Neueste Streiche des abessinischen Räuberfürsten

Textdaten
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Autor: Heinrich Freiherr von Maltzan
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Titel: Neueste Streiche des abessinischen Räuberfürsten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 423–425
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Neueste Streiche des abessinischen Räuberfürsten.
Von Heinrich Freiherrn von Maltzan.


Noch kein Jahr ist verflossen, seit ich den Lesern der Gartenlaube von dem erbaulichen Lebenslauf des abessinischen Räuberfürsten Aba Kaissi, Schwiegersohnes des berühmten deutschen Naturforschern Dr. Schimper, erzählte. Ich vermeinte damals so ungefähr das Ende dieses abenteuerlichen Lebens geschildert zu haben, denn zu der Zeit, welche der Schluß meiner Erzählung begriff, lebte ihr Held, hülflos und verlassen, nicht viel besser, als ein gemeiner Landstreicher, in den Bergen, mitten unter den Thieren des Waldes und schien alle Aussicht zu haben, dort elend zu Grunde zu gehen. Aber ein wahrer Abenteurer ist unberechenbar. In den acht Monaten, die verflossen sind, seit meine Leser zuletzt von Aba Kaissi gehört haben, hat dieser Tausendsasa schon wieder so viel Stoff für’s Erzählen abgegeben, daß man mit einigem Mühlbach’schen Talent daraus füglich einen historischen Roman machen könnte. Ich will jedoch den Leser mit solchen hochromantischen Ausschmückungen nicht langweilen, sondern ihm lediglich die Thatsachen mittheilen. Den Roman daraus wird er sich mit Leichtigkeit selber machen können.

Am Schluß meiner letzten Erzählung also lebte Aba Kaissi (zuweilen auch Käse ausgesprochen, wobei man aber nicht an das deutsche Wort denken darf), nachdem er in allen Gefechten geschlagen worden war, mit einigen wenigen Getreuen im Hochland von Abessinien. Die Bauern der umliegenden Dörfer hatten alle Furcht vor ihm verloren, und so konnte er keine Lebensmittel mehr erpressen. So blieb ihm also zum Lebensunterhalt nichts, als die Erzeugnisse der Jagd. Und was für einer Jagd! Der Jagd auf Löwen, Elephanten, Rhinocerosse, Panther, Leoparden. Aber, lieber Leser! Ich wünsche dir nicht, daß du jemals genöthigt würdest, vom Fleisch dieser Raubthiere zu leben. Die Jagd auf solche Thiere mag für den Liebhaber sehr angenehme Aufregungen mit sich bringen. Aber – leben kann man von ihr nicht. Das Fleisch dieser Herren des Waldes ist durchweg ungenießbar. Es ist so hart ungefähr wie altes Leder und so unverdaulich wie Schuhsohlen. Aba Kaissi hatte dies bald empfunden, und da ihm bei solcher Kost dauernd fortschreitende Abmagerung und schließlich ein elendes Ende bevorstand, so entschloß er sich, den Wald zu verlassen. Wo aber sollte er hingehen? In der ganzen Umgegend waren die Landleute so sehr gegen diesen Räuberhauptmann ergrimmt, daß sie ihn unfehlbar todtgeschlagen hätten, wenn anders sie die Macht dazu hatten. Daß sie aber nunmehr diese Macht bekommen hatten und daß der geringe Anhang des einstigen gefürchteten Räuberfürsten ihnen jetzt keinen großen Widerstand mehr zu leisten vermochte, davon glaubten sie überzeugt zu sein. Der Abenteurer selbst wagte es nicht mehr, den offenen Kampf aufzunehmen. Aber fort mußte er aus dem grausigen Walde und dazu bediente er sich einer List.

