Die eidgenössische Bundesfeier in Schwyz

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Autor: Dr. Thiessing
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Titel: Die eidgenössische Bundesfeier in Schwyz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 586–590
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die eidgenössische Bundesfeier in Schwyz.

Von Dr. Thiessing.0 Mit Abbildungen von Fritz Bergen.

In den ersten Augusttagen dieses Jahres waren es sechshundert Jahre, daß die Orte Uri, Schwyz und Unterwalden zum Schutze ihrer Unabhängigkeit einen „ewigen“ Bund geschlossen haben. Sechs Jahrhunderte sind mit ihren Stürmen hinweggegangen über diese Vereinigung, die einst bei ihrem Beginn in unscheinbarem Rahmen sich darstellte, und doch ist sie durch keinen Wechsel der Zeit vernichtet worden. Was Wunder, daß die Erben jener That das sechshundertjährige Jubiläum des Bündnisses allenthalben und vor allem in Schwyz feierlich begangen haben, in jenen Alpenthälern, die mit Recht als die Wiege der Eidgenossenschaft gelten. Werfen wir, ehe wir dieses Fest selbst schildern, einen Blick zurück auf die Geschichte jener drei Urkantone.

Erst spät, später als manches der Gemeinwesen, mit denen sie in der Folge die Eidgenossenschaft schlossen, tauchen sie in der Geschichte auf. So wird Uri zum ersten Male erwähnt im 8. Jahrhundert. Im Jahre 853 schenkte dann Ludwig der Deutsche seine Besitzungen in Uri der Fraumünsterabtei in Zürich, das Thal wurde der Reichsvogtei Zürich einverleibt und kam mit dieser am Ende des 11. Jahrhunderts an die Herzöge von Zähringen. Als diese ausstarben, gab Kaiser Friedrich II. das Ländchen Uri dem Grafen Rudolf dem Alten von Habsburg, von dem es König Heinrich, Friedrichs Sohn und Stellvertreter in Deutschland, zurückerwarb. Er gab den Urnern einen Freiheitsbrief, durch den sie reichsfrei wurden, und setzte ihnen einen Landammann aus ihrer Mitte, unter dessen Leitung sie ihre gemeinsamen Angelegenheiten selber besorgten, als eine Republik unter des Kaisers Schutz.

Das Thal Schwyz, meist von Freien bewohnt, stand unter der erblichen Landgrafengewalt der Habsburger. Die freiheitliebenden Schwyzer Bauern benutzten den Streit zwischen Friedrich II. und dem Papst, um von ihrem Grafen Rudolf dem Schweigsamen von Habsburg-Laufenburg abzufallen, nachdem dieser dem Kaiser untreu geworden war. Sie gelobten dem in Italien weilenden Friedrich Gefolgschaft und erhielten von ihm einen Freiheitsbrief, durch den er sie von Habsburg löste.

Unterwalden war von Freien und Unfreien besiedelt, der größte Theil des Bodens gehörte verschiedenen Klöstern und dem Grafen von Habsburg, der nebenbei auch die Herrschaft über die Thäler Stans und Sarnen ausübte. Wie die Schwyzer, so stellten sich auch die Unterwaldner im Kampfe Friedrichs mit Rom auf des Kaisers Seite, und da sie wie jene die Rache des Landgrafen zu befürchten hatten, so suchten sie Fühlung mit den Nachbarn von Schwyz und Uri. Man that sich zusammen, wie es eben ging, und bald wurden die habsburgischen Amtleute vertrieben, ihre Burgen zerstört (1245 bis 1250). Die Herrlichkeit der freien Bauern am Vierwaldstätter See dauerte aber nicht lange. Friedrich II. starb, und die Hohenstaufen unterlagen in Deutschland wie in Italien. Die Schwyzer und die Unterwaldner mußten sich Habsburg wieder unterwerfen, nur die Urner blieben unangefochten in ihrer Freiheit. Als jedoch bald darauf Rudolf III. von Habsburg die Herrschaft über die Waldstätte übernahm, den Besitz seines Hauses ringsum rasch zu mehren wußte und zudem auch überall schwere Steuern eintreiben ließ, da erstrebten die drei Länder am See, besorgt um ihre Zukunft, neuerdings eine Vereinigung.

