Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Göttin der Weisheit, Strategie, des Kampfes, der Kunst, des Handwerks
Band II,2 (1896) S. 19412020
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Athena, ion. (Ἀθήνη, Ἀθηναίη), aiol. und dor. Ἀθάνα, Ἀθαναία, att. Ἀθηναία (vereinzelt bis ins 4. Jhdt.) Ἀθηνάα, daraus contrahiert Ἀθηνᾶ, etwa seit dem peloponnesischen Kriege häufiger. Im Epos häufig Παλλὰς Ἀθήνη oder Παλλὰς Ἀθηναίη, während Παλλάς selbständig erst in der Lyrik vorkommt.

1. Die adjectivische Form des Namens Ἀθηναίη hat von jeher die Auffassung nahe gelegt, dass das berühmte Athen der Herd des gesamten Kultus sei, wozu der Anspruch Athens, Metropole der ionischen Dodekapolis zu sein, gut zu stimmen schien. Seitdem aber die attischen Pelasger, denen man auch diesen Kult zuschrieb, mit Recht allen Credit verloren haben (vgl. E. Meyer Forschungen 1ff.), und man begonnen hat, jene Ansprüche Athens als hinfällig zu erkennen (J. Toepffer Att. Geneal. 225ff.), lässt sich Athen nicht mehr als Ausgangspunkt des Dienstes betrachten, vielmehr hat gerade durch seine Abgeschlossenheit der athenische Kultus manches Altertümliche treu bewahrt. Die Musterung des Materials wird vielmehr lehren, dass A. zum ältesten Gemeingut der griechischen Stämme gehört, weshalb eine genealogische Anordnung der Überlieferung nicht thunlich ist. [1942]

I. Athena im homerischen Epos und in der Heldensage.

2. A. erscheint bereits in den ältesten Partien der Ilias, aller localen Beziehungen fast gänzlich entkleidet, nach Zeus als die am meisten panachaeische Göttin des gesamten Olympos. Die Beziehungen auf Kultorte des Mutterlandes sind geringfügig, doch muss wohl das Beiwort Ἀλαλκομενηίς, Il. IV 8. V 908, trotz abweichender Erklärung Aristarchs bei Steph. Byz. s. Ἀλαλκομένιον, auf das boiotische Alalkomenai bezogen werden, das frühzeitig den Geburtsmythos für sich in Anspruch nahm. Ob dagegen die Form Ἀθηναίη adjectivisch von dem berühmten Athen abgeleitet ist, lässt sich nicht sicher sagen. Es gab nach Steph. Byz. s. v. neun Orte dieses Namens, und auch eine Weiterbildung von Ἀθήνη wie σεληναίη von σελήνη wäre denkbar. Die zwei jungen Stellen, welche sich ausdrücklich auf den athenischen Kult beziehen, sind bei diesem zu besprechen. A. ist bei Homer eine der am vollkommensten ausgebildeten göttlichen Persönlichkeiten, ein fest umrissener Charakter von ewiger Dauer. Sie erscheint unmittelbar nach Zeus und vor Apollon in der Trias der vornehmlichsten Schwurgötter, sie empfängt und erhört viele Gebete. Das Interesse für Göttermythen liegt der Blütezeit des Epos fern, doch ist jedenfalls die gewöhnliche Form des Geburtsmythos (s. u.) auch der Ilias bekannt; dass Zeus A. selbst geboren habe, wird Il. V 875. 880 erwähnt, und die Beinamen ὀβριμοπάτρη und Tritogeneia wurzeln ursprünglich in diesem Mythos (die Ansicht Aristarchs, welche die Scholien zu der Stelle geben, dass v. 880 dem Hesiod die Anregung zur Erdichtung des Mythos gegeben habe [Lehrs Aristarch 178], ist nur für den mythologischen Standpunkt der Alexandriner charakteristisch). Weniger klar ist das Beiwort ἀτρυτώνη, welches stets in Verbindung mit Διὸς τέκος erscheint. Im Grunde ist ja das besonders enge Verhältnis der A. zu ihrem Vater Zeus bereits durch diejenige Naturauffassung gegeben, aus welcher der Mythos von ihrer Geburt hervorgegangen ist, und so leitet in der That auch Ares a. a. O. die ungewöhnliche Nachgiebigkeit des Zeus gegen A. aus seinem mütterlichen Verhältnis zu ihr her, im allgemeinen aber erscheint bei Homer dies Verhältnis als ein persönlich freies, wie auf Wahlverwandtschaft beruhendes. Blos aus diesem engen Verhältnis zu Zeus würde es sich auch hinreichend erklären, wenn sie, die gewöhnlich seinen Willen vollstreckt, seine Attribute, namentlich die furchtbare Aigis, handhabt (Il. II 446f. V 738. XXI 400). Eher als alte Natursymbolik könnte hierbei bereits Einfluss bildlicher Darstellungen der Göttin mit im Spiel sein. Dass bei Homer die Aigis, wie sie auf einigen alten Denkmälern erscheint, als Schild zu verstehen sei, hat Stengel nachgewiesen (Jahrb. f. Philol. 1882, 518ff. 1885, 80 und o. Bd. I S. 970ff.), nicht aber, dass diese Auffassung die ursprüngliche und die später übliche Deutung als Ziegenfell nur aus falscher Etymologie entsprungen ist. Diente das alte Ziegenfell, das bei Zeus und A. allerdings natursymbolische Bedeutung hat (s. u. § 46), in einer rohen Zeit als λαισήιον d. h. zum Schutze vorgestrecktes Fell (vgl. Reichel Homerische Waffen 65ff., wo aber Stengels Arbeiten nicht berücksichtigt sind), so [1943] ist leicht begreiflich, wie sie im ritterlichen Epos zum Schilde werden konnte, während die ältere Auffassung sich daneben hielt und später namentlich durch die Kunst wieder zur Alleinherrschaft gelangte. Wenn es Il. XXI 401 von der Aigis heisst: ἣν οὐδὲ Διὸς δάμνησι κεραυνός, so spricht das der ursprünglichen meteorischen Bedeutung der Aigis geradezu Hohn. Das Gorgoneion befindet sich bereits Il. V 471 umgeben von andern Schreckgestalten auf dem Aigisschilde, welchem sehr ähnlich der Schild des Agamemnon ist, Il. XI 32ff. Sehr zweifelhaft ist es auch, ob in einigen andern Zügen, welche Roscher Nektar und Ambrosia 96 aufzählt, meteorische Reminiscenzen und nicht vielmehr allgemeinere Ausflüsse göttlicher, vom himmlischen Vater entlehnter Macht zu erblicken sind; so lässt A. Il. V 7 dem Diomedes Feuer von Haupt und Schultern ausgehen, XVIII 203 legt sie dem Achill eine flammende Wolke ums Haupt, Il. XI 45 donnert sie zu Agamemnons Ehre, Il. IV 74ff. wird ihr Flug mit dem eines Meteors verglichen, nach Il. V 745 und VIII 389 fährt sie mit Hera auf einem feurigen Wagen. Wenn man bei Homer argwöhnisch nach Rudimenten von Naturmythen sucht, so müsste man auch die Erscheinungen der Göttin in Vogelgestalt hierherziehen, wie es auch A. Kuhn Herabkunft des Feuers² 29 thut, wo die Stellen gesammelt sind. Vielleicht mit mehr Recht könnte man in dem ihrer Würde wenig angemessenen Knappendienst, welchen sie Il. XXII 276 Achill durch Zurückbringen der verschossenen Lanze erweist, einen alten mythischen Zug erblicken. Vielleicht brachte sie ihm einst die wunderbare Lanze des Schlachtengottes, welche verschossen von selbst in die Hand des Schützen (oder des Gottes) zurückkehrt.

3. Bei Homer tritt uns A. vornehmlich als Heldenbeschirmerin entgegen, in der Ilias im Getümmel der Schlacht den Kämpfenden, in der Odyssee mehr wie eine freundliche Fee in allen Lebenslagen ihren Lieblingen zur Seite stehend. Diese Rolle ist ihr nicht erst vom homerischen Epos zuerteilt worden, sondern kommt ihr zu als Tochter des Zeus, welcher selbst Vater der Könige und Lenker der Schlachten ist. So war A. als Helferin in gefahrvollen Abenteuern jedenfalls schon in zahlreichen vorhomerischen Sagen und Liedern gegeben; für Perseus, Bellerophon, Herakles können wir ein solches Schutzverhältnis mit Sicherheit voraussetzen. Auch in der Ilias liegt ein Fall erblicher Clientel noch deutlich vor in dem Verhältnis A.s zu Diomedes, namentlich im fünften Buche, wo v. 116. 125f. dies ausdrücklich erwähnt wird. Wenn A. auf den Wagen des Diomedes steigt, so dass unter der Last des gewaltigen Paares die buchene Achse erkracht, so erscheint der Held ebenbürtig neben ihr, wie ein kämpfender Gott, und auf Götter vornehmlich richtet sie seinen Speer. Es ist wohl nicht Zufall, dass gerade Ares und Aphrodite, die Stadtgötter von Theben, von ihm verwundet werden, sondern bereits die Ilias verwendet hier Motive aus den thebanischen Sagen, die auch sonst Spuren zurückgelassen haben (vgl. Dümmler bei Studniczka Kyrene 194ff. Usener bei Bethe Theb. Heldenlieder 65). Auf alter Überlieferung beruht jedenfalls auch der Zug, welchen die nachhomerischen Dichtungen von Amphiaraos Ausfahrt (= [1944] Pherec. frg. 51) und Thebais (= Apollod. III 6, 8, 4) in der Motivierung von einander abweichend erzählten (vgl. E. Bethe Theb. Heldenlieder 62. 76f.), A. habe dem totwunden Tydeus die Unsterblichkeit bringen wollen, sei aber umgekehrt, als sie ihn in kannibalischer Wut das Hirn seines Gegners Melanippos aussaugen sah. Bereits K. O. Müller hat gesehen, dass das Verhältnis der A. zu den Tydiden in besonderen kultlichen Verhältnissen seinen Grund hat und an die Verbindung des Diomedes mit dem Pallaskult in Argos und dem kyprischen Salamis erinnert (Kl. Schr. II 170). Derselbe erinnert mit Recht daran, dass aus dem argivischen Kulte sich die Rolle erkläre, welche in den kyklischen Epen von Troias Zerstörung Diomedes beim Palladionraub spiele, indem eben bereits im Mutterlande die Diomediden die berechtigten Hüter des Palladions waren (zu rationalistisch beurteilt das Verhältnis F. Chavannes De Palladii raptu, Diss. Berl. 1891, 77ff.). Über ähnliche besondere Verhältnisse, welche vor und ausserhalb der Dichtung liegend den Zorn der A. gegen die Aianten motivieren, s. u.

Weniger persönlich ist wohl das Verhältnis der A. zu Achill, in dem ihre Fürsorge mit der wurzelhafteren der göttlichen Mutter concurriert. Ob in der besonderen Vorliebe der A. für Odysseus alte Kultverhältnisse eine Rolle spielen, steht dahin. Das zweifelhafte Städtchen Alalkomenai, das nach Istros bei Plut. quaest. gr. 43 auf Ithaka, nach Apollodor bei Strab. X 457 auf Asteria bei Ithaka gelegen war, kommt wohl für das Epos nicht in Betracht. Bereits in der Odyssee ist der Charakter der Göttin nach dem veränderten Ideal von Heldentum, dessen Patronin sie ist, modificiert, aus der Schlachtenjungfrau ist die Göttin der Klugheit geworden. Die stoische Auffassung geht von hier aus; indem sie in Odysseus das Ideal des Weisen erblickt, wird A. zur personificierten praktischen Vernunft, φρόνησις oder religiös gewandt πρόνοια. Immerhin verdient bemerkt zu werden, dass der Held Od. V 476f. zwischen den Stämmen einer φυλίη und einer ἐλαίη (eines wilden und zahmen Ölbaums?) ruht, und dass er sein eheliches Lager im Stamm einer alten Olive gezimmert hat, Od. XXIII 190 (vgl. V. Hehn Kulturpfl. u. Haust.⁶ 118).

4. Wenn auch die Beziehungen der A. zum friedlichen bürgerlichen Leben im Heldenepos naturgemäss mehr zurücktreten, so finden sich doch einzelne Spuren, dass auch diese Züge bereits zu homerischer Zeit vollständig ausgebildet waren. Schon bei Homer steht A. aller Kunstfertigkeit vor. Sie hat sich ihren Peplos selbst gewebt, Il. V 734f., sowie Il. XIV 178 den der Here, sie hat die Phaiaken die Werke der Schifffahrt gelehrt und ihre Weiber die Arbeit des Webstuhles, Od. VII 108ff., auch die Töchter des Pandareos hat sie in weiblicher Kunstfertigkeit unterrichtet, Od. XX 72, auch ihre Beteiligung beim Bau des hölzernen Pferdes durch Epeios oder bei der Herstellung der Argo wird echt sagenhaft sein.

Wie bereits die Ilias eine längere Periode städtischen Lebens und ausgebildeten Feldbau voraussetzt, so haben auch die Götter des Olymps alle Züge dieser Kulturstufe in ausgeprägtester Form bis zur Verwischung altertümlicherer Erinnerungen. Es ist kein Zweifel, dass für die Mehrzahl der [1945] Stämme durch deren Zusammenwirken das homerische Epos entstand, A. auch schon vorzugsweise Schätzerin der städtischen Kultur, Polias war. Sie kann als solche nur in der einzigen Stadt, die eine Rolle spielt, dem feindlichen Ilion, erscheinen, woraus sich dann der merkwürdige Widerspruch ergiebt, dass sie ihre treuesten Verehrer gewissermassen an die Feinde verrät. Als Polias erscheint sie denn auch in der troischen Sage und in der Ilias, und zwar ist diese Rolle so alt und wesentlich, dass sie verschiedene sich gegenseitig ausschliessende Sagenbildungen hervorgerufen hat. Den Alten galt natürlich für die älteste und massgebende Nachricht über den troischen A.-Kult die Schilderung des Bittgangs der troischen Frauen zu dem Sitzbild der Göttin und der Niederlegung des Peplos auf ihrem Schoss, welche zugleich als älteste Erwähnung eines Götterbildes galt, Il. VI 287ff. (vgl. Strab. XIII 601). Die verzweifelten Interpretationskünste, welche im Interesse von Neu-Ilion unternommen wurden, dieses Götterbild zu einem stehenden zu machen, können wir auf sich beruhen lassen, ohne deshalb uns mit Strabon auf die Seite der Alexandriner zu stellen und zu constatieren, dass das älteste Palladion ein sitzendes gewesen sei, dass Homer das stehende Palladion und die auf dieses bezüglichen Sagen noch nicht kenne. Allerdings berichtet die Odyssee IV 499ff. über den Tod des lokrischen Aias nur, dass er schliesslich durch den über Aias Prahlerei erbitterten Poseidon herbeigeführt wurde, doch fehlt jeder Grund anzunehmen, dass der Dichter die Sage vom Zorn der A. und dem Frevel des Aias, der ihn hervorrief, nicht in der Form gekannt habe, wie die kyklischen Epen sie erzählten, welcher Euripides Troad. 69–85. 618 und Vergil. Aen. II 403ff. folgen (vgl. F. Noack Iliupersis, Giessen 1890, 17ff.). Die Πέρσεις, die auf Arktinos und Lesches Namen gingen, hatten sich bereits mit verschiedenen Sagen vom troischen Palladion abzufinden, welche einander eigentlich ausschlossen. Sowohl diejenige Sage, welche das hölzerne Pferd der A. darbringen lässt, als jene von dem Frevel des Aias an Kassandra (man nimmt gewöhnlich an, dass es sich nur um einen Versuch des Verbrechens gehandelt habe, dagegen die eigentliche Schändung, die zuerst Kallimachos bezeuge, spätere Ausdichtung sei; doch setzt der Reinigungseid des Aias bei Polygnot für Lesches mindestens die Anklage auf dieses Verbrechen voraus, denn an dem Umreissen des Götterbildes war ja kein Zweifel, und dann war es doch vermutlich ein Meineid), bei welchem das Palladion umgerissen wird, setzen die Anwesenheit des Palladions bis zur Zerstörung Troias voraus, aber beide Gedichte haben ausser diesen Sagen noch die vom Palladionraub des Diomedes aufgenommen und sich in verschiedener Weise beholfen, indem Arktinos den Diomedes das richtige Palladion verfehlen, Lesches die Kassandra zu einem andern, gewöhnlichen Pallasbilde flüchten liess (Chavannes a. a. O. 82). Beide Dichter standen also bereits ausgebildeten volkstümlichen Traditionen gegenüber. Auf diesen Traditionen fussen auch die zahlreichen localen Sagen griechischer Städte, welche das troische Palladion zu besitzen behaupteten, indem sie meist, aber nicht durchgängig an den Palladionraub durch Diomedes anknüpfen [1946] (die Zeugnisse bei Chavannes). Wie fest auch der Frevel des lokrischen Aias geglaubt wurde und in den troischen Sagenkreis verflochten war, lehrt am besten der merkwürdige Jungfrauentribut, welchen die Lokrer bis 345 angeblich tausend Jahre lang nach Ilion liefern (die Zeugnisse unter Aias Bd. I S. 938). Dass die Anfänge dieses Tributs nicht bis dicht an den troischen Krieg heranreichen, kann man Strabon a. a. O. gern glauben, woher er aber wissen will, die erste Sendung habe erst unter der Perserherrschaft begonnen, ist uns nicht ersichtlich (Timaios frg. 66 giebt die lokrische Tradition wieder: danach hiess eine der ersten Jungfrauen, welche getötet wurden, Periboia, wie die Mutter des Telamoniers, war also wohl ex Aiacis tribu; in der Abstellung des Opfers richteten sich die Lokrer nach der troischen Aera des Eudoxos, welche für sie am günstigsten war; gegen das Zeugnis des Timaios kann man nicht mit Fleischer in Roschers Myth. Lex. I 138 und Toepffer oben Bd. I S. 938 Plut. de ser. num. vind. 12 ins Feld führen, der aus einer Quelle des 4. Jhdts. gedankenlos abschreibt). Sowohl dieser blutige, über das Meer gesandte Tribut, wie die troische Herleitung der Palladien der angesehensten Städte erklären sich nur aus der Volkstümlichkeit des troischen Sagenkreises, in welchem das Palladion eine centrale Stellung einnahm, nicht aus dem Einfluss später und mittelmässiger Dichtungen, wie die des Lesches und Arktinos. Nun galt im ganzen Altertum das Palladion, welches Diomedes geraubt und Kassandra umgerissen hatte, als ein stehendes Bild der A. mit dem Schild am Arm und geschwungener Lanze, und die gleiche Form hatten die troischen Palladia der einzelnen Städte. Wenn sich daher jüngere epische Dichter in Übereinstimmung mit dem Volksglauben um die Episode im siebenten Buche der Ilias nicht gekümmert hätten, so hätten sie recht gehabt. Wahrscheinlich konnten sie sich aber gar nicht um diese Episode kümmern, weil sie noch gar nicht existierte. Den formal jungen Charakter gerade dieser Partie hat Usener dargethan, das älteste Versmass der Griechen 12. Sitzende Statuen der A. sind vor dem 6. Jhdt. nicht nachzuweisen, da aber litterarisch für Erythrai (von Endoios) und auch monumental für die athenische Akropolis bezeugt (s. § 60). So ist es mir denn wahrscheinlich, dass auch die Weihung des Peplos in der Iliasepisode kein Vorbild der Panathenaeenprocession ist, sondern viel eher ein Abglanz dieses attischen oder allenfalls eines verwandten, aber auch nicht älteren ionischen Festes. Vielleicht diente sie zur Verherrlichung des attischen Brauches und eventuell auch eines neuen von Peisistratos gestifteten Tempelbildes und steht auf einer Stufe mit den andern attischen zur Vulgata gewordenen Umdichtungen und Zuthaten (die Priesterin Theano, Gattin des Antenor, VII 299 stammt gewiss aus dem Kyklos, wo die Antenoriden Verräter wurden).

Nur an dieser späten Stelle VII 305 kommt für A. der Name ἐρυσίπτολις vor, der sie recht eigentlich als Poliuchos bezeichnet. Der Sache nach war aber das alte echte Palladion in weit intensiverem Sinne eine Polias, ein Heiligtum, an dessen Besitz Rettung und Untergang der Stadt [1947] hing, und wenn diese superstitiöse Verehrung eher in der römischen Religion als in den späteren griechischen Kulten Parallelen zu finden scheint, so spricht das gerade für ihr Alter und ihre Ursprünglichkeit. Übrigens bietet auch der locale Pallaskult mehrfach übereinstimmende Züge.

Wir werden also folgern dürfen, dass die Stämme, denen die epische Kultur verdankt wird, aiolische sowohl wie ionische, A. bereits als Polias verehrten und vielleicht zuerst von allen Gottheiten bildlich darstellten. An den Sagen, welche an den alten Palladien hafteten, haben sich noch Reste einer sonst dem Epos fremden Superstition erhalten, welche vielfach in der Folgezeit mit dem kräftigeren Emporkommen des ikonischen Dienstes überhaupt eine grössere Verbreitung gewinnen. Des ungeachtet hat bereits der epische Gesang der schrecklichen Göttin jene klare feste Gestalt gegeben, welche für alle Folgezeit massgebend blieb. Kriegerischer Mut, Besonnenheit, Kunstfertigkeit und eine unermüdliche Hülfsbereitschaft machen sie zu derjenigen Göttin, an welche sich zu allererst die Gebete einer reisigen Heldenzeit wenden. Sie erscheint im Epos als die Hauptvermittlerin zwischen Vater Zeus und seinen sterblichen Kindern.

II. Örtliche Verbreitung des Kultus und locale Sagen.

5. Thessalien. Als Polias auf der Akropolis finden wir A. in Larisa in der grossen Inschrift Cauer Del.² 409 = Collitz Dial. Inschr. I 345 Z. 45. Von Thessalien aus hat sich der Kult der A. Ἰτωνία oder Ἰτωνίς verbreitet. Die einwandernden Thessaler fanden ihn wahrscheinlich schon bei den Aiolern in Thessaliotis und Phthiotis vor und eigneten ihn sich an. Das Heiligtum in Thessaliotis war benachbart dem des Poseidon Κουέριος am Flüsschen Κουάριος und vielleicht kultlich mit ihm verbunden (Strab. IX 435), das phthiotische Itonos lag am Flusse Kuralios, in der Nähe des Ortes Koroneia. Fluss und Ort verdanken ihren Namen dem Kult der Κόρη, wie bereits Rückert Dienst der A. 72 richtig erklärt. Der Name Ἰτωνία hat mit σῖτος nichts zu thun (Steph. Byz. s. Ἰτών), sondern hängt mit den Weidengebüschen (ἰτεῶνες) am Flussufer zusammen. Der Beiname βούδεια, den Eustath. zu Il. XVI 571 p. 1076 R. und Steph. Byz. s. v. (vgl. Lykophr. Alex. 359 u. Schol.) für die thessalische A. bezeugt, bringt die Göttin mit dem ersten Ackerbau in Verbindung. A. Itonia ist das Feldgeschrei der Thessaler gegen die Phoker, Paus. X 1, 10.

6. Boiotien. Den Kult der A. Itonia verpflanzten von den Thessalern vertriebene Aioler dann nach dem boiotischen Koroneia, wo sich auch der Name des Flusses Koralios wiederholt (Kallim. hymn. V 64). Auf diese A. bezog sich ein Hymnos des Alkaios frg. 9 Bgk. Ihr Heiligtum ist Sitz des Bundesfestes Παμβοιώτια, Strab. IX 417, nach demselben IX 411 ist die Göttin hier aus einem mystischen Grunde mit Hades verbunden, wofür Paus. IX 34, 1 den Zeus nennt, der von Agorakritos Hand mit A. zusammen dargestellt war. Noch eine Heroine Iodama empfing in diesem Heiligtum Kultus. Nach Paus. IX 34, 2 war sie eine Priesterin der A. gewesen und von dieser unabsichtlich durch den Anblick des Gorgoneions [1948] versteinert worden. Die Priesterin entzünde nun täglich auf ihrem Altar Feuer mit den dreimal wiederholten Worten, Iodama lebe und verlange Feuer. Nach dem Etym. M. s. Ἰτωνίς waren A. und Iodama Töchter des Itonos und tötete A. die Schwester im Waffenspiel. Parallelen zu der Sühnecaerimonie bei K. O. Müller Kl. Schrift II 192, verfehlt die Deutung Rückerts Dienst der Athena 74.

7. Diejenigen, welche den Kult der A. Itonia nach Boiotien verpflanzten, fanden an den Ufern des Kopaissees schon uralten A. Kult vor. Die Fabel zwar, dass ein Athen und ein Eleusis vom See verschlungen worden sei (Strab. IX 407. Steph. Byz. s. Ἀθῆναι), und das Bild des Kekrops, Pandions Sohn, des angeblichen Gründers beider Städte in Haliartos (Paus. IX 33, 1), sollte wohl nur dazu dienen, den boiotischen Dienst als Ableger des attischen erscheinen zu lassen, doch ist der Kult von Alalkomenai jedenfalls von alter Berühmtheit (vgl. § 2). Der Ort heisst nach einer Eigenschaft der Göttin. Sie mochte ursprünglich Alalkomene, die Schützende, Abwehrende, heissen (von ἀλαλκεῖν, vgl. A. Alkis in Pella und die gleichfalls in Alalkomenai verehrte Alkmene) und wurde dann ganz wie Athenaia wiederum nach ihrem Kultort Alalkomeneis genannt. Der Tempel lag unterhalb der Stadt am Tritonbache und wurde von Sulla verwüstet. Er enthielt ein altertümliches Elfenbeinbild der Göttin, das nach Aristeides panath. p. 320 Dind. für ein vom Himmel gefallenes gegolten zu haben scheint (nach K. O. Müllers Emendation Eumen. S. 106 Anm.). Die Alalkomenier machten Anspruch darauf, dass die Göttin bei ihnen geboren und von ihrem autochthonen Heros Alalkomeneus erzogen worden sei (Strab. IX 413. Paus. IX 33, 5. Schol. Il. IV 8 u. a.). In der Nähe des Tritonbaches wuchs der grosse Eichwald, aus dessen Bäumen die Xoana der Daidale, der hölzernen Braut des Zeus, geschnitzt wurden, dem Xoanon bereiteten die tritonischen Nymphen aus dem Bache das Brautbad (Plut. de daed. frg. 4). Mit Recht vermutet Rückert a. a. O. 64, dass die Sage, welche Kallimachos hymn. V erzählt, Teiresias sei erblindet, weil er A. badend erblickt habe, Niederschlag eines Kultgebrauchs, eines Badefestes der A. sei. In der Nähe am Berg Tilphosion lag Teiresias begraben. Am Tilphosion bei Haliartos befand sich auch der heilige Bezirk der Praxidikai, bei welchen besonders heilige Eide abgelegt wurden, Paus. IX 33, 3. Nach Suidas s. Πραξιδίκη hiessen die Göttinnen Alalkomeneia, Thelxinoia und Aulis und waren Töchter des Ogyges. Nach Hesych. s. Πραξιδίκη] scheinen die Statuen aus Hermen, an denen nur der Kopf ausgearbeitet war, bestanden zu haben, auch als Opfer (vor dem Eide?) hätten Köpfe gedient (gleichnamige Göttinnen in Lakonien mit Aphrodite und Themis verbunden, Paus. III 22, 1, s. Wide Lakon. Kulte 239). Die Verbindung, welche O. Müller Kl. Schrift II 186 zwischen den Praxidiken und der ogygischen Flut als einem göttlichen Strafgericht annimmt, ist wohl nicht ursprünglich oder wesentlich, vielmehr das praktische Bedürfnis eines sacralen Gerichts massgebend. Den Geburtsmythos verpflanzen dann von Alalkomenai die Minyer, welche Kyrene gründen, mit den geheiligten Namen des Mutterlandes [1949] in das neue Local mit so viel Erfolg, dass die africanische Geburtssage früh zur Vulgata wird. Jedenfalls ist der Geburtsmythos ursprünglich an sehr vielen Orten localisiert worden, wo man himmlische Palladien zu besitzen glaubte, wo sich dann auch bestimmte mythische Vorstellungen und heilige Namen zu wiederholen pflegten. Über den Geburtsmythos selbst s. unter § 43, über die verschiedenen noch später aufrecht erhaltenen Idealisierungen Rückert a. a. O. 62. Bergk Kl. philol. Schr. II 662.

8. Auch in Theben geht der Dienst der A. in graue Vorzeit zurück. Nach Pausanias IX 2, 3 wäre Altar und Bild der A. Onka (oder Onga) von Kadmos gegründet, an der Stelle, wo die Kuh, die ihn führte, sich niederlegte. Aischylos Sept. 483 nennt die Onka nahe der Stadt, dem Thore benachbart. Der heilige Bezirk lag vor dem südlichen Thore der Stadt, dem ogygischen, welches auch das onkaeische hiess, als ogygische wurde A. auch in dem vor dem Thore gelegenen Flecken Onkai verehrt (Schol. Pind. Ol. II 39. Tzetz. zu Lykophr. 1225). Die bereits antiken Versuche, den Namen Onka oder Onga aus dem Phoinikischen herzuleiten (Steph. Byz. s. Ὀγκαῖαι), werden wenig Verteidiger mehr finden (zuletzt H. Lewy Die semit. Lehnw. im Griech. 251); sie stehen und fallen mit der phoinikischen Abkunft des Kadmos. Mit mehr Wahrscheinlichkeit leiten Rückert Dienst der A. 76 und O. Müller Kl. Schrift. II 194 den Namen von ὄγκρος, ὄχθος, die Anhöhe, ab. Letzterer stellt das arkadische Onkeion dazu und bemerkt, dass auch hier, wie im Namen A. selbst, Göttin und Ort gleichnamig sein würden. Roscher Nektar u. Ambrosia 97 denkt minder wahrscheinlich an ὀγκᾶσθαι, brüllen. Das boiotische Onchestos vergleicht v. Wilamowitz Herm. XXVI 238 und meint wegen der Lage des Heiligtums den Kult den zugewanderten Boiotern zuweisen zu können, was nicht zwingend ist. Ebenso wenig ist es Tümpels Versuch (Jahrb. f. Philol. Suppl. XI 690ff.), gerade diese Göttin dem fragwürdigen Volksstamme der Ektenen zu vindicieren.

Zwei Tempel der Pallas am Markte von Theben erwähnt Sophokles Oed. Tyr. 20, zwei Steinbilder der A. ζωστηρία in Theben ohne Tempel Pausanias IX 17, 3. Unbekannt ist der Kultort der A. βοαρμία welche Tzetzes zu Lykophr. 520 als boiotisch erwähnt.

Das Heiligtum der A. ἀρεία zu Plataiai ist erst nach der Perserschlacht errichtet. Im alten boiotischen Kult ist jedenfalls das besonders innige Verhältnis begründet, welches A. mit Herakles verbindet. Auch als Helferin des Kadmos scheint A. alt zu sein. Ihr will er die Kuh, die ihn geführt hat, opfern, auf ihren Rat bezwingt er dann den Drachen und die Sparten nach Euripides Phoen. 661 und Hellanikos in den Schol. Il. 494 (frg. 8; nach der Thebais? vgl. Bethe Theb. Heldenlieder 161, 36). Auf einer attischen Schale aus der Mitte des 5. Jhdts. händigt A. dem zur Quelle eilenden Kadmos den Stein, mit dem er den Drachen töten soll, ein, Ber. sächs. Ges. d. Wiss. 1875 Taf. III, dazu über Darstellungen des Drachenkampfes selbst H. Heydemann Arch. Ztg. 1871, 36. Reisch Röm. Mitt. V 343f. (der Schwertkampf ist zuerst bei Pherekydes bezeugt, Schol. Eurip. Phoen. 662). [1950]

9. Attika.

A. Älteste Kultstätten und Baugeschichte der Burg. Wie in Boiotien scheint auch in Attika der Kult der A. von Anfang an über die ganze Landschaft verbreitet gewesen zu sein. Auf dem Gipfel des Pentelikon erwähnt Pausanias I 32, 2 ein Bild der A., während die andern Höhen der Landschaft meist Altäre oder Standbilder des Zeus trugen. Auch der Kult von Pallene zwischen Marathon und Athen muss alt und selbständig gewesen sein (Herodot. I 62. Eurip. Heraklid. 849. 1031). Die attische Sage setzte die Söhne des Pallas in ein feindliches Verhältnis zu Theseus, dem Gründer der Demokratie, und diese politische Wendung der Sage wird alte Gigantomachiesagen, wie sie sich für Pallene auf der Chalkidike erhalten haben, verdrängt haben, vielleicht erst verhältnismässig spät. Vielleicht wurzelt auch die Geschichte, welche Antigonos Caryst. mir. 12 nach der Atthis des Amelesagoras vom Lykabettos erzählt, in ähnlichen Vorstellungen, wie die Gigantomachiesagen. Nach ihm hatte A. den Berg aus der Gegend von Pallene losgerissen, um mit ihm die Akropolis zu befestigen. Sie liess ihn fallen, als die Krähe ihr die Nachricht vom Vorwitz der Kekropstöchter brachte (unsicher sind Bergks Conjecturen Kl. philol. Schr. II 198ff., welche dieselbe Sage auf die chalkidische Pallene bezüglich in Kallimachos Aitia frg. 19 hineinbringen möchten). Eine Priesterin unterstützt von drei Parasiten versah den Kult des reichen Heiligtums (Athen. VI 234 f. 235 a nach Themisons Pallenis). Nach A. Brückner Das Reich des Pallas, Athen. Mitt. XVI 200–234, war es die pallenische A., welche Peisistratos zurückführte. Die von Brückner versuchte Verlegung des Heiligtums und des Demos an den Ostabhang des Hymettos ist nicht haltbar; vgl. Milchhoefer Berl. philol. Wochenschr. 1892, 2ff. 33ff. Loeper Athen. Mitt. XVII 422ff. Über die attische Gorgosage, welche mit der Gigantomachie in Verbindung gebracht wird, vgl. § 50.

Dass der Kult von Pallene erst auf die Akropolis übertragen worden sei, welche Möglichkeit v. Wilamowitz Aristot. u. Athen I 37, 5 andeutet, ist unerweislich und unwahrscheinlich. Der Kult der Burg ist jedenfalls kein später aufgedrungener, und seine Einführung kann nicht von der Pflege des Ölbaus abhängig gemacht werden. Sowohl von den Kulten der Burg wie der Landschaft sind uns nur Trümmer aus verhältnismässig später Zeit bekannt in der Gestalt, welche sie nicht ohne menschliche Ausgleichungsbestrebungen seit dem 6. Jhdt. angenommen haben, so dass Chronologie und Abhängigkeitsverhältnisse der einzelnen Kulte und Begehungen für uns meist nicht mehr verfolgbar sind. Vielleicht ist z. B. der Kult von Phlya nicht von dem städtischen abhängig, aber andererseits beweist es wieder nichts gegen Entlehnung, wenn locale Begehungen wie die am Skiron altertümliche Züge aufweisen, die sich im städtischen Kultus nicht finden. Seit dem 6. Jhdt. sind die attischen Kulte unter dem Primat der Hauptstadt organisiert und nach Möglichkeit ausgeglichen. Wir betrachten daher zuerst die Kulte der Burg.

10. Die älteste Kultstätte, welche noch die lebendige Erinnerung an die Wundergaben der landbeschützenden Götter bewahrte, befand sich [1951] nahe dem Nordrande des Burgfelsens, ursprünglich jedenfalls in den alten Königspalast einbegriffen, welcher allein Od. VII 81 mit Ἐρεχθῆος πυκινὸς δόμος bezeichnet werden kann. Die Stelle der Odyssee gehört dem ursprünglichen Zusammenhang der jungen Partie an, ist aber keinesfalls jünger als das 7.–6. Jhdt. An dieser Stelle des Burgfelsens war A. Polias kultlich eng verbunden mit Poseidon-Erechtheus. Bleibende Erinnerungen an den Streit um das Land, welcher schliesslich zur Bevorzugung der A. und zur Vereinigung beider im Kult führten, wurden hier gezeigt: der Salzquell (θάλασσα Ἐρεχθῄς), den der Dreizack Poseidons aus dem Fels gelockt hatte, und die ἀστὴ ἐλαία (Hesych. s. v.), der erste Ölbaum, den A. hatte spriessen lassen. Über die verschiedenen Versionen dieses Streites und die verschiedene Bedeutung der heiligen Wahrzeichen als Symbole der Besitzergreifung oder Concurrenzleistungen des Wettbewerbs vor dem Gericht der 12 Götter oder der ältesten Athener unter Kekrops vgl. die Controverse zwischen E. Petersen Kunst des Pheidias 158; Herm. XVII 124; Wiener Studien V 42 und C. Robert Herm. XVI 60; Athen. Mitt. VII 48; Preller-Robert Griech. Myth. 203, 1. Erst späte Quellen, Serv. Georg. I 12. Prob. Georg. I 18. Myth. Vat. I 2. II 119. III 5, 4 ersetzen das Hervorrufen des Salzquells durch Schöpfung des Rosses, welche nach älterer Sage allerdings dem Poseidon zukommt, aber in Thessalien spielt (Schol. Pind. Pyth. IV 246) und eine bedenkliche Ähnlichkeit hat mit der Sage von Hephaistos als Vater des Erichthonios. Über diesen Wundermalen hatte sich vor dem Perserkriege ein Gebäude erhoben, welches Herodot VIII 55 als Ἐρεχθέος νηός bezeichnet. Das Feuer der Perser hatte zugleich mit dem Tempel den heiligen Ölbaum ergriffen, doch fanden schon den nächsten Tag diejenigen, welchen Xerxes zu opfern aufgetragen hatte, am verbrannten Stamme ein frisches Reis. Auch der Tempel kann nicht vollständig verbrannt oder muss wenigstens bald wieder provisorisch hergestellt worden sein, denn Herodot spricht von seiner Existenz im Praesens. Dieses vorpersische Erechtheion ist der älteste der Tempel auf der Burg. Erhalten ist von ihm nichts, da an seiner Stelle sich später der jetzt noch grossenteils erhaltene ionische Doppeltempel erhob, dessen Bau, wie inschriftlich feststeht, erst während des peloponnesischen Krieges begann und 409/8 noch nicht vollendet war.

