfte und sechste – sogar eine siebente wird erwähnt – Übersetzung aufgetrieben, die dort in eigenen Columnen ihren Platz neben den anderen erhielten; die Überreste von ihnen reichen aber nicht aus, um über ihre Eigenart und die Motive zu ihrer Anfertigung ein Urteil zu gestatten: christlichen Glaubens scheinen die Verfasser gewesen zu sein. Eine besondere, um die beiden hebraeischen, nur für wenige brauchbaren Columnen (vielleicht auch um die quinta, sexta, septima?) verkürzte Ausgabe der Hexapla ist die Tetrapla, vgl. Euseb. hist. eccl. VI 16. Die Riesenarbeit des Origenes hat den erwünschten Erfolg, seiner Kirche einen einheitlichen und zugleich correcten Text des griechischen alten Testaments zu verschaffen, nicht gehabt: von den jüngeren Übersetzungen haben doch nur einige Gelehrte, [395] wie vor allen Hieronymus, und auch diese mit willkürlicher Auswahl Notiz genommen, zu weiterer Verbreitung ist nur die fünfte Columne, die schon die caesarenischen Origenisten Pamphilos und Eusebios um 300 gesondert herausgaben, gelangt; dadurch ist aber blos zu den schon vorhandenen stark von einander abweichenden LXX-Recensionen eine neue hinzugekommen, nach ihrem Ursprung die hexaplarische genannt, und in der Kirche von Palaestina, teilweise bei den Syrern alsbald die herrschende. Gewiss hatte Origenes bei ihrer Herstellung möglichst gute Hss. benutzt und durch kritische Thätigkeit wohl auch alte Fehler beseitigt, aber in dem Vorurteil, dass der masorethisch-hebraeische Text die Wahrheit darstelle, befangen, hatte er den LXX-Text zu einem neuen Mischtext umgestaltet. Wie er selbst comment. in Evang. Matth. t. XV c. 14 gelegentlich einer Klage über die Unsicherheit der Texte in den Evangelien bemerkt: τὴν μὲν οὖν ἐν τοῖς ἀντιγράφοις τῆς παλαιᾶς διαθήκης διαφωνίαν θεοῦ δίδοντος εὕρομεν ἰάσασθαι κριτηρίῳ χρησάμενοι ταῖς λοιπαῖς ἐκδόσεσι· τῶν γὰρ ἀμφιβαλλομένων παρὰ τοῖς ο’ διὰ τὴν τῶν ἀντιγράφων διαφωνίαν τὴν κρίσιν ποιησάμενοι ἀπὸ τῶν λοιπῶν ἐκδόσεων τὸ συνᾷδον ἐκείναις ἐφυλάξαμεν καί τινα μὲν ὠβελίσαμεν ἐν τῷ ἑβραϊκῷ μὴ κείμενα οὐ τολμήσαντες αὐτὰ πάντη περιελεῖν· τινὰ δὲ μετ’ ἀστερίσκων προςεθήκαμεν ἵνα δῆλον ᾖ ὅτι μὴ κείμενα παρὰ τοῖς ο’ ἐκ τῶν λοιπῶν ἐκδόσεων συμφῴνως τῷ ἑβραϊκῷ προσεθήκαμεν. Statt sich zu begnügen, durch Nebenstellung der ‚correcten‘ Übersetzungen dem Leser der Hexapla das Urteil über den LXX-Text zu ermöglichen, hat Origenes in dieser neuen Columne gleich durchgreifend emendieren zu sollen geglaubt; ein Obelos, dem am Schluss ein Metobelos entsprach, bedeutete den Leser, dass der so umklammerte Satz der LXX nicht aus dem hebraeischen Urtext stamme; wo aber in LXX ein Stück dieses Textes fehlte, wurde – durch einen Asteriskos eingeführt – einfach aus einer Seitencolumne die Ergänzung geholt. Sogar gemeinschaftlich kommen in den Proverbien Asteriskos und Obelos vor, wo der betreffende Satz im Urtext zwar nicht fehlt, aber an anderer Stelle steht: ein künstliches System, das bei der Nachlässigkeit der Abschreiber, die die Zeichen bald verwechselten, bald fortliessen, üble Folgen haben musste. Es sind auf diese Weise viele Abschnitte aus Theodotion, der zur Ergänzung der LXX ja natürlich in erster Linie herangezogen werden musste, doch anscheinend sogar aus Aquila einige (z. B. Jerem. 10, 6–10?) in die LXX übergegangen, bei Daniel hat der Text des Theodotion den alten der LXX (κοινή) so vollständig verdrängt, dass dieser nur noch in einem griechischen Codex erhalten ist. Ausserdem hatte Origenes ohnehin schon von seinen LXX-Manuscripten die bevorzugt, die den andern Versionen am nächsten standen, das heisst wahrscheinlich solche, die schon von jenen beeinflusst waren, und da in zahllosen Fällen die Differenz auch durch Obeloi und Asteriskoi nicht zu heben war, hat er – nachweislich nicht blos in der Orthographie und der Reihenfolge der Abschnitte, die z. Β. bei Jeremias in LXX stark vom Hebraeischen abwich – sich verpflichtet geglaubt, der ‚Wahrheit‘ zu lieb die überlieferte Lesart einfach durch eine ‚bessere‘ zu ersetzen.

