Benutzer:Pandeist/Welt- und Lebenanschauungen

WELT- UND
LEBENANSCHAUUNGEN

HERVORGEGANGEN AUS

RELIGION, PHILOSOPHIE
UND NATURERKENNTNIS

VON

PROF. Dr. MAX B.WEINSTEIN


LEIPZIG

VERLAG VON JOHANN AMBROSIUS BARTH



Druck der Spamerchen Buehdruckerei in Leipzig


Vorwort.
Wer sich mit einem Gegenstande lange und eifrig beschäftigt hat, hegt unwillkürlich den Wunsch, die Ergebnisse seines Studiums und Nachdenkens zu ordnen und für die Dauer festzuhalten. So habe ich dieses Buch nicht bloß für den Leser, sondern auch für mich selbst geschrieben, und darum wird es bei aller Objektivität, die eine wissenschaftliche Veröffentlichung selbstverständlich auszeichnen muß, doch auch den Eindruck des Persönlichen machen. Über die Anschauungen von der Welt, und auch über die vom Leben, ist schon viel geschrieben; das Thema ist ja für Laien und Gelehrte wechtig und interessant genug. Ich glaube aber, daß noch kein Buch vorhanden ist, das die Aufgabe von so allgemeinen Gesichtspunkten und in so umfassender Darstellung behandelt, wie das vorliegende. Meist sind es Ausschnitte aus einzelnen Gedankengebieten der Völker und Forscher, die geboten, werden, entweder vom Standpunkte des Anthropologen, oder des Gottesgelehrten, oder des Philosophen und des Naturforschers. Ich habe es versucht, alles in eins zusammenzufassen, Anthropologie, Religion, Philosophie und Naturwissenschaft, denn nur aus einer Dar Stellung des Ganzen wird man das Bedeutungsvolle des Gegenstandes zu übersehen und das Einzelne zu würdigen vermögen. Und nicht nur das ist von Interesse, was Große denken und sagen, sondern auch, was Völker, selbst in ihrem Naturzustände, erdichten und zur Richtschnur ihres Lebens in sich und mit Anderen machen. Es sind wunderliche und wunderbare Bilder, die kaleidoskopisch an uns vorüberziehen. Es handelt sich aber, wie ich, um Mißverständnissen vorzubeugen, hervorheben muß, nicht um eine Geschichte,

IV Vorwort.

sondern um eine Seh ilderung der Anschauungen selbst. Darum ist der Inhalt, wie ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis lehrt, durchaus nur sachlich geordnet, und wo Raum und Zeit zu entscheiden scheinen, hat sich dieses im Rahmen des Tatsächlicher, von selbst eingestellt. Darum sind auch nur die Hauptmomente behandelt, und sollte ein Leser den einen oder anderen Namen vermissen, so hat der Verfasser ein Besonderes, das sich an diesen Namen für seine besondere Aufgabe knüpft, nicht feststellen können. Manche glauben, daß ein Verfasser, was er nicht sagt, auch nicht weiß und nicht gedacht hat. Eis wäre beschämend, wenn man nicht unendlich viel mehr wüßte und dächte, als man in seinen Büchern, so zahlreich sie schon sein mögen, niedergelegt hat, Aber es ist nicht angängig, alles, was man weiß und denkt, weiterzugeben, denn man muß auch den Leser berücksichtigen. Auch ist zwar vielfach das Leben lang genug das wichtigste zu lernen, aber leider allzu kurz, was man mächte, zu schaffen.

Ich habe eine rein wissenschaftliche Darstellung gewählt, denn die Anschauungen sind nicht bloß geschildert, sondern aufs sorgfältigste zergliedert und auf ihren Wert untersucht. Auch sind sie von der hohen Warte des allgemeinen Menschengeistes und des großen Wissens unserer Zeit betrachtet. Wer über Welt- und Lebenangchauungen umfassend schreiben will, muß sich nicht aliein mit der Arbeit der Vergangenheit vertraut machen, sondern sich auch in die Strömungen der Gegenwart versenken können, und bedarf außerordentlich eingehender Kenntnisse auf allen Gebieten der menschlichen Betätigung. Der Leser soll unterrichtet werden, und zwar sorgfältig und richtig, nicht, wie es durch so viele populäre Werke leider geschieht, oberflächlich oder gar falsch. Außerdem soll er zum eigenen weiteren Denken angeregt und angeleitet werden, Bereicherung mit Kenntnissen und Ideen, Bereicherung mit geistigem Streben ist die Aufgabe eines wissenschaftlichen Buches. Trotz des großen Ernstes der Be

