Verfassung des Landes Hessen
Die Verfassung des Landes Hessen war mit ihrem Inkrafttreten am 1. Dezember 1946 die erste Landesverfassung nach dem Zweiten Weltkrieg.
Wiedergegeben ist die Ursprungsfassung von 1946. Später geänderte Artikel sind gekennzeichnet; die Verfassungsänderungen werden am Ende zusammengestellt.
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beschlossen von der Verfassungberatenden Landesversammlung in Wiesbaden am 29.10. 1946 und durch Volksentscheid angenommen am 1.12.1946.
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- ERSTER HAUPTTEIL: DIE RECHTE DES MENSCHEN
- I. GLEICHHEIT UND FREIHEIT
- Artikel 1—16
- II. GRENZEN UND SICHERUNG DER MENSCHENRECHTE
- Artikel 17—26
- III. SOZIALE UND WIRTSCHAFTLICHE RECHTE UND PFLICHTEN
- Artikel 27—47
- IV. STAAT, KIRCHEN, RELIGIONS- UND WELTANSCHAUUNGSGEMEINSCHAFTEN
- Artikel 48—54
- V. ERZIEHUNG UND SCHULE
- Artikel 55—62
- VI. GEMEINSAME BESTIMMUNG FÜR ALLE GRUNDRECHTE
- Artikel 63
- I. GLEICHHEIT UND FREIHEIT
- ZWEITER HAUPTTEIL: AUFBAU DES LANDES
- I. DAS LAND HESSEN
- Artikel 64—66
- II. VÖLKERRECHTLICHE BINDUNGEN
- Artikel 67—69
- III. DIE STAATSGEWALT
- Artikel 70—74
- IV. DER LANDTAG
- Artikel 75—99
- V. DIE LANDESREGIERUNG
- Artikel 100—115
- VI. DIE GESETZGEBUNG
- Artikel 116—125
- VII. DIE RECHTSPFLEGE
- Artikel 126—129
- VIII. DER STAATSGERICHTSHOF
- Artikel 130—133
- IX. DIE STAATS- UND DIE SELBSTVERWALTUNG
- Artikel 134—138
- X. DAS FINANZWESEN
- Artikel 139—145
- XI. DER SCHUTZ DER VERFASSUNG
- Artikel 146—150
- ÜBERGANGSBESTIMMUNGEN
- Artikel 151—160
- I. DAS LAND HESSEN
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PRÄAMBEL
BearbeitenIn der Überzeugung,
daß Deutschland nur als demokratisches
Gemeinwesen
eine Gegenwart und Zukunft haben kann,
hat sich Hessen
als Gliedstaat der Deutschen Republik
diese Verfassung gegeben.
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Die Rechte des Menschen
BearbeitenI. Gleichheit und Freiheit
BearbeitenAlle Menschen sind vor dem Gesetze gleich, ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse, der Herkunft, der religiösen und der politischen Überzeugung.
Der Mensch ist frei. Er darf tun und lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt oder die verfassungsmäßige Ordnung des Gemeinwesens nicht beeinträchtigt.
Niemand kann zu einer Handlung, Unterlassung oder Duldung gezwungen werden, wenn nicht ein Gesetz oder eine auf Gesetz beruhende Bestimmung es verlangt oder zuläßt.
Glaubt jemand, durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt zu sein, so steht ihm der Rechtsweg offen.
Leben und Gesundheit, Ehre und Würde des Menschen sind unantastbar.
Ehe und Familie stehen als Grundlage des Gemeinschaftslebens unter dem besonderen Schutze des Gesetzes.
Die Freiheit der Person ist unantastbar.
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Jedermann ist frei, sich aufzuhalten und niederzulassen, wo er will.
Kein Deutscher darf einer fremden Macht ausgeliefert werden. Fremde genießen den Schutz vor Auslieferung und Ausweisung, wenn sie unter Verletzung der in dieser Verfassung niedergelegten Grundrechte im Ausland verfolgt werden und nach Hessen geflohen sind.
Die Wohnung ist unverletzlich.
Glauben, Gewissen und Überzeugung sind frei.
Niemand darf in seinem wissenschaftlichen oder künstlerischen Schaffen und in der Verbreitung seiner Werke gehindert werden.
Jedermann hat das Recht, seine Meinung frei und öffentlich zu äußern. Dieses Recht darf auch durch ein Dienstverhältnis nicht beschränkt werden, und niemand darf ein Nachteil widerfahren, wenn er es ausübt. Nur wenn die vereinbarte Tätigkeit einer bestimmten politischen, religiösen oder weltanschaulichen Richtung dienen soll, kann, falls ein Beteiligter davon abweicht, das Dienstverhältnis gelöst werden.
Pressezensur ist unstatthaft.
Das Postgeheimnis ist unverletzlich.
Jedermann hat das Recht, sich auf allen Gebieten des Wissens und der Erfahrung sowie über die Meinung anderer durch den Bezug von Druckerzeugnissen, das Abhören von Rundfunksendern oder auf sonstige Weise frei zu unterrichten.
Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln.
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Versammlungen unter freiem Himmel können durch Gesetz anmeldepflichtig gemacht werden.
Alle Deutschen haben das Recht, Vereine oder Gesellschaften zu bilden.
Jedermann hat das Recht, allein oder gemeinsam mit anderen, Anträge oder Beschwerden an die zuständige Behörde oder an die Volksvertretung zu richten.
II. Grenzen und Sicherung der Menschenrechte
BearbeitenAuf das Recht der freien Meinungsäußerung, der Versammlungs- und Vereinsfreiheit sowie auf das Recht der Verbreitung wissenschaftlicher oder künstlerischer Werke kann sich nicht berufen, wer den verfassungsmäßigen Zustand angreift oder gefährdet.
Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet im Beschwerdewege der Staatsgerichtshof.
Auf das Recht der freien Meinungsäußerung, der Verbreitung wissenschaftlicher oder künstlerischer Werke und der freien Unterrichtung kann sich ferner nicht berufen, wer Gesetze zum Schutze der Jugend verletzt.
Bei dringendem Verdacht einer strafbaren Handlung kann der Richter die Untersuchungshaft, die Haussuchung und Eingriffe in das Postgeheimnis anordnen. Die Haussuchung kann auch nachträglich genehmigt werden, wenn die Verfolgung des Täters zu sofortigem Handeln gezwungen hat.
Jeder Festgenommene ist binnen 24 Stunden seinem Richter zuzuführen, der ihn zu vernehmen, über die Entlassung oder Verhaftung zu befinden und im Falle der Verhaftung bis zur endgültigen richterlichen Entscheidung von Monat zu Monat neu zu prüfen hat, ob weitere Haft gerechtfertigt ist. Der Grund der Verhaftung ist dem Festgenommenen sofort und auf seinen Wunsch seinen nächsten Angehörigen innerhalb weiterer 24 Stunden nach der richterlichen Entscheidung mitzuteilen.
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Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahme- und Sonderstrafgerichte sind unstatthaft.
Jeder gilt als unschuldig, bis er durch rechtskräftiges Urteil eines ordentlichen Gerichts für schuldig befunden ist. Das Recht, sich jederzeit durch einen Rechtsbeistand verteidigen zu lassen, darf nicht beschränkt werden.
Ist jemand einer strafbaren Handlung für schuldig befunden worden, so können ihm auf Grund der Strafgesetze durch richterliches Urteil die Freiheit und die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen oder beschränkt werden. Bei besonders schweren Verbrechen kann er zum Tode verurteilt werden.
Die Strafe richtet sich nach der Schwere der Tat.
Alle Gefangenen sind menschlich zu behandeln.
Kein Strafgesetz hat rückwirkende Kraft, es sei denn, daß es für den Täter günstiger ist als das zur Zeit der Tat in Geltung gewesene Strafgesetz.
Niemand darf für Handlungen oder Unterlassungen leiden oder strafrechtlich verantwortlich gemacht werden, die ihm nicht persönlich zur Last fallen.
Niemand kann wegen derselben Tat mehr als einmal bestraft werden.
Gefährdet ein geistig oder körperlich Kranker durch seinen Zustand seine Mitmenschen erheblich, so kann er in eine Anstalt eingewiesen werden. Er hat das Recht, gegen diese Maßnahme den Richter anzurufen. Das Nähere bestimmt das Gesetz.
