Organisation Oberste Staatsbehörde (Großh Hess)(1821)

Gesetzestext
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Titel: Verordnung über die Organisation der obersten Staatsbehörde.
Abkürzung:
Art:
Geltungsbereich: Großherzogtum Hessen
Rechtsmaterie:
Fundstelle: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt 1921 S, 179-186
Fassung vom: 22. Mai 1821
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 1. Juni 1821
Inkrafttreten:
Anmerkungen:
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Verordnung über die Organisation der obersten Staatsbehörde.

LUDEWIG von Gottes Gnaden Großherzog von Hessen und bei Rhein etc. etc.

Da die von Uns beschlossene Trennung der Ministerien in drei Departements, das des Innern und der Justiz, das der auswärtigen Angelegenheiten und Unsers Großherzoglichen Hauses und das der Finanzen, eine Modification der bisherigen Organisation des Ministeriums und seines Geschäftsganges erfordert, so verordnen Wir

I.
Das Ministerialdepartement des Innern und der Justiz umfaßt folgende Gegenstände:

 A.

1.) die Aufsicht auf die gesammte Regierungsverwaltung und Polizey und die Erlassung der Reglementar-Verfügungen, welche hierauf Bezug haben, daher
2.) die Correspondenz mit den Regierungen und, erforderlichen Falls, mit deren Chefs;
3.) die Aufsicht auf das Gemeindewesen und die Corporationen;
4.) den Vicinalweg-, den Communal- Wasser- und Brückenbau;
5.) die Aufsicht über Annahme und Entlassung der Unterthanen;
6.) die bürgerlichen und sonstigen Verhältnisse der Bekenner des mosaischen Glaubens;
7.) die Indigenats-Ertheilungen;
8.) die Leitung des Rekrutirungswesens, insofern sie durch das Gesetz der Civilbehörde überwiesen ist;
9.) den Cultus;
10.) den öffentlichen Unterricht;
11.) die Aufsicht über die Presse;
12.) das Medicinal-Wesen und die Medicinal-Polizey;

[180]

13.) das Armen-Wesen und die Verfügung über die zur Disposition der Regierung stehenden Mildthätigkeit-Fonds;
14.) die öffentliche Sicherheit;
15.) die Verwendung des Landschützen- und Landdragoner-Corps;
16.) die Oberaufsicht über die Gefängnisse, Zucht und Besserungs-Häuser;
17.) die Landes-Cultur und Industrie-Gegenstände;
18.) das Landgestüt;
19.) den Handel, die Manufacturen, Fabriken, Gewerbe überhaupt und das Zunftwesen;
20.) Maaß und Gewicht;
21.) die Lehenssachen;
22.) die Adels- und Wappen-Verleihungen;
23.) die Titelverleihungen, insofern sie nicht Ausländer oder Personen betreffen, die einem andern Ministerialdepartement untergeordnet sind;
24.) die öffentlichen Gebäude, die nicht zu der Domänen- oder Militärverwaltung gehören;
25.) das Regierungsblatt und die Aufsicht über die Intelligenzblätter;
26.) die inneren Hoheitssachen, die nicht dem Finanz-Ministerio überwiesen sind, insbesondere die staatsrechtlichen Verhältnisse zu den verschiedenen Klassen der Staats-Bürger und zu den Landständen im Allgemeinen;
27.) die Anstellung und Entlassung aller zu den vorstehenden Dienst-Zweigen verwendeten Individuen;
28.) die Dienst-Polizey über dieselben;
29.) die Verfügung über die der Verwaltung des Innern budgetmäßig zugewiesenen Summen;
30.) die Verhandlungen mit den Landständen über Gegenstände des Departements des Innern und über das Ausgabe-Budget desselben.

 B.

1) die Aufsicht über sämmtliche Ober- Mittel- und Unter-Gerichte im Großherzogthum und die Anstellung oder Bestätigung aller bei denselben verwendeten Personen, daher
2.) die, der Justiz-Organisation entsprechende Correspondenz mit den Justiz-Behörden;
3.) die Aufsicht über die Advocaten und die, welche die willkührliche Gerichtsbarkeit ausüben, so wie deren Anstellung;
4.) die Erledigung der Recurse wegen verzögerter oder verweigerter Justiz;
5.) die Begnadigungsgesuche aller Art, insofern sie sich nicht auf den Erlaß von Disciplinarstrafen, die in dem Wirkungskreise eines andern Ministerial-Departements, oder solcher Strafen, die in Gemäßheit finanzieller Gesetze erkannt sind, beziehen;

