Gesetz, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Handelssachen

Gesetzestext
korrigiert
Titel: Gesetz, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Handelssachen.
Abkürzung: ROHG-G
Art:
Geltungsbereich: Norddeutscher Bund, Deutsches Kaiserreich
Rechtsmaterie: Gerichtsverfassung
Fundstelle: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes Band 1869, Nr. 22, Seite 201
Fassung vom: 12. Juni 1869
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 18. Juni 1869
Inkrafttreten: durch [weitere] Bundesverordnung
Anmerkungen:
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(Nr. 304.) Gesetz, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Handelssachen. Vom 12. Juni 1869.

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc.

verordnen im Namen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt:

Für Handelssachen wird ein für alle Staaten des Norddeutschen Bundes gemeinsamer oberster Gerichtshof errichtet, dessen Zuständigkeit sich über das gesammte Bundesgebiet erstreckt und welcher die Benennung „Bundes-Oberhandelsgericht“ führt.
Das Bundes-Oberhandelsgericht soll in Leipzig seinen Sitz haben und aus einem Präsidenten, einem oder mehreren Vizepräsidenten und der erforderlichen Anzahl von Räthen bestehen.
Die Mitglieder des Bundes-Oberhandelsgerichts werden auf Vorschlag des Bundesrathes von dem Bundespräsidium ernannt.
Die Ernennung der erforderlichen Sekretaire erfolgt im Namen des Bundespräsidiums durch den Bundeskanzler, die Ernennung der erforderlichen übrigen Subaltern- oder Unterbeamten durch den Präsidenten des Bundes-Oberhandelsgerichts.
Der für das Bundes-Oberhandelsgericht erforderliche Aufwand wird aus der Bundeskasse bestritten. Insbesondere werden alle bei dem Bundes-Oberhandelsgerichte angestellten Beamten als Bundesbeamte aus der Bundeskasse besoldet. [202]
Zum Mitgliede des Bundes-Oberhandelsgerichts kann nur ein Rechtskundiger ernannt werden, welcher nach den Gesetzen des Bundesstaates, dem er angehört, befähigt ist, zum rechtskundigen Mitgliede eines oberen Gerichtshofes dieses Staates ernannt zu werden, oder welcher an einer Deutschen Universität die Stelle eines ordentlichen öffentlichen Lehrers des Rechts bekleidet.
Zur Fassung gültiger Beschlüsse des Bundes-Oberhandelsgerichts ist die Theilnahme von mindestens sieben Mitgliedern, einschließlich des Vorsitzenden, erforderlich. Die Zahl der Mitglieder, welche bei der Fassung eines Beschlusses eine entscheidende Stimme führen, muß in allen Fällen eine ungerade sein. Ist die Zahl der bei der Erledigung einer Sache mitwirkenden Mitglieder eine gerade, so führt dasjenige Mitglied, welches zum Rathe des Bundes-Oberhandelsgerichts zuletzt ernannt ist, und bei gleichem Dienstalter derjenige, welcher der Geburt nach der jüngere ist, nur eine berathende Stimme.
Das Bundes-Oberhandelsgericht kann, auf Grund eines Beschlusses des Bundesrathes, in mehrere Senate getheilt werden.
Die Zusammensetzung der Senate erfolgt durch den Präsidenten, mindestens auf die Dauer eines Gerichtsjahres. Für dieselbe Dauer hat der Präsident die Mitglieder zu bezeichnen, welchen für Verhinderungsfälle die Vertretung obliegt.
Ein Mitglied des Bundes-Oberhandelsgerichts kann gleichzeitig ständiges Mitglied mehrerer Senate sein.
Den Vorsitz in den Senaten führt der Präsident, ein Vizepräsident und in Verhinderungsfällen derjenige Rath des Senats, welcher das Amt eines Rathes am Bundes-Oberhandelsgericht am längsten bekleidet, und bei gleichem Dienstalter derjenige, welcher der Geburt nach der ältere ist.
Wenn die Ansicht eines Senats über eine Rechtsfrage von einer früheren Entscheidung desselben Senats oder eines anderen Senats oder des Plenums abweicht, so muß vor der Sachentscheidung diese Rechtsfrage vor das Plenum gebracht werden. Die Ansicht des letzteren ist für die Entscheidung der Sache, welche zu der Plenarberathung Veranlassung gegeben hat, maaßgebend.
