Preußisches Oberverwaltungsgericht – Pflichtexemplare

Entscheidungstext
Gericht: Preußisches Oberverwaltungsgericht
Ort:
Art der Entscheidung: Urteil
Datum: 15. Dezember 1899
Aktenzeichen: Rep. I. A. 126/98
Zitiername:
Verfahrensgang:
Erstbeteiligte(r): M. zu E., Verlagsbuchhändler
Gegner: Oberpräsident
Weitere(r) Beteiligte(r):
Amtliche Fundstelle: PrOVGE 36, 434–440
Quelle: Scan
Weitere Fundstellen: ZfB 18 (1901), 155–159 (online); DJZ 5 (1900), 323
Inhalt/Leitsatz:
Zitierte Dokumente: RT-Verh.2/I, Anl.67
Anmerkungen: Weitere Entscheidungen zum Pflichtexemplarrecht auf bibliotheksurteile.de.
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[434]

Nr. 75

Verleger sind gesetzlich verpflichtet, von ihren Verlagswerken ein Exemplar an die Königliche Bibliothek zu Berlin und ein zweites an die Provinzial- (Universitäts-) Bibliothek unentgeltlich einzusenden.

Gegen die auf Erfüllung der Einsendungspflicht abzielenden Anordnungen der forderungsberechtigten Bibliothek, daher auch gegen die Androhung eines Zwangsmittels, zu der auf ihr Ansuchen die Ortspolizeibehörde geschritten ist, findet das Verwaltungsstreitverfahren nicht statt. [435]

Endurtheil des I. Senats vom 15. Dezember 1899. Rep. I. A. 126/98.

[1] Der Verlagsbuchhändler M. zu E. hatte es unterlassen, je ein Exemplar der von ihm im Jahre 1897 verlegten Druckwerke an die Bibliothek der Universität in der Provinz abzuliefern. Daraus entnahm die Bibliothek Veranlassung zu dem Ersuchen an die Stadtpolizeiverwaltung zu E., ihn zur Erfüllung seiner, wie sie annahm, gesetzlich begründeten Ablieferungspflicht durch Administrativ-Exekution anzuhalten. Unter Mittheilung hiervon erließ die Polizeibehörde an M. eine Verfügung, durch die sie ihm aufgab, binnen vierzehn Tagen bei Vermeidung einer Geldstrafe von 30 M entweder die Pflichtexemplare vorzulegen oder deren Absendung an die Bibliothek nachzuweisen.

[2] Nach fruchtlosem Ablaufe der Frist wiederholte die Polizei ihre Auflage, indem sie zugleich die Geldstrafe festsetzte und für den Fall ferneren Ungehorsams eine neue Geldstrafe von 50 M androhte. Nunmehr erhob M. gegen die zweite Strafandrohung und die dadurch zu erzwingende Anordnung Beschwerde und weitere Beschwerde sowie demnächst gegen den in letzter Instanz erlassenen ablehnenden Beschwerdebescheid Klage, die er mit der Ausführung begründete: eine Verbindlichkeit der Verleger zur Hingabe von Pflichtexemplaren ihrer neuen Verlagswerke bestehe nicht mehr zu Recht und könne, wenn das Gegentheil anzunehmen sein sollte, jedenfalls nicht im Verwaltungswege erzwungen werden. Beides stellte der beklagte Oberpräsident in Abrede.

[3] Das Oberverwaltungsgericht wies die Klage als unzulässig ab.

Gründe.