11. Zwischen dem Erechtheion und dem perikleischen Parthenon haben nun die neuesten Ausgrabungen die Fundamente eines grossen, alten Tempels mit dorischer Säulenhalle ergeben, auf welche die Korenhalle des Erechtheions teilweise übergreift. Er ist publiciert und besprochen von dem Entdecker Dörpfeld Antike Denkm. d. Inst. I 1. 2; Athen. Mitt. XI 337ff. XII 25. 190 (mit Berücksichtigung der Einwände Petersens ebd. 62). 276. XV 420ff. In letzterem Artikel ist bereits die wichtige Inschrift berücksichtigt, welche Lolling entdeckt und publiciert hatte, Ἀθηνᾶ 1890, 627; Δελτίον ἀρχ. 1890, 92, und die Folgerungen, welche er aus dieser Inschrift für die Baugeschichte der Burg gezogen hatte. Die Inschrift, in welcher der alte Tempel das Hekatompedon genannt ist, und welche wahrscheinlich aus [1952] dem J. 485/4 stammt, ist auch erörtert von Kirchhoff CIA IV p. 139 und Dittenberger Herm. XXVI 427. Zuletzt hat Furtwängler zusammenfassend über die A.-Tempel der Akropolis gehandelt, Meisterwerke der griech. Plastik 155–223. Die bereits umfangreiche Litteratur, welche sich auf die noch im Fluss befindlichen Controversen bezieht, kann hier nicht vollständig angeführt werden; die antiken Schriftquellen und die bis dahin bekannten Urkunden findet man vollständig in Pausaniae descriptio arcis Athenarum, ed. O. Jahn ed. II rec. ab A. Michaelis Bonn 1880. Im folgenden darf ich dank Dörpfelds Freundlichkeit seine brieflichen Mitteilungen benützen, welche, wenn nötig, durch [Doe.] gekennzeichnet sind. Der grosse alte Tempel zeigt eine grosse Cella nach Osten und drei Gemächer mit besonderen Zugängen im Westen. Der Bau ist vor Peisistratos begonnen, doch sind Säulenumgang und plastischer Schmuck später hinzugefügt, vielleicht erst nach Vertreibung der Tyrannen vollendet (Furtw.). ,Schon in noch älterer Zeit lag hier entweder ein uralter Tempel oder das Megaron der alten Königswohnung. Die zwei Säulenbasen der Vorhalle, denen von Tiryns gleichend, sind noch an ihrer alten Stelle. Ich bin geneigt, in ihnen die Vorhalle des Megaron der Königsburg zu sehen.‘ [Doe.] Der neue Fund stellt nun hauptsächlich zwei Probleme: 1. wie verhält sich der alte Tempel zum Kult der Polias und des Erechtheus an den heiligen Malen ihres Streites? 2. wie zum perikleischen Parthenon und der Schatzverwaltung des Bundes? Für beide Fragen ist wichtig, wie lange der alte Tempel stand und benutzbar war. Wir müssen uns hier auf die den eigentlichen Kult betreffenden Fragen beschränken. In Betreff des ersten Punktes äussert jetzt Furtwängler die Ansicht, dass der alte Tempel identisch sei mit dem Haus und Tempel des Erechtheus bei Homer und bei Herodot, dass bei Herodot auch zwischen Tempel des Erechtheus und der A. (V 72 ἄδυτον τῆς θεοῦ) nicht unterschieden werden dürfe, dass es über den heiligen Malen an Stelle des Erechtheions ein Gebäude überhaupt nicht gegeben habe. Die Ostcella des alten Tempels habe das alte, angeblich vom Himmel gefallene Bild der Polias beherbergt, die westlichen Räume seien keine Vorrats- oder Schatzkammern gewesen, sondern hätten dem Kult des Erechtheus gedient.

Zunächst ist gegen die Annahme Einspruch zu erheben, dass die beiden Stellen, an welchen Homer vom athenischen Kult spricht, dieselben baulichen Verhältnisse voraussetzen. Die bereits erwähnte Stelle der Odyssee ist älter und setzt den alten Königspalast voraus. Die andere Stelle findet sich im Schiffskatalog Il. II 546–551. Hier ist die Rede vom ,Gau des hochherzigen Erechtheus, den einst erzog A., die Tochter des Zeus – geboren hatte ihn die nahrungspendende Erde – und sie (A.) setzte ihn nieder in Athen in ihrem fetten Tempel, dort besänftigen ihn mit Stieren und Widdern die Söhne der Athener alle Jahre‘. Dass diese Stelle späte attische Zudichtung sei und die Panathenaeenfeier voraussetze, wie sie unter Peisistratos stattfand, ist allgemein zugestanden (vgl. v. Wilamowitz Hom. Unters. 247ff.). Es ist klar, dass Erechtheus hier im [1953] reichen Tempel der A. heroische Opfer empfängt, und dieser Tempel kann nur der alte Poliastempel sein. Es folgt aber nicht, dass dieser ein Doppeltempel war. Der Erechtheus, der hier herabgedrückt erscheint zum Zögling der A. nach Analogie etwa des Verhältnisses des Adonis oder Kinyras zu Aphrodite, ist nicht derselbe, der im Streit mit der Göttin den Salzquell aus dem Felsen gelockt hatte, und konnte diesen jedenfalls nicht verdrängen, auch wenn möglicherweise die Tyrannis bereits centralistische Tendenzen hatte. So wenig nun bei Homer das feste Haus des Erechtheus und der fette Tempel der A. identisch sind, folgt diese Identität aus Herodot. Wenn er VIII 53 erzählt, die Besatzung der Burg sei ἐς τὸ μέγαρον geflohen, so meint er natürlich die Hauptcella des alten Poliastempels, und wenn er dann 55 fortfährt ἔστι ἐν τῇ ἀκροπόλει ταύτῃ Ἐρεχθέος … νηός, ἐν τῷ ἐλαίη τε καὶ θάλασσα ἔνι κτλ., so kann er damit nicht denselben Tempel meinen. Zudem, wenn es nur einen gemeinsamen Tempel der Polias und des Erechtheus gegeben hätte, hätte er diesen gewiss nicht Erechtheustempel genannt, wo er gerade von dem Wunder, das am heiligen Wahrzeichen der Polias vorgeht, berichtet. Versuche, den νηός bei Herodot zu einem heiligen Bezirke zu verflüchtigen, richten sich selbst. Es bestanden also vor den Perserkriegen, wahrscheinlich in unmittelbarer Anknüpfung an die Kulte des Königspalastes, zwei Tempel, einer des Erechtheus, über dem Salzbrunnen, und einer der Polias an der Stelle des alten Megarons. Der heilige Ölbaum stand – westlich vom Erechtheus – nördlich vom Poliastempel. Letzterer wurde wahrscheinlich von Peisistratos mit der Ringhalle und mit Sculpturen versehen, von Anfang an beherbergte er das alte Xoanon der Polias, welcher der Hauptkult galt, auch wenn ihm, wie wahrscheinlich, schon im 6. Jhdt. eine glänzendere Statue zur Seite gesetzt wurde. Beide Gebäude wurden von den Persern durch Feuer beschädigt, waren aber um die Mitte des 5. Jhdts., als Herodot in Athen war, wieder in Gebrauch.

12. Bei der Restauration des Poliastempels unmittelbar nach den Perserkriegen verzichtete man auf die Herstellung der Ringhalle, deren Baustücke sich in die nördliche kimonische Burgmauer verbaut gefunden haben. Man konnte das um so eher, als man schon damals auf der Südterrasse der Burg den Bau eines grossen neuen Tempels plante, dessen Grundriss noch kenntlich ist (vgl. Dörpfeld Athen. Mitt. XVII 158ff.). Der Bau sollte länger und schmaler werden als der perikleische Tempel, er wurde ziemlich früh abgebrochen, uncannelierte Säulentrommeln, die für ihn bestimmt waren, sind zum Teil zur Füllung der nördlichen Burgmauer verwendet. Der Beginn des Baues fällt jedenfalls nach 480. Man pflegt ihn mit dem Namen des Kimon in Verbindung zu bringen, hauptsächlich, weil man die kimonische Südmauer zu seiner Unterstützung errichtet glaubte. F. Köpp Arch. Jahrb. V 270 ging im Ansatz für die Erbauung bis zur Rückkehr Kimons aus der Verbannung 454 zurück, und in der That bietet die vorhergehende Thätigkeit des Staatsmannes kaum Raum für ein so grosses Unternehmen. Bei diesem Ansatz aber wird der [1954] Bau zu dicht an den perikleischen Parthenon herangerückt und die Vermutung Furtwänglers (a. a. O. 162ff.) hat viel für sich, der Bau sei unter Leitung des Themistokles bald nach 479 begonnen worden und durch dessen Sturz ins Stocken geraten. Die kimonische Südmauer hat nämlich mit der Fundamentierung des Baues nichts zu thun.

Über dem unvollendeten Bau wurde 447 unter Iktinos Leitung der Parthenon begonnen; das Tempelbild der Göttin von Pheidias ward 437 dem Kultus übergeben, der Bau einige Jahre darauf vollendet. 434 beginnen die Urkunden der Schatzmeister der Göttin. Der Name παρθενών bezeichnet ursprünglich die kleinere Westzelle, die östliche Hauptcella heisst νεὼς ὁ ἑκατόμπεδος. Auf den ganzen Bau wird der Name Parthenon zuerst bei Demosthenes XXII 13 übertragen. Die Ansicht Furtwänglers a. a. O. 174, der Name Parthenon beziehe sich ursprünglich auf die Töchter des Kekrops und Erechtheus, welche dort Kult genossen hätten, ist nicht wahrscheinlich. Die Westcella ist kein Kultraum, sondern ein Magazin. Dörpfeld ist jetzt geneigt, den Namen von den an den Panathenaeen thätigen παρθένοι herzuleiten, deren Kultgeräte dort aufbewahrt wurden, ,vielleicht webten die Ergastinen auch hier den Peplos.‘ Von dem Gebäude erhielt dann die Göttin den Namen Parthenos, der nie Kultname war. Das Bild des Pheidias stellt A. natürlich als Polias dar. Die schwierige Frage, ob in den Urkunden, die sich auf die Schatzverwaltung beziehen, der Name Opisthodom auf die Westcella des Parthenons oder auf den alten Tempel zu beziehen sei, kann hier nur, so weit sie die Kultlocale angeht, berührt werden. Wenn Dörpfeld die Bezeichnung Opisthodom mit Recht für die Westräume des alten Tempels in Anspruch nimmt, so folgt daraus, dass der alte Tempel auch den von Xenophon hell. I 6, 1 erwähnten Brand im J. 406 überstand und noch im 4. Jhdt. und länger bis in die Kaiserzeit das Hauptkultlocal blieb. Bis jetzt ist es Dörpfelds Gegnern nicht gelungen, wahrscheinlich zu machen, dass in Urkunden desselben Jahres die Rubriken ἐκ τοῦ Παρθενῶνος und ἐκ τοῦ ὀπισθοδόμου dasselbe Local bedeuten können (vgl. Dörpfeld Athen. Mitt. XII 204. 276; S.-Ber. Akad. Berl. 1887, 1201, 45. Furtwängler a. a. O. 174. Frazer Journ. hell. stud. XIII 153ff.). Der verzweifelte Versuch Milchhöfers Philol. N. F. VII 382ff., den Opisthodom wieder zu einem besonderen Gebäude zu machen, ist ein Eingeständnis dieser Thatsache. Dass der Parthenon ursprünglich bestimmt gewesen sei, neben der Statue des Pheidias das alte Bild der Polias aufzunehmen, und dass dieser Plan nur von der conservativen Gegenpartei des Perikles verhindert worden sei, sucht Furtwängler 183 namentlich aus der im Mittelpunkte des Frieses dargestellten Überreichung des panathenaeischen Peplos zu folgern, auch dann schwerlich mit Recht, wenn die Deutung jener Mittelgruppe über allen Zweifel erhaben wäre.

13. Nach dem Frieden des Nikias wurde über den heiligen Malen ein neuer ionischer Tempel, das Erechtheion, errichtet (über die Bauzeit vgl. Michaelis Athen. Mitt. XIV 363ff.). Nach Furtwänglers Ansicht wäre er an Stelle des alten [1955] Poliastempels getreten, dessen Cella damals abgebrochen worden wäre. Die Periegese des Pausanias I 26 ist leider nicht eingehend genug, die erhaltenen Reste und Spuren mit voller Sicherheit zu bestimmen. Das Innere des Erechtheions war durch zwei Quermauern in drei Räume geteilt: zwei tieferliegende Räume im Westen und, mit ihnen durch eine Thüre verbunden, eine grössere Cella im Osten (vgl. Paus, descr. arcis² pl. VI). Eine Säulenstellung fand sich vor dem Osteingange zur Ostcella und vor dem Nordeingange zu den Westräumen. Im Süden war den Westräumen die Korenhalle vorgelagert. Der von Pausanias erwähnte Eingang ist die grosse Thüre im Norden des Westraums, der davor befindliche Altar des Zeus Hypatos ist jedenfalls identisch mit dem in den Bauinschriften erwähnten Altar τοῦ θυήχου in der Nordhalle (vgl. Petersen Athen. Mitt. X 7ff.). Unter dem Fussboden der Nordhalle entdeckte Bormann auch das von Pausanias erwähnte Dreizackmal, welches in engem Zusammenhange stand mit dem Salzbrunnen im Innern des Heiligtums (Athen. Mitt. VI 380ff.). Nach dem Eintritt durch die Nordthüre erwähnt Pausanias gleich die Hauptaltäre, einen des Poseidon, auf welchem infolge eines Orakels auch dem Erechtheus geopfert worden sei, einen des Butes, einen dritten des Hephaistos. An den Wänden seien Bilder der Eteobutaden und drinnen sei auch der Salzbrunnen, denn das Gemach sei doppelt. Über letztere Bezeichnung (διπλοῦν γὰρ τὸ οἴκημα) ist viel gestritten worden. Furtwängler a. a. O. 194 nimmt an, dass Pausanias nur von dem inneren Westraume rede, und dass dieser durch eine Quermauer in eine nördliche und eine südliche Hälfte geteilt gewesen sei. Diese Quermauer kann nach Dörpfeld nach den erhaltenen Resten nicht existiert haben, der Raum zerfiel vielmehr in einen oberen gepflasterten und eine Art Krypta mit dem Dreizackmal und dem Salzbrunnen im gewachsenen Fels. Irrig ist auch Furtwänglers Annahme, der westlichste Raum habe den Namen Kekropion geführt. Da in der Inschrift aus dem J. 409/8 CIA I 322 = Paus. descr. arcis² p. 46 eine bestimmte Ecke, die südwestliche, die Ecke beim Kekropion heisst, kann nicht die nordwestliche auch beim Kekropion liegen. ,Da nun unterhalb der südwestlichen Ecke nachweislich unten in der Erde ein Bau, wahrscheinlich ein Grab, gelegen hat, das beim Bau geschont ist, und sehr complicierte Constructionen an der Ecke nötig gemacht hat (die Ecke schwebt nämlich ohne Fundament in der Luft), so dürfen wir in dieser Ecke die Ecke beim Kekropion und in dem alten heiligen Bau das Kekropsgrab sehen.‘ [Doe.] Die in der Inschrift als am Pandroseion liegend bezeichnete Wand ist dann die Westwand, συνεχὴς τῷ ναῷ, d. h. dem alten Poliastempel, kann der südlich von diesem, östlich vom Erechtheion begrenzte heilige Bezirk von Pausanias I 27, 2 sehr wohl genannt werden. In ihm befand sich der heilige Ölbaum. Die Periegese des Pausanias geht dann mit I 26, 6 wieder zum alten Poliastempel über, in dem er das alte, vom Himmel gefallene Xoanon erwähnt, ferner die bronzene Lampe des Kallimachos in Form einer Palme, welche jährlich nur einmal mit Öl gefüllt zu werden brauchte, ferner I 27, 1 unter der Rubrik [1956] ,Weihgeschenke‘ einen in Myrthenreisern versteckten Hermes des Kekrops, einen Klappstuhl des Daidalos und Trophaeen aus der Schlacht von Plataiai.

14. Jedenfalls ist das Erechtheion von Anfang an bestimmt gewesen, nicht nur die Erdmale und die Altäre des Poseidon-Erechtheus, Butes und Hephaistos aufzunehmen, sondern die Ostcella war für das alte Xoanon und den Kult der Polias bestimmt. Der alte Poliastempel sollte ohne Zweifel ganz abgebrochen werden, sonst hätte man nicht die Korenhalle unmittelbar vor seine Nordmauer gesetzt. Das geht auch aus der öfter erwähnten Inschrift hervor, in der Z. 1 das Erechtheion bezeichnet wird als νεὼς ἐν ᾧ τὸ ἀρχαῖον ἄγαλμα. Man nahm daher früher allgemein an, dass das Erechtheion das alte Bild der Polias wirklich beherbergt habe, und dass daher seit seiner Erbauung die Bezeichnung Tempel der Polias und dann auch übertragen von dem alten Kultbilde ,der alte Tempel‘ ihm gälten. Nun ist aber die Bezeichnung der Inschrift jedenfalls proleptisch. Im J. 409 hatte das Erechtheion noch kein Dach, Fries und Geison fehlten noch. Dörpfeld nimmt jetzt an, dass das Kultbild niemals in das Erechtheion gekommen sei, und der Relativsatz der Inschrift nur die zukünftige Bestimmung ausdrücke, genau wie in derselben Inschrift Z. 41 ὁ Ἐλευσινιακὸς λίθος πρὸς ᾧ τὰ ζῶια auf die Zukunft geht. Warum die geplante Umwandlung nicht vollzogen ist, entzieht sich unserer Berechnung. Verunglückt ist der Versuch Wernickes Athen. Mitt. XII 184ff., die Zuverlässigkeit des Pausanias zu discreditieren und aus ihm wieder (nach Ulrichs Reis. u. Forsch. II 148) einen besonderen Tempel der A. Ergane herauszulesen. Die A. Polias ist eben eine Ergane in Athen wie in Erythrai (vgl. Robert Herm. XXII 135. Dörpfeld Athen. Mitt. XIV 304ff.; wo man den Erganetempel suchte, zwischen Propylaeen und Parthenon, befand sich vielmehr die Chalkothek; Paus. I 24, 3 ist jedenfalls lückenhaft, doch ist eine Unzuverlässigkeit seiner Periegese nirgends nachgewiesen). Ob bestimmte politisch religiöse Tendenzen im Bau des Erechtheions zum Ausdruck kamen und welche, können wir nicht mehr ermitteln. Furtwängler vermutet orthodox conservativen Ursprung des Unternehmens, etwa in der Partei des Nikias.

Ebenderselben Zeit, wie das Erechtheion, gehört der kleine ionische Tempel der A. Nike auf der Südwestecke der Burg an, welcher vielleicht an Stelle eines älteren Altares trat. Von Dörpfeld (Athen. Mitt. X 74ff.) und von Wolters Bonner Studien 92ff. ist bewiesen worden, dass die Einschränkung des ursprünglichen Planes des Propylaeenbaues noch nicht durch den jetzigen Niketempel veranlasst sein kann, dieser daher erst während des peloponnesischen Krieges begonnen sein kann. Die früher von Benndorf (Über das Kultbild der A. Nike, Wien 1879) vermutete Veranlassung der Gründung, Kimons Sieg am Eurimedon, findet keine Vertreter mehr. Furtwängler a a. O. 210 nimmt an, dass die Erfolge der conservativen Feldherren Nikias und Demosthenes aus den J. 426/5 die Gründung des Tempelchens veranlassten. Jedenfalls steht es ausser Zusammenhang mit den Projecten des Perikles.[1957]

Wohl bis in das 6. Jhdt. geht auf der Burg auch der Kultus der A. Hygieia zurück, wie die Weihinschriften der Töpfer Euphronios (Arch. Jahrb. II 144. CIA IV p. 154) und Kallis (Athen. Mitt. XVI 154) zeigen. Es wird bereits damals ein besonderer Altar bestanden haben. Später befand sich ein Altar hinter den Propylaeen, dabei eine Statue der A. Hygieia von Pyrrhos (Paus. I 23, 4). Die Sage führt diese Gründung in verschiedener Weise auf Perikles zurück (Plut. Per. 13. Plin. n. h. XXII 17. 20), A. habe im Traume das Kraut offenbart, durch welches ein beim Bau herabgestürzter Arbeiter zu heilen sei, für dessen Bild man den sog. Splanchnoptes des Styppax hielt. Wolters Athen. Mitt. XVI 153ff. hat nachgewiesen, dass der Altar und das Bild auf die Propylaeen Rücksicht nehmen, also erst während des peloponnesischen Krieges wahrscheinlich nach der grossen Pest errichtet sein können. Ein Altar der A. Hygieia auch im Demos Acharnai, Paus. I 63, 1.

In der Unterstadt ist jedenfalls eine Stätte des A.-Kultes von ehrwürdigem Alter und gewiss von Anfang an in Zusammenhang mit den Kulten der Burg, die Gerichtsstätte ἐπὶ Παλλαδίῳ, nach Plut. Thes. 27 im Süden der Burg gelegen. Hier wurde spätestens seit Drakon von den Epheten über unvorsätzliche Tötung Recht gesprochen. Die Atthiden leiteten in verschiedener Weise dies Palladion von Troia her (Kleidemos frg. 12 und Phanodemos frg. 12 bei Suid. s. ἐπὶ Παλλαδίῳ. Paus. I 28, 8f. Pherekyd. frg. 101). Demophon soll es in einem nächtlichen Handgemenge von den Argeiern unter Diomedes, welche er für Räuber hielt, erbeutet haben, worüber dann zugleich die erste vorbildliche Gerichtssitzung stattfindet. Durch die gangbare Sage wird wohl die Freisprechung Demophons, nicht aber das Verbleiben des Palladions in Athen motiviert; daher dann bei Polyaen I 5 die Geschichte von Demophons Betrug. A. ist hier im Kultus mit Zeus verbunden, CIA III 71, beide Kulte waren im Geschlechte der Buzygen erblich (vgl. O. Müller Eumeniden 155ff. J. Toepffer Att. Geneal. 145ff.).

15. Kultsagen und Kulthandlungen. An den Kult des Erechtheions knüpfen die attischen A.-Sagen vorwiegend an und ihm verdanken die vornehmsten Adelsfamilien ihr Ansehen. Die Göttin erscheint hier in enger Kultgemeinschaft mit Poseidon-Erechtheus. Dass Erechtheus erst infolge eines Orakels Anteil an dem Altar des Poseidon erhalten habe (vgl. § 13), ist natürlich eine Umkehrung des wahren Verhältnisses, aus einer Zeit, da Erechtheus sein göttliches Ansehen verloren hatte. Dass er ursprünglich der Meeresbeherrscher selbst ist, beweist auch der Name der θάλασσα Ἐρεχθῄς, und auf Inschriften erscheint Ἐρεχθεύς als Beiname des Poseidon CIA I 387. III 276, nach Ilias II 547ff. erhält er reiche Opfer von Stieren und Widdern und nach Herod. V 82 müssen sich die Epidaurier verpflichten zu jährlichen Opfern an die A. Polias und den Erechtheus. Die Sage vom Streite der beiden Gottheiten um Athen ist secundär und hat nur den Zweck, die enge Kultgemeinschaft beider als Folge des Schiedsgerichtes zu erklären, welches diesen Streit beilegte (vgl. § 9). Sie erlaubt durchaus nicht den Schluss, dass eine der beiden Gottheiten [1958] späterer Eindringling sei. In ehelicher Gemeinschaft sind die beiden Götter in dieser Kultvereinigung niemals gedacht worden; sie sind vereinigt, weil sie in gleicher Weise teil haben am Gedeihen der Landschaft. Der Salzquell ist ein Wahrzeichen der Macht, mit welcher Poseidon-Erechtheus das Land verschont, die Olive ist nur das sprechendste, wohl nicht das älteste Symbol der kulturfördernden Göttin.

In einem andern Verhältnis zu Erechtheus erscheint A. in der Ilias II 547ff. Sie ist hier die Pflegerin des erdgeborenen Sprösslings und setzt ihn in Athen in ihrem reichen Tempel nieder, wo ihn die Athener mit Opfern von Stieren und Widdern besänftigen. An dieser Stelle ist bereits vom δῆμος Ἐρεχθῆος die Rede, Erechtheus ist hier also als mythischer König der Athener zu verstehen und erdgeboren als Herrscher über die Autochthonen (absichtlich wird nicht die Göttin Gaia als seine Mutter genannt, sondern die elementare ζείδωρος ἄρουρα). Die Verwitterung alter Göttergestalten zu urzeitlichen Landeskönigen kann in Athen sehr früh begonnen haben. Kekrops, Erechtheus, Pandion und Aigeus gehören zu dem ältesten, vor die eigentliche genealogische Construction fallenden Bestände, der sich noch bei Herodot behauptet (noch auf einer Schale mit Erichthonios Geburt Mon. d. Inst. X 39 sind gleichzeitig anwesend Kekrops, Erechtheus und Pallas), Erechtheus ist vielleicht ursprünglicher als Kekrops, jedenfalls ist er ursprünglich einmal als erster gedacht, und so ist dann der erste Landeskönig als Pflegling der Landesgöttin ein ganz einfacher Gedanke, vielleicht anfangs ohne tiefere mythologische Perspectiven. Aber allerdings finden sich bereits in alter Zeit weitere mythische Verwicklungen der durch den Kultus gegebenen Gestalten und Gebräuche. Seit Beginn des 5. Jhdts. heisst der Pflegling A.s allgemein Erichthonios, zuerst in der Danais und bei Pindar (Harpokr. s. αὐτόχθονες), dann in Euripides Ion 21. Gleich viel ob Erechtheus Kurzform von Erichthonios ist, oder vielmehr Erichthonios eine alte Weiterbildung, welche den chthonischen Charakter des Heros hervorhebt (er ist nicht zu trennen von dem troischen König Erichthonios, dem Besitzer der Stuten, die von Boreas geschwängert werden, Il. XX 219ff.), an der ursprünglichen Identität beider Gestalten ist nicht zu zweifeln. Die Aufnahme des Erichthonios aus der Hand der Erdgöttin durch A. ist auch in der attischen Kunst spätestens seit dem 5. Jhdt. sehr populär. Die spätere Mythenbildung beruhigt sich nicht bei der Autochthonie, sondern giebt dem Erichthonios den Hephaistos zum Vater. Als A. sich seiner Umarmung entzog, sei sein Same auf die Erde gefallen und diese habe dann den Erichthonios geboren und A. zur Erziehung übergeben (Tab. Borg, bei Jahn-Michaelis Bilderchroniken VI = CIG 6129 B. Apollod. III 14, 6). Die Liebesverfolgung des Hephaistos war angeblich bereits im 6. Jhdt. von dem Magnesier Bathykles am Thron des amyklaeischen Apollon dargestellt, Paus. III 8, 13.

Das Kind verbirgt A. in einem Korb und giebt es den Töchtern des Kekrops, Aglauros, Herse und Pandrosos, zu bewachen (Eurip. Ion 22. Paus. I 18, 2. Antig. mir. 12). Aglauros und Herse öffnen trotz des Verbotes den Korb und erblicken das [1959] Kind als Schlange oder von Schlangen umwunden; sie werden dann von der Schlange getötet oder stürzen sich rasend vom Burgfelsen (Eurip. Ion 273. Paus. a. a. O.; nach Hygin. fab. 166 ins Meer). Euripides Ion 24f. erzählt noch, infolge jenes Ereignisses sei es in Athen Sitte, den Kindern goldene Schlangen als Amulette beizugeben. Von späterer Mythenconstruction wird dann auch Erichthonios in die attische Königsreihe eingegliedert und sogar verdoppelt, auch mit der heiligen Schlange der A., die im Erechtheion gefüttert und von Pheidias unter dem Schilde der Parthenos angebracht wurde, ward er vermutungsweise identificiert. In üblicher Weise wird Erichthonios dann auch als Gründer von allerhand Kulten und Festen, namentlich von den Panathenaeen, angesehen, die von der Göttin erlernte Kunst des Rosselenkens soll er zuerst an den ersten Panathenaeen gezeigt haben (Hellanikos bei Harpokr. s. Παναθήναια. Marm. Par. 18).

Secundär ist von diesen Mythen jedenfalls die Vaterschaft des Hephaistos, obwohl auch er ins 6. Jhdt. zurückreichen mag; der Altar des Gottes im Erechtheion wird früh mit diesem Mythos in Verbindung gebracht worden sein, im Kult scheint er keine grosse Rolle gespielt zu haben.

16. Dagegen sind die παρθένοι Ἀγραυλίδες, die drei Kekropstöchter, sicherlich mit den Anfängen des Kultes verknüpft und ihre Sagen teilweise vorbildlich für gewisse Gebräuche. Nur Pandrosos und Aglauros treten bestimmt hervor, wie ihre Namen auch als Namen der A. von Harpokration und Suidas s. Ἀγραυλίδες bezeugt sind. Inschriftlich ist nur die Form Ἄγλαυρος bezeugt CIA II 1369. III 372. Athen. Mitt. X 33. Das Pandroseion lag auf der Burg selbst westlich vom Erechtheion (s. o. § 13), Pandrosos selbst, die gehorsame Bewahrerin des anvertrauten Heiltums, ist das heroische Vorbild der Poliaspriesterin, deren Amt im Geschlechte der Eteobutaden erblich war. Sie soll mit ihren Schwestern das erste Wollengewand gewebt haben, wie es die Priesterin selbst trug und den Opfernden umlegte (Phot. und Suid. s. προτόνιον). Aglauros hatte ihr Heiligtum am Nordostabhang der Burg unter den μακραὶ πέτραι, offenbar an der Stelle, wo sie den Tod gefunden hatte (Herodot. VIII 52. 53. Paus. I 18, 2). Jedenfalls motiviert ihr Tod ursprünglich irgendwelche blutige Opfer oder Sühngebräuche (Welcker Trilogie 285), wie sie im kyprischen Salamis, wo sie mit A. und Diomedes zusammen verehrt wird, in der That Menschenopfer empfängt (Porphyr. de abst. II 54). In Athen schwören in ihrem Heiligtum die Epheben den Waffeneid (Dem. XIX 303 mit Schol. Poll. VIII 106), und auch bei dem kyprischen Menschenopfer sind sie beteiligt, indem sie den Opfermenschen dreimal um den Altar herumführen. Nach Apollod. III 14, 2 gebiert Agraulos von Ares die Alkippe; als der Poseidonsohn Halirrhotios dieser Gewalt anzuthun sucht, wird er von Ares getötet und dieser auf dem Areopag wegen φόνος δίκαιος freigesprochen (Hellanik. frg. 69. 82, dazu Kirchhoff Herm. VIII 184ff.). Endlich lässt Ovid. met. II 827 die Aglauros von Hermes in Stein verwandelt werden, weil sie seiner Liebe zu Herse sich entgegenstellt, vgl. F. A. Voigt Beitr. z. Mythol. des Ares und der Athena, Leipz. Stud. IV 255, der mit Recht [1960] vermutet, dass das Versteinern eigentlich zu den Fähigkeiten der furchtbaren, mit Ares verbundenen Göttin selbst gehört habe. Mysterien der Aglauros erwähnt Athenagoras leg. p. Christ. 1 (vgl. Art. Aglauros Bd. I S. 825ff.).

Auch die παρθένοι Ἐρεχθῇδες Protogoneia und Pandora gehören zum Kultkreise der Polias. Der Pandora wurde ein Schaf geopfert, wenn die Göttin ein Kultopfer erhielt (Philochor. frg. 32 bei Harpokr. s. ἐπίβοιον). Mit der Pandrosos ist im Kulte wiederum die attische Hοre Thallo verknüpft nach Paus. IX 35, 3. Jedenfalls sind uns durch die an A. und ihren Kreis anknüpfenden Sagen und durch die Nachrichten über die in historischer Zeit staatlich begangenen Feste nur sehr trümmerhafte Erinnerungen an die einstmalige Compliciertheit des Kultes und die ihm zu Grunde liegenden Ideen bewahrt worden. Noch aus diesen aber geht hervor, wie eng die Religion der A. mit den örtlichen Eigenheiten des Burgfelsens verwachsen war.

17. Auch noch im staatlichen Kultus der A. hat das Geschlecht der Eteobutaden allezeit seine bevorrechtete Stelle behauptet (vgl. zum folgenden Toepffer Att. Geneal. 113–128). Sein heroischer Ahn Butes, eine poseidonische Gestalt, welche nicht auf Attika beschränkt war (vgl. Böhlau Bonn. Stud. 126ff.), hatte im Erechtheion selbst einen Altar und einen eigenen Priester (Sessel mit Inschrift ἱερέως Βούτου aus dem 4. Jhdt., CIA II 1656 = CIA III 302, nicht auf den ἱερεὺς βούτης bezüglich, der aus dem Kerykengeschlecht stammte und zum Kultpersonal des Zeus Πολιεύς gehörte; vgl. Toepffer Att. Geneal. 159). An stehenden Beamten stellte das Geschlecht den Poseidonpriester und die Priesterin der Polias, welche verheiratet sein oder gewesen sein musste (Plut. Num. 9). Diese Priesterin vertritt die Göttin bei dem merkwürdigen Besuche, den sie mit der Aigis angethan im Hause der Neuvermählten abzustatten hatte, um Unheil fernzuhalten (Zonar. lex. p. 77. O. Jahn Ber. Sächs. Gesellsch. 1855, 60). Möglicherweise wurde erst im 6. Jhdt. die Poliaspriesterin systematisch zur religiösen Weihe wichtiger Familienereignisse herangezogen. In [Aristoteles] Oekonomik II 2, 4 p. 1347 a 4 findet sich die Nachricht, Hippias habe verordnet, dass sie bei jedem Geburts- und Todesfalle einen Scheffel Gerste, einen Scheffel Weizen und einen Obol zu erhalten habe, doch gewiss nicht ohne Gegenleistungen von ihrer Seite.

Die Mitwirkung des Geschlechtes tritt zunächst bei zwei Begehungen hervor, welche bereits eine Fusion altattischer Riten mit der eleusinischen Religion vorstellen. Beim ersten Keimen der Saat wurden den eleusinischen Göttinnen und der A. die Procharisterien gefeiert, wobei die Krokoniden und die Eteobutaden ihres Priesteramtes walteten (Harpokr. s. Προχαιρητήρια. Suid. s. Προχαριστήρια. Bekker Anecd. I 295).

Ebenso gelten im Hochsommer am 12. Skirophorion die Skirophorien der A. und den eleusinischen Gottheiten gemeinsam; das Opfer scheint der Abwendung der verderblichen Hitze gegolten zu haben. Die Procession, an welcher die Eteobutaden unter dem Priester des Erechtheus und der Priesterin der Polias, sowie der Priester des Helios teilnahmen, scheint sich vom Poliastempel aus auf der Strasse nach Eleusis nach dem Vororte [1961] Skiron bewegt zu haben, wo A. Skiras einen Tempel besass, Phot. s. Σκίρον. Der Erechtheuspriester trug auf diesem Zuge einen grossen weissen Sonnenschirm (davon angeblich der Name des Festes σκῖρον = σκιάδειον, Lysimachid. bei Harpokr. s. σκῖρον und Schol. Aristoph. Eccl. 18). Am Skiron wurde der A. geopfert und zugleich von den Frauen den eleusinischen Göttinnen eine mystische Darbringung vollzogen, die σκῖρα im engeren Sinne (Schol. Aristoph. Thesm. 834). Auch dass das Fell des dem Zeus Meilichios geschlachteten Sühnewidders mitgenommen wurde, deutet auf mysteriöse Sühnecaerimonien (Suid. u. Hesych. s. Διὸς κῴδιον). Die heilige Pflügung, welche Plutarch coni. praec. 42 am Skiron erwähnt, ist gleichfalls ein Compromiss athenischen und eleusinischen Kultbrauches. C. Roberts Versuch (Herm. XX 349f.), das Heiligtum der A. am Skiron und die Bezeichnung der Skirophorien auf A. zu leugnen, ist von E. Rohde (Herm. XXI 116ff.) widerlegt worden. Mit dem Heiligtum der A. Σκιράς am Phaleron hat diese Begehung nichts zu thun.

