Pomologische Monatshefte:1. Band:1. Heft:Was soll die Obstkunde leisten

Pomologische Monatshefte
Band 1, Heft 1, Seite 16–22,
unter: Pomologie
Gustav von Flotow
Pomologie
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Bemerkungen über die wichtigsten Tiroler Apfelsorten
[16]
Was soll die Obstkunde leisten und welchen Nutzen hat dieselbe für die Obstzucht?
Vom Herrn Geheimen Finanzrath G. von Flotow in Dresden.

Die Obstkunde oder Obstlehre (Pomologie) im weiteren Sinne, beschäftigt sich mit der Naturgeschichte der Obstarten und Obstsorten, im engeren Sinne mit der Kenntniß, Bestimmung und Unterscheidung der Obstarten und Obstsorten, während die Lehre von der Obstzucht die Erziehung, Pflege, Veredlung und Kultur der Obstbäume und Sträucher abhandelt. Die Obstkunde steht also in demselben Verhältniß zur Lehre von der Obstzucht, wie die Pflanzenkunde zur Lehre von dem Pflanzenbau, (Acker-Garten-Wald-Bau) und muß also in ihren Lehren von dem äußeren und inneren Wesen der Obstarten und Sorten, ihrer Entstehung, Ausbildung etc. ganz mit den allgemeinen Lehren der Pflanzenkunde übereinstimmen.

Der Gegenstand der Obstkunde beschränkt sich in Deutschland bekanntlich auf wenige Gattungen und Arten baum- oder strauchartiger Gewächse, deren Früchte in unserem Vaterlande gedeihen, und sowohl roh, als in mancherlei Zubereitungen genossen werden. Allein die Obstkunde hat es weniger mit diesen botanischen Gattungen und Arten zu thun, als mit den (wie bei unseren Feld- und Gartengewächsen und Hausthieren überhaupt) entstandenen Abarten, Varietäten oder Sorten, weil nur deren Früchte für die Obstzucht nach den verschiedenen Localitäten und Benutzungszwecken Werth haben, der Werth der Früchte der wildwachsenden ursprünglichen Gattung oder Art dagegen in den Regel von sehr geringer Bedeutung ist. Während also die Botanik sich hauptsächlich mit den Gattungen und Arten beschäftigt und die Abarten und Varietäten nur wenig berücksichtigt, handelt es sich in der Obstkunde hauptsächlich um die Kenntniß der daraus hervorgegangenen Abarten und Varietäten oder Sorten, besonders um die Früchte derselben.

Die Obstkunde muß daher, wenn sie wissenschaftlich betrieben wird, die allgemeinen Lehren der Botanik (die Naturlehre der Pflanzen etc.) als ihre Grundlagen annehmen, diese auf die Obstsorten, besonders auf die Früchte, als den eigentlichen Gegenstand der Obstkunde anwenden und weiter durchführen. Sie hat daher die Entwickelung, den äußern und innern Bau der Früchte genau darzustellen, alle Einwirkungen des Klima’s, der Localität, der Kultur etc. auf die Ausbildung und besonders Veredelung [17] derselben, so genau als möglich zu ermitteln, die Varietäten oder Sorten zu leichterer Uebersicht und Erkennung naturgemäß und systematisch zusammenzustellen und hierbei allenthalben nach wissenschaftlichen Grundsätzen zu verfahren, sodann aber auch die Brauchbarkeit der Sorten zu den verschiedenen Zwecken des Obstbaues und in den verschiedenen Localitäten anzugeben.

Man hat nun zwar schon lange Obstkunde, oder wie man gewöhnlich aus Vorliebe zu ausländischen Wörtern sagt, Pomologie, getrieben, und darüber manches Werk geschrieben; allein es ist dermalen anerkannter Weise (vgl. die Protokolle über die Naumburger Obstausstellung im Jahr 1853) eine große Verwirrung in der Pomologie, namentlich hinsichtlich der Kernobstsorten (auf welche sich das Folgende lediglich beschränkt) vorhanden. Der Unterzeichnete stimmt nun zwar völlig Dem bei, was hinsichtlich der dermalen herrschenden Verwirrung in der Pomologie gesagt worden, kann aber keineswegs Dem beipflichten, was über den Grund des Uebels gesagt und zu Abhülfe desselben angerathen und in Vorschlag gebracht worden und hat sich darüber bereits anderwärts ausgesprochen. Seiner Ansicht nach ist dieser Uebelstand hauptsächlich der seitherigen Art und Weise der Behandlung dieser Lehre zuzuschreiben, welche auf keine Weise den Forderungen, welche man an eine wissenschaftliche Lehre von den Kernobstsorten (Pomologie im eigentlichen Sinne) machen muß, entspricht, und es ist der anerkannten Verwirrung auf andere Weise, als vorgeschlagen worden, und zwar durch eine andere Behandlung der Kernobstkunde, als solche seither erfahren, abzuhelfen und darüber soll im Folgenden etwas nähere Erklärung gegeben werden.