[181]

6.) Errichtung von Majoraten oder Familien-Fidei-Commissen, Consens zu Veräußerungen der Letzteren, Legitimationen unehelicher Geburten, Moratorien und die Verwilligung aller gesetzlich zuläßigen Ausnahmen von den Gesetzen;
7.) die Verfügung über die, der Verwaltung der Justiz budgetmäßig zugewiesenen Summen;
8.) die Verhandlungen mit den Landständen über Gegenstände des Justiz-Departements und über das Ausgaben-Budget desselben.
II
Dem Ministerial-Departement der auswärtigen Angelegenheiten und Unsers Großherzoglichen Hauses sind folgende Geschäfte übertragen:
1.) die Angelegenheiten Unsers Großherzoglichen Hauses und Unserer Familie;
2.) die Correspondenz und die Unterhandlungen mit auswärtigen Staaten und mit den bei Unserm Hofe accreditirten diplomatischen Personen;
3.) die Correspondenz mit Unsern Gesandten und diplomatischen Agenten an auswärtigen Höfen und deren Anstellung;
4.) die Unterhandlung und Abschließung aller Staats-Verträge, sowie die Correspondenz mit andern Höfen zur Ausführung oder Aufrechthaltung dieser Verträge;
5.) die Bundestags-Angelegenheiten;
6.) das Postwesen;
7.) die Oberaufsicht über das Haupt-Staats-Archiv;
8.) die Rheinschiffahrts-Angelegenheiten;
9.) die Aufsicht über die politischen Zeitungen;
10.) die Legalisation öffentlicher Acten, welche im Auslande gebraucht werden sollen;
11.) die Ertheilung der Pässe;
12.) die Dienstpolizey, über alle bei dem Departement verwendete Personen;
13.) die Verfügung über die der Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten budgetmäßig zugewiesenen Summen;
14.) die Verhandlungen mit der Ständeversammlung in allen Gegenständen dieses Departements.
III.
Das Ministerial-Departement der Finanzen hat folgenden Geschäfts-Kreis:
1) die Leitung der gesammten Finanz-Verwaltung und die Erlassung der Reglementar-Verfügungen, welche darauf Bezug haben;

[182]