Sonstige Beschränkungen der persönlichen Freiheit sind nur im Rahmen der Gesetze und nur insoweit zulässig, als sie nötig sind, um das Erscheinen Geladener vor Gericht, die Zeugnispflicht, die gerichtliche Sitzungspolizei, die Vollstreckung gerichtlicher Urteile und den Vollzug gesetzmäßiger Verwaltungsanordnungen zu sichern.
Jedermann hat nach Maßgabe der Gesetze die Pflicht, ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen, und persönliche Dienste für den Staat und die Gemeinde zu leisten. Steht er in einem Dienstverhältnis, so ist ihm die erforderliche freie Zeit zu gewähren. Näheres bestimmt das Gesetz.
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Diese Grundrechte sind unabänderlich; sie binden den Gesetzgeber, den Richter und die Verwaltung unmittelbar.
III. Soziale und wirtschaftliche Rechte und Pflichten
BearbeitenDie Sozial- und Wirtschaftsordnung beruht auf der Anerkennung der Würde und der Persönlichkeit des Menschen.
Die menschliche Arbeitskraft steht unter dem besonderen Schutze des Staates.
Jeder hat nach seinen Fähigkeiten ein Recht auf Arbeit und, unbeschadet seiner persönlichen Freiheit, die sittliche Pflicht zur Arbeit.
Wer ohne Schuld arbeitslos ist, hat Anspruch auf den notwendigen Unterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen. Ein Gesetz regelt die Arbeitslosenversicherung.
Für alle Angestellten, Arbeiter und Beamten ist ein einheitliches Arbeitsrecht zu schaffen.
Im Rahmen dieses Arbeitsrechts können Gesamtvereinbarungen nur zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmungen oder ihren Vertretungen abgeschlossen werden. Sie schaffen verbindliches Recht, das grundsätzlich nur zugunsten der Arbeitnehmer abbedungen werden kann.
Das Schlichtungswesen wird gesetzlich geregelt.
Das Streikrecht wird anerkannt, wenn die Gewerkschaften den Streik erklären.
Die Aussperrung ist rechtswidrig.
Die Arbeitsbedingungen müssen so beschaffen sein, daß sie die Gesundheit, die Würde, das Familienleben und die kulturellen Ansprüche des Arbeitnehmers sichern; insbesondere dürfen sie die leibliche, geistige und sittliche Entwicklung der Jugendlichen nicht gefährden.
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Das Gesetz schafft Einrichtungen zum Schutze der Mütter und Kinder, und es schafft die Gewähr, daß die Frau ihre Aufgaben als Bürgerin und Schaffende mit ihren Pflichten als Frau und Mutter vereinbaren kann.
Kinderarbeit ist verboten.
Der Achtstundentag ist die gesetzliche Regel. Sonntag und gesetzliche Feiertage sind arbeitsfrei. Ausnahmen können durch Gesetz oder Gesamtvereinbarung zugelassen werden, wenn sie der Allgemeinheit dienen.
Der 1. Mai ist gesetzlicher Feiertag aller arbeitenden Menschen. Er versinnbildlicht das Bekenntnis zur sozialen Gerechtigkeit, zu Fortschritt, Frieden, Freiheit und Völkerverständigung.
Das Arbeitsentgelt muß der Leistung entsprechen und zum Lebensbedarf für den Arbeitenden und seine Unterhaltsberechtigten ausreichen. Die Frau und der Jugendliche haben für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung Anspruch auf gleichen Lohn. Das Arbeitsentgelt für die in die Arbeitszeit fallenden Feiertage wird weiter gezahlt.
Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf einen bezahlten Urlaub von mindestens zwölf Arbeitstagen im Jahr. Näheres bestimmt das Gesetz.
Es ist eine das gesamte Volk verbindende Sozialversicherung zu schaffen. Sie ist sinnvoll aufzubauen. Die Selbstverwaltung der Versicherten wird anerkannt. Ihre Organe werden in allgemeiner, gleicher, freier und geheimer Wahl gewählt. Das Nähere bestimmt das Gesetz.
Die Sozialversicherung hat die Aufgabe, den Gesundheitszustand des Volkes, auch durch vorbeugende Maßnahmen, zu heben, Kranken, Schwangeren und Wöchnerinnen jede erforderliche Hilfe zu leisten und eine ausreichende Versorgung für Erwerbsbeschränkte, Erwerbsunfähige und Hinterbliebene sowie im Alter zu sichern.
Die Ordnung des Gesundheitswesens ist Sache des Staates. Das Nähere bestimmt das Gesetz.
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Die Freiheit, sich in Gewerkschaften oder Unternehmervertretungen zu vereinigen, um die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gestalten und zu verbessern, ist für alle gewährleistet.
Niemand darf gezwungen oder gehindert werden, Mitglied einer solchen Vereinigung zu werden.
Angestellte, Arbeiter und Beamte in allen Betrieben und Behörden erhalten unter Mitwirkung der Gewerkschaften gemeinsame Betriebsvertretungen, die in allgemeiner, gleicher, freier, geheimer und unmittelbarer Wahl von den Arbeitnehmern zu wählen sind.
Die Betriebsvertretungen sind dazu berufen, im Benehmen mit den Gewerkschaften gleichberechtigt mit den Unternehmern in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Fragen des Betriebes mitzubestimmen.
Das Nähere regelt das Gesetz.
Die Wirtschaft des Landes hat die Aufgabe, dem Wohle des ganzen Volkes und der Befriedigung seines Bedarfs zu dienen. Zu diesem Zweck hat das Gesetz die Maßnahmen anzuordnen, die erforderlich sind, um die Erzeugung, Herstellung und Verteilung sinnvoll zu lenken und jedermann einen gerechten Anteil an dem wirtschaftlichen Ergebnis aller Arbeit zu sichern und ihn vor Ausbeutung zu schützen.
Im Rahmen der hierdurch gezogenen Grenzen ist die wirtschaftliche Betätigung frei.
Die Gewerkschaften und die Vertreter der Unternehmen haben gleiches Mitbestimmungsrecht in den vom Staat mit der Durchführung seiner Lenkungsmaßnahmen beauftragten Organen.
Jeder Mißbrauch der wirtschaftlichen Freiheit – insbesondere zu monopolistischer Machtzusammenballung und zu politischer Macht – ist untersagt.
Vermögen, das die Gefahr solchen Mißbrauchs wirtschaftlicher Freiheit in sich birgt, ist auf Grund gesetzlicher Bestimmungen in Gemeineigentum zu überführen. Soweit die Überführung in Gemeineigentum wirtschaftlich nicht zweckmäßig
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ist, muß dieses Vermögen auf Grund gesetzlicher Bestimmungen unter Staatsaufsicht gestellt oder durch vom Staate bestellte Organe verwaltet werden.
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, entscheidet das Gesetz.
Die Entschädigung für das in Gemeineigentum überführte Vermögen wird durch das Gesetz nach sozialen Gesichtspunkten geregelt. Bei festgestelltem Mißbrauch wirtschaftlicher Macht ist in der Regel die Entschädigung zu versagen.
Gemeineigentum ist Eigentum des Volkes. Die Verfügung über dieses Eigentum und seine Verwaltung soll nach näherer gesetzlicher Bestimmung solchen Rechtsträgern zustehen, welche die Gewähr dafür bieten, daß das Eigentum ausschließlich dem Wohle des ganzen Volkes dient und Machtzusammenballungen vermieden werden.
Mit Inkrafttreten dieser Verfassung werden
- in Gemeineigentum überführt: der Bergbau (Kohlen, Kali, Erze), die Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, die Betriebe der Energiewirtschaft und das an Schienen oder Oberleitungen gebundene Verkehrswesen,
- vom Staate beaufsichtigt oder verwaltet, die Großbanken und Versicherungsunternehmen und diejenigen in Ziffer 1 genannten Betriebe, deren Sitz nicht in Hessen liegt.
Das Nähere bestimmt das Gesetz.
Wer Eigentümer eines danach in Gemeineigentum überführten Betriebes oder mit seiner Leitung betraut ist, hat ihn als Treuhänder des Landes bis zum Erlaß von Ausführungsgesetzen weiterzuführen.