Eine Wissenschaft wird schwerlich je durch die Reichhaltigkeit des Stoffes, wohl aber durch die Art und Weise der Behandlung desselben in ihren Fortschritten aufgehalten und behindert werden. Jedenfalls dürfte es an der Zeit sein, die Ursachen der gedachten Verwirrung genauer zu untersuchen. Nur wenn der Grund des Uebels richtig erkannt worden, werden sich auch die Mittel ergeben diesem Zustand abzuhelfen, und hiezu nach Kräften mitzuwirken, wird sich der Verfasser bestreben.

Betrachten wir zuvörderst den Gang, welchen die Kernobstlehre bei uns genommen. In Deutschland, dem Lande der Systematik, hat man sich schon frühzeitig bestrebt, Systeme der Pomologie überhaupt und der Kernobstsorten insbesondere aufzustellen. Man darf nur an Manger, Sickler, Christ, Diel erinnern[1]. Das Diel’sche System ist eine Zeit lang das in Deutschland allgemein geltende gewesen, theils wohl seines inneren Werthes wegen, theils und hauptsächlich, weil Diel zu gleicher Zeit durch seine, nicht weniger als 27 Bändchen einnehmenden Beschreibungen von Kernobstsorten und Versendung von Pfropfreisern und Bäumen eine solche Autorität erwarb, daß man die vielen Mängel und Schwächen seines Systems sowohl, als seiner Beschreibungen übersah, und die folgenden schriftstellernden Pomologen bis auf wenige, sich lediglich auf Diel stützten und dessen Angaben ohne weitere Prüfung nach- und abschrieben, (ja oft ohne dieses sehr einflußreichen Umstandes [18] zu gedenken) oder wenn sie in, wie z. B. Waiz (Annalen der Obstkunde der pomologischen Gesellsch. z. Altenburg. Bd. I. und II.) Verbesserungen des Diel’schen Systems vorschlugen, doch bei denselben und bei Einreihung der Sorten Diel’s Beschreibungen ohne Weiteres zu Grunde legten; ja es gibt jetzt noch Pomologen, welche jeden Zweifel an Diel’s Beschreibungen und Beobachtungen für ein Vergehen ansehen.

Nach und nach bemerkte man aber doch, daß das Diel’sche System weder logisch, noch naturgemäß sey; man bemerkte, daß so ausführlich und weitläufig auch die Beschreibungen sind, doch die angegebenen Kennzeichen nicht genügen; daß die Einreihung der Sorten selbst dem aufgestellten Systeme nicht entspreche, daß das angeblich Charakteristische der Sorten häufig auf sehr unwesentliche und zufällige Eigenschaften gesetzt und der Werth mancher Sorten viel zu hoch gestellt worden; daß manche Sorte zwei-, drei- und viermal in verschiedenen Zuständen beschrieben, große Verwechselungen vorgefallen seyen etc., kurz, daß es allenfalls möglich sey, sich aus Diel’s Schriften zu überzeugen, ob eine uns mit dem Namen vorliegende Frucht die von Diel unter diesem Namen beschriebene sey, schwerlich aber, oder nur zufälliger Weise gelingen könne, eine dem Namen nach unbekannte Frucht in seinem sogenannten Systeme und nach seinen Beschreibungen aufzufinden.

Zu gleicher Zeit wurde, durch die vielen (theils wirklich, theils angeblich) neuen Sorten der Belgier, Engländer, Amerikaner etc. durch die völlige Nichtbeachtung der Familiennamen (Calville, Reinette, Butterbirn, Dechantsbirn etc.) bei Benennung derselben und durch den unverantwortlichen Leichtsinn mit welchem man in Bekanntmachung und Anpreisung angeblich neuer, oft aber nur mit neuen Namen versehener Sorten, ohne vorherige genügliche Prüfung, verfuhr, und durch eine Menge anderer einwirkender Umstände, – deren Aufzählung zu langweilig sein würde, – die Verwirrung in der Kernobstkunde so groß, daß man von mehreren Seiten und namentlich bei der obengedachten Versammlung zu Aeußerungen und Anträgen gekommen ist, die wenigstens hinlängliches Zeugniß davon geben, wie verzweiflungsvoll der Zustand der Kernobstlehre Vielen erscheint.