[396] Neben dem hexaplarischen LXX-Texte wurde nun der ältere – jetzt κοινή genannte – weitergebraucht, aber meistens in Exemplaren, die auf besondere gelehrte Arbeit zurückgingen. Um 300 hat der Antiochener Lukianos, fast gleichzeitig der Ägypter Hesychios die κοινή durchcorrigiert, offenbar auch mit Berücksichtigung der jüngeren Übersetzungen, aber conservativer als Origenes: die Recension des Hesychios hat sich (s. Hieronymus praef. in Paralip.) in Alexandrien und Ägypten, die des Lucian in Asien und Constantinopel durchgesetzt: Mischungen zwischen ihnen wie mit der alten uncorrigierten κοινή und mit der hexaplarischen LXX konnten nicht ausbleiben; so ist – gerade auch infolge der Arbeit der Diaskeuasten – in den LXX-Handschriften ein unendliches Durcheinander entstanden, und die erste Arbeit, die hier zu thun ist, die Klassifizierung der Zeugen bezw. die Feststellung der Texte der verschiedenen Recensionen noch nicht vollzogen.

Einen colossalen Apparat von Varianten haben R. Holmes und J. Parsons in ihrem Vetus Test. graec. cum var. lection., Oxon. 1798–1827, 5 Bde. fol. aufgehäuft; ihr handschriftlicher Nachlass – von Swete benützt – enthält noch manche wertvolle Ergänzungen. Die ältesten Drucke sind der in der complutensischen Polyglotte 1514–17 (vol. I–IV) und die Aldina von 1518; fast die Bedeutung einer officiellen Ausgabe hat die Sixtina (weil durch Papst Sixtus V. veranlasste) Rom 1587 erlangt, deren Abdrücke noch heut das Feld behaupten. E. Grabe edierte Oxon. 1707–20 einen selbständigen Text auf Grund des wertvollen Codex Alexandrinus, durch Tischendorf kennen wir den noch älteren, aber unvollständigen Sinaiticus; sehr schätzbar ist Eb. Nestle Vet. Test. graeci cod. Vatic. et Sinait. cum textu recepto collati Lps. 1880. Dem dermaligen Stande der Forschung entspricht am besten Η. Β. Swete The Old Test. in greek according to the LXX, Cambr, 5 Bde., 1887–94. Unschätzbar, wenn auch durch neuere Entdeckungen schon mehrfach ergänzt, ist für die Hexapla Fr. Field Origenis Hexaplorum quae supersunt, 2 Bde. Oxon. 1875. Unter den Bahnbrechern der LXX-Wissenschaft ist neben Ceriani vor allem Ρ. Α. de Lagarde zu nennen; seit 1863 (Anmerkungen zur griechischen Übersetzung der Proverbien) hat er unermüdlich an der Förderung dieser Studien gearbeitet; 1883 erschien von ihm Libr. Veteris Testamenti canon. pars prior graece, eine Ausgabe der Lucian-Recension der LXX; leider ist der zweite wichtigere Band nicht erschienen; über de Lagardes leitende Ideen vgl. besonders: Ankündigung einer neuen Ausgabe der griechischen Übersetzung des alten Testaments, 1882.