In denselben Monat wie die Skirophorien fällt in Athen die Begehung der Errhe- oder Arrhephorien, über welche Pausanias Andeutungen (I 27, 3) nicht hinreichend aufklären. Vier Mädchen wurden κατ’ εὐγένειαν gewählt, zwei von ihnen designierte der βασιλεύς zu Errhephoren (Harpokr. s. ἀῤῥηφορεῖν). Sie lebten eine bestimmte Zeit lang abgeschlossen in der Nähe des Erechtheions und erhielten an dem betreffenden Fest von der Priesterin der Polias verhüllte Heiligtümer, die nicht einmal diese kannte, um sie bei Nacht auf unterirdischen Wegen hinab in die ,Gärten‘ in den heiligen Bezirk der Aphrodite und von dort andre zurück auf die Burg zu tragen. Ansprechend ist die Vermutung Toepffers a. a. O. 121, dass wir uns die mystische Handlung etwa nach Analogie der ἀῤῥητοφορία für Demeter und ihre Tochter zu denken haben (sprachlicher Zusammenhang ist natürlich ausgeschlossen), wie sie das durch E. Rohde Rhein. Mus. XXV 548 bekannt gemachte Lukianscholion beschreibt. Jedenfalls handelt es sich um einen Vegetationszauber, und die Erichthoniossage dürfte für diesen Brauch aitiologisch sein, wenn auch in der uns erhaltenen Form ihr wesentlich nur die Warnung vor unzeitiger Neugier zu entnehmen ist.

18. Zwei weitere Feste, die dem alten Bilde der Polias galten und gleichfalls mit mysteriösen Riten verbunden waren, sind die Kallynterien am 19. und die Plynterien am 24. Thargelion. Das ausübende Personal zu diesem Feste stellte das Geschlecht der Praxiergiden (Plut. Alkib. 34. Hesych. s. Πραξιεργίδαι. Toepffer a. a. O. 133ff.), vielleicht ursprünglich eine alte Bildschnitzerzunft. Jedenfalls unterstehen sie im allgemeinen der Poliaspriesterin, welche wohl wegen des düsteren Charakters der Caerimonien nicht selbst mit Hand anlegte. CIA II 374 wird eine Unterstützung erwähnt, welche diese den Praxiergiden hat angedeihen lassen, und das Geschlecht errichtet einer Poliaspriesterin eine Ehrenstatue in der Inschrift Ἐφ. ἀρχ. 1883, 141. Als einzelne Ämter, die an diesen Festen in Thätigkeit waren, werden erwähnt die Λουτρίδες (Hesych. und Phot. s. v.) und der κατανίπτης (Et. M. s. v.). Die Kallynterien [1962] scheinen ein Scheuerfest mehr praktischer Natur gewesen zu sein, während die Plynterien ein Reinigungs- und Sühnefest altertümlichster Art sind, obwohl unsere Nachrichten jung sind. Die Legende brachte das Fest, wohl wegen seines apotropaeischen Charakters, mit dem Schicksal der Aglauros in Verbindung; sie sei die erste Priesterin gewesen und ein Jahr lang nach ihrem Tode seien die heiligen Gewänder nicht gewaschen worden (Bekker Anecd. I 270). Toepffer bezieht daher wohl mit Recht die von Athenagoras legat. pro Christ. 1 erwähnten Mysterien der Aglauros auf dieses Fest. Der Tempel wurde am Tage des Festes durch Seile abgesperrt, das heilige Bild entkleidet und verhüllt. Dann wurde es in feierlichem Zuge zum Phaleron herabgetragen, dort gebadet und nächtlich mit Fackelbeleuchtung zur Burg zurückgebracht. Bei diesem Zuge wurde der lustrale Feigenkuchen, ἡγητηρία genannt, mitgetragen, Phot. und Hesych. s. ἡγητηρία. Für spätere Zeit ist neben den Genneten (Praxiergiden) die Beteiligung der Epheben an dem Festzuge inschriftlich bezeugt (CIA II 469–471). Als Ordner des Zuges werden von Photios (Suid.) und Lex. Cant. s. v. die Nomophylakes genannt, was wohl erst für die Verwaltung des Phalereers Demetrios gilt; vorher wird der βασιλεύς auch diesen Festzug geordnet haben (Arist. resp. Ath. 57). Eine ältere Inschrift, welche sich auf die Thätigkeit der Praxiergiden bezieht, ist leider stark verstümmelt (CIA I 93). Die Festtage galten als dies nefasti.

Als Obliegenheit der Poliaspriesterin lehrt uns eine Inschrift des 3. Jhdts. noch die κόσμησις τῆς τραπέζης kennen, CIA II 374. In dieser Function scheinen ihr die Κοσμώ und die Τραπεζώ) (oder Τραπεζοφόρος), die Hesych und Harpokration s. v. Bekker Anecd. I 307 nach Lykurgs Rede über die A. Priesterin verzeichnen, als Gehülfinnen gedient zu haben. O. Müllers Identificierung dieser untergeordneten Priesterinnen mit den vornehmen, aber jährlich wechselnden Arrhephoren ist sehr unwahrscheinlich (Kl. Schriften II 155). Nach Furtwängler Meisterwerke 187ff. hätte die Priesterin der Polias mit Hülfe dieses Kultpersonals eine Bewirtung der zwölf Götter im Parthenon auszurichten gehabt, auf welche sich auch der Parthenonfries beziehe.

19. Das glänzendste Fest der Burggöttin, aber jünger und weltlicher, als die bisher besprochenen, waren die Panathenaeen, welche jährlich am 27. und 28. Hekatombaion begangen wurden, jedes vierte Jahr (im dritten Jahr der Olympiade) in grösserer Ausdehnung und mit reicherem Prunk als grosse Panathenaeen (vgl. im allgemeinen K. F. Hermann Gottesd. Altert. § 54. Schömann Griech. Altert. II 445. A. Mommsen Heortologie 116–205. Michaelis Parthenon, wo S. 312–352 die antiken Zeugnisse sorgfältig gesammelt sind). Von der annalistischen Überlieferung wird Erichthonios als Stifter des Festes genannt, das zuerst Ἀθήναια geheissen habe, erst Theseus habe nach vollzogenem συνοικισμός die Athenaeen in Panathenaeen verwandelt. Wenn das Fest, wie nicht unwahrscheinlich ist, wirklich von Anfang an ein Ausdruck der politischen Einigung aller Athener ist, so wird man statt Theseus getrost Solon als Stifter [1963] der jährlichen Panathenaeen einsetzen dürfen. Damit verträgt sich gut die Nachricht, dass erst Peisistratos die grossen Panathenaeen gestiftet habe (Schol. Aristid. p. 323 Dind.), wie ja glänzende Organisation der Kulte und Feste eine Hauptsorge der Tyrannis ist. Nach Pherekydes bei Marcell. Vit. Thuk. § 2 (frg. 20 M.) wären die Panathenaeen unter dem Archon Hippokleides, einem Vorfahren des Miltiades, Ol. 53, 3 eingesetzt worden, was nach Eusebios auf Einführung des gymnischen Agons an den Panathenaeen zu beschränken ist. Bei der Anordnung des Panathenaeenzuges 518/7 wurde bekanntlich Hipparch ermordet. Aus Aristoteles (Ἀθ. πολ. 18) begründetem Widerspruch gegen Thukydides VI 56 geht hervor, dass der Festzug damals noch ohne kriegerisches Gepränge stattfand, welches erst eine Einrichtung der späteren Demokratie ist (nach v. Wilamowitz Aristot. und Athen I 239, 106 hätte schon früher einmal der Aufzug in Waffen bestanden und bezöge sich auf ihn das Lob des Menestheus Il. II 552ff., was unwahrscheinlich ist). Dass Peisistratos den Vortrag der homerischen Gedichte an dem Agon der Panathenaeen regelte, gab bereits im Altertum Anlass zu der falschen Combination, er zuerst habe die homerischen Gedichte gesammelt (Kirchhoff S.-Ber. Akad. Berl. 1893, 904ff.). Nach Diog. Laert. I 57 geht die Vorschrift für die Rhapsoden, die Gedichte der Reihe nach vorzutragen, bereits auf Solon zurück, nach dem ps.-platonischen Hipparch p. 228 hat Hipparch den Rhapsodenagon geregelt. Dass die Stelle der Ilias II 550ff. erst von Peisistratos veranlasst sei, vermuteten schon die Alten. Jedenfalls ist sehr wahrscheinlich, dass die jährlichen Opfer an Erechtheus sich auf die Panathenaeenfeier beziehen (die grossen Panathenaeen sind natürlich dadurch, dass sie nicht ausdrücklich erwähnt wurden, nicht ausgeschlossen). Die mit dem Feste verbundenen Wettspiele wurden im Laufe der Zeit immer prächtiger ausgestattet und immer mehr verstaatlicht. Erst Perikles fügte den Agon für Citherspiel, Gesang und Flöte hinzu (Plut. Per. 13). Aus der ersten Hälfte des 4. Jhdts. giebt ein offizielles Verzeichnis der Preise die Inschrift CIA II 965. Vielleicht lieferte erst von da an der Staat die Preise, während vorher die Athlothesie eine vornehme Leiturgie war (v. Wilamowitz Aristot. und Athen I 239). Von den Athlotheten – in späterer Zeit zehn erlosten Beamten – handelt ausführlich Aristoteles Ἀθ. πολ. 60. Die musischen Sieger erhalten Geld, der Preis für εὐανδρία sind Schilde, für die Sieger in Gymnastik und Pferderennen Öl. Letzterer Preis ist sicherlich der altertümlichste, wie auch die Agone die ältesten sind. Zur Aufbewahrung des Öls dienten die seit Mitte des 6. Jhdts. zahlreich erhaltenen panathenaeischen Preisamphoren, welche neben der Bezeichnung τῶν Ἀθήνηθεν ἄθλων mitunter den Namen des Archonten tragen und als Hauptdarstellung das lanzenschwingende Idol der Polias zeigen. In Technik, Stil und Schrift werden diese Vasen mehr als zweihundert Jahre lang in altertümelnder Manier fortfabriciert und weithin exportiert (letzte zusammenfassende Publication von De Witte Ann. d. Inst. 1877, 294–332. 1878, 276–284. Mon. X tav. 47. 48). Die ersten Tage des Festes waren den gymnischen und hippischen Wettkämpfen geweiht, [1964] der religiöse Hauptact fand am 28. Hekatombaion, dem Geburtstage der Göttin, statt. Ihm vorher ging die heilige Nacht, die Pannychis, mit dem Fackellauf (Zeugnisse bei Michaelis 326), der ὁλολυγή der Weiber und Vorträgen männlicher Chöre (vgl. Eurip. Herakl. 777–783). Der Festzug selbst ordnete sich im äussern Kerameikos, durchschritt dann den innern und erreichte, am Eleusinion vorbeigehend, die Propylaeen (vgl. Wachsmuth Stadt Athen 285. E. Curtius S.-Ber. Akad. Berl. 1884, 504; Stadtgesch. v. Athen 85ff.). Eine ideale Darstellung der Pompe aus der Glanzzeit der perikleischen Politik (ca. 440) ist uns im Cellafries des Parthenon erhalten. Ausser der Schar der Opfertiere, zu welchen im 5. Jhdt. auch die Bundesstädte und Colonien beisteuern mussten (vgl. die auf die Colonie in Brea bezügliche Inschrift CIA I 31 = Dittenberger Syll. 12), wurden mannigfache heilige Geräte und Gaben aufgeführt. Als θαλλοφόροι mit Olivenzweigen in der Hand nahmen die schönsten Greise an dem Zuge teil (Zeugnisse bei Michaelis 330 nr. 201–205). Körbe und Stühle wurden von Bürgermädchen getragen. Die Metoiken trugen Wannen (σκάφη), ihre Weiber und Töchter mussten denen der Athener angeblich die Hydrien und Sonnenschirme tragen, Ael. v. h. VI 1. Aelian stellt diese Sitte als Überhebung der Athener hin, während v. Wilamowitz Herm. XXII 219ff. in dieser activen Teilnahme am Festzug vielmehr ein Recht der Metoiken erblickt. Jedenfalls geht aus Harpokration s. σκαφηφόροι, wo Deinarch, Theophrasts νόμοι und Demetrios von Phaleron citiert wird (Theophr. frg. 102. 103 wie die andern Stellen bei Michaelis 330 nr. 191–200), hervor, dass die Pflichten und Befugnisse der Bürger und Metoiken gesetzlich abgegrenzt waren und im 4. Jhdt. σκαφηφόρος nicht als Ehrenname galt. Den Glanzpunkt des Festzuges bildet die Parade der Reiterei und der Wagenlenker, im 4. Jhdt wohl der Aufzug der Epheben; das religiöse Hauptziel des Zuges war ausser dem reichen Opfer die Überreichung des Peplos, welche zuerst Stuart und Visconti im Centrum des Parthenonfrieses, Mitte der Ostseite, erkennen wollten; diese Deutung ist heftig bekämpft worden von Flasch Zum Parthenonfries, Würzb. 1877, 83ff., der nach Brunns Vorgang in der Mittelfigur den Priester erkennt, der sein eigenes Himation anlegt; gegenwärtig scheint die Deutung auf den panathenaeischen Peplos wieder bevorzugt zu werden. Nach den Schol. Eurip. Hec. 468. Harpokr. s. πέπλος fand diese Überreichung nur an den grossen Panathenaeen, nach andern Zeugnissen alljährlich statt.

Mit der Herstellung des Peplos wurde am Feste der Chalkeen am letzten Tage des Pyanepsion begonnen. Ursprünglich wurden auf ihm die Thaten der Göttin, namentlich die Gigantomachie dargestellt; später brachte man auch Porträts solcher Männer an, die man ehren oder günstig stimmen wollte (so Demetrios und Antigonos, Plut. Demetr. 10. 12. Diodor. XX 6). Die Sitte, den Peplos im Aufzuge wie ein riesiges Segel am Maste eines Schiffes zu befestigen, ist nicht erst für die Kaiserzeit (für Herodes Atticus bei Philostr. Vitae Soph. p. 236 Kays.) bezeugt, sondern lässt sich bereits für die grossen Panathenaeen von 298 aus einer Inschrift erschliessen (CIA II 314). Der älteste [1965] Zeuge scheint der Komiker Strattis in den Makedones (nach Ol. 73, 1) zu sein frg. 30 Kock FCA I 718 (andre Stellen bei Michaelis Parthenon 328). Über das Opfer erhellt einiges aus einer Inschrift des 4. Jhdts. CIA II 163. Die Hekatombe wird der Polias an dem grossen freistehenden Altar geschlachtet, eine Kuh davon erhält A. Nike (Z. 10 ist wohl nicht der Areopag zu ergänzen, eher ἀρ[χαίῳ νεῷ θυο]μένην). Auch A. Hygieia erhält Opfer.

20. Über das Wesen der A. lehrt das Panathenaeenfest neben den weniger allgemeinen aber charakteristischeren Festen nichts Neues. Es war wohl ebensowenig je bestimmt, diese älteren Begehungen zu verdrängen, als das Bild des Pheidias das alte Xoanon ersetzen sollte. Auch die Festzeit hat keine originale Beziehung zum Naturleben mehr, sondern ist wohl hauptsächlich in Rücksicht auf eine möglichst zahlreiche Beteiligung der Gesamtbevölkerung – später auch der Bundesgenossen – gewählt, wenn auch natürlich der Hauptfesttag, die τρίτη φθίνοντος ἑκατομβαιῶνος, ein von alters her der A. geheiligter Tag war. Die Annahme O. Müllers (De Minervae Pol. sacris 14; Kl. Schr. II 160), dass der wichtige Act der Errhephorie einen Teil der Panathenaeen gebildet habe, beruht auf willkürlicher Interpretation des Pausanias I 27, 3 und des Parthenonfrieses (vgl. Michaelis Parthenon 264. Petersen Kunst des Pheidias 306). Dass die Arrhephorien, auf welche sich die Worte des Pausanias παραγενομένης τῆς ἑορτῆς beziehen, im Skirophorion stattfanden, ist zu wohl bezeugt, um einer archaeologischen Deutung zu liebe daran zu rütteln. Allerdings aber sind die sacralen Hauptriten der Panathenaeen gewissermassen den älteren Festen der Polias entlehnt und zwar vorwiegend den Plynterien. Die Nachtfeier sowie die Darbringung des Peplos sind eigentlich eine Wiederholung des Schlussteiles jenes Festes, zu welchem ursprünglich gewiss derselbe Peplos verwendet wurde. Aus dem unheimlichen Charakter jener Feier, bei welcher die Göttin ihren Sitz zeitweise verlassen hatte, erklärt sich die Verwendung der Nacht, da man natürlich eilte, die Anarchie möglichst schnell zu beendigen, und eine verständliche Zugabe zur Nachtfeier ist der Fackellauf. An sich lässt dieser weder auf eine besondere Naturbedeutung der Göttin schliessen noch auf eine innigere Verbindung mit Hephaistos, da die Verwendung von Fackeln allgemein lustral ist. Möglich wäre ja, dass während der Abwesenheit der Göttin früher auch einmal das heilige Feuer des ursprünglich königlichen Herdes auf der Burg gelöscht und mit ihrer Rückkehr wieder entzündet worden wäre, die jährliche Auffüllung der Lampe des Kallimachos könnte an diese Sitte angeknüpft haben, nachdem aus dem Burgherde vielleicht schon ein einfacher Altar des Hephaistos geworden war, die Sitte der Thallophorie und das Preisöl der ältesten Agone ist aus der frühen staatlichen Fürsorge für die Olivenzucht entsprungen, eine Erinnerung an die Skirophorien ist vielleicht das Schirmtragen der Metoikenmädchen, jedenfalls erklären sich sämtliche Riten der Panathenaeen hinreichend aus den alten A.-Kulten der Burg, irgend welche tiefergehende Fusion verschiedener Kulte liegt nicht vor, vielmehr eine Vereinfachung und Concentration [1966] auf das Wesentlichste; die mit A. ursprünglich im Kult verbundenen Gottheiten treten zurück, nur das Nachtfest und der Peplos erinnern an den mystischen Zauber, der das alte Xoanon und seine Wärterinnen umgab. In welcher Weise sich Festzug und Darbringungen auf die verschiedenen Kultstätten und Tempel der Burg verteilten, wissen wir nicht sicher. Jedenfalls blieb der alte Poliastempel und sein Xoanon immer das Centrum des Kultus, auch wenn Perikles und die Erbauer des Erechtheions Abänderungen beabsichtigt haben sollten. Möglicherweise wurde der Peplos der grossen Panathenaeen im Parthenon, der unscheinbarere der kleinen im Poliastempel niedergelegt, doch haben wir über das Verhältnis der Heiligtümer keine hinreichenden Zeugnisse. Auch die Schilderung, welche in Aischylos Eum. 999–1009 A. von der feierlichen Procession giebt, mit welcher die Semnai zum Areopag geleitet werden sollen, sieht so aus, als sei sie vorbildlich für einen regelmässig wiederholten Kultact. Erwähnt werden die Wächter des alten Kultbildes (Eteobutaden und Praxiergiden), Fackellicht, Darbringung purpurner Gewänder an die Semnai. Das würde alles gut zu den Sühnecaerimonien der Plynterien passen, allenfalls auch für die Nachtfeier der Panathenaeen, an welche v. 1009 die εὔανδροι συμφοραί erinnern. Die Verwendung des Peplos als Segel ist vielleicht nicht ursprünglich, sondern im 5. Jhdt. nach dem Vorbilde dionysischen Pomps auf die Festprocession übertragen. Sollte die Sitte alt sein, so würde sie sich gleichfalls durch Anlehnung an die Plynterien erklären. Die Ankunft des Peplos zu Schiffe wäre gewissermassen ein Ersatz für das Herabsteigen der Göttin zum Meeresstrande. Ob das agonistische Moment, das an den Panathenaeen, wenn auch in bescheidenerem Umfange als später, ursprünglich ist, im A.-Kultus irgendwie wurzelt, oder nur im Wetteifer mit andern glänzenden Götterfesten ihm hinzugefügt ist, lässt sich nicht mehr entscheiden. Zu Hause ist es im Kultus des Dionysos und aller der Götter, welche mit der Verleihung des Erdsegens in unmittelbarem Zusammenhange gedacht werden. Sollten in alter Zeit mit der Gewinnung des Öles Wettspiele verbunden gewesen sein, wovon uns nichts überliefert ist, so würden doch auch für diese ältere Kelter- und Erntefeste als Vorbild anzunehmen sein. Jedenfalls ist die A., der die Panathenaeen gelten, von Anfang an die mächtige Beschirmerin des Staates, auf deren Hand Solon vertraut, und ihr Fest eine dankbare Schaustellung der Macht und des Glanzes, den das Gemeinwesen ihr verdankt.

21. Diese Loslösung A.s von besondern auf das Naturleben bezüglichen Functionen ist in Athen sehr alt. Ein uralter Kultbrauch, der alljährlich unter der Burg vom ersten der Buzygen geübt wurde, lässt A. als Schützerin des Ackerbaues erscheinen, aber der Ackerbau untersteht ihr nicht als besonderes Amt, sondern weil sie die Hüterin des Rechtes und der Kultur überhaupt ist, und weil man in Griechenland mit dem Ackerbau die höhere Gesittung seit alter Zeit beginnen liess. Der Buzyge, dessen Geschlecht das Priestertum des Zeus und der A. ἐπὶ Παλλαδίῳ zukam, vollzog jährlich am Fusse der Akropolis eine heilige Pflügung und sprach dabei Verwünschungen [1967] aus gegen die Verletzer allgemeiner Gebote der Humanität: Du sollst niemand Wasser oder Feuer vorenthalten, niemand einen falschen Weg weisen, keinen Leichnam unbestattet lassen, keinen Pflugstier töten (Plut. coni. praec. 42. Cic. de off. III 55. Ael. v. h. V 14 u. a.). Diese Pflügungscaerimonie ist jedenfalls von der ähnlichen auf dem rharischen Felde bei Eleusis unabhängig, wo namentlich die Rolle, welche Triptolemos als Pflüger und Verkünder heiliger Sittengesetze spielt (Porph. de abst. IV 22), nicht über das 6. Jhdt. zurückgeht. Mit Recht nimmt Toepffer Att. Geneal. 138 an, dass die dritte, bereits besprochene heilige Pflügung am Skiron zwischen Athen und Eleusis, die dann officiell als die älteste galt, ein Compromiss zwischen den Ansprüchen des Burgfelsens und des rharischen Feldes als Stätten ältester Kultur gewesen sei.

22. Pausanias I 24,3 erzählt, dass die Athener zuerst A. als ἐργάνη verehrt hätten, bei der Verbreitung gerade dieses Epithetons gewiss ein nicht begründeter Anspruch, wenn auch der Kult in Athen in der Handwerkervorstadt, dem Kerameikos, sicher sehr alt war und früh auf der Burg zum Ausdruck kam. Wie sehr im 6. Jhdt. gerade diese Seite der Göttin hervortrat, lehren jetzt überraschend die glänzenden Weihgeschenke, welche Handwerker aller Art, hauptsächlich aber Töpfer und Steinmetzen, als Abgabe von ihrem Verdienst auf der Burg dargebracht haben. Die Weihinschriften, in denen A. als Ergane ausdrücklich bezeichnet wird, hat Milchhoefer zusammengestellt in den Schriftquellen zur Topographie von Athen XIX (zu Curtius Stadtgeschichte), doch hat A. als Ergane keinen besonderen Kult oder gar Tempel (vgl. § 13), sondern dieselbe Polias, zu welcher Solon als Stadtschirmerin betet und welche den Peisistratos zurückführt, nimmt auch das durch Solons und Peisistratos Fürsorge mächtig aufblühende Kunstgewerbe in ihre Obhut. Sonderkulte im Handwerkerviertel mögen älter sein, wie die Rolle, welche die Handwerksgötter Hephaistos und Prometheus im Mythos von A.s Geburt spielen, sicher sehr alt ist (s. u. § 47). Gemeinsam mit diesen beiden genoss A. Kult in der dem Kerameikos benachbarten Akademie (Schol. Soph. Oed. Col. 56. Paus. I 30, 2). Hier an dem Prometheus und Hephaistos gemeinsamen Altar begannen die Fackelläufe der Promethien und Hephaistien (Inschrift Ἐφημ. ἀρχ. 1883, 169, dazu R. Schöll S.-Ber. Akad. Münch. 1887, 1ff.). Bei der Akademie zeigte man den zweiten heiligen Ölbaum, der der Erde entsprossen war, oder wohl später die zwölf ältesten μορίαι. Hier hatte auch Zeus als μόριος oder καταιβάτης einen Altar (Schol. Soph. Oed. Col. 56. Suidas s. μορίαι. Nach Paus. I 14, 6 stand auch im innern Kerameikos, im Hephaistostempel (dem sog. Theseion) eine Statue der A. neben der des Hephaistos, vielleicht, wie Pausanias meint, bereits in Beziehung auf den Mythos von Erichthonios Geburt. Nach Tümpels nicht wahrscheinlicher Vermutung (Jahrb. f. Phil. Suppl. XI 656) wäre es vielmehr eine Statue der bewaffneten Aphrodite gewesen.

23. Unfern der Akademie, auf dem Kolonos, wurde A. mit Poseidon zusammen als ἵππιος und ἱππία verehrt (Soph. Oed. Col. 707. 1070 mit Schol. Paus. I 30, 4. Bekker Anecd. I 350; [1968] A. ἱππία auch in Acharnai, Paus. I 31, 6). Von alten Kulten der Landschaft, die aber doch möglicherweise Filialen des Kultus der Burg sind, verdient hauptsächlich der von Phlya Beachtung, wo A. als Τιθρώνη verehrt wurde, gemeinsam mit Apollon Dionysodotos, Artemis Selasphoros, Dionysos Anthios, Ge, Demeter Anesidora, Zeus Ktesios, Kore, Protogone, den Semnai und den ismenischen Nymphen (Paus. I 31, 4). Dieser Kult, in dessen Centrum die chthonischen Ackergottheiten stehen, und welcher mit Mysterien verbunden ist, die selbständig neben den eleusinischen stehen, wurde von dem Geschlechte der Lykomiden verwaltet (Toepffer Geneal. 208ff.). Der Beiname der A. scheint sich hier auf die Herdenfruchtbarkeit zu beziehen (vgl. θόρνυμι). Im Mittelpunkte des Kultes, zu dem auch Furtwängler Arch. Jahrb. VI 110 zu vergleichen ist, stehen die chthonischen Gottheiten, zu denen auch Artemis Selasphoros gehört, vgl. Wide Lakon. Kulte 120f. Ob A. in dieser Verbindung ursprünglich, oder ob sie etwa mit den ismenischen Nymphen aus Boiotien eingewandert ist, lässt sich nicht mehr entscheiden. Bemerkt zu werden verdient, dass der A. in Attika die Vorgebirge geheiligt waren. An der Küste lagen die Heiligtümer der A. Sunias (Paus. I 1, 1), Zosteria (Paus. I 31, 1. CIA I 273) und der Skiras am Phaleron (Paus. I 1, 4. 36, 4), welche mit dem Kulte am Skiron, an der Strasse nach Eleusis (s. o. § 17) nichts zu thun hat, da der Beiname sich aus der weissen Farbe des Bodens an verschiedenen Stellen selbständig bilden konnte (A. Skiras auf Salamis Herod. VΙΙΙ 94, dazu Lolling Athen. Mitt. I 131. Toepffer Quaest. Pisistr. 18f.). Wohl nur durch seine Lage wurde das phalerische Heiligtum in das mehr dionysische Fest der Oschophorien am 7. Pyanepsion hineingezogen (Plut. Thes. 22). Es ist das Endziel des Wettlaufs der Oschophoren, und diese legen hier ihre Rebzweige im Temenos der A. nieder (Hesych. s. ὠσχοφόριον).

24. Keine griechische Gottheit ist so mit ihrem Volke verwachsen, wie A. mit dem ihrigen. Nur Functionen der Polias oder Archegetis sind es, wenn A. auch den Gliedern der Gemeinde vorsteht, den Geschlechtern als Genetias, den Phratrien als φρατρία (Plat. Euthyd. p. 302. Schol. Aristoph. Acharn. 146), als welche sie natürlich an dem Phratrienfeste der Apaturien teil hatte. Der Rat verehrte sie als βουλαία durch Antrittsopfer (Suid. s. εἰσιτήρια. Antiph. VI 45). Selbstverständlich ist, dass die Stadtgöttin an allen grossen Erfolgen des Staates einen hervorragenden Anteil hatte und dafür glänzende Stiftungen erhielt als Promachos, Nike, Soteira.

Von Athen aus hat sich schon früh der Kult der A. dem der delisch-delphischen Göttertrias zugesellt, zum Ausdruck der engen Verbindung des athenischen Staates mit der apollinischen Religion. Als προναία besass A. vor dem delphischen Heiligtum an der Strasse von Daulis nach Pytho einen ansehnlichen Tempel (Paus. X 8, 4, vgl. Revue arch. 1883 pl. 16 H. Furtwängler Arch. Zeitg. 1882, 333), von dem aus sie sich durch Felsstürze und Kriegsgeschrei an der Vertreibung der persischen Plünderer beteiligte (Herod. VIII 37–39). Der Name προνηίη oder προναία herrscht bei den Schriftstellern des 5. Jhdts. (Herod. a. a. O. Aisch. [1969] Eumen. 21) und wird durch die Inschriften bestätigt, Curtius Anecd. Delph. nr. 43. 45, er wird aber bereits bei den attischen Rednern des 4. Jhdts. in Πρόνοια umgedeutet (Demosth. XXV 34). Unter demselben Namen wird sie auf Delos verehrt, mit der Motivierung, dass ihre Fürsorge die Geburt des göttlichen Zwillingspaares ermöglicht habe (Macrob. sat. I 17, 55). Ein νεὼς Ἀθηναίων auf Delos inschriftlich CIA II 818, 9. Bull. hell. 1882, 343. Zwischen Delos und Delphi erscheint A. mit Leto und ihren Kindern verbunden im attischen Demos Prasiai, Paus. I 31, 2 (angeblich Stiftung des Diomedes), und wohl durch eine nicht ursprüngliche Deutung des Beinamens am Vorgebirge Zoster (Paus. I 31, 1). Auch die A. πρόναος vor dem Ismenion zu Theben (Paus. IX 10, 2) mag in diesen Kultkreis gehören. Der Name πρόνοια in diesen Kulten ist natürlich nur eine Umdeutung des 4. Jhdts., welche aber bei dem universalen Charakter der Stadtschirmerin A. nahe genug lag. Auffällig und bezeichnend für die Ehrfurcht vor der localen Überlieferung ist es, dass in Eleusis der Dienst der A. keinen Filialkult erzeugt hat.

25. Megara. Auf der Burg von Megara erwähnt Pausanias I 42, 4 drei Tempel der A., einen mit einem Goldelfenbeinbilde ohne besondere Bezeichnung, doch wohl das Hauptheiligtum der Polias, ein zweites der A. Nike und ein drittes der A. Aiantis, das nach Pausanias unmassgeblicher Meinung der Telamonier Aias, als er in der Herrschaft dem Alkathoos nachfolgte, gestiftet haben soll, während die megarischen Exegeten über den Beinamen einen λόγος hatten, den sie verschwiegen. Ein Heiligtum der A. Αἴθυια und einer Klippe am Strande erwähnt Paus. I 5, 3. 41, 6 in Verbindung mit dem Grabe des Pandion, das auf derselben Klippe sei. Der Beiname αἴθυια auch bei Lykophron 559. Nach Hesych. s. ἐνδαρθυία nahm A. in Gestalt des Seevogels αἴθυια den Kekrops unter ihre Flügel und brachte ihn nach Megara. Von diesen beiden Heroen ist Pandion sicherlich in Megara ursprünglicher, als in Attika, während Kekrops in gleicher Weise in beiden Landschaften heimatberechtigt sein mag. Ehe unter dem Einfluss der attischen Sagenconstruction die megarische Überlieferung verbogen worden war, wird A. hier ebenso wie in Athen Pflegerin des ersten Landeskönigs gewesen sein; vielleicht ist nicht ohne Bedeutung, dass nach Paus. I 42, 7 unter der Burg (auf dem Wege zum Prytaneion) ein mit Oliven bestandenes Heroon war, angeblich der Ino, deren Leichnam hier angeschwemmt und von Kleso und Tauropolos bestattet worden sein soll. Tauropolos ist A. auf Andros, Suid. s. Ταυροβόλος. Phot. s. ταυροπόλος. Schol. Aristoph. Lysist. 448. Die Vogelgestalt der αἴθυια mahnt an die andere Vogelmetamorphose in der Familie des Pandion. Den Namen der Aiantis von der in der Poesie geschaffenen Feindschaft gegen den rasenden Aias herzuleiten (O. Müller Kl. Schr. II 183), ist kein hinreichender Grund vorhanden, wenn auch das Schweigen der localen Exegeten eine einfache Stiftungssage ausschliesst und auf irgend einen vielleicht blutigen μυστικὸς λόγος zu führen scheint. Der megarische A.-Kult ist in der Wurzel sicher weit älter, als die Dorisierung der Landschaft. [1970]

26. In Phokis werden ausser dem delphischen Kulte noch zwei A.-Heiligtümer genannt, eines bei Daulis mit einem alten Schnitzbilde, das man durch Prokne aus Attika ableitete (Paus. X 4, 9), und auf einem steilen Hügel zwanzig Stadien von Elateia der Tempel der A. Kranaia mit einer Statue des Polykles (Paus. X 34, 7). Endlich befand sich bei den Lokrern in Amphissa ein altes ehernes Palladion, welches Thoas aus Troia mitgebracht haben sollte (Paus. X 38, 5). Man würde die Stiftungssage auf das blosse Bestreben, das Götterbild von dem berühmten troianischen abzuleiten, zurückführen, wenn nicht nach Pausanias a. a. O. in Amphissa auch die Gräber des Andraimon und der Gorge, der Eltern des Thoas, sich befunden hätten. Diese Heiligtümer sprechen dafür, dass die Amphissaeer sich mit Recht aus Aitolien herleiteten (Paus. a. a. O. § 2). Es liegt wohl an der Beschaffenheit der Überlieferung, dass wir von A.-Kult in Aitolien selbst nichts wissen, doch würde – abgesehen von dem aitolischen Monatsnamen Ἀθάναιος K. F. Hermann Monatskunde 44. E. Bischoff De fastis Graec. antiquioribus, Leipz. Stud. VII 363 – schon das Verhältnis der Göttin zu Tydeus in der thebanischen Sage für den Kult der Göttin in jener Landschaft sprechen, auch wenn man ihre Verbindung mit Diomedes erst in Argolis wollte zu stande gekommen sein lassen. Rückert Dienst der A. 84ff. sucht auch den achaeischen, elischen und italischen A.-Dienst aus Aitolien herzuleiten. Da diese Herleitung aber für den achaeischen Dienst ganz unsicher ist, und auch in Elis der Kult vor der aitolischen Occupation bestanden haben kann, so lässt sich für die italischen Kulte wohl auch nur westgriechischer Ursprung im allgemeinen annehmen, obwohl die weite Verbreitung des Diomedes in Unteritalien für starke Beteiligung des aitolischen Elements spricht. Wohl nur die frühe Barbarisierung der westlichen Landschaften Mittelgriechenlands ist Ursache, dass uns von altem A.-Kult in jenen Gegenden nichts überliefert ist. Indes führt in die älteste Phase des A.-Dienstes vielleicht ein Feldstein mit der Inschrift Ἀθανᾶς Διός, welcher bei Kechropula in Akarnanien gefunden wurde (Foucart Bull. hell. II 515).

27. Peloponnes. In Trozen (zum folgenden vgl. S. Wide De sacris Troezeniorum Hermionensium Epidauriorum, Upsala 1888, 15ff.) wird A. auf der Burg verehrt als Polias oder Sthenias neben Poseidon βασιλεύς. Auch hier wird die Kultnachbarschaft als Ergebnis eines durch Zeus geschlichteten Streites um die Herrschaft des Landes gefasst. Das Kultbild war von dem Aigineten Kallon (Paus. II 30, 6. 32, 4). Wie in Athen φρατρία, war in Trozen A. ἀπατουρία als welcher ihr die Jungfrauen vor der Hochzeit den Gürtel weihten (Paus. II 33, 1), wie dem Hippolytos eine Haarlocke (Eur. Hippol. 1425. Paus. II 32, 1). Der Tempel der Apaturia lag auf der kleinen Insel, welche nach dem Grabe des Wagenlenkers des Pelops, Sphairos, Sphairia genannt war. Als Aithra, die Tochter des Pittheus, diesem einst eine Totenspende brachte, umarmte sie Poseidon und zeugte mit ihr den Theseus. ,Deshalb‘ errichtete sie dort den Tempel der A. ἀπατουρία und die Insel hiess seitdem Hiera (Paus. II 32, 1).

Im Gebiet von Hermione wird auf dem Vorgebirge [1971] Buporthmos ein Heiligtum der Demeter Promachorma erwähnt (Paus. II 34, 8) und auf der alten Stätte von Hermione an der Küste zwei A. Tempel nicht weit von einem des Poseidon (Paus. ebd. § 10); ein nicht altes Bild der A. befand sich zu Hermione selbst im Tempel der (Demeter) Chthonia (Paus. II 35, 8).

Zu Epidauros befand sich auf der Akropolis ein Tempel der A. κισσαία (Paus. II 29, 1). Die durch die griechischen Ausgrabungen entdeckten Inschriften nennen A. Polias Ἐφημ. ἀρχ. 1885, 195, Kalliergos (= Ergane) Ἐφημ. ἀρχ. 1884, 28, Hygieia Δελτίον Mai Juni 1886. Über die späten nach den Darstellungen der A. der Parthenongiebel recht unpassend gebildeten Votivstatuen und die Verbindung der A. mit den Heils- und Geburtsgöttern vgl. Petersen Athen. Mitt. XI 309ff.