Diese List kam eigentlich nicht von ihm selbst, sondern von seiner bessern Hälfte, seiner Frau nämlich, die, wie sich der Leser erinnern wird, die Tochter eines Deutschen war. Unser Vaterland kann sich also rühmen, auf mittelbare Weise auch etwas zur Rettung Aba Kaissi’s beigetragen zu haben. Diese Tochter eines Deutschen, obgleich sie von ihrem Manne auf eine sehr wenig ritterliche Art entführt oder vielmehr geraubt worden war, hatte ihn doch lieben gelernt und war ihm so anhänglich, daß sie, kaum von seinem Unglück unterrichtet, ihn aufsuchte, um seine Gefahren zu theilen und ihn womöglich zu retten. Im Wald bei ihrem Gatten angekommen, sah sie ein, daß derselbe dort zu Grunde gehen würde, daß es aber für ihn noch gefährlicher sei, sich offen durch die Umgegend zu wagen. Sie schlug ihm deshalb eine Verkleidung vor. Man sagt, diese Verkleidung sei ganz einfach die gewesen, daß sie mit ihrem Mann den Anzug wechselte, daß also der fürchterliche Räuberhauptmann als Frau verkleidet das Gebirge verlassen hätte. Die Sache klingt etwas schwer glaublich, ist aber doch nicht unmöglich, denn Aba Kaissi konnte in der That so der Beachtung der Männerwelt gänzlich entgehen, wenn diese nicht vorbereitet war. Ein sehr häßliches Frauenzimmer schaut Niemand an, und Aba Kaissi soll in seinem Weibercostüm abschreckend genug ausgesehen haben. Wie dem auch sein mag, das Endergebniß war sein glückliches Entkommen mitten durch die von seinen Feinden bewohnten Dörfer.

Nun war er zwar frei, aber seines Bleibens konnte einstweilen in Abessinien nicht sein, da der König Kassa, der ihn besiegt und fast alle seine Anhänger theils hingerichtet, theils gefangen hatte, ein zu wachsames Auge auf seine Schritte gehabt hätte. Er entschloß sich also, auf ägyptisches Gebiet zu fliehen und zwar in die Hafenstadt Massaua, die zwar staatlich nicht mehr zu Abessinien gehört, aber örtlich ihm so nahe liegt und von so innig mit den Abessiniern verwandten Menschen bewohnt wird, daß ein Abessinier sich dort nicht in der Fremde fühlt. Indeß er irrte sich, wenn er glaubte, daß er dort wie ein gewöhnlicher Reisender würde leben können. Dazu war er viel zu berühmt. War doch Massaua voll von Anekdoten über den Räuberfürsten. Die ägyptische Regierung verweigerte ihm zwar die Gastfreundschaft nicht, aber sie gewährte sie ihm – im Gefängniß!

Indeß bald scheint diese Regierung zur Einsicht gekommen zu sein, daß ein so berühmter Mann mehr Rücksicht verdiene. Man beschloß also, ihm eine beschränkte Freiheit zu lassen, und begnügte sich damit, ihn in der Stadt zu interniren. Er bekam ein schönes, großes Haus als Wohnung angewiesen, das ich Ihnen Zimmer für Zimmer beschreiben könnte, denn ich habe es selbst im Jahre 1871 einige Monate lang bewohnt. Dort sammelten sich viele Abessinier um ihn, so daß er sich in kurzer Zeit von einem kleinen Hofstaat umgeben sah. Dieses gesammte Volk wurde von der ägyptischen Regierung ernährt und lebte herrlich und in Freuden, besonders da auch für geistige Getränke gesorgt war. Solche erhielt er zwar nicht von der Regierung, sondern von den Neugierigen aus der Stadt, die den Räuberfürsten gern von seinen Thaten erzählen hörten und wohl wußten, daß ein Abessinier nur im geistig (das heißt durch geistige Getränke) erregten Zustande gut erzählt. Auch das sämmtliche dunkelhäutige schöne Geschlecht von Massaua schwärmte für Aba Kaissi, und dieser war für solche Verehrung keineswegs unempfindlich. Die Frauen von Massaua sind gar nicht häßlich, ja vielleicht die schönsten unter allen Schwarzen. Ein Europäer freilich wird immer ein kleines Grauen vor ihnen empfinden, und zwar wegen der allzureichen und allzufetten Salbung und Oelung ihrer Haare und ihres Körpers. Die kleinen schwarzen Ringellocken, genau von der Form eines Pfropfenziehers, triefen oft dermaßen von flüssiger Butter, und diese Butter ist nach unsern Begriffen so wenig appetitlich, daß selbst die reizendsten Formen dieser butterbegossenen Schönen bei dem Europäer ihre Anziehungskraft verfehlen. Indeß Aba Kaissi hatte keine so feinen Nerven. Bald hatte eine oder die andere dieser schwarzen Schönheiten seine Gunst errungen, um die sich sehr viele bewarben, denn es kann einmal nicht in Abrede gestellt werden, daß ein Räuber für das zarte Geschlecht große Anziehungskraft besitzt, wahrscheinlich des Contrasts wegen, der darin liegt, daß derjenige, der für andere Menschen ein Tiger, für sie ein frommes Lamm ist. Welch ein Triumph für die weibliche Eitelkeit, einen solchen Tiger, sei es auch nur für wenige Stunden, gezähmt zu haben!