In dieser Zeit kam die Nachricht vom Tode des Königs Rudolf, und neue Wirren im Reich standen in Aussicht, zugleich drohte aber auch die Gefahr der gänzlichen Unterjochung durch Rudolfs Sohn, Albrecht von Oesterreich. Jetzt war der ebenso nothwendige als günstige Augenblick gekommen, wo die Waldstätte ein festes Bündniß schließen mußten. Sie thaten es für ewige Zeiten auf der Rütliwiese am Urner See, „incipiente Augusto, anno domini MCCLXXXX primo“, das heißt am 1. August 1291. Die Urkunde über den Bund ist noch vorhanden und wird in Schwyz aufbewahrt. Sie ist lateinisch abgefaßt und trägt die Siegel der drei Landschaften, nicht aber die Namen der Männer, welche die Vereinigung abschlossen. Immerhin kennen wir aus einer andern gleichzeitigen Quelle wenigstens die damaligen Häupter der Urner und Schwyzer; es sind von Uri der Landammann Ritter Arnold, Meier von Silenen, Alt-Landammann Burkhard Schüpfer und Freiherr Werner von Attinghausen, von Schwyz Konrad von Iberg und Rudolf Stauffacher. Diese waren es wohl, welche neben den unbekannten Vertretern von Unterwalden den ewigen Bund in stand gebracht haben.

Dem Andenken jener bewegten, für die Entwicklung der Eidgenossenschaft grundlegenden Zeit galten die Festlichkeiten, die am 1. und 2. August in Schwyz und an den Gestaden des Vierwaldstättersees veranstaltet wurden.

„Mag auch,“ sagte der schweizerische Bundesrath in seiner Botschaft über die Vorbereitung einer solchen Feier, „in der Ordnung unserer inneren politischen und wirthschaftlichen Verhältnisse heutzutage, wie dies zu allen Zeiten der Fall war. Kampf und Widerstreit walten, so sind doch alle Schweizer einig in der Liebe zu dem freien Vaterlande, welches ihnen glückliches Erbtheil geworden, und segnen alle den Tag, der ihnen dasselbe gegründet hat. Eine [587] Feier dieses Tages ist für jeden Eidgenossen klar und selbstverständlich. Sie ist, wie keine andere in unserem Lande, eine allgemeine nationale Feier, an welcher alle Völkerschaften der Schweiz ohne Unterschied der Sprache und Konfession, alle Glieder der Eidgenossenschaft gleich betheiligt sind. Es war den Eidgenossen noch nie vergönnt, diese Gedenkfeier zu begehen. So oft der säkulare Tag in den letzten Jahrhunderten wiederkehrte, waren widrige Zeitverhältnisse da, welche eine solche gemeinsame Feier unmöglich machten. Das Jahr 1891 aber traf die Eidgenossen in einer Lage an, die es ihnen gestattete, in der Erinnerung an das Jahr 1291 dem Besitz der Unabhängigkeit ein würdiges Bundesfest zu weihen.“

Am Vortag der Feier, an welchem die Ehrengäste – die höchsten schweizerischen Behörden sammt den diplomatischen Vertretern des Auslandes in Bern und den Abordnungen aller Kantone – an welchem Hunderte von andern Theilnehmern eintreffen sollten, da lag die Ahnung eines Regentages über der ganzen Landschaft. Auch nicht ein einziger Sonnenblick fiel in die Thalmulde, in welcher Schwyz eingebettet ist. Gedrückt war daher die Stimmung der Einwohner, welche Art und Unart des Wetters kennen und bange waren um das Gelingen des Festes, auf dessen Vorbereitung sie so manchen Monat verwendet hatten. Gegen Mittag stellte sich der Regen ein, und als am Spätnachmittag die Gäste anlangten, goß es in Strömen; der Regen dauerte ungeschwächt fort, als abends acht Uhr in allen Kirchen des Thales Schwyz der kommende Tag feierlich eingeläutet wurde.