Meiner Ansicht nach ist aber der dermalige bedauerliche Zustand der Kernobstlehre nicht der großen Vermehrung der Kernobstsorten, nicht der Verwirrung der Synonymik etc. sondern den schon zum Theil im Vorstehenden angedeuteten Fehlern, welche man bei der Bearbeitung der Kernobstkunde seither gemacht hat, zuzurechnen, und ich habe diese Ansicht nun weiter zu rechtfertigen und deßhalb diese Fehler kürzlich anzudeuten. Es wird sich daraus zugleich ergeben, wie und auf welche Weise die Kernobstkunde meines Dafürhaltens zu einem wissenschaftlichen Ganzen, – freilich nicht durch einen Einzelnen, sondern durch gemeinschaftliches Zusammenwirken Vieler, – wird erheben werden können, während jetzt, meiner Ansicht nach, nur Beiträge dazu, – wenn gleich mitunter sehr werthvolle – vorhanden sind.

Zuvörderst muß man sich doch darüber klar seyn, was man von der Kernobstkunde verlangt? – Außer der Darstellung des inneren und äußeren Wesens der Kernobstfrüchte und ihrer Stämme, wozu die Pflanzenkunde die Grundlagen geben muß, stelle ich an die Kernobstkunde die Forderung:

daß sie ein möglichst naturgemäßes System der Kernobstsorten aufstelle, in dasselbe alle bekannten und hinlänglich geprüften, [19] werthvollen Sorten nach den Familien und Verwandtschaften einordne, dem Zwecke entsprechende, alles Unnöthige aber vermeidende, Beschreibungen gebe, die charakteristischen Unterscheidungszeichen der zunächst verwandten ähnlichen Sorten gehörig heraushebe, und dem Zwecke genügende Abbildungen der Früchte beifüge; so daß es jedem, mit dem Systeme Vertrauten möglich werde, eine ihm unbekannte Sorte nach vorliegenden vollkommenen Früchten im System aufzufinden, oder sich zu überzeugen, daß diese Frucht noch nicht in das System aufgenommen ist, in diesem Falle aber ihr den ihr gebührenden Platz bestimmen zu können.

Statt auf dieses eine unerläßlich scheinende Ziel hinzuarbeiten, hat man sich begnügt, entweder sich auf Diel’s System, ungeachtet aller seiner anerkannten Mängel, zu stützen, oder neue Systeme, theils ohne alle Einreihung der Sorten, theils mit Einordnung derselben nach den Diel’schen Beschreibungen, aufzustellen, oder nur einzelne Beschreibungen angeblich werthvoller Sorten zu geben, ohne Rücksicht auf die bereits bekannten ähnlichen Sorten zu nehmen. Nirgends hat man die Sache von Grund aus anzugreifen versucht, ja man hat es sogar versäumt, sich vor Allem über manche Grundsätze und Grundbegriffe zu verständigen. Ich will nur Einiges erwähnen. – Ehe von einem Systeme der Kernobstsorten die Rede sein kann, ja ehe man an die Beschreibung einer einzelnen Sorte geht, sollte man doch wohl vorher darüber einig seyn:

1) ist es überhaupt und in wie weit angemessen und nöthig, die Vegetation der Sorten und nicht bloß die Frucht, auf welche es doch in der Obstkunde hauptsächlich ankommt, bei der Beschreibung und Klassifikation zu berücksichtigen?

2) welche Einwirkungen haben Standort, Erziehungsweise und Pflege auf das Aeußere und Innere der Frucht?

3) was versteht man unter einer vollkommenen Frucht, – denn nur von vollkommenen Früchten kann doch die Rede seyn – und was ist unter der Normalform einer Sorte zu verstehen und wie ist solche auszumitteln?

4) welche Eigenschaften oder Eigenheiten der Früchte sind als wesentlich und charakteristisch, welche dagegen als unwesentlich anzusehen, und in welcher Ausdehnung kann die eine oder andere also zur Eintheilung und Unterscheidung benutzt werden?

