Ein Standrecht in Dresden während des 30jährigen Krieges

Gereimte Selbstbiographie des Diakonus M. Christian Richter 1645–1725 Ein Standrecht in Dresden während des 30jährigen Krieges (1894) von Robert Wuttke
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896)
Der Frauenkirchhof, Dresdens älteste Begräbnißstätte
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Ein Standrecht in Dresden
während des 30jährigen Krieges.
Mitgetheilt von Dr. Robert Wuttke.

Die heutzutage vielfach hervortretende Unzufriedenheit mit unseren Rechtszuständen richtet ihre Angriffe vorzugsweise gegen das römische Recht. Aber gleichzeitig verlangt man auch eine Abänderung des Militärstrafverfahrens, und die Frage seiner Reform wird seit Jahren in der Presse, in Versammlungen, im Reichstage besprochen, ohne daß doch bis jetzt eine sichtbare Wirkung erzielt worden wäre. Bei all diesen Angriffen übersieht man, daß sich allein im heutigen Militärstrafverfahren noch ein Rest des alten deutschen Strafverfahrens erhalten hat, denn das Urtheil wird von Soldaten über Soldaten gefällt. Heute verlangen wir, daß vor dem Gesetz Alle gleich seien und daß der Richter genau nach dem Inhalt der Rechtsvorschriften das Urtheil fälle. Der Zug, der durch das neuere Recht geht, ist demokratisch.

Ganz anders das alte deutsche Recht. Der ständische Staat des Mittelalters kennt nur ein Standesgericht, und nicht ein juristisch gebildeter Richter findet das Urtheil, sondern der Ritter wird von Ritterbürtigen, der Bürger von Bürgern, der Bauer von Bauern abgeurtheilt. Der Gedanke, der diesen Standesgerichten zu Grunde liegt, ist ein sehr gesunder. Innerhalb eines jeden Standes entwickeln sich gewisse Ehr- und Anstandsbegriffe, deren Wahrung jedem Stande eifrigst angelegen sein muß. Der moderne Richter steht meist außerhalb der Gesellschafts- und Ideenkreise des vor ihm Angeklagten, es fällt ihm deshalb leichter, die rein juristische Natur irgend eines Verbrechens oder Vergehens zu erfassen, aber für die nicht in Paragraphen und in Gesetzesvorschriften rubrizirten Ehr- und Anstandsbegriffe hat er kein feines Empfinden. Urtheilten auch die alten Standesgerichte nicht immer so juristisch korrekt wie wir, so besaßen sie trotzdem ein besseres Verständniß für die Beurtheilung der Handlungsweise ihrer Genossen.

Als das deutsche Recht schon dem Untergange geweiht war und das römische Recht mit seinen streng logischen, aber die sozialen Verhältnisse und Unterschiede wenig berücksichtigenden Formen siegreich in Deutschland eindrang, begann erst ein besonderes Kriegs- und Standrecht sich zu entwickeln. Mit den Söldnerschaaren kam es auf und vererbte sich dann auf die stehenden Heere, um sich, wenn auch in veränderter Gestalt, als letzter Rest des alten deutschen Gerichtsverfahrens bis in die Gegenwart zu erhalten. Bei dieser späten Ausbildung am Ausgange des Mittelalters ist es natürlich, daß das Standrecht sich an andere ältere Institute und Rechtsformen anlehnte. Es gaben, wie neuere Forscher gezeigt haben, die Innungen das Vorbild für die erste Entwickelung ab. Wo aber das deutsche Volk aus sich heraus schafft, da kleidet es seine Gedanken nicht in dürre leblose Formen ein, sondern weiß sie mit dem Zauber der Poesie zu verklären. So trat z. B., wenn das Kriegsgericht einberufen war, der Fähnrich mit der Regimentsfahne vor und senkte sie, während [118] das Standrecht gehalten wurde, umgekehrt in den Boden, um anzudeuten, daß unter der ehrlosen Handlung des Einen die Ehre des ganzen Regiments gelitten habe. War das Urtheil gesprochen, so hob er die Fahne wieder hoch und dankte dem Gericht für den guten Willen, ehrlich Regiment zu stärken.

