Enteignungsgesetz (Großh Hess)(1821)
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Gesetz über die Abtretung von Privateigenthum für öffentliche Zwecke.
LUDEWIG von Gottes Gnaden Großherzog von Hessen und bei Rhein etc. etc.
Da die Verfassungs-Urkunde im Art. 27. erklärt, daß das Eigenthum für öffentliche Zwecke nur gegen vorgängige Entschädigung, nach dem Gesetz, in Anspruch genommen werden kann, so haben Wir mit Beirath und Zustimmung, Unserer getreuen Stände verordnet, und, verordnen wie folgt:
Art. 1.
- Niemand kann gezwungen werden, sein Eigenthum für öffentliche Zwecke abzutreten, als nach förmlicher Entscheidung der Regierungs-Behörde, und gegen vollständige Entschädigung.
Art. 2.
- Wenn die Verwendung von Privateigenthum für öffentliche Zwecke des Staats im Ganzen, oder besondere Theile desselben, oder einzelner Staatsanstalten nach dem Ausspruch der zuständigen Verwaltungsbehörde nothwendig ist; so bleibt die Abtretung dieses Eigenthums und die Entschädigung dafür vorerst freier Uebereinkunft des Eigenthümers mit der Verwaltungsbehörde überlassen.
- Kommt diese gütliche Uebereinkunft zu Stande, so wird zwischen dem Eigenthümer und der Verwaltungsbehörde ein Kaufcontract in üblicher Form errichtet.
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Art. 3.
- Wenn das Privateigenthum nur eines Einzelnen in einer Gemeinde für öffentliche Zwecke verwendet werden soll, so versammelt sich zur Einleitung dieser Uebereinkunft mit dem einzelnen Eigenthümer in der Gemeinde, worin das Privateigenthum liegt, eine Commission, welche aus dem Regierungs-Beamten des Bezirks, dem Burgermeister (ersten Ortsvorstand) der Gemeinde, zwei von dem Regierungsbeamten bestimmten Ortsvorständen, wovon, wenn der Eigenthümer es verlangt, Einer aus einer benachbarten Gemeinde soll genommen werden, und einem Kunstverständigen besteht. Sie empfängt, nachdem dem Eigenthümer acht Tage vorher der von Kunstverständigen verfertigte Plan zur Verwendung seines Eigenthums durch den Regierungs-Beamten mitgetheilt worden ist, die Vorstellungen dieses Eigenthümers, wenn er behauptet, daß die Erreichung des öffentlichen Zwecks nicht gerade die Abtretung seines Eigenthums erfordere. Wenn die Commission Abänderungen dieses Plans vorschlägt, welche die Verwendung anderen Grundeigenthums für den bestimmten öffentlichen Zweck zur Folge haben, so muß sie vorher die bei den Abänderungen interessirten Grundeigenthümer, unter Mittheilung des Plans, auffordern, binnen acht Tagen ihre etwaigen Einwendungen dieser Art vorzubringen.
- Die Commission begutachtet die Vorstellungen des Eigenthümers, zugleich den Betrag der Entschädigung, schließt ihre Verhandlungen spätestens in Monatsfrist und der Regierungsbeamte sendet das Protokoll an die Verwaltungsbehörde.
Art. 4.
- Wenn das Eigenthum mehrerer Privateigenthümer in einer Gemeinde für einen und denselben öffentlichen Zweck verwendet werden soll, so findet das in dem Art. 3. beobachtete Verfahren ebenfalls statt, jedoch tritt an die Stelle der Mittheilung des Plans an den Eigenthümer vor dem Zusammentritt der Commission die öffentliche Hinterlegung dieses Plans acht Tage lang zu Jedermanns Einsicht bei dem Bürgermeister (ersten Ortsvorstand) und die Bekanntmachung dieser Hinterlegung sowohl in der Gemeinde öffentlich, als auch an jeden betreffenden Eigenthümer besonders.
Art. 5.
- Wenn Grundstücke mehrerer Eigenthümer, welche in den Gemarkungen verschiedener Gemeinden liegen, für einen und denselben öffentlichen Zweck, zu gleicher Zeit verwendet werden sollen, so hat die Provinzial-Regierung nach Analogie der in dem Art. 3. angeordneten Lokal-Commission eine gemeinschaftliche Commission zu verfügen, und sowohl den Ort der Versammlung (stets in einer der betreffenden Gemeinden) als auch, wenn diese Gemeinden mehreren Regierungs-Beamten untergeben sind, den leitenden Regierungs-Beamten zu bestimmen.
