Benutzer:Zofthej/Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen?

Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen?
Abraham Geiger

Einleitung

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Sowie überhaupt im ganzen Kreise sowohl alles dessen, was den Menschen schon zur klaren Erkenntniss worden, als auch dessen, was noch nicht mit völligem Bewusstsein aufgefasst ist, sondern der Zukunft noch zu enthüllen und zur Gültigkeit wissenschaftlicher Bestimmtheit zu steigern überlassen ist, fast immer ein richtiges Gefühl dieser Erkenntniss vorangeht, so dass die Idee, wenn auch nicht durch völlig genügende Beweise unterstützt, doch schon im Geiste der Menschen mit einer gewissen Festigkeit angenommen wird: so ist auch das Thema dieser Abhandlung schon längst als bekannt und gewiss vorausgesetzt, nämlich dass Mohammed in seinen Koran Vieles aus dem Judenthume, wie es ihm zu seiner Zeit sich darstellte, aufgenommen habe, obgleich für diese Annahme durchaus nicht hinlängliche Gründe da waren. Und eben das Streben, dieser sehr richtigen Vermuthung ihren Platz unter die wissenschaftlichen Gewissheiten zu verleihen, scheint wohl den Wunsch der Fakultät veranlasst zu haben, diesen Gegenstand von sowohl des Korans als des Judenthums in ihren Quellen Kundigen genau und gründlich bearbeitet zu sehn, und diesem Wunsche zu genügen, gehe ich mit Bewusstsein zwar meiner schwachen Kräfte, aber auch meines ernsten Fleisses und unverrückten Vorhaltens dieses Zieles entgegen.
Damit nun aber die Erreichung dieses Zieles möglich sei und nicht eine blosse Zusammenstellung des aus dem Judenthume aufgenommen zu sein Scheinenden gegeben, und damit diese Thatsache nicht als eine aus der Geschichte losgerissene einzeln hingestellt werde, sondern damit vielmehr eben eine wissenschaftliche Darstellung entstehe, muss sowohl der Zusammenhang dieser nachzuweisenden Thatsache mit dem ganzen Leben und Wirken Mohammed’s als auch mit dem Gange der zu seiner Zeit vorgefallenen, sein Wirken bestimmenden und der durch ihn bewirkten Ereignisse aufgesucht werden. Und so zerfällt diese Abhandlung in zwei Theile, deren erster die Frage zu beantworten hat: wollte, konnte und wie konnte, durfte und wie durfte Mohammed aus dem Judenthume aufnehmen?, deren zweiter aber, gleichsam als Bestätigung des früher aus allgemeinen Gründen Aufgestellten, die thatsächliche Entlehnung nachweisen muss. — So erst kann selbst eine einzelne Nachweisung der Art einen wissenschaftlichen Werth gewinnen, indem sie theils den Plan Mohammed’s beleuchtet, theils ihre innere Nothwendigkeit und ihre geschichtliche Wichtigkeit durch Verbindung mit andern Thatsachen seines Lebens und seiner Zeit erscheint.
Diesem mag dann als Anhang hinzugefügt werden die Zusammenstellung derjenigen Stellen, in denen er das Judenthum mehr berücksichtigt als aus ihm angenommen, und zwar vorzugsweise es bestritten hat.

Erste Abtheilung

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Wollte, konnte und wie konnte, durfte und wie durfte Mohammed aus dem Judenthume aufnehmen?