Zur Praxis bei dem Bundes-Oberhandelsgerichte, einschließlich der zur Instruktion der Rechtsmittel dienenden Handlungen (§§. 17. und 18.), sowie zur Niederlassung am Sitze jenes Gerichtshofes sind alle in einem Staate des Norddeutschen Bundes zur gerichtlichen Praxis fest zugelassenen Rechtsanwalte und Advokaten berechtigt. [203]
Zur Annahme von Zustellungen haben die Parteien einen am Sitz des Bundes-Oberhandelsgerichts wohnenden Bevollmächtigten zu bestellen. Unterlassen sie dies, so erfolgt die Zustellung durch die Post mittelst rekommandirten Schreibens.
Der Geschäftsgang bei dem Bundes-Oberhandelsgerichte wird durch ein Regulativ geordnet, welches der Gerichtshof zu entwerfen und dem Bundesrathe zur Bestätigung einzureichen hat.
In dem Geschäfts-Regulative sind insbesondere auch die Befugnisse des Präsidenten festzustellen und die Angelegenheiten zu bezeichnen, welche noch außer den in diesem Gesetze bezeichneten Fällen durch das Plenum zu erledigen sind.
Das Bundes-Oberhandelsgericht tritt in Handelssachen an die Stelle des für das Gebiet, in welchem die Sache in erster Instanz anhängig geworden ist, nach den Landesgesetzen bestehenden obersten Gerichtshofes mit derjenigen Zuständigkeit, welche nach diesen Landesgesetzen dem obersten Gerichtshofe gebührt.
Die Zuständigkeit des Bundes-Oberhandelsgerichts kann durch Aktenversendung an juristische Spruchkollegien und Fakultäten nicht ausgeschlossen werden.
Handelssachen im Sinne dieses Gesetzes sind diejenigen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in welchen durch die Klage ein Anspruch
1) gegen einen Kaufmann (Art. 4. des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs) aus dessen Handelsgeschäften (Art. 271–276. des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs),
2) aus einem Wechsel im Sinne der Allgemeinen Deutschen Wechsel-Ordnung,
3) aus einem der nachstehend bezeichneten Rechtsverhältnisse geltend gemacht wird:
a) aus dem Rechtsverhältnisse zwischen den Mitgliedern einer Handelsgesellschaft, zwischen dem stillen Gesellschafter und dem Inhaber des Handelsgewerbes, sowie zwischen den Theilnehmern einer Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften oder einer Vereinigung zum Handelsbetriebe (Art. 10. des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs), sowohl während des Bestehens, als nach Auflösung des geschäftlichen Verhältnisses, ingleichen aus dem Rechtsverhältnisse zwischen den Liquidatoren oder den Vorstehern einer Handelsgesellschaft, und der Gesellschaft oder den Mitgliedern derselben;
b) aus dem Rechtsverhältnisse, welches das Recht zum Gebrauche der Handelsfirma betrifft;
c) aus dem Rechtsverhältnisse, welches durch die Veräußerung eines bestehenden Handelsgeschäfts zwischen den Kontrahenten entsteht; [204]
d) aus dem Rechtsverhältnisse zwischen dem Prokuristen, dem Handlungsbevollmächtigten oder dem Handlungsgehülfen und dem Eigenthümer der Handelsniederlassung, sowie aus dem Rechtsverhältnisse zwischen einer dritten Person und demjenigen, welcher ihr als Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter aus einem Handelsgeschäfte haftet (Art. 55. des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs);
e) aus dem Rechtsverhältnisse, welches aus den Berufsgeschäften des Handelsmäklers im Sinne des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs zwischen diesem und den Parteien entsteht;
f) aus den Rechtsverhältnissen des Seerechts, insbesondere aus denjenigen, welche auf die Rhederei, die Rechte und Pflichten des Rheders, des Korrespondent-Rheders und der Schiffsbesatzung, auf die Bodmerei und die Haverei, auf den Schadensersatz im Falle des Zusammenstoßens von Schiffen, auf die Bergung und Hülfeleistung in Seenoth und auf die Ansprüche der Schiffsgläubiger sich beziehen.
