Der Blutmord in Konitz/Polizeikommissar Wehn

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Der Polizeikommissar Wehn und seine Methode.

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Gegen Ende März 1900 erscheint in Konitz der Polizei-Kommissar aus Berlin, um die Konitzer Polizei in ihren Entdeckungsarbeiten zu unterstützen. Mitgebracht hat er die Ueberzeugung, daß die Mörder unter den Juden in keinem Falle zu suchen seien. Um sich zu informieren, befragte er auch einen pensionierten früheren Polizeibeamten der Stadt Konitz, der bei allen Kriminalfällen stets mit Erfolg zur Mitarbeit herangezogen war: ,,Wie denken Sie über den Fall, Herr Kollege?"

Als nun der Betreffende seine Wahrnehmungen entwickelte und die nach jüdischer Seite hinweisenden Spuren aufdeckte, rief Herr Wehn: ,,Was? Sie glauben auch, die Juden sind es gewesen? Dann kann ich Ihre Hilfe nicht brauchen."

In der That ist der mit Konitzer Verhältnissen sehr vertraute ehemalige Polizist dann auch nicht mehr zur Mitarbeit herangezogen worden. Nach dieser seiner, auch anderweitig ausgesprochenen Ueberzeugung von der Unmöglichkeit jüdischer Thäterschaft, hat Herr Wehn seine amtlichen Handlungen eingerichtet. Monatelang hat er Zeugen vernommen, emsig gearbeitet, unermüdlich nach Spuren gesucht, um einen Christen zu finden, der den Mord verübt habe. Die Zeugen-Aussagen aber, die sich gegen Juden richteten, waren für ihn belanglos. Viele Zeugen klagen über die schlechte Behandlung, die der Herr Kommissar ihnen hat angedeihen lassen. Zeugen, die gegen Juden aussagten, wurden stets in ein scharfes Kreuzverhör genommen, bis sie sich in scheinbare Widersprüche verwickelten. Damit galt dann die ganze Aussage und der Zeuge selbst als unglaubwürdig.

Diese ,,Aufklärungen", wie der technische Ausdruck in offiziellen Zeitungs-Artikeln des ,,Konitzer Tageblatts" lautete, haben Herrn Wehn bisweilen viele Mühe gemacht. Der größte Teil seiner Zeit ist auf diese ,,aufgeklärten Fälle" verwendet worden. Die christliche Bevölkerung aber sprach ihre Ansicht über die Thätigkeit des Herrn Wehn dahin aus, daß dieser Beamte fast einen jeden Christen für unglaubwürdig, dagegen jeden Juden für einen sehr wahrheitsliebenden und anständig denkenden Menschen hielt. Diese Arbeit des Herrn Wehn, ,,christliche Zeugen aufzuklären", d.h. den Nachweis ihrer Unglaubwürdigkeit zu liefern, hat am meisten dazu beigetragen, daß nichts herausgekommen ist und die Erbitterung unter den Nichtjuden in Konitz einen hohen Grad erreichte.

In der Schwurgerichts-Verhandlung gegen Masloff (Anfang bis Mitte November 1900) kam folgender Verlauf einer [16] Zeugenvernehmung des Herrn Wehn zur Sprache: Eine Frau Borchardt sollte vor Herrn Wehn aussagen über ein von ihr gehörtes Gespräch der jüdischen Familie Matthäus Meyer in Konitz über den jungen Winter. Am Ende des Protokolls schreibt Herr Wehn: daß die Zeugin schließlich ihre ganze, soeben gemachte Aussage widerrufen habe. — Die Frau Borchardt wurde aber später nochmals, und zwar gerichtlich vernommen. Dabei erklärte sie mit Bestimmtheit: es sei ihr gar nicht eingefallen, ihre Aussage zu widerrufen. – Herr Wehn habe sie gefragt, ob sie ihm genau den Tag angeben könne, an dem sie ihre Wahrnehmung gemacht habe. Darauf habe sie „Nein“ gesagt und hinzusetzen wollen, „den Tag kann ich nicht angeben“. Aber schon bei dem Wort „Nein“ sei Herr Wehn aufgesprungen und habe ihr laut zugerufen: „Wenn Sie also nichts wissen, so machen Sie, daß Sie hinauskommen“, und sie habe sich aus dem Zimmer entfernen müssen. Auf Vorhaltung blieb Herr Wehn bei seiner Darstellung und berief sich dafür auf den Schutzmann Beyer und den Polizisten Hantelmann, die bei dem Vorfalle anwesend gewesen seien. Der Schutzmann Beyer bekundete jedoch, daß er nicht der Vernehmung der Frau Borchardt beigewohnt habe, und der Polizist Hantelmann sagte aus, daß Herr Wehn die Zeugin sehr laut angeredet habe. Nach seiner (Hantelmanns) Auffassung habe die Frau Borchardt ihre Aussage keineswegs zurücknehmen wollen. — Bei der Konfrontation mit Frau Borchardt gab Herr Wehn schließlich an, die Zeugin habe ihren Widerruf mit so leiser Stimme ausgesprochen, daß nur er, nicht aber Hantelmann es habe hören können. — Die Frau Borchardt verblieb aber mit aller Bestimmtheit dabei, daß sie in keiner Weise zu Herrn Wehn die von diesem behauptete Aeußerung (Widerruf) gethan habe.