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Indem es uns nicht genügt, bloss eine trockne, dürftige Nachweisung der Stellen zu geben, von welchen es scheint, dass sie Anklänge aus dem Judenthume enthalten, um hieraus zu beweisen, dass wirklich Mohammed eine gewisse Bekanntschaft mit dem Judenthume besessen und es zur Aufstellung seines neuen Glaubensgebäudes benutzt habe, und dass ferner eine Vergleichung mit dieser seiner Quelle auch Manches zur Aufhellung vieler Stellen im Korane beitragen könne; indem uns vielmehr auch noch die Arbeit obliegt, nachzuweisen, wie es in der Gemüthsart, dem Streben und den Zwecken Mohammed’s, dem Geiste seiner Zeit und der Beschaffenheit seiner Umgebung lag, und hierdurch gleichsam, wenn wir ganz von Thatsachen, die das Judenthum als eine Quelle des Korans unläugbar erscheinen lassen, entblösst wären, schon die Vermuthung, dass eine solche Entlehnung Statt gefunden habe, eine grosse Wahrscheinlichkeit für sich habe: so musste uns auch zuerst dieses als die philosophische Entwicklung des später durch die Geschichte zu Bestätigenden erledigt werden. — Drei Fragepunkte sind es aber nun, die sich hier vorzugsweise zeigen. Zuerst frägt es sich: sollte wirklich Mohammed irgend eine Absicht durch eine Entlehnung aus dem Judenthume zu erreichen gedacht haben, oder: wollte Mohammed aus dem Judenthume aufnehmen? Dann tritt als zweite Frage hervor: hatte auch Mohammed Mittle, und welche hatte er, zu einer Bekanntschaft mit dem Judenthume zu gelangen, oder: konnte und wie konnte er aufnehmen? Und nun erst drängt sich die Untersuchung auf, ob ihm nicht etwa andre Umstände eine solche Entlehnung widerriethen oder sie wenigstens zu beschränken geboten, oder: durfte und wie durfte er aufnehmen? — Und diese drei verschiedenen Voruntersuchungen geben auch die Eintheilung dieser ersten Abtheilung an.

Erster Abschitt

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Wollte Mohammed aus dem Judenthume aufnehmen?