Gegen Ende des 4. Jhdts. war das Misstrauen gegen die LXX und zwar in allen bekannten Recensionen so gross, dass der griechische Gelehrte Sophronios die lateinische Übersetzung seines Freundes Hieronymus, die dieser teilweise auf sein Drängen hin gefertigt hatte, benützte, um vermöge einer Afterversion – Hieronymus de vir. ill. 134 nennt nur Psalter und Propheten, Sophronios wird eben 392 noch nicht fertig gewesen sein, wie Hieronymus es ja auch nicht war – den Griechen einen einwandfreien Text des alten Testaments zu bieten. Sophronios ist verschollen, [397] aber bei Theodoret (s. Fr. Field Prolegom. XCIIIf.) wird ein Übersetzer Johannes Josephos erwähnt, von dem Field Überbleibsel beim Jeremiasbuch aufgespürt hat. Ob diese Übersetzung das ganze alte Testament oder nur den Jeremias umfasst hat, lässt sich noch nicht ausmachen, jedenfalls ist sie unabhängig von LXX einfach nach dem hebraeischen Texte – in gutem Griechisch und fast paraphrasierend – vorgenommen worden. Da auffallende Berührungen im Textverständnis mit Hieronymus vorliegen, hat Field nicht ohne Grund Beziehungen des Johannes Josephos zu Sophronios vermutet.

Lateinische Übersetzungen

Ein Interesse an Übertragung der heiligen Bücher ins Lateinische ist nur in der christlichen Kirche entstanden, und zwar als das Christentum in Gegenden Platz griff, wo nicht wie in Rom und den gallischen Grossstädten das Griechische die gottesdienstliche Sprache sein konnte, wahrscheinlich in Africa. Man pflegt die Überreste der älteren lateinischen Bibelübersetzung, die am besten als vetus latina bezeichnet wird, Itala zu nennen auf Grund von Augustinus de doctr. christ. II 15, 22: in ipsis autem interpretationibus Itala ceteris praeferatur, nam est verborum tenacior cum perspicuitate sententiae. Die Stelle lehrt aber, dass Augustin von mehreren Übersetzungen wusste und unter diesen die Itala, d. h. die von ihm in Mailand kennen gelernte bevorzugte. Die alte Frage, ob es nur eine Vetus latina gegeben hat, die durch Corruption und gutgemeinte Emendationen so mannigfach umgestaltet worden wäre, dass ein Augustin ganz verschiedene Übersetzungen vor sich zu haben glauben durfte, oder ob in verschiedenen Provinzen verschiedene angefertigt worden sind, die Textmischung hier aber noch stärker als bei der griechischen Bibel gewaltet und so den Schein einer Urübersetzung zu stande gebracht habe, ist noch nicht befriedigend beantwortet; höchst wahrscheinlich liegt die Sache bei den einzelnen Bestandteilen der Bibel verschieden; die Evangelien z. Β. können mehrmals übersetzt gewesen sein, ehe ein solches Bedürfnis für den Hebraeerbrief oder die Chronik empfunden und nun sogleich für alle befriedigt wurde; auch die Vetus latina ist keinenfalls von einer Hand und auf einmal hergestellt worden. Zur Zeit des Cyprian (um 250) ist eine – ungefähr – vollständige lateinische Bibel vorhanden, sie scheint auch schon zu Tertullians Zeit um 200 existiert zu haben, obgleich dieser des Griechischen kundige Theologe sie nicht mit dem Eifer Cyprians studierte; vor der zweiten Hälfte des 2. Jhdts. sind ihre Anfänge keinenfalls anzusetzen. Ihre Heimat aus ihren Spracheigentümlichkeiten zu erkennen, ist bis jetzt, da das Material zur Vergleichung nicht ausreicht, nicht gelungen; ihren Namen Itala zur Empfehlung der Hypothese, sie sei in Italien entstanden, zu benutzen, ist sehr ungeschickt. Bei allen Differenzen im einzelnen gilt von ihren Bestandteilen durchweg, dass sie in der Sprache des gemeinen Mannes möglichst wörtlich die heiligen Texte wiederzugeben sucht; die perspicuitas sententiae wird, soweit sie überhaupt anerkannt werden darf, häufig erst durch