Nach Maßgabe besonderer Gesetze ist der Großgrundbesitz, der nach geschichtlicher Erfahrung die Gefahr politischen Mißbrauchs oder der Begünstigung militaristischer Bestrebungen in sich birgt, im Rahmen einer Bodenreform einzuziehen.
Aufgabe der Bodenreform ist vor allem, den land- und forstwirtschaftlichen Boden zu erhalten und zu vermehren und seine Leistung zu steigern, Bauern anzusiedeln und gesunde Wohnstätten, Kleinsiedlerstellen und Kleingärten zu schaffen.
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Streubesitz ist durch Umlegung leistungsfähiger zu machen.
Grundbesitz, den sein Eigentümer einer ordnungsmäßigen Bewirtschaftung entzieht, kann nach näherer gesetzlicher Bestimmung eingezogen werden.
Für die Entschädigung des seitherigen Eigentümers gilt der Artikel 39 Absatz 4 entsprechend.
Selbständige Klein- und Mittelbetriebe in Landwirtschaft, Gewerbe, Handwerk und Handel sind durch Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und besonders vor Überlastung und Aufsaugung zu schützen.
Zu diesem Zweck ist die genossenschaftliche Selbsthilfe auszubauen.
Das Genossenschaftswesen ist zu fördern.
Das Privateigentum wird gewährleistet. Sein Inhalt und seine Begrenzung ergeben sich aus den Gesetzen. Jeder ist berechtigt, auf Grund der Gesetze Eigentum zu erwerben und darüber zu verfügen.
Das Privateigentum verpflichtet gegenüber der Gemeinschaft. Sein Gebrauch darf dem Gemeinwohl nicht zuwiderlaufen. Es darf nur im öffentlichen Interesse, nur auf Grund eines Gesetzes, nur in dem darin vorgesehenen Verfahren und nur gegen angemessene Entschädigung eingeschränkt oder enteignet werden.
Soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen, sind für Streitigkeiten über Art und Höhe der Entschädigung die ordentlichen Gerichte zuständig.
Dag Erbrecht wird nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts gewährleistet. Der Anteil des Staates am Nachlaß bestimmt sich nach dem Gesetz.
Die Rechte der Urheber, Erfinder und Künstler genießen den Schutz des Staates.
Das Vermögen und das Einkommen werden progressiv nach sozialen Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der familiären Lasten besteuert.
Bei der Besteuerung ist auf erarbeitetes Vermögen und Einkommen besondere Rücksicht zu nehmen.
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IV. Staat, Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften
BearbeitenUngestörte und öffentliche Religionsübung und die Freiheit der Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften werden gewährleistet.
Niemand darf gezwungen oder gehindert werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder religiösen Übung teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen.
Es besteht keine Staatskirche.
Jede Kirche, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für jedermann geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.
Es ist Aufgabe von Gesetz oder Vereinbarung, die staatlichen und kirchlichen Bereiche klar gegeneinander abzugrenzen.
Die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften haben sich, wie der Staat, jeder Einmischung in die Angelegenheiten des anderen Teiles zu enthalten.
Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften kann auf Antrag die gleiche Rechtsstellung verliehen werden, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl der Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.
Der Zusammenschluß von Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unterliegt keinen Beschränkungen. Der aus mehreren öffentlichrechtlichen Gemeinschaften gebildete Verband ist auch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, können nach näherer gesetzlicher Regelung auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten Steuern erheben.
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Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften werden im Wege der Gesetzgebung abgelöst.
Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.
Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge in Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu religiösen Handlungen zugelassen. Dabei hat jeder Zwang zu unterbleiben.
V. Erziehung und Schule
BearbeitenDie Erziehung der Jugend zu Gemeinsinn und zu leiblicher, geistiger und seelischer Tüchtigkeit ist Recht und Pflicht der Eltern. Dieses Recht kann nur durch Richterspruch nach Maßgabe der Gesetze entzogen werden.
Es besteht allgemeine Schulpflicht. Das Schulwesen ist Sache des Staates. Die Schulaufsicht wird hauptamtlich durch Fachkräfte ausgeübt.
An allen hessischen Schulen werden die Kinder aller religiösen Bekenntnisse und Weltanschauungen in der Regel gemeinsam erzogen (Gemeinschaftsschule).
Grundsatz eines jeden Unterrichts muß die Duldsamkeit sein. Der Lehrer hat in jedem Fach auf die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen aller Schüler Rücksicht zu nehmen und die religiösen und weltanschaulichen Auffassungen sachlich darzulegen.
Ziel der Erziehung ist, den jungen Menschen zur sittlichen Persönlichkeit zu bilden, seine berufliche Tüchtigkeit und die politische Verantwortung vorzubereiten zum selbständigen und verantwortlichen Dienst am Volk und der Menschheit durch Ehrfurcht und Nächstenliebe, Achtung und Duldsamkeit, Rechtlichkeit und Wahrhaftigkeit.
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Der Geschichtsunterricht muß auf getreue, unverfälschte Darstellung der Vergangenheit gerichtet sein. Dabei sind in den Vordergrund zu stellen die großen Wohltäter der Menschheit, die Entwicklung von Staat, Wirtschaft, Zivilisation und Kultur, nicht aber Feldherren, Kriege und Schlachten. Nicht zu dulden sind Auffassungen, welche die Grundlagen des demokratischen Staates gefährden.
Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, die Gestaltung des Unterrichtswesens mitzubestimmen, soweit die Grundsätze der Absätze 2 bis 5 nicht verletzt werden.
Das Nähere regelt das Gesetz. Es muß Vorkehrungen dagegen treffen, daß in der Schule die religiösen und weltanschaulichen Grundsätze verletzt werden, nach denen die Erziehungsberechtigten ihre Kinder erzogen haben wollen.
Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach. Der Lehrer ist im Religionsunterricht unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts an die Lehren und Ordnungen seiner Kirche oder Religionsgemeinschaft gebunden.
Diese Bestimmungen sind sinngemäß auf die Weltanschauungsgemeinschaften anzuwenden.
Über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht bestimmt der Erziehungsberechtigte. Kein Lehrer kann verpflichtet oder gehindert werden, Religionsunterricht zu erteilen.
In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich. Unentgeltlich sind auch die Lernmittel mit Ausnahme der an den Hochschulen gebrauchten. Das Gesetz muß vorsehen, daß für begabte Kinder sozial Schwächergestellter Erziehungsbeihilfen zu leisten sind. Es kann anordnen, daß ein angemessenes Schulgeld zu zahlen ist, wenn die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen es gestattet.
Der Zugang zu den Mittel-, höheren und Hochschulen ist nur von der Eignung des Schülers abhängig zu machen.
Die Universitäten und staatlichen Hochschulen genießen den Schutz des Staates und stehen unter seiner Aufsicht. Sie haben das Recht der Selbstverwaltung, an der die Studenten zu beteiligen sind.
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Die theologischen Fakultäten an den Universitäten bleiben bestehen. Vor der Berufung ihrer Dozenten sind die Kirchen zu hören.
Die kirchlichen theologischen Bildungsanstalten werden anerkannt.
Private Mittel-, höhere und Hochschulen und Schulen besonderer pädagogischer Prägung bedürfen der Genehmigung des Staates. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die Privatschulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen, wenn sie eine Sonderung nach den Besitzverhältnissen der Eltern fördern oder wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist. Das Nähere bestimmt das Gesetz.
Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und Kultur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates und der Gemeinden. Sie wachen im Rahmen besonderer Gesetze über die künstlerische Gestaltung beim Wiederaufbau der deutschen Städte, Dörfer und Siedlungen.
VI. Gemeinsame Bestimmung für alle Grundrechte
BearbeitenSoweit diese Verfassung die Beschränkung eines der vorstehenden Grundrechte durch Gesetz zuläßt oder die nähere Ausgestaltung einem Gesetz vorbehält, muß das Grundrecht als solches unangetastet bleiben.
Gesetz im Sinne solcher grundrechtlichen Vorschriften ist nur eine vom Volk oder von der Volksvertretung beschlossene allgemeinverbindliche Anordnung, die ausdrücklich Bestimmungen über die Beschränkung oder Ausgestaltung des Grundrechts enthält. Verordnungen, Hinweise im Gesetzestext auf ältere Regelungen sowie durch Auslegung allgemeiner gesetzlicher Ermächtigungen gewonnene Bestimmungen genügen diesen Erfordernissen nicht.