Art. 6.
- Wenn ein Grundstück nicht einmal in polizeilicher Hinsicht einer Gemeinde zugetheilt seyn [189] sollte, so ist diese Zutheilung alsbald von der Provinzial-Regierung zu verfügen und hiernach die Commission zu bestimmen.
Art. 7.
- Wenn dritte Personen als Nutznießer, oder wegen sonstiger Rechtsverhältnisse bei Festsetzung der Entschädigung betheiligt sind, so muß der Eigenthümer sie auffordern, sich bei der Commission über ihre etwaige Entschädigungsansprüche zu erklären, sonst bleibt er allein für diese Ansprüche verantwortlich.
Art. 8.
- Wenn der Eigenthümer der Nothwendigkeit der Verwendung seines Privateigenthums für öffentliche Zwecke widerspricht, so entscheidet die Provinzial-Regierung über diese Nothwendigkeit nach Einsicht der Einwendungen des Eigenthümers.
- Hierbei ist nicht blos darauf Rücksicht zu nehmen, ob der Zweck auf eine andere Weise gar nicht erreicht werden kann, sondern die erwähnte Nothwendigkeit tritt auch in dem Fall ein, wenn der öffentliche Zweck nach allen vorliegenden Umständen und Verhältnissen am besten und sachgemäßesten durch die vorgeschlagene Verwendung erreicht wird.
- Eine Beschwerde gegen die Entscheidung der Provinzial-Regierung kann innerhalb 14 Tagen, nach Bekanntmachung der Entscheidung bei dem Geheimen Ministerium vorgebracht werden.
Art. 9.
- Wenn der Eigenthümer in Zweifel zieht, daß der Zweck, wofür die Abtretung seines Grundeigenthums verlangt wird, ein wohlthätiger öffentlicher sey, so kann er auch dieses bei der Local-Commission vorstellen, und die Provinzial-Regierung, so wie in zweiter Instanz das Geheime Staats-Ministerium entscheiden hierüber nach Vorschrift des Art. 8.
- Fällt die Entscheidung gegen den Eigenthümer aus, so sind derselben die Gründe, worauf sie beruht, sowohl von der Provinzial-Regierung als auch im Falle des Recurses von dem Geheimen Staats-Ministerium beizufügen.
Art. 10.
- Wenn der Eigenthümer der Vollständigkeit der ihm angebotenen Entschädigung widerspricht, so ist gegen ihn bei dem zuständigem Gericht der gelegenen Sache der Weg Rechtens über den Betrag der Entschädigung zu betreten.
Art. 11.
- Das Gericht kann zur Ausmittelung der Entschädigungssumme eine Schätzung des Grundstücks durch Sachverständige, ohne an dieselbe gebunden zu seyn, anordnen. Es soll unter andern auf die neuesten Verkäufe und Verpachtungen des Grundstücks selbst oder benachbarter Grundstücke gleicher Beschaffenheit, ferner auf die Besteuerung desselben, so wie auf den höheren Werth Rücksicht nehmen, den das Grundstück gerade für den bisherigen Besitzer, nach [190] den bei ihm eintretenden Eigenthümlichkeiten z. B. weil er es für eine Fabrik benutzte, oder wegen der Verbindung des Grundstücks mit andern Grundstücken, hatte.
- Immer kann aber nur auf den reellen und niemals auf den bloßen Affectionswerth Rücksicht genommen werden.
Art. 12.
- Gegen das richterliche Erkenntniß, finden sowohl von Seiten des Privateigenthümers, als auch von Seiten der Verwaltungsbehörde die gewöhnlichen Rechtsmittel statt, jedoch ohne Rücksicht auf eine Appellationssumme, wenn nicht bereits ein Justiz-Colleg gesprochen hat.
Art. 13.