Damit hatte aber Aba Kaissi finstere Wolken am ehelichen [424] Himmel heraufbeschworen. Wäre seine Frau eine echte Abessinierin gewesen, sie würde sich wahrscheinlich in das Unvermeidliche gefügt haben; denn die Abessinier, obgleich Christen, sind doch sehr lax in ihren Ehebegriffen, und jede Abessinierin weiß, daß sie ihren Mann nicht für sich allein zu besitzen hoffen darf. Indeß seine Frau hatte im elterlichen Hause andere Begriffe empfangen und sie wollte es nicht dulden, daß man ihr Nebenbuhlerinnen gab. Sie ließ also ihrem Gatten die Wahl zwischen ihr und den andern, und da dieser undankbar genug war, die Vielheit der Einheit vorzuziehen, so schied sie sich von ihm, kehrte zu ihrem Vater zurück und, wie ich höre, soll sie jetzt schon an einen Andern verheirathet sein; eine echt abessinische Weise, Rache zu nehmen.

Nach dem Abzug der Gattin ließ Aba Kaissi völlig seinen Neigungen den Zügel schießen. Das Leben im Regierungshause wurde nun noch viel toller. In Saus und Braus, in steter ausgelassener Lustigkeit vergingen die Tage. Die Abessinier befanden sich sehr wohl dabei und wünschten nichts Besseres, als die stete Fortdauer dieses Jubels. Nur Einer fühlte sich nicht von diesem Schlaraffenleben befriedigt. Dieser Eine war Niemand anders, als Aba Kaissi selbst. So lange ihm dieses Leben neu war (und in seiner früheren Laufbahn hatte er niemals ähnliche Mußestunden feiern können), so lange hatte es einen Reiz auf ihn ausgeübt. Aber der echte Abenteurer vermag keine Ruhe zu ertragen. Lieber im Feld mit einem Stück trockenen Brod, das er sich noch dazu mit seinen Waffen erkämpfen muß, als üppig leben in der Stadt und nichts thun und keine Abenteuer bestehen. Ein Freund aus Massaua schrieb mir über Aba Kaissi’s Zustand, nachdem derselbe einige Monate in der Stadt gelebt hatte:

„Der Mann ist ganz melancholisch geworden. Er kann das civilisirte Leben offenbar nicht vertragen. Ihm, der acht Jahre in der Wildniß zugebracht hat, ist die Zimmerluft tödtlich, die Stadt viel zu enge. Tage lang sitzt er auf der Dachterrasse, schaut sehnsüchtig nach dem Festland (Massaua ist eine Insel), nach den Bergen Abessiniens und wünscht sich zurück in seine frühere aufregende Thätigkeit. Seine größte Klage ist die, daß er hier keine Beschäftigung in seinem Fache findet.“

Diese Klage lautet etwas naiv. Allerdings ist es schwer, einem Menschen, dessen Fach das Rebellenthum und der Raub ist, in einer wohlregierten Stadt „Beschäftigung in diesem Fache“ zu geben. Umsonst suchte man ihm vorzustellen, daß in dieser Beziehung das „Recht zur Arbeit“ nicht gelte. Er sehnte sich fort und plante und plante so lange, bis er endlich Mittel und Wege fand, zu entfliehen, denn freiwillig hätte die ägyptische Regierung diese Landesgeißel nicht wieder losgelassen. Indeß Aba Kaissi hielt seine Absicht vor der Regierung geheim. Als er diese daher eines Tages ersuchen ließ, ihm die Erlaubniß zu einer Spazierfahrt auf dem Meere, die er seiner Gesundheit wegen machen müsse, zu ertheilen, so gestattete man es ihm ohne Arges zu fürchten, besonders da die Schiffer in Massaua von der Behörde beeidigt und ganz in ihren Händen sind. Aber kaum auf offenem Meere, zwang er die Schiffer, ihre Richtung zu wechseln und ihn an einer unbesetzten Stelle der Küste zu landen. Er hatte nur einige Männer bei sich, aber entschlossene Kerle, und nebenbei gute Waffen und Munition, womit er sich so ganz in der Stille in Massaua versorgt hatte.