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Aufbau des Landes
BearbeitenI. Das Land Hessen
BearbeitenHessen ist ein Glied der deutschen Republik.
Hessen ist eine demokratische und parlamentarische Republik.
Die Landesfarben sind rot-weiß.
II. Völkerrechtliche Bindungen
BearbeitenDie Regeln des Völkerrechts sind bindende Bestandteile des Landesrechts, ohne daß es ihrer ausdrücklichen Umformung in Landesrecht bedarf. Kein Gesetz ist gültig, das mit solchen Regeln oder mit einem Staatsvertrag in Widerspruch steht.
Niemand darf zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er auf Tatsachen hinweist, die sich als eine Verletzung völkerrechtlicher Pflichten darstellen.
Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Der Krieg ist geächtet.
Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig.
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III. Die Staatsgewalt
BearbeitenDie Staatsgewalt liegt unveräußerlich beim Volke.
Das Volk handelt nach den Bestimmungen dieser Verfassung unmittelbar durch Volksabstimmung (Volkswahl, Volksbegehren und Volksentscheid), mittelbar durch die Beschlüsse der verfassungsmäßig bestellten Organe.
Abstimmungsfreiheit und Abstimmungsgeheimnis werden gewährleistet.
Stimmberechtigt sind alle über einundzwanzig Jahre alten deutschen Staatsangehörigen, die in Hessen ihren Wohnsitz haben und nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen sind.
Das Stimmrecht ist allgemein, gleich, geheim und unmittelbar. Der Tag der Stimmabgabe muß ein Sonntag oder ein allgemeiner Feiertag sein.
Das Nähere bleibt gesetzlicher Regelung vorbehalten.
Vom Stimmrecht ist ausgeschlossen:
- wer entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistiger Gebrechen unter Pflegschaft steht;
- wer nicht im Vollbesitz der staatsbürgerlichen Rechte ist.
IV. Der Landtag
BearbeitenDer Landtag besteht aus den vom Volke nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählten Abgeordneten.
Wählbar sind die Stimmberechtigten, die das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben.
Das Nähere bestimmt das Wahlgesetz. Es kann keine höhere Mindestzahl als fünf vom Hundert der abgegebenen gültigen Stimmen vorsehen, die eine Wählergruppe aufweisen muß, um im Landtag vertreten zu sein.
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Jedermann ist die Möglichkeit zu sichern, in den Landtag gewählt zu werden und sein Mandat ungehindert und ohne Nachteil auszuüben.
Das Nähere regelt das Gesetz.
Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes.
Die Gültigkeit der Wahlen prüft ein beim Landtage gebildetes Wahlprüfungsgericht. Es entscheidet auch über die Frage, ob ein Abgeordneter seinen Sitz verloren hat.
Im Falle der Erheblichkeit für den Ausgang der Wahl machen eine Wahl ungültig: Unregelmäßigkeiten im Wahlverfahren und strafbare oder gegen die guten Sitten verstoßende Handlungen, die das Wahlergebnis beeinflussen.
Das Wahlprüfungsgericht besteht aus den beiden höchsten Richtern des Landes und drei vom Landtag für seine Wahlperiode gewählten Abgeordneten.
Das Nähere wird durch Gesetz geregelt.
Der Landtag wird auf vier Jahre gewählt (Wahlperiode). Die Neuwahl muß vor Ablauf der Wahlperiode stattfinden.
Der Landtag kann sich durch einen Beschluß, für den mehr als die Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder gestimmt hat, selbst auflösen.
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Nach Auflösung des Landtags muß die Neuwahl binnen sechzig Tagen stattfinden.
Die Wahlperiode des neuen Landtags beginnt, falls der alte Landtag aufgelöst worden ist, mit dem Tage der Neuwahl, im übrigen mit dem Ablaufe der Wahlperiode des alten Landtags.
Der Landtag versammelt sich in der Regel am Sitze der Landesregierung.
Der Landtag tritt kraft eigenen Rechts am 18. Tage nach der Wahl zusammen. Falls an diesem Tage die Wahlperiode des alten Landtags noch nicht abgelaufen ist, versammelt sich der neue Landtag am Tage nach dem Ablauf dieser Wahlperiode.
Fällt einer der vorgenannten Tage auf einen Sonn- oder Feiertag, so tritt der Landtag erst am darauffolgenden zweiten Werktag zusammen.
Der Landtag bestimmt über Vertagungen, den Schluß der Tagung (Sitzungsperiode) und den Tag des Wiederzusammentritts.
Der Präsident des Landtags kann den Landtag jederzeit einberufen. Er muß es tun, wenn die Landesregierung oder mindestens ein Fünftel der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Landtags es verlangt.
Der Landtag wählt den Präsidenten, seine Stellvertreter und die übrigen Mitglieder des Vorstandes.
Zwischen zwei Tagungen sowie bis zum Zusammentritt eines neu gewählten Landtags führen der Präsident und die stellvertretenden Präsidenten der letzten Tagung ihre Geschäfte fort. Sie genießen die in den Artikeln 95 bis 98 festgelegten Rechte.
Der Präsident verwaltet die gesamten wirtschaftlichen Angelegenheiten des Landtags nach Maßgabe des Staatshaushaltsgesetzes. Ihm steht die Dienstaufsicht über sämtliche Beamten, Angestellten und Arbeiter des Landtags, sowie im Benehmen mit dem Vorstand des Landtages die Ernennung und Entlassung der Beamten des Landtags zu. Er vertritt das Land Hessen in allen Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten seiner Verwaltung. Er übt das Hausrecht und die Polizeigewalt im Landtagsgebäude aus.
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Der Landtag kann nur dann beraten und beschließen, wenn mehr als die Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder anwesend ist.
Für die vom Landtag vorzunehmenden Wahlen kann die Geschäftsordnung abweichende Bestimmungen treffen.
Der Landtag faßt seine Beschlüsse mit der Mehrheit der auf „Ja“ oder „Nein“ lautenden Stimmen. Stimmengleichheit bedeutet Ablehnung des gestellten Antrags.
Die Vollsitzungen des Landtags sind öffentlich. Auf Antrag der Landesregierung oder von zehn Abgeordneten kann der Landtag mit Zweidrittelmehrheit der Anwesenden die Öffentlichkeit für einzelne Gegenstände der Tagesordnung ausschließen. Über den Antrag wird in geheimer Sitzung verhandelt.
Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des hessischen oder eines anderen deutschen Landtags und seiner Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.
Der Landtag und jeder seiner Ausschüsse können die Anwesenheit des Ministerpräsidenten und jedes Ministers verlangen. Der Ministerpräsident, die Minister und die von ihnen bestellten Beauftragten haben zu den Sitzungen des Landtags und seiner Ausschüsse Zutritt. Sie können jederzeit – auch außerhalb der Tagesordnung – das Wort ergreifen. Sie unterstehen der Ordnungsgewalt des Vorsitzenden.
Der Landtag hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Diese Ausschüsse erheben in öffentlicher Verhandlung die Beweise, die sie oder die Antragsteller für erforderlich erachten. Sie können mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit ausschließen. Die Geschäftsordnung regelt ihr Verfahren und bestimmt die Zahl ihrer Mitglieder.
Die Gerichte und Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse um Auskünfte und Beweiserhebungen nachzukommen; die Akten der Behörden und der öffentlichen Körperschaften sind ihnen auf Verlangen vorzulegen.
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Für die Beweiserhebungen der Ausschüsse und der von ihnen ersuchten Behörden gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäß, doch bleibt das Postgeheimnis unberührt.
Der Landtag bestellt einen ständigen Ausschuß (Hauptausschuß), Dieser Ausschuß hat, während der Landtag nicht versammelt ist und zwischen dem Ende einer Wahlperiode oder der Auflösung des Landtags und dem Zusammentritt des neuen Landtags, die Rechte der Volksvertretung gegenüber der Landesregierung zu wahren. Er hat auch die Rechte eines Untersuchungsausschusses. Seine Zusammensetzung wird durch die Geschäftsordnung geregelt. Seine Mitglieder genießen die in den Artikeln 95 bis 98 festgelegten Rechte.
Der Landtag kann an ihn gerichtete Eingaben der Landesregierung überweisen und von ihr Auskunft über eingegangene Anträge und Beschwerden verlangen.
