Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste

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Titel: Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste.
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Fundstelle: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes Band 1867, Nr. 10, Seite 131 - 136
Fassung vom: 9. November 1867
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Bekanntmachung: 13. November 1867
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(Nr. 22.) Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste. Vom 9. November 1867.

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc.

verordnen im Namen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt:

§. 1.

Jeder Norddeutsche ist wehrpflichtig und kann sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen. Ausgenommen von der Wehrpflicht sind nur:
a) die Mitglieder regierender Häuser;
b) die Mitglieder der mediatisirten, vormals reichsständischen und derjenigen Häuser, welchen die Befreiung von der Wehrpflicht durch Verträge zugesichert ist, oder auf Grund besonderer Rechtstitel zusteht.
Diejenigen Wehrpflichtigen, welche zwar nicht zum Waffendienste, jedoch zu sonstigen militairischen Dienstleistungen, welche ihrem bürgerlichen Berufe entsprechen, fähig sind, können zu solchen herangezogen werden.

§. 2.

Die bewaffnete Macht besteht aus dem Heere, der Marine und dem Landsturme.

§. 3.

Das Heer wird eingetheilt in:
1) das stehende Heer,
2) die Landwehr;
die Marine in:
1) die Flotte,
2) die Seewehr.
Der Landsturm besteht aus allen Wehrpflichtigen vom vollendeten 17ten bis zum vollendeten 42sten Lebensjahre, welche weder dem Heere, noch der Marine angehören.

§. 4.

Das stehende Heer und die Flotte sind beständig zum Kriegsdienste bereit. Beide sind die Bildungsschulen der ganzen Nation für den Krieg.

§. 5.

Die Landwehr und die Seewehr sind zur Unterstützung des stehenden Heeres und der Flotte bestimmt.
Die Landwehr-Infanterie wird in besonders formirten Landwehr-Truppenkörpern zur Vertheidigung des Vaterlandes als Reserve für das stehende Heer verwandt. [132]
Die Mannschaften des jüngsten Jahrganges der Landwehr-Infanterie können jedoch erforderlichen Falles bei Mobilmachungen auch in Ersatz-Truppentheile eingestellt werden.
Die Mannschaften der Landwehr-Kavallerie werden im Kriegsfalle nach Maaßgabe des Bedarfs in besondere Truppenkörper fomirt.
Die Landwehrmannschaften der übrigen Waffen werden bei eintretender Kriegsgefahr nach Maaßgabe des Bedarfs zu den Fahnen des stehenden Heeres, die Seewehrmannschaften zur Flotte einberufen.

§. 6.

Die Verpflichtung zum Dienst im stehenden Heere, beziehungsweise in der Flotte, beginnt mit dem 1. Januar und zwar in der Regel desjenigen Kalenderjahres, in welchem der Wehrpflichtige das 20. Lebensjahr vollendet, und dauert sieben Jahre.
Während dieser sieben Jahre sind die Mannschaften die ersten drei Jahre zum ununterbrochenen aktiven Dienst verpflichtet.
Die aktive Dienstzeit wird nach dem wirklich erfolgten Dienstantritt mit der Maaßgabe berechnet, daß diejenigen Mannschaften, welche in der Zeit vom 2. Oktober bis 31. März eingestellt werden, als am vorhergehenden 1. Oktober eingestellt gelten.
Die Entlassung eingeschiffter Mannschaften der Marine kann jedoch, wenn den Umständen nach eine frühere Entlassung nicht ausführbar ist, bis zur Rückkehr in Häfen des Bundes verschoben werden.
Während des Restes der siebenjährigen Dienstzeit sind die Mannschaften zur Reserve beurlaubt, insoweit nicht die jährlichen Uebungen, nothwendige Verstärkungen oder Mobilmachungen des Heeres, beziehungsweise Ausrüstungen der Flotte, die Einberufung zum Dienst erfordern.
Jeder Reservist ist während der Dauer des Reserveverhältnisses zur Theilnahme an zwei Uebungen verpflichtet. Diese Uebungen sollen die Dauer von je acht Wochen nicht überschreiten.
Jede Einberufung zum Dienst im Heere, beziehungsweise zur Ausrüstung der Flotte, zählt für eine Uebung.

§. 7.

Die Verpflichtung zum Dienst in der Landwehr und in der Seewehr ist von fünfjähriger Dauer.
Der Eintritt in die Land- und Seewehr erfolgt nach abgeleisteter Dienstpflicht im stehenden Heere, beziehungsweise in der Flotte.
Die Mannschaften der Landwehr und der Seewehr sind, sofern sie nicht zum Dienst einberufen werden, beurlaubt.
Die Mannschaften der Landwehr-Infanterie können während der Dienstzeit in der Landwehr zweimal auf 8 bis 14 Tage zu Uebungen in besonderen Kompagnien oder Bataillonen einberufen werden.
Die Landwehrmannschaften der Jäger und Schützen, der Artillerie, der Pioniere und des Trains üben zwar in demselben Umfange, wie die der Infanterie, jedoch im Anschlusse an die betreffenden Linientruppentheile. Die Landwehr-Kavallerie wird im Frieden zu Uebungen nicht einberufen. [133]

§. 8.

