{{Gesetzestext| TITEL=Protokoll über die Umsiedlung der deutschen Volksgruppe Estlands in das Deutsche Reich vom 15. Oktober 1939 |ABKÜRZUNG= |ART= |GELTUNGSBEREICH= |RECHTSMATERIE= |FUNDSTELLE=[http://www.forost.ungarisches-institut.de/pdf/19391015-1.pdf Ungarisches Institut München] |DIESEFASSUNG= |URSPRUNGSFASSUNG= |BEKANNTMACHUNG= |INKRAFTTRETEN= |ANMERKUNGEN= |HERKUNFT= |QUELLE= |WIKIPEDIA= |BEARBEITUNGSSTAND= }}

Über die Umsiedlung der deutschen Volksgruppen Estlands in das Deutsche Reich haben in der Zeit vom 9. bis 15. Oktober 1939 in Reval die von ihren Regierungen zu diesem Zweck beauftragten Vertreter, nämlich: für die Regierung des Deutschen Reiches: der außerordentliche Gesandte und bevollmächtigte Minister Dr. Hans Frohwein, für den Präsidenten des Estnischen Freistaates: der außerordentliche Gesandte und bevollmächtigte Minister Johannes Markus verhandelt und sich über die nachfolgenden Bestimmungen geeinigt:

Artikel I. Entlassung aus der Staatsangehörigkeit und dem Militärdienst

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1. Für die Umsiedlung in das Deutsche Reich können in dem im vorliegenden Protokoll vorgesehenen Verfahren aus der Staatsangehörigkeit Estlands Personen scheiden, die nach der in den estnischen Gesetzen vorgesehenen Ordnung in die Kataster der Kulturselbstverwaltung der deutschen völkischen Minderheit eingetragen sind oder die ein vom Innenministerium ausgestelltes Zeugnis über ihre Zugehörigkeit zum deutschen Volke besitzen, ebenso die Ehegatten, Kinder und Eltern der genannten Personen.

2. Im Beisein eines Vertreters des Innenministeriums werden in dem Kollektivantrag die in der diesem Punkte beigefügten Form des Gesuches vorgesehenen Angaben über die Personen eingetragen, die aus der Staatsangehörigkeit Estlands scheiden wollen.

3. Zum Scheiden aus der Staatsangehörigkeit Estlands stellen die in Ziffer 1 dieses Artikels genannten über 18 Jahre alten Personen persönlich einen Antrag. Zum Scheiden aus der Staatsangehörigkeit Estlands von unter 18 Jahren alten Personen stellen den Antrag ihre Eltern oder Vormunde. Der Antrag der Eltern zum Scheiden aus der Staatsangehörigkeit Estlands gilt zugleich für ihre unter 18 Jahre alten Kinder. Falls nur ein Ehegatte aus der Staatsangehörigkeit Estlands scheiden will, ist zum Scheiden der unter 18 Jahre alten Kinder das Einverständnis der anderen Ehegatten erforderlich.

Für Schwach- und Irrsinnige stellt der Vormund oder der Kurator den Antrag oder -- falls solche nicht ernannt sind -- der Leiter der betreffenden Heilanstalt oder die Person, oder die Anstalt, deren Fürsorge sie obliegen.

4. Die im Militärdienst stehenden Personen, die in dem in diesem Protokoll vorgesehenen Verfahren aus der Staatsangehörigkeit Estlands scheiden wollen, stellen den betreffenden Militärbehörden den Antrag zu ihrer Befreiung vom Militärdienst zur Umsiedlung in das Deutsche Reich und fügen dem Antrag ein Zeugnis bei, daß sie in das Kataster der Kulturselbstverwaltung der deutschen völkischen Minderheit eingetragen sind, oder ein vom Innenministerium ausgegebenes Zeugnis über ihre Zugehörigkeit zum deutschen Volk.

5. Die in Gefängnissen befindlichen Personen stellen zum Scheiden aus der Staatsangehörigkeit Estlands einen speziellen Antrag direkt durch das Innenministerium.