Kein Mitglied des hessischen oder eines anderen deutschen Landtags darf zu irgendeiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seiner Abgeordnetentätigkeit getanen Äußerungen gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.
Kein Mitglied des hessischen oder eines anderen deutschen Landtags kann ohne Genehmigung des Hauses, dem der Abgeordnete angehört, während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, daß das Mitglied bei Ausübung der Tat oder spätestens im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird.
Die gleiche Genehmigung ist bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit erforderlich, die die Ausübung der Abgeordnetentätigkeit beeinträchtigt.
Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied des hessischen oder eines anderen deutschen Landtags und jede Haft oder sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit wird auf Verlangen des Hauses, dem der Abgeordnete angehört, für die Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben.
Ein Abgeordneter, der wegen einer ihm als verantwortlichen Schriftleiter einer Zeitung oder Zeitschrift vorgeworfenen strafbaren Handlung verfolgt werden soll, kann sich auf die vorstehenden Bestimmungen nicht berufen.
Die Mitglieder des hessischen oder eines anderen deutschen Landtags sind berechtigt, über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordneten
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Tatsachen anvertrauen oder denen sie in Ausübung ihrer Abgeordnetentätigkeit solche anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst das Zeugnis zu verweigern. Auch in Beziehung auf Beschlagnahme von Schriftstücken stehen sie den Personen gleich, die ein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht haben.
Eine Durchsuchung oder Beschlagnahme darf in den Räumen des hessischen Landtags nur mit Zustimmung des Präsidenten vorgenommen werden.
Die Mitglieder des Landtags erhalten das Recht zur freien Fahrt auf allen in Hessen bestehenden staatlichen Verkehrseinrichtungen, ferner Erstattung der Reisekosten sowie Sitzungsgelder. Außerdem erhält der Präsident für die Dauer seines Amtes eine Aufwandsentschädigung.
Ein Verzicht auf diese Rechte ist unstatthaft.
Das Nähere bestimmt das Gesetz.
Der Landtag gibt sich seine Geschäftsordnung im Rahmen der Verfassung.
V. Die Landesregierung
BearbeitenDie Landesregierung (Kabinett) besteht aus dem Ministerpräsidenten und den Ministern.
Der Landtag wählt ohne Aussprache den Ministerpräsidenten mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder. Das Nähere bestimmt die Geschäftsordnung.
Der Ministerpräsident ernennt die Minister. Er zeigt ihre Ernennung unverzüglich dem Landtag an.
Angehörige der Häuser, die bis 1918 in Deutschland oder einem anderen Lande regiert haben oder in einem anderen Land regieren, können nicht Mitglieder der Landesregierung werden.
Die Landesregierung kann die Geschäfte erst übernehmen, nachdem der Landtag ihr durch besonderen Beschluß das Vertrauen ausgesprochen hat.
Der Ministerpräsident bestimmt die Richtlinien der Regierungspolitik und ist dafür dem Landtag verantwortlich. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder
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Minister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Landtage.
Der Ministerpräsident vertritt das Land Hessen. Er kann die Vertretungsbefugnis auf den zuständigen Minister oder nachgeordnete Stellen übertragen.
Staatsverträge bedürfen der Zustimmung des Landtags.
Der Ministerpräsident führt den Vorsitz in der Landesregierung und leitet deren Geschäfte. Bei Stimmengleichheit gibt seine Stimme den Ausschlag. Weitere Einzelheiten regelt die Landesregierung durch eine Geschäftsordnung.
Die Landesregierung beschließt über die Zuständigkeit der einzelnen Minister, soweit hierüber nicht gesetzliche Vorschriften getroffen sind. Die Beschlüsse sind unverzüglich dem Landtag vorzulegen und auf sein Verlangen zu ändern oder außer Kraft zu setzen.
Meinungsverschiedenheiten über Fragen, die den Geschäftsbereich mehrerer Minister berühren, sind der Landesregierung zur Beratung und Beschlußfassung zu unterbreiten.
Die Mitglieder der Landesregierung haben Anspruch auf Besoldung. Über Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung ergehen besondere gesetzliche Bestimmungen.
Die Landesregierung beschließt über Gesetzesvorlagen, die beim Landtag einzubringen sind.
Die Landesregierung erläßt die zur Ausführung eines Gesetzes erforderlichen Rechts- und Verwaltungsverordnungen, soweit das Gesetz diese Aufgabe nicht einzelnen Ministern zuweist.
Die Landesregierung ernennt die Landesbeamten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Sie kann die Befugnis auf andere Stellen übertragen.
Der Ministerpräsident übt namens des Volkes das Recht der Begnadigung aus. Er kann die Befugnis auf andere Stellen übertragen. Die Bestätigung eines Todesurteils bleibt der Landesregierung vorbehalten.
[86]
Zugunsten eines wegen einer Amtshandlung verurteilten Ministers kann das Begnadigungsrecht nur auf Antrag des Landtags ausgeübt werden.
Allgemeine Straferlasse und die Niederschlagung einer bestimmten Art gerichtlich anhängiger Strafsachen bedürfen der Zustimmung des Landtags. Die Niederschlagung einer einzelnen gerichtlich anhängigen Strafsache ist unzulässig.
Wenn die Beseitigung eines ungewöhnlichen Notstandes, der durch Naturkatastrophen oder andere äußere Einwirkungen hervorgerufen worden ist, es dringend erfordert, kann die Landesregierung, sofern der Landtag nicht versammelt ist oder nicht rechtzeitig zusammentreten kann, in Übereinstimmung mit dem in Artikel 93 vorgesehenen ständigen Ausschuß Verordnungen, die der Verfassung nicht zuwiderlaufen, mit Gesetzeskraft erlassen. Diese Verordnungen sind dem Landtag bei seinem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung vorzulegen. Wird die Genehmigung versagt, so ist die Verordnung durch Bekanntmachung im Gesetz- und Verordnungsblatt unverzüglich außer Kraft zu setzen. Artikel 122 gilt sinngemäß.
Beim Amtsantritt leisten der Ministerpräsident vor dem Landtag, die Minister vor dem Ministerpräsidenten in Gegenwart des Landtags folgenden Amtseid:
- „Ich schwöre, daß ich das mir übertragene Amt unparteiisch nach bestem Wissen und Können verwalten sowie Verfassung und Gesetz in demokratischem Geiste befolgen und verteidigen werde.“
Der Ministerpräsident kann jeden Minister mit Zustimmung des Landtags abberufen.
Der Ministerpräsident und die Minister können jederzeit zurücktreten. Rücktritt oder Tod des Ministerpräsidenten bedeutet zugleich Rücktritt der gesamten Landesregierung.
Der Ministerpräsident und die Landesregierung müssen zurücktreten, sobald ein neugewählter Landtag erstmalig zusammentritt.
Tritt die Landesregierung zurück oder hat ihr der Landtag das Vertrauen entzogen, so führt sie die laufenden Geschäfte bis zu deren Übernahme durch die neue Landesregierung weiter.
Der Landtag kann dem Ministerpräsidenten durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entziehen oder durch Ablehnung eines Vertrauensantrages versagen.
[87]
Der Antrag, dem Ministerpräsidenten das Vertrauen auszusprechen oder zu versagen, kann nur von mindestens einem Sechstel der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten gestellt werden. Über den Antrag auf Herbeiführung eines Beschlusses zur Vertrauensfrage darf frühestens am zweiten Tage nach Schluß der Aussprache und muß spätestens am zehnten Tage, nachdem er eingebracht ist, abgestimmt werden.
Über die Vertrauensfrage muß namentlich abgestimmt werden. Ein für den Ministerpräsidenten ungünstiger Beschluß des Landtages bedarf der Zustimmung von mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder.
Kommt ein solcher Beschluß zustande, so muß der Ministerpräsident zurücktreten.
Spricht der Landtag nicht binnen zwölf Tagen einer neuen Regierung das Vertrauen aus, so ist er aufgelöst.
Der Landtag kann jedes Mitglied der Landesregierung vor dem Staatsgerichtshof anklagen, daß es schuldhaft die Verfassung oder die Gesetze verletzt habe. Der Antrag auf Erhebung der Anklage muß von mindestens 15 Mitgliedern des Landtags unterzeichnet sein und bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder.