Ist nach den Landesgesetzen die Klage noch in anderen, als den vorstehend unter Nr. 1. bis 3. bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vor das Handelsgericht erster Instanz gewiesen, so sind auch diese Rechtsstreitigkeiten als Handelssachen im Sinne dieses Gesetzes anzusehen.
Ist in Folge einer Klagenhäufung über eine Handelssache und über eine andere Sache durch ein Erkenntniß zu entscheiden, so ist die Zuständigkeit des Oberhandelsgerichts nur dann begründet, wenn der Werth der Handelssache der höhere ist.
Dasselbe gilt, wenn in Folge einer Widerklage, welche mit der Klage in einem und demselben Rechtsstreite zu erledigen ist, Handelssachen und andere Sachen den Gegenstand der Entscheidung bilden.
Wird in einem zur Zuständigkeit des Bundes-Oberhandelsgerichts gehörigen Rechtsstreite in Folge eines Sicherheitsarrestes oder einer Zwangsvollstreckung von einem Dritten Widerspruch erhoben, so ist für den aus einem solchen Widerspruche entstehenden Rechtsstreit das Bundes-Oberhandelsgericht nur dann zuständig, wenn dieser Rechtsstreit nach den Vorschriften des §.13. ganz oder zum Theil zur Zuständigkeit des Bundes-Oberhandelsgerichts gehört.
Auch in Bezug auf Einwendungen, welche im Zwangsvollstreckungsverfahren von Seiten des Klägers oder des Beklagten erhoben werden, ist das Bundes-Oberhandelsgericht nur insofern zuständig, als der in Folge dieser Einwendungen entstandene Rechtsstreit nach den Bestimmungen des §. 13. ganz oder zum Theil zur Zuständigkeit des Bundes-Oberhandelsgerichts gehört. [205]
In den zur Zuständigkeit des Bundes-Oberhandelsgerichts gehörenden Rechtssachen bestimmt sich das Prozeßverfahren auch bei diesem Gerichtshofe nach den für das Gebiet, aus welchem die Sache an das Bundes-Oberhandelsgericht gelangt, geltenden Prozeßgesetzen, soweit nicht dieses Gesetz ein Anderes vorschreibt.
Hierdurch wird nicht ausgeschlossen, daß Prozeßhandlungen, welche in einem anderen Gebiete vorgenommen werden, hinsichtlich der Form nach dem Rechte des Orts ihrer Vornahme zu beurtheilen sind.
In denjenigen Gebieten, in welchen nach den daselbst geltenden Prozeßgesetzen das Rechtsmittel, über welches der oberste Gerichtshof zu entscheiden hat, bei einem diesem Nachgeordneten Gerichte instruirt wird, tritt dieses Verfahren auch in denjenigen Sachen ein, welche zur Zuständigkeit des Bundes-Oberhandelsgerichts gehören. In diesen Sachen sind die Akten nach beendigter Instruktion des Rechtsmittels an das Bundes-Oberhandelsgericht einzusenden.
Der Beschluß des Gerichts, bei welchem das Rechtsmittel instruirt wird, die Akten an das Bundes-Oberhandelsgericht oder an den obersten Landesgerichtshof einzusenden, ist einer Anfechtung nicht unterworfen.
Ist das Rechtsmittel nach den für das Verfahren maaßgebenden Prozeßgesetzen des betreffenden Gebiets bei dem obersten Gerichtshofe zu instruiren, so erfolgt diese Instruktion auch in den zur Zuständigkeit des Bundes-Oberhandelsgerichts gehörigen Sachen nicht bei letzterem, sondern bei demjenigen obersten Gerichtshofe, dessen Zuständigkeit begründet sein würde, wenn eine andere, als eine Handelssache vorläge und zwar in derselben Weise, als wenn dieser Gerichtshof auch für die Entscheidung zuständig wäre.
