Oberlandesgericht Hamm - Steuerbescheinigung als Verkäufernebenpflicht

Entscheidungstext
Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Ort:
Art der Entscheidung: Urteil
Datum: 5. Juli 1974
Aktenzeichen: 20 U 227/73
Zitiername:
Verfahrensgang:
Erstbeteiligte(r):
Gegner:
Weitere(r) Beteiligte(r):
Amtliche Fundstelle:
Quelle: Scan von MDR 1975, Heft 5, S. 401
Weitere Fundstellen:
Inhalt/Leitsatz:
Zitierte Dokumente:
Anmerkungen: Zur „Unzumutbarkeit“ siehe etwa Bundesgerichtshof, 10. November 1988, VII ZR 137/87, Leitsatz: „Bei jeder zweifelhaften Steuerrechtslage ist es dem Leistenden regelmäßig nicht zuzumuten, eine Rechnung nach § 14 Abs. 1 UStG auszustellen, die unter Umständen nach der Beurteilung des zuständigen Finanzamts unberechtigt ist und ihn der Steuer nur aufgrund der Sanktion des § 14 Abs. 3 UStG unterwirft (im Anschluß an BGHZ 103, 283 = NJW 1988, 2042).“
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Ist der Käufer, um einen mit dem Kaufgegenstand im Zusammenhang stehenden Steuervorteil ausnutzen zu können, auf eine bestimmte, von den Finanzbehörden geforderte Bescheinigung des Verkäufers angewiesen, so ist der Verkäufer nach Treu und Glauben auch ohne entsprechende Vereinbarung verpflichtet, eine solche Bescheinigung zu erteilen, soweit ihm das zuzumuten ist.

Bei schuldhafter Verletzung dieser Pflicht kann der Käufer Ersatz des ihm entgangenen Steuervorteils verlangen.

OLG Hamm, Urt. v. 5. 7. 1974 – 20 U 227/73.

Aus den Gründen: Der Bekl. war nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehalten, der Kl. die gewünschte Bescheinigung zu erteilen; ihn traf insoweit eine vertragliche Nebenpflicht. Zwar lagen die typischen Umstände, aus denen sich sonst derartige Pflichten ergeben, hier nicht vor. Nebenpflichten dienen in der Regel dazu, den vertraglichen Leistungserfolg zu ermöglichen und zu sichern (vgl. Erman/Sirp, BGB 5. Aufl. Anm. 58 zu § 242). Darum ging es im vorliegenden Fall nicht; denn die Bescheinigung hatte mit der Erfüllung des Kaufvertrages unmittelbar nichts zu tun. Das schließt die Haftung des Bekl. jedoch nicht aus. Der Anwendungsbereich des § 242 BGB beschränkt sich nämlich nicht auf die genannten Fälle; vielmehr vermag die Vorschrift je nach Lage der Dinge auch weitergehende Pflichten zu begründen. Der entscheidende Gedanke ist dabei, daß die Vertragspartner voneinander Verläßlichkeit und Loyalität erwarten dürfen (vgl. Erman/Sirp aaO. Anm. 4). Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles war es ein Gebot der Loyalität, daß der Bekl. die Kl. bei der Wahrnehmung ihrer steuerlichen Belange unterstützte. Ihr stand von Gesetzes wegen die Möglichkeit zu, in Gestalt der Steuermilderung nach § 30 Abs. 9 UStG einen Steuervorteil zu erlangen, der dazu bestimmt war, steuerliche Härten zu vermeiden. Das konnte jedoch nach dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 30. 1. 1968 nur erreicht werden, wenn der Bekl. als Rechtsvorgänger in der dort beschriebenen Weise mitwirkte. Der Erlaß stellte eine für die Finanzämter bindende Anweisung dar. Die Kl. hätte allenfalls versuchen können, durch Klage vor dem Finanzgericht zu einer Steuermilderung ohne entsprechende Bescheinigung zu kommen. Es spricht jedoch nichts dafür, daß eine solche Klage ernsthaft Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Die Kl. stand somit praktisch vor der Alternative, entweder den legalen Steuervorteil zu verlieren oder aber die Mithilfe des Bekl. in Anspruch zu nehmen. Es wäre mit Treu und Glauben nicht zu vereinbaren, wenn der Vertragspartner seine Mithilfe in dieser Situation allein mit dem Argument ablehnen könnte, er sei vertraglich nicht dazu verpflichtet. Die durch den Vertrag begründete Pflicht zu redlicher Zusammenarbeit und gegenseitiger Rücksichtnahme gebietet es vielmehr, daß der Rechtsvorgänger seine Mitwirkung zur Verfügung stellt, soweit ihm das zuzumuten ist.

(Mitgeteilt von R. Werner, Richter am OLG Hamm)