Das Anklagerecht des Landtags wird durch die Amtsniederlegung oder die Abberufung des Beschuldigten vom Dienste, mag sie vor oder nach erhobener Anklage erfolgen, nicht aufgehoben.
Näheres bestimmt des Gesetz.
VI. Die Gesetzgebung
BearbeitenDie Gesetzgebung wird ausgeübt
- a) durch das Volk im Wege des Volksentscheids,
- b) durch den Landtag.
Außer in den Fällen des Volksentscheids beschließt der Landtag die Gesetze nach Maßgabe dieser Verfassung. Er überwacht ihre Ausführung.
Die Gesetzentwürfe werden von der Landesregierung, aus der Mitte des Landtags oder durch Volksbegehren eingebracht.
[88]
Durch Gesetz kann der Landesregierung die Befugnis zum Erlaß von Verordnungen über bestimmte einzelne Gegenstände, aber nicht die Gesetzgebungsgewalt im ganzen oder für Teilgebiete übertragen werden.
Gegen ein vom Landtag beschlossenes Gesetz steht der Landesregierung der Einspruch zu.
Der Einspruch muß innerhalb fünf Tagen, seine Begründung innerhalb zwei Wochen nach der Schlußabstimmung dem Landtag zugehen. Er kann bis zum Beginn der erneuten Beratung im Landtag zurückgezogen werden.
Kommt keine Übereinstimmung zwischen Landtag und Landesregierung zustande, so gilt das Gesetz nur dann als angenommen, wenn der Landtag mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder entgegen dem Einspruch beschließt.
Der Ministerpräsident hat mit den zuständigen Ministern die verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze auszufertigen und binnen zwei Wochen im Gesetz- und Verordnungsblatt zu verkünden.
Gesetze treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem vierzehnten Tage nach der Ausgabe des die Verkündung enthaltenden Gesetz- und Verordnungsblattes in Kraft.
Kann das Gesetz- und Verordnungsblatt nicht rechtzeitig erscheinen, so genügt jede andere Art der Bekanntgabe des Gesetzes. In diesem Falle ist die Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt alsbald nachzuholen.
Bestimmungen der Verfassung können im Wege der Gesetzgebung geändert werden, jedoch nur in der Form, daß eine Änderung des Verfassungstextes oder ein Zusatzartikel zur Verfassung beschlossen wird.
Eine Verfassungsänderung kommt dadurch zustande, daß der Landtag sie mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder beschließt und das Volk mit der Mehrheit der Abstimmenden zustimmt.
Ein Volksentscheid ist herbeizuführen, wenn ein Fünftel der Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlegung eines Gesetzentwurfs stellt. Dem Volksbegehren
[89]
muß ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde liegen. Der Haushaltplan, Abgabengesetze oder Besoldungsordnungen können nicht Gegenstand eines Volksbegehrens sein.
Das dem Volksbegehren zugrunde liegende Gesetz ist von der Regierung unter Darlegung ihres Standpunktes dem Landtag zu unterbreiten. Der Volksentscheid unterbleibt, wenn der Landtag den begehrten Gesetzentwurf unverändert übernimmt.
Die Volksabstimmung kann nur bejahend oder verneinend sein. Es entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
Das Verfahren beim Volksbegehren und Volksentscheid regelt das Gesetz.
Nur der Landtag kann feststellen, daß der verfassungsmäßige Zustand des Landes gefährdet ist. Dieser Beschluß bedarf der Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder und ist von dem Präsidenten des Landtages zu veröffentlichen. Der Beschluß kann die Freizügigkeit, das Postgeheimnis, das Versammlungsrecht und das Recht der Pressefreiheit außer Kraft setzen oder einschränken.
Der Beschluß wird nach drei Monaten unwirksam, wenn in ihm nicht eine kürzere Frist bestimmt ist. Er kann unter den gleichen Bedingungen wiederholt werden.
VII. Die Rechtspflege
BearbeitenDie rechtsprechende Gewalt wird ausschließlich durch die nach den Gesetzen bestellten Gerichte ausgeübt.
Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.
Die planmäßigen hauptamtlichen Richter werden auf Lebenszeit berufen.
Auf Lebenszeit berufen werden Richter erst dann, wenn sie nach vorläufiger Anstellung in einer vom Gesetz zu bestimmenden Bewährungszeit nach ihrer Persönlichkeit und ihrer richterlichen Tätigkeit die Gewähr dafür bieten, daß sie ihr Amt im Geiste der Demokratie und des sozialen Verständnisses ausüben werden.
Über die vorläufige Anstellung und die Berufung auf Lebenszeit entscheidet der Justizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß.
[90]
Erfüllt ein Richter nach seiner Berufung auf Lebenszeit diese Erwartungen nicht, so kann ihn der Staatsgerichtshof auf Antrag des Landtages seines Amtes für verlustig erklären und zugleich bestimmen, ob er in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu versetzen oder zu entlassen ist. Der Antrag kann auch vom Justizminister im Einvernehmen mit dem Richterwahlausschuß gestellt werden. Während des Verfahrens ruht die Amtstätigkeit des Richters.
Die Bestimmungen der Absätze 1 bis 4 gelten nicht für Laienrichter.
Das Nähere regelt ein Gesetz, das auch auf die bereits ernannten Richter Anwendung findet.
Außer nach vorstehender Bestimmung können die auf Lebenszeit berufenen Richter wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus den Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung Richter in den Ruhestand treten.
Die vorläufige Amtsenthebung, die kraft Gesetzes eintritt, wird hierdurch nicht berührt.
Bei einer Veränderung in der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke kann die Landesregierung unfreiwillige Versetzungen an ein anderes Gericht oder Entfernung vom Amt, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehalts, verfügen.
Niemand darf wegen Unzulänglichkeit seiner Mittel an der Verfolgung seiner Rechtsansprüche gehindert werden. Das Nähere bleibt gesetzlicher Regelung vorbehalten.
VIII. Der Staatsgerichtshof
BearbeitenDer Staatsgerichtshof besteht aus 11 Mitgliedern, und zwar fünf Richtern und sechs vom Landtag nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählten Mitgliedern, die nicht dem Landtag angehören dürfen. Bei ihm wird ein öffentlicher Kläger bestellt.
Die Richter werden vom Landtag auf Zeit gewählt, die übrigen Mitglieder zu Beginn jeder neuen Wahlperiode bis zur Wahl durch den neuen Landtag.
Wiederwahl ist zulässig.
Das Nähere über die Bildung des Staatsgerichtshofs, das Verfahren vor ihm, sowie über die Vollstreckung seiner Entscheidungen bestimmt das Gesetz.
[91]
Der Staatsgerichtshof entscheidet über die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze, die Verletzung der Grundrechte, bei Anfechtung des Ergebnisses einer Volksabstimmung, über Verfassungsstreitigkeiten sowie in den in der Verfassung und den Gesetzen vorgesehenen Fällen.
Den Antrag kann stellen: eine Gruppe von Stimmberechtigten, die mindestens ein Hundertstel aller Stimmberechtigten des Volkes umfaßt, der Landtag, ein Zehntel der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder, die Landesregierung sowie der Ministerpräsident.
Das Gesetz bestimmt, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen jedermann das Recht hat, den Staatsgerichtshof anzurufen.
Nur der Staatsgerichtshof trifft die Entscheidung darüber, ob ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung mit der Verfassung in Widerspruch steht.
Hält ein Gericht ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung, auf deren Gültigkeit es bei einer Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so teilt es seine Bedenken auf dem Dienstwege dem Präsidenten des höchsten ihm übergeordneten Gerichts mit. Dieser führt eine Entscheidung des Staatsgerichtshofes herbei. Die Entscheidung des Staatsgerichtshofes ist endgültig und hat Gesetzeskraft.
Das Nähere bleibt gesetzlicher Regelung vorbehalten.
IX. Die Staats- und die Selbstverwaltung
BearbeitenJeder, ohne Unterschied der Herkunft, der Rasse, des religiösen Bekenntnisses und des Geschlechts, hat Zugang zu den öffentlichen Ämtern, wenn er die nötige Eignung und Befähigung besitzt.