Vorwort. V

handlung und der sehr erheblichen. Schwierigkeit der Materie wird die Darstellung, wie ich hoffe, als klar und einer guten Prosa angemessen befunden werden. Ich bin keiner noch so tiefgründigen Untersuchung aus dem Wege gegangen, habe jedoch, wo Sonderkenntnisse erforderlich waren, diese stets mitgeteilt. Kritik ist last auf jeder Seite geübt, ich habe mich bestrebt Objektivität und Ruhe des Urteils zu wahren. Das Buch ist für den Fachmann und für den Gebildeten, überhaupt für jeden, der sich auf dem wichtigsten Gebiete des menschlichen Denkens und Dichtens unterrichten will, geschrieben. Das Persönliche kommt in der Darstellungsweise und in der Geltendmachung der eigenen Meinungen und Anschauungen zum Vorschein. Ich habe vor längerer Zeil: zwei Bücher geschrieben, auf die ich mich oft berufe : „Philosophische Grundlagen der Wissenschaften" und „Die Entstehung der Welt und der Erde nach Sage und Wissenschaft". Mit dem vorliegenden Buche bilden diese Bücher, wenn auch jedes für sich ein selbständiges Ganze darstellt, eine höhere Einheit, die ich freilich noch gern durch ein Buch über das Leben selbst ergänzen möchte. Bei aller Sorgfalt ist es in umfangreichen Werken nicht immer möglich, Unebenheiten und Versehen zu vermeiden. Ein Herr aus Frankreich hat mich auf eine Stelle in den „Philosophischen Grundlagen" Aufmerksam gemacht, die ich, einem so geschmackvollen und liebenswürdigen Volke gegenüber, wie das französische in der Tat gerne nicht geschrieben haben möchte. :Die wichtigeren Werke, die ich bei Abfassung meines Buches verwendet habe, sind ist in diesem Buche Seibit verzeichnet. Wo es mir nur irgend möglich war, habe ich mich an die Originale gehalten; benutzte ich bei fremden Sprachen zur Erleichterung Übersetzungen, so paßte ich sie möglichst dem Wortlaut der Originale an. Es ist schon ein melancholisches Geschäft, aus Arbeiten Anderer Auszüge zu machen, aber abstoßend langweilig, Auszüge auszuziehen. Ich habe letzteres


VI Vorwort.

nur notgedrungen getan, wu mir die Originale nicht zur Verfügung standen oder die Sprache mir doch verschlossen war, Abbildungen enthält nur der erste Teil des Buches, die übrigen Teile boten keinen Anlaß, sie zv schmücken. Ein sehr entgehendes Inhaltsverzeichnis und Namen- und Sachregister wird, hoffe ich, die Brauchbarkeit des Buches auch zum Nachschlagen erhöhen. Beim Lesen der Korrekturen hat mich mein Freund, der Lehrer an der Berliner Baugewerkschule Dr. Levy, formell und sachlich unterstützt. Ihm und der Verlagsbuchhandlung, die viel Mühe mit dem Buche gehabt und für eine würdige Ausstattung gesorgt hat, meinen besten Dank. Möchte der Leser das Buch so gern lesen, wie der Verfasser es gern und aus dem Innern heraus geschrieben hat.

Charlottenburg, im Mai 1910.
Weinstein.

Inhaltsverzeichnis.

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III

Vorbemerkungen. Charakteristik, Prinzipe und Einteilung der Welt- und Lebenanachauungen.

1. Bedeutung der Welt- und Lebenanachauungen . . . . . 1

Ursprung 1. -- Verhalten der Menschen. 3.

2. Naturvölker und Kulturvölker . . . . . . . . . . . 4

Schwierigkeiten bei den. Naturvölkern 4. -- Schwier Igkelten bei den Kulturvölkern. 6.

