Oberlandesgericht Hamm - Schmerzensgeld bei Schwerstschädigung

Entscheidungstext
Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Ort:
Art der Entscheidung: Urteil
Datum: 21. Mai 2003
Aktenzeichen: 3 U 122/02
Zitiername:
Verfahrensgang: vorgehend Landgericht Arnsberg (5. April 2002, 1 O 337/99)
Erstbeteiligte(r):
Gegner:
Weitere(r) Beteiligte(r):
Amtliche Fundstelle:
Quelle: Scan von MDR 2003, Heft 22, S. 1291–1292
Weitere Fundstellen: justiz.nrw.de; Der Arzt und sein Recht 2003, 137–139; OLGR Hamm 2003, 282–284; VersR 2004, 386–388; IMM-DAT Nr. 3101
Inhalt/Leitsatz: Angesichts des hohen Werts, den das Grundgesetz in Art. 1 und 2 der Würde des Menschen beimisst, ist bei schwersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine herausragende Entschädigung (hier: 500.000 EUR) zu zahlen.
Zitierte Dokumente:
Anmerkungen: Der Betrag von 500.000 EUR stellt die Obergrenze des bisher in Deutschland zugesprochenen Schmerzensgeldes dar (keine „Punitive damages“).
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[1291]

OLG Hamm, Urt. v. 21.5.2003 – 3 U 122/02
(LG Arnsberg – 1 O 337/99)

Aus den Gründen:

[2.c.bb.] ... Nach ständiger Rechtsprechung besteht die Funktion des Schmerzensgeldes darin, dem Verletzten einen materiellen Ausgleich für den erlittenen Schaden und das ihm zugefügte Leid zu gewähren. Eine billige Entschädigung in Geld steht dem Geschädigten auch dann zu, wenn seine Persönlichkeit weitgehend zerstört ist, selbst wenn seine Empfindungsfähigkeit ganz oder teilweise durch das schadensstiftende Ereignis aufgehoben ist (BGH VersR 1993, 327 ff.; VersR 1993, 585 f.; OLG Hamm v. 16.1.2002 – 3 U 156/00).

Der Kläger hat eine schwerste hypoxisch-ischämische Enzephalopathie Grad II – III erlitten. Seit der Geburt treten therapieresistente cerebrale Anfälle auf. Das Gehirn des Kindes hat sich praktisch nicht entwickelt. Der Kläger zeigt heute ein schwerstes neurologisches Residualsyndrom, eine schwerste Tetraspastik mit bereits eingetretenen multiplen Gelenkkontrakten. Seit drei Jahren wird er über eine PEG-Sonde ernährt. Nachgewiesenermaßen ist er rechts taub und zumindest schwerhörig links. Es besteht funktionale Blindheit. Ein aktives Fortbewegungsmuster ist nicht möglich. Eine Kontakt- [1292] aufnahme über das Gehör besteht nicht. Lediglich auf Hautkontakte wird positiv reagiert.

Damit bietet der Kläger das Bild eines völlig hilflosen, praktisch blinden und tauben Kindes mit einer schwersten Schädigung bzw. weitestgehenden Zerstörung der Persönlichkeit, der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit. Nach den Ausführungen des Neuropädiaters ist ein schlechterer Zustand nicht vorstellbar. Dem Kläger ist jede Möglichkeit einer körperlichen und geistigen Entwicklung genommen. Er wird nie Kindheit, Jugend, Erwachsensein und Alter bewusst erleben und seine Persönlichkeit entwickeln können. Sein Leben ist weitgehend auf die Aufrechterhaltung vitaler Funktionen, die Bekämpfung von Krankheiten und die Vermeidung von Schmerzen beschränkt. Der Kläger ist in der Wurzel seiner Persönlichkeit getroffen.

Beeinträchtigungen derartigen Ausmaßes verlangen zur Überzeugung des Senats angesichts des hohen Wertes, den das Grundgesetz in Art. 1 und 2 der Würde des Menschen beimisst, eine herausragende Entschädigung (vgl. BGH VersR 1993, 329). Nach den Aussagen des Sachverständigen, der auch in dem Rechtsstreit des Senats 3 U 156/00 tätig war, besteht vorliegend das gleiche Ausmaß an Schäden, das nicht mehr zu vergrößern ist. Mit Urt. v. 16.1.2002 hat der Senat in jenem Rechtsstreit ein Schmerzensgeld von insgesamt 500.000 EUR für gerechtfertigt gehalten. Angesichts des insoweit identischen Schadensausmaßes, der auch hier grob fehlerhaften Geburtsleitung und angesichts des Bestehens einer Haftpflichtversicherung hält der Senat auch in diesem Rechtsstreit ein Schmerzensgeld von insgesamt 500.000 EUR für billig und angemessen.

(Einsender: VorsRiOLG Reinhard Baur, Münster)