Der Stechlin/Fünfundvierzigstes Kapitel
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Armgard schien verstimmt. „Melusine läßt sonst nie warten.“ „Das hat dich verwöhnt. Sie verwöhnt dich überhaupt.“ „Vielleicht. Aber, so dir’s recht ist, darüber erst später einmal, nicht heute; für solche Geständnisse sind wir doch eigentlich noch nicht lange genug verheiratet. Wir sind ja noch in den Flitterwochen.“ Woldemar beschwichtigte. „Morgen wird ein Brief da sein. Schließen wir also Frieden, und steigen wir, wenn dir’s paßt, nach Anacapri hinauf. Oder wenn du nicht steigen magst, bleiben wir, wo wir sind, und suchen uns hier eine gute Aussichtsstelle.“ Es war auf dem Frontbalkon ihres am mittleren Abhang gelegenen Albergo, daß sie dies Gespräch führten, und weil die Mühen und Anstrengungen der letzten Tage ziemlich groß gewesen waren, war Armgard willens, für heute wenigstens auf Anacapri zu verzichten. Sie begnügte sich also, mit Woldemar auf das Flachdach hinaufzusteigen, und verlebte da, angesichts der vor ihnen ausgebreiteten Schönheit, eine glückliche [511] Stunde. Von Sorrent kamen Fischerboote herüber, die Fischer sangen, und der Himmel war klar und blau; nur drüben aus dem Kegel des Vesuv stieg ein dünner Rauch auf und von Zeit zu Zeit war es, als vernähme man ein dumpfes Rollen und Grollen. „Hörst du’s?“ fragte Armgard. „Gewiß. Und ich weiß auch, daß man einen Ausbruch erwartet. Vielleicht erleben wir’s noch.“ „Das wäre herrlich.“ „Und dabei“, fuhr Woldemar fort, „komm’ ich von der eiteln Vorstellung nicht los, daß, wenn’s da drüben ernstlich anfängt, unser Stechlin mitthut, wenn auch bescheiden. Es ist doch eine vornehme Verwandtschaft.“ Armgard nickte, und von der Uferstelle her, wo die Sorrentiner Fischer eben anlegten, klang es herauf: Tre giorno son che Nina, che Nina, Am andern Tage, wie vorausgesagt, kam ein Brief von Melusine, diesmal aber nicht an die Schwester, sondern an Woldemar adressiert. „Was ist?“ fragte Armgard, der die Bewegung nicht entging, die Woldemar, während er las, zu bekämpfen suchte. „Lies selbst.“ Und dabei gab er ihr den Brief mit der Todesanzeige des Alten. An ein Eintreffen in Stechlin, um noch der Beisetzung beiwohnen zu können, war längst nicht mehr zu denken; der Begräbnistag lag zurück. So kam man denn überein, die Rückreise langsam, in Etappen über Rom, Mailand und München machen, aber an jedem Orte (denn beide sehnten sich heim) nicht länger als [512] einen Tag verweilen zu wollen. Von Capri nahm Woldemar ein einziges Andenken mit, einen Kranz von Lorbeer und Oliven. „Den hat er sich verdient.“ – Die letzte Station war Dresden, und von hier aus war es denn auch, daß Woldemar ein paar kurze Zeilen an Lorenzen richtete. Lieber Lorenzen. Seit einer halben Stunde sind wir in Dresden, und ich schreibe diese Zeilen angesichts des immer wieder schönen Bildes von der Terrasse aus, das auch auf den Verwöhntesten noch wirkt. Wir wollen morgen in aller Frühe von hier fort, sind um zehn in Berlin und um zwölf in Gransee. Denn ich will zunächst unser altes Stechlin wiedersehen und einen Kranz am Sarge niederlegen. Bitte, sorgen Sie, daß mich ein Wagen auf der Station erwartet. Wenn ich auch Sie persönlich träfe, so wäre mir das das Erwünschteste. Es plaudert sich unterwegs so gut. Und von wem könnt’ ich mehr und zugleich Zuverlässigeres erfahren, als von Ihnen, der Sie die letzten Tage mit durchlebt haben werden. Meine Frau grüßt herzlichst. Wie immer Ihr alter, treu und dankbar ergebenster Woldemar v. St. Um zwölf hielt der Zug auf Bahnhof Gransee. Woldemar sah schon vom Coupé aus den Wagen; aber statt Lorenzen war Krippenstapel da. Das war ihm zunächst nicht angenehm, aber er nahm es bald von der guten Seite. „Krippenstapel ist am Ende noch besser, weil er unbefangener ist und mit manchem weniger zurückhält. Lorenzen, wenn er dies Wort auch belächeln würde, hat einen diplomatischen Zug.