Des Lieblingskindes letzter Festzug

Textdaten
<<< >>>
Autor: Adolf Ebeling
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Des Lieblingskindes letzter Festzug
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 642–644
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[642]
Des Lieblingskindes letzter Festzug.
Von Adolf Ebeling.

Die erste Februarwoche des vorigen Jahres war für Kairo eine überaus geräuschvolle und glänzende: der Vicekönig verheirathete nämlich seine jüngste Tochter Zenab-Hanem mit seinem Neffen Ibrahim-Pascha, dem Sohne seines älteren Bruders Achmet, der im Jahre 1860 so unglücklich war, im Nile zu ertrinken. Die Festlichkeiten dauerten volle acht Tage, und man muß so etwas im Oriente gesehen und mitgemacht haben, um sich eine richtige Vorstellung davon zu machen; denn so oft dergleichen auch schon geschildert worden ist, immer bleiben diese Schilderungen weit hinter der Wirklichkeit zurück. Bei solchen Gelegenheiten wird die sprüchwörtliche orientalische Pracht in ihrer ganzen Fülle entfaltet, und der vielgebrauchte Vergleich mit „Tausend und Einer Nacht“ ist alsdann ganz an seinem Platze.

Der siebente Februar bildete den Glanzpunkt der Feste, denn an jenem Tage begab sich die Braut in einem unermeßlichen Prunkzuge nach dem Palaste ihres Gatten, der sie sehnsüchtig erwartete, um sie in seinen Harem zu führen, von welchem Momente an sie alsdann den Blicken der Außenwelt entzogen wurde; denn so will es die strenge Sitte des Orients. Ich müßte Seiten füllen, um die Einzelnheiten dieses Prunkzuges zu beschreiben; da aber mein heutiges Thema nicht ein Hochzeits-, sondern ein Leichenzug ist, und zwar der Leichenzug eben dieser selben Prinzessin, so gehe ich schnell darüber hinweg. Damals ahnte wohl Keiner unter den hunderttausend Zuschauern, die zu beiden Seiten der Muskih dichtgedrängt standen und all die schimmernde Pracht und Herrlichkeit, namentlich den, nach der Sitte des Landes, im öffentlichen Aufzuge mit gezeigten Brautschatz von außerordentlichem Glanze und Werth anstaunten, daß die Gefeierte, die in ihrem sechsspännigen über und über vergoldeten Galawagen auf den weißatlasnen Polstern wie eine kleine Huldgöttin saß, daß sie nach kaum achtzehn Monaten dieselbe Straße ziehen würde, wieder wie damals ein Schauspiel für Hunderttausende, aber als Leiche, vom unerbittlichen Tode plötzlich und unerwartet dahingerafft.

Nach der Hochzeit war die Prinzessin so gut wie ganz aus dem öffentlichen Leben verschwunden, als junges Mädchen durfte sie sich noch manche Freiheiten erlauben, denn sie war ganz europäisch erzogen worden, sie sprach französisch und englisch, trieb Musik und Malerei, und alle Welt lobte ihren leutseligen Charakter [643] und ihr freundliches, herzgewinnendes Wesen. Nach ihrer Vermählung sah man sie wohl manchmal, wenn sie nach Kairo kam, in der Schubra-Allee dicht verschleiert spazieren fahren; sonst lebte sie beständig in Ramleh bei Alexandrien in einem schönen, dicht am Meere gelegenen Palaste, den ihr der Vicekönig geschenkt hatte. Und in diesem Palaste ist sie auch gestorben und zwar so plötzlich, daß man gar nichts von ihrer Krankheit, sondern nur ihren Tod erfuhr.

Die sofort einbalsamirte Leiche wurde in der darauffolgenden Nacht durch einen Specialtrain nach Kairo geschafft, wo die Beerdigung schon am nächsten Tage stattfand. Bei der Großartigkeit derselben ist es wirklich staunenswerth, wie es in so kurzer Zeit möglich gewesen, alle nöthigen Vorbereitungen zu treffen.