3. Hauptfragen und Stammannahmen 7

Formulierung; der Hauptfragen 7. -- Liste der Stammannahmen 9.

4. Vergliechung der Anschauungen, Parallelen . . . . . . 10

Gleichartigkeit der Menschheit ia -- Beispiele für Parallelen 12. -- Völkerzusammenhänge 13.

5. Einteilung der Welt- and Lebenanschauungen 13

Formelle Eintielung 13. -- Sachliche Einteilung 14.

Erstes Buch. Psychisch-religiöse Welt- und Lebenanschauungen.

Erstes Kapitel. Anschauungen der Naturvölker.

6. Irdisch - menschliche Anschauungen . . . . . . . . . . 16

Irdischer Standpunkt des Naturmenschen 16. -- Übertragung auf das Himmlische und Kosmogonische 17. -- Naturmenschlicher Egoismus und Unverstand 22.

7. Über den Ursprung der Religionen, Vorläufiges . . . . . 23

Bedeutung und Entstammung der Religion 23. -- Ursprung aus der Spräche 24. -- Religionsstufen 37. -- Ursprung aus der Macht 28. -- Ursprung aus dem Kategarischen 29. -- Ursprung aus Offenbarung 30. -- Ursprung aus Lehres 31. -- Verschiedene Ursprungsmöglichkeiten 31.

8. Allgemeine Belebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Wie der Naturmensch überall Lehen sieht 32. -- Behandlung der Gegenstände als lebende 55.

9. Seele und Beseelung, Animismus, Fetischismus . . . . . 30

Entdeckung der Seele 36. -- Art der Seele 37. -- Beseelung der Gegenstände, Fetischismus, Animismus 19. -- Verhalten der Seele 40 -- Die Seele und der Tote 41.

VIII Inhalteverwichnis.

10. Schamanismus, Totemismus, Seelen-, Ahnenkult . . . . . 43

Freiheit der Seele vom Körper 43. -- Die Seele als Gegenstand 44. -- Seelen- and Ahnenkult 46. -- Tierseelen 47.

11. Geister- und Dämonenglaube, Götzendienst. . . . . . . . . 48

Tabuismus 48. -- Götzen und Götzendienst 8. -- Vergottete Gegenstände 50. -- Vergottete Menschen 52.

12. Zauberwesen . . . . . . . . . . . . . . 53

Beschwörungen 53. -- Spuk und Überlebsel 55.

13. Höhere Anschauungen bei Naturvölkern . . . . . . . . . 56

Götterglaube, Mythologie 56. -- Höhere Gottheiten 57. -:Höhere theogonische und kosmogonische Ideen der Ozeanier 62.

14. Seele und Jenseits bei den Naturvölkern . . . . . . . 71

Unterhaltung and Vernichtung der Seelen 71. -- Aufenthalt der Seelen, Jenseits 72. -- Totenvögel, Totenkähne u. ä. 73 -- Totenwanderung 75. -- Polynesische Hölle 76. -- Schicksal der Seele 77. -- Resurrektion 79.

Zweites Kapitel. Religiöse Welt- und Lebeaanschauungen der Kulturvölker.

15. Die Kulturvölker als Naturvölker. . . . . . . . . . 80

Wann begann die Kultur? 80. -- Unterschied zwischen Kultur- und Naturvölkern 82.

16. Allgemeine Religionsanschauungen beiden Kulturvölkern im Kreise der Menschheit . . . . . . . . . . . . . . . 83

Begriff des Wilden 83. -- Höhere Anschauungen aus Natur:ansehauungen 84. -- Anschauungen der Littauer, Preußen und Slawen 85. -- Anschauungen der Germanen 88. -- An:schauungen der Kelten 94. -- Anschauungen der Griechen und Römer 95. Anschauungen der Ägypter 100. -- An:schauungen der Hebräer 106. -- Anschauungen der Phönizier 108. -- Anschauungen der Babylonier und Assyrier 108. -- Anschauungen der Ejranier 110. Anschauungen der Indier 113. -- Anschauungen der Chinesen, Tibetaner und Japaner 120. -- Anschauungen der amerlkanischen Kulturvölker 124.