Nach beendigter Instruktion hat der gedachte Gerichtshof, wenn er das Bundes-Oberhandelsgericht für zuständig erachtet, die Akten an dieses abzugeben. Findet nach den für das Verfahren maaßgebenden Prozeßgesetzen eine mündliche Verhandlung vor der Entscheidung über das Rechtsmittel statt, so erfolgt diese mündliche Verhandlung bei dem Bundes-Oberhandelsgerichte. – In den nach dem Rheinischen Prozeßrechte zu verhandelnden Sachen werden die Akten nach Eingang der Erwiderungsschrift des Kassationsverklagten oder nach Ablauf der für die Niederlegung dieser Schrift bestimmten Frist unter Beifügung eines schriftlichen Requisitoriums des General-Staatsanwaltes an das Bundes-Oberhandelsgericht abgegeben.
Auf die nach dem Hannoverschen Prozeßrecht zu verhandelnden Sachen finden die §§. 17. und 18. keine Anwendung. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist in Gemäßheit des §. 435. der Hannoverschen Prozeßordnung zur Terminsbestimmung unmittelbar bei dem Bundes-Oberhandelsgerichte einzureichen. Erklärt sich das letztere für unzuständig, oder spricht der oberste Landesgerichtshof, wenn bei diesem die Nichtigkeitsbeschwerde eingereicht und der Termin zur mündlichen Verhandlung erwirkt ist, seine Unzuständigkeit aus, so sind die Akten im ersteren Falle an den obersten Landesgerichtshof, im zweiten Falle an das Bundes-Oberhandelsgericht abzugeben. Bei dem Gerichtshofe, an welchen die Akten abgegeben sind, kann jede Partei den Termin zur mündlichen Verhandlung erwirken. Die bisherigen Prozeßhandlungen bleiben in den bezeichneten Fällen wirksam, was insbesondere auch in Ansehung der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels gilt. [206]
Ist nach den für das Verfahren maaßgebenden Prozeßgesetzen bei der mündlichen Verhandlung eine Mitwirkung der Staatsanwaltschaft erforderlich, so wird diese durch ein von dem Präsidenten des Bundes-Oberhandelsgerichts zu ernennendes Mitglied des letzteren vertreten.
Der Beschluß eines obersten Landesgerichtshofes, durch welchen sich derselbe für zuständig oder deshalb für unzuständig erklärt, weil das Bundes-Oberhandelsgericht zuständig sei, oder der Beschluß des letzteren, durch welchen sich dieses für zuständig oder deshalb für unzuständig erklärt, weil ein oberster Landesgerichtshof zuständig sei, ist einer Anfechtung nicht unterworfen und für den anderen Gerichtshof bindend.
Für die Berechnung der Gerichtskosten und für die Berechnung der Gebühren der Anwälte und Advokaten sind in den an das Bundes-Oberhandelsgericht gelangenden Sachen die Vorschriften maaßgebend, nach welchen die Kosten und Gebühren zu berechnen sein würden, wenn die Sache an den obersten Landesgerichtshof gelangt wäre. Die Mehrkosten, welche durch Reisen eines auswärtigen Anwalts oder Advokaten nach dem Sitze des Bundes-Oberhandelsgerichts entstehen, ist der Gegner zu erstatten nicht verbunden. Stempelpapier und Stempelmarken sind bei dem Bundes-Oberhandelsgerichte nicht zu verwenden, vielmehr ist der Betrag der Stempel, welche, wenn die Sache bei dem obersten Landesgerichtshofe anhängig geworden wäre, für die bei diesem stattfindenden Ausfertigungen, einschließlich der Dekrete, Beschlüsse und Urtheile, nach den Landesgesetzen zu verwenden gewesen sein würden, als Gerichtsgebühr zu berechnen und mit den Gerichtskosten einzuziehen. Dies gilt auch von den an das Bundes-Oberhandelsgericht gerichteten Gesuchen und Eingaben der Parteien.
Die für die Geschäfte des Bundes-Oberbandelsgerichts zu berechnenden Kosten fließen zur Bundeskasse. Für das Verfahren, welches dadurch entstanden ist, daß die Sache zunächst an das unzuständige Gericht gelangt und von diesem an das zuständige abgegeben ist, kommen Gerichtskosten nicht in Ansatz.
Die Mitglieder des Bundes-Oberhandelsgerichts werden auf Lebenszeit angestellt.
