Mein Bekenntniß beim Abschied von der Gemeinde. Predigt über Röm. 1, 16, gehalten am 14. October 1866 in der protestanischen Hauptkirche zu Nördlingen

Textdaten
Autor: Adolf von Stählin
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Titel: Mein Bekenntniß beim Abschied von der Gemeinde. Predigt über Röm. 1, 16, gehalten am 14. October 1866 in der protestantischen Hauptkirche zu Nördlingen
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Druck und Verlag der C. H. Beck’schen Buchhandlung.
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Mein Bekenntniß beim Abschied von der Gemeinde.




Predigt
über
Röm. 1, 16,
gehalten am 14. October 1866
in der protestantischen Hauptkirche zu Nördlingen
von
Adolf Stählin,
bisherigem Stadtpfarrer allda, design, f. Consistorialrath.


Auf Verlangen in den Druck gegeben zum Besten der Krippenanstalt in
Nördlingen.




Nördlingen.
Druck und Verlag der C. H. Beck’schen Buchhandlung
1866.


| |  Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 Text: Röm. 1, 16. Ich schäme mich des Evangelii von Christo nicht: denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben, die Juden vornemlich, und auch die Griechen.

 In Christo geliebte Gemeinde! Eine ernste Stunde ist heute für mich gekommen. Ich soll das letztemal in diesem ehrwürdigen Gotteshaus, das letztemal vor dir, theure Gemeinde, das Wort des Lebens verkünden. Ich halte meine Abschiedspredigt. Nur kurze Zeit war es mir vergönnt, unter euch zu wirken. Nicht nach eigener Wahl und Willkür scheide ich von euch. Ein Ruf meiner kirchlichen Obern, in dem ich nach ernster, vor Gottes Angesicht gepflogener Ueberlegung den Ruf meines Gottes erkennen zu dürfen glaube, zieht mich von dannen. Das Scheiden des Geistlichen ist immer schwer; es ist mir aber aus vielen Gründen doppelt schwer, gerade von dir, theure, geliebte Gemeinde, zu scheiden.

 Doch auch heute habe ich nicht mich zu predigen, sondern wie immer, Jesum Christum, daß er sei der Herr, wir aber eure Knechte um Jesu willen (2 Kor. 4, 5). Auch heute wollen wir unsere Gedanken sammeln in Gottes Wort. Als ich zu euch kam, da war es mir in der That eine große, innige Freude, daß sich mir von selbst als Grundlage meiner Antrittspredigt das Evangelium des Sonntags, das schöne, liebliche Evangelium vom guten Hirten anbot. Zu ihm, zu ihm, dem großen Hirten der Schafe, konnten wir damals gemeinsam uns erheben; ihn rief ich an aus tiefster Seele, daß er mir geben | wolle, euch auf die grünen Auen und an die frischen Wasserbrunnen seines Evangeliums zu führen, mich in seiner Gemeinschaft stets einen treuen Hirten sein zu lassen, der die Heerde baue durch Wort und Wandel. Heute bei meiner Abschiedspredigt gehe ich nun weder von der Sonntagsepistel noch dem Sonntagsevangelium aus. Ich habe einen freien Text gewählt, der den einen großen Mittelpunkt unseres Amts und all unserer Bezeugung enthält, eines jener Worte, die die ganze Summe der christlichen Wahrheit enthalten. Dies Wort möge mir dienen, was heute in tiefster Seele mich bewegt, was ich als ein Scheidender euch noch sagen möchte, zusammenzufassen, möge mir und euch diese ernste Stunde mit ihrem Trennungsschmerz zu einer gesegneten, geistliche Frucht schaffenden machen. Was ich euch sage, sage ich als Diener Christi, sage es auch zugleich aus Sinn und Herz meiner theuren Amtsbrüder. Ich habe euch ja überhaupt nichts Sonderliches bringen wollen und können, sondern in Gemeinschaft mit andern nach dem Maß meiner Gabe an eurer Erbauung und Gründung auf den Grund, der ein für allemal gelegt ist, arbeiten wollen. Ich wollte nie vergessen, welche Kräfte vor mir, welche neben mir gearbeitet haben. Es sind verschiedene Gaben, aber es ist Ein Geist.

 Das Wort des Apostels ist ein Bekenntniß zu Christo. Wir Prediger kommen, wir gehen. Er aber bleibt, Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit, der ewig währende Grund der Gemeinde, der Hort unseres Glaubens, der Mittelpunkt unserer Predigt. Wo am ersten Tage der öffentlichen Bezeugung, beim Antritt des Amtes das Band zwischen der Gemeinde und dem Geistlichen geknüpft wird, soll er der dritte im Bunde sein; wo es gelöst wird, soll er auch trotz der äußern Trennung das innere Band der Gemeinschaft bleiben. Des Predigers Abschied soll die Gemeinde segnen mit einem fröhlichen, dankbaren Bekenntniß zu Christo. Auch meine letzte Predigt soll ein Bekenntniß zu Ihm sein. Ich möchte euch auf Grund unseres Textes als Gegenstand meiner heutigen Betrachtung, als Inhalt meiner letzten Predigt vorlegen:

|  Mein Bekenntniß beim Abschied von der Gemeinde.

