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macht, die kein Wasser geben und den wahren Lebensquell verläßt. (Jer. 2, 13.) Gott kann betrübt sein, wenn er den ganzen Tag nach dem Menschen aussieht, und der Abend kommt herbei, und der Mensch hat sich nicht zu seinem Gott bekehrt. Darüber kann Gott trauern, aber leiden, Schmerz leiden, kann er nicht. Sowie der Heiland die Gestalt des sündigen Fleisches annahm, trat er in den großen Bereich des menschlichen Lebens ein, von der ersten Träne an, die das Kind weint, bis zu seinem blutigen Schweiß in Gethsemane und den vieltausend Tränen, die ihm geflossen zu, da er den Kelch trinken mußte. Eine Kette des Leidens und der Schmerzen; denn die Zartheit, mit der unser Herr gestaltet war, die Feinheit, in die sein heiliges Leben hineingeboren ward, diese Empfindlichkeit gegen alles Unreine und Unschöne und Ungute ließ ihn in die schwersten Tiefen des Leidens und des Schmerzes hinabsteigen. So hat er, Mensch geworden, gelitten, ohne daß man die einzelnen Leiden bezeichnen könnte. Er hat das Weh gelitten, daß er in der Fremde war – und die Fremde kannte ihn nicht, daß er in sein Eigentum kam – und seine eigenen Leute wollten ihn nicht, daß er die Mühseligen und Beladenen zu sich rief – und sie mochten ihn nicht; daß er das Kreuz auf sich nahm – und niemand achtet seiner. Er hat das Leid erfahren, wie Lukas 9 geschrieben steht: „Die Füchse, die Schakale der Wüste, haben ihre Gruben, in die sie vor der Unbill des Wetters und vor dem Grauen des Gewitters und vor der Kälte des Winters fliehen können, und die Vögel unter dem Himmel haben ihre Nester, in die sie sich bergen können, wenn der Sturm anhebt, „aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege.“ (Luc. 9, 58.) Und wenn ihm einmal eine flüchtige Rast gegönnt war, so war es in der Fremde, fern von der Heimat. Jesus, unser Herr, hat die ganze Furchtbarkeit der Fremde durchlitten und durchgekostet. Während wir doch jeden Tag ein Weniges haben, auf das wir uns freuen können, daß es der