6. Mit der Eintragung der Person, die aus der Staatsangehörigkeit Estlands scheiden will, in das Gesuch wird ihr ein vom Vertreter des Innenministeriums kontrolliertes und abgestempeltes Zeugnis gegeben. Dabei wird der Person, die aus der Staatsangehörigkeit Estlands scheidet, der Personalausweis und der Auslandspaß abgenommen, falls sie einen solchen besitzt. Dieses Zeugnis ist nur gültig zum Verlassen Estlands auf einem der deutschen Umsiedlerschiffe für die Person, die aus der Staatsangehörigkeit Estlands scheiden will.

7. Die in Ziffer 2 dieses Artikels vorgesehenen Kollektivanträge werden von der Deutschen Gesandtschaft mit einem Vermerk versehen, daß die Deutsche Regierung gewillt ist, die im Antrag genannten Personen in die Staatsangehörigkeit des Deutschen Reiches aufzunehmen.

8. Personen, denen das, in Ziffer 6 dieses Artikels genannte Zeugnis gegeben ist, sind verpflichtet, Estland zu verlassen.

Personen, die zwecks ruhiger Abwicklung der mit der Umsiedlung verbundenen wirtschaftlichen Belange noch längere Zeit in Estland verbleiben müssen, genießen während drei Monaten die in diesem Protokoll vereinbarten Erleichterungen und Vorzüge. Eine Liste der betreffenden Personen wird zu gegebener Zeit eingereicht werden.

9. Die Deutsche Regierung ist bereit, aus Estland in das Deutsche Reich zusammen mit anderen estnischen Staatsangehörigen deutscher Nationalität alle estnischen Staatsangehörigen deutscher Nationalität umzusiedeln, die der staatlichen, kommunalen oder privaten Fürsorge unterliegen, sowie alle estnischen Staatsangehörigen deutscher Nationalität, die sich als Kranke in Heilanstalten befinden oder in Strafanstalten ihre Strafe verbüßen. Eine Liste der betreffenden Personen wird zu gegebener Zeit der Deutschen Gesandtschaft übermittelt werden.

Artikel II. Wirtschaftliche Fragen

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1. Alle nach Deutschland umsiedelnden Personen können Hausrat gebührenfrei persönlich mitnehmen oder binnen 3 Monaten nach der Abreise ausführen. Mitzunehmender Hausrat, dessen Ausfuhr binnen dieser Frist nicht durchgeführt ist, muß vor deren Ablauf zwecks späterer Ausfuhr auf Grund dieser Bestimmungen in Zollverwahrung genommen werden.

Die Mitnahme und Ausfuhr von Sammlungen und Gegenständen künstlerischer und kulturhistorischer Bedeutung sowie von Archivalien von historischer oder sonstwie allgemeiner Bedeutung ist nur mit Genehmigung des Estnischen Kultusministeriums gestattet. Der Genehmigungsantrag ist binnen drei Monaten einzureichen.

Die Mitnahme bzw. Ausfuhr von Krafträdern oder Kraftwagen ist von einer Genehmigung des Estnischen Wirtschaftsministeriums abhängig. Wird die Genehmigung versagt, so übernimmt für Personenkraftwagen und Krafträder die Estnische Regierung entweder binnen 30 Tagen die Sorge für die Pflege und Unterbringung des Fahrzeuges auf ihre Kosten oder erwirbt vom Umsiedler zu angemessenem Preise das zurückbleibende Fahrzeug.

2. Die Mitnahme von Bargeld bei der Ausreise ist Umsiedlern in Höhe eines Betrages bis zu 50 estnischen Kronen in estnischer Währung je Person gestattet. Die Reichsbank wird das ihr von Umsiedlern abgelieferte estnische Bargeld an die Eesti Pank zur Gutschrift zurücksenden.