28. In Korinth hat A. als χαλινῖτις Kult und Tempel in der Unterstadt nahe beim Theater (Paus. II 4, 1. 5). Der Beiname wird durch die Sage erklärt, dass sie den Bellerophon die Zügelung des Pegasos gelehrt habe. Nach Pindar Ol. XIII 80 erblickt Bellerophon den Zügel im Traum, worauf er dem Poseidon Damaios einen Stier opfert und der A. Hippia einen Altar baut. Seit dem 6. Jhdt. zeigen die korinthischen Münzen A.-Kopf und Pegasos. Die Scholien zu Pindar Ol. XIII 56 (vgl. Etym. M. s. Ἑλλώτια) identificieren wohl fälschlich die A. Hellotis mit der Chalinitis (ἀπὸ τοῦ ἑλεῖν sc. τὸν ἵππον). Ihr Fest, dessen Hauptbestandteil ein Fackellauf war, scheint einen lustralen Charakter gehabt zu haben. Motiviert wird er durch die Sage, dass bei der dorischen Eroberung der Tempel in Brand geraten und in den Flammen die Jungfrauen Hellotis und Eurytione oder Hellotis und ihre Tochter Chryse umgekommen seien. In Gortyn feierte man unter dem Namen Hellotia der Europe ein Totenfest (Athen. XV 678 b. Steph. Byz. s. Γόρτυν. Hesych. und Etym. M. s. Ἑλλώτια), so dass wohl Hellotis als ursprünglich selbständige Gestalt anzuerkennen ist. Dass alle in Korinth localisierten Sagen dort nicht alt sind und dass Bellerophon (und mit ihm wohl auch A. Chalinitis) aus Argos stammt, da Ilias VI 152 unter Ephyre jedenfalls nicht Korinth zu verstehen ist, weist E. Bethe Theban. Heldenlieder 178ff. nach. Von hohem Alter war angeblich der Tempel der A. zu Sikyon. Er war nach Paus. II 6, 2. 11, 1 von Epopeus gestiftet, und A. hatte auf sein Gebet ihr Wohlgefallen dadurch kund getan, dass sie vor dem Tempel eine Ölquelle entspringen liess. Ein Heiligtum der A. Kolokasia in Sikyon erwähnt Athen. III 72 b. Die vom Blitze getroffene A.-Statue des Dipoinos und Skyllis, die Plinius XXXVI 10 erwähnt, war doch gewiss das Tempelbild, denn auch der Tempel war zu Pausanias Zeit durch ein Gewitter verbrannt und nur der Altar stand noch.

In Titane erwähnt Paus. II 11, 7 ein Heiligtum der A., wo beim Asklepiosopfer das Bild der Koronis aufgestellt und verehrt wurde. In Kleonai war ein Tempelbild der A. von Dipoinos und Skyllis, Paus. II 15, 1.

29. Ein Hauptsitz des peloponnesischen A.-Dienstes ist Argos. Am Markt besass A. als Salpinx ein Heiligtum (Paus. II 21, 3), unter dem merkwürdigen Beinamen Pania wurde sie im Gymnasion [1972] des Kylarabos verehrt, der mit Sthenelos identificiert wurde, dessen Grab man dort zeigte (Paus. II 22, 9). Auf dem Bergrücken Deiras befand sich das Heiligtum der A. Oxyderkes, Paus. II 24, 2, angeblich von Diomedes gestiftet und so genannt, weil sie ihm bei Homer Il. V 127 den Nebel von den Augen nahm. Auf der Burg Larisa stand ein ansehnlicher A.-Tempel neben dem des Zeus Larisaios (Paus. II 24, 3). Während in ersterem zu Pausanias Zeit nur noch die Basis des Kultbildes vorhanden war, befand sich in letzterem als Weihgeschenk ein altes dreiäugiges Idol des Zeus, angeblich der Zeus ἑρκεῖος des Priamos, den Sthenelos aus der troischen Beute erhalten haben sollte (vgl. auch Paus. VIII 46, 2). Den Beinamen ἀκρία bezeugt Hesych s. v., für diese A. nach Clem. Alex. protr. p. 13 war in dem Tempel das Grab des Akrisios. Vermutlich mit einem dieser beiden A. Bilder identisch ist das angebliche troische Palladion, das Paus. II 23, 5 nur anführt, um seine Echtheit zu bestreiten. Im Kult war Diomedes mit der argivischen Pallas eng verbunden, in seinem Geschlechte blieb das Priestertum. Ergiaios, einer seiner Nachkommen, verriet nach Plut. quaest. graec. 48 die Stadt an die Dorier, indem er dem Temenos das troische Palladion auslieferte, welches dann Leagros, mit Temenos zerfallen, nach Sparta brachte, eine Version welche die dorischen Argiver schwerlich anerkannt haben werden. Nach Kallimachos hymn. V 37 flüchtete vielmehr Eumedes (jedenfalls auch ein Diomedide), als er vom Volke gesteinigt werden sollte, nach den Scholien wegen desselben Verrats, das Bild der Göttin auf das Gebirge Kreion, wo er es an den steilen Παλλατίδες genannten Felsen errichtete. Wenn aber auf denselben Eumedes die Sitte zurückgeführt wird, bei dem Badefeste neben dem Palladion den Schild des Diomedes zu tragen – woran wohl trotz der Lücke vor v. 37 kein Zweifel ist –, so wird im allgemeinen Glauben doch dies Palladion das von Diomedes erbeutete gewesen sein, auch wenn Kallimachos aus besondern Gründen einer andern Version folgt, und dies wird doch wohl wie in Athen die Pallas von der Akropolis gewesen sein, die πολιᾶχος nach Kallim. a. O. 53. Die A. Oxyderkes kann der ἀκρία diesen Rang nicht streitig machen, da sie als Stiftung des Diomedes nicht älter als dieser und jünger als der troische Krieg zu sein beansprucht, und auch der von Sthenelos erbeutete Zeus ἑκρεῖος des Priamos im Tempel der ἀκρία spricht für die troische Herleitung dieses A. Kultes, die natürlich secundär, aber doch anerkannter und in gewisser Weise berechtigter als die athenischen, spartanischen und anderweitige Ansprüche ist. Vgl. o. § 3.

30. Es scheint also, dass die beiden argivischen Heroen, Diomedes und Perseus, zu demselben Local des A. Kultes, dem der A. Polias auf der Larisa, in Beziehung standen, obwohl ihre Sagenkreise verschiedenen Landschaften angehören. Das wichtigste argivische Fest der Pallas, von dem wir Kunde haben, ist das Bad, welches Kallimachos in seinem fünften Hymnus vor Augen hat. Jungfrauen aus dem Geschlechte der Arestoriden (v. 34 codd. Ἀκεστοριδᾶν, corr. Valckenaer) bereiteten das Bad von dem Wasser des Inachos, aus welchem an diesem Tage zu profanen Zwecken nicht geschöpft werden durfte. Männer durften [1973] bei Todesstrafe die Caerimonie nicht schauen (v. 54). Welche Rolle dabei der Schild des Diomedes spielte, ist unbekannt. Schilde scheinen dem argivischen Kultus überhaupt eigen zu sein (Schild des Euphorbos im Heraion, Paus. II 17, 3). Jedenfalls ist Diomedes von alters her mit A. im Kulte verbunden, wie auf Cypern mit A. und Aglauros, Porphyr. de abst. II 54. Ob er in Argos aus Aitolien stammt, und nicht vielmehr in Aitolien, Argos, Cypern nur Bruchstücke eines älteren und weiter verbreiteten Kultes vorliegen, lässt sich nicht entscheiden, doch ist letzteres wahrscheinlich. Dass das Badefest der argivischen Pallas nicht ohne Sühnecaerimonien war, beweist schon der Name der Arestoriden, deren Eponymos in verschiedener Weise lediglich genealogisch in die mythische Urgeschichte von Argos verwoben ist. Perseus ist sagenhaft eng mit der argivischen A. verknüpft. Auch auf Seriphos hat Perseus ein Temenos neben dem Tempel der A., Paus. II 18, 1 (mit O. Müllers Emendation Proleg. 311. 434), nach Hygin. fab. 6 wäre er dort im Tempel der A. erzogen worden. Er ist sicherlich in Argos alteinheimisch, und seine Thaten müssen früh im Lied verherrlicht sein, da bereits die hesiodische Theogonie eine alte Perseis zu berücksichtigen scheint (v. 275ff.), in deren Mittelpunkt die Enthauptung der Gorgo steht; auch die archaische Kunst der verschiedensten Landschaften spricht für die ungemeine Verbreitung gerade dieser Sage. Das schreckliche Haupt der Gorgo in der Aigis der A. kennt bereits die Ilias V 733ff., womit natürlich nicht gesagt ist, dass der Dichter die Perseussage nicht kennt, weil er sie nicht erwähnt. Wenn dagegen Odysseus Od. XI 633 in der Unterwelt das schreckliche Haupt der Gorgo zu erblicken fürchtet, so ist diese Vorstellung älter als der Perseusmythos oder jedenfalls von ihm unabhängig. Ursprünglich stehen auch selbständig neben einander das Gorgoneion als Brennpunkt der schreckenerregenden Macht der Aigis und die Enthauptung der Gorgo-Medusa durch Perseus, welche eigentlich eine Entbindung ist, da aus dem Halse der Gorgo Chrysaor und Pegasos entspringen, welche Gorgo von Poseidon empfangen hatte (Hes. theog. 278ff.). In Argos ist das Gorgoneion der A. mit der Perseussage verbunden worden, so dass A. als Helferin bei dem Abenteuer erscheint und dem Helden schliesslich die Spolie, mit der er leicht Unheil anrichten könnte, abnimmt. Die Verbindung beider Mythen ist spielend und nicht sehr alt, wie einerseits die abweichende attische Gorgonensage, andrerseits das Grab des Gorgonenhauptes am Markte von Argos selbst (Paus. II 21, 5) beweist. Es ist zweifelhaft, ob ursprünglich das Verhältnis der A. zu Perseus enger war, als das zu Herakles oder Odysseus. Hesiod und ein guter Teil der archaischen Bildwerke kennt die Beteiligung der A. bei dem Abenteuer nicht. Die ähnlichen Sagen: ,A. enthauptet die Gorgo‘, und: ,Perseus enthauptet die Medusa‘, können in Argos contaminiert sein, obwohl ganz verschiedener Wurzel entsprungen. Es ist daher A. Voigt (Beiträge zur Mythol. des Ares und der A., Leipz. Stud. IV 284) zuzugeben, dass es nicht notwendig ist, mit Preller ,die Anfänge des Perseusmythos im Kreise der argivischen Dienste des Zeus und der A.‘ zu suchen, doch sind die eigenen [1974] Combinationen Voigts a. a. O. S. 270–286 gleichfalls sehr unsicher. Nach ihm hätte sich die kultiviertere hellenische A. über ihre landschaftliche Vorgängerin Gorgo gelagert, welche ursprünglich mit Perseus ehelich verbunden gewesen wäre, die Enthauptung wäre eigentlich ein Ausdruck für die Ablösung im Kult, was sicher unrichtig ist.

Dass der korinthische A.-Kult vom argivischen abhängig sei (O. Müller Kl. Schr. II 174), lässt sich nicht wahrscheinlich machen.

31. Sehr verbreitet ist in Arkadien der Kult der A. (die Quellen sind gesammelt von Immerwahr Die Kulte und Mythen Arkadiens 47–72; seine Herleitung der Kulte von verschiedenen Stämmen ist ganz willkürlich). Arkadien eigentümlich ist der Beiname , welcher in guter Zeit vorangesetzt zu werden pflegt, woraus nicht mit Notwendigkeit seine einstige selbständige Existenz folgt, wie Meister Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1889, 83 (vgl. Griech. Dial. II 296f.) will. O. Müller Min. Pol. 7; Kl. Schr. II 177 und Welcker Prom. 280 identificieren den Beinamen mit ἀλέα = Wärme, für die andere schon von Rückert Dienst der A. 150 vorgeschlagene Auffassung ἀλέα = Schutz tritt neuerdings Meister a. a. O. ein, während Immerwahr a. a. O. 62 beide Deutungen für richtig, doch die von O. Müller vorgeschlagene für älter zu halten scheint. Dass für die andere Erklärung das Asylrecht gerade dieser Göttin spricht, erkennt schon O. Müller an.

Ein Tempel der A. Alea zu Alea selbst wird von Pausanias VIII 23, 1 nur ganz kurz erwähnt. Der Dienst der Göttin findet sich noch in Tegea und Mantinea (s. u.) und in Lakonien auf dem Wege von Sparta nach Therapne (Xen. hell. VI 5, 27. Paus. III 19, 7). Dass der Ausgangspunkt des Kultus Alea noch später besonderes Ansehen genoss, würde eine zu Tegea gefundene Inschrift aus dem Ende des 5. oder Anfang des 4. Jhdts. beweisen (zuerst publiciert von Bérard Bull. hell. XIII 281ff., besprochen von Meister Ber. d. sächs. Ges. d. W. 1889, 71ff.), wenn ἰν Ἀλέᾳ mit Meister auf den Ort Alea zu beziehen wäre, was ja am nächsten zu liegen scheint. Bérard denkt dagegen an den heiligen Bezirk der A. Alea in Tegea selbst, wofür der Fundort der Inschrift spricht; wenn in Ἀλέα die locale Bedeutung der Zuflucht noch empfunden wurde, so würde diese Auffassung den Vorzug verdienen, da sämtliche genannte Beamten und Behörden ohne locale Bezeichnung auftreten, also jedenfalls einem Orte und dann doch wohl dem Fundorte der Inschrift zugehören, da auch über das Festlocal, für welches Meister Tegea und Alea in Anspruch nimmt, keine unterscheidenden Bestimmungen sich finden. Jedenfalls handelt es sich um einen A.-Kult, an welchem sich zahlreiche Fremde beteiligen. Dass dieser Kult amphiktionisch organisiert gewesen sei, schliesst Meister aus dem Vorkommen eines und mehrerer ἱερομνάμονες nach Analogie der pylaeischen Amphiktionie, aber nicht zwingend, da die arkadischen Hieromnamonen so untergeordnete Functionen wie den Verkauf der Opferbedürfnisse zu vollziehen haben. Ausser diesen wird ein Priester, ein ἱεροθύτας, die Damiorgen, eine Behörde von 50 und eine von 500 erwähnt. Die Inschrift beschäftigt sich mit dem Weide- und Wegrecht [1975] des heiligen Bezirks und den darauf bezüglichen Strafgeldern und Gebühren. Erwähnt wird gelegentlich eine πανάγορσις und eine τριπανάγορσις, vielleicht ein dreitägiges Fest.

Jedenfalls betrachteten die Tegeaten ihr Heiligtum nicht als eine Filiale, da sie es von Aleos, dem Vater des Apheidas und Kepheus, gegründet sein liessen (Paus. VIII 45, 4). Der alte Tempel war 395 abgebrannt, dann prächtig wieder aufgebaut und von Skopas mit Sculpturen geschmückt (Paus. VIII 47, 1). Die Reste des skopasischen Tempels sind besprochen von Milchhoefer Athen. Mitt. V 52ff. Dörpfeld ebd. VIII 274ff. Das alte Tempelbild des Endoios hatte den Brand überdauert, war aber von Augustus nach Rom gebracht worden; zu Pausanias Zeit war es durch eine A. Hippia aus dem Gau der Manthureer ersetzt, wo Gigantomachiesage heimisch war. Zur Seite der A. standen Asklepios und Hygieia von Skopas Hand, welche Kultgemeinschaft jedenfalls nicht älter ist. Der Altar galt für eine Stiftung des Melampus, unter den ,Weihgeschenken‘ ist ausser der Spolie des kalydonischen Ebers eine Kline hervorzuheben, aus welcher Rückert 151 vielleicht mit Recht auf Lectisternien im Kulte schliesst, ferner ein Peplos, welchen nach einem Epigramm Laodike, die Tochter Agapenors, des arkadischen Oikisten von Kypros, gestiftet hatte (Paus. VIII 5, 3) und welcher vielleicht auch für irgendwelche Kulthandlungen vorbildlich war. Das Priesteramt versah nach Pausanias ein noch nicht mannbares Mädchen, doch wird auf verschiedenen Inschriften auch ein Priester genannt, welcher der eponyme Beamte Tegeas ist (Sauppe De tit. Teg. 4 = Dittenberger Syll. 317 u. a., vgl. Immerwahr 54). Zwei Festspiele der Göttin erwähnt Paus. VIII 47, 4, die Helotia für einen Sieg über die Spartaner gestiftet und die Aleaia. Ein Sieger im Dolichos an den Aleaia wird erwähnt CIG 1515 = Collitz I 1232. Nördlich vom Tempel befand sich die Quelle, bei welcher Auge, der Tochter des Aleos, der Priesterin der A., von Herakles Gewalt angethan war (Paus. VIII 47, 4); ihren Sohn Telephos verbarg sie in dem heiligen Bezirk der Göttin, welche darauf das Land mit Unfruchtbarkeit heimsuchte, bis Auge und das Kind in einer Lade dem Meere überlassen wurden (Strab. XIII 615, nach Euripides Apollod. II 7, 4. 9, 1).

Für das Asylrecht des Tempels im 6. und 5. Jhdt. vgl. Paus. III 7, 9. II 17, 7. III 5, 6. Plut. Lys. 30. Auch bei Herodot. IX 37 spielte es wohl eine Rolle. Ausserdem besassen die Tegeaten noch ein Heiligtum der A. Poliatis, das der Priester nur einmal jährlich betrat, dieses hiess das Heiligtum des Hortes (τὸ τοῦ ἐρύματος ἱερόν), weil es Haare der Gorgo barg, welche A. selbst dem Kepheus gegeben hatte und welche der Stadt die Uneinnehmbarkeit sicherten (Paus. VIII 47, 5). Nach Apollod. II 7, 3 hatte Herakles die Locke von A. in einer ehernen Hydria empfangen und sie der Tochter des Kepheus Sterope gegeben. Die Übergabe der Locke an Sterope ist dargestellt auf einer tegeatischen Münze Journ. Hell. Stud. VII 113 pl. 68, 22. 23. Den Namen Ϝασστύοχος giebt für die Poliatis eine Inschrift CIG 1520 = Röhl IGA 96 = Collitz I 1218. Eine der vier tegeatischen Phylen hiess Ἀθανεᾶτις [1976] nach Paus. VIII 53, 6, als Ἀθαναιᾶτις erscheint sie inschriftlich bei Le Bas-Foucart 3386, ihre Angehörigen heissen ἐπ’ Ἀθαναίαν πολῖται CIG 1513. 1514 = Collitz 1231, einfach ἐπ’ Ἀθαναίαν in einer von Milchhoefer publicierten Inschrift Athen. Mitt. IV 141 = Collitz 1247.

Den Kult der A. Alea in Mantinea erwähnt Pausanias kurz VIII 9, 6. Auf einen in ihrem Heiligtum verübten Tempelraub bezieht sich eine Inschrift des 5. Jhdts., erklärt von Homolle Bull. hell. XVI 586ff. dazu J. Baunack Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1893, 93ff. Dittenberger Herm. XXVIII 472. Dümmler Delphika 27. B. Keil Gött. Gel. Nachr. 1895, 349ff. Auch hier ist eine Phyle ἐπ’ Ἀλέας inschriftlich bezeugt Bull. de l’école franç. d’Athènes 1868, 5.

32. Im Gebiete der Mainaler lag der Flecken Pallantion, in welchem ein Tempel mit Bildern der Pallas und des Euandros war, Paus. VIII 44, 5, im Gebiet desselben Stammes in Asea ein Tempel der A. Soteira und des Poseidon von Odysseus gestiftet (ebd. § 4), nicht weit davon der Ort Ἀθήναιον mit Tempel und steinernem Bilde der A. Nach Dionys. Hal. I 33. 68 war Lykaons Sohn Pallas, der Gründer von Pallantion, Erzieher der A., wodurch das Palladion in sein Haus kam; Pallas Tochter Chryse brachte dies ihrem Gatten, dem Arkader Dardanos, zu, durch welchen es dann nach Troia gelangte. Diese pragmatische Geschichte, welche die römische Herleitung der Staatssacra aus Troia und die arkadische Ableitung des Palatin zu verbinden ersonnen ist, enthält kaum Elemente echter Altertümlichkeit. Am wenigsten sind wir berechtigt, die ganz indifferente Pallastochter Chryse mit der lemnischen Chryse gleichzusetzen und daraus zu folgern, dass diese eigentlich eine troische Pallas gewesen sei, wie O. Müller Kl. Schr. II 177 und Welcker Gr. Götterlehre I 308 nach dem Vorgange Buttmanns und Rückerts thun.

33. Ein merkwürdiges Bild der A., den Schenkel mit einer roten Binde verbunden, befand sich in Teuthis. Die Legende (Polemon bei Clem. Alex. Protrept. p. 31 und Paus. VIII 28, 5) erzählt, A. sei dem Teuthis, der das Contingent seiner Heimat gegen Troia befehligte und in Aulis infolge eines Zerwürfnisses mit Agamemnon in die Heimat zurückführte, in Gestalt des Melas entgegengetreten und so von ihm mit dem Speer am Schenkel verwundet worden. Als dann göttliche Strafen ihn und das Land heimsuchten, sei unter andern Sühnemitteln die Verbindung des Götterbildes von Dodona aus angeordnet worden.

Mehrfache Spuren deuten darauf, dass einst in Arkadien Sagen von der A.-Geburt zu Hause waren, nicht immer mit der kanonischen bei Hesiod übereinstimmend.

Bei Kleitor hatte A. Koria auf einem Berge einen Tempel, Paus. VIII 21, 4. Nach Cic. de n. d. III 59 war diese A. eine Tochter des Zeus und der Okeanostochter Koryphe und Erfinderin des Viergespanns. Nach Mnaseas ἐν Εὐρώπῃ bei Harpokration s. Ἱππία ist der Vater der A. ἱππία Poseidon, die Mutter Koryphe Tochter des Okeanos. Mit Poseidon Hippios verbunden, dessen Kult auf Odysseus zurückgeführt wurde, wurde A. Tritonia zu Pheneos verehrt (Paus. VIII 14, 4), dagegen wurde zu Aliphera im Alpheiosthale [1977] der Wöchner Zeus (Λεχεάτης) verehrt. A. sollte dort geboren und erzogen sein, und eine Quelle Tritonis wurde dort gezeigt (Paus. VIII 26, 6).

Jung sind natürlich A. Poliatis und Ergane in Megalopolis (Paus. VIII 31, 6. 32, 4), der letzteren verwandt A. μηχανῖτις bei Megalopolis (Paus. VIII 26, 5; vgl. Polyb. IV 78).

34. In Achaia befand sich ein A. Tempel zu Tritaia, wo man auch der Tritaia und dem Ares opferte (Paus. VII 22, 8–10). Diese Tritaia, eine Tochter Tritons, sollte als Priesterin der A. vom Ares den Melanippos geboren haben, welcher dann Gründer der Stadt wurde. In Pellene, dessen Gründung die Eingeborenen auf einen Titanen Pallas zurückführten (Paus. VII 26, 5), war ein Heiligtum der A. mit einem frühen Goldelfenbeinbilde des Pheidias (Paus. VII 27, 1). Plutarch Arat. 32 erzählt, als Arat die Aitoler aus Pellene getrieben habe, habe es zur Flucht der Feinde wesentlich beigetragen, dass eine gefangene Jungfrau, die ein Aitolerführer durch Aufsetzen seines Helmes als sein Eigentum bezeichnet hatte, plötzlich aus dem Artemistempel, wo sie gehütet wurde, hervorgetreten sei. Nach dem Bericht der Pelleneer selbst habe die Priesterin vielmehr das Bild der Göttin selbst den Feinden entgegengetragen und sie damit in wilde Flucht getrieben. Dieses Bild sei nämlich so furchtbar, dass nicht nur kein Mensch seinen Anblick ertrüge, sondern auch Laub und Frucht vor ihm verdorre. Der Bericht des Plutarch geht entschieden auf das Bild der Artemis, zu welchem aber der buschige Helm nicht passt. Da nun nach Paus. a. a. O. und Polyaen. VIII 50 das Heiligtum der Artemis und der A. benachbart waren, so kann bei Plutarch eine Verwechslung oder Unklarheit vorliegen, möglicherweise auch eine blosse Verderbnis, und wir würden mit O. Müller Kl. Schr. II 183 Plutarchs Bericht auf ein älteres Idol der A. zu beziehen haben, das vielleicht in der von Pausanias erwähnten Krypta unter dem Bilde des Pheidias für gewöhnlich verborgen gehalten wurde.

35. In Elis scheint alter A.-Kult nicht sehr verbreitet gewesen zu sein. Nicht deutlich sagt Pausanias V 3, 2, wo sich der Tempel der A. μήτηρ befand, doch wohl in der Nähe des Feldes und Flusses Bady (bezw. Vady), wo sie das Wunder verrichtete, das ihr den Beinamen verschaffte; sie soll nämlich nach den Verlusten, welche Herakles der Bevölkerung beigefügt hatte, die elischen Frauen auf ihre Bitte fruchtbar gemacht haben. Auf der Akropolis von Elis selbst war ein Heiligtum der A. mit einem Goldelfenbeinbilde, das Paus. VI 26, 3 dem Pheidias, Plin. n. h. XXXV 54 mit grösserer Wahrscheinlichkeit dem Kolotes zuschreibt. Der Kult der A. Kydonia in dem später verfallenen Phrixa im Alpheiosthale wurde von Kreta hergeleitet, Paus. VI 21, 6. In Olympia erscheint in der Altarperiegese an fünfter Stelle eine A. mit zweifelhaftem Beinamen (Laoitis?), an sechster A. Ergane, welcher auch die Phaidrynten, die Nachkommen des Pheidias, opfern, ehe sie sich mit der Behandlung der Zeusstatue befassen, Paus. V 14, 5, ein Altar der A. Hippia neben dem des Ares Hippios wird V 15, 6 erwähnt. Einen Kult der A. Narkaia soll in Olympia Narkaios eingerichtet haben, der auch den Kult seines Vaters Dionysos stiftete (Paus. V 16, 7). [1978]

Sehr wenig ist auch in Messenien von altem A.-Kult bekannt. Der Kult von Korone, das an Stelle des alten Aipeia lag, ist eine Filiale des boiotischen aus dem 4. Jhdt., da der Neugründer der Stadt Epimelidas Koroneer war, auf der Akropolis stand im Freien eine Erzstatue der A. mit einer Krähe in der Hand (Paus. IV 34, 5. 6). In Mothone erwähnt Paus. IV 35, 8 einen Tempel der A. Anemotis, welche schädliche Winde abhielt, eine Stiftung des Diomedes. Auf dem Vorgebirge Koryphasion war ein Heiligtum der A. Koryphasia, daneben das Haus des Nestor (Paus. IV 36, 2), endlich in Kyparissiai wurde A. Kyparissia neben Apollon verehrt (Paus. IV 36, 7).

36. Um so verbreiteter ist der Kult der A. in Lakonien, zunächst in Sparta selbst (das Material ist vortrefflich zusammengestellt und erläutert von Sam Wide Lakonische Kulte, 1893, 48–62, so dass wir uns hier auf einige Hauptsachen beschränken dürfen). Auf dem Markt findet sich A. ἀγοραία in Verbindung mit Zeus ἀγοραῖος und, wie es scheint, Poseidon Asphalios, Paus. III 11, 9, beim Amtslocal der Bidiaeer ein Heiligtum der A. Keleutheia, das Odysseus nach Besiegung der andern Freier der Penelope im Wettlauf errichtet haben sollte (Paus. III 12, 4), in der Nähe des Haines des Poseidon Tainarios ein Bild der A., von den ersten Colonisten Tarents gestiftet (Paus. III 12, 5), ein anderes Bild soll Theras gestiftet haben (Paus. III 15, 6), als Axiopoinos hat A. ein Heiligtum, das Herakles nach Bestrafung des Hippokoon gestiftet haben soll (Paus. III 15, 6), als Ambulia geniesst sie einen Altarkult gemeinsam mit Zeus und den Dioskuren, welche denselben Beinamen führen (Paus. III 13, 6). Das Hauptheiligtum ist jedoch das der A. πολιᾶχος, welche nach dem Erzschmuck ihres Tempels unter dem Namen Chalkioikos bekannt ist. Mythische Stifter des Tempels sind Tyndareos und die Dioskuren, die prächtige Ausstattung erfolgte wahrscheinlich erst im 6. Jhdt. durch einen einheimischen Künstler Gitiadas (Paus. ΙΙΙ 17, 2). Die Darstellungen der Bronzereliefs waren aus der Fülle der lebendigen Sage geschöpft, unter ihnen fand sich auch der Leukippidenraub und die Geburt der A. Auch das Tempelbild war von Erz. Ein Fest Ἀθάναια mit Wagenrennen bezeugt die bekannte Damononinschrift Röhl IGA 79. Auf der Burg befand sich ferner ein besonderes Heiligtum der A. ἐργάνη, Paus. III 17, 4.

Als Stiftung des Lykurg für die Rettung seines einen Auges galt das Heiligtum der A. ὀφθαλμῖτις oder wohl ursprünglicher ὀπτιλέτις (Plut. Lyk. 11. Paus. III 18, 2).

In der vielbesprochenen Rhetra Plut. Lyk. 6 wird Lykurg angewiesen, ein Heiligtum des Zeus Syllanios und der A. Syllania zu errichten. Die echte Altertümlichkeit der Rhetra unterliegt keinem berechtigten Zweifel. Änderungen des überlieferten Namens sind misslich. Eine Sillanyon wird in einer epidaurischen Inschrift in der 2. Hälfte des 3. Jhdts. nebst andern zwischen Epidauros und Korinth streitigen Örtlichkeiten von einem megarischen Schiedsgericht den Epidauriern zugesprochen, Ἐφημ. ἀρχ. 1887, 11. Collitz III 3025. Busolt Griech. Gesch. I² 511, 1 möchte diese Form in der Rhetra corrigieren.

In der Landschaft sind hervorzuheben: Ein [1979] Bild der A. Pareia neben einem Heiligtum des Achilleus auf dem Wege von Sparta nach Arkadien, Paus. III 20, 8: ein Heiligtum der A. Kyparissia auf der Burg von Asopos (Paus. III 22, 9); auf der Burg von Prasiai ein Bild der A. neben drei fusshohen männlichen Statuetten mit spitzen Hüten (Paus. III 54, 5); in Las ein Tempel der A. Asia von den Dioskuren nach der Rückkehr aus Kolchis gestiftet, wo A. Asia verehrt wurde (Paus. III 24, 7); ein Tempel und Bild auf der Burg von Gythion (Paus. III 21, 9) und sonst noch mehrfach. Der Kult der A. Alea zwischen Sparta und Therapne wurde bereits § 31 erwähnt.

Der spartanische König opfert beim Auszug zum Kriege vor dem Verlassen der Landesgrenzen dem Zeus und der A., Xen. resp. Lac. 13, 2.

37. A.-Dienst auf den Inseln des aegaeischen Meeres. Lediglich auf den südlichen Sporaden Kreta und Rhodos ist der Dienst der A. von Bedeutung.

In Kreta war die Sage der A. Geburt in Θεναί bei Knosos (Kallim. hymn. I 43) localisiert an den Quellen des Tritonbaches, wo sich ein Heiligtum der Göttin befand (Diod. V 72). Nach Aristokles in den Pindarscholien Ol. VII 66 war sie dort aus einer Wolke entsprungen, welche Zeus spaltete. Im benachbarten Knosos war ein daidalisches Xoanon der Göttin (Paus. IX 40, 3). In Hierapytna und Priansos wurde A. als Polias verehrt nach dem Vertrage zwischen den beiden Städten CIG 2555. 2556, in Hierapytna auch als Oleria (Steph. Byz. s. Ὤλερος). Zum Gebiete dieser Stadt gehörte auch das Heiligtum der A. Samonia oder Minoïs auf dem samonischen Vorgebirge, das von den Argonauten gestiftet sein sollte (Apoll. Rhod. Argon. IV 1691). Die Prasier machten A. und Helios zu Eltern der Korybanten (Strab. X 472) und wollten darauf eine Verwandtschaft mit den Rhodiern begründen. Auch in der orphischen Theogonie erschien in Anlehnung an kretische Sagen A. als Führerin der Kureten und Lehrerin der Pyrrhiche (frg. 134 Abel. Lobeck Aglaophamus I 541); Zeus und A. in einem alten Stadtgebet von Itanos, Museo italiano II 171. Mit Itanos will Rückert 158 Itone die Gemahlin des Lyktos zusammenbringen. In Korion wird nach Steph. Byz. s. Κόριον A. Koresia verehrt. Als Schwurgöttin erscheint A. Poliuchos im Ephebeneide von Dreros Cauer Syll.² 121.

38. In Rhodos war zu Lindos ein berühmter alter Kult der A. Das einfache Xoanon soll nach einer Sage Danaos auf der Flucht von Ägypten gestiftet haben (Herodot. II 182. Marmor Parium 16. Apollod. II 1, 10, vgl. Kallim. frg. 105. Diodor. V 58). Nach einer andern Sage bei Pind. Ol. VII 39–49. Diodor. V 56 verkündigte Helios nach der Geburt der Göttin den Heliaden, den ersten Einwohnern der Insel, dass diejenigen, welche der Göttin zuerst opferten, sie bei sich behalten würden. Die Heliaden brachten darauf in der Eile ein feuerloses Opfer, welches fortan in Gebrauch blieb, während Kekrops mit seinem Feueropfer etwas später fertig wurde. Rhodos überschüttete Zeus nach Einsetzung des Kultes mit einem Goldregen (Pind. Ol. VII 50; vgl. Philostr. imag. II 27). Auch Kadmos soll nach Diod. V 58 der lindischen A. als Weihgeschenk ein ehernes Becken mit phoinikischer (d. h. altertümlicher) [1980] Inschrift gestiftet haben, während er den Poseidonkult zuerst einsetzte und von Phoinikern aus seiner Begleitung versehen liess, in deren Geschlecht das Priestertum erblich blieb. Ein Olivenhain am Abhange der Burg von Lindos galt als Stiftung des Nireus (Anthol. Pal. XV 11). Nach Pindar Ol. VII 50ff. hätte A. den Heliaden selbst die Kunstfertigkeit verliehen, Bildwerke zu schnitzen, welche lebenden und sich bewegenden glichen. Nach Diodor. V 55 u. a. sind vielmehr die Telchinen die rhodische Bildschnitzerzunft, mit deren Beinamen verschiedene Götterbilder genannt werden (vgl. Overbeck Schriftqu. 40–55, wo aber Steph. Byz. s. Τελχίς fehlt. A. Kuhn Ztschr. f. vgl. Sprachf. I 193ff.). Noch Nikolaus von Damaskos frg. 116 (FHG III 549), der aber die Telchinen nach Kreta setzt, berichtet, sie hätten zuerst ein Bild der A. Τελχινία verfertigt, indem er das Beiwort als βάσκανος deutet, also nicht nur eine von Telchinen verfertigte A., sondern A. als Vorsteherin einer Telchinenzunft fasst. Eine A. Telchinia wurde nach Paus. IX 19, 1 zu Pausanias Zeit allerdings ohne Bild zu Teumessos in Boiotien verehrt, welchen Kult Pausanias mit Cypern, Rückert 162 mit dem lykischen Telmessos in Verbindung bringt. Offenbar ist Pindar gegenüber die spätere Tradition, welche die Telchinen an die Spitze der rhodischen Geschichte stellt und von ihnen die ikonischen Kulte ableitet, die ursprünglichere. Pindar ersetzt sie durch die Heliaden auch in ihrer eigentlichen künstlerischen Function, weil man den Telchinen wie einer barbarischen Zauberpriesterzunft allerhand boshaften Spuk nachsagte. Dagegen polemisch v. 53 δαέντι δὲ καὶ σοφία μείζων ἄδολος τελέθει. Wohl von Lindos stammt der Kult der A. Polias in Kamarina und in Akragas, wo er mit dem des Zeus verbunden war (Polyb. IX 27. Polyaen. VI 51. Diod. XIII 90. Boeckh zu Pind. Ol. II 1–17 p. 123, zu Ol. V 17–24 p. 150). Auf Kypros besitzt A. bei Idalion einen Tempel, in welchem Verträge aufgestellt wurden, sie war also wohl Polias, Collitz I 60. 62, eine Weihinschrift an A. aus Soloi ebd. 17. Eine A. Priesterin, die von gewissen Sühneriten den Namen ὑπεκκαυστρία hat, erwähnt in Soloi Plut. quaest. gr. 3. Der behelmte Kopf der A. kommt häufig vor auf Münzen von Salamis aus dem 4. Jhdt. A. in ganzer Figur, stehend und sitzend, auf Münzen von Kition derselben Epoche. Vgl. Six Revue numism. 1883, 249ff.