 Dieses Bekenntnis ist

 
I.

 „Ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht“, sagt der gewaltige Apostel, der im Dienst dieses Evangeliums die Länder Asiens und Europa’s durchwanderte. Es war eine wunderbare, tief erregte Zeit, da der Apostel diese Worte sprach. Der Tag des Heils war angebrochen; Altes und Neues traten in entscheidendem Gegensatz einander gegenüber. Tausende von Seelen bewegten sich aus der Dämmerung ruhelosen Strebens und Ringens, aus der Nacht der Gottentfremdung in freudigster Glaubensgewißheit dem in Jesu Christo erschienenen und seinem Evangelium entströmenden Licht und Leben zu. Es war wie ein Frühlingsgruß des heiligen Geistes an die in Sünde und Lüge verkommene Welt, ein Frühlingsgruß, unter dem ein neues, aus Gott gebornes Leben allenthalben erwachte, die Wüste zu einem lieblichen Gottesgarten aufgrünte, Gemeinden Christi als Träger himmlischer Gnadenkräfte, als Erstlinge einer neuen Lebensschöpfung entstanden. Aber auch die Kräfte der Finsternis; regten sich und kündigten der neuen Wahrheit den Krieg an. Eine falsche Weisheit überschüttete mit Spott und Hohn das Evangelium des Herrn. Was will dieser Lotterbube sagen? so haben sie am Sitze der Weltbildung und Weltweisheit, zu Athen, dem mächtigen Heidenbekehrer zugerufen (Apg. Gesch. 17, 18). Und schon schärften Verachtung und Widerspruch das Schwert der Verfolgung.

 Er selbst, der Apostel, ist wie ein Verbannter Christi, er eilt von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, trägt an seinem Leibe die Malzeichen des Herrn Jesu (Gal. 6, 17) und ringt mit Gefahr und Todesnoth. Aber umgeben von Verachtung und Hohn, von Haß und Feindschaft, ruft er nur um so lauter: | ich schäme mich des Evangelii von Christo nicht. Und wenn ich ihn dieß Wort der Gemeinde, die in Rom, im Herzen und Mittelpunkt des weiten römischen Reichs, sich angesiedelt hat, zurufen höre, so ist’s mir, als sehe ich den hohen Apostel, wie er die Fahne des Gekreuzigten aufrollt und alle Welt einlädt, unter dieser Fahne sich zu sammeln, weil unter ihr Sieg und Frieden zu finden. Sein Wort ist das Wort freudigsten Bekenntnisses zu Christo.

 Es ist nun freilich, Geliebte, seitdem der Apostel diese Worte gesprochen, vieles anders geworden, Es ist ein Wunder vor unsern Augen, was geschehen. Das Wort des verachteten Nazareners hat in dieser Welt gesiegt, das Kreuz prangt als Siegeszeichen auf dem weiten Erdenrunde, und das Reich Christi hat die Reiche dieser Welt sich erobert. Aber hat denn etwa das Evangelium aufgehört, der Welt ein Aergerniß und eine Thorheit zu sein? Ist nicht gerade in unsern Tagen der Gegensatz gegen das alte, apostolische Christenthum zu einer noch nie dagewesenen Höhe gestiegen? Hat man nicht während der kurzen Zeit, in der ich unter euch wirkte, vielfach geradezu über Sein oder Nichtsein von christlicher Religion und Kirche verhandelt und gestritten? Blickt doch das Geschlecht der Gegenwart im stolzen Bewußtsein, es so herrlich weit gebracht zu haben, in vermessener Selbstgenügsamkeit, mit der es seines weltbeherrschenden Vermögens sich rühmt und auf die Werke seiner Hände schaut, mit Verachtung und heimlichem Mitleid auf die geringe Gestalt von Christi Reich und Christi Evangelium! Liegt doch Unglaube und Zweifel, oder doch Unsicherheit und Unentschiedenheit in religiösen Dingen recht eigentlich in der Luft der Gegenwart und bildet ein wesentliches Zeichen der Zeit.

 Da thut es ja noth, Geliebte, daß der Diener Christi, so oft er diese heilige Stätte betritt, namentlich aber beim Antritts- und beim Scheidegruß sich selber fragt: Wie stehst denn du in deinem Innersten zu der so viel umstrittenen Sache, zu dem Evangelium von Christo, diesem Zeichen des Widerspruchs? Nun weiß ich wohl, daß ich nichts bin gegen den hohen Apostel. | Aber gleichwohl nehme ich sein Wort in den Mund und rufe es dir, theure Gemeinde, beim Abschied zu: ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht. Mein innerstes Leben, Denken, Fühlen, Wollen ist mit ihm verwachsen, ich bin in tiefster Seele von seiner Herrlichkeit erfüllt. Ich weiß, ich glaub’s, ich bin unerschütterlich überzeugt — wenn der Strom der Zeit noch so viel begräbt, dieß Evangelium wird oben bleiben; dieß Evangelium ist eine unzerstörbare, uneinnehmbare Burg, an der alle Waffen des Zweifels und Unglaubens zu Schanden werden.