Der Festzug auf dem Marktplatz in Schwyz.

In der Frühe des 1. August verkündeten Geschützsalven den Beginn des Festes. Um halb acht Uhr versammelten sich die Abordnungen der eidgenössischen und kantonalen Behörden im altehrwürdigen, geschmückten Rathhaus, und eine Stunde später bewegte sich der lange Zug der Ehrengäste zum Gottesdienst. Nach alter Sitte waren die Mitglieder der vierundzwanzig Kantonsregierungen von ihren Weibeln begleitet, welche bei solch feierlichen Anlässen weite Mäntel in den Farben des Kantons, Bogenhut und Amtsstab tragen und von den Landleuten und der neugierigen Jugend unendlich mehr bewundert werden als die Landesväter in Frack und Zylinderhut. Nach der Kirche ging der Zug auf den Festplatz, eine weitausgedehnte Wiese an sanft ansteigender Halde, mit einer entzückenden Aussicht auf das Thal gen Brunnen, auf ein Stück See und auf den ernsten Rahmen der Berge. Die Festhalle befand sich auf dem höchsten Punkt; am untern Rand des Platzes erhob sich das stolze Proscenium der Bühne für das Festspiel. Selbst in der an Naturschönheiten überreichen Schweiz giebt es in der Nähe von Ortschaften wenige Stellen, wo einer solchen Feier eine solche Stätte hätte bereitet werden können.

In dieser jetzt vom Regen aufgeweichten Wiese stellte sich der Zug rings um die Rednerbühne auf. In den vordersten Reihen standen die Diplomaten, neben ihnen die Bundesträthe, die an ihren weißen Federbüschen weithin erkennbaren eidgenössischen Obersten mit General Herzog, die Vertreter der höchsten Justizbehörden und der akademischen Unterrichtsanstalten; Reihe an Reihe folgten die übrigen Theilnehmer, im weiten Umkreis das Volk. Vor dieser Menge, angesichts des weiten Geländes, entbot als Vertreter von Kanton und Stadt Schwyz Ständerath Reichlin allen seinen gastlichen Gruß, welcher sofort vom Bundespräsidenten Welti erwidert wurde. Mit treffenden Worten zeichnete Welti die Bedeutung des Festes, die Umwandlung der politischen und socialen Verhältnisse seit den Anfängen des Schweizerbundes bis auf den heutigen Tag, die Anforderungen, die im Lauf der Jahrhunderte an die Schweizer gestellt wurden, und diejenigen, welche ihnen die Neuzeit stellt. „Aus der Vergangenheit,“ schloß er „schöpfen wir die Kraft zum Vollbringen, zur gemeinsamen Lösung der Aufgaben der Gegenwart. Legen wir heute alle, Männer und Jünglinge, Frauen und Töchter, die Hände ineinander zur Gelobung des neuen Bundes und treten wir ernsten Sinnes, aber mit Zuversicht in ein neues Jahrhundert des Schweizerbundes!“

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Die eidgenössische Bundesfeier in Schwyz: Die Rede des Bundespräsidenten Welti.
Nach einer Zeichnung von Fritz Bergen.

[587] Damit war das Fest eröffnet, es folgte ein kurzes Mittagsmahl in der geräumigen Festhalle, welche 6000 bis 7000 Personen fassen konnte. Gegen ein Uhr füllten sich die 10 000 Sitzplätze auf dem gegen die Festspielbühne abfallenden Wiesenplan; dank [588] der günstigen Lage konnte auch der letzte Zuschauer einen freien Blick auf die Bühne haben und der Rede der Spielenden folgen. Der Regen hatte aufgehört, ja im Hintergrund des Theaters wurde, für Augenblicke vom Sonnenlicht übergoldet, Urirothstock sichtbar.

