Reichsgericht - Zwangsvollstreckung in ein Verlagsunternehmen

Entscheidungstext
Gericht: Reichsgericht
Ort:
Art der Entscheidung: Urteil
Datum: 2. April 1919
Aktenzeichen: Rep. I. 221/18
Zitiername:
Verfahrensgang: vorgehend Landgericht II Berlin, Kammergericht
Erstbeteiligte(r):
Gegner: E. Valentin, Berlin
Weitere(r) Beteiligte(r):
Amtliche Fundstelle: RGZ 95, 235–238
Quelle: Scan
Weitere Fundstellen:
Inhalt/Leitsatz:
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[235]

76. 1. Pfändung eines „Urheber- und Verlagsrechts“.

2. Ist die Zwangsvollstreckung in das gewerbliche Unternehmen eines Zeitungsverlags als Ganzes zulässig?

ZPO. § 857.
I. Zivilsenat. Urt. v. 2. April 1919 i. S. H. (Kl.) w. V. (Bekl.). Rep. I 221/18.
I. Landgericht II Berlin.
II. Kammergericht daselbst.

[1] Der Deutsche H[ill]-Verlag G.m.b.H. gab bis Sommer 1915 in Berlin die „Zeitschrift für praktischen Maschinenbau“ heraus. Der Beklagte gab eine Zeitschrift „Die Werkzeugmaschine“ heraus. Er kündigte an, daß er diese seine Zeitschrift fortan unter dem Titel „Zeitschrift für praktischen Maschinenbau, die Werkzeugmaschine“ erscheinen lassen werde.

[2] Der Kläger hatte einen vollstreckbaren Anspruch gegen den Deutschen H.-Verlag G.m.b.H. Auf seinen Antrag wurde „der dem H.-Verlage gegen den Verlag der Zeitschrift für praktischen Maschinenbau zustehende Anspruch auf das Urheber- und Verlagsrecht an dieser Zeitschrift“ gepfändet, auch die öffentliche Versteigerung dieses Anspruchs angeordnet. Bei der öffentlichen Versteigerung ersteigerte der Kläger den Anspruch für 500 M. Er beantragt, daß auf Grund dieses ersteigerten Rechtes dem Beklagten untersagt werde, seine Zeitschrift mit dem Titel „Zeitschrift für praktischen Maschinenbau, die Werkzeugmaschine“ zu versehen und herauszugeben.

[3] Beide Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Auch die Revision hatte keinen Erfolg.

Gründe:

[4] „Nach Ausweis des Versteigerungsprotokolls vom 15. September 1917 ist versteigert und dem, Kläger zugeschlagen worden der dem Deutschen H.-Verlag G.m.b.H. gegen den Verlag der Zeitschrift für [236] praktischen Maschinenbau zustehende Anspruch auf das Urheber- und Verlagsrecht an dieser Zeitschrift.

[5] Zur Erörterung steht die Frage, ob der Kläger danach berechtigt ist, auf Grund des § 16 UWG. einen Anspruch gegen den Beklagten zu erheben, daß dieser die Bezeichnung seiner Zeitschrift mit dem Titel „Zeitschrift für praktischen Maschinenbau“ zu unterlassen habe.

[6] Diese Frage hat das Berufungsurteil mit Recht verneint. Der Anspruch, in den die Zwangsvollstreckung erfolgen sollte, ist im Pfändungs- und Überweisungsbeschluß und demzufolge im Versteigerungsprotokolle nicht klar bezeichnet.

[7] Gepfändet und überwiesen ist ein Anspruch des H.-Verlags gegen den Verlag der Zeitschrift, während es doch nach den Aufdrucken auf der Zeitschrift scheint, daß diese vom H.-Verlag selbst verlegt wird. Es braucht jedoch auf dieses formale Bedenken nicht eingegangen zu werden, weil die Klage sich unter jedem der möglicherweise in Betracht kommenden Gesichtspunkte als unbegründet erweist.