Bei so verwilderten und vaterlandslosen Soldaten, wie es die Söldnertruppen während des 30 jährigen Krieges waren, kamen täglich Vergehen und Uebertretungen vor, und sieht man die Akten durch, so stößt man allenthalben auf Erkenntnisse und Verurtheilungen, aber die eigentlichen Prozeßakten findet man nicht mehr; auch die Literatur – wie Mengering’s Kriegs-Belial (Dresden 1633) oder Lobrini’s Kriegs-Gerichts-Observationes (Dresden 1686) – führt wohl die einzelnen Artikelbriefe auf, doch sie schildert uns nicht, wie Vertheidigung und Anklage beschaffen waren, wie das Gericht sich bildete und das Urtheil gefunden wurde. Mit Freuden begrüßte ich es deshalb, als ich im Hauptstaatsarchiv[1] die Akten eines in der Untergarde zu Dresden am 17. September 1627 gehaltenen Standgerichts fand. Ich lasse sie hier wörtlich folgen. Einen Tag nach Fällung des Urtheils übersandte sie der Oberst von Krahe dem von Dresden abwesenden Kurfürsten Johann Georg I. In dem Begleitschreiben heißt es: „er hoffe, daß E. Chrf. Durchlaucht gnädigst darmit zufrieden sein werden.“ Wie der Kurfürst aber über den Prozeß und das Verhalten seines Obersten dachte, das wird der Leser am Schlusse selbst finden.

Acta,

Otto Heinrich Sallmuthen, Gerichtswebeln in der Churf. S. Unterguardi der Hauptfestung Dresden betr.


Namen der HH. Assessorn, so den 17. Sept. Ao. 1627 den Churf. S. angeordneten Standrecht beigewohnt haben:
Heinrich Müller, verordneter Regiments-Schultheiß,
Georg Heinrich von Gahrn, Fendrich,
Christoph von Kreischa, Leutenant,
Hans Trischell, Wachtmeister-Leutenant,
Georg Adam von Kares, Karl Sigismund von Radtstock, Christoph Zholl, Rottmeister,
Christoph Standiegell, Stabhalter,
Bartell Bergmann, Caspar Götze, Gerichtsgeschworne,
Hans Zirkler, Andreas Baner, Matthes Tiegell, Rundtarschirer,
Zacharias Zehrer, Hans Ellmer, Leonhard Sonnenfroh, Andreas Jentzsch, Elias Pölichen, Elias Weisze, Melchior Guttschar, Gefreite,
Caspar Voigtt, Georg Schuman, Lorenz Wusterrich, Doppelsöldner,
Hans Zimmermann, Valten Scheffer, Musquetire.

Für diesen öffentlichen anitzo von S. Churf. Durchl. wohlbestalten Standrecht bringe ich Bartell Richter, verordneter Regiments-Profos, nach Kriegesgebrauch meine Klage schriftlichen für über Otto Heinrich Sallmuthen von Dresden, gewesener Gerichtswebell, welcher den 18. Augusti abgewichenen Monats instehendes 1627. Jahres Vormittage trunken anheim in sein Losament kommen, sich mit seinem Weibe geuneinigt und etliche Schmachreden, so wider den Hr. Obristen, Kapitän und Regimentsschultheißen laufen thuen, vernehmen lassen. Indem er anfänglich sein Weib, die in sechs Wochen gelegen, mit bloßen Degen aus dem Hause gejagt, und als sie gegen ihn geantwortet: sie wollte zum H. Kapitain oder Regimentsschultheißen gehen und ihm sein unbilliges Beginnen klagen, hat Otto Heinrich zu ihr gesaget: gehe immer hin, ich bin ein Befehlichshaber, ich habe wohl Macht über den Kapitain ein Urtheil zu schöpfen, und mein Regimentsschultheiß hat mich geheißen, ich soll dich umbringen, er will mir seine Tochter geben.

Vors andere hat Beklagter vor weniger Zeit, als er noch in seinem Losament in der Büttelgassen gewohnet und auch mit seinem Weibe in Streit gerathen und mit dem Degen nach ihr gehauen und sie ins Ohr verletzt, darauf ihm das Weib entsprungen und zu ihm gesagt: Ich will zur Fran Obristin gehen und daß ihr mir so übel mitfahret, anzeigen. Er ihr geantwortet: gehe hin du Hund, die Obristin hat mich lieber als ihren Mann, und das Kind, das itzo der Hr. Obriste hat, ist mein.

