« Wahrhaftiger Gott von der Jungfrau Maria geboren Hermann von Bezzel
Der 2. Glaubensartikel
Jesus Christus ist mein Herr »
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Hebr. 12, 2 u. 3.
Gelitten.
 


 Als Albrecht Dürer, der Nürnberger Maler, gefragt wurde, was eigentlich der Wert der Malerei sei, gab er zur Antwort: „Das ist ihr Wert, daß sie die Züge eines Menschen, auch noch nach seinem Tode, festhält und daß sie die Passion Jesu Christi darstellen kann.“ Und ihr wißt es ja, wie vielmals – dreimal im großen – Albrecht Dürer die Passion seines Herrn in würdiger und innerlicher Weise zur Darstellung gebracht hat. In euerem Glaubensbekenntnis sprecht ihr wohl: „gelitten unter Pontio Pilato, gekreuziget, gestorben und begraben.“ Das ist nicht ganz richtig. Wenn man die einzelnen Formeln des Glaubensbekenntnisses in der griechischen Sprache ansieht, so heißt es: „gelitten, unter Pontio Pilato gekreuzigt“, weil die Kirche das ganze Leben des Herrn von seiner Menschwerdung bis zu seiner Kreuzerhöhung, von der Kreuzerhöhung bis zum Tod und Grab unter dem Gesichtspunkt des Leidens darstellt und nur als Höhepunkt dieses Leidens die Kreuzigung unter Pontius Pilatus betont.

 Laßt mich darum heute von dem Leiden des Herrn Jesus reden:

 Was er litt; von wem er litt; wozu er litt.


I.
 Von dem Tage an, da Gottes eingeborener Sohn Menschengestalt annahm, war er leidensfähig; denn die Gottheit kann nicht leiden. Die Gottheit kann Schmerz empfinden, wenn die Sünde den Menschen um sein Lebensgut betrügt, wenn der Feind einer Seele wertvoller ist, als ihr Herr. Gott kann trauern, wenn die Menschheit von ihm sich abwendet und sich löcherichte Brunnen| macht, die kein Wasser geben und den wahren Lebensquell verläßt. (Jer. 2, 13.) Gott kann betrübt sein, wenn er den ganzen Tag nach dem Menschen aussieht, und der Abend kommt herbei, und der Mensch hat sich nicht zu seinem Gott bekehrt. Darüber kann Gott trauern, aber leiden, Schmerz leiden, kann er nicht. Sowie der Heiland die Gestalt des sündigen Fleisches annahm, trat er in den großen Bereich des menschlichen Lebens ein, von der ersten Träne an, die das Kind weint, bis zu seinem blutigen Schweiß in Gethsemane und den vieltausend Tränen, die ihm geflossen zu, da er den Kelch trinken mußte. Eine Kette des Leidens und der Schmerzen; denn die Zartheit, mit der unser Herr gestaltet war, die Feinheit, in die sein heiliges Leben hineingeboren ward, diese Empfindlichkeit gegen alles Unreine und Unschöne und Ungute ließ ihn in die schwersten Tiefen des Leidens und des Schmerzes hinabsteigen. So hat er, Mensch geworden, gelitten, ohne daß man die einzelnen Leiden bezeichnen könnte. Er hat das Weh gelitten, daß er in der Fremde war – und die Fremde kannte ihn nicht, daß er in sein Eigentum kam – und seine eigenen Leute wollten ihn nicht, daß er die Mühseligen und Beladenen zu sich rief – und sie mochten ihn nicht; daß er das Kreuz auf sich nahm – und niemand achtet seiner. Er hat das Leid erfahren, wie Lukas 9 geschrieben steht: „Die Füchse, die Schakale der Wüste, haben ihre Gruben, in die sie vor der Unbill des Wetters und vor dem Grauen des Gewitters und vor der Kälte des Winters fliehen können, und die Vögel unter dem Himmel haben ihre Nester, in die sie sich bergen können, wenn der Sturm anhebt, „aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege.“ (Luc. 9, 58.) Und wenn ihm einmal eine flüchtige Rast gegönnt war, so war es in der Fremde, fern von der Heimat. Jesus, unser Herr, hat die ganze Furchtbarkeit der Fremde durchlitten und durchgekostet. Während wir doch jeden Tag ein Weniges haben, auf das wir uns freuen können, daß es der| nächste Tag bringen möge, und jeden Abend irgendeinen Strahl der Sonne noch in die Ruhe mit hineinnehmen, daß er den Schlaf und die Ruhe verkläre, hat der Heiland nichts anderes, als Fremdlingsweh und Heimatlosigkeit getragen. Mit jedem neuen Tage kam die Sünde an ihn heran, lockend und drohend, ladend und fordernd. Und jeden Tag war er unter einem Volke, das ihn nicht verstand. Wie arm muß Jesus gewesen sein, daß er die seine Freunde nannte, die ihn nicht verstanden! Wie dürftig muß Jesu Leben gewesen sein! Wenn wir Freunde haben, vertrauen wir ihnen und wissen, daß sie für uns eintreten. Der Herr bittet die, für die er sein Leben wagt, sie möchten eine einzige Stunde mit ihm beten – und ihre Augen waren voll Schlafes. Wie arm muß Jesus gewesen sein, daß er zu diesen bejammernswürdigen Jüngern sagen konnte: „Ihr seid es, die ihr bei mir beharret habt in meinen Anfechtungen.“ (Luc. 22, 28.) Es ist, als ob der Herr, damit nicht alles ihm versinke, das Wenige und Unscheinbare noch annehme, um doch etwas erreicht zu haben. „O du ungläubige und verkehrte Art, wie lange soll ich bei euch sein und euch dulden,“ spricht er dort zu den Jüngern, die den armen leidenden Knaben nicht heilen können. (Luc. 9, 41.) „So lange bin ich bei euch,“ hebt er wiederum an, „und ihr kennet mich nicht!“ (Joh. 14, 9.) Es war, wie wenn jemand in ein löcherichtes Sieb Wasser schöpfen wollte, spurlos ist die Arbeit entschwunden. Wie schwer wird es uns, wenn wir an einen Menschen ein Stück unseres Lebens wagen – und er enttäuscht uns. Und hier hat der Herr sein Bestes, was sage ich, sein Alles an Menschen gewendet und der Erfolg? – „Da verließen ihn alle Jünger und flohen!“ (Marc. 14, 50.) So hat der Herr neben der Heimatlosigkeit und der Fremde, da ihn niemand verstand, die Erfolglosigkeit und den Unverstand gelitten, da ihn niemand recht verstehen wollte. Wie schwer muß es für Jesum gewesen sein, wenn er über die größten Geheimnisse mit seinen| Jüngern zu reden sich bemühte und sie meinten, er rede davon, daß „wir nicht Brot mitgenommen haben!“ (Matth. 16, 7.)