“ In diesem Augenblick erfolgte die Begrüßung mit dem inzwischen herangetretenen „Bienenvater“, und alle [513] drei bestiegen den Wagen, dessen Verdeck zurückgeschlagen war. Krippenstapel entschuldigte Lorenzen, „der wegen einer Trauung behindert sei“, und so wäre denn alles in bester Ordnung gewesen, wenn unser trefflicher alter Museumsdirektor nur vor Antritt seiner Fahrt nach Gransee von einer Herausbesserung seines äußeren Menschen Abstand genommen hätte. Das war ihm aber unzulässig erschienen, und so saß er denn jetzt dem jungen Paare gegenüber, angethan mit einem Schlipsstreifen und einem großen Chemisettevorbau. Der Schlips war so schmal, daß nicht bloß der zur Befestigung der Vatermörder dienende Hemdkragenrand in halber Höhe sichtbar wurde, sondern leider auch der aus einem keilartigen Ausschnitt hervorlugende Adamsapfel, der sich nun, wie ein Ding für sich, beständig hin und her bewegte. Die Verlegenheit Armgards, deren Auge sich – natürlich ganz gegen ihren Willen – unausgesetzt auf dies Naturspiel richten mußte, wäre denn auch von Moment zu Moment immer größer geworden, wenn nicht Krippenstapels unbefangene Haltung schließlich über alles wieder hinweg geholfen hätte. Dazu kam noch, daß seiner Unbefangenheit seine Mitteilsamkeit entsprach. Er erzählte von dem Begräbnis und wer vom Grafschaftsadel alles dagewesen sei. Dann kam Thormeyer an die Reihe, dann Katzenstein und die Domina und zuletzt auch „lütt Agnes“. „Des Kindes müssen wir uns annehmen,“ sagte Armgard. „Wenn du darauf dringst, gewiß. Aber es liegt schwieriger damit, als du denkst. Solche Kinder, ganz im Gegensatz zur Pädagogenschablone, muß man sich selbst überlassen. Der gefährlichere Weg, wenn überhaupt was Gutes in ihnen steckt, ist jedesmal der bessere. Dann bekehren sie sich aus sich selbst heraus. Wenn aber irgend ein Zwang diese Bekehrung [514] schaffen will, so wird meist nichts draus. Da werden nur Heuchelei und Ziererei geboren. Eigner freier Entschluß wiegt hundert Erziehungsmaximen auf.“ Armgard stimmte zu. Krippenstapel aber fuhr in seinem Berichte fort und erzählte von Kluckhuhn, von Uncke, von Elfriede; Sponholz werde in der nächsten Woche zurückerwartet, und Koseleger und die Prinzessin seien ein Herz und eine Seele, ganz besonders – und das sei das allerneueste – seit man für ein Rettungshaus sammle. Seitens des Adels werde fleißig dazu beigesteuert; nur Molchow habe sich geweigert: „so was schaffe bloß Konfusion“. Um zwei traf man in Schloß Stechlin ein. Woldemar durchschritt die verödeten Räume, verweilte kurze Zeit in dem Sterbezimmer und ging dann in die Kirchengruft, um da den Kranz an des Vaters Sarge niederzulegen. Am späten Nachmittag erschien auch Lorenzen und sprach zunächst sein Bedauern aus, daß er einer Amtshandlung halber (Kossäth Zschocke habe sich wieder verheiratet) nicht habe kommen können. Er blieb dann noch den Abend über und erzählte vielerlei, zuletzt auch von dem, was er dem Alten feierlich habe versprechen müssen. Woldemar lächelte dabei. „Die Zukunft liegt also bei dir.“ Und unter diesen Worten reichte er Armgard die Hand. Anmerkungen (Wikisource)Bearbeiten
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