Zum Dritten hat Beklagter den Hr. Obristen nämlicher Zeit eine Feuerzange aus des Hr. Obristen Losament, so dem Hr. Obristen gewesen, entwendet.

Wann dann solche ehrenrührige Schmäheworte, des Regiments uralter löblicher Kriegsgebrauch, auch seinem gethanen Eid und Pflichten sowohl den hochlöblichen Articulsbrief ganz und gar zuwider und keineswegs ungestraft passiret werden kann, als ist mein des Profosen Begehren, daß Verbrecher durch die Herrn Richter und Assessores ein solch Urtheil zuerkannt werde, welches ihm die Zeit seines Lebens nicht rühmlichen, andern aber dergleichen verwegenen leichtfertigen Gesellen zu einem merklichen Exempel und Beispiel. Will mir aber als verordneter Regiments-Profoß zuvorbehalten haben, alles dasjenige, was mir ferner zu meinen Rechten von nöthen sein wird, begehre auch darneben, Herr Schultheiß, wollet Verbrechern seine verbrochene Articuln aus den löblichen Articulsbriefe sowohl der Zeugen Aussage öffentlich vorlesen lassen, darnach geschehe ferner, was recht ist.

Der Eid,

welchen Otto Heinrich Sallmuths Schwiegermutter und sein Eheweib den 31. Augusti für dem hochlöblichen Regiment abgelegt und darauf nachfolgende Aussage gethan: Ich gelobe und schwöre zu Gott und seinem heiligen Wort, daß ich alle die Schmähewort, so ich aus meines Mannes Munde selber gehöret, die Obrigkeit betreffende, die rechte reine unverfälschte Wahrheit aussagen will. So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort.

Aussage der Zeugen:

Otto Heinrichs Schwiegermutter saget aus: es wäre vor diesem geschehn, als Otto Heinrich ihr Eidam sein Losament in der Büttelgassen gehabt und nach seinem Weibe gehauen, wäre sie ihm entsprungen und zu ihm gesagt: sie wollte zur Frau Obristin gehen und ihr solches klagen, darauf mein Eidam zu ihr gesaget, gehe hin du Hund, die Obristin hat mich lieber als ihren Mann und das Kind, das itzo der Hr. Obriste hat, ist mein, und solches nicht ein sondern vielmal wiederholet.

Der andere Zeuge,

Otto Heinrichs Eheweib saget ebenermaßen, wie ihre Mutter vermeldet, daß sie solches von ihrem Manne gehöret. Solche ihre [119] Aussage haben die Zeugen Otto Heinrichen unter die Augen gesagt.

Otto Heinrichs Verantwortung:

Er wüßte ganz und gar der Worte, so er zuwider des Hr. Obristen seine Frau und Kind geredet haben sollte, sich nicht zu erinnern, denn er gar zu sehr truncken gewesen. Wäre es aber geschehen, so müßten sie ihm aus überflüssiger Trunkenheit entfahren sein und hätte sein Weib, damit sie ihn nicht verklagen sollen, damit abschrecken wollen, wäre aber sein Lebelang in der That nichts ungebührliches geschehen. Bittet derwegen um Gotteswillen, der Hr. Obriste wolle ihm doch seine dem Hr. Obristen lange Zeit geleisteten treue Dienste genießen und Gnade für Recht ergehen lassen.

22. Articul:

Es soll sich auch keiner wider seine Befehlichshaber, es sei mit Worten oder Werken vergreifen, da sich aber einer oder mehr mit schmählichen Worten oder Werken gegen ihre vorgesetzte Obrigkeit vergreifen würde, der soll nach Erkenntniß des Rechtens am Leibe gestraft werden.

43. Articul:

Ob etwas in vorgemeldeten Articuln vergessen und nicht gemeldet wäre, was ehrlichen Kriegsleuten zu halten zustehet, so sollen auch alle Verbrechungen und Mißhandlungen auf Erkenntniß des kaiserlichen Kriegsrechtes gestellet und gestraft werden.