 Und dann erlitt er den Widerspruch der Sünder, wie wir es eben gelesen haben. Von den Seinen konnte und von den Feinden wollte er nicht verstanden werden. „Daß du ein Samariter bist und hast den Teufel in dir!“ (Joh. 8, 48.) So reden sie von dem Reinen, den niemand einer Sünde zeihen konnte. Er wird von seinen Feinden ein Sohn des Teufels gescholten. Was ist das Großes von dem Herrn, der zwölf Legionen von Engeln hätte heranziehen lassen können, daß sie seine Feinde wie Spreu zerstreuen, der das Land und die Städte seiner Feinde hätte gleich den Städten am Toten Meer vernichten können, daß er zu all dieser Verkehrtheit, Verworfenheit und Verwerfung schwieg! Den Wohltäter nennen sie Freund des Feindes – der im Tempel gelehrt und ihre Kinder gesund gemacht und ihre Häuser mit Frieden erfüllt hat, nennen sie einen Samariter. Der Herr, der so viel an die einzelnen und an das Volk gewagt hat, wird von dem Volke verworfen: „wir wollen nicht, daß er über uns herrsche!“ (Luc. 19, 27.)

 Heimatlosigkeit, Unverstand und böser Wille und am Ende Erfolglosigkeit. Als er sein Haupt am Kreuze neigte, war seine Arbeit so erfolglos, als wäre sie nie geschehen und sein Werk ohne jede Aussicht; Finsternis um ihn und Nacht in ihm. Als er von der Erde schied, hat er ihr alles gelassen und sie war ebenso arm, ja noch ärmer als vorher; denn sie hatte ihren Freund erfahren, sie hatte Gottes Treue erlebt und hatte alles von sich gestoßen.