Der Feuerkreuz auf dem Mythen.
Die Festspielbühne mit dem Urirothstock im Hintergrunde.

Das Festspiel begann mit einer sinnbildlichen Darstellung der Besiedlung des Landes der Waldstätte durch Fischer- und Jägerfamilien; dann zogen in prächtigen Bildern an den Zuschauern vorüber die Beschwörung des ewigen Bundes auf dem Rütli, die Siegesfeier nach der Schlacht bei Morgarten im Jahre 1315, die Schlacht bei Murten (1476), die Tagsatzung in Stans von 1481, auf welcher das Versöhnungswerk des Einsiedlers Klaus von der Flüe gelang und ein drohender Zwiespalt zwischen den schweizerischen Landschaften beigelegt wurde; endlich Pestalozzi als Retter und Erzieher der Jugend nach dem Verzweiflungskampf der Nidwaldner gegen die französische Uebermacht vor hundert Jahren. Ein Nachspiel, an dem sämmtliche 720 Personen der vorhergegangenen Akte theilnahmen, schloß die Handlung ab. Zwischen diese wirkungsvollen bunten Scenen waren lebende Bilder eingelegt, welche die Thaten Tells und Winkelrieds zu packender Geltung brachten. Das ganze Werk zeigte eine wohlthuende Frische: eine einfache und edle Sprache, Sorgfalt in der Auswahl des Stoffs, gewandte Anordnung der Gruppen und der Farbentöne, Richtigkeit der Bewegungen bei den schauspielerisch doch nicht geschulten Darstellern – das alles wirkte zusammen, um eine gewinnende Einheit von Sage und Geschichte in der Dichtung und bei deren dramatischer Vorführung einen tiefen Eindruck hervorzurufen.

So gestaltet, haben diese mit Gesang und Instrumentalmusik verbundenen Schauspiele eine Zukunft vor sich; neben ihnen wird der stumme historische Umzug, und wären die Kostüme noch so schön und echt, nur in mehr untergeordneter Weise bestehen können. Was in manchen deutschen Städten schon lange mit Erfolg ausgeübt wurde, was in Worms zur Errichtung eines besonderen Theaters geführt und hier in Schwyz wieder so mächtig gewirkt hat – das Bestreben, ein Volksschauspiel und eine Volksbühne zu schaffen, es wird sich immer mehr Boden erobern. Denn wo in einfacher Sprache, durch volksthümlichen Stil und Stoff zu einer Nation geredet wird, da bleibt ein freudiges Echo, ein inneres Sichheben des Volkes nicht aus. –

Den ersten Gedenktag schloß ein Bankett in der Festhalle, wo bei mehr und mehr sich aufheiterndem Himmel bald auch die volle Feststimmung sich einstellte. Und wer aus dem Jubel drinnen heraustrat in die schweigende Nacht, der sah rings auf den Höhen die Freudenfeuer erglänzen, und vom großen Mythen herab strahlte ihm durch die wallenden Nebel, die den Berg verhüllten, wie von Geisterhand getragen, von Zeit zu Zeit ein riesiges eidgenössisches Kreuz entgegen. Bei solchem Anblick machte den heimischen Festtheilnehmern der Eindruck des Tages leise verklingen in dem Vers des alten „Tellenliedes“:

„Ein edel lant, guot recht als der kern,
Das lit beschlossenen zwüschen berg,
Vil fester dann mit muren.
Da huob der pundt zum ersten an;
Sie hant der sachen wislich tan
In einem lant, heißt Ure.“ – –

Mit prächtigem Sonnenschein brach der 2. August an; tausend und abertausend Augen bewunderten schon in der Frühe das leuchtende Bild der Berglandschaft. Von allen Seiten, von den Berghalden herunter und hervor aus den stillen Thälern, strömte nun in sonntäglichem Putz das Landvolk, um an diesem Ehrenfest der Schweiz auch seinen Theil zu haben. Dankbare, empfängliche Herzen waren es, die sich da zusammenfanden. So hatte die Wiederholung des Festspiels, die morgens neun Uhr begann, einen noch durchschlagenderen Erfolg als die erste Aufführung. Die Sonne und der Beifall belebten aber auch sichtlich die Darsteller, die am vorhergehenden Tag mehrere Regenschauer hatten über sich ergehen lassen müssen.