 Freilich, Geliebte, wenn man dieß Evangelium so ansieht nach seiner nächsten, äußern Gestalt, wie viel findet sich, woran menschliche Vernunft und Weisheit sich ärgern können! Da reden wir Jahraus, Jahrein von einem armen Manne, der vor 1800 Jahren unter einem verachteten Volke, in einem verachteten Winkel der Erde gelebt hat, reden von einer armen Krippe, in welcher der Neugeborne liegt, reden von einem noch ärmeren Kreuze, an dem er einem Missethäter gleich sein Leben unter Qualen geendet. Und diese Dinge, sagen mir zugleich, sind der Grund unseres Heils und unserer Seligkeit, der Brunnen des höchsten Glückes der Menschheit, ihrer Wiedergeburt und ihres ewigen Lebens. Das ist ein harter Anstoß für unzählige.

 Aber wenn man nun tiefer schaut, so findet man gerade hierin den Anlaß zu Preis und Anbetung. Es gilt hier das Wort des Apostels: „die göttliche Thorheit ist weiser, denn die Menschen sind; und die göttliche Schwachheit ist stärker denn die Menschen sind“ (1 Kor. 1, 25). Dieß Evangelium, so arm, so gering, so unscheinbar, ist zugleich so reich, so hoch, so gewaltig, so majestätisch. Dieser arme Mann, der den Namen Jesus Christus trägt, der im Tempel zu Jerusalem und an den Ufern des Sees Genezareth predigt, ist derjenige unter der zahllosen Schaar der Menschenkinder, dem allein kein Makel der Sünde anklebt. Aus seinem Antlitz leuchtet uns das Bild Gottes in ungetrübter Schöne entgegen, sein ganzes Leben ist ein heller Spiegel göttlicher Heiligkeit und menschlicher Unschuld. Dieser arme Menschensohn, der nicht hatte, da er sein Haupt hinlege, | hat ein unermeßlich Bewußtsein, er weiß, daß er die geringe Knechtsgestalt eingetauscht hat um eine ewige, göttliche Herrlichkeit, die er beim Vater hatte, er bezeugt’s noch Angesichts des Pfahles der Schmach, und des Todes des Verbrechers, daß er sei der Sohn des lebendigen Gottes. Diese arme Krippe im Stalle zu Bethlehem ruft Himmel und Erde auf zur Feier des kündlich großen, gottseligen Geheimnisses: Gott ist geoffenbaret im Fleisch (1 Tim. 3, 16). Dieß noch ärmere Kreuz auf Golgatha steht inmitten dieser friedlosen Welt als das Friedenszeichen der gestifteten Versöhnung. Die Sonne, die an diesem Kreuze untergeht unter allen Schauern und Schrecken der Erde, zieht nach wenigen Tagen wieder herauf in Majestät und Verklärung. Elend, Noth und Tod sind verschlungen in den Sieg und die Herrlichkeit der Auferstehung. Dieser Menschensohn, der hier unten gezagt und gezittert, setzt sich zur Rechten der Majestät in der Höhe, gründet sich seine Gemeinde, baut sich sein Reich, hat alles in seinen Händen, schaut von seinem erhabenen Gottesthrone in ruhiger Siegesgewißheit auf das Rollen der Weltgeschicke und wartet, bis alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt sind. Und diese Dinge sind nicht etwa nur ein schöner Traum, ein Gedicht erregter Phantasie, wozu man sie in unsern Tagen stempeln möchte — sie sind Wahrheit und Wirklichkeit, sie können nicht erdichtet und erfunden sein, denn sie sind höher und tiefer als aller Menschen Vernunft und Gedanken, sie tragen das Siegel göttlicher und menschlicher Beglaubigung. Sie sind bestätigt durch das Wort von Augen- und Ohrenzeugen, die alle Stunde für ihre Sache zu sterben bereit waren, durch das ungeschwächte Zeugniß der Jahrhunderte, durch den unerschütterten Bestand einer christlichen Kirche. Die stärkste, heiligste Macht, die es gibt, die Macht der Liebe, der ewigen göttlichen Liebe, ist zugleich das Siegel der Wahrheit dessen, was das Evangelium verkündet. Denn was durch alles sich hindurchzieht, der rothe Faden in diesem wunderbaren Leben, von der Krippe bis zum Kreuz und vom Kreuz bis zum Throne der Herrlichkeit, ist eine wundermächtige, | rettende, erlösende Liebe, die den verlorenen Sohn ans Vaterherz zurückführen, aus Sündern Gottes Kinder, aus Gebundenen des Todes Erben des ewigen Lebens machen will.
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 Jede Predigt soll nun, Geliebte, den Ton dieser ewigen Liebe anschlagen, soll ein Lobgesang sein auf Christi ewige Herrlichkeit, soll seine Liebes- und Lebenskräfte ausströmen. Nun bekenne ich ja gerne, daß ich oft genug mit dem zermalmenden Gefühl der Armuth dessen, was ich gegeben, von dieser heiligen Stätte herabkam, aber gleichwohl habe ich das tröstende Bewußtsein, daß es das Evangelium unsers Herrn Jesu Christi gewesen ist, und nichts anderes, was ich euch gebracht. Dieses Evangelium wollte ich euch mit dem Ernst der Wahrheit, mit der ganzen Inbrunst und Gluth der Seele verkündigen. Zugleich darf ich sagen, daß all mein Streben und Ringen, mein Beten und Flehen, mein Arbeiten und Studiren den einen Zweck verfolgt, das Evangelium unsers Herrn Jesu Christi wie in seiner Schlichtheit und Einfalt, so in seiner göttlichen Kraft, Schöne und Herrlichkeit euch vor Augen zu malen. Jedem wollte ich es nahe bringen; den glaubenden stärken und befestigen, dem suchenden und zweifelnden zeigen, wie es seinem eigenen innersten Bedürfniß und Verlangen entspricht. Und wenn ich stets geneigt war, alles wirklich Gute, Edle und Großartige in den Strebungen unserer Zeit anzuerkennen, so habe ich mir zugleich selbst fort und fort die Einreden eines verkehrten Zeitgeistes vor Augen gestellt, der von einer Offenbarung Gottes in Jesu Christo nichts wissen will, das Wunder der Erlösung, die göttliche Würde des Heilands und zuletzt den lebendigen Gott selbst leugnet, um ihnen innerlich zu begegnen, um immer neu gewappnet und neu gerüstet mit dem rechten Zeugengeiste euch das Evangelium zu verkünden. Gerne, gerne habe ich in diesem schönen Gotteshaus das Wort der Wahrheit verkündet. Schwer wird mir der Abschied von demselben. Aber gerade scheidend möchte ich nochmals in freudigster Entschiedenheit mich zu meinem Herrn und seinem seligmachenden Evangelium bekennen und euch allen zurufen: Haltet | fest sein Wort; Himmel und Erde vergehen, aber seine Worte vergehen nicht; bleibt treu eurem evangelischen Glauben und erbauet euch immer mehr auf demselben! Laßt euch nicht blenden durch jenen Geist des Irrthums und der Lüge, der von keinem höhern Ziele der Menschheit weiß, als wie es beschlossen liegt in diesem irdischen Dasein mit seinen Gütern und Genüssen, aber auch seiner Qual und Mühsal, der weder das Herz unseres Gottes in seinem wunderbaren Liebeszug zu uns, noch das eigene, das Menschenherz mit seinem Zuge zu Gott und seinem Sehnen nach Erlösung kennt! Bleibt treu eurer Kirche! Felsenfest steht ihr Grund; auch die Pforten der Hölle können ihn nicht überwältigen.