Da man aber dieses Alles und mehreres Andere übersehen zu haben scheint, wenigstens fast gänzlich unbeachtet gelassen hat, so konnte es freilich nicht fehlen:

ad 1) daß Einige auf die Vegetation der Sorten den meisten Werth legten, und sich daher abmühten Blätter, Afterblättchen, Knospen, Triebe etc. scheinbar auf das Genaueste zu beschreiben, während Andere – wohl beachtend, daß die Frucht das eigentliche Object der Pomologie ist und man gar häufig Früchte vor sich hat, ohne zugleich den Baum der sie trug, untersuchen zu können, und daß auch die Vegetation des Baumes denselben und noch wesentlicheren äußeren Einflüssen unterliege, als die Frucht, – die Vegetation nur in soweit berücksichtigen, als solche überhaupt dem Obstzüchter von Interesse seyn kann und besonders bezeichnende, zur Unterscheidung der Sorten dienliche Eigenheiten darbietet;

ad 2) daß man nach einzelnen vorliegenden Früchten, nach den Früchten eines einzigen Jahres Beschreibungen derselben fertigte und solche so schnell als möglich verbreitete; daß man glaubte die Kernobstsorten am besten an Topfbäumchen, oder auf [20] Quitte oder Johannisstamm stehenden Zwergstämmen, Spalierbäumen etc. beobachten zu können und hiernach Beschreibungen und Abbildungen lieferte, während doch nicht nur der Einfluß fremdartiger Unterlagen auf die Frucht unverkennbar, sondern auch die Einwirkung auf die Früchte der Topfbäumchen etc. durch die Stellung derselben, mehr oder minder nahrhaften Guß, Ausbrechen der Früchte etc. von großer Bedeutung ist und von der Willkür des Obstzüchters abhängt, daher auch nur Früchte vom Hochstamm auf Wildling stehend zur Beschreibung und Abbildung brauchbar seyn können, zugleich aber auch eine mehrjährige Beobachtung der Früchte einer Sorte dazu gehört, um eine richtige Beschreibung und Abbildung derselben zu liefern;

ad 3) daß man fast überall von der großen Verschiedenheit der Form der Früchte eines Baumes liest; daß der Eine nur große Früchte für vollkommene hält; der Andere von einem Bauch und Rücken des Apfels spricht, (obschon ein solcher Gegensatz, der Konstruktion der Frucht nach, gar nicht stattfinden kann) wieder ein Anderer die Ungleichheit der Hälften der Frucht oder die Unregelmäßigkeit des Kernhauses, als Kennzeichen annimmt etc.; daß die meisten, selbst die kostbarsten Kupferwerke über Kernobstsorten, und nicht weniger die Nachbildungen derselben in Wachs, Papiermasse etc., in großer Zahl Abbildungen von unvollkommenen, mißgebildeten, oder monströsen Früchten enthalten, und daher, und weil sie die Form der Frucht nur selten rein darstellen, und das Wesentliche oft gar nicht sichtbar wird, nur wenig brauchbar sind; daß oft unreife, mithin unvollkommene Früchte zur Beschreibung und Abbildung gewählt wurden etc. etc.; während doch nur eine völlig naturgemäß ausgebildete Frucht, als vollkommen angesprochen werden kann, und unter gehöriger Berücksichtigung dessen jede Sorte eine Normalform besitzt;

ad 4) daß der Eine etwas mehr oder weniger Färbung, der Andere die Größe, der Dritte eine fettige Schale, der Vierte einen offenen, halb- oder ganz geschlossenen Kelch, der Fünfte Größe oder Enge des Kernhauses (ohne diese Begriffe genau festzustellen) etc. für hinlänglich zu Unterscheidung der Sorten oder Ordnungen hält, während alles dieses, bei genauer Betrachtung, theils als unwesentlich, theils als von der Behandlung und also von der Willkür des Obstzüchters abhängig, zur Klassifikation unbrauchbar ist.