17. Polytheistische, henotheistische und antagonistische Anschauungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Die Gottheiten des Polytheismus 127. -- Gegenstandsgottheiten und Gottheiten über Gegenstände 128. -- Schöpfer und Leiter 131. -- Schicksalsgottheiten 136. -- Ethische Gottheiten 138. -- Begriffsgottheiten 140. -- Henotheismos 144. -- Antagonistische Gottheiten 148.

18. Monotheistische Anschauungen . . . . . . . . . . . 151

Entstehung des Monotheismus 151. -- Monotheistische Unterströmungen 155.

19. Anschauungen von Welt, Menschheit und Weltkatastrophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

Entstehung von Welt und Menschheit 155. -- Paradies und Sündenfall 159. -- Flutsagen 161. -- Weltuntergang 166. -- Messiasidee 169.

Inhaltsverzeichnis. IX

20. Weltbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

Stellung der Erde 170. -- Gestaltung der Welt 171.

21. Leben und Gottheit . . . . . . . . . . . . . . . . 182

Zufall, Freiheit usf. 182. -- Menschenschicksal und Götter:neid 184. -- Lebensweisheit 186. Orakel und Beschwörungen 199. -- Glückliche und unglückliche Tage 191.

22. Nachleben und Jenseits (Eschatologie) der Kulturvölker 192

Naturmenschliches 192. -- Eschatologie du Hebräer 102. -- Eschatologie dei Babylonier und Assyrier 196. -- Eschatologie der Ägypter 198. Eschatologie der Eranies 202. -- Eschatologie ict Griechen und Römer 203. Eschatologie der Ger:manen 206. -- Eschatologie der Kellen 208. -- Eschatologie der Mohammedaner 20S. -- Eschatologie der Chinesen und Japaner 210.

23. Seelenwanderung und Wiederbekörperung . . . . . . 211

Anschauungen der Indier 211. -- Anschauungen des Buddhis:mus 214. -- Anschauungen der Eranier 216. -- Anschauungen der Kelten 216. Anschauungen der Pythagoräer und Platons -- 217. -- Anschauungen des Lao-tsse 220.

24. Seele und Unsterblichkeit, Leben-Reihe . . . . . . 220

Unterteilung der Seele 220. -- Worauf sich die Unsterblichkeit bezieht 223. -- Leben-Reihe 224.

Zweites Buch. Philosophisch-deistische und theosophische Anschauungen.

Drittes Kapital. Pandeistische und Panpsychistische Anschauungen.

25. Pandeistische Anschauungen . . . . . . . . . . . . 227

Ägypter 228. -- Indier 220. -- Ionische Naturphilosophen 231. -- Stoiker 232. -- Pythagoräer und Platoniker 234. -- Japaner 235.

26. Panpsychistische Anschauungen, Hylopsychismus, Hylozoismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

Ionische Naturphilosophen 236.

Viertes Kapitel Pythagoras, Anaxagoras, Sokrates, Platon, Aristoteles.

27. Anschauung aus Gesetz, Harmonie, Weltvernunft, Ideen und Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Pythagoras und die Pythagoräer 239. -- Anaxagoras, Weltvernunft 243. Sokrates und Platon, Ideenlehre, Akademie 244. -- Aristoteles und die Peripatetiker 240.

Fünftes Kapitel. Anschauungen aus Theosophie, Deismus und Emanismus.

28. Orphiker und Neu-Pythagoräer . . . . . . . . . 255

Orphiker 255. -- Neu-Pythagoräer 256.

29. Indische Theosophie und Sufismus . . . . . . . 258

Indische Theosophie 258. -- Sufismus 260.

X Inhaltsverzeichnis.

30. Philon von Alexandrien . . . . . . . . . . . . . . . . 261

31. Der Logos und die Sophia . . . . . . . . . . . . . . . 265

Der Logos 265. -- Die Sophia 266.

32. Die Gnostiker und Manichäer . . . . . . . . . . . . . . 207

Dualistischer Gnostizismus 207. -- Monistischer Gnostizismus 271. Goethes gnostische Dichtung 275.

33. Der Neuplatonismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

Plotinos und seine Lehre 277. -- Dionysios der Areopagite 280.