 Mein Bekenntnis sei heute beim Abschied ein freudig entschiedenes, aber

 
II.

 auch ein demüthig dankbares.

 So tief mein Herz heute den Schmerz der Trennung empfindet, so ist es doch zugleich voll Lobes und Dankes. Wofür soll ich aber meinem Herrn zunächst danken? Nicht dafür, daß er mich auch diese dritthalb Jahre das Evangelium verkünden ließ, das, wie der Apostel sagt, „eine Kraft Gottes ist, die da selig macht?“ Ist das nicht selbst etwas Seliges? Ist es nicht ein hoher, herrlicher Beruf, andern ein Gehilfe zu sein, das Evangelium am eigenen Herzen als eine solche Gotteskraft zu erfahren, ein Gehilfe seligster Freude zu sein? Es ist freilich etwas Großes, was hier vom Evangelium ausgesagt wird, von einem Worte, das von Menschenlippen erschallt, daß es als Gotteskraft in das Menschenherz niedersteige und hier ein Gottesleben schaffe. Aber, Geliebte, dieß Wort hat solche Kraft, weil es eben Gottes Gedanken und Gottes Thaten verkündet, weil es mit der Anziehungskraft göttlicher Liebe die Herzen emporzieht, weil es der Träger des heiligen Geistes ist, der unsere Herzen erneuern und beseligen will. Der Apostel hat es an sich selbst erfahren. Er kann von der Kraft des Evangeliums gar nicht reden, ohne zugleich in demüthigstem, dankbarstem Preise | an den gewaltigen Wendepunkt seines Lebens zu denken, da er, der ein Lästerer und ein Verfolger und ein Schmäher war, nach dem Reichthum göttlicher Barmherzigkeit ein Jünger und Apostel des Herrn geworden ist (1 Tim. 1, 13). Und ihm nach hat das Evangelinm seine Gotteskraft an Millionen Herzen geoffenbart, es hat hier Menschen vom Irrthum ihres Weges herumgebracht und aus tiefem Verderben errettet, dort im bittersten Kampf mit höherem Frieden gesegnet, die Trübsalsnacht mit hellem Trostlicht durchleuchtet und Sterbenslust auch unter den dräuenden Schrecken des Todes eingehaucht.
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 Ja, es ist das Evangelium von Christo eine Kraft Gottes zur Seligkeit. Es tritt dem Unheil und der Unseligkeit entgegen, unter denen die Menschheit liegt, und überwindet diese mit göttlichen, himmlischen Kräften. Nun gehört ja wahrlich, Geliebte, nicht viel dazu, das Unheil dieses Lebens, den schweren, mit dem Gewichte ewiger Entscheidung beladenen Ernst zu erkennen, der auf diesem Leben ruht. Wenn man es auch nur von außen ansieht, wer zählt es, das Heer von Uebeln, mit denen die Menschheit sich abzuringen hat, wer mißt die Last von Jammer und Elend, unter welcher sie seufzt? Der Klageton über die Mühsal dieses irdischen Lebens durchdringt alle Zeiten und alle Geschlechter der Menschen und wird nur überboten von einem noch tiefern Nothschrei, von dem Hilferuf des geängsteten Gewissens. Was ist alle äußere Last des Leidens gegen die Last der Schuld, die wir alle mit uns herumtragen, in der wir dem strafenden und verdammenden Gerichte des heiligen Gottes verfallen sind, gegen den Stachel des bösen Gewissens? Und wenn auch der Leichtsinnige gegen den Ruf in seinem Innersten: du bist gewogen worden und zu leicht gefunden (Dan. 5, 27), sich wie oft verschließt, es bestätigen die Zornesruthen des heiligen Gottes, das ernste, erschütternde Todesgeschick mit seinen tausend und abertausend Denkmalen immer wieder neu, daß die Rede von Sünde und Fall, von einer tiefen Entzweiung des Menschen keine leere Rede ist. Ja es ist der Mensch in seiner natürlichen Lebensgestalt ein | mühseliges und unseliges Geschöpf, hereingestellt zwischen eine schmerzensreiche Geburt und ein ödes, finstres Grab, in sich ein Meer von Sorge und Furcht, um sich viel Kampf und Streit und Trübsal, vor sich das ernste Gericht und die gerechte Vergeltung.