Die Einberufung der Reserve, Landwehr und Seewehr zu den Fahnen, beziehungsweise zur Flotte, erfolgt auf Befehl des Bundesfeldherrn.
Durch die kommandirenden Generale erfolgt die Einberufung nur
a) zu den jährlichen Uebungen,
b) wenn Theile des Bundesgebietes in Kriegszustand erklärt werden.

§. 9.

Der Bundesfeldherr bestimmt für jedes Jahr nach Maaßgabe des Gesetzes die Zahl der in das stehende Heer und in die Marine einzustellenden Rekruten. Der Gesammtbedarf an Rekruten wird demnächst durch den Bundesausschuß für das Landheer und die Festungen, beziehungsweise unter Mitwirkung des Bundesausschusses für das Seewesen, auf die einzelnen Bundesstaaten nach dem Verhältniß der Bevölkerung vertheilt.
Bei Feststellung der Bevölkerung der einzelnen Bundesstaaten kommen nur die in deren Gebiete sich aufhaltenden Ausländer, nicht aber auch die Angehörigen anderer Bundesstaaten in Abrechnung.

§. 10.

Um im Allgemeinen wissenschaftliche und gewerbliche Ausbildung so wenig wie möglich durch die allgemeine Wehrpflicht zu stören, ist es jedem jungen Mann überlassen, schon nach vollendetem 17ten Lebensjahre, wenn er die nöthige moralische und körperliche Qualifikation hat, freiwillig in den Militairdienst einzutreten.

§. 11.

Junge Leute von Bildung, welche sich während ihrer Dienstzeit selbst bekleiden, ausrüsten und verpflegen, und welche die gewonnenen Kenntnisse in dem vorschriftsmäßigen Umfange dargelegt haben, werden schon nach einer einjährigen Dienstzeit im stehender Heere – vom Tage des Diensteintritts an gerechnet – zur Reserve beurlaubt. Sie können nach Maaßgabe ihrer Fähigkeiten und Leistungen zu Offizierstellen der Reserve und Landwehr vorgeschlagen werden.

§. 12.

Die Offiziere der Reserve können während der Dauer des Reserveverhältnisses dreimal zu vier- bis achtwöchentlichen Uebungen herangezogen werden. Die Offiziere der Landwehr sind zu Uebungen bei Linientruppentheilen allein Behufs Darlegung ihrer Qualifikation zur Weiterbeförderung, im Uebrigen aber nur zu den gewöhnlichen Uebungen der Landwehr heranzuziehen. – Im Kriege können auch die Offiziere der Landwehr erforderlichen Falls bei Truppen des stehenden Heeres verwandt werden. [134]

§. 13.