II.
 Und von wem leidet Jesus? Er leidet es von denen, zu denen er gekommen war, um die er warb. Jede einzelne Seele war ihm bedeutsam genug, in sie sich zu versenken und zu vertiefen. Du hast für die Anliegen einer armen Waschfrau| für die Klagen eines armen Kindes weder Zeit, noch Lust, noch Interesse. Du weißt, das sind ganz andere Lebenskreise als die deinen, Unbedeutendheit in deinem Sinn; du hörst vielleicht nur halb hin, wirfst einen Satz ein, schneitest ihre Reden ab, du langweilst dich. Und dein Herr hat sich um alle Kleinigkeiten des Lebens, um das Spiel der Kinder am Markte gekümmert: Es war alles so unreif, so unfertig, und er hat sich um jede einzelne Seele mit dem größten Interesse, mit der innigsten Seelsorge angenommen – bis auf diesen Tag. Wenn ein Mensch nimmer den Mut hat, zum Menschen zu gehen, so hat er die Freude und das Recht, zu Jesus zu kommen. Jetzt noch, heute noch, wenn du dir selber eine Last bist und dir selber zum Überdruß – und das sind nicht deine schlechtesten Zeiten – ist er bereit, die ganze Jämmerlichkeit des Lebens, aus dem du fliehen möchtest und das du hinter dir lassen willst, hereinzunehmen, sich alles einzelne von dir schildern und erzählen zu lassen.

 Gottes eingeborner Sohn kümmert sich darum, daß an dem Hochzeitstag armer Leute der Wein gebricht. Hört es: die Großartigkeit besteht nicht in der Pflege des Bedeutenden, sondern in der Pflege des Kleinen und in der Erbarmung mit den geringen Verlegenheiten des Lebens. Jesus hat sich um 5000, die kein Brot hatten, gesorgt. Er litt für arme, an des Tages Flüchtigkeit und der Erde Eitelkeit verkaufte Leute. Paulus schreibt an die Römer: „Es stirbt kaum jemand um eines Gerechten willen; um des Guten willen dürfte vielleicht jemand sterben. Darum preiset Gott seine Liebe gegen uns, daß Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren.“ (Röm. 5, 7 und 8.)

 Für wen hat Christus gelitten? Für Herren, für Leute, deren Dank dann sein Leben verklärte? Für Persönlichkeiten, an die es wohl wert war, sein Leben zu wagen? Für hervorragende Leute? Keineswegs, sondern für die Ärmlichkeit deiner und meiner Seele.

|  Wie arm ist die Seele, wenn sie leidet! Wie klein erscheint dir die Gabe, wie groß aber erscheint dir der Schmerz! Wie klein ist die Seele, wenn sie krankt! Dieselben, die mit hochtönenden Worten von Gott sich lösen können, sind ganz zerknirscht, wenn sie Zahnweh haben. Seht, für solche Leute ist Jesus gestorben. Wenn man denkt, daß der Herr Himmels und der Erde, dem alle Lobgesänge zu wenig und alle Lobsprüche zu gering sind, um Fischer, Schiffer und Zöllner sich kümmerte; wenn man nur eine Minute sich besinnt, wie er in ein enges, dumpfes Leben nicht nur sich hineindenkt, sondern sich hineinlebt und das zu seines Lebens Inhalt macht, dann begreift man, was leiden heißt.

 Wenn ein Fürstensohn sein Leben lang unter armseligen Tagelöhnern und unter ihren kleinen Sorgen hinbringen kann und ihre Sorgen teilt: Das tägliche Brot, das tägliche Arbeitsfeld, eine kleine, armselige Erholung und dann das Sterben, – dann rühmt man ihn, der es über sich gewann, solchen Leuten solche Dienste zu erweisen. Und hier ist der Sohn des Himmels, der Hohe, Reine, der König der Ehren, der Herr der Majestät und läßt sich in die engen Vorstellungen und in den niederen Gesichtskreis und in die Armseligkeit des Menschenlebens hineinbauen; und nie ist es ihm zu viel. So ist er für uns Gottlose ins Leiden gegangen.