2.) die Correspondenz mit den Finanzbehörden und, geeigneten Falls, mit deren Chefs;
3.) die Anstellung und Entlassung der zu diesem Dienstzweige verwendeten Personen und die Dienstpolizey über dieselben;
4.) die oberste Verwaltung sämmtlicher Domänen und Regalien;
5.) das ganze directe und indirekte Steuer-Wesen;
6.) die Münze;
7.) die Lotterie;
8.) die Staatsschuld;
9.) das gesammte Staats-Kassen und Cautions-Wesen;
10.) das gesammte Staatsrechnungs-Wesen;
11.) die Aufstellung des Staatsbudgets und die Sorge für dessen Befolgung;
12.) die Anweisung der Summen, welche die Civilliste bilden oder den übrigen Ministerial-Departements zur Verfügung überwiesen sind;
13.) den Wasser- Straßen- und Brücken-Bau, insofern er auf öffentliche Kosten betrieben wird;
14.) die Gnaden-Erlasse von Strafen, die in diesem Verwaltungs Zweig erkannt worden;
15.) die Verhandlungen mit den Landständen über Gegenstände dieses Departements.
IV.
So oft ein, nach Obigem der besonderen Leitung eines Ministerial-Departements anvertrauter Geschäftsgegenstand in enge Berührung mit dem Geschäftskreise eines andern Departements tritt, haben sich beide Departements mit einander zu benehmen und erforderlichen Falls zur gemeinschaftlichen Berathung zusammen zu treten.
Im Falle einer nicht zu lösenden Verschiedenheit der Ansichten zwischen diesen beiden Departements ist die Sache an das Plenum des Ministeriums zu bringen, welches, wenn auch hier keine Vereinigung Statt findet, an Uns zu berichten hat.
V.
Sämmtliche Ministerial-Departements haben sich zu einem aus den Ministern und den in den einzelnen Departements angestellten Geheimen Staatsräthen bestehenden Pleno zu vereinigen.
1.) wenn der Sinn eines Artikels der Verfassungs-Urkunde oder der dieselbe ergänzenden Gesetze zweifelhaft wird und verschiedenartigen Auslegungen desselben durch eine gemeinschaftliche Berathung vorzubeugen ist;
2.) wenn Geschäftsgegenstände vorkommen, bei welchen sämmtliche Departements auf [183] gleiche Weise interessirt sind, oder die beiden zunächst interessirten Departements sich nicht vereiniget haben; (IV.)
3.) zur Berathung des von dem Finanz-Departement aufgestellten Staats-Budgets, welches Uns, vor der Uebergabe an die Stände, mit dem Gutachten des gesammten Ministeriums vorzulegen ist;
4.) wenn über Einberufung, Schließung, Vertagung oder Auflösung der Ständeversammlung und den Landtagsabschied zu berathen ist;
5.) wenn Wir ausdrücklich, von dem gesammten Ministerio ein Gutachten verlangt haben. Die Departements können endlich
6.) zusammentreten, wenn ein Minister wegen besonderer Wichtigkeit und Schwierigkeit eines zu seinem Departement gehörigen Gegenstandes eine ausgedehntere Berathung desselben wünscht und verlangt.
VI.
Jedem Ministerialdepartement steht in der Regel ein Minister unter Unsern unmittelbaren Befehlen vor.
Im dem Departement des Innern und der Justiz, so wie in dem der Finanzen, soll wenigstens ein Staatsrath mit Sitz und Stimme, zur Bearbeitung der zu dem Departement gehörigen Geschäfte angestellt seyn, welcher alsdann den Titel Geheimer Staatsrath annimmt.
Wir behalten Uns jedoch vor, mehrere Geheime Staatsräthe mit gleicher Obliegenheit und Berechtigung in einem Departement verwenden zu können und werden dieses, hinsichtlich der dermalen in Unserem gesammten Ministerio angestellten, welche Wir nicht zu anderen Stellen befördern, mit Bezeigung Unserer besonderen Zufriedenheit mit ihren bisherigen Dienstleistungen, thun.
Bei dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten gehören die unter II. 1. 2. 3. und 11. aufgeführten Geschäfte zum ausschließenden Wirkungskreise des Ministers, und nur die übrigen dort benannten Gegenstände gehören zur Departementsverwaltung, bei welcher, je nachdem Wir es für gut finden, auch ein Geheimer Staatsrath angestellt seyn kann.
Wenn der oder die in einem Departement angestellten Geheimen Staatsräthe nicht die gesammte in demselben vorkommende Arbeit zu bestreiten vermögen, so werden Wir diesem Departement noch Ministerialräthe (mit dem Rang Geheimer Regierungsräthe) als vortragende und arbeitende Räthe, jedoch mit einer bloß berathenden Stimme, beigeben.
VII.
Der mündliche Vortrag an Uns, über die Gegenstände, welche in den Wirkungskreis eines Departements einschlagen, steht dem Minister zu, welcher demselben vorsteht, und eben so die Direction des Departements.

[184]