39. Von den kleineren Inseln des aegaeischen Meeres haben wir nur vereinzelte Erwähnungen des Kultes der A. Polias ist sie auf Amorgos CIG 2263 c. Bull. hell. XV 582, Ios Ross Inscr. ined. nr. 93, Kos Bull. hell. 1881, 220. Eine Inschrift von Arkesine auf Amorgos aus der Kaiserzeit erwähnt die A. Ἰτωνία und die ihr zu Ehren gefeierten Ἰτώνια Bull. hell. XV 590. Der Opferkalender von Kos Collitz IV 3636, 57 bestimmt als Opfer für A. Polias ein trächtiges Schaf, in einer koischen Inschrift aus dem Ende des 4. Jhdts. Collitz IV 3637, 22 kommt A. Machanis neben Zeus Machaneus vor. Weihinschrift an A. auf Astypalaia Bull. hell. XV 635. In Ionien ist der Kult der A. Polias ziemlich allgemein, doch haben wir darüber nur dürftige Nachrichten. In Erythrai beschreibt Pausanias VII 5, 9 einen Tempel der Polias mit einem thronenden Bilde des Endoios, [1981] den Polos auf dem Haupte, in den Händen eine Spindel. Vor dem Tempel standen Bilder der Chariten und Horen. In Chios erwähnt ein Heiligtum der A. πολιοῦχος Herodot. I 160, einen Tempel in Phokaia Xen. hell. I 3, 1. Paus. II 31, 6 (vgl. Bull. hell. I 1877, 84 nr. 17); der alte Tempel war von Harpagos verbrannt worden, das Bild hatten die Phokaier nach Herodot. I 164 mitgenommen. In ihrer Colonie Massalia nahm nach Iust. XLIII 5. 6 der A.-Kult einen hervorragenden Platz ein. In Milet wurde A. als Assesia verehrt (Herodot. I 19. Steph. Byz. s. Ἀσσησός). Die iasonische A. in Kyzikos wurde mit den Argonauten in Verbindung gebracht (Apoll. Rhod. I 955). In Teos wird ein Collegium der Panathenaisten erwähnt CIG 3073, und von der tetschen Gliederung der Bürgerschaft nach πύργοι stammt jedenfalls in der teïschen Colonie Abdera die A. ἐπιπυργῖτις, Hesych. s. v. Der Tempel der A. Polias zu Priene wurde zur Zeit Alexanders in ionischem Stile neu gebaut und von ihm geweiht, vgl. auch CIG 2904, ein Athenaion bei Ephesos Strab. XIV 634. Den ältesten Tempel in Asien zu haben, rühmt sich Kyzikos, Anthol. Pal. VI 342, vgl. Bull. hell. 1882, 613 (Inschrift). A. als landbesitzende Göttin in Halikarnass, Dittenberger Syll. 6.

40. Sehr schwer zu unterscheiden ist, wie weit der Kult der A. in der Troas ursprünglich, wie weit unter dem Einfluss des Epos entstanden ist. Die Angaben des Epos historisch zu nehmen, geht, wie wir § 4 gesehen haben, nicht an. Der Frevler gegen das Palladion Aias und der glückliche Erbeuter desselben Diomedes haben sicherlich bereits in Kulten des Mutterlandes ihre Wurzel, und der Bittgang der troischen Matronen, der sich mit diesem Palladion nicht verträgt, ist eine ganz junge Partie. Die Verbreitung des Kultus der A. Polias bei den am Epos beteiligten Stämmen genügte, sie zur Stadtgöttin von Troia zu machen. Sie ist ja weit weniger Troianerin als Apollon, welcher in der Ilias wirkliche Localfarbe besitzt. Jedenfalls aber gab es früh ein A.-Heiligtum an der Stelle, wohin man den Schauplatz der troischen Kämpfe verlegte. Vor dem Heereszuge nach Hellas opferte Xerxes daselbst tausend Kühe (Herodot. VII 43), und der Jungfrauentribut der Lokrer mag weit früher begonnen haben. Später nahmen dann die Bewohner von Neuilion für sich die Tradition in Anspruch (über den hellenischen Tempel vgl. Schliemann Ilios 680. Rossbach Arch. Ztg. 1884, 223; Fest, der Ἰλίεια Hesych. s. v. Athen. VIII 350f., Ἰλιακά CIG 3599, Panathenaeen CIG ebd. und 3601). Da man allerorts Palladien von dem troischen ableitete, so hat dieses natürlich auch allerhand Sagen attrahiert, die möglicherweise, ursprünglich anderswo heimisch, dem troischen Sagenkreise angepasst wurden. Die Nachrichten der Schriftsteller über das Aussehen des troischen Palladions sind ohne Wert, da sie jedenfalls von irgendwelchen archaischen oder archaistischen Idolen abgeleitet sind, die die betreffenden gerade für authentisch hielten. Das Epos wird weiter keinen Anhalt geboten haben, als dass das troische Palladion stehend und bewaffnet gebildet war. Dafür, dass es ein stehendes Idol war, spricht schon das Umklammern und Umreissen durch Kassandra, und möglicherweise war auch erzählt, dass die Göttin durch Bewegung der Waffen den Frevler [1982] zu schrecken suchte, wie ja noch Verg. Aen. II 174f. von dem geraubten Palladion, wohl nach einem Kykliker, ähnliche τέρατα zu berichten weiss. In der attischen Vasenmalerei des 6.–5. Jhdts. – aber auch schon an der korinthischen Kypseloslade – ist der Frevel des Aias ein sehr beliebter Stoff. Im s.–f. Stile ist das Palladion gebildet wie die A. Polias auf den panathenaeischen Amphoren, ausschreitend die Lanze schwingend, ebenso auf einer rhodischen Schale Journ. Hell. Stud. 1884 pl. 40. Auf jüngeren Vasen wird es antiquarisch richtiger mit geschlossenen Füssen gebildet, auf noch jüngeren ist es dann zum Teil barbarisch costümiert. Die Künstler folgten jeweilen der allgemeinen Vorstellung, die man in ihrer Zeit von einem Palladion hatte. Wenn Apollodor III 12, 3 berichtet, das troische Palladion habe in der Rechten den Speer, in der Linken Rocken und Spindel gehalten, so ist das ein archaistischer Pasticcio, der nach Ausweis der Münzen allerdings in Ilion verehrt wurde (vgl. Postolakkas bei Schliemann Ilios 713). Die Herleitung des troischen Palladions aus Arkadien und ihr römischer Ursprung wurde bereits § 32 besprochen. Eine merkwürdige, schwerlich alte Sage erzählt Apollod. III 12, 3: A. noch in der Zucht des Triton habe im Kampfspiel dessen Tochter Pallas getötet, nachdem Zeus diese durch Vorhalten der Aigis vom Stosse abgehalten habe. Sie habe dann in ihrer Trauer ein der Pallas ähnliches Xoanon hergestellt und mit der Aigis bekleidet und dies Bild bei Zeus aufgestellt. Zeus habe später, als Elektra vor ihm zu dem Bilde flüchtete, dieses mitsamt der Ate zur Erde geworfen. Apollodor erzählt die Sage als Vorgeschichte desselben Palladions, das dem Ilos vom Himmel gefallen sei, als er auf dem Hügel der Ate eine Stadt gründen wollte und um ein günstiges Zeichen bat. Beide Geschichten haben jedenfalls ursprünglich nichts mit einander zu thun. Die Vorgeschichte scheint – abgesehen von der für Troia erfundenen Schändung der Elektra – vielmehr dem athenischen Palladion zu gelten, an dem über φόνος ἀκούσιος gerichtet wurde. Von Ilos wird noch im plutarchischen Corpus parall. 17 erzählt, er sei erblindet, als er das vom Himmel gefallene Palladion aus dem brennenden Tempel gerettet habe, und sei, nachdem er die Göttin versöhnt habe, wieder sehend geworden, ὡς Δέρκυλλος ἐν πρώτῳ κτίσεων. Weitere Nachrichten lassen sich zu einer wahren Schauergeschichte combinieren. A. tötet ihren Vater Pallas, der sie schänden will (Cic. de n. d. III 59), zieht ihm die Haut ab und bekleidet damit das Palladion (Clem. Alex. protr. 2. Arnob. IV 14. 16 Schol. u. Eustath. zu Il. VI 91. 92. Tzetzes ad Lycophr. 355). Diese Fabeleien gehen von der etymologischen Deutung des Wortes Palladion aus und haben zur Voraussetzung nur das Grauen, das solche Götterbilder erregten.

Von unzweifelhaftem Alter ist das Athenaion bei Sigeion, dessen bereits Alkaios (frg. 32 Bergk) gedachte, vgl. Herodot. V 95.

Frühzeitig scheinen auch barbarische Gottheiten von den Griechen als A. gefasst und später dann auch verehrt worden zu sein. Von der Priesterin der A. im karischen Pedasos bei Halikarnass wird erzählt, dass ihr ein grosser Bart wuchs, wenn Gefahr drohte (Herodot. I 175. [VIII 104]. [1983] Strab. XIII 611), was gewiss nicht auf griechischen Anschauungen beruht.

In Laodikeia in Syrien soll einer A. ursprünglich alle Jahr eine Jungfrau, später eine Hirschkuh geopfert worden sein, Porph. de abst. II 56.

Es liegt jedenfalls nur am Fehlen einer Periegese, dass unsere Kenntnis des A.-Dienstes im Osten so lückenhaft ist. Die Zeugnisse für Verbreitung des Dienstes in hellenistischer Zeit, die für den Kult nichts Neues lehren, können hier nicht besprochen werden. Für Pergamon vgl. Jahrb. d. preuss. Kunstsamml. III 68. Bohn Tempel der A. Polias in Pergamon, Abh. Akad. Berl. 1881.

41. Die grossgriechischen Heiligtümer leiteten sich zumeist von troischen Helden ab. Als Stiftung des Odysseus galt das Athenaion auf dem Vorgebirge gegenüber von Capri (Strab. I 22. V 247), nach Strabon III 157 hatte er sogar in Hispania Baetica einen Kult der A. Odysseia gegründet. Luceria, im Lande der Daunier, leitete seinen Kult von Diomedes ab (Strab. VI 284). Den Kult der A. Eilenia bei Metapont sollte Philoktet gestiftet haben, Etym. M. 298 s. Εἰλενία. Lycophr. 950 dazu Tzetzes. Man zeigte dort die Werkzeuge mit denen Epeios das hölzerne Pferd gefertigt haben sollte. In Siris bei Metapont war ein altes Palladion mit geschlossenen Augen. Die Göttin soll die Augen geschlossen haben, als vor ihrem Bilde die Troer, welche die Stadt gegründet hatten, von den Ioniern niedergehauen werden ([Aristot.] mirab. ausc. 106. Strab. VI 264), während nach Iustin. XX 2 (Lycophr. 978) die ionischen Siriten von den Achaeern im A.-Tempel niedergemacht wurden. Dass Siris von Anfang an achaeisch war und die troischen Gründer nur aus dem Palladion, die ionischen nur aus einem angeblichen Grab des Kolchos, das ursprünglich dem daunischen Heros Kalchas zukam, gefolgert worden sind, zeigt Beloch Herm. XXIX 604ff. Auch das dorische Herakleia, das an Stelle von Siris trat, behielt den Kult der A. als Polias bei; Regulierung des heiligen Bezirks in den Tafeln von Herakleia IGI 645 II 22. über den etruskischen und römischen Kult s. den Art. Minerva.

42. Schluss. Aus dieser Übersicht über die Hauptstätten alten A.-Kultes erhellt wohl, dass A. zum Gemeinbesitz der griechischen Stämme gehört und, wenigstens für unsere Erkenntnis, überall gleich ursprünglich ist, wenn sie auch nicht überall gleichmässig hervortritt, was übrigens zum Teil auf Rechnung der Überlieferung kommt. Im Mutterlande gehört sie jedenfalls in Thessalien, Boiotien, Attika derselben alten Bevölkerungsschicht an und reicht weit hinaus über diejenigen Schiebungen, an welche die griechische Sagengeschichte Erinnerungen bewahrt hat. Nach der Einwanderung thessalischer Stämme in Boiotien besteht der Kult, den sie mitgebracht haben, neben dem alteinheimischen, während in Attika sich die alten Verhältnisse unvermischt behaupteten. So weit wir sehen können, ist aber auch der Kult in Achaia, Arkadien, Argolis und Lakonien gleich ursprünglich, auch wenn sich in Argolis aitolische Elemente den einheimischen zugesellt haben sollten. Der Versuch, die arkadischen Kulte und Sagen in argivische und boiotische Elemente zu zerlegen, muss als transcendent bewundert und zurückgewiesen werden. Nicht einmal auf altem [1984] Colonialgebiet lässt sich die Herkunft des Kultes mit einiger Sicherheit bestimmen. Den ionischen Kult von dem athenischen herzuleiten, fehlt jede Veranlassung, da der Ausgang der ionischen Colonisation von Athen eine, wenn auch alte Fiction ist. Bereits thessalisch-boiotische Stämme und ebensowohl achaeisch-messenische brachten ihre A. nach der asiatischen Küste mit. Die itonische A. scheint von Thessalien oder Boiotien aus nach Amorgos, vielleicht auch nach Kreta verpflanzt worden zu sein. Ebenso lässt sich der rhodische Kult nicht mit Sicherheit von einem mutterländischen ableiten. Die Sage, dass Danaos ihn gestiftet habe, beweist wenigstens nichts für argivischen Ursprung. Sie musste sich von selbst ergeben, sobald das argivische Element auf der Insel dominierte, wohl schon vor der endgültigen Dorisierung. Aber schon lange vorher können aiolische Colonisten, welchen die Gestalt des Kadmos angehört, ihre A. vom Kopaissee nach Rhodos verpflanzt oder eine barbarische Göttin mit A. identifiziert haben. Nicht einmal der Zug der rhodischen Sage, dass Zeus nach A.s Geburt die Insel mit goldenem Regen überschüttete, kann mit Sicherheit als eine Entlehnung aus dem argivischen Danaemythos betrachtet werden (mit O. Müller Kl. Schr. II 203), er ist in beiden Sagen gleich gut am Platz, ebenso wie Pind. Isthm. VII 5, wenn Zeus die Alkmene besucht. Mit grösserer Sicherheit lassen sich die grossgriechischen Kulte aus Achaia und Aitolien herleiten, und sicher ist der Kult von Kyrene der altboiotische. So gewährt der Kult der A. ein ganz anderes Bild gleichmässiger alter Verbreitung als z. B. der der Hera oder des Apollon. ,Keine griechische Gottheit ist in ihrer landschaftlichen Verbreitung dem Wechsel und der Veränderung so wenig unterworfen wie A.‘ (S. Wide Lakonische Kulte 53). Es ist auch nicht bekannt, dass im Mutterlande eines der Hauptheiligtümer Anspruch erhöbe, der Herd eines andern zu sein. Die localen Sagen motivieren, unabhängig von einander, Eigenschaften der Göttin oder die Verbindung, welche sie mit andern göttlichen oder heroischen Wesen eingegangen ist; aber auch, wenn diese sich an mehreren Kultstätten wiederholen, wie z. B. die Gorgosage, sind sie selbständige Triebe einer Wurzel, nicht in einem Kulte von dem andern entlehnt. Auch die Hauptattribute und Beinamen der Göttin sind panhellenisch, und das Epos hat sie jedenfalls schon vorgefunden, nicht erst zur Herrschaft gebracht. Das Bild einer sehr ausgeprägten göttlichen Persönlichkeit, wie es das Epos giebt, setzt ein langes Zusammenleben der Göttin mit den Stämmen ihres Volkes voraus, von jeder Fessel des Naturlebens und von jeder menschlichen Schwachheit ist diese Göttin völlig frei, und sie bleibt sich gleich durch die ganze Dauer des Heidentums, wie keine andere Gottheit des Olymps. Weder die religiöse Mystik vermag sie in ihre Nebel zu ziehen, noch die Poesie eines galanten Zeitalters ihre Hoheit zu mindern, sogar die allegorische Deutelei entfernt sich nicht allzuweit von Homer und von dem frommen Glauben, wenn sie in A. die persongewordene Vernunft entdeckt. Wo uns A. zuerst entgegentritt, ist sie bereits das Product einer hohen geistigen Kultur. Die missliche Aufgabe der Wurzel und Entwicklung dieses harmonischen [1985] Gebildes nachzuforschen, hat daher besondere Schwierigkeiten. Indessen muss versucht werden, das homerische Bild der Göttin durch die Analyse der Sagen, der Kulturverbindungen, der Attribute und Beinamen zu vervollständigen und nach Möglichkeit Kern und Fortentwicklung der Göttervorstellung zu unterscheiden.

III. Panhellenische Sagen und Rudimente ältester gemeinsamer Kultvorstellungen und älteste Attribute.

43. Zu den ältesten und am allgemeinsten verbreiteten Göttersagen der Griechen gehört jedenfalls die von der Geburt der A. Der erste, der das Wunder ausführlich erzählt, ist Hesiod in der Theogonie 886–900 und 924–926. Danach führte Zeus als erste Gattin Metis, die weiseste der Göttinnen, heim, aber bevor sie A. gebären konnte, verschlang er sie, nachdem er sie mit schmeichelnden Worten bethört hatte, weil ihm Gaia und Uranos geweissagt hatten, sie würde sonst nach der A. einen Sohn gebären, welcher über die Götter herrschen würde. Deshalb verschlang Zeus sie vorher, damit ihm die Göttin Gutes und Böses anzeigen möchte. Nachdem Hesiod dann andere Eheschliessungen des Zeus, bis zur letzten mit Hera und die daraus hervorgegangenen Kinder geschildert hat, erzählt er v. 924, wie er selbst (allein) aus seinem Haupte die kriegerische A. geboren habe, und wie dann Hera grollend ohne Umarmung den kunstvollen Hephaistos gebar. Eine andere Fassung des Mythos giebt ein grösseres Theogoniefragment aus Chrysipp bei Galen de Hippocr. et Plat. dogm. III 8 (III 350 K.). Bergk hat diese zum Ausgangspunkt einer gehaltvollen Untersuchung gemacht ,Die Geburt der A.‘ (Jahrb. f. Philol. LXXXI 1860 = Kl. phil. Schr. II 635ff.). Hier wird in der Hauptsache erzählt: Infolge dieses Streites gebar Hera den Hephaist, Zeus aber lagerte sich zu Metis, der Tochter des Okeanos und der Tethys, die er betrog, obwohl sie sehr klug war. Sie mit den Händen ergreifend, versenkte er sie in seinen Leib, aus Furcht, sie möchte etwas gebären, das gewaltiger sei als der Blitz. Sie aber gebar (κύσατο) sogleich die Pallas Athene und diese gebar aus Licht (ἔτικτε) der Vater der Götter und Menschen πὰρ κορυφὴν Τρίτωνος ἐπ’ ὄχθῃσιν ποταμοῖο. Überflüssig ist sodann v. 13–15: ,Metis, die Mutter der A., die Weiseste unter den Göttern, sass unter den Eingeweiden des Zeus verborgen‘ und sicher späterer, thörichter Zusatz v. 16–19, dort habe sich die geschickte Themis zu ihm gelagert und die Aigis verfertigt, mit welcher A. dann geboren wurde. Mit dieser Variante berührt sich der der hesiodischen Art nahestehende Hymnus auf den pythischen Apollon v. 129ff.: Hera habe einst im Zorn auf Zeus den Typhaon allein geboren, nachdem dieser ohne sie die A. geboren habe ἐν κορυφῇ. Im folgenden beschwert sich Hera vor den Göttern, dass Zeus ohne sie die herrliche A. geboren habe, während ihr Sohn gebrechlich sei unter den Göttern, so dass er von ihr selbst in das Meer herabgeworfen worden sei (133–140; der Sinn erfordert, dass Hephaist gemeinsamer Sohn des Zeus und der Hera ist; v. 139 endigte auf αὐτῷ, der darauf folgende Vers auf αὐτή, wodurch er dann ausgefallen ist, vgl. Bergk Gr. Litt. Gesch. I 160). Der kleine 28. homerische Hymnus lässt A. in vollem Waffenschmuck aus dem Haupte des [1986] Zeus entspringen, laut schreiend, worauf die Erde dröhnt, das Meer emporsteigt, die Sonne stillsteht, bis sie die Waffen ablegt. Wenn nach den Apolloniosscholien IV 1312 gesagt wird, Stesichoros (frg. 62) habe die A. zuerst bewaffnet geboren werden lassen, so wird der kleine Hymnus ignoriert, nicht etwa für jünger gehalten. Pindar Ol. VII 35 erzählt zuerst, dass Hephaistos das Haupt des Zeus mit dem Beil spaltete, um ihn von A. zu entbinden. Nach Musaios in den Schol. Pind. Ol. VII 66 (frg. 8 Kinkel) und bei Philod. π. εὐσ. 59 führte Palamaon den Streich, in Sparta galt Hermes als der Entbinder nach dem Relief des Gitiadas und Sosibios bei Philod. a. a. O., nach Euripides Ion 452 war es Prometheus. Jedenfalls ist die Geburt aus dem Haupte des Zeus im 6. Jhdt. die allgemein herrschende, wie auch zahlreiche Kunstdarstellungen beweisen.

44. Bergk glaubt nun, dass sich dieser Vulgata gegenüber Reste einer ursprünglicheren Auffassung in der chrysippischen Theogonie und in dem Apollonhymnus erhalten haben, und jedenfalls muss man ihm zugeben, dass man die Überlieferung πὰρ κορυφήνund ἐν κορυφῇ nicht ändern darf. Sein Versuch aber, allgemeine Vorzüge der chrysippischen Fassung vor der in unserer Theogonie erhaltenen nachzuweisen, welche jene womöglich als echter hesiodisch erscheinen lassen könnten, beruht auf der falschen Voraussetzung, dass erst Onomakritos und Genossen den Text unserer Theogonie im wesentlichen festgestellt hätten, so dass Spätere noch ursprünglichere Fassungen hätten finden können (Bergk Kl. Schr. II 641ff.; vgl. dagegen über Einheit und Erweiterungen der Theogonie A. Meyer De compositione theog. Hes., Berl. Diss. 1887). Nun hat A. Meyer a. a. O. 88ff. allerdings überzeugend nachgewiesen, dass echt hesiodisch von der ganzen A.-Geburt nur die Verse 924–926 sind, dagegen 886–900 von dem Interpolator der Theogonie herrühren und mit Benutzung der von Kronos handelnden Partie theog. 468ff. und anderer echter Partien gedichtet sind. Da aber der echte Hesiod offenbar ebenso wie der Apollonhymnus annimmt, dass A. ohne Mutter geboren sei, so ist die ganze Metispartie apokryph. Es ist nicht wahrscheinlich, dass überhaupt etwas echt Sagenhaftes dieser Partie zu Grunde liegt, dass etwa ein Compromiss vorliege zwischen einer Sage, wonach Metis in gewöhnlicher Weise von Zeus die A. geboren habe, und der Hauptgeburt durch Zeus allein. Vielmehr liegt von Anfang an wohl eine frostige Speculation vor, die besondere Weisheit des Zeus und der A. zu motivieren, die vielleicht gar nicht älter ist, als die orphische Verschlingung des Metis-Phanes-Erikapaios durch Zeus. Beiden Speculationen ist der Kannibalismus des Kronos, der echt sagenhaft ist, Vorbild. Dann ist aber die Frage von untergeordneter Bedeutung, ob die chrysippische Theogonie den interpolierten Hesiod vor Augen hat oder nicht, obwohl die Benutzung wahrscheinlich ist. Indessen ist die Metisgeschichte für Bergks Auffassung nicht von grundlegender Bedeutung; nur lassen sich aus ihr keine Gründe für die Vorzüglichkeit seiner Quelle herleiten. Der älteste Gewährsmann, Hesiod, lässt v. 924 A. ἐκ κεφαλῆς des Zeus geboren werden, der nicht viel jüngere Apollonhymnus ἐν κορυφῇ, der Theologe [1987] des Chrysipp παρ’ κορυφήν. Auch wenn man, wie die Herausgeber thun, im Apollonhymnus die Überlieferung ändert, würde ja nichts der Möglichkeit im Wege stehen, dass in einem einzelnen Punkte eine späte schlechte Quelle Ursprünglicheres, sagenhaft Echteres bewahrt hätte, als Hesiod. Bergk nimmt also an, dass die Geburt aus dem Haupte des Zeus eine spätere Sagenbildung sei, wogegen in dem Ausdruck παρ’ κορυφήν noch eine Erinnerung an die ursprüngliche Sagenform erhalten sei. Diese κορυφή) sei eigentlich der Gipfel des zuerst überirdisch gedachten Götterberges, auf welchem der Götterstrom Triton oder die Quelle Trito entspringe. Zeus habe das Haupt des Berges mit dem Blitze gespalten und dadurch sei gleichzeitig mit dem Quell A. entsprungen, gewissermassen als Geist des Quells. Nach dem Quell Trito heisse sie Tritogeneia. Noch älter sei die Anschauung, dass das himmlische Wunder sich bei jedem Gewitter wiederhole (S. 656). Bergk ist auch geneigt, die antike Glosse τριτώ = κεφαλή), für die Hesych verschiedene Gewährsmänner und verschiedene Dialekte anführt, nicht, wie die meisten, für einfach aus der Vulgata des Geburtsmythos herausgesponnen anzusehen, sondern glaubt, τριτώ habe ursprünglich das Quellhaupt bedeutet, und erst durch allmähliche Verdunkelung der Vorstellungen vom Götterreiche und durch fortschreitenden Anthropomorphismus sei aus dem Haupte des Götterbergs und des Quells das des Zeus geworden (S. 654f.). Die Deutung des A.-Mythos erweitert Bergk dann zu einer inhaltsreichen Untersuchung über das Götterland und seine Erscheinungen, namentlich den Götterstrom.

45. Wir können hier auf die schwierige Frage nicht eintreten, ob ein ideales Götterreich und ein überirdischer Götterberg oder die Localisierung der Götter und ihrer Sagen an den Stätten ihres Naturwaltens und ihres Kultus ursprünglicher sei. Wahrscheinlich ist eine allgemeine und disjunctive Fragstellung überhaupt falsch. Soviel steht fest, dass zwar für einige griechische Gottheiten das chthonische Wesen sehr alt und für uns ursprünglich ist, dass es aber auch Himmelsgötter giebt, die man sich stets aus überirdischer Ferne wirkend dachte, und zu diesen gehört vor allem Zeus. Daraus folgt aber keineswegs, dass seine Wirksamkeit sich auf ein ideales Götterlocal beschränke, seine Thaten sich nur in unerreichbarer Ferne abspielen. Die himmlischen Vorgänge beschäftigen den naiven Menschen zunächst als segensreich oder verderblich, und wenn die Erfahrung lehrte, dass der Blitz bald hier, bald dort einschlägt und vornehmlich die Häupter der Berge berührt, was konnte dann dazu veranlassen, einen sinnlich greifbaren Vorgang auf einen unsichtbaren Himmelsberg zu verlegen? Wenn dann ferner der Himmelsberg und -strom missverständlich an verschiedenen concreten Punkten localisiert wurde, so war doch um so weniger Anlass, die Bedeutung κορυφή als Berggipfel zu vergessen und dafür das Haupt des Zeus zu setzen. Anthropomorphistisch ist die Geburt aus dem Haupte eines Mannes nun vollends nicht. Eine so groteske Vorstellung kann sich nur jüngeren Anschauungen zum Trotz behauptet haben. Gerade die Quelle dieses Mythos liegt weit vor der ausgebildeten Anthropomorphose. Den Weg zur richtigen Deutung hat M. [1988] Mayer in Roschers Mythol. Lex. II 1524. 1540 eingeschlagen, nur dass er irrtümlich die dem Kronosmythos nachgebildete Verschlingung der Metis für eine gleichwertige Parallele zu diesem hält. ,Das Princip ist überall das gleiche: das Verbergen dient nur dazu, die Art des Hervorgehens und Entstehens vorzubereiten und zu erklären. Weil die Palladien als vom Himmel gefallene Bilder der Pallas galten, darum musste Zeus die Göttin zuvor im Keime verschlungen haben. So wird der Meteorstein, welcher die Rhea und Astarte verkörpert, nachmals der Statue der Göttin in den Mund gegeben. War hier ein zur Erde geflogener Stern gemeint, so stellte sich anderwärts unwiderleglich heraus (§ 46), dass der βαίτυλος, den Kronos verschluckt, einen Donnerstein bedeutete‘ (a. a. O. 1540). In der That ist der Zeus, der die A. aus seinem Haupte gebiert, noch der ,Vater Himmel‘, aus dem die Palladien herabfallen, in derselben halben unklaren Personification gedacht, wie der Uranos bei Hesiod, der zugleich der beste Sitz der Götter ist und doch wie ein Mensch Kinder zeugt, aber auch da, wo er als handelnde Person auftritt, wieder das Beiwort ἀστερόεις führt (theog. 463). Ähnlich hat auch bei Homer die Eos zwar Finger, wie ein Mädchen, aber verbreitet sich zugleich als Naturerscheinung über die ganze Erde. ,A. wird aus dem (zerspaltenen) Haupte des Zeus geboren‘ ist also die phantasievolle Deutung einer Naturanschauung. Im Gewitter dachte man sich das Haupt des Himmels gespalten und daraus mit glänzenden Waffen und lautem Schlachtruf eine himmlische Jungfrau herabfahren. Als Bürgschaft und Pfand dieses himmlischen Ereignisses verehrte man ursprünglich Steine, welche man vom Himmel gefallen glaubte, wie in Akarnanien ein solcher vielleicht geradezu mit Ἀθανᾶς Διός bezeichnet war (§ 26; der Glaube an solche Steine beschränkt sich natürlich nicht auf die seltenen Meteoriten, sondern man hielt den Blitzstrahl für körperlich und fand in dem Fall von Meteorsteinen eine willkommene Bestätigung dieser Auffassung; über Donnersteine vgl. J. Grimm Deutsche Myth.³ 1170ff. Mannhardt Germ. Mythen passim, Index s. Donnerkeil). Als man dann zu ikonischer Darstellung der Götter fortschritt, schrieb man den ältesten Palladien denselben wunderbaren Ursprung zu. Vermutlich nahm man ursprünglich überall, wo ein solches Bild verehrt wurde, das nicht von einem andern Heiligtum herstammte, eine Geburt der A. an, samt der sonstigen Scenerie des göttlichen Ereignisses. Der himmlische Quell, der bei dieser Gelegenheit entspringt, deutet wohl auch in seinem Namen prägnant auf die Spaltung des Himmelshauptes, der Name Triton wird von Bergk a. a. O. 655 mit Recht mit τιτράω τιτρώσκω zusammengebracht (Herodot. IV 158 heisst es von einem Ort mit Quelle bei Irasa in Libyen: ἐνταῦθα γὰρ ὁ οὐρανὸς τέτρηται). Es ist nicht eine Trübung einer reineren Vorstellung, wenn man einen concreten Quell als himmlischen fasst, sondern es ist die natürliche Auffassung, wenn man die eigentliche Quelle in die Wolken verlegt, aus denen alle Quellen gespeist werden, und ebenso natürlich ist es, das Gewitter als den eigentlichen Geburtsact der Quellen zu fassen.

46. Es ist nicht die einzige fromme Auffassung [1989] des Gewitters, dass Zeus, der Vater Himmel, aus seinem Haupte eine göttliche Tochter gebiert, einfacher und mindestens gleich alt ist der Glaube, dass er im Blitze selbst zur Erde herabsteige. Auch dafür glaubte man Belege in himmlischen Steinen zu besitzen. Ein Stein von Mantinea wird als Διὸς Κεραυνō bezeichnet (Bull. hell. II 515. Röhl IGA 101. Cauer Del.² 447), schwerlich, wie Foucart und Röhl meint, auf ein Grundstück, sondern wohl nur auf den Stein selbst bezüglich. Aber selbst wenn Röhl recht hätte, würde in diesem Zeus jedenfalls mit dem Donnerkeil identifiziert. Überzeugend ist auch der Zeus καππώτας bei Gythion (Paus. III 22, 1) von Wide (Lak. Kulte 21) hierhergezogen und von der Wurzel πετ- πωτ- abgeleitet worden, es ist ein herabgefallener Zeus (merkwürdig dicht, aber energisch geht M. Mayer a. a. O. 1541 an der richtigen Deutung vorbei). Der bei Delphi verehrte, von Kronos ausgespieene Stein (Paus. X 24, 6) stellt ursprünglich auch einen Zeus vor, der vom Himmelsgotte Kronos ausgespieen ist. Ein Betrug der Rhea wurde daraus erst gemacht, als man jenen Steinkult nicht mehr verstand. Der akarnanische Stein mit der Inschrift Ἀθανᾶς Διός, der unbearbeitet ist, wird wohl auch nicht einen heiligen Bezirk bezeichnen, sondern den Stein selbst als göttlicher Herkunft, wobei sich vielleicht ein Schwanken der beiden besprochenen Vorstellungen zeigt. Später errichtete man dann an Orten, wo der Blitz eingeschlagen hatte, dem Zeus καταιβάτης einen Altar, wie ein solcher sich mit dem A. Kult verbunden z. B. in der Akademie fand. Sehr leicht kann vielerorts der abergläubisch als Sitz oder Teil des Gottes verehrte Stein in den Altar übergegangen sein. Den Namen Fetischstein möchte ich nicht gebrauchen, weil ein wesentliches Merkmal des Begriffes fehlt, nämlich die Möglichkeit, dass der göttliche Geist das gewählte Object verlässt und dies dadurch wieder tot und unheilig wird; doch herrscht hier und noch in dem älteren ikonischen Dienste dieselbe Unklarheit der Grenze zwischen Gottheit und Sitz oder Ausdruck der Gottheit wie in der Vorstellung des Zeus als Himmelsgewölbe und geistiger Persönlichkeit. Die Litteratur über Göttersteine im allgemeinen ist gut zusammengestellt bei M. Mayer a. a. O. 1522f.; vgl. noch Six Athen. Mitt. XIX 340ff.

Ein weiteres Merkmal haben die Zeussteine mit den Palladien gemeinsam. Hauptsächlich dem delphischen Stein kommt der Name βαίτυλος zu. Dies wird nun, wie M. Mayer a. a. O. 1524 ausführt, von Hesych. s. v. und Bekker Anecd. I 84 (222) mit Recht von dem kretischen Worte βαίτη abgeleitet, das Ziege und Ziegenfell bedeutet. Auch der Zeus Κάσιος ist ein μεμαλλωμένος, und in Seleukeia wechselt die Bezeichnung Kasios mit κεραύνιος (Belege bei Mayer 1525). Man dachte sich also die Steine, welche Zeus im Gewitter schleudert, in ein Ziegenfell, welches man in der Wetterwolke erblickte, gehüllt, und ahmte vielleicht im Kultus von Donnersteinen diese Umhüllung nach (in Delphi Bekränzung mit Wolle?). Daraus hat sich dann die schreckliche Waffe der Aigis gebildet, welche A. ebenso wie Zeus zukommt. Man scheint nun bei A. besonders früh das Bedürfnis empfunden zu haben, den wehrhaften [1990] Charakter der Göttin deutlich auszudrücken, was nur in menschlicher Gestalt möglich war. Man setzte zuerst auf einen Pfahl ein behelmtes Haupt und gab ihm Arme mit Schild und geschwungenem Speer. Die Aigis ist ursprünglich nicht plastisch ausgedrückt worden, sofern man nicht unter homerischem Einfluss den Schild darunter verstand, doch ist sehr wohl möglich, dass die Bekleidungscaerimonien ursprünglich als Einhüllen in die Aigis gemeint waren. Auch von diesen durch Menschenhand hergestellten halb anthropomorphen Palladien hielt sich hartnäckig der Glaube directer himmlischer Herkunft, und ein Rudiment der alten Anschauung ist es, wenn noch im 7.–6. Jhdt. oder später eine A.-Statue des Dipoinos und Skyllis vom Blitze getroffen, d. h. gleichsam von der Göttin bezogen wird (Plin. n. h. XXXVI 10). Ebenso erklärt es sich aus dem Glauben an die göttliche Herkunft der Palladien, wenn ihnen vor allem allerhand Mirakel, welche Belebtheit voraussetzen, zugeschrieben werden (vgl. Chavannes De Palladii raptu, Berl. Diss. 1891, 59).