 Und da tönt nun in die mühselige, verlorene Menschenwelt eine wunderbare Botschaft herein, die Licht, Kraft, Trost, Frieden schon jetzt für diese Zeit anbietet und mittheilt, und ewige Seligkeit und Herrlichkeit darnach uns verheißt, die die Kräfte der zukünftigen Welt jetzt schon einsenkt und in dem hienieden uns geschenkten Maß derselben zugleich ein Pfand ihrer vollen und vollendenden Mittheilung bietet. Diese Botschaft tritt an den erschrockenen Sünder mit dem Trostwort heran: dir sind deine Sünden vergeben, ruft auch dem Angefochtensten und Beladensten zu: verzage nicht, größer als alle Wucht des Leidens, größer auch als dein kleinmüthiges, verzagtes Herz ist Gottes Liebe und Erbarmung, wie sie in Jesu Christo auch dir gilt, weist den Sterbenden auf den, der durch seinen stellvertretenden Tod die Schuld bezahlt und durch seine Auferstehung die Ewigkeit zur lichten Heimath gemacht hat. Diese Botschaft wandelt die Furcht vor dem verdienten Gericht, der verschuldeten Verdammniß in den Jubel einer ewigen Erlösung, in die Zuversicht auf ein ewiges Erbe. Und diese Botschaft ist — das Evangelium von Jesu Christo.