[589]

Die Rütli-Feier.

[590] Als das Spiel zu Ende war, ergoß sich ein unabsehbarer Menschenstrom hinunter nach Brunnen, das mit der Schwesterstadt Schwyz wetteiferte an Schmuck und freudiger Stimmung. Dampfer und Boote aller Art harrten am Ufer, denn nun begann die Fahrt nach dem jenseitigen Gestade, zur Rütli-Feier.

Als die Ehrengäste den steilen Aufstieg überwunden hatten, der vom Urner See her zu jener denkwürdigen Wiese emporführt, wo einst der Schwur der Eidgenossen stattfand, da hatte sich das Volk schon ringsum an der Halde gelagert. In der Mitte der Wiese stand eine mächtige Schar von Sängern aus den benachbarten Städten, und hier im Angesicht der Berge, die ebenso groß und schweigend vor Jahrhunderten auf die Gründung des Bundes niedergeschaut haben, begann jetzt die Gedenkfeier mit einem gewaltigen Männerchor. Dann bestieg als Vertreter der Bundesbehörden der Präsident des Ständeraths, Dr. Göttisheim, die Rednerbühne. Er pries den deutschen Dichter, welcher die Ideale des Volkes in unvergleichlicher Weise zum Ausdruck gebracht habe; eindringlich mahnende Worte knüpften sich an ein in kräftigen Zügen entworfenes Bild des heutigen allgemeinen Interessenkampfes, der schließlich auch die ältesten Einrichtungen untergraben und die bestgefügte Ordnung erschüttern könne. Ihm antwortete, den Gruß der Urkantone entbietend, der Urner Landammann Dr. Schmid.

„Der Rütlischwur“, eine dramatische, von Direktor Arnold in Musik gesetzte Scene nach Worten aus Schillers „Tell“, fügte als würdiger Abschluß sich an. Bei bedeutungsvollen Stellen ging eine begeisterte Bewegung durch das versammelte Volk, so als in machtvollen Tönen die Worte erklangen:

„Hört, was mir Gott ins Herz giebt, Eidgenossen!
Wir stehen hier statt einer Landsgemeinde
Und können gelten für ein ganzes Volk –“,

so als Stauffacher sang:

„Wisset, Eidgenossen,
Ob uns der See, ob uns die Berge scheiden
Und jedes Volk sich für sich selbst regiert,
So sind wir eines Stammes doch und Bluts,
Und eine Heimath ist’s, aus der wir zogen.“

Ein Stück vom Geist der ersten Eidgenossen war an diesem Tag auf dem Rütli zu spüren; jenes tiefe Gefühl für das Vaterland, das schon beim Festspiel ergrauten Männern Thränen ins Auge gelockt hatte, es waltete auch hier. Und wenn so die Seele des Volks, in ihren Tiefen bewegt, in ihrer lichten Seite sichtbar wird, dann ist der Höhepunkt eines Nationalfestes gekommen. So war es auch dort auf dem Rütli. Was nachher noch sich anschloß, als die Nacht hereinsank in die Thäler: die Beleuchtung der Ufer des Urner Sees und seiner Berge, das war schön und stimmungsvoll, allein an jene weihevollen Stunden des Nachmittags reichte es nicht heran.

Und nun ist der Festjubel verrauscht, die Arbeit ist wieder in ihr Recht getreten. Möge gerade dieses ruhige Wirken des Alltags von der Erinnerung an die Feier gehoben, von dem Gedanken getragen werden, daß die wahre Einheit eines Volkes in dem beruht, was es mit Anstrengung seiner geistigen und materiellen Kräfte leistet für den Fortschritt an innerer Bildung, für den Sieg edler Menschlichkeit in allen seinen Einrichtungen.