Ein Mitglied des Bundes-Oberhandelsgerichts wird seines Amtes und des damit verbundenen Gehaltes verlustig: wenn dasselbe in dem Strafverfahren durch Erkenntniß des zuständigen Gerichts eines Bundesstaates zum Amtsverluste, zu einer entehrenden Strafe, zu einer nicht entehrenden Freiheitsstrafe von längerer als einjähriger Dauer, oder wegen eines entehrenden Verbrechens oder Vergehens zu einer Strafe rechtskräftig verurtheilt worden ist. [207]
Entsteht Zweifel darüber, ob einer der vorstehend bezeichneten Fälle vorliege, so wird hierüber im Plenum des Bundes-Oberhandelsgerichts entschieden.
Ist gegen ein Mitglied des Bundes-Oberhandelsgerichts eine Untersuchung (§. 23.) eingeleitet worden, so kann das Bundes-Oberhandelsgericht mittelst Plenarbeschlusses die Suspension des Angeschuldigten von seinem Amte für die Dauer der Untersuchung aussprechen.
Die Suspension tritt von Rechtswegen ein, wenn gegen den Angeschuldigten die Untersuchungshaft verhängt wird.
Durch die Suspension wird das Recht auf den Genuß des vollen Gehalts während der Dauer der Suspension nicht berührt.
Wenn ein Mitglied des Bundes-Oberhandelsgerichts durch ein körperliches Gebrechen oder durch Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung seiner Amtspflichten dauernd unfähig wird, so tritt seine Versetzung in den Ruhestand gegen Gewährung einer Pension ein.
Die jährliche Pension beträgt bis zur Vollendung des zehnten Dienstjahres 20/60 des Gehalts; sie erhöht sich mit der Vollendung eines jeden folgenden Dienstjahres und bis zur Vollendung des fünfzigsten Dienstjahres um je 1/60 des Gehalts.
Bei Berechnung der Dienstzeit wird die Zeit mitgerechnet, während welcher das Mitglied sich im Dienste des Norddeutschen Bundes oder im Staats- oder Kommunaldienste eines Bundesstaates befunden oder in einem Bundesstaate als Anwalt, Advokat, Notar, Patrimonialrichter oder als öffentlicher Lehrer des Rechts an einer Deutschen Universität fungirt hat.
Liegen die Voraussetzungen der Versetzung eines Mitgliedes in den Ruhestand vor, ohne daß dasselbe ein hierauf gerichtetes Gesuch einreicht, so kann die Versetzung dieses Mitgliedes in den Ruhestand durch Plenarbeschluß des Bundes-Oberhandelsgerichts ausgesprochen werden.
Das Verfahren bestimmt sich nach den in der Anlage veröffentlichten Vorschriften der §§. 56 – 63. des Königlich Preußischen Gesetzes, betreffend die Dienstvergehen der Richter und die unfreiwillige Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand, vom 7. Mai 1851. Die Verrichtungen des Staatsanwaltes und des Untersuchungsrichters werden von je einem Mitgliede des Bundes-Oberhandelsgerichts, welches der Präsident ernennt, wahrgenommen.
Die in den §§. 23 – 25. bezeichneten Entscheidungen und Beschlüsse des Bundes-Oberhandelsgerichts können mit einem Rechtsmittel nicht angefochten werden. [208]
Der Zeitpunkt, mit welchem dieses Gesetz in Wirksamkeit tritt, wird durch Verordnung des Bundespräsidiums bestimmt. In den zu diesem Zeitpunkte bei einem obersten Landesgerichtshofe bereits anhängigen Sachen tritt die Zuständigkeit des Bundes-Oberhandelsgerichts nicht ein. Als anhängig gelten auch diejenigen Sachen, in welchen die Absendung der Akten zur Instruktion oder zur Abfassung der Entscheidung bereits beschlossen.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Bundes-Insiegel.
Gegeben Berlin, den 12. Juni 1869.
(L. S.)  Wilhelm.

  Gr. v. Bismarck-Schönhausen.

[209]

A n l a g e.
(Zu §. 25.)
A u s z u g
aus dem Königlich Preußischen Gesetz, betreffend die Dienstvergehen der Richter und die unfreiwillige Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand, vom 7. Mai 1851.
_________________
Ein Richter, welcher durch Blindheit, Taubheit oder ein sonstiges körperliches Gebrechen, oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zu der Erfüllung seiner Amtspflichten dauernd unfähig ist, muß in den Ruhestand versetzt werden.