47. Wir können uns jetzt bei dem Ergebnis beruhigen, dass die Vulgata über die mutterlose Geburt der A. aus dem Haupte des Zeus die echte alte Sage ist. Und dass diese weit älter als Homer ist, ist ausser allem Zweifel, schon weil sie sich mit der homerischen Anschauung von den Olympiern sehr schlecht verträgt. Sie wird indessen schon in der Ilias vorausgesetzt V 875. 880, wo Zeus sagt, er selbst habe A. geboren, und die Beiworte ὀβριμοπάτρη und τριτογένεια werden allgemein mit Recht auf die Geburtssage bezogen, wenn Herkunft und Bedeutung auch den einzelnen Dichtern nicht immer bewusst gewesen sein sollte. Auch das Beiwort γλαυκῶπις mag schon zu diesem ältesten Vorstellungscomplex gehören. Diejenigen Stellen, an welchen statt ἐκ κεφαλῆς παρ’ κορυφήν oder ἐν κορυφῇ) gesetzt wird, welche Bergk für altertümlicher hält, gehen dann wohl zum Teil auf rationalistische Umformung des wunderbaren Mythos zurück, zum Teil vielleicht auch auf die Ambition gewisser Locale, wo man die κορυφή, wo die Geburt erfolgt sein sollte, zeigte. Wenn Chrysipp die Verse, die er anführt, als hesiodisch citiert gefunden hat, so lenkt sich der Verdacht auf einen Mann wie den schwindelhaften Ps.-Epimenides, den nach Bethes Nachweis (Herm. XXIV 402ff.) Diodor im fünften Buche benützt, und dessen Art, Hesiodcitate zu fälschen, kürzlich Leo Hesiodea (Göttingen 1894) 20ff. beleuchtet hat. Alle von der Zeusgeburt abweichenden Genealogien der A. sind junge und wertlose Speculationen. Wenn Herodot ihr IV 180 den Poseidon und die Τριτωνὶς λίμνη zu Eltern giebt, so beruht das auf Umdeutung irgendwelcher libyscher Götter. Der Gigant Pallas als Vater (Cic. de n. d. III 59. Lykophr. 355) soll den Namen Pallas und die furchtbare Wirkung der Palladien erklären. Die Göttin Koryphe als Mutter der A. (Cic. a. a. O.), welche man im arkadischen Kleitor localisierte, ist ein Product desselben Rationalismus, welcher die von Bergk bevorzugten Lesarten hervorgebracht hat; ganz apokryph, wohl nur aus einem Beinamen der Göttin erschlossen, ist Hephaistos als Vater der A. bei Clemens Alex. protr. 2, 28. [1991]

48. Gewiss alt, wenn auch nicht notwendig zur ursprünglichsten Form des Mythos gehörig, ist die Beihülfe eines himmlischen Schmiedes zur Geburt der A.; im Kunsthandwerk des 6. Jhdts. ist sie stehend, und wenn sie in der Litteratur bei Pindar zuerst auftaucht, so ist das zufällig. Hesiod hat diesen Zug vielleicht nur deshalb unterdrückt, weil er den Hephaistos, dem vornehmlich diese Rolle zufällt, jünger als A. gemacht hat (Varianten oben § 43). Die Sage wird ihre Wurzel haben in der besonderen Verehrung der A. durch alte Schmiede und Handwerker, vornehmlich Bildschnitzerzünfte, welche sich aus der Wichtigkeit des Feuers für diese Gewerbe und dessen natürlicher Herleitung vom himmlischen Feuer erklärt. Möglicherweise hatten diese Zünfte irgendwelche Kultriten, welche die Rolle ihres mythischen Archegeten Hephaistos, Prometheus, Palamaon bei der A.-Geburt nachahmend darstellten, um dadurch denselben Himmelssegen wie bei dem erstmaligen himmlischen Ereignis herabzurufen, wie Furtwängler Arch. Jahrb. VI 117ff. von den verwandten Kyklopen wahrscheinlich gemacht hat, dass sie und ihre menschlichen Nachfolger im Frühjahr das Haupt der Gaia durch Hammerschläge erweichten und zu schaffendem Leben weckten. Dazu kommt, dass diese Zünfte die ältesten Götterbilder gefertigt haben und dass das Palladion jedenfalls zu den allerältesten Götterbildern gehört, wenn es nicht geradezu das älteste ist. Da die ältesten Götterbilder nun durchweg nicht als blosse Abbilder, sondern wunderthätig gedacht sind, so haftet auch an ihren Verfertigern der Geruch einer zauberpriesterlichen Macht und Weisheit, wie dies in der Überlieferung über die rhodischen Telchinen am deutlichsten ist, welche ja auch in besonders engem Verhältnis zu A. stehen. Sehr bezeichnend ist hierfür die bei Plinius n. h. XXXVI 9 erzählte Geschichte, wie die daidalidischen Bildschnitzer aus Kreta nur mit Hülfe göttlicher Schrecknisse und Zeichen in Sikyon Fuss zu fassen vermögen. Gerade die verschiedenen Benennungen des himmlischen Geburtshelfers lassen wohl darauf schliessen, dass jener Zunftkultus noch an vielen Orten lebendig war. Von hier aus ist A. zur ἐργάνη geworden zunächst wohl für die Arbeiten in Erz, Thon und Holz, dann auch für die weiblichen Arbeiten der Hausindustrie. Patronin der Wagenbauer ist A. bereits im homerischen Aphroditehymnus 13. Von diesen Kulten aus hat sich auch, aber schwerlich in alter Zeit, die attische Sage von der Liebschaft des Hephaistos gebildet. Die A. Ἡφαιστία CIA IV p. 64 ist schwerlich eine alte Bildung (über das relativ späte Eindringen des Hephaistos in Attika vgl. jetzt v. Wilamowitz Gött. gel. Nachr. 1895, 228ff.). Das attische Geschlecht der Praxiergiden (§ 18) mag aus einer Künstlerzunft hervorgegangen sein. Über A.s Verhältnis zu den Schmiedezünften vgl. Welcker Tril. 277–304, der aber das Verhältnis wohl zu natursymbolisch und zu mystisch fasst. Auch den weiblichen Arbeiten des Spinnens und Webens steht A. bereits im Epos vor. Lauer System der griech. Myth. 372ff. und nach ihm Roscher Nektar u. Ambrosia 100ff. möchte auch diese Funktion als eine unmittelbar aus der Naturanschauung fliessende fassen, indem die Wolke als Kleid oder Gespinst [1992] der Gewittergöttin aufgefasst worden sei. In derselben Richtung liegt die Vermutung A. Kuhns (Ztschr. f. deutsche Myth. III 391), der als Segel aufgeführte Peplos solle an die Wolken als himmlische Schiffe erinnern. Weiter soll sich dann aus dem Spinnen und Weben der Begriff der Klugheit als eines geistigen Webens entwickelt haben. Eine derartig ins einzelne gehende Natursymbolik ist für naiv-phantasievolle Zeiten nicht wahrscheinlich, verträgt sich auch schlecht mit der schrecklichen Wirkung der Aigis, die ja nach Ansicht derselben Mythologen das Gewand der A. ist. Wenn sich der Begriff der Ergane ursprünglich auf dem Boden der alten Handwerkerzünfte entwickelt hat, so ist die Beschützerin der weiblichen Arbeit wohl vornehmerer Herkunft, da Spinnen und Weben ursprünglich Obliegenheit der Hausfrau sind. Dieselbe A., welche im Kampfe dem Odysseus beisteht, hilft seiner Gattin in ihrer Sphäre, und nach dem Bilde ihrer Verehrer kommt A. auch die Klugheit zu. Wer für diese Eigenschaft noch eine besondere Motivierung brauchte, konnte sich füglich bei der Vererbung vom himmlischen Vater Zeus beruhigen. Die rein praktische Klarheit, welche A. auszeichnet, ist charakteristisch für die menschliche, nicht für die himmlische Sphäre, in der sie gewachsen ist. Sie hat weder mit der Weisheit der Musen, noch mit dem Gespinst der Moiren, dem Gewebe der Walküren oder Nornen das geringste zu thun.

49. Eine zweite panhellenische Sage, welche mit der Naturanschauung von der Geburt der A. im Gewitter verwandt ist, ist die Gigantomachiesage. Ihre allgemeine Verbreitung über Hellas wird namentlich durch die Kunstwerke bereits des 6. Jhdts. bewiesen (s. u. § 61). In den Giganten ist der Begriff erdgeborener, himmelstürmender Mächte mit dem jüngeren gottloser Völker der Urzeit zusammengeflossen. In der Litteratur werden diese Gestalten des Volksglaubens lange Zeit durch die der theogonischen Speculation angehörige Titanomachie in den Hintergrund gedrängt. Als Object der Göttersage wird die Gigantomachie wohl zuerst bei Xenophanes frg. 1 v. 21 erwähnt. Volkstümlich behauptete sie sich alle Zeit und haftete vornehmlich an Gegenden, welche die Spuren grosser elementarer Umwälzungen zeigten, vornehmlich die Euboeer trugen zu ihrer Verpflanzung z. B. nach der Chalkidike und Cumae bei. Den ältesten zusammenhängenden Bericht giebt Apollodor I 6. 7. Neben Zeus und Herakles spielt in diesem Kampfe A. durchaus die Hauptrolle; ihr Hauptgegner ist meist Enkelados, der ,Lärmende‘ (nach Hesych. s. v. auch Beiname der A. selbst), auch Pallas wird als solcher genannt. Nach Suidas s. v. führte A. daher die Beinamen γιγαντολέτειρα und γιγαντολέτις. Die merkwürdige, dem Phylarch (frg. 79) zugeschriebene Nachricht, es habe in der Gigantenschlacht Palladien geregnet, ist, wenn erfunden, jedenfalls im Sinne alter Naturanschauung. Der kriegerische Charakter der mit dem Blitze entsprungenen Jungfrau findet hier seine erste grosse Bethätigung. Im allgemeinen vgl. M. Mayer Giganten und Titanen, Berlin 1887.

Wie Ζεὺς Σωτήρ als Verleiher des Sieges angerufen wurde, so ist seine Tochter, welche mit ihm die Aigis teilt, vornehmlich in dieser für die [1993] Wanderungsgeschichte der Völker wichtigsten Function die Vollstreckerin seines Willens. Als kämpfende Göttin, wie man sie sich in der Gigantenschlacht dachte, hat sie jedenfalls in einer Zeit, als man noch weniger sich eine Fernwirkung der Götter vorzustellen verstand, eine wichtigere Rolle gespielt als bei Homer, wo in der Regel ihre Assistenz oder ihr Muteinhauchen, ihr Zuspruch genügt, ihre Lieblinge zu kräftigen, und eigentlich ja der Beschluss der Moira oder der Ratschluss des Zeus auch allein die Entscheidung herbeiführen würde. Teils Erinnerungen an ältere Vorstellungen, teils Spielereien mit solchen sind es, wenn A. im fünften Buch mit Diomedes selbst den Streitwagen besteigt oder in der Theomachie den Ares selbst niederwirft, der gegensätzlich zu ihr als barbarischer, wild wütender Kriegsgott ausgeführt ist und sich stets persönlich thätig in den Kampf mischt. Aus der ältesten Vorstellung einer thätigen Schlachtengöttin stammt wohl der Beiname ἱππία, unter dem A. vielfach mit Poseidon zusammen verehrt wurde. Durch die ritterliche Kampfweise der homerischen Zeit ist die ursprüngliche Bedeutung dieses Beiwortes in den Hintergrund gedrängt und undeutlich geworden. Während nach der attischen Chronik A. den Erichthonios das Wagenfahren für den panathenaeischen Agon lehrt, hat die später in Korinth localisierte Bellerophonsage noch echtere Züge bewahrt, denn der Pegasos liess sich nur reiten, nicht einspannen. So wird auch A. ἱππία (noch altertümlichere Möglichkeiten s. § 55) eine Reiterin gewesen sein, wie es die Dioskuren immer geblieben sind. Spätere Erklärer im Etym. M. 474, 30 s. Ἱππία leiten den Beinamen daher ab, dass A. gleich zu Wagen geboren sei! Bei Homer fehlen bezeichnenderweise die von ἵππος abgeleiteten Beinamen, doch setzt die Sage vom hölzernen Pferde eine ἱππία voraus. Auch der ursprünglich in Thessalien heimische Name Ἱππίας bedeutet wohl einen Ἱππιαῖος. Inwiefern die Vorstellung der A. als ἱππία in phantastischer Naturanschauung begründet sein mag, kann erst unten gelegentlich der Verbindung A.s mit Poseidon untersucht werden. Was sich im Wesen der A. mit den germanischen Walküren vergleichen liesse, würde an diese bei Homer zurückgedrängte Vorstellung anknüpfen. Roscher, der den Vergleich anstellt (Nektar u. Ambrosia 99ff.), hat sich den Weg dadurch abgeschnitten, dass er mit Aristarch am nachhomerischen Ursprung des Reitens festhält. Einige vergleichbare Züge sind in inhaltlich nicht beeinflussten Sagen der Heldenbeschirmerin A. geblieben, so in der thebanischen Sage der Zug, dass sie dem sterbenden Tydeus die Unsterblichkeit habe bringen wollen. Jedenfalls hat sie ursprünglich nicht durch irgend ein Mittel den nahenden Tod verscheuchen, sondern den Gefallenen selbst hinauftragen wollen in ihres Vaters Saal. Eine ähnliche Rolle muss A. in der Heraklessage gespielt haben. In den Kunstdenkmälern tritt das intime Verhältnis zu dem Helden in allen Stadien seines Erdenwallens bis zu seinem Eintritt unter die Götter so deutlich hervor, dass selbst O. Jahn Archaeol. Aufs. 82ff. versucht war, ein in der Litteratur verschollenes erotisches Verhältnis zwischen Göttin und Heros durch die Kunstdarstellungen bezeugt zu glauben. Bei Homer ist [1994] ein deutliches Bestreben vorhanden, die alte stürmische Schlachtengöttin in vornehmer Reserve zu halten; mit seinem Hadesglauben vertrug sich das Walten einer Walküre nicht mehr, Gespenster des Volksglaubens sind es, die sich im Getümmel der Schlacht umtreiben, und auch diese nur auf beschriebenen Bildwerken. Auch die Verbindung A.s mit dem Schlachtenschicksal, die gewiss einmal enger war, ist bei Homer gänzlich gelöst, da schon Zeus selbst infolge zu kräftiger persönlicher Ausbildung zu seinen fatalistischen Pflichten in gespanntem Verhältnis steht. Bezeichnend ist, dass bei Homer die kriegerischen Beiworte der A. ληῖτις und ἀγελείη auf Verleihung reicher Beute sich beziehen. Fatalistisch versteinert erscheint dagegen der Glaube an die kämpfende A. in den Palladionsagen und vereinzelten Kultresten, wie in Tegea der Locke der Gorgo. Während bei Homer das alte Natursymbol der Aigis in einen ritterlichen Schild umgewandelt war, hat es sich, wie oben § 2 gezeigt wurde, im Volksglauben in ursprünglicherer Gestalt erhalten und kommt durch die bildende Kunst wieder zur Geltung. Auf denselben mystisch correcten Anschauungen beruht es, wenn A. Promachos auf makedonischen und anderen Münzen statt des Speeres den Blitz schwingt. Auf sehr frühe Zeit geht wohl auch die Anschauung zurück, dass die Eule ein der A. heiliger Vogel sei, ursprünglich gewiss als Bewohnerin alter Mauern, ein Vogel der Polias. Die unheimlich funkelnden Augen und die Raubsucht eigneten den Vogel zur Gefährtin der kriegerischen Göttin, die auch γλαυκῶπις ist. In einer verhältnismässig späten Geschichte, aber gewiss nach echtem Volksglauben, erscheinen Scharen dieses Vogels als sichtbare Verkünder der Hülfe der Promachos. Diodor XX 11 erzählt, dass Agathokles in der Schlacht, die er 310 gegen die Karthager schlug, seinen schlechtbewaffneten Truppen durch Loslassen einer Schar von Eulen Mut gemacht habe, und auf den auf diesen Sieg bezüglichen Münzen setzt er neben die vorstürmende geflügelte Promachos auch die Eule (Imhoof-Blumer Die Flügelgestalten der A. und Nike auf Münzen, Taf. I 2). Möglicherweise hat auch die Beflügelung der Schlachtengöttin volkstümliche Grundlage, obwohl die Überlieferung keine geflügelten Palladien kennt. Als Verkünderin des Schutzes der A. setzt sich auch auf des Themistokles Schiff vor der Schlacht von Salamis eine Eule, Plut. Them. 12, während sie dem Pyrrhos Unheil bedeutet, Aelian. h. a. X 37.

Einen Rest ehemaliger Vogelgestalt oder wenigstens der Fähigkeit, solche anzunehmen, wie sie in Hellas vornehmlich den Wasserdaemonen, aber, wenigstens im Motiv der Liebesverfolgung, auch hohen Gottheiten eignet, und wie sie in der germanischen Mythologie namentlich die Walküren zeigen, könnte man versucht sein, in der megarischen A. Aithyia zu erblicken (§ 25) und müsste dann diesem Kultus ein sehr hohes Alter zuschreiben. Aber erstens ist es möglich, dass αἴθυια in diesem Kulte ursprünglich nur die ,glänzende‘ bedeutet hätte, und dass die Sage, welche A. die Gestalt des Wasservogels giebt, erst aus der zufälligen Homonymie entstanden wäre; zweitens könnte A. an Stelle einer Heroine getreten sein, welche an jenem Küstenstrich mehrfach localisiert [1995] wurde und auch unter der A.-Akropolis Megaras ihr Grabtemenos hatte, der Ino-Leukothea, welche auch in der Od. V 353 mit einer αἴθυια verglichen wird (vgl. § 25). Ob den Vogelmetamorphosen der A. in der Odyssee mehr als dichterische Erfindung zu Grunde liegt, ist unsicher (vgl. § 2).

50. Einige wohl ursprünglich allgemeiner dem Pallasdienst eigene Züge müssen aus den zerstreuten Spuren in localen Kulten und Mythen erschlossen werden. Ursprünglich sind die Palladien nichts weniger als Götterbilder, welche dem andächtigen Verehrer zugänglich wären. Das Grauen, das diese Bilder umgab, spricht sich z. B. darin aus, dass den Tempel der A. Poliatis in Tegea nur einmal jährlich nur der Priester betreten durfte, wohl um dem Bilde die nötige Pflege angedeihen zu lassen (§ 31). Diese Pflege hat sich noch in den attischen Festgebräuchen der Plynterien und Kallynterien erhalten (§ 18). Die Tage, an welchen das Bild den Tempel verlässt, sind durchaus nefasti, eben weil ursprünglich das unverwahrte Götterbild Verderben wirkte, wie noch in Pellene in Achaia, wo sein Anblick Gras und Kraut verdorren macht (§ 34). Deshalb findet auch die Hauptcaerimonie der Plynterien bei Nacht statt, und haben noch die Panathenaeen eine Festnacht. Auf ursprüngliche Unzugänglichkeit der athenischen Polias deutet auch die heilige Lampe des Kallimachos, deren Öl angeblich ein ganzes Jahr lang vorhielt (§ 13) Sogar der Stifter des troischen Palladions, Ilos, erblindet, als er das Bild aus den Flammen des Tempels rettet (§ 40; so erblindet auch Aipytos, als er in die Cella des Poseidon zu Mantinea eindringt, Paus. VIII 10, 4). Bad und Bekleidung des Bildes gehört jedenfalls zu den ältesten Kulthandlungen. Dass auch diese ursprünglich nicht ohne Gefahr war, geht aus der von Kallimachos erzählten Teiresiassage hervor. Selbst ein Liebling der Göttin wie Teiresias erblindet, weil er die Göttin nackt gesehen hat. Bereits Rückert 64 hat gesehen, dass die Sage vorbildlich ist für ein Badefest des alalkomenischen Kultus. Sie motiviert jedenfalls irgendwelche Sühnegebräuche, durch welche die Nachfolger des Teiresias sein Geschick verhüteten. Diomedes darf als Ahn eines argivischen Priestergeschlechts das Palladion straflos rauben, aber seinen Nachkommen Eumedes, der es von seinem Platze verrückt, will das Volk steinigen. Dieselbe Strafe droht im nachhomerischen Epos dem Oiliden Aias, dessen Vater mit dem Stifter des Palladions Ilos wohl zusammengehört (die Form Ἰλεύς statt Οἰλεύς bei Hesiod und Stesichoros mit Aristarch [Lehrs³ 176] auf Missverständnis Homers zurückzuführen, werden wohl wenige mehr geneigt sein). In der Heldensage wird der Frevel gegen die Göttin, die er von ihrem Gestell reisst, noch verschärft durch den Bruch des Asylrechts, den Frevel an der schutzflehenden Kassandra. Schwerlich stimmte mit der troischen Sage überein, was die megarischen Periegeten über die A. Aiantis dem Pausanias leider verschwiegen (§ 25; doch verdient Erwähnung, dass genau mit der troischen Sage eine arkadische Geschichte bei Paus. VIII 5, 11. 12 übereinstimmt: der König Aristokrates schändet vor dem Bilde der Artemis Hymnia zwischen Orchomenos [1996] und Mantinea die Priesterin und wird von den Arkadern gesteinigt; es läge nahe, in diesen Sagen die Priesterin als Vertreterin der Göttin anzusehen und sie aus einer auf einen ἱερὸς γάμος bezüglichen Caerimonie abzuleiten, indes hat sich im A.-Kult davon sonst keine Spur bewahrt); aber ein Feind der Göttin ist er ursprünglich gewiss so wenig gewesen wie Ilos oder Teiresias. Schon Rückert 94 hat mit Recht geschlossen, dass sich von Aias ein Priestergeschlecht abgeleitet habe, das im Dienste der Pallas gewisse Sühnegebräuche zu verrichten gehabt habe, welche durch die Sage vom Frevel des Ahnherrn motiviert wurden, wozu gut stimmt, dass Serv. Aen. I 41 als lokrischen Jungfrauentribut an die A. Ilias ausdrücklich eine virgo ex Aiacis tribu nennt. Dass A. bei den Lokrern eine sehr wichtige Rolle spielte, geht daraus hervor, dass sie die Gesetzgebung des Zaleukos inspiriert haben sollte, Aristoteles πολιτεῖαι frg. 548 Rose. In den Kreis des altlokrischen Kultes gehört noch das merkwürdige, an germanische Bestattung erinnernde Totenfest, das Tzetz. zu Lyk. 360 von den opuntischen Lokrern erzählt, Philostr. Her. VIII 2 auf die Achaeer vor Troia übertragt; das Fest ist natürlich älter als die troische Sage, zu der es schlecht passt; vgl. auch E. Rückert Troias Urspr. 137ff. Verwandt ist die zwar nur vorgegebene, aber doch wohl an wirkliche Bräuche angelehnte Bestattungsfeier für Menelaos in Euripides Helena v. 1057ff. Der Tempeldienst dieser Jungfrauen ist Ablösung eines Menschenopfers, das noch eintritt, wenn sie sich beim Betreten des Tempels treffen lassen.

Der ursprüngliche Sinn dieser Bade- und Bekleidungscaerimonien ist schwer festzustellen. Die kallimacheische Motivierung, dass das Bad, welches A. nach der Gigantenschlacht genommen habe, vorbildlich sei, ist rein poetisch und mythisch wertlos. Mythisch echter ist es schon, wenn Apollonios Rhod. Argon. IV 1309 libysche Jungfrauen für A. gleich nach ihrer Geburt ein Bad aus dem Triton schöpfen lässt. Die nächstliegende Auffassung ist jedenfalls die, dass das Bad und die Bekleidung zur Pflege und zum Schmuck des Götterbildes diente, wie ja in Athen und Tegea der Peplos Weihgeschenk für die Göttin blieb. Bäder spielen ja auch sonst in der Göttersage eine Rolle, aber bei Göttinnen lediglich vor und nach der Hochzeit, so bei Hera, Aelian. h. a. XII 30, bei Demeter Paus. VIII 25, 6. Dass, wie Bergk Kl. Schr. II 659 annimmt, das Bad der Pallas gewissermassen ein Vorbild des Brautbades gewesen, und dass sich dadurch die Braut gleichsam der A. geweiht habe, ist nirgends überliefert und folgt aus der Hesychglosse τριτοκούρη nicht. Wenn der Kultakt überhaupt als Nachahmung gefasst war, so kann er nur das Bad der Neugeborenen zum Vorbild gehabt haben. Ebenso hat die Stiftung des Peplos nichts zu thun mit der Sitte der Wöchnerinnen, einer Geburtsgöttin wie der Artemis Gewänder zu weihen. Um so weniger ist wohl die Stiftung des A.-Peplos eine blosse Folge des Anthropomorphismus. Am nächsten verwandt ist vielleicht die Darbringung purpurner Gewänder an die Semnai des Areopags (Aisch. Eum. 1006), die schon durch ihre Farbe als Sühnegabe kenntlich sind. Hervorgegangen ist die Bekleidung [1997] mit dem Peplos vielleicht aus dem Bedürfnis, die vernichtende Kraft des himmlischen Idols möglichst einzuschränken, und vielleicht erblickte man darin eine Nachahmung des Wolkengewandes, der Aigis, in welches die im Gewitter geborene Göttin gehüllt war. Bekleidungscaerimonien setzen nicht durchaus den ausgebildeten Anthropomorphismus voraus. Sie finden sich z. B. in der Südsee schon bei spitzen Steinidolen. Turner Nineteen years in Polynesia 527 erzählt von Tokelau, dass der Hauptgott Tui-Tokelau in Gestalt eines Steines verehrt wurde, welcher so heilig war, dass ihn nur der König sehen durfte, und auch dieser nur einmal im Jahre, wenn er mit neuen Matten umkleidet wurde, Waitz-Gerland Anthropol. d. Naturvölker V 195. Auf Taheiti heisst ein vierteljährliches Fest Göttererneuerung, bei dem man die Götterbilder heraustrug, mit Öl salbte, mit Matten umkleidete und feierlich zurücktrug, Moerenhout Voyage aux îles du grand Océan I 514ff. Waitz-Gerland VI 385.

Später, als die Furcht vor dem Anblick der Götter und himmlischen Götterbilder mehr geschwunden war, zog sich die Schreckenswirkung nun gerade auf das Attribut der Aigis zurück, das erst allmählich feste Gestalt gewann. Als wirkliches Ziegenfell erscheint die Aigis vielleicht auf einer ionischen Vase von A. getragen bei Gerhard A. V. II 127, als schlangenbesetzter Schild am Arm des Zeus auf einigen archaischen Gigantomachiedarstellungen, einmal auch am Arm der A. auf einem attischen Teller (s. u. § 59). Später kommt sie A. ausschliesslich zu und hat die Form eines schlangenbesetzten Schuppenkragens. Die Sage, welche dies Attribut als abgezogene Haut des Pallas fasst, wurde bereits erwähnt. Eine andre Version fasst sie als Spolie der Gorgo, welche A. erlegt habe, in deren Fratzengesicht sich allerdings bei der üblichen Darstellung der Aigis die schreckende Gewalt concentriert. Diese von der argivischen (§ 30) abweichende Sage erzählt Euripides im Ion 987–1005. Im Gigantenkampf zu Phlegra habe Gaia ein schreckliches Ungetüm, die Gorgo, gezeugt, A. habe diese erlegt und trage ihre Haut als Aigis. Zwei Tropfen Blutes der Gorgo, den einen tötend, den andern heilbringend, habe sie ihrem Zögling Erichthonios zum Angebinde gegeben, in dessen Geschlecht sie sich forterbten. Eine wunderthätige Reliquie der Gorgo trafen wir auch im Tempel der Polias zu Tegea (§ 31), jene Locke, den Hort der Stadt. Da sich die Verbindung der Gorgo mit A. in durchaus selbständiger Ausbildung in Athen, Argos (§ 30) und Tegea findet – wo die von Ovid. met. IV 795ff. erzählte Sage spielt, ist leider nicht bekannt –, so ist sie jedenfalls alt. Das Verhältnis der Heroine oder Göttin zu A. muss im Zusammenhang mit verwandten Erscheinungen besonders besprochen werden. Hier sollten nur einige sicherlich dem ursprünglichen Palladionkult angehörige superstitiöse Überbleibsel erwähnt werden, welche man später mit jener – abgesehen von der künstlerischen Darstellung – ausschliesslich gespenstisch schreckhaft gebliebenen Gestalt in Verbindung brachte.

51. Mit der furchtbaren Kraft jener Götterbilder hängt es wohl auch zusammen, dass von alters her da, wo A. Bilder sind, auch Tempel [1998] der Göttin stehen. Von einem Hainkult der Göttin ohne Tempel ist nichts bekannt, und die im Freien stehenden Statuen der A. sind meines Wissens nicht älter als das 5. Jhdt.

Die Hauptstätten des A.-Kultes hängen noch mit dem Glauben an ihre himmlische Herkunft zusammen und sprechen deutlich für das vorzeitliche Alter des Dienstes. Es sind zuerst die Häupter der Berge, zum Teil recht hohe, wie der Gipfel des Pentelikon, dann die Burgen der Städte. ,Die Beschützerin der Burgen hat sich offenbar erst aus der Bewohnerin der Anhöhen allmählich entwickelt; die A. Polias ist eine Art von politischer Anwendung der A. = Akria‘ (O. Müller Kl. Schrift. II 225; A. Kuhn Die Sagen von der weissen Frau, Ztschr. f. deutsche Mythol. III 385 leitet das Amt der A. Polias Poliuchos ab von ihrer Naturbedeutung als himmlischer Burgfrau, der in der Wolkenburg eingeschlossenen weissen Frau, welche Deutung mit der für griechische Verhältnisse nicht fruchtbaren meteorologischen Beschränktheit seines Systems steht und fällt). Auf den Höhen sah man am häufigsten den Blitz einschlagen und von ihnen flossen die durch das Gewitter geschwellten Quellen. Aber auch abgesehen von diesen Erfahrungstatsachen ist ja die Höhe für das religiöse Empfinden der natürliche Ort für die Verehrung der Himmelsgötter, denen man sich dort näher fühlt. Vor der eigentlichen Blütezeit des städtischen Lebens mag es Höhen mit A.-Kult gegeben haben, welche zu bestimmten Zeiten umwohnende Stämme vereinigten. Eine amphiktyonische A. lernten wir in Thessalien und Boiotien kennen und vielleicht Spuren davon in Arkadien. In historischer Zeit sind aber keine viel besuchten Heiligtümer der A. ausserhalb der städtischen Niederlassungen nachzuweisen, denn die Kultstätten vor den Thoren, wie die der A. Onka bei Theben, brauchen nicht der Stadtanlage voranzugehen. Indes wird eine Eigenheit, welche vor allem A.-Heiligtümer auszeichnet, in die vorpolitische Zeit zurückgehen, in welcher der Landfriede die Ausnahme war, nämlich das Asylrecht. Ihm verdankt die A. Alea ihren Namen und vielleicht ist in Alke, Alalkomene auch die defensive Bedeutung älter als die aggressive. Für das hohe Alter dieser Institution spricht ausser den Beispielen der Sage und allgemeinen Erwägungen namentlich der Umstand, dass der Begriff der Zuflucht hier geradezu zum Namen oder Beinamen der Gottheit geworden sein würde, wie auch A. Onka ,die Anhöhe‘ und nicht ,die von der Anhöhe‘ heisst. Das Asylrecht bedingt natürlich eine gegenseitige Garantie für und gegen den Schützling der Gottheit, und so mag mit diesem Rechte in Athen die alte Gerichtsstätte ἐπὶ Παλλαδίῳ zusammenhängen, welche nach Plutarch Thes. 27 wohl ausserhalb der ältesten Stadt im Süden oder Südosten gelegen hat. Das Verhältnis dieser Gerichtsstätte zum Areopag, dessen Competenzen jedenfalls einst mehr als den ἑκούσιος φόνος umfassten (in der Halirrhothiossage handelt es sich um δίκαιος φόνος), entzieht sich unserer Kenntnis, doch war vielleicht das Gericht am Palladion wie der Kult einst gentilicisch, der Areopag von Anfang an politisch. Im Kulte von Alalkomenai sind noch in späterer Zeit die Praxidikai, deren eine Alalkomenia heisst, [1999] Schwurgöttinnen und werden ursprünglich einen weitergreifenden Gerichtsbann ausgeübt haben (§ 7). Über priesterliche Jurisdiction im Kult der A. Alea zu Mantinea vgl. Dümmler Delphika 27f. B. Keil Gött. gel. Nachr. 1895, 349ff.

52. Erst diejenigen Functionen der A., welche ihr als Schützerin der Stadtburgen, als Polias, zukommen, führen uns in die historische Zeit der festen Ansiedelungen und des Ackerbaus. Auf letzteren beziehen sich in Thessalien und Boiotien die Beinamen βουδεία und βοαρμία, in Athen die heilige Pflügung der Buzygen, auf den Schutz der Viehzucht wahrscheinlich der Beiname Tithrone in Phlya. Schwerlich ist diese Seite der Göttin aus irgendwelcher Naturbedeutung direct abzuleiten, sondern die Landesgöttin ist die gegebene Hüterin der wichtigsten Zweige der Landeskultur. Wohl ist in der Geburtssage und in dem Beinamen Tritogeneia die Beziehung zum himmlischen Wasser erhalten geblieben und lag es nahe, der im Gewitter geborenen Jungfrau die Herrschaft über befruchtenden Regen und Tau zuzuschreiben, aber man hat eben die aus den gleichen Naturanschauungen fliessenden Vorstellungen frühzeitig differenziert und in A. einseitig die schrecklich kriegerische Seite kultiviert, aus der sich dann die des Volksschutzes und der politischen Oberleitung organisch entwickelte, zu welcher Entwicklung jedenfalls der ikonische Kult und was mit ihm zusammenhing, wesentlich beitrug. Wenn A. dann vielfach kultlich in enger Verbindung erscheint mit Göttinnen, die auf elementarer Stufe stehen geblieben sind, ursprünglichen Luft- Wasser- und Wolkenfrauen, wie in Athen den Tauschwestern, in Trozen Aithra, in Tegea Auge, so hat man dabei eine ursprüngliche Verwandtschaft vielleicht noch gefühlt, aber doch wohl überall auch das Bedürfnis, das starre und geschlossene Wesen der Göttin nach der elfenhaften Seite zu ergänzen (s. u. § 56). Wie fremd A. vollends den eigentlichen chthonischen Ackergöttinnen gegenüber steht, ist gerade aus der athenischen Kultcontamination der Skirophorien und dem Fortbestehen der alten Buzygenpflügung und der eleusinischen Concurrenzcaerimonie deutlich erkennbar. Ganz ähnlich scheint in Megara ein alter Dualismus des Kultes vorzuliegen, in dem A. und Demeter auf den beiden Akropolen der Stadt getrennt herrschen und zwar seit sehr früher Zeit. Nach dem μέγαρον der Demeter hat die Stadt den Namen, während die A. Aiantis die gleiche Bevölkerung voraussetzt, der in Salamis und Aigina die Aiakiden angehören. Erst die Dorer scheinen dann, ebenso wie im Peloponnes, den Demeterdienst planmässig haben verfallen zu lassen, während sie den der A. lebhaft aufgriffen.

53. Es scheint daher, dass auch diejenige Eigenschaft der A., welche ihr am meisten den Anschein einer Vegetationsgöttin giebt, ihre Fürsorge für die Olivenkultur, erst der Polias zukommt, dass vornehmlich in Attika erst durch politische Fürsorge ein wichtigster Zweig der Landeskultur der Landesherrin unterstellt wurde. Wir kennen jetzt durch Aristoteles Ἀθ. πολ. 60 Reste uralter Gesetzgebung aus der Zeit der Herrschaft des Areopags über die Pflege der μορίαι, der heiligen Ölbäume, dazu v. Wilamowitz [2000] Aristoteles u. Athen I 238ff. Vgl. auch die Verpachtungsbestimmungen über das Heiligtum des Kodros, Neleus und der Basile, CIA IV p. 66. Das Geschenk des Ölbaums begründet nach attischer Sage das Herrschaftsrecht der Göttin über die Landschaft, im heiligen Bezirk der Pandrosos wurde jene Olive gehegt und setzte nach dem Perserbrande neue Schossen an (Herodot. VIII 55), sie ist unsterblich und ist gewissermassen der Lebensbaum des Volkes, auf dessen Gliederung sich wohl noch die μορίαι in der Akademie beziehen. Wer einen Ölbaum fällte, erlitt ursprünglich den Tod (Aristot. a. a. O.), der Name μορία bezeichnet die Olive als Schicksalsbaum, wie sie auch in der merkwürdigen, von Theophrast (hist. plant. II 3, 3) erzählten Geschichte für Peisistratos Sohn Thessalos schicksalsverkündend erscheint (vgl. F. Rühl Rh. Mus. XXVII 460, dazu Mannhardt Wald und Feldkulte 23ff.). Im besondern hat man wohl später bei den Skirophorien den Schutz der Ölbaumzucht besonders im Auge, da auf dem weissen Lehmboden, nach dem Fest und Göttin heissen, die Olive vornehmlich gedeiht. Das Fest, welches dem Monat den Namen gegeben hat, zeigt einen sehr altertümlichen Charakter. Noch der Demeterhymnus 23 kennt besondere Olivennymphen, die Ἐλαῖαι, welche der attischen Religion durchaus fremd sind, dagegen sind die attischen Ansprüche auf besonderes Alter und Heiligkeit der einheimischen Olive bereits durchgedrungen in der von Herodot. V 82 erzählten Geschichte, wonach die Epidaurier attisches Olivenholz zur Verfertigung der Götterbilder der Damia und Auxesia auf Geheiss der Pythia von Athen beziehen und dadurch der A. Polias kultpflichtig werden. Jedenfalls ist schon sehr früh in Athen die Olivenzucht durch staatliche Fürsorge gepflegt (staatliche Verpflichtung zur Olivenzucht auch auf Kreta in dem Ephebeneid von Dreros, Cauer Del.² 121, in Verbindung mit der palaestritischen Jugenderziehung) und unter den Schutz der A. gestellt worden, wohl auch unabhängig von Athen an anderen Kultstätten, z. B. in Lindos, dennoch ist diese Verbindung als secundär zu betrachten, da der Kult der Göttin viel weiter verbreitet und jedenfalls auch viel älter ist, als die Einführung der Olivenkultur in Griechenland (obwohl der von Victor Hehn Kulturpflanzen und Haustiere⁵ 82ff. gegebene Ansatz für die Einführung der Olive entschieden zu tief gegriffen ist; vgl. die 6. Aufl. herausgeg. von O. Schrader u. A. Engler 117ff.).

Seit dem Aufkommen der Bildschnitzerei und der Bevorzugung des Olivenholzes für bestimmte Götterbilder (Herodot. V 82) mögen sich dann noch allerhand Superstitionen mit dem Baume verbunden haben, die vielleicht schon in die Odyssee hineinspielen (vgl. § 3). Über die Heilkraft der Olive und ihre Bedeutung für Neugeborene vgl. Stephani C. R. 1872, 72. Erst als Spenderin des Ölbaums mag A. zur Hygieia oder Paionia (Paus. I 2, 5. 34, 3) geworden sein, und daher werden auch ihre Beziehungen zur Kinderpflege rühren, für die der Erichthoniosmythos vorbildlich ist. Ob die Verbindung der A. mit den Heilgöttern in Epidauros und Tegea älter ist als das 5.–4. Jhdt., in welchem diese ihren Eroberungszug begannen, ist unsicher. Die spartanische [2001] Optiletis hat ursprünglich gewiss nichts mit der Augenheilkunde zu thun, sondern ist nur eine Glaukopis. Auch in dieser Function nimmt A. selbst nichts Chthonisches an; die A. der Akademie ist zugleich Schützerin der Olivenzucht und des Handwerks, sie hat neben sich einen Altar des Zeus καταιβάτης, ist also die im Gewitter geborene ὀβριμιπάτρη.