Nimmt man nun noch dazu, daß man bei den seitherigen Bearbeitungen der Kernobstsorten nur selten angegeben hat, unter welchen Localumständen die Früchte erbaut worden; welche zu der Beschreibung und Abbildung gedient haben, und oft durch stillschweigende Annahme und Abkürzung der Diel’schen Beschreibungen, der Leser veranlaßt wird zu glauben, daß diese Beschreibungen von dem Verfasser der Schrift nach seinen Beobachtungen gemacht, oder wenigstens bestätigt gefunden worden seyen; überzeugt man sich, daß man nicht einmal die für die Klassen und Ordnungen aufgestellten Kennzeichen bei Einordnung der Sorten festgehalten, ja zuweilen eben diese Kennzeichen wieder als nicht specifisch erklärt hat; bemerkt man, wie unglücklich Diel und manche andere Pomologen in der Vergleichung gewisser Sorten mit anderen bekannten waren, und wie das Studium der Kernobstkunde selbst durch die fehlerhafte, jede Uebersicht erschwerende Eintheilung und Ausführung der namhaftesten Obstwerke, namentlich Diel’s und Dittrich’s, erschwert wird; bedenkt man, wie leichtsinnig man bei der Benennung neuer [21] Obstsorten verfuhr und noch täglich verfährt, und übersieht man nun dieses Alles, – der absichtlichen oder unabsichtlichen Täuschungen durch Anpreisung bereits bekannter oder werthloser Sorten, mit hochtönenden Namen, gar nicht zu gedenken; – so ist der dermalige Zustand der Kernobstlehre, die dermalen herrschende Verwirrung in den Kernobstsorten, (oder eigentlich die immer noch vorhandene Unordnung derselben, da eine Ordnung noch nie stattgefunden) nicht zu verwundern, wohl aber dürfte sich klar darstellen, daß Jeder dem die Beförderung der Obstlehre Ernst ist, dahin zu streben habe, daß künftig diese Fehler vermieden und das seither Versäumte nachgeholt werde; daß man sich über die Grundlagen der Pomologie verständige und auf ihnen gemeinschaftlich, – sey es auch nach verschiedenen systematischen Eintheilungen – fortbaue. Immer aber wird man dabei beachten müssen, daß es nicht genug sey, die Kernobstsorten blos in das System einzuordnen, sondern daß auch jede Sorte innerhalb der Abtheilungen nach ihrer Verwandtschaft und Aehnlichkeit zusammengestellt, die ähnlichen Sorten mit einander verglichen und die Unterscheidungszeichen genau angegeben werden müssen, was schon Diel als sehr wichtig erkannte und zu liefern versprach, aber nicht leistete. (Diel Heft I. S. 35.) Nur auf diese Weise wird es möglich seyn über Identitäten der Obstsorten richtig zu entscheiden.

Hat man sich über die vorstehend angedeuteten und vielleicht über noch einige andere geringere Punkte verständigt, so wird es nicht so schwer halten, die Kernobstsorten, soweit sie überhaupt Berücksichtigung verdienen, nach und nach in ein angemessen construirtes System einzuschalten, und es wird auch nichts zu sagen haben, wenn mehrere Systeme neben einander bestehen.

Allerdings wird man nicht vergessen dürfen, daß man es in der Obstkunde nur zum Theil mit Bastarden im weiteren Sinne, d. h. mit Abkömmlingen (Sämlingen) zweier verschiedener Arten, oder wenigstens verschiedener Varietäten, zum großen Theile aber mit Varietäten, d. h. durch Klima, Standort, Kultur, Pflege etc. entstandenen Sorten (Spielarten) zu thun hat, und also noch weniger, als in der Botanik, von scharfen Abgränzungen die Rede seyn kann, vielmehr naturgemäß überall Uebergänge vorhanden seyn müssen und täglich sowohl Fortschritte in der Verbesserung der Sorten, als auch Rückschritte, vorkommen können, ebenso aber auch bereits vorhandene Sorten, oder ihnen bis auf Kleinigkeiten ähnliche, aus Samen erzogen werden können.

Der Verfasser, welcher seit mehr als 40 Jahren Pomologie als Lieblingsstudium mit immer wachsender Liebe betreibt, hat im Vorstehenden seine Ansichten über den Zustand der Kernobstlehre frei und unbefangen ausgesprochen und hat dieß, bei der dermaligen Krisis derselben, der Sache schuldig zu seyn geglaubt. Möge das pomologische Publikum diese Aeußerungen günstig aufnehmen und nicht unbeachtet lassen, daß Erkennen des noch zu Leistenden, nicht Verkennen des bereits Geleisteten ist. Uebrigens wird es sich derselbe zum Vergnügen machen, auf die angedeutete Weise zur Beförderung der Obstkunde, und namentlich der Kernobstkunde, das Seinige beizutragen.