Gesetze und von Uns ausgehende Verfügungen hat derjenige Minister zu contrasigniren, in dessen Departement sie einschlagen. Derselbe hat auch alle die von diesem Departement ausgehenden Instructionen und definitive Befehle und Verfügungen allein zu unterzeichnen.
Wenn ein Minister durch Abwesenheit, Krankheit oder andere Ursachen verhindert ist, und Wir keinen besondern Stellvertreter für ihn ernennen, so contrasignirt und unterzeichnet statt Seiner, mit dem Zusatz: „wegen Verhinderung des Ministers“ derjenige Geheime Staatsrath des Departements, zu dessen Referat der Gegenstand gehört, in allen andern Sachen der älteste Geheime Staatsrath.
Die Berichte, welche von Seiten eines Departements an Uns zu erstatten sind, haben nebst dem Minister die Geheimen Staatsräthe desselben zu unterzeichnen, aber nicht die Ministerialräthe.
Jeder Minister ist ermächtiget, so oft er es für nöthig erachtet, einen Ministerialrath seines Departements zu Erstattung ausführlicherer Vorträge und zum Beiwohnen bei der Berathung, in die Plenarsitzung des Ministeriums oder des Staatsraths einzuführen. Der Ministerialrath hat jedoch in diesem Falle die Sitzung wieder zu verlassen, sobald die Berathung des Gegenstandes, den er vorzutragen hatte, beendigt ist.
VIII.
Jeder Minister ist für das, was seinem Departement zu respiciren obliegt, und für alles, was von seinem Departement ausgeht, verantwortlich.
Hierdurch soll aber weder die Verantwortlichkeit der übrigen Mitglieder seines Departements gemindert, noch auch dem gerichtlichen Urtheile in dem Falle präjudicirt werden, wo der Minister sich auf rechtliche Entschuldigungsgründe und namentlich darauf berufen zu können glaubt, daß er durch einen in facto unrichtigen Vortrag des Referenten irre geleitet worden sey.
In den Fällen, in welchen die Geheimen Staatsräthe, nach dem im vorigen Artikel Gesagten, zu contrasigniren und zu unterzeichnen haben, gilt von ihnen alles das, was hier von den Ministern gesagt ist.
Wenn ein Minister im Fall einer Meinungsverschiedenheit in dem Departement sich der Majorität nicht conformiren will, so gehört es zu den Berechtigungen desselben, den in Berathung stehenden Gegenstand an das Plenum des Ministeriums zu bringen.
IX.
Neben dem Ministerio soll ein Staatsrath bestehen.
Der Wirkungskreis des Staatsraths ist theils berathend, theils entscheidend, nie ausführend; [185] vielmehr liegt die Ausführung seiner Beschlüsse, wenn es einer solchen bedarf, demjenigen Ministerialdepartement ob, in dessen Geschäftskreis der Gegenstand einschlägt; auf welches daher auch die Verantwortlichkeit übergeht.
A.) Berathend ist der Staatsrath
1.) bei allen Gesetzesentwürfen, welche zwar in der Regel in demjenigen Ministerialdepartement, dessen Geschäftskreis sie berühren, vorbereitet werden, deren endliche Berathung und Redaction aber dem Staatsrathe obliegt. Dieses gilt namentlich auch von dem Finanzgesetz.
2.) Bei neuen Organisationen der Justiz- und Verwaltungsbehörden, zu welchen die Vorschläge und Vorbereitungen zwar in der Regel von dem einschlagenden Ministerialdepartement ausgehen, deren endliche Begutachtung jedoch (mit Ausnahme dessen, was das anzustellende Personal betrifft) dem Staatsrathe zusteht.
B.) Entscheidende oberste Behörde ist der Staatsrath
1.) in Competenzstreitigkeiten zwischen Justiz und Verwaltungsbehörden;
2.) in allen Recursen von den Entscheidungen der Verwaltungsbehörden in Administrativ-Justizsachen. Wonach daher Unser Geheimes Staatsministerium diejenigen Recurse dieser Art, deren Erledigung demselben nach den bisherigen Einrichtungen oblag, nicht mehr anzunehmen hat und die für Rheinhessen bestellte Appellationscommission in Administrativ-Justizsachen aufgelöst ist.
3.) In den Fällen, wo der Art. 23. des Edicts vom 12. April 1820. über die öffentlichen Dienstverhältnisse der Civilstaatsbeamten, bei solchen Staatsdienern Anwendung findet, welche selbst Mitglieder eines Ministerialdepartements sind.
Ueberall, wo der Staatsrath berathend ist, sind im Falle getheilter Meinungen die Gründe der Minderzahl umständlich zu entwickeln; da aber, wo er entscheidende Behörde ist, seinen Beschlüssen die Entscheidungsgründe, beizufügen.
X.
Den Staatsrath bilden
1.) Unser Groß- und Erbprinz und diejenigen Prinzen Unseres Hauses, welchen Wir den Zutritt zu demselben auftragen;
2.) die Minister;
3.) die Geheimen Staatsräthe, welche in einem Ministerialdepartement angestellt sind;

[186]

4.) diejenigen Staatsräthe, welche Wir bloß mit der Bestimmung, Mitglieder des Staatsrathes zu seyn, etwa anstellen könnten;
5.) einige Staatsdiener, welche Wir neben ihrem eigentlichen Staatsamte zu außerordentlichen Staatsräthen zu ernennen geruhen, deren Ernennung jedoch immer nur für ein Jahr verstanden ist, und daher, wenn sie nicht erneuert wird, nach dessen Ablauf erlischt;
6.) ein Generalsecretär des Staatsraths.
Zum Präsidenten des Staatsrats werden Wir jedesmal einen Unserer Minister ernennen; im Uebrigen besteht unter den Mitgliedern desselben, als solchen, kein Subordinations-Verhältnis.
Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und beigedruckten Staatssiegels.
Darmstadt den 28ten May 1821.
(L. S.)
LUDEWIG.
von Grolman.