spätere Nachhülfe hergestellt worden sein. Als im 4. Jhdt. die innigen Beziehungen zwischen abend- und morgenländischen [398] Theologen auch die Folge hatten, dass man die weitgehende Discrepanz zwischen dem Bibeltext der Lateiner und dem der Griechen bemerkte, erwuchs das Verlangen nach einer sachkundigen Revision der lateinischen Bibel auf Grund der besten Quellen; als Papst Damasus (366–384) sich diesen Wunsch aneignete, hat Hieronymus ihn zu befriedigen unternommen: das Resultat seiner über mehr als zwanzig Jahre, von 383 bis 405, sich erstreckenden Arbeit ist die officielle Bibel der römischen Kirche, die Vulgata. Das Verhältnis der Vulgata zur Vetus Latina ist aber der Verschiedenheit des Grundtextes entsprechend und unter dem Einfluss von kirchlicher Gewöhnung sowie infolge des Wechsels der Methoden des Übersetzers ein sehr verschiedenes. Er begann damit, das ihm vorliegende lateinische neue Testament nach griechischen Handschriften, wo der Sinn gefährdet schien, durchzucorrigieren (de vir. ill. 135: novum testamentum graecae fidei reddidi), ähnlich verfuhr er beim Psalter mit Hülfe einer Handschrift der alten κοινή. Bald studierte er in Caesarea die hexaplarische Recension der LXX und revidierte jetzt den lateinischen Psalter nach dieser, andere Bücher folgten; doch war diese Arbeit, die fast ganz erfolglos geblieben ist, noch nicht vollendet, als Hieronymus sie endgültig abbrach und sich entschloss, auch dem Abendlande die hebraica veritas zu übermitteln; schon 392 rühmt er sich a. a. O. vetus testamentum iuxta hebraicum transtuli. In der That hat er allmählich alle in hebraeischer oder aramaeischer Vorlage vorhandenen alttestamentlichen Bücher direct ins Lateinische übersetzt, und sein Werk, bei dem ihm die Unterstützung jüdischer Schriftgelehrten nicht fehlte, darf als ein wohlgelungenes gelten; er versteht es, ohne dem Sprachgefühl des lateinischen Lesers grosse Opfer zuzumuten, den Sinn des Urtextes im ganzen correct, klar und ohne Weitschweifigkeit wiederzugeben. In einem Jahrhunderte währenden Kampfe, dessen einzelne Stadien am besten durch die Bibelcitate in den Werken der Kirchenschriftsteller beleuchtet werden, hat die von Hieronymus herrührende Vulgata schliesslich die altlateinische Version verdrängt, natürlich wieder nicht ohne allerlei Concessionen: unter dem Schatten der Vulgata haben sich viele Stücke der Itala erhalten, wie auch neue Fehler eingedrungen sind. Freilich bei einem alttestamentlichen Buche hat die kirchliche Gewohnheit sich den ‚hebraeischen‘ Text des Hieronymus nicht aufdrängen lassen, beim Psalter. Dessen letzte hieronymianische Version ist ein Gelehrtenbuch geblieben; in der officiellen Vulgata steht dafür das sog. psalterium gallicanum, die nach der hexaplaris vorgenommene Revision des alten Italatextes; vereinzelt ist in Rom auch noch die erste Überarbeitung, der die κοινή zu Grunde lag, in Gebrauch. So ist das Verhältnis der Bestandteile der officiellen lateinischen Kirchenbibel zu der Vetus latina ein verschiedenartiges; das neue Testament ist nur eine Reinigung des alten Textes von zu groben ‚Sprachfehlern‘ und zu auffallenden Abweichungen von dem, was die Unkritik um 383 graeca fides nannte; beim Psalter steht es ziemlich ebenso, nur dass den Massstab die nicht allgemein im Orient acceptierte LXX-Recension des Origenes bildete, die blos griechisch vorhandenen [399] Apokryphen des alten Testaments, wie Sirach, Weisheit Salomos, Makkabaeerbücher hat Hieronymus unverändert gelassen, und die hebraeischen Bücher des alten Testaments ausser den Psalmen sind nach dem Grundtexte ohne Rücksicht auf LXX und Vetus Latina übertragen worden.