III.
 Und wozu hat er gelitten? Unser Herr hat sein ganzes Leben, vom ersten bis zum letzten Tage, dazu hingebracht, daß die Menschen an die Liebe Gottes glauben. Sie haben sie wie eine ferne Mär erfahren und gehört; sie ward ihnen wie ein verlorenes Paradies gezeigt, es klang so sagenhaft: Gott liebt uns. Da ist er selbst gekommen und hat die Liebe darin gezeigt, daß sie litt. Denn die Liebe ist nie größer, als wenn sie das Leid des Nächsten ganz ins Eigene hereinnimmt und wenn sie mit dem Nächsten das Kreuz teilt. Was sie ängstete, das ängstete ihn auch; was die| Leute beschwerte, das ward ihm zur Sorge; und wenn er eine betrübte Seele fand, deren Trauer nahm er auf sich und in sich und vergaß sie nimmer. Auf der einen Seite: der Schmerz der Menschheit – und auf der anderen: der Mensch der Schmerzen, der Mann der Schmerzen. Seht, er hat sich so mit den Leiden vermählt, daß jeder Zug seines heiligen Wesens Leid und Schmerz war. Man kann ihn nicht ansehen, wenn er seine Gleichnisse spricht und so um die einzelnen Worte sich müht, ob er den Menschen nicht näher treten könnte, ohne daß man sagt: Mann der Schmerzen. Man kann ihm nicht ins Haus des Obersten, noch auf dem Wege nach Nain, noch ans Grab des Lazarus folgen, ohne daß man bei sich denkt: seht, wie das Leben jetzt den Tod erfährt und erleidet. Man kann ihn nicht vor der Ehebrecherin und der Sünderin und bei Zachäus, dem Zöllner, sich denken, die mit all ihrer Klage und Anklage, mit ihrem ganz verkehrten und verfehlten Leben zu ihm sich wenden, ohne daß man ihn über der Sünde Gewalt und über die eherne Kette des Unrechtes klagen sieht: ein Mann der Schmerzen. Damit die Welt endlich wüßte, was es ums Mitleid Großes ist, das mit einer einzigen Tat alle Leiden an sich zieht, damit man sehen könnte, wie dieses gewaltige Gebirge von Golgatha alle Wetter und Wetterwolken an sich zieht, so daß auch die dichtesten und düstersten Wolken auf seinem Scheitel ruhen, – das ist es, ein Mann der Schmerzen.
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 Und nun, haltet fest: Jesus hat gelitten draußen vor dem Tore. Er hätte wohl es sich auch leichter machen können, und es würde ihm das niemand haben verwehren können, wenn er die Leute von sich gewiesen hätte. Denn er hat in Minuten erreicht, wozu andere in Lebenszeit nicht kommen. Aber er hat nichts anderes gewollt als leiden. Seht, sein ganzes späteres Leben in der ewigen Heimat hat nur unser Leiden zum Gegenstand und Inhalt. Ich möchte sagen, wenn es überhaupt erlaubt ist, in das| Geheimnis des Lebens Gottes und Christi einzublicken, daß jetzt die unablässige und unzerstörbare und unverlierbare Gemeinschaft des Vaters mit dem Sohne durch das Leid der Menschheit dargestellt ist, daß der Sohn dem Vater immer wieder der Menschheit Jammer erzählt und ausschildert, daß er dem Vater sagt, was es um Versuchung ist. Was der Herr in seinem kurzen Erdenleben erfahren, erlitten hat, die ganze große Passion seines Lebens hat er mit heimgenommen. Da ist nichts verloren gegangen und nichts in Vergessenheit geraten. Da hat er in jedem einzelnen Menschen die Liebesgedanken Gottes und den Schmerz über zerstörte Gedanken erfahren und erlebt.

 Wenn also das Bekenntnis majestätisch spricht: empfangen vom heiligen Geist, geboren aus Maria der Jungfrau, gelitten – so steigt es drei Stufen abwärts: von Himmelshöhen in Erdenarmut, von Erdenarmut in Leidenstiefe.

 Er hat gelitten. Nie ist die Freude anders als in der Erinnerung und in der Weissagung zu ihm gekommen. Nie ist die Sonne ihm anders aufgegangen als in der Erinnerung an das Verlassene und im Hinweis auf das zu Gewinnende. Ihm hat die Sonne nie gelacht, ihm hat der Himmel nicht geblaut, ihm hat die Erde nie Trost gegeben; denn er sah überall der Sünde Leiden. Wenn wir Schmerzen sehen, so lassen wir uns, wenn wir überhaupt Mitleid haben, an des Schmerzes Erscheinung genügen und wollen ihn nicht auf uns wirken lassen. Er aber hat nicht nur die Erscheinung gesehen: „das macht dein Zorn, daß wir so vergehen!“ – (Ps. 90, 7), sondern er hat auch immer wieder das Geheimnis mit neuem Staunen durchlebt, wie ein Mensch, in die Wahl gestellt zwischen Heimat und Freude und Fremde und Sünde, diese wählen und jene lassen kann.