Die Rechtsverhältnisse aller Arbeitnehmer der öffentlichen Verwaltungen sind im Rahmen des in Artikel 29 vorgesehenen einheitlichen Arbeitsrechts nach den Erfordernissen der Verwaltung zu gestalten.
Verletzt jemand in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit
[92]
grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Der Rückgriff gegen ihn bleibt vorbehalten. Der Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden.
Näheres bestimmt das Gesetz.
Die Gemeinden sind in ihrem Gebiet unter eigener Verantwortung die ausschließlichen Träger der gesamten örtlichen öffentlichen Verwaltung. Sie können jede öffentliche Aufgabe übernehmen, soweit sie nicht durch ausdrückliche gesetzliche Vorschrift anderen Stellen im dringenden öffentlichen Interesse ausschließlich zugewiesen sind.
Die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit die gleiche Stellung.
Das Recht der Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten wird den Gemeinden und Gemeindeverbänden vom Staat gewährleistet. Die Aufsicht des Staates beschränkt sich darauf, daß ihre Verwaltung im Einklang mit den Gesetzen geführt wird.
Den Gemeinden und Gemeindeverbänden oder ihren Vorständen können durch Gesetz oder Verordnung staatliche Aufgaben zur Erfüllung nach Anweisung übertragen werden.
Der Staat hat den Gemeinden und Gemeindeverbänden die zur Durchführung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderlichen Geldmittel im Wege des Lasten- und Finanzausgleichs zu sichern. Er stellt ihnen für ihre freiwillige öffentliche Tätigkeit in eigener Verantwortung zu verwaltende Einnahmequellen zur Verfügung.
Die Grundsätze des Landtagswahlrechts gelten auch für die Gemeinde- und Gemeindeverbandswahlen.
Die hauptamtlichen Leiter der Gemeinden und Gemeindeverbände werden in schriftlicher und geheimer Abstimmung von den gewählten Vertretern gewählt.
Die Dauer der Wahlzeit wird gesetzlich geregelt.
X. Das Finanzwesen
BearbeitenDer Landtag sorgt durch Bewilligung der erforderlichen laufenden Mittel für die Deckung des Staatsbedarfs.
[93]
Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für jedes Rechnungsjahr veranschlagt und auf den Haushaltsplan gebracht werden. Dieser wird vor Beginn des Rechnungsjahres durch ein förmliches Gesetz festgestellt.
Die Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt; sie können in besonderen Fällen auch für längere Dauer bewilligt werden. Im übrigen sind im Haushaltsgesetz Vorschriften unzulässig, die über das Rechnungsjahr hinausreichen oder sich nicht auf die Einnahmen und Ausgaben des Staates oder ihrer Verwaltung beziehen.
Ist bis zum Schluß eines Rechnungsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr nicht durch Gesetz festgestellt, so ist bis zu seinem Inkrafttreten die Landesregierung ermächtigt:
- 1. alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind,
- a) um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen,
- b) um die rechtlich begründeten Verpflichtungen des Staates zu erfüllen,
- c) um Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen oder Beihilfen für diese Zwecke weiter zu gewähren, sofern durch den Haushaltsplan eines Vorjahres bereits bewilligte Beträge noch verfügbar sind;
- 2. Schatzanweisungen bis zur Höhe eines Viertels der Endsumme des ab gelaufenen Haushaltsplanes für je drei Monate auszugeben, soweit nicht auf besonderen Gesetzen beruhende Einnahmen aus Steuern und Abgaben und Einnahmen aus sonstigen Quellen die Ausgaben unter Ziffer 1 decken.
Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden. Eine solche Beschaffung sowie die Übernahme einer Sicherheitsleistung zu Lasten des Staates dürfen nur durch förmliches Gesetz erfolgen.
Beschlüsse des Landtags, welche Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, müssen bestimmen, wie diese Ausgaben gedeckt werden.
Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Finanzministers. Sie darf nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden.
[94]
Zu Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßigen Ausgaben ist die nachträgliche Genehmigung des Landtags erforderlich, die im Laufe des nächsten Rechnungsjahres eingeholt werden muß.
Die Rechnungen über den Haushaltsplan werden vom Rechnungshof geprüft und festgestellt. Die allgemeine Rechnung über den Haushalt jedes Jahres und eine Übersicht der Staatsschulden werden mit den Bemerkungen des Rechnungshofs und der Stellungnahme der Landesregierung zu deren Entlastung dem Landtage vorgelegt.
Das Finanzwesen der ertragswirtschaftlichen Unternehmungen des Staates kann durch Gesetz abweichend von den Vorschriften der Artikel 139 bis 144 geregelt werden.
XI. Der Schutz der Verfassung
BearbeitenEs ist Pflicht eines jeden, für den Bestand der Verfassung mit allen ihm zu Gebote stehenden Kräften einzutreten.
Das Gesetz bestimmt, welche Rechte aus dieser Verfassung durch Entscheidung des Staatsgerichtshofes aberkannt werden können, wenn jemand dieser Pflicht zuwiderhandelt oder einer politischen Gruppe angehört oder angehört hat, welche die Grundgedanken der Demokratie bekämpft.
Widerstand gegen verfassungswidrig ausgeübte öffentliche Gewalt ist jedermanns Recht und Pflicht.
Wer von einem Verfassungsbruch oder einem auf Verfassungsbruch gerichteten Unternehmen Kenntnis erhält, hat die Pflicht, die Strafverfolgung des Schuldigen durch Anrufung des Staatsgerichtshofes zu erzwingen. Näheres bestimmt das Gesetz.
Sollte die Verfassung durch revolutionäre Handlungen ihre tatsächliche Wirkung auf kürzere oder längere Zeit verlieren, so sind alle, die sich beim Umsturz oder danach einer Verletzung der Verfassung schuldig gemacht haben, zur Rechenschaft zu ziehen, sobald der verfassungswidrige Zustand wieder beseitigt ist.
[95]
Die aus Artikel 147 und 148 sich ergebenden strafrechtlichen Folgen bestimmt das Gesetz.
Keinerlei Verfassungsänderung darf die demokratischen Grundgedanken der Verfassung und die republikanisch-parlamentarische Staatsform antasten. Die Errichtung einer Diktatur, in welcher Form auch immer, ist verboten.
Hiergegen verstoßende Gesetzesanträge gelangen nicht zur Abstimmung, gleichwohl beschlossene Gesetze nicht zur Ausfertigung. Trotzdem verkündete Gesetze sind nicht zu befolgen.
Auch dieser Artikel selbst kann nicht Gegenstand einer Verfassungsänderung sein.
Übergangsbestimmungen
BearbeitenHessen wird alle Maßnahmen, die es auf Gebieten trifft, für welche die deutsche Republik die Zuständigkeit beanspruchen könnte, unter den Grundsatz stellen, daß die gesamtdeutsche Einheit zu wahren ist.
Vor allem wird es die bestehende Rechtseinheit nicht ohne zwingenden Grund antasten. Ob ein zwingender Grund vorliegt, entscheidet das Gesetz.
Bis zur Bildung einer gesetzgebenden Körperschaft für die deutsche Republik kann die Regierung mit anderen deutschen Regierungen vereinbaren, daß für bestimmte Teile des Rechts eine einheitliche Gesetzgebung geschaffen wird, die der endgültigen gesamtdeutschen Einheit kein Hindernis bereiten darf.
Solche Vereinbarungen bedürfen der Zustimmung des Landtags. Sie müssen vorsehen, daß die gesetzgebende Gewalt auf ein Organ übertragen wird, das mittelbar oder unmittelbar aus demokratischen Wahlen hervorgegangen ist. Gesetze, die von diesen Organen beschlossen werden, binden das Land Hessen nur, wenn sie dieser Verfassung nicht zuwiderlaufen.
Die Zuständigkeiten zwischen der Deutschen Republik und Hessen sind von einer deutschen Nationalversammlung, die vom ganzen deutschen Volk zu wählen ist, verfassungsmäßig abzugrenzen.
Künftiges Recht der deutschen Republik bricht Landesrecht.
[96]
Inländer im Sinne gesetzlicher Bestimmungen sind alle Angehörigen der deutschen Länder. Inland ist das gesamte Gebiet dieser Länder.
Es bleibt vorbehalten, durch ein Verfassungsgesetz nach Artikel 123 Absatz 2 in das Verfahren der Gesetzgebung ein weiteres aus demokratischen Wahlen hervorgehendes Organ einzuschalten.
