Textdaten
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Autor: Karl Theodor Schultz
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Titel: Der Kienhusar
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 38-39
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[38]

Der Kienhusar.

Ein Bild aus dem Leben von Karl Theodor Schultz.


1.

Es war, wie immer, eine heitere, glückliche Tafelrunde, welche um den großen Tisch im Wohnzimmer des fürstbischöflichen Intendanten Wendland beim Abendbrode saß. Draußen lag hoher Schnee, und so mächtig schüttelte der Nordwest, der noch eben über das Meer hingestrichen und voll des Meerodems war, die alten Linden im Parke, daß es von ihren Seufzern herauf klang – hier drinnen jedoch schien der Sommer noch nicht geschwunden. Bis zur Wölbung des breiten Fensters rankten sich Schlingpflanzen auf; das ganze Fensterbrett stand voll blühender Rosen, Levkoyen, Reseda, und selbst an beiden Seiten des Spiegels, der wie sämmtliche Meubles die geraden Linien des Empire zeigte, trieben zwei Tuberosen aus ihren Schilfblättern die duftigen weißen Blüthenähren empor. Blumen und Bilder mußten die freundlichen „schwachen“ Seiten der Frau Intendantin sein; denn wie Blumen alle irgend möglichen Plätze einnahmen, so bedeckten Bilder die Wände buchstäblich von unten bis oben, und zwar Bilder jeder Gattung, Art und Gestalt: kleine, große, runde, eckige, ovale Oel- und Pastellgemälde von Werth neben grob colorirten Kupferstichen und schlichtesten Holzschnitten. Ueber dem flammrothen Sopha, das sich lebhaft von dem Goldschimmer der Tapete abhob, hingen als Hauptzierden die Copie eines Bildes der Königin Louise von Preußen, welches diese mit blauseidenem, als elsasser Schleife gebundenem Kopftuch darstellt, und auf jeder Seite derselben einer der Engel der sixtinischen Madonna, vortreffliche Pastellbilder.

Eben hatte die Frage eines hier zum ersten Mal anwesenden Caplans über das Portrait der Königin Louise, eines Geschenkes des Fürstbischofs, ernstere Töne in die Unterhaltung gebracht, als der Frau Wendland von dem aufwartenden Mädchen etwas gemeldet wurde. Sie lachte in ihrer frohen gutmüthigen Weise kurz auf, sah nach ihrer Stieftochter hinüber, deren Geburtstag man feierte, und nickte derselben scherzhaft zu.

Die übrige Gesellschaft hatte des kleinen Auftritts nicht Acht gehabt, nur ein junges, ganz blondes Mädchen mit dem schneeigsten Teint der Welt, das zunächst der Thür saß, kehrte sich ängstlich um. Jeder Hauch von Röthe erblich auf ihren Wangen; denn durch das Nebenzimmer kam oder huschte vielmehr eine Gestalt daher, welche solchem jungen Ding allerdings sehr fragwürdig erscheinen durfte: ein hagerer, hoher Mann mit verwildertem Haar und Bart und großen traurigen Augen, deren Blicke scheu über die Gesellschaft hinstreiften, indem sie etwas zu suchen schienen, stand plötzlich, wie aus dem Boden emporgewachsen, inmitten des Thürrahmens. Bald flog ein Lächeln, welches dem verwitterten Gesichte einen Schein von Jugendlichkeit zurückgab, über des Greises Züge, und er glitt unhörbar hinter der Gesellschaft fort bis zu dem Stuhle der Tochter des Hauses.

Seitwärts von diesem blieb er stehen und blickte nun, indem er auf nichts weiter um sich her achtete, in das ihm lachend zugewandte Gesicht seines „Prinzeß Louischens“, wie er die junge Frau nannte. Er mußte sie wieder lange nicht gesehen haben; denn es dauerte eine ganze Weile, bis er sich gleichsam satt gesehen und auch darauf besann, daß er ihr etwas mitgebracht, sein gewohntes Geschenk, nämlich einen kleinen Blumenstrauß, der von frischem Waldmoose umgeben war. Prinzeß Louischen bedankte sich schönstens, wobei sie ihren nicht kleinen, aber durch herrliche Zähne verschönten Mund leicht verzog, und fragte dann ihren stummen Verehrer nach diesem und jenem.

