Pomologische Monatshefte:1. Band:4. Heft:Der Führer in der Obstkunde auf botanisch-pomologischem Wege

Pomologische Monatshefte
Band 1, Heft 4, Seite 151–152
Eduard Lange
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Handbuch aller bekannten Obstsorten

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Der Führer in der Obstkunde auf botanisch-pomologischem Wege oder Systematische Beschreibung aller Obstsorten. Von Fr. Jac. Dochnahl, Verfasser des neuen pomologischen Systems etc. 1. Bd. Systematische Beschreibung aller Apfelsorten. Nürnberg, 1855. W. Schmidt’s Buch- und Kunsthandlung.[WS 1]

Die vorliegende Schrift zählt nicht weniger als 1263 Sorten auf, von denen jedoch wohl mehr als 100 auf verschiedennamige Identitäten zu rechnen seyn dürften, deren mir hier sehr viele aufgestoßen sind. Das Werk beginnt mit einem etwas überschwänglichen Vorwort, die Obstsorten als konstant und ewig und alle vom Standpunkt der Wissenschaft der Beschreibung würdig erklärend. Erst nachdem man sie alle richtig kennen gelernt habe, sey man im Stande, mit gehöriger Umsicht aus dem ganzen vorhandenen Schatze für jeden besonderen Fall die geeignete Obstsorte zu wählen. Gewiß eine sehr richtige Behauptung, die aber gleichwohl in der Welt, wie sie ist, ohne alle praktische Bedeutung bleiben wird. So wenig als ein hochgestellter Mann, der das Personal seiner Umgebung zu wählen hat, dazu sich ein beurtheilendes Verzeichniß aller vorhandenen Menschen herstellen läßt, um daraus dann die geeigneten Personen für jede Stelle auszuwählen, ebensowenig wird Dem, welcher eine Obstpflanzung anlegen will, mit einer Beschreibung aller vorhandenen Obstsorten praktisch gedient seyn. Freilich ist eine Geschichte der Menschheit nur dann wahrhaft vollständig, wenn sie das Leben aller Menschen, die bisher lebten, vollständig und getreu schildert. Aber auch angenommen, daß ein solches Werk möglich wäre, so würde dessen Durchlesung gewiß keinem Menschen möglich seyn. Genau dasselbe müßte auch das Schicksal einer Pomologie seyn, welche die Beschreibung aller bisher erzeugten Obstsorten enthielte. Unser scharfsinniger und erfahrener Verfasser sagt selbst ganz richtig, daß jeder Obstkern, sogar aus einer und derselben Frucht, eine neue Sorte erzeuge. Er wird also auch gewiß die Möglichkeit nicht in Abrede stellen, daß der erste beste Baumschulbesitzer, der nur einige Tausend Apfelwildlinge besitzt, behaupten könnte: Dochnahl habe 1263 verschiedene Apfelsorten beschrieben und manche staunten, daß es deren so viel geben sollte; allein er (der Baumschulbesitzer) besitze deren in seiner Baumschule noch mehr und zwar lauter neue, bisher noch unbeschriebene und selbst den gelehrten Pomologen unbekannte Sorten. Wie hier, so scheint den Verfasser sein Scharfsinn und wissenschaftlicher Absolutismus auch in der Aufbauung seines Systemes zu einer nicht recht praktischen Anordnung verleitet zu haben. Er errichtet nämlich zuerst ein logisch abgezirkeltes allgemeines Systemfachwerk, in welches dann nach seiner Forderung alle Apfelsorten gehörig vertheilt werden sollen und legt auf die Sicherheit und Uebersichtlichkeit nicht geringen Werth. Sehen wir nun ein wenig genauer nach, welchen Dienst dasselbe nicht sowohl dem die Masse des Einzelnen schon ziemlich beherrschenden und nur einer bequemen Anordnung derselben bedürfenden Pomologen, sondern vielmehr dem mit solcher Systematik und ihren Grundlagen weniger vertrauten Obstfreunde gewährt, der für irgend eine ihm vorliegende interessante Apfelsorte den richtigen Namen und eine zuverläßige, bündige Beschreibung sucht! Um nur zunächst zu entscheiden, unter welchem der vier Dochnahl’schen Hauptstämme der vorhandenen Apfelsorten er für seine Frucht den Namen zu suchen habe, muß er zunächst außer der Beschaffenheit der Frucht selbst (ob sie roh genießbar oder nicht) auch die des Baumes (ob groß- oder strauchartig) und seiner Blätter (ob 1. kahl oder behaart oder 2. wollig) in Erwägung ziehen. Ist dies erwogen und glücklich entschieden, so hat er unter 15 Hauptgattungen der Aepfel theils nach der Gestalt (ob rund oder gerippt), theils nach dem Kernhaus (ob eng oder weit), theils nach dem Geschmack (ob mit oder ohne Aroma) seine weitere Wahl zu treffen. Sollte die Frucht nun etwa ein später Winterapfel [152] seyn, der erst im Februar genießbar wird, so muß er Blätter und Zweige einstweilen bis dahin aufheben, um dann darüber entscheiden zu können, in welchem von den 15 verschiedenen Feldern er zunächst nach dem verlangten richtigen Namen seiner Frucht nachzuschlagen habe. Ob nun aber das Blatt eines Apfelbaumes wollig oder nur