In Kairo angekommen, wurde die Leiche zuerst nach dem am Nil gelegenen viceköniglichen Palais Kasr el Nil gebracht, von wo aus sich der Zug schon um sechs Uhr Morgens in Bewegung setzte, denn der vorgeschriebene Weg ging durch die ganze Stadt bis zu der neuen Moschee Rifaï, am Fuße der Citadelle, wo sich das Erbbegräbniß der viceköniglichen Familie befindet. Mohammed Ali, der Gründer der jetzigen Dynastie, ist übrigens in der von ihm erbauten Moschee auf der Citadelle selbst beigesetzt. Fast alle in Kairo liegenden Linientruppen waren aufgeboten und bildeten auf dem ganzen Wege, der wohl eine deutsche Meile lang war, zu beiden Seiten Spalier; alle Soldaten in frischer weißer Uniform und im rothen Tarbusch und mit zu Boden gesenktem Gewehr, als Zeichen der Trauer. Schon dies sah sehr imposant und feierlich aus. Die berittene Leibgarde des Vicekönigs in husarenähnlicher Uniform (blau, roth und Silber) sprengte hin und her, um die Straßen frei zu halten, denn der Volksandrang war begreiflich ungeheuer. Man schätzte die Anzahl der Zuschauer auf wenigstens zweihunderttausend, außerdem waren alle Fenster dicht besetzt, namentlich mit verschleierten Frauen, und das eigentliche Leichengefolge mag sich wohl auf fünfzigtausend Menschen belaufen haben. Unser Balcon in der Muskih, der so günstig liegt, daß man von ihm beinahe die ganze Straße hinauf und hinunter überschauen kann, bot einen ausgezeichneten Observationsplatz, und schon lange bevor der Zug erschien, sahen wir auf einen Ocean von weißen und rothen Turbanen herab, die sich mit jeder Viertelstunde dichter und dichter zusammendrängten. Endlich kamen die ersten großen Fahnen vom Esbekiehplatze her zum Vorscheine und nach weiteren zehn Minuten zog der Leichenzug selbst an uns vorüber.

Eine Abtheilung berittener Kawassen in dunkelblauem türkischem Costüme eröffneten ihn; alle trugen an langen Stäben die fliegenden Eisenkugeln, die sie vor zwanzig Jahren noch auf die Köpfe der Menge herabfallen ließen, wenn man ihnen nicht schnell genug auswich; jetzt aber hatten sie dieselben nur als Abzeichen ihrer Würde, denn die Civilisation hat hier gewaltige Fortschritte gemacht. Nach den Kawassen kamen fünfundzwanzig große fette Büffelochsen, jeder von zwei Treibern an Palmstricken, die um die Hörner gewunden waren, geführt. Das war das sogenannte vom Koran vorgeschriebene „Opfer“ für das Volk, was schon bei jedem vornehmen Begräbnisse geschieht, wo immer einige Ochsen und Hammel für die Armen geschlachtet werden. Hier bei dem Begräbnisse eines Mitgliedes der viceköniglichen Familie mußte es eine ganze Heerde sein, denn fünfundzwanzig andere Büffel waren schon vorher nach der Moschee getrieben worden und außerdem noch zweihundert Hammel, die sämmtlich in den folgenden Tagen geschlachtet und unter die Armen der Stadt vertheilt wurden. Hinter den Ochsen gingen einige dreißig Kameele, deren jedes zwei große hölzerne Kisten trug. Diese Kisten waren ganz neu, aus weißem Holze sehr sauber gearbeitet und mit Brod und allen möglichen Früchten bis an den Rand angefüllt. Zwischen ihnen, auf dem Rücken des Thieres, saß jedesmal ein Araber, der unaufhörlich den Inhalt seiner Kisten über das von den Soldaten gebildete Spalier hinaus unter die Menge warf. Man kann sich das Balgen und Drängen im Volke, vorzüglich unter der arabischen Jugend, leicht vorstellen, aber auch dieses Opfer gebietet der Koran. Die dritte Spende bildet alsdann das Wasser, und auf die Kameele folgten einige fünfzig Wasserträger, wie deren viele Hunderte in allen Straßen von Kairo während der acht heißen Monate, täglich von früh bis spät, umherziehen. Nur schenken sie diesmal nicht ihr gewöhnliches Nilwasser, sondern Rosinen- und Zuckerwasser, und der Zuspruch war von allen Seiten so groß, daß das Spalier immer durchbrochen wurde. Aber hier im Oriente nimmt man es nicht so genau mit der Ordnung, und die Soldaten tranken selbst so gut wie die Anderen.