Otto Heinrichs Verantwortung:

Es käme ihm beschwerlich für, daß der Profos so eine schwere Anklage gegen ihn fürgebracht und was er einmal fürm Regiment ausgesagt, das wäre er noch geständig. Was dem Hr. Obristen anbelanget, wäre derselbe je und allewege sein gnäd. Hr. Obriste gewesen, wüste auch nichts auf dem Hr. Obristen, sein Weib, Kind noch alle ehrliche Befehlichshaber als Ehr, Liebes und Gutes. Bittet um Gotteswillen, der Hr. Obriste wolle ihm Gnade erzeigen. – Was die Zange anbelanget, wäre vor diesem eine aus des Hr. Obristen Losament verloren worden, dargegen er eine andere machen lassen.

Urtheil:

Auf des Profosen eingebrachte Klage wider und über Otto Heinrich Sallmuthen, welcher seinem leichtfertigen Gewissen zuwider nicht alleine seine hohen Befehlichshabern übel nachgeredet auch despectiret, sondern auch den hohen adeligen Personen ehrenrührige Schmähewort ausgegossen. Dieweil dann Beklagter seine leichtfertigen Reden mit seines eignen Weibes und seiner Schwiegermutter eidlicher Aussage genugsam überwiesen, demnach sprechen wir die zu diesem Kriegsrecht erforderten Herrn Befehlichshaber und Assessoren vor Recht, daß Verbrecher erstlichen denselben hohen Personen und andern, so er überall diffamiret, zu verächtlich nachgeredet, einen öffentlichen Widerruf neben gewohnlicher Urphede thun, alsdann einen Stabschilling bekommen und des Landes verweiset werden soll. Die Weibespersonen belangende, erkennen die Hr. Richter und Assessores vor Recht: weil sie solche Schmähewort so lange gewußt und in der Stadt ausgesprenget, daß ihnen solches die hohe Obrigkeit auch nicht ungestraft hingehen lassen möge, jedoch der hohen Obrigkeit Gnade und Sentenz zuvorbehalten.


Kurfürst Johann Georg an den Obersten Krahe.

Unser lieber getreuer. Wir haben aus eurem Schreiben und mit überschickten Akten zu unserer Ankunft von den Hennebergischen Grenzen verstanden, was für ein Urtheil über den gewesenen Gerichtswebel Otto Heinrich Sallmuth gesprochen und wie dessen Exekution angestallt und vollstrecket.

Nun können wir die von demselben ausgegossenen Injurien, als die an sich selbsten, wenn er derselben genugsam überführet, groß und wichtig, nicht recht heißen. Do auch gleich die Exekution verschoben und unsere Resolution erholt worden, würden wir doch ein solches nicht ungestraft haben hingehen lassen. Uns befremdet aber nicht wenig und vermerken mit Mißgefallen, daß Ihr das gesprochene Urthel so geschwinde und ohne unser Vorwissen vollstrecken lassen. Und solches umb so viel mehr, dieweil die Sache euch selbst und die Eurigen betroffen, Ihr gleichsam Richtersstelle vertreten; allein zwo Weibspersonen, die ohne das vermöge der Rechten nicht allerdings zuläßlich, über den Beklagten gezeuget, die eine selbst Anklägerin gewesen und ein solch Urthel gesprochen, welches etwas ungewöhnlich. Sintemal unsers wissens in Kriegsrechten die Straf des Stampenschlags nicht pflegt erkant zu werden, sonderlich nie demselben der hohen Obrigkeit Gnade vorbehalten. Wir lassen aber dahin und zu eurer Verantwortung gestellet sein. Begehren jedoch hierneben, Ihr wollet hinfüro nie wohl in dergleichen Sachen behutsamer und mit unserm Vorbewußt verfahren und dißfalls den uns schuldigen Respekt mit mehrern erweisen. Daran etc.

Datum Langensalza am 27. Sept. 1627.

  1. Loc. 9130. Der Soldaten inn der Untern Guardi zu Dreßden Besoldung, Kleidung, Verbrechung, Mangel an Brot, Differentien mit den Bürgern und anderes belangend. 1623/32. Bl. 155.