Für die Marine gelten die nachfolgenden besonderen Bestimmungen:
1) Zur Kriegsflotte, welche gleich dem stehenden Heere beständig bereit ist, gehören:
a) die aktive Marine, d. h. die im aktiven Dienste befindlichen Seeleute, Maschinisten und Heizer, sowie die Schiffshandwerker und Seesoldaten;
b) die von der aktiven Marine beurlaubte Seeleute, Maschinisten, Heizer, Schiffshandwerker und Seesoldaten bis zum vollendeten siebenten Dienstjahre.
2) Die aktive Marine wird zusammengesetzt aus:
a) Seeleuten von Beruf, d. h. aus solchen Freiwilligen oder Ausgehobenen, welche bei ihrem Eintritt in das dienstpflichtige Alter mindestens Ein Jahr auf Norddeutschen Handelsschiffen gedient, oder die Seefischerei eben so lange gewerbsmäßig betrieben haben;
b) aus freiwillig eingetretenem oder ausgehobenem Maschinen- und Schiffshandwerks-Personal;
c) aus Freiwilligen oder Ausgehobenen für die Marinetruppen (Seebataillon und Seeartillerie).
3) Die Dienstzeit in der aktiven Marine kann für Seeleute von Beruf und für das Maschinenpersonal in Berücksichtigung ihrer technischen Vorbildung und nach Maßgabe ihrer Ausbildung für den Dienst auf der Kriegsflotte bis auf eine einjährige aktive Dienstzeit verkürzt werden.
4) Junge Seeleute von Beruf und Maschinisten, welche beim Eintritt in das dienstpflichtige Alter die Qualifikation zum einjährigen Freiwilligen erlangt, oder welche das Steuermanns-Examen abgelegt haben, genügen ihrer Verpflichtung für die aktive Marine durch einjährigen freiwilligen Dienst, ohne zur Selbstbekleidung und Selbstverpflegung verpflichtet zu sein. Nach Maaßgabe ihrer Qualifikation sollen dieselben zu Unteroffizieren, Deckoffizieren oder Offizieren der Reserve resp. der Seewehr vorgeschlagen, beziehungsweise ernannt werden.
Die Seeoffiziere der Reserve und Seewehr können nach Maaßgabe des Bedürfnisses dreimal zu den Uebungen der aktiven Marine herangezogen werden.
5) Seeleute, welche auf einem Norddeutschen Handelsschiffe nach vorschriftsmäßiger Anmusterung thatsächlich in Dienst getreten sind, sollen in Friedenszeiten für die Dauer der bei der Anmusterung eingegangenen Verpflichtung von allen Militairdienstpflichten befreit werden, haben jedoch eintretenden Falls die letzteren nach ihrer Entlassung von dem Handelsschiffe, bevor sie sich aufs Neue anmustern lassen, nachträglich zu erfüllen. Ebenso sollen Seeleute während der Zeit des Besuches einer Norddeutschen Navigationsschule oder Schiffsbauschule im Frieden zum Dienst in der Flotte nicht herangezogen werden. [135]
6) Bei ausbrechendem Kriege ist, außer den dienstpflichtigen Ersatzmannschaften, den Beurlaubten und Reserven der Flotte, nöthigenfalls auch die Seewehr zum Dienst einzuberufen.
7) Die Seewehr besteht:
a) aus den von der Marinereserve zur Seewehr entlassenen Mannschaften;
b) aus den sonstigen Marinedienstpflichtigen, welche der Flotte nicht gedient, und zwar bis zum vollendeten einunddreißigsten Lebensjahre.
8) Für die vorstehend unter 7. b. bezeichneten Dienstpflichtigen finden zeitweise kürzere Uebungen an Bord, namentlich Behufs Ausbildung in der Schiffsartillerie, statt, und wird jeder dieser Verpflichteten in der Regel zweimal zu diesen Uebungen herangezogen.

§. 14.

Die in diesem Gesetz erlassenen Bestimmungen über die Dauer der Dienstverpflichtung für das stehende Heer, resp. die Flotte und für die Land- resp. Seewehr, gelten nur für den Frieden. Im Kriege entscheidet darüber allein das Bedürfniß, und werden alsdann alle Abtheilungen des Heeres und der Marine, soweit sie einberufen sind, von den Herangewachsenen und Zurückgebliebenen nach Maaßgabe des Abganges ergänzt.

§. 15.

Die beurlaubten Mannschaften des Heeres und der Marine (Reserve, Landwehr, Seewehr) sind während der Beurlaubung den zur Ausübung der militairischen Kontrole erforderlichen Anordnungen unterworfen.
Im Uebrigen gelten für dieselben die allgemeinen Landesgesetze; auch sollen dieselben in der Wahl ihres Aufenthaltsortes im In- und Auslande, in der Ausübung ihres Gewerbes, rücksichtlich ihrer Verheirathung und ihrer sonstigen bürgerlichen Verhältnisse Beschränkungen nicht unterworfen sein.
Reserve-, land- und seewehrpflichtigen Mannschaften darf in der Zeit, in welcher sie nicht zum aktiven Dienst einberufen sind, die Erlaubniß zur Auswanderung nicht verweigert werden.

§. 16.

Der Landsturm tritt nur auf Befehl des Bundesfeldherrn zusammen, wenn ein feindlicher Einfall Theile des Bundesgebietes bedroht oder überzieht.

§. 17.

Jeder Norddeutsche wird in demjenigen Bundesstaate zur Erfüllung seiner Militairpflicht herangezogen, in welchem er zur Zeit des Eintritts in das militairpflichtige Alter seinen Wohnsitz hat, oder in welchen er vor erfolgter endgültiger Entscheidung über seine aktive Dienstpflicht verzieht. [136]
Den Freiwilligen (§§. 10. und 11.) steht die Wahl des Truppentheiles, bei welchem sie ihrer aktiven Dienstpflicht genügen wollen, innerhalb des Bundes frei.
Reserve- und Landwehrmannschaften treten beim Verziehen von einem Staate in den anderen zur Reserve, beziehungsweise Landwehr des letzteren über.

§. 18.

Die Bestimmungen über die allmälige Herabsetzung der Dienstverpflichtung in denjenigen Bundesstaaten, in denen bisher eine längere als die in diesem Gesetze vorgeschriebene Gesammtdienstzeit im Heere und in der Landwehr gesetzlich war, werden durch den Bundesfeldherrn erlassen.

§. 19.

Die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen werden durch besondere Verordnungen erlassen.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Bundes-Insiegel.
Gegeben Berlin, den 9. November 1867.
(L. S.)  Wilhelm.

  Gr. v. Bismarck-Schönhausen.