[4] Um eine mit dem Rechtsmittel des Titels IV des Landesverwaltungsgesetzes anfechtbare polizeilich Verfügung handelt es sich nur dann, wenn die Polizeibehörde eine in ihrer Zuständigkeit als Inhaberin der Polizeigewalt begründete Maßnahme in Ausübung ihrer eigenen Rechte hat verlassen wollen und thatsächlich auch erlassen hat. Bringt die Polizeibehörde lediglich die Anträge, Aufträge, Ersuchen anderer Behörden zur Ausführung, so liegt nach der gleichmäßigen Rechtsprechung des Gerichtshofs (siehe Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Bd. VI S. 355, Bd. XII S. 412) eine „polizeiliche Verfügung“ in jenem Sinne nicht vor. Allerdings hat die Polizeibehörde, wenn sie Maß- [436] nahmen auf Anträge oder Ersuchen anderer Behörden trifft, auch ihrerseits zu prüfen, ob sie selbst zu den ihr angesonnenen Amtshandlungen befugt ist und ob die ersuchende Behörde die verlangte Hülfeleistungs beanspruchen durfte (siehe Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Bd. XX S. 448): das Vorhandensein dieser Voraussetzung ist denn auch bei der Beurtheilung streitig gewordener derartiger Verfügungen von dem Gerichtshofe regelmäßig mitgeprüft worden (siehe die zuerst angezogenen Entscheidungen). Im vorliegenden Falle hat die Polizeibehörde bei der angegriffenen Verfügung, wonach der Kläger Freiexemplare seine Verlagswerke oder den Nachweis über deren Absendung an die Universitätsbibliothek vorlegen soll, ersichtlich nur dem in der Verfügung auch in Bezug genommenen Ersuchen der Universitätsbibliothek entsprechen wollen und entsprochen. Die Klage aus §. 127 des Landesverwaltungsgesetzes findet daher nicht statt, wenn der Anspruch der Universitätsbibliothek auf die Pflichtexemplaren besteht und, wie geschehen, geltend gemacht werden konnte. Nach beiden Richtungen hin war daher in eine Nachprüfung einzutreten.

[5] Zur Geschichte der Entstehung des Anspruchs auf Pflichtexemplaren von Verlagswerken sei vorerst Folgendes bemerkt (vergl. Hartmann, Gesetz über die Presse, vom 12. Mai 1851 S. 60 ff. und von Rönne, Preßgesetz, S. 77 ff.). Aus den älteren landesherrlichen Verordnungen, die Ablieferung der Verlagsbücher betreffend, vom 29. März und 13. April 1765 (Nr. C. C. III pag. 611–614 und 666) läßt sich über die Natur des Anspruchs und der entsprechenden Verpflichtung Erhebliches nicht entnehmen. Wichtiger in dieser Beziehung ist der Allerhöchste Erlaß vom 28. September 1789 (Rabe, Sammlung Preußischer Gesetze und Verordnungen, Bd. XIII S. 195), woselbst darauf hingewiesen wird, daß theils in den „den einländischen Buchhändlern verliehenen Privilegiis zur ausdrücklichen Bedingung gemacht, theils auch durch verschiedene Publikanda allgemein festgesetzt worden ist, daß die Buchhändler und Buchdrucker von den in ihrem Verlage oder aus ihren Offizinen herauskommenden Büchern gewisse Exemplarien an die hiesige Bibliothek (in Berlin) ohnentgeltlich abzuliefern verbunden sein sollen . . .“ Es ist daher – so fährt der Erlaß fort – für nöthig befunden, „zum Besten besagter [437] Unserer Bibliothek und der Wissenschaften überhaupt, deren Kultur durch eine vollständige, wohl geordnete und in der Hauptstadt zu Jedermanns Gebrauch offenstehende Büchersammlung bekanntermaßen nicht wenig befördert wird“ – die Publikanda zu erneuern, näher zu bestimmen und zu bestätigen (Einleitung).

[6] Weiterhin schrieb das Zensuredikt vom 18. Oktober 1819 (G.-S. S. 224 ff.) im §. XV vor:

„Der Verleger ist, wenn er ein Werk mit Erlaubnis hat drucken lassen, zu keiner Entrichtung für Censurgebühren . . . . zu keiner Ablieferung von irgend einem Freiexemplar an eine Bibliothek verbunden. Jedoch verbleibt die Verpflichtung zur Abgabe eines Exemplars an den Censor.“

[7] Allein die ergänzende Allerhöchste Kabinettsordre vom 28. Dezember 1824 (G.-S. 1825 S. 2) bestimmte:

Nr. 5, daß . . . „jeder Verleger wiederum schuldig sein soll, zwei Exemplare jedes seiner Verlagsartikel, und zwar eines an die große Bibliothek hierselbst, daß andere aber an die Bibliothek der Universität derjenigen Provinz, in welcher der Verleger wohnt, unentgeltlich einzusenden. Bei der Verpflichtung zur Abgabe eines Exemplars an den Censor hat es sein Bewenden.“

[8] Dann folgte §. 6 des Preußischen Preßgesetzes vom 12. Mai 1851:

„An der bisherigen Verpflichtung des Verlegers, zwei Exemplare seine Verlagsartikel, und zwar eines an die große Bibliothek hierselbst, daß andere aber an die Bibliothek der Universität derjenigen Provinz, in welcher der Verleger wohnt, unentgeltlich einzusenden, . . . wird nichts geändert,“ –

endlich §. 30 Abs. 3 des Reichs-Preßgesetzes vom 7. Mai 1874, der im Anschluß an die Bestimmung des Abs. 2, dahingehend, daß das Recht der Landesgesetzgebung, Vorschriften über das öffentliche Anschlagen u. s. w. zu erlassen, „durch dieses Gesetz nicht berührt wird“ – weiter besagt:

„Dasselbe gilt von den Vorschriften der Landesgesetze über die Abgabe von Freiexemplaren an Bibliotheken oder öffentliche Sammlungen.“ [438]

Zu bemerken ist noch, daß die vor dem Preußischen Preßgesetz entlassene Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 vorgeschrieben hatte:

§. 3. „Vorbehaltlich der durch das Gesetz vom 30. Mai 1820 eingeführten Gewerbesteuer werden ferner aufgehoben aller Abgaben, welche für den Betrieb eines Gewerbes entrichtet werden, sowie die Berechtigungen, dergleichen Abgaben aufzulegen,“ –

und ebenso die vor dem Reichs-Preßgesetze erlassene Reichsgewerbeordnung vom 21. Juni 1869:

§. 7. „Vom 1. Januar 1873 ab sind . . . . aufgehoben:
Nr. 6 vorbehaltlich der an den Staat und die Gemeinde zu entrichtenden Gewerbesteuern alle Abgaben, welche für den Betrieb eines Gewerbes entrichtet werden, sowie die Berechtigungen, dergleichen Abgaben aufzulegen.“

[9] Während nun gegen die Zulässigkeit des §. 6 im Preußischen Gesetze von 1851 bei den Landtagsverhandlungen Bedenken aus §. 3 der Gewerbeordnung von 1845 niemals erhoben waren (vergl. die Vorgänge bei Hartmann und von Rönne a. a. O.), wurden solche allerdings bei der Berathung des §. 30 des Reichs-Preßgesetzes aus §. 7 Nr. 6 der Reichsgewerbeordnung geltend gemacht. Der Kommissionsbericht wollte die (dem jetzigen §. 30 Abs. 3 entsprechende) Bestimmung des §. 29 Abs. 2 des Entwurfs aus rechtlichen und Billigkeitsgründen streichen; dabei bemerkte der Bericht: „was frühere Zeiten anbelange, so möge immerhin in der Gewährung von Privilegien an Buchhändler und Verleger eine Gegenleistung für die jetzt noch geforderten Auflagen bestanden haben, heutzutage sei das nicht mehr der Fall.“ Auf den angeblichen Widerspruch des §. 29 Abs. 2 des Entwurfs mit §. 7 Nr. 6 der Reichsgewerbeordnung hatten Petitionen hingewiesen (sie die Motive zum Entwurf und den Kommissionsbericht). Der Reichstag stellte jedoch bei der Berathung die Bundesrathsvorlage (§. 29 Abs. 2 des Entwurfs) wieder her, indem angenommen wurde, daß die Verpflichtung zur Hergabe von Freiexemplare gegen die Vorschriften der Reichsgewerbeordnung §. 7 Nr. 6 nicht verstoße, weil sie sich [439] nicht als einen Abgabe, welche für den Betrieb eines Gewerbes entrichtet werde, darstelle, auch die Regelung dieser Vorschriften je nach Bedürfniß am füglichsten der Landesgesetzgebung zu überlassen sei (siehe Thilo, Preßgesetz, S. 120/1). Die Lehrbücher und Kommentare zum Reichs-Preßgesetz nehmen denn auch, soweit zu ersehen, ausnahmslos an, daß die landesgesetzlichen Bestimmungen über die Abgabe von Freiexemplare an die Bibliotheken noch geltendes Recht und der etwaigen anderweitigen landesgesetzlichen Regelung unterworfen seien (Thilo a. a. O., Berner, Lehrbuch des Deutschen Preßrechts, S. 333, Marquardsen, Kommentar S. 260 ff., von neueren Schriftstellern: Delius, Kommentar S. 113, Schwarze (1896) S. 237, Klöppel (1894) S. 144).