Barbeträge, die nicht mitgenommen werden, sowie Bankguthaben müssen auf den von der Deutschen Gesandtschaft errichteten Konten eingezahlt werden, die nach Errichtung der Deutschen Treuhandverwaltung auf diese übertragen werden. Von diesen Konten werden Überweisungen auf ein bei der Eesti Pank für die Deutsche Verrechnungskasse neu zu schaffendes Sonderkonto (Umsiedlung) vorgenommen. Über die technischen Einzelheiten werden die Deutschen Verrechnungskassen und die Eesti Pank Vereinbarungen treffen.

3. In Estland befindliche Wertpapiere und Hypothekenbriefe sind zunächst in einem von der Deutschen Gesandtschaft gehaltenen Depot bei der Eesti Pank einzulegen und werden von der Deutschen Gesandtschaft auf die Deutsche Treuhandverwaltung übertragen werden, sobald diese errichtet ist.

Besitztitel, mit denen keine Vermögenswerte unmittelbar übertragen werden können, z. B. Grundbuchauszüge, können ohne Genehmigung nach Deutschland mitgenommen oder später dahin ausgeführt werden.

4. Die Verwertung, Placierung und Abwicklung der Konten (Ziffer 2) und der in Depot befindlichen Wertpapiere (Ziffer 3) erfolgt nach Direktiven, die im Einvernehmen mit dem Estnischen Wirtschaftsminister festgesetzt werden.

5. Umsiedlern, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, ist die Mitnahme von eigenen Schmucksachen und Gebrauchsgegenständen aus Edelmetall und Edelsteinen bis zum Werte von 500 Estikronen gestattet. Silberne Schmucksachen und silberne Gebrauchsgegenstände, die alten Familienbesitz darstellen, können auf Antrag des Umsiedlers mit Genehmigung des Wirtschaftsministeriums mitgenommen oder später nach Deutschland ausgeführt werden.

6. Die Mitnahme von Handwerkszeug und einer kleinen Menge von Materialien zur weiteren Ausübung des Handwerks ist gestattet. Die Mitnahme von ärztlichen Instrumenten, Apparaten und Einrichtungen bedarf der Genehmigung des Estnischen Wirtschaftsministers.

7. Die Estnische Regierung wird sich bemühen, daß die Frage der durch die Umsiedlung unerfüllbar gewordenen Dienst-, Pacht- und Mietverträge im Sinne einer gerechten Abgeltung der entstandenen tatsächlichen Schäden geregelt wird.

Artikel III.

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1. Von der Deutschen Regierung wird bei dem Deutschen Konsulat in Reval eine ,,Deutsche Treuhandverwaltung" errichtet, die eine besondere Abwicklungsstelle des Deutschen Reiches darstellt und auf Grund gesetzmäßiger Bevollmächtigung die Aufgabe hat, das gesamte nach diesem Artikel deklarierte und zurückbleibende und zur Transferierung bestimmte Vermögen der Umgesiedelten in Verwaltung zu nehmen, möglichst ohne Verzögerung zu liquidieren und abzuwickeln und zugleich für die Deckung der zurückbleibenden Schulden und Verpflichtungen der Umgesiedelten nach der in Ziffer 2 vorgesehenen Sonderregelung zu sorgen.

Jeder Umsiedler hat über sein zur Transferierung gelangendes eigenes Vermögen eine Deklaration nach Form 3 auszufüllen und zu unterschreiben, die im Laufe von 2 Wochen, vom Abreisetage gerechnet, dem Estnischen Außenministerium, gegebenenfalls über die Estnische Gesandtschaft in Berlin zugeleitet werden muß. Alle in der Deklaration nicht vermerkten Vermögenswerte unterliegen keiner Transferierung im Sinne dieses Protokolls.