Der Caplan war dem Vorgange mit höchstem Erstaunen gefolgt und sah den Intendanten nun fragend an. Dieser, der wie alle Uebrigen die seltsame Scene mit halbem Lächeln, halbem Ernst verfolgte, wandte sich sofort dem Nachbar zu und sagte mit gedämpfter Stimme:

„Es sind alte Liebesleute, obgleich er Louise auf den Armen getragen hat.“

„Er ist wohl ein wenig verstört?“ bemerkte der Caplan.

„Das so eigentlich nicht!“ erwiderte der Intendant, „freilich ein Original ist er mit der Zeit geworden. Was er da an hat, war einmal ein Dolman, in welchem er sogar in Böhmen gewesen. Anno 1778 im Kartoffelkriege! Und selbst der große Friedrich soll ihn seines Rappens und Reitens wegen belobt haben – also Respect! Damals mag er übrigens ein schmucker Bursche gewesen sein, trotz des Löwenkopfes – sehen Sie nur, jede Linie so regelmäßig wie gemeißelt.“

„Was ist er aber jetzt?“ fragte der Caplan voller Antheil.

„Der Kienhusar!“ rief der Intendant.

Mit einem Aufzucken schreckte der Greis zusammen und sah blitzenden Auges herüber. Doch geschah das blos auf einen Moment; dann wandte er sich wieder still seinem Prinzeßchen zu.

„Lüschnat hört das nicht gern,“ nahm der Intendant wieder das Wort, „dem alten Husaren muß die Verbindung mit Kien unreputirlich vorkommen.“

„Was versteht man denn unter Kienhusar?“

„Er versorgt unsern Ort und selbst einen Theil der städtischen Haushaltungen mit Kien und Wachholder, wildem Rosmarin und dergleichen. Fürstliche Gnaden haben ihm erlaubt, sich eine Erdhütte im Walde anzulegen, und dort lebt er nun bereits seit einem Jahrzehnt als völliger Einsiedler.“

„O, schon seit beinahe fünfzehn Jahren!“ verbesserte Frau Wendland.

„Man darf bei ihm sogar von einem Schicksal sprechen,“ fuhr der Intendant, ernster werdend, fort. „Als er aus dem Kriege heimkehrte, wurde er hier bei einem benachbarten Gutsbesitzer Gärtner – ein Metier, das er schon früher mit Leidenschaft betrieben hatte. Die Stelle warf ihm ein genügendes Einkommen ab, und da er, wie gesagt, ein stattlicher Bursche war, welcher sehr auf sich gehalten haben soll, gewann ihn eine vermögende Bauerntochter lieb, welche es auch gegen den Willen ihrer Eltern durchsetzte, sich mit ihm zu versprechen. Er trug nun seiner Braut öfter Sträuße hinüber, die er natürlich – ohne sich dabei eines wirklichen Unrechts bewußt zu werden – im Garten seines Herrn schnitt. Dieser hörte eines Tages davon, und das Unglück wollte es, daß ihm Lüschnat schon an demselben Tage auf einem solchen Gange begegnete. Was da zwischen den beiden heftigen Männern vorgefallen ist, hat man nie recht erfahren; jedenfalls jagte ihn der Herr sofort aus dem Dienste, nachdem er sich nur mit Mühe beschwichtigen gelassen, ihn nicht als Dieb zu denunciren. Die Geschichte wurde ruchbar; die Braut sagte Lüschnat ab, und er verschwand aus der Gegend. Nach langen Jahren, in denen er sich in Polen aufgehalten, trieb es ihn wieder hierher zurück: er sah schon damals – natürlich jünger, doch nicht viel anders aus, als Sie ihn jetzt sehen. Von dem früheren Lüschnat keine Spur mehr; nur noch ein halb verwilderter Mensch, der jedoch sprüchwörtlich ehrlich ist und überall zuspringt, wo es etwas zu helfen giebt. Durchlaucht ließen ihn anfangs im Schloßgarten beschäftigen, es ging aber nicht recht; er trieb sich oft Tage lang im Walde umher, mochte mit Keinem zusammen arbeiten, und so wurde er denn endlich zu unserer und seiner Zufriedenheit – der Kienhusar.“ Diesmal legte der Intendant keinen Ton auf das Wort.