[10] Für die Ausführung der den Verlegern obliegenden Pflicht kommen in Betracht:

a) die bereits erwähnte Allerhöchste Kabinettsordre vom 28. September 1789, deren §. 5 auf die „durch Exekution zu bewirkende Nachlieferung“ neben einer Geldstrafe im Falle der Säumigkeit hingewiesen hatte;
b) der Ministerialerlaß vom 25. Februar 1840 (M.-Bl. d. i. V. S. 93), woselbst die Voraussetzungen und die Zeit der Leistungspflicht näher bestimmt sind;
c) der Erlass der Minister des Innern und der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten vom 4. August 1876 (Centralblatt der Unterrichtsverwaltung S. 527), welcher die Fortdauer der Verpflichtung der Verleger aus der Entstehungsgeschichte nachweist und die exekutivische Einziehung der Pflichtexemplare durch die Verwaltungsbehörden für unbedenklich erklärt.

[11] Im vorliegenden Falle hat der Kläger irgendwelche neue – nicht bereits bei der Berathung des Reichs-Preßgesetzes vom 7. Mai 1874 erörterte und dort für unzureichend befundene – Gründe dafür, daß die Verpflichtung nicht mehr zu Recht bestehe, weder in den Beschwerdeinstanzen noch im Streitverfahren beigebracht. Namentlich enthalten die Ausführungen einzelner Abgeordneten bei Gelegenheit der Etatsberathungen im Preußischen Abgeordnetenhause (Stenographische Berichte 1890/91 S. 2247 und 1898 S. 1526–1530) etwas Weiteres nicht als [440] die Auffassung, daß die Verpflichtung durch die Reichsgewerbeordnung in den Wegfall gebracht sei. Diesen Grund aber hat, wie erwähnt, der Reichstag nicht für zutreffend erachtet. Die Verpflichtung der Verleger kann hiernach unbedenklich als auch gegenwärtig noch bestehend anerkannt werden; sie wird als eine auf gesetzlichem Titel beruhende öffentliche Abgabe zur Unterhaltung öffentlicher Anstalten – der Königlichen Bibliothek und der Universitätsbibliotheken – im Sinne des §. 1 Nr. 6 der Verordnung wegen exekutivischer Beitreibung der . . . öffentlichen Abgaben u. s. w. vom 30. Juli 1853 (G.-S. S. 909) zu kennzeichnen sein. Eben deshalb ist zur Herbeiführung der Erfüllung der Verpflichtung des Verwaltungszwangsverfahren für anwendbar zu erachten, welches, da eine zu erzwingende Handlung in Frage steht, gegenwärtig (vergl. §. 1 Abs. 2 der zuletzt bezeichneten Verordnung) in §. 132 des Landesverwaltungsgesetzes geregelt ist.

[12] Die Universitätsbibliothek war daher befugt, den Kläger, in dessen Verlage die Bücher, um die es sich handelt, unstreitig erschienen sind, wegen Hergabe von Freiexemplaren in Anspruch zu nehmen, und nicht minder war die Polizeiverwaltung zu E. befugt, dem an sie gerichteten Ersuchen um Vollstreckung der „Administrativexekution“ zur Durchführung jenes Anspruchs zu entsprechen. Die hiergegen gerichtete Klage war nach den Ausführungen im Eingange der Begründung dieser Entscheidung unzulässig und unterlag deshalb der Abweisung.