Dies war gewissermaßen der materielle Theil des Leichenzuges; jetzt kam der mehr religiöse Theil. Knaben in langen weißen Gewändern, mit rothen Leibbinden und rothem Tarbusche, trugen unter prächtigen goldgestickten blauen, grünen und gelben Atlasdecken mehrere Exemplare des Korans, andere folgten mit silbernen Schalen und Gefäßen voll wohlriechender Essenzen, und noch andere mit silbernen Kohlenpfannen, nach der Art der katholischen Weihrauchbecken; jene sprengten ihre Essenzen unter das Volk und diese sandten blaue Wolken ihres duftenden Räucherwerks nach allen Seiten. Dann kam eine lange Reihe von Knaben, welche Gebete sangen, sehr einförmig und auch nicht sehr melodisch, und so viel wir davon verstehen konnten, fast immer dieselben Worte und immer mit „Allah! Allah!“ untermischt. Jetzt ein Wogen und Wehen von unzähligen, meist rothen und grünen Fahnen mit weißgestickten Koranversen, und mit ihnen die Derwische der verschiedenen Orden in langen schwarzen oder dunkelblauen Talaren, die einen mit spitzen zuckerhutförmigen Filzmützen, die anderen mit weißen oder bunten Turbanen und noch andere ohne Kopfbedeckung in wirren, zerzausten Haaren, und manche halbnackt; das sind die „Heiligen“, die beim gemeinen Volke in großem Ansehen stehen. „Allah il Allah! Allah akbar!“ so zieht es fast ohrbetäubend an uns vorüber, und die Fahnen bilden, von oben gesehen, ein wallendes, buntfarbiges Meer.

Auf diese ziemlich wilde Gesellschaft folgten, und zwar weit gemessener und ehrbarer, die verschiedenen Zünfte und Corporationen der Stadt Kairo, mit ihren Bannern und Emblemen, von denen viele mit Goldstickereien förmlich überladen waren, die in der Sonne augenblendend funkelten und blitzten. Da man ferner im Orient die schwarze Farbe als Leichentrauer nicht kennt, so konnte man hier eine Menge der schönsten und prächtigsten türkischen Costüme bewundern: Kaftane von Atlas oder Seide, immer in den schreiendsten Farben, roth, blau und gelb, oder auch vielfarbig buntgewirkt, und das Obergewand in der Regel weiß mit bunter Stickerei, dazu Gürtel und Turbane aus feinen Caschmirshawls und Schnabelschuhe von rothem oder gelbem Leder. Ein Maler hätte hier eine reiche Ausbeute gehabt, denn es waren auch stattliche Männer darunter, Greise mit schönen weißen Bärten und jugendliche Gestalten mit echt orientalischem Typus.

Nun erschienen die Hofbedienten des viceköniglichen Hauses in moderner goldbordirter Livrée, ganz an die Dienerschaft des ehemaligen kaiserlichen Hofes in Paris erinnernd, den sich bekanntlich der Khedive von Aegypten in so Vielem zum Muster genommen hat; Einige behaupten gar, in zu Vielem, doch das gehört heute nicht hierher.

Jetzt kommen sehr vornehme Persönlichkeiten: der Kadi, der Mufti und die Ulemas mit ihrem Gefolge; wieder eine Fülle der prächtigsten orientalischen Costüme, und darunter manche grüne Turbane mit breitem Goldrande, als Zeichen, daß der Träger zu den directen Nachkommen des Propheten gehört. Dicht hinter ihnen und von Ordonnanzofficieren in schimmernden Uniformen umgeben, die Hauptleidtragenden, in erster Reihe der Thronfolger und die übrigen Söhne und Schwiegersöhne des Vicekönigs; der Khedive selbst war nicht erschienen und der Gemahl der Verstorbenen, der Prinz Ibrahim, war noch in Europa, wohin ihm der Telegraph die Todesbotschaft gebracht hatte. Nach den Prinzen kamen die Minister und unter ihnen die sympathische Figur Nubar-Pascha’s; alsdann folgte eine lange Doppelreihe von Paschas, Generalen, sonstigen hohen Staatsbeamten, Beys und Stabsofficieren, eine ganze Musterkarte von den verschiedenartigsten goldgestickten Uniformen, fast allzuviel Gold und Stickereien, aber hier im Ensemble von überaus imposanter Wirkung. Nur der schlichte rothe Tarbusch mit der schwarzen Troddel war allen diesen hohen Herrschaften gemeinsam, und selbst der Vicekönig und sogar der Sultan in Stambul tragen Beide keine andere Kopfbedeckung.