IV. Die wichtigsten Verbindungen mit andern Gottheiten.

54. Das geschlossene Bild, welches bereits das homerische Epos von der himmlischen Jungfrau giebt, erlebt wie die gesamte Heldensage im Athen des 6. und 5. Jhdts. eine glänzende Wiederauferstehung und tritt in der Diadochenzeit einen neuen Siegeszug durch die hellenistische Welt an. In den wichtigsten Centren griechischen Lebens hat sie vom 5. Jhdt an prächtige Tempel erhalten mit Bildern, an denen die alten furchtbaren Attribute als gefälliger Schmuck erscheinen. Kult und Opfer empfängt sie als olympische Göttin neben ihrem Vater Zeus, an dessen Seite sie die Burgen der hellenistischen Städte zu beherrschen pflegt. Wo, wie in Athen, ältere Glaubens- und Kultformen unausrottbar am Boden hafteten, hatten die grossen Staatsfeste des 6. Jhdts. von diesem andeutend einiges aufgenommen und dadurch die alten Begehungen zur antiquarischen Curiosität herabgesetzt, die Göttin selbst aus dem Kreise ihrer alten Genossen und Genossinnen mehr und mehr gelöst und zum selbstherrlichen Ideal eigenen Volkstums ausgestaltet. Die Kultverbindungen der A. wären wohl im stande, uns sowohl über ihr ursprüngliches Wesen wie über den Gang ihrer Entwicklung vielfach aufzuklären, wenn nicht die grossen Umwälzungen des 6. und 5. Jhdts. die Kulte derartig concentriert und vereinfacht hätten, dass uns vom Wesen jener Gestalten meist nur in der Sage ein Niederschlag geblieben ist, dessen Deutung oft sehr unsicher ist. In vielen Fällen können wir nicht einmal sagen, ob die Kultverbindung ursprünglich und wesenhaft oder mehr aus den zufälligen örtlichen Verhältnissen hervorgegangen ist. Wir müssen uns hier auf das Allerwichtigste und Erkennbarste beschränken, da die Verarbeitung des landschaftlichen mythologischen Materials gegenwärtig noch kaum bis zur Stellung der wichtigsten methodologischen Vorfragen gediehen ist.

Die Verbindung A.s mit Zeus, die durch die Geburtssage gegeben ist, ist natürlich die allerursprünglichste. Sie findet namentlich in hellenistischer Zeit einen relativ abstracten Ausdruck in der Verehrung beider als Polieus und Polias, aber bekundet sich auch schon in alter Zeit mehrfach in gleichen Beinamen, wie z. B. in der spartanischen Rhetra (§ 36). Im Kultus kommt diese Verbindung aber nicht lebhaft zum Ausdruck. Auf der Burg von Athen tritt der Kultus des Zeus Polieus gegen den der A. sehr zurück und ist zudem in der Hand anderer Geschlechter. Ebenso spielen im argivischen A.-Kult eigentlich die einheimischen Heroen eine wichtigere Rolle als der Zeus Larisaios. Das rührt wohl daher, dass der Geburtsmythos sich aus zwei Factoren zusammensetzt, welche für den lebendigen Glauben wenigstens der späteren Zeit eine untergeordnete Bedeutung besitzen, einmal aus einem Factor [2002] meteorologisch-theogonischer Speculation, welche nie und nirgends grosse Göttergestalten geschaffen hat, dann aus einer uralten, mit dem Steinkultus verbundenen Superstition, welche gegenstandslos wurde, sobald man Götterbilder aus Menschenhand zu verehren begann. Es ist daher falsch und aussichtslos, sämtliche Seiten der A. unmittelbar aus dem meteorologischen Geburtsmythos deducieren zu wollen. Man kommt damit nicht einmal zu einer greifbaren Vorstellung des angeblich Ursprünglichen. Der Blitz ist zugleich das Beil des Hephaistos, die Lanze der A. oder gar ihr Blick, die Wetterwolke bald das Haupt des Zeus, bald die Aigis etc. Und dann leitet man gar aus der Gewittergöttin A. als Aethergöttin ab a non lucendo. Das Wesen der A. hat sich viel eher trotz, als aus dem Geburtsmythos entwickelt. Von diesem blieb im Glauben nur die Vorstellung lebendig: Zeus hat einst unter Blitz und Donner eine gewaltige Tochter geboren. Wer nun diese Tochter war und wie sie gedacht wurde, das hing ganz wesentlich davon ab, wie man sich den Vater Zeus dachte. Wäre Zeus in den physisch-theogonischen Schranken eines Uranos oder Kronos stecken geblieben, so hätte auch A. keine weitere Entwicklung gehabt, ihre Bilder hätten sich mit der Rolle zauberkräftiger Donnersteine begnügen müssen und wären bald in die Sphäre verachteter Superstition herabgesunken. Aber da Zeus bei Homer längst mehr ist als Himmelsgott, so zog er seine eingeborene Tochter mit zu sich hinauf, und aus dem Glauben: A. ist die ähnlichste und liebste Tochter des Zeus, erklären sich alle charakteristischen Eigenschaften der Göttin unmittelbar. Dieser Zeus, der Vater der griechischen Adelsgeschlechter, ist nun aber so eine ideale und universale Potenz, dass er sich mit einem bescheidenen, gleichfalls mehr ideellen Kultus begnügt. A. blieb namentlich als Trägerin der furchtbaren Attribute, welche ihre ikonische Verehrung erheischten, der sinnlichen Sphäre näher und ging so Verbindungen ein mit Gottheiten, welche zwar weniger mächtig als Zeus, aber doch in grösserer Nähe gefahrdrohend oder hülfsbereit gedacht wurden. Sehr merkwürdig ist in Koronea in Boiotien die Verbindung der A. mit einem chthonisch gedachten Zeus, der auch als Hades gelten konnte (§ 6). Wahrscheinlich haben die Sühnecaerimonien im Kult der Iodama, welche zum olympischen Kult nicht zu passen schienen, den ursprünglich der A. ziemlich indifferent zugesellten Zeus in die chthonische Sphäre mit herabgezogen.

55. Viel enger als mit Zeus ist A. im Kult mit Poseidon verbunden, nicht nur auf der Burg von Athen, sondern von Nordgriechenland bis zum Peloponnes und bis Libyen herab. Wir müssen uns diese Vereinigung also in einer Zeit vollzogen denken, als die historisch bekannten Griechenstämme sich noch nicht herausgebildet hatten. Ob sie aber auf bestimmte Verhältnisse und Ereignisse zurückgeht oder auf irgend welcher ursprünglichen Wahlverwandtschaft der beiden Gottheiten beruht, muss dahingestellt bleiben. Ein Bindeglied zwischen beiden Gottheiten ist der himmlische Quell Trito, an dem A. geboren wird, oder der ursprünglich wohl bei ihrer Geburt entsprang, und der als Gott in einer alten Erweiterung der hesiodischen Theogonie als Sohn des Poseidon und [2003] der Amphitrite erscheint, v. 931. Ein anderes aus dieser frühen Anschauungssphäre stammendes Bindeglied ist der beiden Gottheiten gemeinsame Beiname ἵππιος-ἱππία. In den sehr altertümlichen arkadischen Demetermythen ist Poseidon selbst Ross oder nimmt Rossgestalt an, mit der Medusa zeugt er das Flügelross Pegasos, das Perseus ans Licht bringt, Hesiod theog. 278ff., und das nach korinthischer, ursprünglich argivischer Sage A. den Bellerophontes zähmen lehrt. Andere Sagen lassen den Poseidon Schöpfer des Rosses werden, indem er den Fels mit dem Dreizack spaltet, worauf es hervorspringt, oder mit seinem Samen befruchtet (Preller-Robert 590). Wenn die Mythographen das Verhältnis des Poseidon und der A. zum Rosse so zurechtlegen, dass Poseidon die Züchtung, A. die Bändigung des Rosses gelehrt habe, so ist das später Rationalismus. Ursprünglich ist A. jedenfalls einmal ebenso real ἱππία gewesen, wie Poseidon ἵππιος. Diese Reste alter theriomorphistischer Sagen sind später von den Hellenen nicht mehr verstanden und in verschiedener Weise gedeutet worden, wenn auch das Gefühl einer mythischen Bedeutung des Rosses lebendig blieb. Am längsten deutlich blieb das Ross als Bild für Quellen und Wogen (vgl. Löschcke Boreas und Oreithyia), auch der Name Pegasos weist auf diese Auffassung (über Ross und Quell vgl. F. Marx Interpretationum hexas, Index Rost. 1888/9, 7), und wenn Hesiod den Pegasos zum Blitzträger des Zeus macht, so ist das wahrscheinlich aus der Bellerophonsage erst abstrahiert, ohne dass in andern Fällen die Gleichsetzung des Rosses mit einer Wetterwolke ausgeschlossen wäre (der Name des ersten thessalischen Rosses Skyphios, mit σκάφος verwandt, scheint auf die Schiffahrt zu gehen, die jedenfalls die jüngste Metapher sein würde). Man könnte sich nach diesen Analogien Sagen denken, wonach Poseidon die A. Ἱππία mit dem Dreizack aus dem Felsen geschlagen habe, oder auch eine Sage, in der Poseidon die Rolle des Hephaistos als Vater des Erichthonios in der jüngeren attischen Sage, oder sogar A. die Rolle der arkadischen Demeter gespielt hätte. In allen diesen Fällen würde der Ursprung der A. in verwandten Anschauungen liegen, wie in der kanonisch gewordenen Geburtssage, nur dass weniger auf das Gewitter selbst, als auf seine Folge, die Erschliessung des Wassersegens, geblickt worden und infolge dessen der Schauplatz auf die Erde beschränkt worden wäre (die von A. Kuhn aufgeworfene Frage, ob das ursprüngliche Reich des Poseidon das Luftmeer sei, wodurch er dann zu einem zweiten Zeus würde, können wir auf sich beruhen lassen; dass er in Griechenland weit mehr als Meeresgott ist, ist ja allgemein anerkannt). A. wäre in diesem Fall ursprünglich der ross- oder menschengestaltige Geist des im Gewitter entspringenden Wassers, der Beiname Tritogeneia und der Tritonbach würden in einem solchen Mythos fast noch besser eine Stelle finden als in dem von der Zeusgeburt, dieser würde die Concurrenz des poseidonischen Mythos wohl hauptsächlich infolge der praktischen Rücksicht auf den ältesten Palladienkult verdrängt haben. Man könnte weitergehen und den Doppelnamen durch Fusion der beiden verwandten Gestalten erklären. Aber all das sind vage Möglichkeiten, denen sich [2004] noch andere an die Seite stellen liessen. So weit wir mit Sicherheit zurückgelangen können, ist der Mythos von der Zeusgeburt kanonisch, die Kultverbindung mit Poseidon als Erbe aus praehistorischer Zeit übernommen, ohne dass die darauf bezüglichen Sagen uns über die wahren Gründe aufklärten. Relativ spät sind alle Sagen, welche von einem Streit verschiedener Götter um ein Land berichten, blos zur Begründung der factisch bestehenden Kultverhältnisse ersonnen.

56. Über A.s Verhältnis zu Hephaistos und den Schmiedegöttern vgl. § 15 und § 48. Dass die Sage von Hephaistos missglückter Werbung ausserattischen Ursprungs oder von Athen unabhängig anderwärts verbreitet gewesen sei, folgt daraus noch nicht, dass Bathykles die Scene am amyklaeischen Thron darstellte, wenn anders der Perieget die Darstellung richtig gedeutet hat. A priori ist natürlich zuzugeben, dass so wenig für A. wie für eine andere griechische Göttin die Jungfräulichkeit ein Postulat der ältesten Auffassung zu sein braucht. Man hat sie daher auch bei A. für secundär gehalten und hat aus der Erichthoniossage, der Function der A. als Kurotrophos, der A. Meter in Elis auf eine ursprünglich mütterliche Geltung der A. geschlossen. Material und Gründe finden sich am besten zusammen in O. Jahns Aufsatz A. Kurotrophos-Erichthonios-Dionysos, Archaeol. Aufs. 60ff., einiges aber entschieden Verfehltes auch in dem Aufsatz A. und Herakles, ebd. 83ff. Am schnellsten lassen sich die Ammendienste, die A. dem Iakchos leistet, erledigen, für die der Hauptzeuge Nonnos XLVIII 948ff. ist, da sie offenbar eine späte Nachbildung ihres Verhältnisses zu Erichthonios sind. Aber auch die Erichthoniossage ist jedenfalls nicht uralt. Sie verträgt sich mit den Kultmalen und den Sagen des Erechtheions nicht, Erichthonios ist wahrscheinlich erst in peisistratischer Zeit und wahrscheinlich ohne dauernden Erfolg wenigstens im Kultus zum chthonischen Heros und Pflegling der A. herabgedrückt worden. Die Sage hat dabei doch ein organisches Aussehen, weil sie nach der Analogie echter Sagen gebildet ist. Das schwerwiegendste Argument für den ursprünglich mütterlichen Charakter der A. ist ihre Verbindung mit Heroinen, welche ihr wesensverwandt und dabei offenbar von Anfang an mütterlich gedacht sind. Hier ist in einigen Fällen locale Zufälligkeit und später Ursprung der Verbindung ausgeschlossen. Wenn in Athen A. mit Aglauros und Gorgo und Aglauros mit Ares, in Argos A. mit Diomedes, Perseus und der Medusa, in Cypern A. mit Diomedes und Aglauros verbunden ist, so liegen an keinem der drei Orte Entlehnungen vor, sondern alte selbständige Brechungen derselben Kultvereinigung, welche auch verwandte Sagen erzeugt haben. Dass Aglauros eine alte wesenhafte Göttin ist, geht aus der Stelle hervor, welche sie im attischen Ephebeneide einnimmt. Auch bei ihrem blutigen Kult im cyprischen Salamis sind die Epheben beteiligt, indem sie den zu opfernden Menschen dreimal um den Altar herumführen. Die Vermutung liegt nahe, dass das cyprische Menschenopfer eine Ablösung einer mit Martern verbundenen Weihe sämtlicher Epheben war, wie sie im Kult der Artemis Orthia in Sparta fortbestand, über welchen zu vergleichen [2005] ist O. Schade Jünglingsweihen (Weimar. Jahrb. VI) 31ff. In der athenischen Sage nun wird Aglauros von Ares Mutter der Alkippe und Ares wegen δίκαιος φόνος, vollzogen am φθορεύς seiner Tochter, vom Areopag freigesprochen. Diese Sage ist mithin alt und in ihr die Mutterschaft der Aglauros und ihr Verhältnis zu Ares wesentlich. Eine selbständige Parallelsage findet sich hierzu im achaeischen Kulte zu Tritaia, wo die A.-Priesterin Tritaia dem Ares den Melanippos gebar, welcher als Gründer des Ortes verehrt wurde (§ 34). In Tegea erhält Sterope durch A. die Locke der Gorgo (§ 31), deren Schwester Aerope in Pallantion Geliebte des Ares ist (Paus. VIII 44, 7), während in Olympia Ares und Sterope selbst Eltern des Oinomaos sind (Hygin. P. A. II 21. Schol. Il. XVIII 486) und A. Ἱππία neben Ares Hippios verehrt wird (§ 35). Verwandte Gestalten mit verwandten Sagenzügen liessen sich leicht noch ins Unendliche häufen. Die allgemeinen Gesetze dieser Erscheinungen können aber nur im allergrössten Zusammenhange und mit sorgfältigster Unterscheidung des Kultlichen und Mythischen untersucht werden. Wo die kultliche Grundlage verloren gegangen ist, hat die Mythenbildung eine derartig assimilierende Kraft, dass die ursprünglichen Formen und Zusammenhänge meist nicht mehr kenntlich sein werden. Auch wirkliche Kultmythen sind in der Motivierung der Kultthatsachen selten zuverlässig, namentlich wenn ein erheblicher Umschwung in der Auffassung des göttlichen Wesens stattgefunden hat. Vorläufig ist den herrschenden Theorien gegenüber noch die grösste Reserve geboten, da sie meist, für bestimmte Fälle von richtigen Beobachtungen ausgehend, zu früh verallgemeinern. Die sog. Hypostasentheorie trifft wohl für die wenigsten Fälle zu. Sie erkennt in den mit einer Gottheit kultlich verbundenen heroischen Gestalten verselbständigte Seiten oder Eigenschaften der Gottheit, dieser Theorie ist Athena Aglauros oder Pandrosos ursprünglicher als die selbständige Aglauros oder Pandrosos, in dem gewählten Beispiel sicher mit Unrecht. Häufig würde der Grund zur Loslösung dieser heroischen Gestalten gewesen sein, die Göttin von Eigenschaften zu entlasten, die sich mit kultivierten Vorstellungen von ihrem Wesen nicht mehr vertrugen, wie in unserem Fall die Mütterlichkeit mit dem der A.

Es hiesse aber die selbständige Bedeutung einer Göttin wie z. B. Auge vollständig verkennen, wenn man sie als einen Ableger einer verschollenen mütterlichen A. auffassen wollte. Sie wird knieend in der Stellung einer Kreisenden dargestellt und hat ihren eigenen Mythenkreis, der von der A.-Religion weit abliegt. Hier ist die primäre Thatsache nur die Nachbarschaft im Kult. Auge wird zur Priesterin der A. und Tochter des Aleos gemacht, nur um die schwere Bestrafung ihres unfreiwilligen Fehltritts besser zu motivieren, wohl auch um die Thatsache zu begründen, dass unerwachsene Mädchen den Kult der A. versahen. Am ersten dürfte die Hypostasentheorie noch berechtigt sein, wo es galt, Kultgebräuche zu motivieren, die zu dem späteren Gesamtbild einer Gottheit nicht mehr recht stimmten. Möglicherweise ist im boiotischen Kult von Koronea die Heroine Iodama eine solche Hypostase. Die Sühnegebräuche, [2006] welche ursprünglich im Kulte der A. allgemein waren, scheinen durch eine unfreiwillige Tötung motiviert werden zu müssen, für die man die Schwester der A. Iodama erfand. Aber da jeder Kult einen lebenden Empfänger voraussetzte, betonte man geflissentlich, dass Iodama doch eigentlich lebe. Eine solche einfache Kultsage würde dann die Sagen von der Pallas und der Gorgo beeinflusst haben, aber nicht um Kultgemeinschaft zu motivieren, sondern um bestimmte Eigenschaften der Palladien zu erklären, die nicht von A. selbst, wie man sie sich später dachte, ausgehen zu können schienen. Der Pallas oder dem geschundenen Vater Pallas kommt gar kein selbständiger mythischer Wert zu. Gorgo hat demselben Bedürfnis genügt, das jene Gestalten geschaffen hat, aber sie verdankt ihm nicht ihre Existenz. Sicherlich ist die μέδουσα ursprünglich eine gewaltige Naturgöttin, die erst durch das Aufkommen der Olympier ausschliesslich in die gespenstige Sphäre herabgedrückt wurde. Γοργώ, die furchtbar blickende ist sie ursprünglich vielleicht ganz allgemein, etwa wie Hekate Βριμώ. Es liegen keine Anzeichen vor, dass man bei ihr den finstern Charakter auf bestimmte Perioden zu beschränken und durch bestimmte Ereignisse zu motivieren versucht hätte, wie bei der verwandten Demeter Melaina durch die Überwältigung durch Poseidon oder in der ähnlichen Sage des kithaironischen Herakultes. Zur besiegten Rivalin der A. wird sie hauptsächlich dadurch, dass ihr Kopf frühzeitig apotropaeisch verwendet wurde und so auch zum Mittelpunkt der Aigis ward, teils wohl auch, weil sie als Mutter des poseidonischen Wunderrosses der Ἱππία verwandt schien. Die sehr zweifelhafte Gewitterqualität der Gorgo hat mit ihrer Verbindung mit A. am allerwenigsten zu thun.

Dass Gorgo als eine von drei Schwestern erscheint, ist secundär, die zwei Schwestern sind ursprünglich wohl nur ihre Erinyen, welche erst aus ihrem Blute entstehen. Ebenso ist jedenfalls Aglauros ursprünglich eine einzelnstehende mächtige Göttin, und nur ihre Verbindung mit Ares ist alt und in der militärischen Jugenderziehung begründet. Für Ares tritt in diesem Kult wie öfters Diomedes ein. Der Sprung der Aglauros vom Fels ist gewiss ursprünglich für blutige Opfergebräuche vorbildlich gewesen, seine Motivierung durch die Erichthoniossage ist ganz unursprünglich und ebenso ihre Verbindung mit Pandrosos und Herse, welche in den kultlichen Functionen der Eteobutaden und der Arrhephoren ihre Wurzel haben. Aglauros gehört jedenfalls einer sehr alten Religionsschicht an. Dass der Kult der A. den der Aglauros zum Teil ganz verdrängte, wie in Argos, teils in den Hintergrund drängte, erklärt sich daraus, dass der wirksamere ikonische Palladienkult denselben Bedürfnissen genügte wie der Aglauroskult. In Argos ist es offenbar ein uralter Compromiss, wenn die Nachkommen des Diomedes den Kult der A. zu besorgen haben, der sich lange vor dem epischen Zeitalter bereits vollzogen hatte.

An einem andern Punkt, in Alalkomenai, erscheint A. in enger Verbindung mit einem wirklichen Dreiverein nymphenartiger Göttinnen, den Praxidiken (§ 7). Wenn nun eine der Praxidiken [2007] Alalkomeneia heisst, so konnte man leicht in Versuchung kommen, zu vermuten, A. sei aus einem solchen Nymphenverein erst abgelöst und individueller gestaltet worden. Wahrscheinlich sind aber die Individualnamen der Praxidikai erst jung; die verlockende Parallele der attischen Tauschwestern bewährt sich nicht; viel richtiger würde man die σεμναί vom Areopag mit den Praxidikai vergleichen. Die Hut des Eides haben die Praxidikai jedenfalls stets gehabt, denn zu dieser Caerimonie braucht man chthonische Gottheiten; man mag aber diese sacrale Function irgendwie mit dem Dienst der A., mit welchem vielleicht auch Gerichtsbarkeit verbunden war, in Zusammenhang gebracht haben, und so ist diese Verbindung eine wesentlich locale, wie ja die Praxidiken in Lakonien auch in anderer Verbindung auftreten (§ 7). Möglicherweise hat A. mehrfach solche altertümlichen Nymphenvereine verdrängt, z. B. da, wo sie drei Tempel dicht bei einander hatte, wie auf der Burg von Megara. Der Name τριτογένεια lässt sich natürlich nicht für ein Herauswachsen der Göttin aus einem ursprünglichen Dreiverein verwenden. Die Singularität ihrer Epiphanie, wie sie im Geburtsmythos sich niedergeschlagen hat und an welche auch noch jenes Beiwort erinnert, spricht vielmehr für ursprüngliche Einzelexistenz.

V. Begriff und Name.

57. Es ist nach dem Vorstehenden wohl klar, dass Begriff und Wesen der A. sich nicht in wenig Worte fassen lässt. Wie ihr Vater Zeus hat sie in praehistorischer Zeit die Züge ihrer Verehrer, des achaeischen Ritterstandes, angenommen, und ihre verschiedenen Functionen erklären sich weniger aus irgend einer längst nicht mehr empfundenen Naturbedeutung als daraus, dass sie das ähnlichste und liebste Kind des himmlichen Vaters ist. In hervorragendem Grade olympisch ist Zeus und seine mutterlose Tochter stets geblieben. Da man aber den himmlichen Schlachtengott vornehmlich auch im Gewitter sich offenbaren dachte, so knüpfte sich an den Fall vermeintlicher Donnersteine ein abergläubisch ikonischer Kult der Pallas A., welcher sogar im bilderfeindlichen homerischen Epos seine Spur zurückgelassen hat. Dieser Kult hatte mannigfache Sühngebräuche zur Folge, welche dem eigentlich olympischen Kulte fremd, darum aber noch nicht chthonisch sind. Immerhin mögen sie die kultliche und mythische Verbindung der A. mit mancherlei chthonischen Wesen begünstigt haben. In ihrem eigenen Kult werden sie im Laufe der Zeit möglichst entfernt oder zu symbolischer Andeutung herabgedrückt. Die Stadtherrin Athens im 5. Jhdt zeigt wieder die homerischen Züge, und diese hat sie wohl für den gläubigen Verehrer allezeit behalten. Die antiken und modernen moralistischen Allegorien, welche mit Antisthenes beginnen, sowie die rein meteorischen Deutungsversuche, die Aristoteles inauguriert, gehören nicht in die Mythologie, sondern in die Geschichte der Theologie.

58. Der Name der Göttin ist wie die meisten alten Götternamen dunkel, die vorgeschlagenen Etymologien teils unmöglich teils nicht überzeugend. Zwar der Beiname Παλλάς wird mit Wahrscheinlichkeit mit παλλακή und neugriechisch παλικάρης in Verbindung gebracht, so dass er die Göttin als kräftiges Mädchen bezeichnen würde. [2008] So nach Eustathios bereits Rückert 6. Die seit dem Altertum oft wiederholte Ableitung von πάλλω ist unwahrscheinlich. Vom Namen Ἀθήνη dürften diejenigen Ableitungen am wenigsten Glauben verdienen, welche direct auf indische, zum Teil erst postulierte Wurzeln zurückgehen. So namentlich die Benfeys (Gött. gel. Nachr. 1868), welcher durch einen complicierten Process eine Wasserbedeutung zu erreichen strebt. Roschers Ableitung (Nektar und Ambrosia 105) von Wurzel vadh = schlagen, stossen scheitert schon daran, dass Ἀθήνη im Anlaut kein Ϝ verloren hat. Die Ableitung von, ἄνθος, Ἀθήνη = Ἀνθήνη] (Lobeck Rhem. 300. Curtius Grundzüge⁵ 251) hat sachlich nichts für sich. Burys Ableitung (Bezzenb. Beitr. VII 340) von μθ (μεδ in μέσσος) ist abenteuerlich. Auch Johannes Baunacks Versuch (Studia Nicolaitana 26–29), Ἀττική Ἀττίς Ἀτθίς Ἀθῆναι unter einen Hut zu bringen und von einer Wasserwurzel ἀσσ- abzuleiten, hat wenig für und viel gegen sich. Baunack scheint auch die Phyle Ἀτταλίς hierherzuziehen und für ein autochthones Gewächs des attischen Bodens zu halten! Viel ansprechender als alle diese Versuche wäre die alte, wie es scheint verschollene Vermutung Rückerts 7 (danach Gerhard Mythol. I 255), Ἀθήνη sei = τιθήνη, verwandt mit θάω, θηλύς etc., wenn die Sprachwissenschaft ein im Grunde bedeutungsloses α intensivum anerkennte. Wenn diese Etymologie richtig wäre, so würde sie allerdings für die ursprüngliche Nymphennatur der A. sprechen, wohl auch für ihren mütterlichen Charakter. Einen Umstand darf man bei der Aufstellung einer Etymologie nicht aus dem Auge verlieren, nämlich den, dass A. selbst sowie verschiedene ihrer Beinamen identisch sind mit den Stätten ihres Kultus, nicht adjectivisch von ihnen abgeleitet. Über die Beinamen, soweit sie noch nicht besprochen wurden vgl. Bruchmanns Epitheta deorum (für die Poesie), über die Quellenverzweigung Wentzels Ἐπικλήσεις.

VI. Athena in der Kunst.

A. Älteste Idole.

59. Der älteste Steinkult, welchen der A.-Dienst voraussetzt (§ 26. 46), wurde früh durch den des bewaffneten Xoanon ersetzt, wobei teils das Bedürfnis massgebend war, die fürchterlichen Attribute deutlich auszuprägen, teils wohl auch die unter dem Schutze der Göttin mächtig aufgeblühte Ölkultur mitwirkte und die Sitte, mit hölzernen Schnitzbildern allerhand Zauber zu treiben. Das Attribut der Aigis wird erst allmählich fixiert, bei den ältesten Palladien war es wohl mit dem Schilde identisch; noch auf einem attischen Teller des 6. Jhdts. trägt A. einen grossen schlangenumsäumten Schild als Aigis (Ἐφημ. ἀρχ. 1886 πιν. 8), wie auf einer ionischen Vase Zeus im Gigantenkampf (§ 2). Die altertümliche Auffassung der Aigis als Ziegenfell, in das die Göttin ganz eingehüllt ist, findet sich noch einmal auf einer ionischen Vase (Gerhard A. V. II 127). Die herrschende Auffassung aber wurde die des λαισήιον, des statt des Schildes vorgestreckten Tierfelles, das schuppig wie eine Schlangenhaut gebildet und auch unnaturalistisch bunt bemalt zu werden pflegt und von Schlangen umsäumt ist. In Darstellungen des Gigantenkampfes wird der ursprüngliche Sinn der Waffe [2009] noch lange bewahrt, während sie daneben an der ruhigen Gestalt der A. frühzeitig zum Schmuck wird, der immer mehr an Ausdehnung einbüsst und schliesslich zum zierlichen Halskragen oder zur Schärpe zusammenschrumpft. Dass das Kultbild der A. πολιάς zu Athen ein stehendes Palladion war, hat O. Jahn De antiquissimis Minervae simulacris Atticis, Bonn 1866, erwiesen, und da auch das troische Palladion auf allen Kunstdarstellungen so erscheint, werden wir uns die ältesten Poliasbilder durchweg so zu denken haben, da jedenfalls auch der Eindruck der geschwungenen Waffen für die ἐρυσίπτολις integrierend war. Diese ältesten Xoana bestanden aus einem einfachen Stamm, an welchen die bewaffneten Arme und das behelmte Haupt, in dem man wohl früh die funkelnden Augen hervorhob, angefügt waren. Ein etwas archaisierendes Beispiel aus dem 5. Jhdt. giebt der Bologneser Krater mit Iliu Persis, Mon. d. Inst. XI 15. Als dann die daidalidischen Bildschnitzer gelehrt hatten, die Beine zu trennen, wurde auch die Polias weit ausschreitend dargestellt. Wahrscheinlich war die athenische Kultstatue nicht älter als dies Stadium der Kunst (7. Jhdt). Die panathenaeischen Amphoren zeigen sämtlich A. in der Schrittstellung zum Stosse ausholend (Mon. d. Inst. I 21. 22. X 47–48 n). Den bunten Peplos der älteren Zeit kann eine Scherbe von der Akropolis mit Kassandraraub veranschaulichen Ἐφημ. ἀρχ. 1885 πιν. 5). Auch bei der bekannten archaistischen A. in Dresden (Becker Augusteum I 9) ist der panathenaeische Peplos gemeint. Als Promachos mit geschwungener Lanze hinter einem Altar, auf dem eine Krähe sitzt, ein Ziegenopfer empfangend, ist A. auch auf einem altboiotischen Teller aus Tanagra dargestellt, Journal Hell. Stud. I Taf. 7.

B. Sechstes Jahrhundert bis zu den Perserkriegen.

60. Der sitzende Typus für Kultstatuen der A. ist erst im 6. Jhdt. ausgebildet worden, indem zugleich in den friedlichen Attributen der Charakter der gütigen Landesherrin mehr hervortrat. Für Erythrai fertigte nach Paus. VII 5, 9 Endoios ein thronendes Bild der Polias mit einem Polos gekrönt, eine Spindel in jeder Hand. Der Name des Künstlers, von dem wir Inschriften haben, führt in die zweite Hälfte des 6. Jhdts., und wir sind nicht genötigt, die andern alten Sitzbilder, welche Strabon XIII 601 aufführt (Phokaia, Chios, Massalia), für wesentlich älter zu halten. Nach Paus. I 26, 4 machte Endoios der Daidalide ein Sitzbild, das vor dem Tempel der Polias auf der Burg von Athen geweiht war. Dass es in der That in peisistratischer Zeit eine sitzende Kultstatue der A. auf der Burg gab, zeigt die s.-f. Hydria bei Gerhard A. V. IV 242 (Jahn a. a. O. Taf. I 1), auf welcher der Göttin, welche reich ionisch gekleidet ist und Helm und Schale in den Händen hält, ein Kuhopfer gebracht wird. Vor ihr befindet sich ein Altar mit einer Andeutung dorischer Architektur. Dass die Vase mit dem Kultbild der A. Nike zusammenhängen könne, wird jetzt niemand mehr im Ernst behaupten. Es ist ein Kultbild peisistratischer Zeit, das an den Panathenaeen seine Ehren mit dem alten Xoanon teilen mochte. Es hat denn auch [2010] Votivstatuen in ähnlicher Haltung hervorgerufen. Eine davon mit bereits freier Fusssttellung ist abgebildet Le Bas Mon. fig. pl. 2, 1 und bei Jahn a. a. O. Tafel I 2. 3. Jahn war ohne hinreichenden Grund geneigt, diese Statue dem Endoios zuzuschreiben. Doch könnte sie recht wohl von dem Kultbilde des Endoios abhängen. Indem man später Δαιδαλίδης patronymisch fasste, statt als Bezeichnung der Schule, ergab sich in Athen wie in Ionien die ungebührliche Hinaufdatierung der entsprechenden A. Bilder. Über das Sitzbild der A. in der Ilias VII vgl. § 4.

Zahlreiche Terracotten, welche die Göttin friedlich thronend und oft nur durch Aigis und Gorgoneion als A. charakterisiert zeigen (z. B. Stackelberg Gräber d. Hell. Taf. 57), sind nicht älter als das 6. Jhdt und typengeschichtlich von geringem Wert, da der Typus für eine ganze Reihe von Göttinnen geschaffen und die Attribute der A. erst nachträglich äusserlich hinzugefügt sind.

61. Die Ausbildung, welche der Typus der Kore im 6. Jhdt. auf den Inseln erfuhr, kommt auch den Darstellungen der A. zu gut, namentlich hinsichtlich der reichen Gliederung der Gewandung, welche jetzt häufig die aus dorischen und ionischen Elementen gemischte der chiotischen Schule ist, seltener eine rein ionische, welche sich mit den kriegerischen Attributen schlecht vereinigen lässt. Als sorgfältiges Muster dieses Stiles kann die A. aus den aiginetischen Giebeln dienen. Sie trägt über dem ionischen Ärmelchiton den ionisierenden Peplos, welcher die linke Brust frei lässt und am rechten Arm in zwei sorgfältig gefalteten Schwalbenschwänzen herabhängt. Darüber die grosse Kragenaigis; der linke Fuss ist bei Seite gestellt und im Knie etwas gebogen. Die feierliche Ruhe dieser A. gemahnt noch an alte Kultbilder, doch ist die Lanze nicht geschwungen, sondern wird gemäss der Rolle, die die Göttin spielt, wie die Rute eines Kampfrichters schräg vor der Brust gehalten. Auffällig ähnlich der aiginetischen A. sind die Darstellungen der Göttin auf den Gefässen des Vasenmalers Duris, besonders schön auf der unsignierten Schale Mon. d. Inst II 35 (bei Iason im Schlunde des Drachen). Von der hervorragendsten monumentalen Darstellung der Göttin in Athen aus dem 6. Jhdt war früher nur der Kopf bekannt Es gelang Studniczka, ihn mit Fragmenten des gehobenen aigisbewehrten linken Armes zusammenzusetzen und Bruchstücke anderer Statuen hinzuzufügen, aus denen hervorgeht, dass diese A. den Mittelpunkt einer Gigantomachie bildete, welche ein Giebelfeld des alten Poliastempels zierte (Athen. Mitt. XI 185ff.). Verwandt ist die Darstellung der Kämpfenden auf einem archaischen Relief bei Schöne Gr. Reliefs nr. 84 und auf einer nicht signierten Gigantomachieschale des Brygos Berlin nr. 2293. Gerhard Trinkschalen VIII. X. XI.

Auch der Kopf der ältesten attischen Münzen erinnert mit seinen grossen etwas vorquellenden Augen und den fleischigen Formen an den des Giebels, dessen Meister und seine Herkunft noch unbekannt ist. Den äussersten ionischen Zopfstil repräsentiert ein Weihrelief von der Akropolis, auf welchem die sitzende A. eine Procession empfängt, welche ein Mutterschwein darbringt (Ἐφημ. ἀρχ. 1886 πιν. 9), nicht viel weniger affectiert [2011] ist die schreitende mit einer grossen Aigis geschmückte A., ebd. 1887 πιν. 4, aus einer dünnen Bronzeplatte beiderseitig im Profil ausgeprägt. Einige Bronzen der Promachos ebd. 1887 πιν. 7 und 8, 3 zeigen teils ionischen, teils aiginetischen Einfluss.