„Und diese Liebe zu Ihrer Frau Tochter –“

„Louise soll,“ fiel der Intendant ein, „jener ungetreuen Braut sprechend ähnlich sehen. So spielt denn solche Scene, wie die heutige, jedes Jahr an ihrem Geburtstage. Ich muß sie jetzt aber befreien – sonst schilt meine Frau. Sein Stück Geburtstagsbraten in der Küche ist das beste Mittel.“

Damit erhob er sich und ging zur Tochter.

Gleich darauf verließ Lüschnat mit einem letzten, wie erlöschenden Blick auf sein Prinzeßchen in derselben spukhaften Weise, wie er gekommen war, das Zimmer.

Erst jetzt vermochte das blonde Mädchen an der Thür – wieder aufzuathmen.




2.

Der Frühling war in all seiner Pracht gekommen. Durch das junge Grün der Buchen in den Waldungen lief es gleich einem Schauer über so viel Schöne hin: am Himmel hatte seit Tagen keine Wolke gestanden; nur die Sonne und strahlendes Blau lachte herab – überall im Moose sickerten Quellen und wo sich Abhänge oder ein Hünengrab des Lichtes freuten, standen Blumen ohne Zahl.

[39] Lüschnat hatte unter dem Schmettern der Finken und dem furchtlosen Hin- und Wiederflattern der Schwalben, die in seiner Nähe kaum mehr ihren Warnungsruf anschlugen, schon früh Morgens ganze Bündel von Springauf, Nachtschatten und Waldmeister gepflückt und vertheilte sie nun auf seiner Karre. War noch etwas vom Gärtner in ihm geblieben? Kam ihm das duftige Blumen und Kräuterzeug zu lieb vor, um es in die Säcke zum Kien zu stecken? Er band lauter kleine Sträuße davon, machte dann aus vielen derselben ein kräftiges Bund und steckte diese zwischen die Kiensäcke, sodaß die Karre schier selbst zu einem Stückchen Frühling wurde. Sonst war dergleichen stets mit einer gewissen Hast gethan worden, als gälte es viel zu versäumen, wenn er nicht pünktlich um Acht auf seinem Posten am Ecksteine des Rathhauses einträfe. Hente ließ er sich augenscheinlich Zeit, sprach auch öfter und erregter, als gewöhnlich, mit sich selbst, ja setzte die Karre ein paarmal nieder, bevor er zu seinem gewohnten soldatischen Schritte kam. Dann ging es aber scheinbar in alter Weise, nur daß er nicht wie sonst den Umweg über die Waldschenke machte, sondern den kürzeren Fußpfad nach der Chaussee einschlug. An Begegnenden karrte er, wie meistens, stumm vorüber, und als ihm der Förster trotzdem einen Gruß nachrief, war seine Antwort ein unverständliches Brummen. Sein weißes Haar wehte im Winde; es war unbedeckt wie die nackten Füße, das dünne leinene Beinkleid schlotterte um die Knöchel, und der Dolman, auf welchem Flick an Flick saß, daß aus dem Ehrenkleide ein Spottkleid geworden war, flog hinter ihm her. So betrat er die kurze Querstraße, die nach dem Marktplatze führte, und wie gewöhnlich johlten ihm Knabenstimmen entgegen:

„Der Kienhusar! Der Kienhusar!“

Sonst hatte er dann gedroht, auch wohl gegen Einen, den ihm die Anderen zu nahe auf den Leib gestoßen, eine Wachholderruthe erhoben, heute sah er nur gerade aus und ließ, endlich an seinem Platze angelangt, die Karre beinahe fallen, indem er sich schwer athmend an den kühlen Stein lehnte. Der Verkauf ging aber sofort los: dieses Mädchen brauchte Kien, jenes Wachholder, ein Fräulein nahm ein ganzes Bund Nachtschatten, der dicke Kellner aus dem „Englischen Hause“ viel Maikräuter, und eine Gnädige wollte ihm für ein paar Sträußlein Springauf sogar den ganzen Groschen lassen. Er brummte aber nur wieder, und sie mußte die beiden Dreier zurücknehmen.