Die auf Anregung des tridentinischen Concils vom Papst Sixtus V. herausgegebene authentische lateinische Bibel erschien zu Rom 1590, mit einigen Verbesserungen unter Clemens VIII. – daher der Name: Sixtino-Clementina – 1592. Sie ist in unzähligen Abdrücken verbreitet, erfreulicherweise meist unter Beifügung der Vorreden des Hieronymus zu seinen Übersetzungen der einzelnen Bücher des alten Testaments; wenn auch nicht nach wissenschaftlichen Grundsätzen, ist sie doch mit vortrefflichen Hülfsmitteln und sorgfältig gefertigt. Aber den ursprünglichen Vulgatatext kann man nur aus alten Handschriften, die leider meist nicht vollständig sind, erheben: unter ihnen sind von besonderem Wert der Codex Fuldensis und der Amiatinus, zum neuen Testament von Ranke 1868 und C. von Tischendorf 1850 herausgegeben. Die Ausgabe von J. Wordsworth und H. J. White Novum Testamentum … latine secundum editionem s. Hieronymi, Oxon. 1889ff. schreitet langsam vor. Das Psalterium iuxta Hebraeos Hieronymi hat mustergültig de Lagarde 1874 ediert. Sonst vgl. F. Kaulen Geschichte der Vulgata, Mainz 1868. S. Berger Histoire de la Vulgate pendant les premiers siècles du moyen âge, Paris 1893 – dort S. XXIIff. die reichsten Litteraturangaben. E. von Dobschütz Studien zur Textkritik der Vulgata, Lpz. 1894.

Von der Vetus latina sind vollständige Exemplare überhaupt nicht vorhanden, um so mehr Handschriften mit kleineren Teilen der Bibel oder Fragmenten einzelner Bücher, dem Alter nach bis ins 4. Jhdt. reichend, und eine Fülle von wörtlichen Citaten in den Väterschriften. Um die Mitte des 18. Jhdts. begann man in der römischen Kirche diesen Reliquien Interesse und grossartigen Fleiss zuzuwenden: J. Bianchini publicierte im Evangeliarium quadruplex Rom 1749, 2 Bde. die ältesten und wichtigsten Evangelienhandschriften, abgedruckt bei Migne Patrolog. lat. ΧΧIX; P. Sabatier hatte schon 1743 das trotz seiner Unvollständigkeit noch immer unentbehrliche Sammelwerk Bibliorum sacrorum latinae versiones antiquae, 3 Bde. fol. veröffentlicht, in dem er namentlich die patristische Litteratur in erstaunlichem Umfang verwertete; seit einigen Jahrzehnten wetteifern Gelehrte aller Kulturnationen auf dem Gebiet der Italaforschung; aber die Publication von bisher unbekanntem Material – von hervorragendem Werte J. Wordsworth Old Latin Biblical Texts, Oxford 1883ff. – ist noch so im Fluss, dass zusammenfassende Arbeiten wie eine Geschichte der Vetus latina nicht möglich sind. Einer solchen müsste auch eine Erneuerung von Sabatiers grossem Werk vorangehen; diese wieder setzt die Existenz zuverlässiger und die Varianten vollständig verzeichnender Textausgaben von allen lateinischen Kirchenschriftstellern der ersten acht Jahrhunderte voraus: ob wir selbst dann mehr als Bausteine für eine Geschichte der vorhieronymianischen lateinischen Bibel gewinnen werden, steht dahin. [400] Für die Geschichte der Bildung in der lateinischen Kirche, die der Beziehungen zum Morgenland, nicht am wenigsten für die der lateinischen Sprache müssen diese Forschungen jedenfalls reichen Ertrag abwerfen. Die Vetus latina ist eine Hauptquelle für die Kenntnis der lingua rustica; das Kirchenlatein dieser Version ist, wenn auch aus einem andern Grunde, ebenso interessant für den Sprachforscher wie das Judengriechisch der LXX. H. Rönsch Itala und Vulgata, 2. Aufl. Marburg 1875 hat das Material von diesem Gesichtspunkte aus durchforscht, zahlreiche Artikel in Ed. Wölfflins Archiv f. lat. Lexikogr. dienen dem gleichen Zweck.

Näheres über den Stand der Fragen und die Litteratur in den Einleitungen in das alte und das neue Testament; die vollständigste Orientierung bietet vielleicht H. A. Scrivener Α plain introduction to the criticism of the Ν. Τ. 4 A. Lond. 1894, 2 Bde.; besonders mustergültig referiert dort White über die lateinischen B.