Hierauf bildete sich ein freier Raum für die große grüne Fahne des Propheten, ein Heiligthum, das auf der Citadelle in [644] der Moschee Mohammed Ali’s aufbewahrt und nur bei den größten Feierlichkeiten dem Volke gezeigt wird, und gleich hinter ihr – „in ihrem Schatten“, wie sich die bilderreiche arabische Sprache ausdrückt – der Sarg. Von einem christlichen Sarge ist allerdings der mohammedanische durchaus verschieden denn dieser besteht nur aus einem länglichen hölzernen Kasten, der bei den Aermeren sogar nicht einmal einen Deckel hat; in diesen Kasten wird die in Tücher gewickelte Leiche gelegt, die aber bei der Beerdigung herausgenommen wird, denn der Koran verlangt, daß der Körper des Gläubigen ohne Sarg direct in die Erde gebettet werde. Ein rother Shawl bedeckt unterwegs das Ganze, und die weiblichen Särge haben noch am Kopfende, das aber nach vorn getragen wird, eine aufrechtstehende buntumwickelte Stange, die mit Blumensträußen, Flittergold und sonstigen Zierrathen geschmückt ist.

Aehnlich war auch der Sarg der Prinzessin, aber selbstverständlich überaus prächtig und kostbar. Statt des üblichen rothen Kaschmirshawls war derselbe mit einem grünen golddurchwirkten bedeckt, ein Vorrecht, das im Orient nur den Fürsten zukommt, denn Grün ist die Farbe des Propheten. Die eben erwähnte Stange war gleichfalls mit einem ähnlichen Shawl umwickelt und auf ihrer Spitze funkelte ein großes Diadem von Brillanten. Auch sonst war die Stange ihrer ganzen Länge nach mit dem kostbarsten brillantenen Schmucke behängt, man sagte, im Werthe von einigen Millionen Franken, was wir gern glaubten, weil uns der oft an’s Fabelhafte grenzende Luxus der ägyptischen Harems, gerade in dieser Beziehung, genügend bekannt war.

Hinter dem Sarge gingen nach orientalischer Sitte die Klageweiber, in dunkeln Gewändern und dicht verschleiert, wohl gegen hundert; sie erfüllten die Luft mit ihrem stereotypen kreischenden Geheul, langvibrirenden Tönen im höchsten Discant und für ein europäisches Ohr ebenso befremdlich wie unschön. Nach ihnen kamen die Schüler der öffentlichen Volksschulen, wie fast jede größere Moschee eine solche besitzt, es mochten leicht gegen tausend Knaben sein, große und kleine, schwarze, braune und gelbe, und jede Abtheilung von ihrem Lehrer, dem Fiki, geführt. Sie sangen wieder ihre einförmigen Koranverse mit Allah il Allah! – aber, wenn man uns anders recht berichtet hat, so waren die meisten dieser Burschen innerlich recht vergnügt: jeder erhält nämlich bei dieser Gelegenheit vom Vicekönig einen neuen Anzug aus weißem Baumwollenzeuge, mit einem kleinen bunten Gürtelshawl und einem rothen Tarbusch. Da erklärte sich ihre Freude leicht, denn unzählige von ihnen schienen einer solchen Auffrischung ihrer Toilette sehr zu bedürfen. Man kann aber hiernach und nach manchen obigen Notizen schon ungefähr die Kosten berechnen, die eine solche Beerdigung für die vicekönigliche Civilliste mit sich bringt und die wir in runder Summe auf zehntausend Pfund Sterling anschlagen hörten.

Auf die Schuljugend folgten nun noch die Effendis in langen Reihen, sowohl untere Beamte der verschiedenen Ministerien und sonstigen Behörden und Administrationen, als auch Privatpersonen, und nach ihnen, ganz zum Schluß, das eigentliche Volk in unabsehbaren wogenden Massen.

Damit war der Leichenzug zu Ende, der im Vorüberziehen eine volle Stunde gedauert hatte. Ueber die Ceremonien in der Moschee könnten wir nur nach Hörensagen berichten, da es uns „Ungläubigen“ nicht gestattet war, sie zu betreten. Sie sollen sich übrigens nur auf einige kurze Gebete beschränkt haben; aber der innere Raum unter der großen Kuppel war mit tausenden von Kerzen erleuchtet, die in ihren zierlichen Glasglocken bis an den Abend brannten.

Am nächsten Morgen rollten eine Menge Wagen und Equipagen, mit leichtfüßigen, goldgestickten Läufern voran, aus allen Gegenden der Stadt über die große Nilbrücke nach Gesireh, dem Schlosse des Vicekönigs. Jeder, der irgendwie von nah oder fern zum Hofe gehörte oder sonst ein Anrecht hatte, dort zu erscheinen, beeilte sich, dem Vicekönig seine Condolenzvisite abzustatten. Es wurde aber Niemand vorgelassen, der Khedive – oder sagen wir lieber der Vater, denn das klingt natürlicher – wollte mit seinem Schmerz allein sein: er hatte sein Lieblingskind verloren.