2. Die Deutsche Treuhandverwaltung besitzt keine exterritorialen Vorrechte und unterliegt in ihrer Tätigkeit allen estnischen materiellen und prozessualen Gesetzen. Sie trägt mit dem von ihr verwalteten Vermögen die Gesamthaftung für alle öffentlichen und privaten Schulden und Verpflichtungen der Umgesiedelten, in erster Reihe solche, die in Estland entstanden sind. Die Gesamthaftung tritt nicht ein für Forderungen, die vor der Umsiedlung fruchtlos ausgeklagt oder erlassen worden sind, oder deren Eintreibung wegen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vor der Umsiedlung hoffnungslos war. Als Stichtag für die Umsiedlung im Sinne dieser Bestimmung ist der faktische Ausreisetag anzusehen. Als Wohnsitz des Umgesiedelten wird in allen privatrechtlichen Fragen der letzte Wohnsitz des Betreffenden in Estland betrachtet.

Die Estnische Regierung trägt dafür Sorge, daß die Deutsche Treuhandverwaltung die nach den estnischen Gesetzen für ihre Aufgabe erforderliche Rechtsstellung erhält.

Die Estnische Regierung hat das Recht, in die Deutsche Treuhandverwaltung einen Vertrauensmann zu ernennen, dem ungehindert Einsicht in die Geschäftsführung der Treuhandverwaltung zusteht und der das Recht hat, Fragen, in denen er seine Zustimmung versagt, vor eine zu gründende deutsch-estnische Schlichtungskommission zu bringen. Der Aufbau, die Organisation und die Aufgaben dieser Kommission bleiben einer weiteren Vereinbarung vorbehalten.

3. Es besteht Einverständnis darüber, daß die Deutsche Treuhandverwaltung bei der Verwaltung, Liquidation und Abwicklung des von ihr verwalteten Vermögens die wirtschaftlichen Interessen Estlands berücksichtigen wird. Die Estnische Regierung wird sich darum bemühen, mitzuhelfen, daß die ruhige Abwicklung der Vermögenswerte ermöglicht wird und daß unnütze wirtschaftliche Schäden durch überstürzte Liquidationen vermieden werden.

4. Die Verwaltung der durch die Umsiedlung in Estland verlassenen landwirtschaftlichen Großwirtschaften übernimmt bis zu ihrer Liquidation das Landwirtschaftsministerium. Als Großwirtschaften gelten die in einer besonderen Liste bezeichneten Betriebe, soweit sie nicht bereits estnischen Organisationen übergeben sind (Saatzuchtgenossenschaften und Verwalter). Die mit der Verwaltung in Verbindung stehenden Kosten, die laufenden Gewinne und Verluste gehen für Rechnung der verwalteten Wirtschaften. Das Vermögen der kleinen Landwirte, die infolge der Umsiedlung Estland verlassen, wird, soweit die Besitzer es nicht selbst zu liquidieren vermögen, zwecks Fortsetzung der Bewirtschaftung Vertrauensmännern übergeben, die von den Besitzern oder Bevollmächtigten gewählt worden sind, wobei die örtlichen landwirtschaftlichen Konsulenten bei einer Inventur mitwirken.

Es besteht Einverständnis darüber, daß die Liquidation und Abwicklung des landwirtschaftlichen Besitzes durch die Deutsche Treuhandverwaltung im Einvernehmen mit dem Estnischen Landwirtschaftsminister erfolgt.

Artikel IV. Transfer der Vermögenswerte

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Die endgültige Regelung der Überführung der in Estland befindlichen Vermögenswerte nach Deutschland bleibt einer späteren Vereinbarung vorbehalten, insbesondere die Frage der Verwertung der in Depot und auf dem Konto der Deutschen Gesandtschaft bzw. der Treuhandverwaltung liegenden Wertpapiere und eingegangenen Geldbeträge, wobei die Überführung in solcher Weise geregelt wird, daß die Zahlungsbilanz und das wirtschaftliche Leben Estlands nicht geschädigt werden.

Artikel V.

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Dieses Protokoll ist in zwei Urschriften in deutscher und estnischer Sprache verfertigt, wobei beide Texte authentisch sind. Es wird estnischerseits ratifiziert und tritt mit der Mitteilung der erfolgten Ratifikation an den deutschen Gesandten in Reval in Kraft.

Reval, den 15. Oktober 1939.

Dr. Hans Frohwein

J. Markus