Sucht der Richter in einem solchen Falle seine Versetzung in den Ruhestand nicht nach, so findet das in den nachstehenden Paragraphen vorgeschriebene Verfahren statt.
Der Richter oder sein nöthigenfalls hierzu besonders zu bestellender Kurator wird von dem Vorsitzenden des Gerichts, dessen Mitglied er ist, schriftlich unter Angabe der Gründe darauf aufmerksam gemacht, daß der Fall der Versetzung in den Ruhestand vorliege.
In Ansehung der Einzelrichter hat den Beruf hierzu der Präsident oder Direktor desjenigen Gerichts erster Instanz, in dessen Gerichtssprengel der Einzelrichter angestellt ist; in Ansehung der Präsidenten oder Direktoren der Gerichte erster Instanz der Erste Präsident des Appellationsgerichts; in Ansehung der Ersten Präsidenten der Appellationsgerichte der Erste Präsident des obersten Gerichtshofes.
Die in dem vorhergehenden Paragraphen vorgeschriebene Eröffnung geschieht durch den zuständigen Vorsitzenden von Amtswegen oder auf den Antrag der Staatsanwaltschaft.
Wird sie nicht vorgenommen, so beschließt das unmittelbar höhere Gericht, oder wenn es sich um den Ersten Präsidenten eines Appellationsgerichts oder ein Mitglied eines obersten Gerichtshofes handelt, dieser Gerichtshof in seiner Plenarversammlung, von Amtswegen oder auf den Antrag der Staatsanwaltschaft, daß sie stattfinden solle, und in diesem Falle muß sie von dem Ersten Präsidenten des beschließenden Gerichts vorgenommen werden.
Dem ersten Präsidenten eines obersten Gerichtshofes kann die Eröffnung nur auf Grund eines Beschlusses dieses Gerichtshofes gemacht weiden, welcher alsdann von dem gesetzlichen Stellvertreter des Ersten Präsidenten vollzogen wird. [210]
Wenn der Richter oder dessen Kurator nicht innerhalb sechs Wochen von dem Tage der ihm in Gemäßheit der §§. 58. oder 59. gemachten Eröffnung seine Versetzung in den Ruhestand freiwillig nachsucht, so muß, wenn es sich um ein Mitglied eines obersten Gerichtshofes oder um den Ersten Präsidenten eines Appellationsgerichts handelt, oder wenn in Gemäßheit des §. 59. ein Beschluß des obersten Gerichtshofes ergangen ist, dieser Gerichtshof, in allen übrigen Fällen das Appellationsgericht, nachdem ihm die etwaige Gegenerklärung des betreffenden Richters vorgelegt worden ist, in einer Plenarver-sammlung darüber Beschluß fassen, ob dem Verfahren Fortgang zu geben sei oder nicht.
Beschließt das Gericht die Fortsetzung des Verfahrens, so ernennt dessen Erster Präsident einen Richter-Kommissar. Dieser hat die Thatsachen, durch welche die Versetzung in den Ruhestand begründet werden soll, zu erörtern, die erforderlichen Zeugen und Sachverständigen eidlich zu vernehmen, und zum Schlusse den Richter oder dessen Kurator mit seiner Erklärung über das Ergebniß der Erörterung zu hören.
Die geschlossenen Akten werden dem Gerichte vorgelegt, welches in seiner Plenarversammlung nach Anhörung der Staatsanwaltschaft darüber Beschluß faßt, ob der Fall der Versetzung in den Ruhestand vorliege. Das Gericht kann vor Abfassung dieses Beschlusses die Vorladung der Zeugen und der Sachverständigen zum Zwecke ihrer mündlichen Vernehmung in der Sitzung verordnen. Dem Gerichte steht es jederzeit zu, das Erscheinen des betheiligten Richters unter der Warnung zu verordnen, daß bei seinem Ausbleiben ein Anwalt zu seiner Vertretung nicht zugelassen wird.
Der Beschluß ist einem Rechtsmittel nicht unterworfen. Er wird dem Justizminister übersandt, welcher, wenn derselbe dahin lautet, daß der Fall der Versetzung in den Ruhestand vorliege, das Weitere zu veranlassen hat.