Fragt man nun: welchen Nutzen hat die Obstkunde für die Obstzucht? so dürfte sich die Beantwortung aus der Sache selbst leicht ergeben. Die Obstkunde soll die Obstsorten systematisch und naturgemäß zusammenstellen. Bei dieser Zusammenstellung kann sie, wenn sie wissenschaftlich [22] verfahren will, zwar keineswegs auf die Verwendung der Sorten und ihren Gebrauchswerth Rücksicht nehmen (obschon dieß mehrmals verlangt und versucht worden); wohl aber kann und soll sie in der Beschreibung der einzelnen Sorten, die Erfahrungen über den Wuchs der Bäume, über das Gedeihen derselben in mildem, rauhem und kaltem Klima, über die Tragbarkeit und den Gebrauchswerth der Sorten aufnehmen, und auf diese Weise dem Obstzüchter die Auswahl der für seine Verhältnisse und Zwecke brauchbarsten Sorten erleichtern. Allerdings wird für den gewöhnlichen Obstbauer das Studium der Obstkunde nicht geeignet sein, so wenig wie das Studium der Botanik für den gewöhnlichen Landbauer. Beide ziehen aber demungeachtet Vortheile von diesen Wissenschaften. Ohne genaue Kenntniß der großen Anzahl der vorhandenen Obstsorten und der Einwirkungen der Natur und Kultur auf dieselben, kann man weder das vorhandene Beste übersehen, noch sich über eine Sorte gehörig verständigen, noch auch hinsichtlich der Erziehung neuer Sorten oder der Veredelung der vorhandenen sichere Fortschritte machen. Ueber alles dieses genaue Auskunft zu geben, jede Sorte so zu bezeichnen, daß eine Verwechselung mit anderen nicht leicht stattfinden kann, ihre Eigenschaften, ihr Verhalten in Rücksicht auf Klima, Boden, Standort etc. zu beobachten und anzugeben und ihren Gebrauchswerth anzudeuten, ist Sache der Pomologie, wenn sie den obigen Forderungen entspricht. Sache einzelner gebildeter Obstzüchter und der Localvereine wird es aber seyn, hiernach das, den speciellen Verhältnissen und Zwecken eines Jeden Angemessenste zu wählen, bekannt zu machen und zu verbreiten, und besonders wird es den pomologischen Vereinen obliegen, die nach den verschiedenen Localverhältnissen und Gebrauchszwecken empfehlenswerthesten Obstsorten zu verbreiten, deren sichere Beziehung zu vermitteln und auf diese Weise dahin zu wirken, daß überall das Angemessenste gebaut werde.

Die Obstkunde, und mit Hülfe derselben, die pomologischen Vereine, die Staatsbaumschulen etc. müssen den Obstzüchter verwahren, daß er nicht statt einer werthvollen Sorte eine werthlose, statt einer angepriesenen, angeblich neuen Sorte eine in der Gegend bereits vorhandene, alte Sorte etc. erhalte, und Geld, Zeit und Mühe vergeblich auf Anziehung oder Anschaffung von Sorten verwende, die seinen Verhältnissen und Zwecken nicht entsprechen können.

Das Kostbarste von Allem ist die Zeit. Dieser alte Satz gilt hauptsächlich auch in der Landwirthschaft, und namentlich bei der Pflanzen- und Thierzucht, ganz besonders aber bei dem Obstbau, wo man im günstigsten Falle erst nach drei, oft erst nach sechs und mehr Jahren ersieht, ob man Das wirklich hat, was man zu haben wünscht. –

Die Obstkunde wird auch die Erfahrungen, welche bei der Obstzucht gemacht worden sind, stets berücksichtigen, solche aber erst nach gehöriger Prüfung in ihre Lehren aufnehmen und benutzen.

In dieser Weise werden Obstkunde und Obstzucht Hand in Hand gehen und beide immer zu weiterer Verbesserung und Ausbildung fortschreiten, ohne daß es einer unnatürlichen Beschränkung der einen oder andern bedarf.

Möchten die Pomologen obige Rathschläge einer nähern Berücksichtigung werth halten!





  1. Die Ausländer haben sich mit Systemen der Kernobstsorten meines Wissens nicht befaßt, wohl aber haben die Franzosen zuerst dieselben in gewisse, und zwar zum Theil glücklich gewählte natürliche Familien (wenn schon dieselben nicht genau genug bezeichnet sind) geordnet. Doch war damals allerdings die Zahl der Sorten noch sehr gering.
    v. F.