Ueber die Methode, die der Kriminal-Kommissar Wehn bei seinen Ermittelungs-Versuchen anwendete, hat auch der Fall Eisenstädt (Schlochau) in den Schwurgerichts-Verhandlungen gegen Masloff Aufklärung gebracht: Es sollte lediglich festgestellt werden, ob der Eisenstädt in der Nacht vom 11. zum 12. März in dem katholischen Krankenhause zu Konitz gewesen war oder nicht. Herr Wehn vernahm hierüber den Eisenstädt und einen zweiten Juden, die beiden aussagten, Eisenstädt habe die ganze Nacht vom 11. zum 12. März in dem Krankenhause verweilt. Anstatt nun aber auch die Leitung des Krankenhauses, insbesondere die Krankenschwestern, zu vernehmen, sandte Herr Wehn bloß den Schutzmann Beyer zur Nachfrage hin, wie lange Eisenstädt im Krankenhause verpflegt sei. Damit war für Herrn Wehn die Sache genügend aufgeklärt und für ihn festgestellt, daß Eisenstädt in der Nacht vom 11. zum 12. März im Krankenhause sich aufgehalten habe. In den Verhandlungen gegen Masloff stellte sich aber durch Vernehmung der beiden Ordensschwestern und des Arztes heraus, daß Eisenstädt die Nacht vom 11. zum 12. März außerhalb des Krankenhauses zugebracht hatte.

Etwas Positives wollte Herr Wehn aber doch leisten; er ging nämlich von der Ansicht aus, „daß nur warme Brüder*)[1] den [17] Mord begangen haben könnten“. Solche Leute aber konnten nach der Anschauung des Herrn Wehn nur unter den Christen zu suchen sein, und daher warf er allen Ernstes auf einen jungen christlichen Schneidermeister P. seinen Verdacht.

Aus sich war Herr Wehn allerdings auch nicht auf diesen Gedanken gekommen, sondern die Konitzer Juden hatten dahingehende Gerüchte verbreitet. Aber fast alle Beamte haben unbewußt in der Winterschen Mordsache nach Ideen gearbeitet, die von der Judenschaft vorher ausgedacht und planmäßig verbreitet waren. Der vor einem Jahre verstorbene Vater des Herrn P. war früher der einzige offene Judengegner in Konitz. Grund genug für die Juden, seinem Sohne alle nur möglichen Schändlichkeiten zuzutrauen. Hat doch der Jude Klausner in seinem Blatte, der „Israelitischen Wochenschrift“ (Nr. 27 vom Jahre 1900), ausdrücklich geschrieben:

„In Konitz liegen die Dinge für die Antisemiten noch schlimmer. Hier ist der Verdacht berechtigt, daß der Mord von vornherein geplant und ausgeführt ist, mit der Absicht, ihn den Juden in die Schuhe zu schieben. Das ganze Verhalten der antisemitischen Wortführer und der antisemitischen Presse zwingt zu dieser Annahme. …

Antisemitentum und Verbrechertum sind insofern fast identische Begriffe, als es wohl Verbrecher geben mag, die keine Antisemiten sind, Antisemiten aber, die keine Verbrecher sind, nicht geben kann. Der Staat ist bisher noch nicht zu der Erkenntnis gelangt, daß er diesem besonderen Verbrechertum besondere Aufmerksamkeit zu schenken Ursache habe. Er läßt es vielmehr mit anscheinend unerschöpflicher Langmut gewähren.“ ---

Aus dem Geschäfte des Herrn P. rührte nun der Sack her worin der Rumpf des Ermordeten eingenäht gewesen war – somit galt Herr P. als sehr verdächtig.