 Dieß Evangelium durfte auch ich euch, Geliebte, verkünden, und habe es euch als einer verkündet, der in ihm selbst die Kraft, den Trost, den Frieden seines Lebens gefunden. Wir haben kein sittliches Recht, seine seligmachende Kraft der Gemeinde anzupreisen, wenn wir sie nicht selbst an unserm Innersten erfahren haben. Wir sollen predigen im Drang der erfahrenen Liebe Christi. Wo aber Christus das Herz füllt, da schweigt der Selbstruhm, und tritt demüthiger Dank an seine Stelle. Der Geistliche hat nur zu geben, was er empfangen hat. Ihm besonders auch gilt das Wort: Was hast du aber, das du nicht empfangen hast? So du es aber empfangen hast, | was rühmest du dich denn, als der es nicht empfangen hätte (1 Kor. 4, 7)? Gabe und Gnade ist alles wie überhaupt im Christenthum, so insonderheit auch in unserm Amte, wir mögen auf den Samen sehen, den wir streuen, oder auf den Segen, den wir ernten dürfen. Aller Dank hiefür schlingt sich aber zusammen mit dem Dank, des Evangeliums Kraft am eigenen Herzen erfahren zu haben und fort und fort zu erfahren.  Dank und Demuth soll der Grundton des Christenlebens sein, der Grundton vor allem im Leben des Dieners Christi. Ich glaube aber vor andern Grund zu dankbarster, demüthigster Beugung vor meinem Gott und Heiland zu haben. Ein wichtiger Wendepunkt ist in meinem Leben eingetreten. Nothwendig muß ich rückwärts schauen und aller Gnadenzüge meines Gottes gedenken. Es waren zum Theil recht schwere Wege, auf denen er mich zu sich gezogen. Aber gerade in bitterer Trübsal, in Jahren großer Schwachheit und Anfechtung von innen und außen habe ich unendlich viel gelernt, mehr als auf der Studirstube, habe gelernt, mich ganz auf meinen Herrn und Heiland zu werfen und die Kraft seiner freien, unverdienten Gnade zu erkennen. Diese Gnade soll mein einziger Ruhm, soll das Lied im Hause meiner Wallfahrt sein, von ihr will ich mich tragen lassen bis zum letzten Athemzuge. Und wenn ich nun weiter daran denke, wie mich schwachen Menschen Gott getragen und gestärkt, wie er mir gnädig bis hieher durchgeholfen, da kann ich nicht anders als sprechen: ich bin viel zu gering aller Barmherzigkeit und aller Treue, die du an deinem Knechte gethan hast (1 Mos. 32, 10). Wie soll ich dem Herrn vergelten alle seine Wohlthat? Ich kann nicht anders, ich muß meine Gelübde bezahlen vor allem Volk. Ich kann nicht scheiden, ohne aus tiefstem Seelengrund ein: Lobe den Herrn, meine Seele, angestimmt und ein Dankopfer auf den Altar des treuen, gnädigen Gottes niedergelegt zu haben. Zagenden, bangenden Herzens bin ich in diese Stadt gezogen, blutenden Herzens ziehe ich fort. Wie viel Gutes hat mir Gott während meines kurzen Aufenthalts erwiesen! Ich durfte hier mit gleichgesinnten Amtsbrüdern | in Frieden und Eintracht zusammenwirken; ich durfte sehen, wie die Gemeinde in Frieden sich baut. Ich habe hier viel geistige und geistliche Anregung empfangen. Ich bin ächtem, wahrem, lebendigem Christenthum begegnet und durfte mich freuen, daß ein Zug zu Gottes Wort durch die ganze Gemeinde geht. Ich hatte in Kirche und Schule ein gesegnetes Arbeitsfeld; ich hatte zum Theil selige, mir unvergeßliche Stunden in der Unterweisung eurer Söhne und Töchter. Und wie ist mir doch mein Amt von allen Seiten erleichtert worden! Man ist mir mit einer Liebe, einem Vertrauen, einem Wohlwollen entgegengekommen, für welche ich oft im Stillen Gott gepriesen habe und es heute laut und öffentlich thun will. Ich danke es heute aber auch der ganzen Gemeinde, vor allem den geehrten Vertretern dieser Gemeinde, und den einzelnen, mit denen ich in nähern Verkehr getreten. Ich sage dieß alles, nicht um Menschen zu rühmen, sondern Gottes Gnade zu preisen. Der Geistliche hat nicht um Gunst und Anerkennung ängstlich zu werben, aber wo Liebe und Vertrauen ihm zu Theil werden, sie als eine Gabe Gottes hinzunehmen, die ja auch der Förderung seines Werkes, dem Baue an Christi Reich dienstlich sein kann. Wie soll bei Mißtrauen und Zwietracht unser Werk gedeihen! Wenn ich alles zusammenfasse, so muß ich sagen: diese dritthalb Jahre meines Wohnens und Wirkens unter euch sind ein Lichtpunkt in meinem Leben, während deren ich die Freundlichkeit und Güte meines Gottes besonders reichlich erfuhr. Das liebe Kreuz hat mich wohl auch hier nicht verlassen; ich könnte von niederziehenden Gewichten, von bitterer Sorge Tag und Nacht, die mich nach anderer Seite hin betroffen, reden. Aber der Grundton meiner Seele ist heute tiefer, inniger, gerührter Preis der Treue und Barmherzigkeit meines Gottes.
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 Geht mein Dank aber aus von der Gnade Gottes und kehrt dahin zurück, so muß ich mich auch ernstlich prüfen, ob ich in der Gemeinschaft dieser Gnade gewachsen und selbst tiefer eingewurzelt bin in das Evangelium des Herrn Jesu Christi, das ich euch gepredigt; so muß ich auch euch fragen in meiner | letzten Predigt, wie ihr zu diesem Evangelium steht. Ich rede nicht allein von dem Verhalten zu meinem Zeugniß. Schon längst erschallt in den Räumen dieser Kirche, in dieser Stadt eine ernste, entschiedene Predigt des Evangeliums aus dem Munde treuer, begabter Diener, mit denen diese Gemeinde vor andern gesegnet war. Ist das Evangelium auch in euren Herzen, in eurem ganzen Leben, in eurem Sinn und eurem Wandel eine Gotteskraft geworden? Ist es euer Halt im Leben, euer Trost im Leiden, euer Licht in einer vielfach so wirren, von den entgegengesetztesten Bestrebungen durchzogenen Zeit, eure Hoffnung noch im Tode? Ihr nennt euch eine evangelische Gemeinde; so wandelt auch würdiglich des Evangeliums, würdiglich eures Berufes, darinnen ihr berufen seid, mit aller Demuth und Sanftmuth, mit Geduld, und vertraget einer den andern in der Liebe, und seid fleißig zu halten die Einigkeit im Geist, durch das Band des Friedens (Eph. 4, 1–4)! Ja haltet Frieden, Frieden in der Gemeinde, in euren Ehen und Familien! Tragt Sorge, daß ein frommes, gottesfürchtiges, züchtiges Geschlecht unter euch heranwachse! Laßt euch Kirche und Schule, laßt euch die Anstalten der Liebe und Wohlthätigkeit wie überhaupt, so insonderheit in dieser Stadt ferner empfohlen sein! Schaart euch fleißig um Gottes Wort und das Sacrament des Altars! Achtet und ehret das Amt, das die Versöhnung predigt! Tretet namentlich ihr, die ihr Amt und Würde innerhalb der Gemeinde habt, fest und einmüthig zusammen für das Gute und wehret allem Sünden- und Lasterdienst! Freut euch über den Bau des göttlichen Reiches in eurer Mitte und fördert ihn mit Rath und That!
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 Und weil das Evangelium seine schönste Kraft gerade unter Leid und Trübsal entfaltet, so darf ich als Prediger des Evangeliums gerade den Leidenden unter euch, den Kreuzträgern ein Wort des Trostes noch zurufen. Sinds alte Wunden, die heute neu aufbrechen, sinds frisch geschlagene; o glaubet, ihr könnt mit dem Worte von der ewigen Liebe und Erbarmung Gottes in Jesu Christo alles überwinden, schaut auf das Kreuz | eures Herrn und geht geduldig die Kreuzesstraße, die er euch ziehen heißt, sie ist eine gesegnete Straße! Hebt eure Häupter auf! Seid getrost und unverzagt! Ueber ein Kleines, so ist alle Traurigkeit in Freude verwandelt. Laßt uns alle Zeit in Demuth und Dankbarkeit Gottes Wege gehen, sie enden sich in Lieb und Segen.