behaart, ob ein Apfel als gerippt oder nicht gerippt zu betrachten, ob sein Fleisch locker oder fest, seine Schale einfarbig oder mehrfarbig sey, darüber werden selbst geübte Pomologen, wenn die Prüfung zumal zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Exemplaren derselben Obstsorte geschieht, sehr oft verschiedener Meinung seyn, und es müßte in der That als ein außerordentliches Glück betrachtet werden, wenn ein schlichter Obstfreund in einer dieser Entscheidungsfragen nicht fehl griffe und gleich Anfangs die richtige der 15 Hauptgattungen träfe. Nur einige Belege für die hier obwaltende Schwierigkeit! So führt unser Verfasser den Danziger Kantafel unter Nr. 104. als einen deckfarbigen Calvill und die beiden ihm jedenfalls höchst ähnlichen und sehr wahrscheinlich mit ihm identischen Rosenäpfel, nämlich der Calvillartigen Winterrosenapfel (Nr. 467.) und Dittrich’s Winterrosenapfel (Nr. 484.) unter den rundlichen deckfarbigen Rosenäpfeln auf. Nun mag zwar der Verfasser die von den tüchtigsten Pomologen anerkannte Identität dieser drei Apfelsorten in Abrede stellen, das aber kann er auf keinen Fall läugnen, daß dieselben einander so ähnlich sind, daß selbst anerkannte Pomologen[WS 2] über ihre Identität schwanken. Wie soll nun aber der Nichtpomolog diese Früchte so gut zu unterscheiden vermögen, daß er die eine in Dochnahl’s systematischer Beschreibung richtig unter den Calvillen und zwar in Gattung 3, Rotte 3, und die beiden andern richtig unter den Rosenäpfeln und zwar in Gattung 7, Gruppe 2, Rotte 3. gehörig aufzufinden im Stande wäre? – Mir scheint dies jedenfalls ein Beweis der kaum zu vermeidenden Willkürlichkeit in der systematischen Zusammenstellung. Deßgleichen vermag ich auch den Gräfensteiner und den Sommerkönig ebensowenig von einander zu unterscheiden als Oberdieck. Unser Verfasser führt aber den erstern Nr. 78. unter den zweifarbigen Calvillen (Gattung 7, Gruppe 2, Rotte 1.) auf, während der zweite unter Nr. 423. unter die einfarbigen, runden oder platten Rosenäpfel gestellt ist. Den Schönen aus Westland aber (Nr. 642. und den Süßfranken 769 und 770., denn diese beiden sind identisch) würde ich wenigstens niemals, wie Dochnahl thut, unter die Reinetten rechnen, da sie offenbar nichts als rostlose Süßäpfel sind und der S. 123. von ihm an die Spitze der Reinetten gestellten Charakteristik keineswegs entsprechen. Dabei verkenne ich keineswegs die großen Schwierigkeiten, mit welchen der Verfasser bei der Aufstellung und Durchführung seines Systems zu kämpfen hatte. Diese werden sich aber auch mit verstärkter Gewalt denen entgegenstellen, welche sein Werk zur Orientirung der Obstwelt benutzen wollen. Kurz Dochnahl’s System weicht von allen bisherigen Zusammenstellungen um bloßer botanischer Abstraktionen willen entschieden ab, reißt oft das in der Natur nah zusammenhängende, wegen der blos angenommenen aber keineswegs bewiesenen Abstammung von ebenfalls nur angenommenen Urarten weit auseinander und führt dagegen andere sehr verschiedenartige Früchte in eine Gruppe zusammen. Es ist nicht durch fortschreitendes Zusammengruppiren des Verwandten und Aehnlichen von unten herauf gebaut, sondern es hat mit einem kühnen Griff zuerst ein logisches Fachwerk aus den hypothetischen Urarten der Aepfel errichtet, um darin dann die als Nachkommen derselben angenommenen Apfelsorten unterzubringen. Mir würde daher diese reiche und fleißige Sammlung von 1263 Apfelsortenbeschreibungen weit brauchbarer erscheinen, wenn die Zusammenstellung derselben statt nach diesem neuen botanischen System, lieber nach dem einfachen, übersichtlicheren, und sich an das Bisherige weit besser anschließenden Lucas’schen System[1] geschehen wäre, so gern ich auch zugestehe, daß die Neuheit und Ungewohnheit dieser Anordnung einigen Theil an der mir vielfach darin entgegentretenden Unbequemlichkeit desselben haben möge.

Was nun aber die Beschreibungen selbst anlangt, auf deren Beschaffenheit, sobald man sie nur erst glücklich aufgefunden hat, es doch bei Bestimmung einer einzelnen Obstsorte wesentlich ankommt, so sind diese den besten pomologischen Schriften entnommen und zeigen durchgehends die Kürze und Bündigkeit eines Pomologen, der seiner Sache wie der Sprache mächtig ist.

Prof. Ed. Lange.

  1. Es ist dieses kein neues System, sondern nur eine etwas genauere und bestimmtere Anordnung des Diel’schen.
    Ls.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der sichere Führer in der Obstkunde auf botanisch-pomologischem Wege oder Systematische Beschreibung aller Obstsorten. 4 Bde. Wilhelm Schmid, Nürnberg 1855–1860
  2. Vorlage: Pomolgen