Als die Säcke leer waren, auch von dem Grünzeuge blos noch abgefallene Blüthen umherlagen, brach er wieder auf, doch selbst die leere Karre, welche er nun hinter sich herzog, schien ihm zu schwer. Es war wohl recht warm geworden, fast schwül: als er auf die Chaussee herauskam, sah er, daß über dem Meere ein starkes Gewitter niederging. Dann und wann ein wenig ausruhend, hörte er auf den fernen Donner und verfolgte den Zickzack der Blitze. Außer einigen Wagen mit altem Eisen, die nach den Hämmern im Thale fuhren, begegnete ihm Niemand. In der Nähe der Waldschenke hörte er aber etwas kommen, was leichter dahinrollte, nachdem er die Biegung erreicht, sah er ein Gefährt, dessen Grauschimmel ihm bekannt erschienen.

Er bog seitwärts aus und blieb stehen, um den Wagen vorbei zu lassen. Eine Dame saß im Fond, schon ehe sie ganz nahe gekommen, nickte sie ihm zu. Da ließ er die Karre fallen und blickte, die Hände faltend, wie in Verzückung zu ihr auf. „Prinzeß Louischen!“ weiter kam nichts über seine Lippen.

Prinzeßchens Mund verzog sich wie immer zu einem Lachen; dann war der Wagen vorbeigerollt, allzu bald auch die Biegung erreicht und der wehende Schleier unter dem Gezweige des Birkenwäldchens verschwunden.

Der Alte lief die paar Schritte zur Biegung zurück und stand, bis ihm eine neue Wendung des Weges auch das Letzte entzog. Sehr langsam, wie schwankend, ging es dann von Neuem vorwärts.

Die Wirthin vor der Waldschenke saß vor der Thür und sagte, als er herangekommen war, kopfschüttelnd:

„Was ist Euch, Lüschnat?“

„Ich wüßt’ nichts,“ versetzte er heiser und trat in die Schenkstube.

„Er sieht heut’ wie ein recht armes Lastthier aus,“ wandte sich die Wirthin an ein Weib, das seinen Tragkorb zuband.

Lüschnat, der wieder auf die Schwelle getreten, rief, heftig nach den Frauen gesticulirend:

„Die Thiere sind nicht arm; sie sind immer gekleidet; ihr Haus ist unter’m Himmel, und zu fressen finden alle.“

Die Wirthin zuckte die Achseln mit einer Bewegung, als lohne es ja nicht, sich mit ihm einzulassen, ging in die Stube voran und gab ihm so viel Brod und Wachholderbranntwein, wie er für die Woche zu bedürfen glaubte. Kein sonstiges Wort wurde mehr gewechselt; er hüllte seinen Einkauf behutsam in die Säcke, und ein wenig später sah die Wirthin seinen weißen Kopf sich noch einmal nach der Schenke zurückwenden, bevor er zwischen den Fichten verschwand.

*      *      *

Am nächsten Sonnabend war der Alte, wie er doch stets pflegte, nicht bei der Schenke vorgesprochen. Den Wirth, dem er lieb geworden, überfiel es wie Sorge, und schon am Sonntag Vormittag ging er das halbe Stündchen zu des Alten Hütte hinüber, um nach ihm auszuschauen. Im Walde war es so festlich still, nur die langgezogenen Ringel aus der Pfeife des ruhig Hinschreitenden zeigten, daß ein leichter Wind ging.

Als der Wirth sich der Hütte näherte, bemerkte er, daß eine Spinne ein großes Netz über den Eingang zu derselben gesponnen hatte und ein paar Mauerschwalben ihre Köpfchen neugierig aus einer Spalte hervorreckten. Erschrocken öffnete er die Thür: da lag der Alte friedlich entschlafen auf seinem Mooslager – und sein Dolman, der ihn bedeckte und der so lange ein Spottkleid gewesen, war nun wieder ein Ehrenkleid.