- Ungeachtet des Widerspruchs des Eigenthümers gegen die Vollständigkeit der angebotenen Entschädigung kann die Verwaltungsbehörde von dem Eigenthümer, sobald sie ihm den letzten Vorschlag einer Entschädigung auf dem Weg freier Uebereinkunft gemacht hat, die unverzügliche Uebergabe des Eigenthums selbst verlangen, wenn sie solche mit Genehmigung des Geheimen Ministeriums von dem öffentlichen Zweck geboten erachtet, und ohne den richterlichen Ausspruch über den Betrag der Entschädigung abzuwarten.
Art. 14.
- Gleichzeitig mit diesem Verlangen muß die Verwaltungs-Behörde die von der Local-Commission vorgeschlagene Entschädigungs-Summe dem Eigenthümer wirklich anbieten und bei Verweigerung der Annahme in öffentliche Verwahrung geben. Die Annahme oder Hinterlegung dieser Summe mit Vorbehalt der Rechtszuständigkeiten hat keinen Einfluß auf die gerichtliche Bestimmung des Entschädigungs-Kapitals.
Art. 15.
- Wenn der Eigenthümer diesem Verlangen binnen 14 Tagen nicht entspricht, hat das zuständige Gericht auf Verlangen der Verwaltungsbehörde binnen 3 Tagen die Einweisung derselben in den Besitz des Grundeigenthums zu verfügen.
Art. 16.
- Der Eigenthümer kann binnen 8 Tagen nach Einhändigung dieser Verfügung die Einwendung vortragen, daß die in diesem Gesetz vorgeschriebenen Formen nicht beobachtet worden seyen. Das Gericht muß hierüber innerhalb weiterer 14 Tage, binnen welcher die Verwaltungsbehörde sich erklären kann, endlich erkennen, und kann bis dahin die Vollziehung der Einweisung aufschieben. Erkennt das Gericht die Einwendung für gegründet, so hat es zugleich das Geheime Ministerium davon in Kenntniß zu setzen. Bei Einwendung eines Rechtsmittels gegen das Erkenntniß, welche innerhalb 8 Tagen nach der schriftlichen Mittheilung desselben geschehen muß, hat das höhere Gericht innerhalb 14 Tagen lediglich nach Einsicht der früheren Verhandlungen zu erkennen.
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Art. 17.
- Die vollständige Leistung der Entschädigung für Abtretung von Privateigenthum zu öffentlichen Zwecken muß unmittelbar vor der Abtretung erfolgen.
- Ist dieses Privateigenthum Lehen oder Stammgut, ist es mit öffentlicher Hypothek beschwert, oder macht ein Dritter Einwendungen gegen die Auszahlung der Entschädigung an den Eigenthümer, Nutznießer, Pachter u. s. w., so wird die Entschädigungssumme zu weiterer gerichtlicher Verfügung öffentlich hinterlegt.
- Ist das für öffentliche Zwecke zu verwendende Grundstück zehentpflichtig, so wird die Entschädigungssumme zwischen dem Eigenthümer und dem Zehntherrn nach Verhältniß des Steuer-Kapitals getheilt. Ist es mit einem Grundzins behaftet, so geht diese Verpflichtung auf den künftigen Eigenthümer über.
Art. 18.
- Von den Bestimmungen dieses Gesetzes sind die Nothfälle ausgenommen, welche durch unmittelbar bevorstehende oder bereits eingetretene Ueberschwemmung, durch Feuersgefahr, durch Kriegsereignisse oder durch ansteckende Krankheiten veranlaßt werden können. Ob ein solcher Nothfall vorhanden sey, unterliegt der Beurtheilung der Verwaltungsbehörde.
- Jedoch finden die Bestimmungen des Gesetzes in den Art. 10. 11. 12. über den Betrag der Entschädigung hierauf Anwendung.
- Wenn sich der Eigenthümer und die Verwaltungs-Behörde über die Entschädigungssumme 8 Tage, nachdem der Eigenthümer angezeigt hat, daß eine Schätzung des Schadens möglich sey, nicht vereinigen können, so ist der Regierungsbeamte schuldig, eine Commission nach Masgabe des Art. 3. anzuordnen, falls der Eigenthümer nicht vorziehen sollte, sogleich den gerichtlichen Weg einzuschlagen.
- Hinsichtlich der Gebäude, welche bei Feuersgefahr zur Rettung der übrigen niedergerissen oder sonst beschädigt werden, bleibt es bei der Bestimmung der Brandversicherungs-Ordnung vom 18. November 1816.