Herr P., der mit seiner alten Mutter zusammen wirtschaftet, und dessen Bruder ein höherer Justizbeamter ist, wurde aber mit Herrn Wehn bald fertig. Er wies nach, daß der Sack aus seinem Geschäft an die Schwester des Fleischers Adolf Lewy mit anderen alten Sachen verkauft worden war. Er wies ferner nach, daß er vom Mittage des 11. März bis nachts 1 Uhr mit einer ganzen Anzahl anderer Herren, die denn doch so ohne weiteres als Meineidige nicht hingestellt werden konnten, ununterbrochen zusammengewesen war und mit ihnen eine sogenannte Bierreise gemacht hatte. Auf den ausdrücklichen Antrag des Herrn P. wurden alle diese Zeugen vom Untersuchungsrichter des Amtsgerichts zu Konitz eidlich vernommen, und Herr P. hatte dann Ruhe vor weiteren Verfolgungen. Daß er mit „warmen Brüdern“ in Verbindung stehen sollte, erwies sich als lediglich jüdische Erfindung.

Zur Ehre des Herrn Wehn muß aber gesagt werden, daß er wenigstens niemals an eine Schuld des Herrn Fleischermeisters Hoffmann geglaubt, und daß er diese seine Ueberzeugung auch offen ausgesprochen und vertreten hat.

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In die Zeit der Thätigkeit des Herrn Wehn fällt:

Das Begräbnis
des ermordeten Ober-Tertianers Ernst Winter.


Am 22. Mai gab die Kgl. Staatsanwaltschaft die gefundenen Körperteile frei und stellte sie dem Vater zur Verfügung. Am Sonntag, den 27. Mai 1900, fand zu Konitz das Begräbnis statt. Eine nach vielen Tausenden zählende Menschenmenge war von weit her zusammengeströmt und begleitete die Ueberbleibsel des schmählich hingeschlachteten christlichen Jünglings nach dem Grabe auf dem evangelischen Kirchhofe, wo der Pfarrer Hammer eine tiefergreifende Leichenpredigt hielt. —

[Eingefügtes Bild:]
Der Leichenzug auf dem Wilhelms-Platze.
[Siehe: Scan: Der Blutmord in Konitz, S. 18]


Am Ende seiner Thätigkeit in Konitz berichtete Herr Wehn an den Minister des Innern:

„der Verdacht gegen den Fleischermeister Hoffmann müsse nach den eingehendsten Ermittelungen aufgegeben werden; die gegen den Schneidermeister Plath und Genossen verfolgten Spuren hätten ebenfalls irgend einen positiven Anhalt nicht erbracht; es bleibe allein der Verdacht gegen die Juden bestehen, und es müsse auf Grund der Ermittelungen angenommen werden, daß der Thäter unter den Juden zu suchen sei.

In der Hauptverhandlung des Masloff-Prozesses bestätigte Herr Wehn auf die Frage eines Verteidigers, daß dies das Resümee seiner Ermittelungen sei, insbesondere, daß er berichtet habe, der Verdacht bleibe allein gegen die Juden bestehen. Er [19] erklärte aber weiter, diese Ansicht (Verdacht gegen die Juden) habe er unter der Voraussicht ausgesprochen, daß die Angabe wahr sei, der Schächter Fuchs habe sich am Mordtage in Konitz aufgehalten. In dem Bericht des Herrn Wehn findet sich aber diese Einschränkung nicht.

Uebrigens haben die Ermittelungen der Behörden mit ziemlicher Gewißheit ergeben, daß der Schächter Fuchs am Mordtage (11. März 1900) thatsächlich in Konitz gewesen ist.

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Anmerkungen

  1. Berliner Ausdruck für Leute mit perverser Geschlechts-Empfindung.