 Ein demüthig dankbares Bekenntniß sei heute unser aller, sei vor allem mein Bekenntniß, und

 
III.

 auch noch ein bußfertig gläubiges.

 Das Evangelium ist „eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben, die Juden vornehmlich und auch die Griechen“, schreibt der Apostel. Also kommt es zuletzt auf den Glauben, das gläubige Herz an, wenn das Evangelium seine Gotteskraft entfalten soll. Kann es denn anders sein? Ist doch das Evangelium Gnadenbotschaft, Gnadenverheißung, die allein im Glauben hingenommen werden kann. Für alle Völker und Geschlechter wie für jeden einzelnen bezeichnet der Apostel als den Weg zum Heil den Glauben an das Evangelium. Soll ich euch heute nun, Geliebte, beim Abschied noch näher sagen, was ich, was wir alle euch so oft von diesem Glauben gesagt haben? Der Glaube ist kein todtes, äußeres Wesen, keine blinde Hinnahme willkürlicher Meinungen und Satzungen, wozu den Glauben manche, ihn zu entehren, stempeln möchten, sondern innerstes, lebendigstes Ergreifen der göttlich versiegelten Wahrheit des Evangeliums, der Gnade Gottes in Jesu Christo. Im Glauben erwidern wir Gottes gnädige Herablassung zu uns mit innigster, vollster Zukehr zu ihm, der Glaube ist ein Werk Gottes an uns und zugleich unsere eigenste, innerste Willensthat und Uebergabe unsers Herzens an den, der uns hat geliebt und sein Blut für uns vergoßen. Im Glauben wird Christus unser Christus, sein Verdienst uns angeeignet. Im Glauben schließen wir uns persönlich mit ihm zusammen, werden eins mit ihm.

|  Wie soll aber dieser Glaube, der das Heil, der die Gnade Gottes in Christo ergreift, in uns entstehen, wenn nicht zuvor ein Verlangen nach dem Heile in uns vorhanden ist, und wie soll das Verlangen nach Heil in uns entstehen, wenn wir nicht unser Unheil erkannt? Nur durch Buße geht’s zum Glauben, nur durch die Tiefe zur Höhe, durch die Tiefe der Selbsterkenntniß und des Selbstgerichts auf die Höhe seliger Gnadenerkenntniß und glaubensvoller Heilsgewißheit. Was heißt aber Buße anders, als mit dem ganzen, vollen Ernst der Wahrheit sein ganzes Wesen in das Licht der göttlichen Heiligkeit stellen, in tiefer, schmerzensreicher Erkenntniß, daß wir durchaus nicht bestehen können vor dem heiligen Gott, weder mit unsern Sünden noch mit unserer natürlichen Gerechtigkeit, sprechen: An dir, an dir allein habe ich gesündigt?

 Eine solche Buße hat große Kraft, denn sie erzeugt festen, gesunden, in Christo immer tiefer wurzelnden Glauben. Buße und Glaube ist Inhalt unserer Predigt. Aber wie wir überhaupt nie der Gemeinde predigen sollen, ohne zuvor uns gepredigt zu haben, so hat der Geistliche auch fort und fort in der Buße der Gemeinde voranzugehen. Gerade unser hohes, heiliges, verantwortungsvolles Amt soll uns auch beständig mahnen an die Pflicht der Buße. Ich darf nun wohl sagen, ich kenne die Schmerzen, ich kenne auch etwas die Kraft der Buße. Gerade heute aber, wo ich scheide von einer theuren Gemeinde und mein Tagewerk unter ihr überblicke, drängts mich zu einem bußfertigen Bekenntniß. Ich habe wohl ernst und anhaltend darnach gerungen, das Wort, das ich verkünde, auch durch Sinn und Wandel zu ehren. Aber wenn ich mein Innerstes prüfe, wenn ich hintrete vor das Feuerauge Gottes, wie viel Mangel und Gebrechen, Sünde und Unlauterkeit finde ich doch, die sich auch meinem amtlichen Wirken beigemengt! Darum beuge ich mich vor ihm, dem dreimal Heiligen, im Staube und rufe ihn an, er möge alle meine Sünde bedecken mit dem theuren Verdienst seines Sohnes.