Kaum hatte man die Kunde von der Flucht des Räuberfürsten in der Stadt vernommen, als auch sehr kurze Zeit darauf schon die ersten Nachrichten von der wieder aufgenommenen „Beschäftigung in seinem Fache“ einliefen. Der erste Streich, von dem man Kunde erhielt, war spaßhaft. Dieser bestand nämlich darin, daß er einen Engländer, wie es hieß – beerbt hatte. Letzterer hatte einen längeren Jagdzug in’s Innere unternommen, sich aber dabei mit der seinen Landsleuten eigenen Nichtbeachtung des Klimas (was in England geht, das muß auch überall gehen) der tropischen Mittagssonne unvorsichtig ausgesetzt, und war am Sonnenstich gestorben. Die zahlreichen Effecten, die er bei sich gehabt, sollten nun nach Massaua zurückbefördert werden. Da kam aber Aba Kaissi herbei, wählte sich aus der „Erbschaft“ das, was ihm am besten gefiel, nämlich die Waffen, Munition und die geistigen Getränke, aus, und nahm sie mit sich. Das Andere, das heißt viele Conserven von Lebensmitteln, die der Europäer zwar sehr theuer bezahlt, aber der Abessinier gar nicht zu schätzen weiß, die Bücher, englischen Kleider und Instrumente ließ er als werthlos zurück.

Dadurch war ihm nun die Möglichkeit gegeben, wieder eine Menge verwegener Kerle zu werben und zu bewaffnen und bald sah er sich abermals an der Spitze eines kleinen Trupps, geringzählig zwar, aber wegen der europäischen Waffen, vor denen die Abessinier eine fast abergläubische Angst haben, desto mehr gefürchtet. Noch hatte er das ägyptische Gebiet nicht verlassen. Dies mußte er indeß schleunigst thun, denn die ägyptische Regierung versteht keinen Spaß mit Raubrebellen. Er wollte jedoch auch in diesem Gebiet ein Andenken hinterlassen, wahrscheinlich als Dank für die genossene Gastfreundschaft oder aus Rache für die ausgestandene Langweile.

An der ägyptisch-abessinischen Grenze lebte ein kleiner Fürst, dessen Vorfahren noch vor wenigen Menschenaltern unabhängig und mächtig waren, der aber jetzt von Aegypten mediatisirt worden und nicht viel mehr, als ein ägyptischer Beamter ist. Dieser Mann soll die Grenze bewachen, da man ihm jedoch nicht ganz traut, so hat man ihn nie so recht mit den modernen Waffen ausgestattet, wie sie die eigentliche ägyptische Armee besitzt. Er zählte zwar mehr Truppen, als Aba Kaissi, aber dieser war ihm an Bewaffnung überlegen. Es wurde ihm daher ein Leichtes, das Dorf des kleinen Herrn zu umzingeln und Alles dort in seine Gewalt zu bekommen. Er hatte es jedoch nur auf eines abgesehen, nämlich auf die Casse der Provinz, in welcher ganz beträchtliche Steuergelder niedergelegt waren. Diese nahm er natürlich in Besitz, gab aber dafür eine regelmäßige Quittung: „Empfangen als Steuerertrag im Namen des Vicekönigs von Aegypten, gezeichnet: Aba Kaissi“. Bald darauf zog er ab, nachdem er vorher noch den kleinen Fürsten seines langen Purpurgewands entkleidet und dieses mitgenommen hatte. Dieses Purpurgewand kenne ich auch von Ansehen. Es ist der einzige Rest aus der Machtzeit des kleinen Fürstengeschlechts und dem jetzigen Schattenfürsten als solcher doppelt theuer. Gemacht ist es wie ein ungeheuer weiter und langer Schlafrock, mit Schleppe und Goldstickereien, auch fürchterlich großen Knöpfen. Dieses Kleidungsstück entführte nun Aba Kaissi, einer übermüthigen Laune folgend, mit in die Wildniß. Indeß bald sah er die Zweckwidrigkeit eines solchen Schleppgewands in den Wäldern ein, und da er dem edlen Grundsatz huldigt, nur das zu nehmen, was er brauchen kann, so war er großmüthig genug, es zurückzuschicken, eine Handlung, wofür ihn der Besitzer noch heute segnet. Man sieht, Aba Kaissi hat auch seine guten Seiten, ebenso wie der Dieb, der eine Brieftasche zurückschickte, nachdem er die in derselben befindlichen Banknoten an sich genommen, „weil er zu zartfühlend sei, um die darin enthaltenen Privatbriefe zu lesen und sich in fremde Familienangelegenheiten zu mischen.“