 Aber, Gott sei Dank, daß dieses große Leidensbild des Herrn nicht umsonst über der Erde erstanden ist. Seitdem er draußen vor dem Tore über jeder einzelnen Seele und über die Seele der| Menschheit und über dem Schmerz des Lebens beschwerlich litt und kämpfte, heißt es:

Daß ich möchte trostreich prangen
Bist du sonder Trost gehangen.

Darum, und das ist das Letzte und das Höchste, darum hat er gelitten und hat die Schmerzen der Gottesferne getragen und ist ermüdet im Schifflein zusammengebrochen, darum hat er gelitten, damit ich endlich aufsehen und sagen könnte: ich habe noch eine Freude zu erwarten. – Es gibt nichts Betrüblicheres als die große Klage der Antike über das Menschenleben. Wenn ihr die größten griechischen Dichter des Altertums lest: Homer, Pindar und Sophokles, – den Epiker, den Lyriker und den Dramatiker – findet ihr ihre Werke voll von der Klage über der Menschheit Leiden. „O ihr Geschlechter der Menschen, wie gleicht ihr den Blättern der Bäume!“ sagt Homer. Und der andere: „Wie der Schatten eines Rauches zieht das Leben dahin!“ Und der Dritte ruft: „Es ist besser nie geboren werden oder doch in früher Kindheit sterben.“ Und all dem Leiden gegenüber steht Jesus und spricht: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“ (Matth. 5, 4.) Weil er des tiefsten Leides tiefsten Hintergrund, die Gottesferne und die Sünde, getragen hat am Kreuz, darum spricht er: „Weine nicht!“ (Luc. 7, 13.) Und weil er so Großes getan und dem Leiden seine Kraft und dem Schmerz sein Recht und der Angst ihren Grund genommen hat, darum sprechen wir: „Deine Angst kommt uns zugut, wenn wir in Ängsten liegen.“

 Ihr wißt, daß die Epistel des kommenden Sonntags, von einem Sterbenden geschrieben, mit den mächtigen Worten anhebt: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermal sage ich: Freuet euch!“ (Phil. 4, 4.) In der Antike findet ihr solche Klänge nicht. Die Freude ist ein kaum gegrüßter, schon wieder verlorener Augenblick, das Unglück, sagt der alte Heide, folgt so schnell| aufeinander, daß nicht einmal die Luft dazwischen sein kann. Und nun schreibt ein armer Mann, dem sie seine Familie genommen, seine Ehre in den Staub getreten, seine Freiheit entzogen, sein Leben verkürzt und des Todes Nähe heraufgeführt haben: „Freuet euch in dem Herrn allewege und abermal sage ich euch: freuet euch!“ (Phil. 4, 4.)

Ach, es wär’ zum Weinen, wenn kein Heiland wär’,
Aber sein Erscheinen bracht’ den Himmel her.

 Daß ich Einen habe in der großen, weiten, verlorenen Welt, da einer wider den andern ist und keiner des andern Sprache ganz versteht, bei dem ich mich ausweinen kann und nicht befürchten muß, mißverstanden zu werden, daß ich Einen habe, zu dem ich reden kann ohne viele Worte zu machen: „Du weißest, was Sünde und was Versuchung heißt, der du trägst die Sünde der Welt!“ und daß ich dann zu diesem Einen, andringend und eindringend, ganz mich auf ihn verlassend, sagen kann: Erbarme dich meiner! – Das ist die Freude, die das Leben stärkt. Wollt ihr euch um diese Freude bringen? Wollt ihr Jesum als den reichbegabten, geistvollen, über die Welt und das Weltwesen schätzenswerten Aufschluß gebenden Lehrer ansehen? Wollt ihr Jesum als den gelten lassen, der der Menschheit zeigt, wie man aus sich heraus immer vollkommener werden kann? Oder wollt ihr mit dem Bekenntnis der Kirche, das jetzt 1500 Jahre währt, – so lange besteht das apostolische Glaubensbekenntnis – sagen, er litt, damit ich Frieden hätte und durch seine Wunden bin ich geheilet? (Jes. 53, 5.)

 Wenigstens sollt ihr wissen, daß nur in dem Manne der Schmerzen aller Frieden und nur in dem Leiden Jesu der wahre Grund alles Lebens liegt. Ihr sollt es wissen, und Gott lasse es euch erfahren!

Amen!



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