[8] Ansprüche aus Urheberrecht kann der Kläger nicht geltend machen, denn nach § 10 des Urheberrechtsgesetzes vom 19. Juni 1901 / 22. Mai 1910 kann die Zwangsvollstreckung in das Recht des Urhebers nicht ohne dessen Einwilligung erfolgen. Diese Bestimmung gilt auch für das Urheberrecht an einer Zeitschrift nach § 4 des Gesetzes. Da die Einwilligung nicht erfolgt ist, sind Urheberrechte auf den Kläger nicht übergegangen. Es braucht deshalb auf weitere zu diesem Punkte zu erhebende Bedenken nicht eingegangen zu werden.

[9] Ebensowenig vermag sich der Kläger darauf zu stützen, daß Verlagsrechte an der Zeitschrift auf ihn übergegangen seien. Verlagsrechte sind solche Rechte, die aus dem zwischen dem Verleger und dem Urheber abgeschlossenen Verlagsvertrag entspringen. Ein Verlagsrecht setzt also voraus, daß ein vom Verleger unterschiedener Urheber vorhanden ist. Das liegt bei einer Zeitschrift nicht vor, bei der – wie im streitigen Falle – Herausgeber und Verleger zusammenfallen. Deshalb bestehen keine Verlagsrechte, auf Grund deren der Verleger gegen unbefugte Benutzung des Zeitschriftentitels vorgehen könnte.

[10] Weiter könnte in Frage kommen, ob etwa der Zeitschriftentitel als selbständiges Rechtsgut Gegenstand der Pfändung sein konnte. Dem steht jedoch, wie das Berufungsgericht mit Recht ausgeführt hat, entgegen, daß das Recht auf den Zeitschriftentitel nicht ein für sich selbständig und unabhängig vom Zeitschriftenunternehmen veräußerliches Recht ist. Der Zeitschriftentitel kann nicht losgelöst vom Unternehmen, zu dem er gehört, übertragen oder gepfändet werden, ebensowenig wie das bei der Firma eines Kaufmannes möglich ist.

[11] Danach spitzt sich die Entscheidung auf die Beantwortung der Frage zu, ob das gewerbliche Unternehmen des H.-Verlags mit allem [237] Zubehör, also auch mit dem Zeitschriftentitel, gepfändet werden konnte und vorliegendenfalls gepfändet worden ist. Auf diesen Punkt hat die Revision mit Recht besonderen Nachdruck gelegt.

[12] Zunächst steht ihren Ausführungen jedoch entgegen, daß sich eine Pfändung des gewerblichen Unternehmens aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß nach dessen Wortfassung nur schwer herauslesen läßt. Es ist geboten, gerichtliche Verfügungen, die mit so erheblicher Wirkung in die Rechte Dritter eingreifen, wie der vorliegende Beschluß im Interesse der Rechtssicherheit nicht in zu freier Weise über den erkennbaren Wortsinn hinaus umzudeuten. Wenn im vorliegenden Falle ein Anspruch auf Urheber- oder Verlagsrecht gepfändet und überwiesen worden ist, so liegt die Auslegung, daß damit das ganze gewerbliche Unternehmen gemeint sei, in dem die Zeitschrift verfaßt, herausgegeben und verlegt wird, recht fern.