Aba Kaissi drang nun wieder in das abessinische Gebirge ein, das sich, eine kurze Strecke von der Küste, bereits zu beträchtlicher Höhe erhebt. Wundervolle Bergesgipfel mit majestätischen Felszacken, tiefdunkle Wälder, eine reiche Pflanzen- und Thierwelt umgaben ihn. Indeß für Naturschönheiten hatte er diesmal wenig Sinn. Es lag ihm vor Allem daran, in seine alte Provinz zu kommen; denn nur dort hatte er unter dem Landvolke noch einen gewissen Anhang. Ueberall sonst waren ihm die Bauern feindlich. Dies sollte ihm indeß nicht gelingen; seine Provinz war in festen Händen und er hatte keine Aussicht, deren Statthalter zu vertreiben. So irrte er denn an der Grenze umher, war bald hier, bald dort, schweifte mitunter auch in benachbarte Landschaften und führte ein wilderes Räuberleben, als je. Unzählige Streiche werden aus den drei Monaten, die sein neuestes Räuberleben gedauert hat, von ihm erzählt. Sie gleichen jedoch im Ganzen sehr den schon beschriebenen und ich muß daher fürchten, bei ihrer Schilderung den Leser zu langweilen. Endlich ging ihm die Munition aus. Da kein Engländer mehr da war, den er „beerben“ konnte, so wurde es ihm sehr schwer, sie zu erneuern. Er stieg zwar oft in die Dörfer hernieder, suchte die Bauernhäuser auf, fand aber wenig Brauchbares. Da er dann seinem Aerger Luft ließ und die Bauern mit Bastonnade und anderen Süßigkeiten heimsuchte, so war bald die ganze Gegend gegen ihn in Waffen. Die Bauern wurden um so muthiger, als sie wußten, daß es ihm an Schießbedarf fehlte, und veranstalteten eine allgemeine Hetzjagd gegen den verhaßten Raubrebellen.

[425] Aba Kaissi sah sich in der schlimmsten Klemme. Auf der einen Seite die wüthenden Bauern, die ihn unfehlbar todtgeschlagen hätten, wäre er in ihre Hände gerathen, auf der andern die abessinische Regierung, gegen welche er so vielfache Sünden auf dem Herzen hatte. In dieser Verlegenheit entsann er sich des abessinischen Sprüchworts, „daß unter zwei Spitzbuben der große immer noch zuverlässiger ist als der kleine“. (In diesem anarchischen Lande pflegt man nämlich den Herrscher oft Spitzbube zu nennen.) Diesem Sprüchworte gemäß zu handeln entschloß er sich, stieg vom Berge herab, begab sich in die abessinische Hauptstadt und lieferte sich selbst der Regierung aus. Der Statthalter, der die Hauptstadt in Abwesenheit des auf einem Kriegszuge begriffenen Königs Kassa verwaltete, gerieth in nicht geringe Verlegenheit, als er den gefürchteten Raubrebellen plötzlich in sein Haus treten sah. Und wie trat dieser auf? Durchaus nicht etwa wie ein zerknirschter Sünder, sondern wie ein tapferer Haudegen, der sich seiner Verdienste bewußt ist. Auch kam er bis an die Zähne bewaffnet und begleitet von einem Dutzend ebenfalls von Waffen strotzender Spießgesellen, so daß es aussah, als wolle er den Statthalter überfallen, statt sich ihm vertrauungsvoll ausliefern. Seine Sprache war ebenso stolz, wie sein Auftreten.

„Ich komme,“ sagte er, „um mich der Gnade und Gerechtigkeit des Königs anzuvertrauen. Er kennt mich und weiß, welche Dienste ich ihm als Kriegsmann leisten kann. Wenn er seinen Thron befestigen will, so wird er meine Rebellion vergessen, mich gut aufnehmen und mich an die Spitze seiner Armee stellen.“

Der Statthalter war nicht berufen, das Wort des Königs im Voraus zu verpfänden. Er sah nur eine Nothwendigkeit ein, die nämlich, den Rebellen zu entwaffnen und gefangen zu setzen. Es war nicht leicht, ihn zur Uebergabe seines Säbels zu bewegen. Er lieferte ihn erst aus, als man alle seine Gefährten durch List von ihm entfernt hatte und er sich allein sah, stolz bis zum letzten Augenblicke seiner Freiheit. Diese sollte er gleich darauf verlieren, denn kaum war er entwaffnet, so ließ ihn der Statthalter in Ketten legen und in’s Gefängniß führen.

Dort sitzt er nun, da König Kassa, bei dessen Rückkehr sich sein Loos entscheiden wird, einstweiten noch nicht zurückgekommen ist. Was wird dieses Loos sein? Die Meisten glauben, der Tod. Aber Abessinien ist ein so unberechenbares Land, daß es ebenso gut möglich ist, daß Kassa ihm verzeiht und ihm ein Commando giebt, ja sogar, wie Aba Kaissi es selbst meinte, ihn an die Spitze seiner Armee stellt.