Art. 19.
- Die bestehenden Verordnungen wegen Ueberlassung von Grundeigenthum zu Bauplätzen werden durch dieses Gesetz nicht aufgehoben.
Art. 20.
- Wenn für den Bergbau die endliche Abtretung eines Grundstücks oder eines Theils desselben von der Verwaltungsbehörde, oder von demjenigen, welcher von dem Staat zum Bergbau ermächtigt ist, verlangt wird, treten die Bestimmungen dieses Gesetzes ein.
Art. 21.
- Vorbereitungen zum Bergbau (durch Schürfen u. s. w.) kann Niemand auf fremdem Grund und Boden vornehmen, als mit Einwilligung des Eigenthümers, oder mit der allgemein [192] oder besonders ertheilten Erlaubniß der Staats-Regierung[WS 1] und nach den gesetzlich bestehenden Vorschriften.
- In Ermangelung freier Uebereinkunft kann der Eigenthümer dieses Grundes und Bodens die Vergütung desjenigen Schadens verlangen, welchen er nachweisen wird, erlitten zu haben.
- Ueber den Betrag desselben findet der Weg Rechtens bei dem Richter der gelegenen Sache statt.
Art. 22.
- Damit der Eigenthümer den Schadensersatz demnächst auch wirklich erhalte, so ist er berechtigt, vor der Beeinträchtigung seines Grundstücks von dem den Bergbau betreibenden oder vorbereitenden Privatmann die öffentliche Hinterlegung einer baaren Geldsumme zu verlangen, welche dem Werthe des Grundstücks oder des in Anschlag genommenen Theils desselben gleichkommt. Zur Bestimmung dieses Werths hat der genannte Privatmann eine gerichtliche Abschätzung zu erwirken.
Art. 23.
- Was von dem Bergbau gesagt ist, gilt ebenfalls von Salzwerken.
- Die Interessen der Hütten- und Hammerwerke werden, in so fern sie inländische Bergproducte verarbeiten, auf dieselbe Weise als öffentliche betrachtet.
Art. 24.
- Wer in seinem Grundeigenthum solche unterirdische Naturproducte (Fossilien) besitzt, deren Benutzung dem allgemeinen Besten entspricht, wie Torf, Kalk, Kies, Steine, Gyps, Lehm u. s. w. kann nach den Bestimmungen dieses Gesetzes genöthigt werden, dem Staate oder der Gemeinde, innerhalb ihrer Gemarkung, welche ein solches Fossil zu gemeinnützigen und nicht blos vorübergehenden Zwecken verwenden will, dieses Grundeigenthum, gegen Vergütung des vollständigen Werths des Grundstücks, nach der bisherigen Benutzungsart jedoch ohne Berücksichtigung des unter dem Boden liegenden Fossils, abzutreten, in so fern er nicht erklärt, dasselbe selbst auf diese Art benutzen zu wollen und diese Erklärung binnen zwei Jahren erfüllt.
Art. 25.
- Wenn der Eigenthümer eines Grundstücks im Auslande wohnt, so genügt es, die in diesem Gesetze vorgeschriebenen Aufforderungen und Anerbietungen an den Besitzer des Grundstücks (Pachter, Verwalter, u. s. w.), wenn sich aber keine der hier genannten Personen im Lande befinden, an den Vorsteher der Gemeinde ergehen zu lassen, welche den Eigenthümer, sobald als es möglich ist, in Kenntniß zu setzen haben, ohne daß jedoch das weitere Verfahren hierdurch aufgeschoben wird.
Art. 26.
- Die Verwendung von Privat-Eigenthum für einen öffentlichen Zweck soll, wenn dieser [193] darunter nicht leidet, zu der dem Privat-Eigenthümer am wenigsten nachtheiligen Zeit ausgeführt werden. Im Falle des Widerspruchs steht die Beurtheilung dieses Zeitpunktes der höheren Verwaltungs-Behörde zu. Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und beigedruckten Staats-Siegels.
- Darmstadt, am 27. May 1821.
- (L. S.) LUDEWIG.
- (L. S.)
von Grolman.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Im Original steht "StaatstRegierung".