[13] Aber wollte man auch dieses Bedenken fallen lassen, so würde gleichwohl die Revision keinen Erfolg erzielen können. In der bisherigen Rechtsprechung des Reichsgerichts ist angenommen worden, daß ein gewerbliches Unternehmen als Ganzes nicht gepfändet werden kann (RGZ. Bd. 70 S. 228). Dieser Grundsatz hat zwar von einigen Seiten Widerspruch erfahren (mit eingehender Begründung vom OLG. Dresden in der Leipz. Zeitschr. 1910 S. 333); gleichwohl ist an ihm festzuhalten. Die österreichische Exekutionsordnung hat in den §§ 341 flg. die Zwangsvollstreckung in ein wirtschaftliches Unternehmen zugelassen (vgl. Pisko in Ehrenbergs Handbuch, Bd. 2, 1, § 31 S. 237). Die deutsche Gesetzgebung hat sich nicht auf diesen Standpunkt gestellt. Das deutsche Recht erkennt ein Recht am Unternehmen und die Zulässigkeit der Veräußerung des Unternehmens an. Aber schon die Anschauung, daß die Bestellung beschränkter dinglicher Rechte (Nießbrauch, Pfandrecht) am Unternehmen möglich sei, hat sich nicht durchzusetzen vermocht (vgl. RGZ. Bd. 70 S. 232; Isay, Recht am Unternehmen S. 81; a. M. Pisko a. a. O. S. 235) – im Gegensatze zum französischen Recht, in dem die Verpfändung eines Handelsgeschäfts zugelassen wird (Isay S. 6). Noch viel weniger erscheint die Zwangsvollstreckung in ein Unternehmen nach deutschem Rechte möglich. Das wird außer von der Rechtsprechung des Reichsgerichts auch von der weit überwiegenden Zahl der Schriftsteller anerkannt (Isay S. 198. Pisko S.237). Ausgenommen sind nur ganz wenige Einzelfälle, Vollstreckung in das Unternehmen der Privateisenbahnen nach preußischem Rechte u. a. Die entscheidende Erwägung ist, daß das deutsche Zivilprozeßrecht keinen Weg eröffnet, eine derartige Vollstreckung vorzunehmen, § 857 ZPO. führt nicht zum Ziele. Es ist unmöglich, auf dem Wege des § 857 Fabrikgrundstücke oder Waren, Maschinen, Geräte, Vorräte oder Forderungen zu pfänden, die alle zu einem Unternehmen gehören oder gehören können, [238] deren Pfändung aber nach dem Gesetz auf andere Weise zu erfolgen hat. Das steht der Zwangsvollstreckung in ein Unternehmen entscheidend entgegen. Gegenüber diesem Bedenken ist es ersichtlich gleichgültig, daß ein Unternehmen nicht nur aus einem Konglomerat der angeführten Gegenstände besteht, sondern daß das geistige Band, die Organisation, die die einzelnen Gegenstände und Menschen zu einem werktätigen Ganzen vereinigt, hinzukommt, und daß hieran nach der Annahme vieler ein einheitliches Recht, ein Recht am Immaterialgute bestehen mag (Isay S. 23). Denn immer bleibt es dabei, daß von einer Pfändung nach § 857, selbst wenn diese das Immaterialgut sollte erfassen können, doch nicht die Grundstücke, die Maschinen, die Waren, die Forderungen erfaßt werden würden. Deshalb ist eine Zwangsvollstreckung in ein Unternehmen als Ganzes unmöglich.

[14] Folgendes mag noch hinzugefügt werden. Selbst wenn man glauben sollte, durch irgendeine ausdehnende Auslegung über diese Bedenken hinweghelfen zu können, so würde davon doch nur dann Gebrauch zu machen sein, wenn eine überwiegende Anschauung sich Bahn gebrochen hätte, die auf einen solchen Weg drängte – wovon, wie erwähnt, nicht die Rede sein kann – und wenn ein solcher Schritt unzweifelhaft ratsam erschiene. Nun ist ja zuzugeben, daß den Gläubigern eines Unternehmens vorhandene Vermögenswerte, nämlich der innere Wert des laufenden Betriebs, entzogen werden, wenn die Zwangsvollstreckung in das Unternehmen unstatthaft ist. Aber anderseits scheinen die Erfahrungen, die in Österreich mit der dort angeordneten Zwangsverwaltung von Unternehmungen gemacht sind, keineswegs aussichtsvoll zu sein (Isay S. 199 flg.), und es steht völlig dahin, ob durch den zwangsweisen Verkauf eines Unternehmens wirklich erhebliche Werte für die Gläubiger gerettet werden würden.

[15] Aus diesen Gründen kann nicht anerkannt werden, daß die Zwangsvollstreckung in ein Unternehmen zulässig ist. Daraus folgt, daß die hier in Rede stehende Pfändung nicht das Unternehmen und deshalb auch nicht das Recht auf den Zeitschriftentitel erfaßte.“