Bis zum Erlaß des in Artikel 56 Absatz 7 vorgesehenen Gesetzes bleibt es im Schulwesen bei dem derzeitigen tatsächlichen Zustand.
Vorbehalten bleibt lediglich, die Verhältnisse, die am 30. Januar 1933 bestanden und nachher abgeändert worden sind, wiederherzustellen, wenn die Mehrheit der Erziehungsberechtigten im Schulbezirk es wünscht. Im übrigen darf an dem derzeitigen Zustand bis zum 1. Januar 1950 auch durch Gesetz nichts geändert werden. Die Umgestaltung des Bildungsganges wird hierdurch nicht berührt.
Gesetze, die aus Anlaß der gegenwärtigen Notlage ergangen sind oder noch ergehen werden, können unerläßliche Eingriffe in die folgenden Grundrechte zulassen:
- a) in das Grundrecht der Freizügigkeit nach Artikel 6,
- b) in das Recht nach Artikel 8 im Rahmen einer Wohnungszwangswirtschaft,
- c) in das Recht auf freien Gebrauch der Arbeitskraft nach dem Artikel 28 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 2 im Rahmen von Notdienstpflichtgesetzen.
- d) in das Recht auf den Gebrauch des Eigentums im Rahmen von Gesetzen zur Milderung des Mangels an Gegenständen des täglichen Bedarfs.
Die im ersten Absatz zugelassenen Beschränkungen der Grundrechte fallen mit dem 31. Dezember 1950 weg. Mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder kann der Landtag diese Frist verlängern.
Die verfassungsmäßigen Freiheiten und Rechte können nicht den Bestimmungen entgegengehalten werden, die ergangen sind oder vor dem 1. Januar 1949 noch ergehen werden, um den Nationalsozialismus und den Militarismus zu überwinden und das von ihm verschuldete Unrecht wieder gutzumachen.
[97]
Der vom Kontrollrat für Deutschland und von der Militärregierung für ihre Anordnungen nach Völker- und Kriegsrecht beanspruchte Vorrang vor dieser Verfassung, den verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen und sonstigem deutschem Recht bleibt unberührt.
Diese Verfassung tritt mit ihrer Annahme durch das Volk in Kraft. Gleichzeitig tritt das Staatsgrundgesetz vom 22. November 1945 außer Kraft.
Die zu dieser Zeit die Staatsgeschäfte führende Landesregierung gilt bis zur Bildung einer neuen Regierung als geschäftsführende Regierung im Sinne des Artikels 113 Absatz 3 dieser Verfassung, der Hauptausschuß der Verfassungberatenden Landesversammlung als Ausschuß im Sinne des Artikels 93.
Die am Tage der Annahme dieser Verfassung durch das Volk gewählten Abgeordneten bilden den ersten Landtag im Sinne dieser Verfassung.
Vorstehende Verfassung ist am 1. Dezember 1946 in der Volksabstimmung
angenommen worden, mit ihrer Annahme durch das Volk in Kraft getreten und wird
hiermit verkündet.
Wiesbaden, den 11. Dezember 1946. | ||
Die Landesregierung | ||
Geiler | ||
Hilpert | Häring | |
Zinnkann | Oskar Müller | |
Dr. Schramm | Binder | |
Zinn |
Verfassungsänderungen (zusammengestellt von Wikisource)
BearbeitenArtikel 26a
Bearbeiten- Durch Gesetz vom 20. März 1991 (GVBl. I S. 102) wurde Abschnitt IIa. und Artikel 26a eingefügt:
IIa. Staatsziel Umweltschutz
BearbeitenDie natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem Schutz des Staates und der Gemeinden.
Abschnitt V.
Bearbeiten- Durch Gesetz vom 18. Oktober 2002 (GVBl. I S. 626) wurde die Überschrift von Abschnitt V. geändert:
V. Erziehung, Bildung, Denkmalschutz und Sport
BearbeitenArtikel 62a
Bearbeiten- Durch Gesetz vom 18. Oktober 2002 (GVBl. I S. 626) wurde Artikel 62a eingefügt:
Der Sport genießt den Schutz und die Pflege des Staates, der Gemeinden und Gemeindeverbände.
Änderung Artikel 73
Bearbeiten- Artikel 73 ist durch Gesetz vom 23. März 1970 (GVBl. I S. 281) geändert worden und lautet jetzt:
Stimmberechtigt sind alle über achtzehn Jahre alten Deutschen im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes, die in Hessen ihren Wohnsitz haben und nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen sind.
Das Stimmrecht ist allgemein, gleich, geheim und unmittelbar. Der Tag der Stimmabgabe muß ein Sonntag oder ein allgemeiner Feiertag sein.
Das Nähere bleibt gesetzlicher Regelung vorbehalten.
Änderungen Artikel 75
Bearbeiten- Artikel 75 ist durch Gesetz vom 22. Juli 1950 (GVB1. S. 131) geändert worden und lautete dann:
Der Landtag besteht aus den vom Volk gewählten Abgeordneten.
Wählbar sind die Stimmberechtigten, die das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben.
Das Nähere bestimmt das Wahlgesetz. Verlangt es neben anderen Erfordernissen, daß eine Wählergruppe eine Mindestzahl von Stimmen aufweist, um im Landtag vertreten zu sein, so darf die Mindestzahl nicht höher sein als fünf vom Hundert der abgegebenen gültigen Stimmen.
- Artikel 75 ist durch Gesetz vom 23. März 1970 (GVBl. I S. 281) abermals geändert worden und lautet jetzt:
Der Landtag besteht aus den vom Volke gewählten Abgeordneten.
Wählbar sind die Stimmberechtigten, die das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben.
Das Nähere bestimmt das Wahlgesetz. Verlangt es neben anderen Erfordernissen, daß eine Wählergruppe eine Mindestzahl von Stimmen aufweist, um im Landtag vertreten zu sein, so darf die Mindestzahl nicht höher sein als fünf vom Hundert der abgegebenen gültigen Stimmen.
Änderung Artikel 79
Bearbeiten- Durch Gesetz vom 18. Oktober 2002 (GVBl. I S. 627) wurde Artikel 79 geändert und lautet jetzt:
Der Landtag wird auf fünf Jahre gewählt (Wahlperiode). Die Neuwahl muß vor Ablauf der Wahlperiode stattfinden.
Änderungen Artikel 137
Bearbeiten- Artikel 137, Absatz 6
„Die Grundsätze des Landtagswahlrechts gelten auch für die Gemeinde- und Gemeindeverbandswahlen.“
- wurde durch Gesetz vom 22. Juli 1950 (GVB1. S. 131) gestrichen.
- Durch Gesetz vom 20. März 1991 (GVBl. I S. 101) wurde ein neuer Absatz 6 angefügt:
Werden die Gemeinden oder Gemeindeverbände durch Landesgesetz oder Landesrechtsverordnung zur Erfüllung staatlicher Aufgaben verpflichtet, so sind Regelungen über die Kostenfolgen zu treffen. Führt die Übertragung neuer oder die Veränderung bestehender eigener oder übertragener Aufgaben zu einer Mehrbelastung oder Entlastung der Gemeinden oder Gemeindeverbände in ihrer Gesamtheit, ist ein entsprechender Ausgleich zu schaffen. Das Nähere regelt ein Gesetz.
Änderung Artikel 138
Bearbeiten- Durch Gesetz vom 20. März 1991 (GVBl. I S. 101) wurde Artikel 138 geändert und lautet jetzt:
Die Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte als Leiter der Gemeinden oder Gemeindeverbände werden von den Bürgern in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.
Artikel 161
Bearbeiten- Durch Gesetz vom 20. März 1991 (GVBl. I S. 102) wurde Artikel 161 eingefügt:
Artikel 138 in der Fassung vom 20. März 1991 gilt erstmals für die nächste seinem Inkrafttreten folgende Kommunalwahlperiode. Die erforderlichen Übergangsregelungen trifft der Gesetzgeber.
- Durch Gesetz vom 18. Oktober 2002 (GVBl. I S. 627) wurde Absatz 2 hinzugefügt:
Artikel 79 Satz 1 in der Fassung vom 18. Oktober 2002 gilt erstmals für die nächste seinem In-Kraft-Treten folgende Wahlperiode.