 Nicht ohne Buße, aber auch im lebendigen Glauben will | ich dann weiterziehen. Des Christen Weg ist ein Glaubensweg, des Dieners Christi auch. Von Glauben zu Glauben werden wir geführt. Im Glauben sollen wir alle sprechen lernen: deiner Führung folg ich still; wie du willst, nicht wie ich will. Tausendfach sind unsere Gedanken nicht Gottes Gedanken; daran müssen wir uns in der Selbstverleugnung des Glaubens gewöhnen. Ich leugne nicht: der Weg, den ich jetzt gehe, ist für mich ein schwerer. Er kostet mich viel Kampf, viel Gebet, viel Thränen. Mein Herz muß sich losreißen von theuren Verbindungen; von niemand reißt es sich aber schwerer los als von dir, theure Gemeinde. Der Abschied von der Gemeinde ist immer recht bitter für den Geistlichen. Die Verbindung zwischen dem Geistlichen und der Gemeinde gehört zu den innigsten und zartesten in diesem Leben. Mehr als einmal mußte ich dieß zarte Band schon lösen. Nie habe ich aber die Schmerzen der Lösung so tief empfunden, als da ich scheide von euch. Ihr werdet mich wohl frei glauben von dem Wahn, als sei ich für euch unentbehrlich und unersetzlich. Aber eines drückt mich besonders. Ihr habt mir in diesem Jahre einen Beweis eures besondern einmüthigen Vertrauens gegeben. Ich danke euch für denselben von ganzem Herzen. Aber äußerlich angesehen lohne ich denselben euch ja schlecht genug. Gerade jetzt ziehe ich fort. Aber glaubt es mir doch: Ich suche nicht das Meine, meine Ehre oder gar meinen Gewinn dabei. Ich habe nicht nach dem Amt, das mir das Vertrauen meiner kirchlichen Obern zugedacht, getrachtet. Ich hatte nichts anderes im Sinn, als nach längerer Zeit der Unruhe und vielgestaltiger Arbeit mit freierer Muße und mit gesammelter Kraft euch Sonntag für Sonntag das Evangelium zu predigen und auch bei euch den letzten Ruf zu erwarten. Ich habe längere Zeit dem neuen Rufe widerstrebt und habe auch nachher alles Gott anheim gestellt und gesprochen: des Herrn Wille geschehe. Je und je wollte ich mich nicht selber führen, sondern führen lassen. Auch jetzt, will ich festiglich glauben, führt mich Gott. Seinem Rufe glaube ich zu folgen, indem ich folge dem Ruf unserer väterlich | gesinnten kirchlichen Obern. Glaubend und betend bin ich vor dritthalb Jahren zu euch gekommen, glaubend und betend will ich auch den neuen Beruf übernehmen. Er mag des Schweren, Mühereichen, Verantwortungsvollen vieles in sich tragen. In Gottes Namen will ich an das neue Werk gehen. Ich diene dort demselben Herrn, baue an demselben Reich wie hier. Gottes Gnade, Gottes Segen wird mir ja nicht fehlen. Im Glauben halte ich dieß fest.

 Wollt ihr mich nicht auch mit eurem Segen, mit eurem Gebet begleiten? O erzeigt mir diesen edelsten aller Liebesdienste. Betet für mich. Auch leiblich getrennt, wollen wir geistlich, wollen wir in Glauben und Gebet geeint bleiben. Im Glauben und Gebet können wir alles überwinden. Im Glauben und Gebet laßt uns nach dem höchsten Ziele, nach unserer Seelen Seligkeit, nach der ewigen Herrlichkeit trachten. An dieß höchste Ziel denke ich auch heute lebendig. Es ist mein Glaubensziel, vor dem alle andern Ziele, auch Ehre und Würde in dieser Welt weit, weit zurückweichen, dem sie alle dienen sollen. Schauen wir hinaus auf dies schöne, große Ziel!

Ein Tag, der sagts dem andern,
Mein Leben sei ein Wandern
Zur großen Ewigkeit.
O Ewigkeit, du schöne,
Mein Herz an dich gewöhne!
Mein Heim ist nicht in dieser Zeit.

 Das ist mein Bekenntniß beim Abschied. Bleiben wir in solchem Bekenntniß, in Liebe zum Herrn, in Liebe gegen einander verbunden! So lange dieses Herz schlägt, soll es in Liebe schlagen zu Ihm, in reinem Eifer für Christi Reich und Evangelium! So lange ich hier pilgere, will ich auch eurer nicht vergessen. Gott lohne euch alle eure Liebe! Besiegeln wir beim Abschied unsere Gemeinschaft noch durch Gebet! O Herr Gott himmlischer Vater, sei du gepriesen für alle Gnade und Wohlthat, die du mir erwiesen inmitten dieser Gemeinde! Schaffe Segen und Frucht aus dem geringen Werk, das ich hier gethan! | Segne diese Gemeinde, segne diese Stadt! Segne dieses Gotteshaus, segne alle, die dich hier anrufen mit lauterem Herzen! Segne die Diener des Worts, die an dieser Gemeinde arbeiten! Laß uns verbunden bleiben in wahrer Liebe, lebendigem Glauben, in der Gemeinschaft des Gebets! Laß uns ewig uns wiederfinden im Vaterhause droben, vor dem Throne deiner Gnade und Herrlichkeit! Amen.