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Dürfen wir Mohammed keineswegs eine Vorliebe für die Juden und das Judenthum beilegen, ja zeigen sich vielmehr sowohl in seinem Leben als auch in der von ihm als Gesetzbuch der Nachwelt übergebnen Schrift Spuren von Hass gegen Beide: so war doch theils die Macht, die die Juden in Arabien erlangt hatten, bedeutend genug, dass er sie als Anhänger zu haben wünschen musste, theils waren sie auch an Kenntniss, obgleich selbst unwissend, den andern Glaubensgemeinden überlegen, die auch ihm durch göttliche Eingebung verliehen worden zu sein er vorgeben musste, sowie er dies überhaupt gerne von allem seinem Wissen angab (vgl. z. B. Kor. XXIX, 47: وَمَا كُنْتَ تَتْلُو مِنْ قَبْلِهِ مِنْ كِتَابٍ وَلَا تَخُطُّهُ بِيَمِينِكَ »und Due hattest ja vordem kein Buch gelesen, auch keines mit Deiner Rechten geschrieben« (Worte Gottes), welche Kenntniss ihm also von Gott ertheilt worden sei); auch machten sie ihm durch geistreiche und neckische Bemerkungen soviel zu schaffen, dass der Wunsch sie zu begütigen gewiss in ihm aufsteigen musste.
Dass die Juden in Arabien zu Mohammeds Zeit viele Macht besassen, zeigt das freie Leben vieler ganz unabhängiger Stämme, die auch zuweilen mit ihm in offenen Kampf traten, welches letztere vorzüglich von den Benu Kainokaa (بَنُو قَيْنُقَاعَ) nach Abulfeda (vita Mohammedis ed. Gagnier p. 67) im zweiten, nach andern von Gagnier in der Anmerkung Angeführten im dritten Jahre der Flucht, und von dem Benu Nedhir (بَنُو نَظِيرَ, bei Pococke specimen historiae Arabum p. 11 تصير, ebenso bei den Auslegern zur Sure LIX) im 4ten Jahre (vita Mohammedis p. 71), die von Dschennah eine قبيلة كثيرة من اليهود, ein grosser Judenstamm genannt werden, ferner von den Judan in Chaiber (خيبر), mit denen er im 7ten Jahre kämpft (Poc. spec. p. 11), bekannt ist. — Auf die Benu Nedhir soll sich auch Kor. LIX, 2 beziehn, wo sie als so mächtig beschrieben werden, dass die Moslemen an ihrer Besiegung verzweifelten, und die festen Plätze, die sie inne hatten, auch wirklich den Gedanken an eine Einnahme hätten schwinden machen, wenn sie nicht selbst, wie sich Mohammed, wahrscheinlich übertreibend, ausdrückt, ihre Häuser verwüstet hätten, oder, wie Abulfeda (a. a. O.) mir grösserer geschichtlicher Wahrscheinlichkeit berichtet, eine lange Belagerung fürchtend, selbst abgezogen wären und sich nach ruhigern Gegenden gewandt hätten. — Ueberhaupt war natürlich diese völlige Lockerheit des staatlichen Lebens, die sich bis zur Herrschaft Mohammeds in Arabien fand, den aus der Zerstörung dorthin in grossen Massen flüchtenden Juden zu ihrer Sammlung und zur Bewahrung ihrer Selbstständigkeit sehr günstig. Ein Jahrhundert vor Mohammeds Auftreten hatte sich diese Selbstständigkeit unter den Himjariten in Jemen sogar zu einer Beherrschung auch von Nichtjuden erhoben, und bloss die missverstandne Gläubigkeit des letzten Beherrschers Dsu Nawas (ذُو نَوَاسَ), die ihn zum grausamen Versuche der Unterdrückung Andersgläubiger bewog — welcher Versuch uns freilich mit den Farben eines Martyrologiumschreibers geschildert ist — stürzte durch das Herbeieilen des christlichen habessinischen Königs diesen jüdischen Thron (Vgl. Assemani bibl. orient. I. 361 ff. und aus ihr Michaelis syrische Chrestomathie, S. 19 ff.); der Finger der Nemesis in der Geschichte, der sich in so vielen umgekehrten Fällen nicht mit seiner unmittelbaren Eingreifung bewies. Wenn es mir nun auch durchaus unwahrscheinlich ist, dass hierauf sich die Stelle im Korane LXXXV, 4 ff. beziehe, theils wegen der gänzlichen Unbestimmtheit, mit der diese Begebenheit dann angedeutet wäre, theils schon deshalb, weil nach dieser Deutung die Christen V. 7 الْمُومِنُونَ »die Gläubigen« genannt würden, was selbst bei der glimpflichen Behandlung Mohammeds gegen die Christen doch niemals weiter geschehn ist, wenn ich vielmehr dieser Stelle unten (II, II, II, IV S.) eine ganz andre, einem jeden einzelnen Worte entsprechende Deutung geben werde: so zeigt doch selbst dieses Missverständniss der Commentare deutlich, als welch wichtiges Ereigniss die Besiegung dieses jüd. Königs der Arabern zu betrachten war und wie gross seine Macht gewesen sein musste. Dass nun die Ueberreste einer solchen Macht, selbst wenn sie zersplittert wurde, immer noch bedeutend blieben, ist an und für sich klar, geht auch aus einer bald (S. 11) anzuführenden Stelle des Beidawi zu II, 91 hervor, wo die Himjariten als vorzüglich ungläubig geschildert werden. — Als dem Judenthume anhänglich nennt ferner ein arab. Schriftsteller bei Poc. spec. p. 136 ausser den Himjariten die Benu Kenanah, Benu’l Hareth ben Käba und Kendah.[1]
(p. 9)

Fußnoten

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  1. Einen hübschen Beleg für die Bedeutung, die enzelne jüd. Stämme erlangt haben, könnte man auch in einem Gedichte der Hamasa, ed. Freyt. p. 49 ff. finden, das voll edeln Rittergeistes und starken Selbstvertrauens ist, wenn auch nur die Zeugnisse für die Beziehung auf einen jüd. Stamm sicher genug wären. Das Ganze, was sich dafür findet, ist der Name des Verfasser السَّمَوْءَلُ, das, wie auch der Commentator n. E. bemerkt, ein hebr. Name ist (وقال ابو العلا السموءل اسم عبرانى وليس بعربى), der doch aber sehr leicht zu den Arabern übergegangen sein konnte. Ja in dem V. صَفوْنَا S. 52, wo die Reinheit und Unvermischtheit des Stammes gepriesen wird und wo man eine Erwähnung der jüd. Abkunft erwartet hätte, findet sich eine solche nicht.