62. In der Kleinkunst sind in diesem Zeitraum die Darstellungen der A. zahllos. Sie erscheint namentlich als Helferin einzelner Helden teils lebhaft voranschreitend, teils idolähnlich steif dabeistehend. Letztere Haltung ist auf den chalkidischen Vasen die Regel. Charakteristisch ist hier die geringe Bewaffnung. Ganz unbewaffnet erscheint sie bei dem Geryoneuskampfe des Herakles, Gerhard A. V. IV 323. Wenn sie auf chalkidischen Vasen die Aigis trägt, so ist diese stets durch besonders grosse Schlangen ausgezeichnet, z. B. Gerhard A. V. II 105. 106. Mon. d. Inst. I 51. Unbewaffnet ist A. auch auf der altertümlichen Selinunter Perseus-Metope. Auch auf dem Korinther Pinax, auf dem A. dem Diomedes die Rosse hält, Ant. Denkm. I Taf. 7, 15, ist die Lanze ihre einzige Waffe; bekleidet ist sie mit dem einfachen dorischen Peplos. Die zahlreichen attischen Darstellungen des Parisurteils bieten wenig Interesse (Proben bei Gerhard A. V. III 171–176), barock ionisch ist das Parisurteil ebd. 170 (der Helmbusch ist nur fortgelassen). Auf dem chalkidischen Parisurteil Journal of Hell. Stud. VII pl. 70 ist A. in nichts von den andern Göttinnen unterschieden. Über A. in der Gigantomachie vgl. M. Mayer Giganten und Titanen. Der Mythos von A.s Geburt ist auf s.-f. Vasen in naiver Deutlichkeit so dargestellt, dass sie in zwerghafter Bildung vollständig bewaffnet aus dem Haupte des ruhig dasitzenden Zeus hervorstürmt. Aus der Palaeographie der Beischriften der s.-f. attischen Vase, Mon. d. Inst. IX 55, hat man auf korinthische Herkunft des Typus schliessen wollen, und in der That sind für den Peloponnes altertümliche Darstellungen der A.-Geburt mehrfach bezeugt, vgl. R. Schneider Geburt der A., Wien 1880. Neu hinzugekommen ist ein Bruchstück eines altertümlichen Tellers von der Akropolis, Ἐφημ. ἀρχ. 1886 πιν. 8. Erwähnung verdient noch als Reminiscenz an die sitzenden Kultstatuen die A. in der Götterversammlung auf der Schale des Euxitheos und Oltos mit dem Helm in der Hand und grosser Aigis. Der streng rotfigurige Stil der Vasenmalerei mag zum Teil noch etwas unter die Perserkriege herabreichen, ist aber von dem Aufschwung und den Idealen der folgenden Epoche im wesentlichen unberührt. Hier findet sich A. namentlich auf einigen Vasen im Stile des Brygos in einigen hübschen genrehaften Motiven; so als Ergane der Verfertigung eines Rosses beiwohnend, Gerhard A. V. III 229. 230; ebd. IV 241 einen siegreichen Epheben, der auf der andern Seite dargestellt ist, in ihre Schreibtafel notierend (nicht etwa als Erfinderin des Schreibens!), ebd. IV 245 einer greisen Priesterin einen Ölzweig bringend. Sie trägt hier über der bauschigen ionischen Tracht die Aigis. Die beiden letztgenannten Gefässe sind wohl eine Art Preisgefässe, wenn auch privater Stiftung.

C. Von den Perserkriegen bis zur Restauration.

63. Auf den Metopen des grossen Zeustempels [2012] zu Olympia erscheint A. mehrfach als Helferin des Herakles. Die Art, wie sie ihm beisteht, hat oft etwas treuherzig-bäurisches, sie ist mehr die teilnehmende Schwester als die mächtige Göttin oder gute Fee. Die überaus einfache dorische Tracht geht auf ältere peloponnesische Tradition zurück (vgl. die Bronze der A. aus Grossgriechenland Gaz. arch. 1881 pl. 7, zu der Tracht überhaupt Furtwängler Meisterwerke 37f.), die Bewaffnung ist ungleichmässig und tritt oft ganz zurück. Auf der Atlasmetope erkannte Robert, dass die sog. Hesperide, welche Herakles den Himmel stützen hilft, ursprünglich den gesenkten Arm gegen einen Speer gelehnt hatte, also gleichfalls als A. zu fassen ist.

Den Anlass zur monumentalen Ausgestaltung des A.-Typus gab der gewaltige Aufschwung des athenischen Staates nach den Perserkriegen, welcher zur gleichen Zeit, als die politische Macht und das von allen Seiten befruchtete künstlerische Vermögen auf dem Höhepunkt stand, die von den Barbaren zerstörten Tempel neu zu errichten und auszuschmücken hatte. In allem Wesentlichen wurde in wenig Jahrzehnten Charakter und Gestalt der Göttin für alle Folgezeit fest ausprägt. Zunächst diente in kimonischer Zeit die Wandmalerei der grossen Thasier, denen sich die Attiker bald anschlossen, der Verherrlichung der Persersiege. Hier hielt man aber mit richtigem Takt aus den grossen Schlachtenbildern der letzten Vergangenheit, abgesehen von der Marathonschlacht, auf welcher die Landesgötter schützend auftraten (vgl. jedoch Robert Die Marathonschlacht in der Poikile, 1895, 35ff., welcher eine weitere Beteiligung der Götter annimmt), die sichtbar mitwirkenden Götter fern, und auch die Iliupersis in Delphi enthielt sich ihrer. Wo indes diese Malerei auf Stoffe der wirklichen Heroenzeit zurückgriff, wird sie die Götter nach dem Volksglauben auch leiblich gegenwärtig geschildert haben, doch wird die Vorliebe jener Kunst für ruhige Situationsbilder weit eher die Ausprägung genrehafter Motive, wie an den olympischen Metopen, als monumentaler Ideale begünstigt haben. Zur Veranschaulichung der Kunst Polygnots und Mikons mag etwa die A. dienen auf dem bekannten Orvietaner Argonautenkrater Mon. d. Inst XI 38. 39; die prachtvolle Darstellung der Göttin auf der kyprischen Oidipusvase Journ. of Hell. Stud. VIII pl. 81 und die ähnliche auf der Theseusschale des Aison, Anf. Denkm. II 1, ist vielleicht bereits von plastischen Vorbildern grossen Stils beeinflusst, dagegen wurzelt in der Malerei des 5. Jhdts. eine Darstellung, wie sie die Vase Ἐφημ. ἀρχ. 1886 πιν. 1 bietet: A. als Schiedsrichterin zwischen Apollon und Marsyas. Mehrere A.-Darstellungen der Bologneser Kratere haben in demselben Kreis ihre Vorbilder. Zeitlich und stilistisch gehört auch das polychrome Pinaxfragment hierher, welches laut den Resten der Beischriften die Liebesverfolgung des Hephaistos vorstellte (Berlin 2759. Benndorf Gr. u. Sicil. V.-B. IV 2. Wiener Vorl.-Bl. Ser. III 2, 3). Die schönen Darstellungen von der Aufnahme des Erichthonios aus den Händen der Ge reichen zum Teil noch in die nächste Epoche hinein. Vgl. Mon. d. Inst. I 10. X 39.

64. In ganz anderer Weise als die Malerei drängte die Plastik auf monumentale Ausprägung [2013] der Gestalt der Göttin mit Abstreifung alles Irdischen und Zufälligen; galt es doch Tempel auszuschmücken, wie sie bisher nicht existiert hatten, und weithin sichtbare Symbole der meerbeherrschenden Macht Athens zu schaffen (wahrscheinlich vermittelnd zwischen dieser und der vorigen Epoche, mehr noch letzterer angehörig, stand die Kunst des Myron: von seiner A. wissen wir leider gar nichts, doch ist die Vermutung nicht unwahrscheinlich, dass noch die Mittelgruppe des Westgiebels des Parthenons an seine Gruppe von A. und Marsyas etwas erinnert). Eine der altertümlichsten Statuen, die unter dem Eindruck jener grossen Ereignisse geschaffen sind, ist die in Villa Albani befindliche, welche statt des Helms noch eine richtige κυνέη, eine Kappe aus Hundsfell, trägt, Brunn-Bruckmann 226. Furtwängler Meisterw. 112. Den linken Fuss hat sie zurückgesetzt, in der rechten Hand hob sie wohl den Speer, um das Zeichen zum Vormarsch zu geben. Sie trägt einen stoffreichen ionischen Chiton, darüber in männlichem Wurfe die Diplois über der rechten Schulter und die Aigis. Gesichtstypus (der Kopf ist besonders gearbeitet, aber zugehörig) und Form der Aigis zeigen noch keine Verwandtschaft mit dem seit der Parthenos des Pheidias klassischen Typus. Das Original unserer Statue muss berühmt gewesen sein, da die Gewandung noch in späterer Zeit Einfluss geübt hat. Da A. Il. V 845 zum Kampfe mit Ares sich die Hadeskappe aufsetzt, und diese in der Kunst sonst als Hundskopf erscheint, glaubt Furtwängler Meisterwerke 114, 1 den Typus aus einem Kulte herleiten zu müssen, in dem A. mit Hades verbunden war, d. h. dem Kulte der A. Itonia in Koroneia, welche laut CIA I 210 im 5. Jhdt. auch ihren Schatz hatte; auf ein dazu gehöriges Bild könne die albanische Statue zurückgehen. Stilistisch ist Furtwängler geneigt, den Typus dem Kalamis zuzuteilen, ohne jeden Rückhalt in der Überlieferung. Wenn man einmal combinieren will, so scheint es mir bei dem ausgesprochen kriegerischen Charakter der albanischen Statue naheliegend, ihr Vorbild in der nach der Schlacht von Plataiai dort errichteten A. Areia zu erblicken, welche nach Pausanias IX 4, 1 ein Jugendwerk des Pheidias war, eine Nachricht, die Furtwängler a. a. O. 57 verwirft, weil er vor der Mitte des Jahrhunderts Werke des Pheidias nicht anerkennt.

In der Tracht der albanischen Statue nächst verwandt sind zwei unter einander sehr ähnliche A.-Statuen, die Hopesche (Specimens of ancient sculpture I 25. II 9. Furtwängler Meisterwerke 109 und Taf. IV) und die Farnesische A. in Neapel (Furtwängler a. a. O. 104. 105). Die Göttin stützte sich mit der erhobenen Linken auf die Lanze und hielt in der gesenkten Rechten wahrscheinlich eine Schale. Beide sind in verschiedenen Repliken nachweisbar, welche nach Furtwänglers Meinung ausreichen, zwei verschiedene Originale anzunehmen. Das der Hopeschen A. sei ein Werk des Pheidias aus der nächsten Zeit nach der Parthenos, das der A. Farnese die vergröbernde Nachahmung eines Schülers. Indes ist für eine Nachahmung des 5.–4. Jhdts. denn doch die Übereinstimmung in zahlreichen unwesentlichen Kleinigkeiten zu gross. Man wird [2014] nur von einer antiken Copie sprechen können, welche allerdings bewusst umgestaltete und wieder eine besondere Reihe von Copien hervorrief. Eine in der Auffassung vergröbernde und im Detail so wenig selbständige Wiederholung mit Furtwängler a. a. O. 118 dem Alkamenes zuzuschreiben, ist nicht rätlich. Beide Statuen gehen gewiss auf ein Original der Pheidiasschen Periode zurück. Dieses hatte am Aigisrand ein Geschlinge aus vollständigen Schlangen wie die Parthenos, ausserdem einen bewegteren Stand und ein ovaleres Antlitz als diese, war also wohl jünger, obwohl es in der Gewandung auf die albanische Statue zurückgreift.

65. Den sichern Boden Pheidiasscher Kunstübung betreten wir zuerst mit der Dresdner Statue, deren früheren Zustand Becker Augusteum I Taf. XIV zeigt. Die grosse Verwandtschaft dieser Statue mit der Parthenos war schon längst aufgefallen und Puchstein Arch. Jahrb. V 93ff. hatte schon vermutungsweise in der Lemnia das Original erkannt; doch hielt man den Kopf, der in der Renaissance mit einem Helme versehen wurde, allgemein für nicht zugehörig, seit seine Identität mit dem schönen Bologneser Kopfe erkannt war, den Conze Beitr. z. Gesch. d. griech. Plastik Taf. I als Jünglingskopf publiziert hatte (Furtwängler Meisterwerke Taf. III). Die Zugehörigkeit des unbehelmten Kopfes zu dem Torso wurde nun von Furtwängler mit Sicherheit erwiesen (Meisterwerke 1ff.) und danach die Dresdener Statue und ein zweiter fast identischer Torso in der Weise ergänzt, wie sie Tafel I und II bei Furtwängler zeigt. Eine unbehelmte A. ausgesprochen Pheidiasschen Charakters kann nur die lemnische A. sein, deren friedlicher Liebreiz sie im Altertum zu dem beliebtesten Werke des Meisters machte. Die Dresdner Copien sind gut und lassen noch deutlich erkennen, dass das Original aus Bronze war. Der Stand der Göttin ist noch sehr ruhig, das linke Bein etwas bei seite gesetzt ohne gehoben zu sein, der erhobene linke Arm stützte sich auf die Lanze, die gesenkte rechte Hand hielt (nach Ausweis einer Gemme) den Helm. Die Göttin trägt dorischen Peplos mit Überschlag, die Aigis zieht sich als breite Schärpe von der rechten Schulter zur linken Hüfte, der aus zwei Schlangen bestehende Gürtel umfasst Überschlag und Aigis (Vorläufer in der Tracht das schöne Relief Δελτίον ἀρχ. 1888, 103. 123 und die Statuette von der Akropolis, Ἐφημ. ἀρχ. 1887 πιν. 8). Die Analyse der Form lehrt, dass die Statue älter ist als die Parthenos, ob aber die Combination mit der angeblich zwischen 451 und 448/7 nach Lemnos ausgesandten Kleruchie (Kirchhoff Abh. Akad. Berl. 1873, 33) stichhaltig ist, ist sehr zweifelhaft.

66. Weniger günstig liegen die Verhältnisse für die Reconstruction der A. Parthenos, welche zwischen 447 und 438 aus Gold und Elfenbein hergestellt wurde. Über die Nachbildungen sind zu vergleichen K. Lange Athen. Mitt. VI 56ff.; Gött. gel. Anz. 1883, 10. Th. Schreiber Athena Parthenos, Sächs. Abh. VIII 545ff.; Arch. Zeitg. 1883, 193ff. 277ff.; über Copien des Kopfes Löschcke Festschr. d. Ver. d. Altert.-Fr. im Rheinl. 1891, 1ff. Die Hauptlinien der Gesamtcomposition gibt am besten die Varvakionstatuette, Athen. Mitt. [2015] VI Taf. I und II. Schreiber Athena Parthenos Taf. I. Brunn-Bruckmann 39–40. Die unfertige Lenormantsche Statuette Michaelis Parthenon Taf. XV 1 b sucht das decorative Détail genauer wiederzugeben. Die etwas steife symmetrische Haltung der Gestalt war durch Rücksicht auf die Architektur der Cella gegeben. Die Göttin ist in festlichstem Schmucke aus ihrem Gemache herausgetreten, um die Huldigung ihrer Verehrer zu empfangen. Der Körper ruht auf dem rechten Bein, das linke ist im Knie gebogen und etwas seitwärts und zurückgesetzt, ohne dass sich diese Differenzierung auf den Oberkörper fortpflanzte. Die gesenkte linke Hand ruht auf dem grossen runden Schilde, unter dem sich die mächtige Schlange emporringelt, an der linken Achsel lehnte die Lanze. Der rechte Unterarm war etwas gesenkt vorgestreckt, von der offenen Hand aus flog Nike mit einer Taenie schräg nach aussen zu. Dass die Hand aus statischen Gründen durch eine Säule gestützt war, bestätigen Nachbildungen auf Reliefs, wo die Säule unnötig gewesen wäre. Die Einfachheit der Kleidung contrastiert mit dem Reichtum des Schmuckes, der dorische Peplos ist über dem Überschlag gegürtet, die Aigis liegt wie ein Kragen auf beiden Schultern, der untere, von einem Schlangengeschlinge eingefasste Rand ist horizontal. Der dreibuschige attische Helm ist mit heraldischem Beiwerk fast überladen. Die Einzelheiten geben am besten einige Goldmedaillons des 5.–4. Jhdts. aus der Krim in Petersburg (Athen. Mitt. VIII Taf. 15). Auch der Kaufmannsche Kopf (Ant. Denkm. I Taf. 3), der stilistisch ganz unzuverlässig ist, giebt dieses Beiwerk treu wieder. Der Schild war aussen mit einer Amazonomachie, innen mit einer Gigantomachie geziert. In einem kahlköpfigen Greis der Aussenseite, der einen niedergesunkenen Kameraden verteidigt, erblickten die antiken Ciceroni die Porträts des Pheidias und des Perikles (besondere Copie des Schildes mit den beiden Porträts Michaelis Parthenon Taf. XV 34). Selbst die Seiten der Sohlen waren mit Gigantomachiedarstellungen geschmückt, die Basis zeigte die Geburt der Pandora (Reste einer Copie des Basisreliefs in einer freien pergamenischen Copie bei Puchstein Arch. Jahrb. V 114). Die Copien des Kopfes gehen leider weit aus einander. Stark modernisiert der Kaufmannsche Kopf, s. o.; nicht hierher gehört der von Gräf Aus der Anomia 61ff. auf die Parthenos bezogene Kopf. Das Gesicht hatte starke Formen und ein kurzes rundliches Oval, die Augen waren ruhig gerade aus gerichtet, das Gesicht stand dem der Lemnia so weit an individuellem Leben nach, als das Tempelbild jene an imposanter Hoheit übertreffen musste. Der Kopf wird seit Alexander, wenn auch in freier Nachbildung, zum attischen Münztypus. Die künstlerisch beste Nachbildung des Kopfes ist wohl die Gemme des Aspasios, Millin Gall. myth. 37. 132. Cades Impr. 6. 21. Arch. Jahrb. III Taf. X 10.

Jünger als die Kultstatue, aber durchaus aus Pheidias Werkstatt hervorgegangen war die Ausschmückung der beiden Giebel. Im Ostgiebel war die Geburt der A., im Westgiebel ihr Wettstreit mit Poseidon dargestellt. Die Mittelgruppe des letzteren, die beiden mächtig an einander prallenden [2016] Gottheiten, ist uns durch Carreys Zeichnungen bekannt, über die Mittelgruppe des Ostgiebels war man lange im Unklaren. Die Controverse ist jetzt durch Sauers verdienstliche Untersuchung der in den Giebeln noch erhaltenen Standspuren endgültig gelöst (Antike Denkm. I 58. Athen. Mitt. XVI 59ff. Taf. 3): Zeus sass im Profil und vor ihm stand die vollständig ausgewachsene A., so dass also R. Schneider (Geburt der A. 32) das Madrider Puteal mit Recht herangezogen hat. Wir müssen uns A. in lebhafter Schrittbewegung denken, die Waffen schwingend und freudigen Schlachtruf ausstossend, wie sie der Hymnus schildert. Noch die kämpfende A. der pergamenischen Gigantomachie scheint unter dem Eindruck jener mächtigen Schöpfung zu stehen. Die Litteratur über die Deutung der Giebel im einzelnen und Versuch einer neuen Deutung bei Furtwängler Meisterwerke 223–257.

67. Die A. Promachos, deren Colossalbild auf der Burg im Freien stand und über die Stadt hingwegschaute, hatte früher K. Lange Arch. Zeitg. 1881, 197 in mehreren Nachklängen zu ermitteln gesucht; neuerdings findet er wohl mit Recht den Beifall Furtwänglers Meisterwerke 45ff. Den Gesamthabitus giebt ein Münztypus der Kaiserzeit wieder, auf welchem die Göttin am linken Arme den Schild trägt, mit der Rechten die Lanze ziemlich tief, wie zu sofortigem Gebrauch gefasst hält (Imhoof-Blumer and Gardner Num. comment. on Pausanias pl. Z I II p. 128. Arch. Zeitg. 1881, 179). Dass der schöne Colossaltorso Medici in der École des beaux arts zu Paris (Gazette des beaux arts 1890, I 281. Brunn-Bruckmann nr. 171. Furtwängler Meisterwerke 47) ebenso zu ergänzen sei, lehren diejenigen attischen Wiederholungen, welche v. Sybel Athen. Mitt V 102ff. Taf. V zusammengestellt hat. Das dort publicierte Relief stellt Ölbaum und Eule neben die Göttin, wodurch wahrscheinlich wird, dass das Original im Freien stand. Als älteste und freieste darf man jenen Nachbildungen jetzt die A. von dem Urkundenrelief aus dem J. 421/0 v. Chr., Athen. Mitt. XIX 7, hinzufügen. Die Colossalstatue, welcher der Torso Medici in römischer Zeit nachgebildet worden ist, stand der Parthenos sehr nahe, war aber freier und entwickelter. Stand und Behandlung der in der Anordnung übereinstimmenden Kleidung sind complicierter und unruhiger, das Spielbein tritt weit freier heraus, an ihm tritt der feine ionische Chiton in kleinen Falten zu Tage, über der linken Schulter ruhte noch ein Mantel; der Kopf war seitlich gewendet, so dass er über den Markt hinweg schaute. Furtwängler a. a. O. 134 vermutet nach Arndts Vorgang eine Copie des Kopfes in einen schönen A.-Kopfe der Jakobsenschen Sammlung zu Kopenhagen, welchen er auf S. 135 abbildet. Die hier skizzierte Combination könnte aus stilistischen Gründen nicht richtig sein, wenn die Promachos wie man gewöhnlich annimmt, eine Stiftung der kimonischen Zeit wäre; doch haben die Ausführungen Furtwänglers für sich, dass das Werk, welches abschliessend für die Perserkriege geweiht wurde, den sog. Kalliasfrieden des J. 445 voraussetze. Durchaus nicht überzeugend ist aber sein Versuch (S. 52), auf Grund eines Aristeidesscholions gegen das Zeugnis des Pausanias das Werk [2017] dem Pheidias abzusprechen und Praxiteles, natürlich dem älteren, zuzuschreiben. Bei dem bekannten Anlass der Weihung und dem Pheidiasschen Stilcharakter hätten Spätere die Statue nur dann dem Praxiteles zuschreiben können, wenn eine Inschrift vorhanden gewesen wäre, und dann hätten sie sich, da sie den ältern Praxiteles nicht kannten, einen andern Anlass der Weihung ausdenken müssen, während Pausanias sie dann nicht ohne weitere Bemerkung dem Pheidias zuschreiben konnte. Es liegt also bei dem Scholiasten eine einfache Confusion vor.

Zur Veranschaulichung anderer A. Bilder des Pheidias fehlen uns vorderhand die Mittel. Da, wo neben ihm Zeitgenossen und Schüler als Verfertiger genannt werden, wie in Elis Kolotes, mag ihr Anspruch der begründetere sein; der geniale Schöpfer aller wesentlichen Züge des A.-Ideals bleibt darum doch Pheidias.

68. Einer der effectvollsten A.-Typen, welcher die entwickelte Pheidiassche Kunst voraussetzt, ihr aber mit einem hohen Grade von Selbständigkeit gegenübersteht, und welcher sicher noch ins 5. Jhdt gehört, ist der, von welchem die A. Velletri in Paris das bekannteste Exemplar ist (Fröhner Notice de la sculpture nr. 114. Furtwängler Meisterwerke 304, 5; der Typus schon auf einem Relief aus dem Anfang des 4. Jhdts. s. Arch. Zeitg. 1877 Taf. XV 2). Für ihre Beliebtheit im Altertum sprechen zahlreiche Wiederholungen des Kopfes. Dafür, dass das Original in Athen stand, spricht die Wiederholung des Typus auf einer athenischen Kupfermünze, Imhoof-Blumer and P. Gardner Numism. comment. on Paus. pl. Z 22 p. 133. Nach dieser Münze wäre die rechte Hand auf die Lanze gestützt gewesen, die linke hätte eine Nike gehalten. Der Körper ruht auf dem linken Beine, das rechte ist seitwärts und rückwärts ziemlich weit abgesetzt, als käme die mächtige Gestalt eben herangeschritten, die linke Hüfte tritt stark hervor, ebenso ist die rechte Schulter stark gehoben, der Kopf dann wieder nach der Seite des Standbeins geneigt. So ist der Contrapost durch die ganze Figur vollkommener durchgeführt, als bei den bisher besprochenen Statuen des 5. Jhdts. Mit der Neigung des Kopfes contrastiert wieder der grosse zurückspringende korinthische Helm. Bekleidet ist die Göttin mit dem dorischen Peplos, welcher über dem kurzen Überschlag mit Schlangen gegürtet ist, ein Mantel ruht auf der rechten Hüfte und der linken Schulter, von den Hüften abwärts fällt ein breiter dreieckiger Zipfel herab, welche Tracht den männlichen Eindruck der Gestalt verstärkt. Die Aigis liegt als schmaler Kragen um den Hals. Der Schlangenrand der Aigis ist der der Parthenos. Auch in der Formgebung des Kopfes setzt die Statue die Vollendung des Pheidiasschen Ideals voraus und steht ihm doch sehr selbständig gegenüber. Das Oval des Gesichtes ist länglich, die Ränder der Augen, der Nase und des Mundes sind ausserordentlich scharf umrissen; der Ausdruck des Gesichts ist ernst, fast herbe. Wenn die Replik auf der erwähnten Münze nicht zwingend wäre, möchte man annehmen, dass der Blick einer heiligen Handlung folge, welche die linke Hand vornimmt, etwa dem Ausgiessen einer Spende (vgl. die A. Arch. Zeitg. 1882 Taf. 2). Vielleicht ist auch [2018] der korinthische Helm, der allerdings im 4. Jhdt. mehr aufkommt, hier noch mehr als Modesache. Er scheint im 5. Jhdt. Abzeichen des Strategen gewesen zu sein und könnte die Göttin als Vertreterin ihres Staates bezeichnen. Der Stil der Statue ist schwerlich rein attisch, doch ist die Schule noch ungewiss. Furtwänglers Versuch (Meisterwerke 303ff.), das Original dem Kresilas zuzuschreiben, ist sehr unsicher. Die stilistische Analyse der Periklesherme und der auf Kresilas zurückgeführten Amazone bieten dazu keinen genügenden Anhalt.

D. Viertes Jahrhundert und hellenistische Zeit.

69. Streitig zwischen dem 5. und 4. Jhdt. ist die schöne Herme der A., deren hervorragendstes Exemplar in Herculanum gefunden wurde (abgeb. Arch. Jahrb. VIII Taf. 3. Furtwängler Meisterwerke 91). P. Wolters hatte Arch. Jahrb. VIII 173ff. diesen Kopf für die berühmte A. des Kephisodot in Anspruch nehmen zu können geglaubt, hauptsächlich auf Grund der Verwandtschaft mit dem Kopfe der Eirene, während Furtwängler Meisterwerke 90 ihn für Pheidias selbst in Anspruch nimmt und in die nächste Zeit nach der Lemnia setzt. S. 747f. setzt er sich dann noch einmal mit Wolters auseinander. Auf einige Unterschiede vom Kopfe der Eirene macht er dabei richtig aufmerksam, doch widersprechen Haarbehandlung und Gesichtsausdruck seiner frühen Datierung. Die Niedrigkeit der Stirn beweist nichts gegen Entstehung im 4. Jhdt., da sie durch den Helm bedingt ist.

Ziemlich sicher dem 4. Jhdt. angehörig ist der Typus der A. Giustiniani (Müller-Wieseler II 205. Clarac 465, 875. Brunn-Bruckmann 200), der letzte des hohen Stils, der weitgehende Berühmtheit genoss. Die Göttin ist mit stoffreichem ionischen Chiton bekleidet und trägt darüber einen schweren Mantel, auf dem Haupte einen korinthischen Helm, die Aigis fehlt auf den besseren Exemplaren. Sie hat den rechten Fuss etwas vorgesetzt und stützt die rechte Hand auf die Lanze, die linke greift müssig in den Mantelsaum. Das Antlitz ist schmal, der Ausdruck ernst, fast traurig. Für den zweiten Seebund würde dieser resignierte Ausdruck ebenso gut passen, wie die lebensfreudigen Köpfe der Pheidiasschen Epoche für die Thalassokratie. Furtwängler Meisterwerke 593ff. vermutet in Euphranor den Urheber des Typus, von dem nach Plin. XXXIV 77 eine berühmte A.-Statue von Q. Lutatius Catulus in Rom unterhalb des Capitols geweiht worden war.

In die Nachbarschaft der Eirene des Kephisodot gehörte wohl das Original der kleinen Bronze, welche A. mit dem Erichthoniosknaben auf dem Arme zeigt, Memorie d. Inst. II tav. 9.

Eine sehr jugendliche A., die den behelmten Kopf in kriegerischer Begeisterung zurückwirft und den linken Arm in den Mantel gehüllt in die Seite stemmt und mit der Rechten die Lanze fasst, gehört jedenfalls dem 4. Jhdt. an (Müller-Wieseler II 233. Arndt-Bruckmann Einzelverkauf nr. 111; Gute Replik des Kopfes in Glienicke Müller-Wieseler II 148 a). Da neben ihr ein Triton erscheint, vermutet Furtwängler Meisterwerke 527ff. nicht unwahrscheinlich, das [2019] Original sei die von Pausanias IX 10, 2 erwähnte gewesen, die Skopas für das ismenische Heiligtum in Theben arbeitete.

Ganz unsichere Vermutungen über Praxitelische A.-Typen bei Furtwängler Meisterwerke 555f.

Bis in das 4. Jhdt. dürfte der Typus der sitzenden A. zurückgehen, wie sie neben andern von statuarischen Typen entlehnten Göttergestalten auf der auf den eleusinischen Kult bezüglichen Reliefvase (Gerhard Bilderkreis von Eleusis, Abh. Akad. Berl. 1864, III Taf. III) erscheint. Auf denselben Typus geht noch die bekannte Darstellung in dem Teller des Hildesheimer Silberfundes zurück. Das vielbesprochene Instrument, das A. hier in der Hand hält, ist doch wohl ein Schlüssel, so dass das Original eine Kleiduchos oder Pronaia gewesen sein wird.

70. Noch weniger als im 4. Jhdt. hat in der Folgezeit der Typus der A. erfolgreiche Weiterbildungen erfahren. Die ernste Hoheit war durch Athens Blütezeit zu unlöslich mit dem Charakter der Göttin verknüpft worden, als dass sie sich den wechselnden Geschmacksrichtungen einer weichlicheren Zeit hätte anpassen können. In Einzelstatuen begnügte man sich anfangs, die klassischen Vorbilder frei zu reproducieren, ohne dies Ziel glücklich zu erreichen, bis man genau copieren gelernt hatte und sich nun mit wirklichen Copien begnügte. Wie wenig man im 2. Jhdt. zu copieren und wie wenig Neues zu schaffen verstand, zeigen die in Pergamon gefundenen Einzelstatuen, namentlich die von Puchstein Arch. Jahrb. V 95 und von Conze S.-Ber. Akad. Berl. 1893, 207ff. besprochene (vgl. Beschreibung der Berl. Antiken⁹ S. 29). Im ganzen dient hier die Lemnia als Vorbild, doch ist der Kopf nach einem andern altertümlichen Typus gebildet, die Aigis hat die singuläre Gestalt von zwei Kreuzbändern, in dem unruhigen Stand und mancher Einzelheit der Gewandbehandlung verrät sich die Hand des Epigonen. Von der getreuen Nachbildung nach einem klassischen Original kann nicht die Rede sein.

Die gleiche Unfähigkeit, Neues zu schaffen, verrät die A. vom Denkmal des Eubulides in Athen aus der Mitte des 2. Jhdts. (Athen. Mitt. VII Taf. V. Milchhöfer Archaeol. Stud. für H. Brunn 1893, 44ff.). Im allgemeinen ist hier der Typus der Pallas von Velletri Vorbild, doch ist der herbe Stilcharakter ganz verwischt.

Weit erfreulicher als diese statuarischen Typen, aus denen der göttliche Geist gewichen ist, erscheint A. auf dem pergamenischen Altar, mächtig ausschreitend, mit leichter Bewegung der Hand den gewaltigen Gegner niederstreckend, zugleich von der Mutter der Giganten Ge vergeblich angefleht und von Nike bekränzt. Sie ist hier noch einmal empfunden als Zeus einige Tochter. Wenn auch die Künstler des Altars da, wo sie nach dem Eindruck erhabener Wildheit streben, vielleicht lediglich eine Renaissance der grossen attischen Muster des 5. Jhdts. im Auge haben, so kann sich doch auch in diesen Werken der Epigonencharakter ihrer Zeit nicht verleugnen. Hand in Hand mit einer exaltierten Aufregung geht eine minutiöse Sorgfalt in der Wiedergabe des decorativen Details, wie sie sich die Kunst des 5. Jhdts. nur für das ruhende Kultbild gestattete.

[2020] In der Darstellung gewisser Sagen, z. B. der Enthauptung der Medusa, des Parisurteils, behielt, wie uns die pompeianischen Wandgemälde lehren, A. die ganze hellenistische Zeit hindurch ihre Stelle, doch ist zur Bereicherung oder Veränderung ihres Typus seit dem 4. Jhdt. nichts mehr geschehen, und dies eine Götterideal, wie kein andres, in der grossen Zeit des 5. Jhdts. beschlossen.

Über A. auf Münzen seit der Mitte des 5. Jhdts. vgl. Furtwängler Meisterwerke 143ff.

Litteratur (mit Auswahl). Creuzer Symbolik III 308ff. 505ff. C. O. Müller Minervae Poliadis sacra, Göttingen 1820. E. Rückert Dienst der Athena nach seinen örtlichen Verhältnissen, Hildburghausen 1829. C. O. Müller Pallas Athene in Ersch u. Grubers Encyklopaedie III 16 = Kl. Schr. II 134ff. Welcker Griech. Götterlehre I 298ff. II 778ff. E. Gerhard Griechische Mythologie I 224ff. Preller Griech. Mythologie⁴ I 184ff. Th. Bergk Die Geburt der Athena, Jahrb. f. Phil. LXXXI = Kl. Schriften II 635. W. H. Roscher Nektar und Ambrosia 93ff.; Mythol. Lex. I 675ff. Voigt Beiträge zur Mythologie des Ares und der Athena. Leipziger Studien IV 239ff. Benfey ΤΡΙΤΩΝΙΣ ΑΘΑΝΑ Gött. gel. Nachr. 1868. J. Baunack Studia Nicolaitana 26ff. Kunstmythologie: Furtwängler in Roschers Mythol. Lexikon I 687–709, vielfach berichtigt in Meisterwerke der Griechischen Plastik, Leipzig-Berlin 1893.

Nachträge und Berichtigungen

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Band S III (1918) S. 177 (EL)–178 (EL)
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S. 1970, 7 zum Art. Athene:

Über A. bei den Lokrern ist noch folgendes zu bemerken: Sie war wohl eine der größten Gottheiten zu Lokroi, da Zaleukos seine Gesetze ihr zuschrieb, Aristot. frg. 548 Rose³ (Clem. Alex. Strom. I 352 Syl. Schol. Pind. Ol. XI 17). Val. Max. I 2 ext. 4. Plut. de se ips. 11 (vgl. Numa 4). Theodoret Graecorum affect. curatio IX 9. S. o. Bd. II S. 1996, 17ff. Eine Kapelle mit Terrakotten, die die Göttin darstellen, auf der Akropolis zu Lokroi, wurde von Orsi gefunden. Not. d. scavi 1909, 322f. 1911 Suppl. 62ff. Oldfather Philol. LXXI 326f. Als A. Zosteria wurde sie verehrt von den epiknemidischen Lokrern, Steph. Byz. s. Ζωστήρ. Sie besaß als A. Ilias (der Beiname kommt nur hier und in Ilion vor) einen Tempel zu Physkos; daraus Inschr. IX 1, 349–351 und dazu neue in Bull. hell. XXII 354 nr. 1–3 und Wilhelm Beiträge zur griech. Inschriftenkunde 128ff. Auf die berühmte Sage der lokrischen Mädchen, die zu A. Ilias nach Ilion geschickt wurden, kann ich hier nur hinweisen. Die vollständige antike Überlieferung mitsamt der neueren Literatur ist bei Wilhelm Österr. Jahresh. XIV 163–256 zu finden, der dort die große auf sie bezügliche Inschrift aus Tolophon publiziert. Siehe noch dazu Corssen Arch. Anz. 1913, 31f.; Sokrates I 188ff. 235ff. A. Reinach Rev. hist. relig. LXIX 12ff.

Noch zur Bestätigung der Annahme eines besonderen Verhältnisses zwischen A. und Aias, das schon bei Homer und dann überall bei den Späteren hervortritt (weil ich als erwiesen betrachte, daß die beiden ursprünglich eins waren), ist A. Αἰαντίς zu Megara mit einer seltsamen [178] Sage zu vergleichen, sowie die Tatsache, daß zwei Namen für die Mutter des oilischen Aias, Astyoche (IG IV 2, 77 zu Tegea [Ϝασστυόχō]) und Alkimache (s. o. Bd. I S. 1539, 67) Epikleseis der A. sind. Belegstelle bei Oldfather Philol. LXVII 412, 2. Fraglich bleibt das Xoanon bei den östlichen Lokrern, Cat. de la coll. d’antiqu. grecques de M. O. Rayet nr. 31.

Auch wurde Castra Minerva von Lokrern zusammen mit Idomeneus und Kretern besiedelt, Prob. zu Verg. Ecl. VI 31 S. 336 Hagen.

Auf lokrischen Münzen kommt A. sehr oft vor, Epikn. Lokrer Brit. Mus. Cat. 37. 42–44. 50. 57–84; Skarpheia 1; Thronion 61–68; Hipponion 7–11. 20–26; Lokroi 27–29. 35–39. Cat. of the Greek coins in the Hunterian coll. Lokroi 13. 14. 18–20; Hipponion 4. 16–18; Opus 10. 11. 13. Noch andere aus denselben Städten bei Imhoof-Blumer und Mionnet. Einen neuen Typus gibt uns Auctions-Katal. Hirsch München 1905, 1626 mit Inschrift ΑΙΑΝ, vielleicht Αἰαντίς, s. o. Bd. II S. 1969, 30.

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Band R (1980) S. 52
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Athena

Griech. Gottheit. S III 177.