34. Übergang zum Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . 281

Zurückdrangung der Gottheit 281. -- Augustinus 282. -- Scotus Erigena, Prädestination und doppelte Wahrheit 283.

35. Islamisch - arabische Theosophie . . . . . . . . . . . 286

Koran und Philosophie 286. -- Muatazile und Motakhallim 287. -- Avicenna und Averroes 288.

36. Jüdische Theosöphie und Kabbala . . . . . . . . . . . . 290

Salomon Ben Gabirol 290, -- Die Kabbala 291. -- Maimonides und Jehuda Halevi 293.

37. Die mittelalterliche Theosophie der christlichen Scholastiker und Mystiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

Scholastiker, Nominalisten und Realisten 293. -- Albert der GroBe 294. -- Thomas von Aquino 296. -- Dante 297. -- Duns Scotus 298. -- Roger Bacon 299. -- Anselm von Canterbury 300. -- Hugo und Richard von St. Victor 300. -- Alanus, Bonaventura, Gerson 303. -- Meister Eckehart 303. -- Ruysbroek 304.

38. Theosophie und Emanismus in neuerer Zeit . . . . . . . . 305

Untergang der Scholastik 305. Nicolaus Cusanus 306. -:Gemistos Plethon 309. -- Marsilius Ficinus und Giovanni Pico 309. -- Reuchlin und Agrippa 311. -- Pomponatius 313. -- Die Reformatoren und ihre Nachfolger 314. -- Paracelsus 316. -- Telesius und Patritius 317. -- Giordano Bruno 317. -- Cam:panella 322. -- Jakob Böhme 323. -- Schelling und Krause Als Böhmianer 327. -- Baptist van Helmont u. a. 328, Aus:gang in die moderne Theosophie 330.

39. Deistischer Rationalismus . . . . . . . . . . . . . . . 333

Descartes und der Cartesianismus 333. -- Geulincx, Malebranche und der Okkasionalismus 336.

40. Prästabilierte Harmonie, Determinismus, Monaden, Korpuskeln, Realen, Samen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338

Mercurius van Helmont 338. -- Leibniz, Monadologie und prästabilierte Harmonie 340. -- Christian Wolff 345. -- Moses Mendelssohn 345. -- Lessing 346. -- Herbart und die Realen 347.

Drittes Buch. Metaphysische und physische und Lebenanschauungen.

Sechstes Kapitel. Welt- und Lebenanschauungen des Idealismus.

41. Phantomismus (Illusionismus), Eleaten, Skeptiker . . 350

Phantomismus und Illusionismus der Indier 350. -- Die Eleaten 351. -- Die Skeptiker 355.

Inhaltsverzeichnis. XI

42. Phänomenaler Idealismus . . . . . . . . . . . . 356

Berkeley 356. -- Fichtes Phänomenalismus 358. -- Humes Phänomenalismus 356.

43. Kants transzendentaler Idealismus. Organisierte Wesen und Naturzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

Kants transzendentaler Idealismus 359. -- Anschaunngs:formen und Kategorien 360. -- Antinomien und Paralogistmen 362. -- Ideen und Ideale 364. -- Regulative Prinzipe 365. -- Teleologie 367. -- Organisierte Wesen und Naturzweck 369.

44. Ich, Nicht - Ich; Thesis, Antithesis, Synthesis; Naturphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373

Fichtes erste Philosophie 373. -- Schellings Idealismus und Naturphilosophie 375. -- Hegel 376. -- Schleiermachers spinozistischer Idealismus 378.

45. Die Welt als Wille und Vorstellung, Pessimismus, Philosophie des Unbewußten . . . . . . . . . . . . . . . 379

Schopenhauer und die Welt als Wille und Vorstellung 379. -- Der Wille zum Leben, Pessimismus 384. -- Nietzches Willenslehre und ldealismus 385. -- Eduard von Hartmann und die Philosophie des Unbewußten 386. -- Weltende 390. -- Andere Idealisten 390.

Siebentes Kapitel. Spinozismus und Neuspinozismus sowie Neuidealismus.

46. Spinozismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390

Spinoza und der Pantheismus, Substanz, Attribute und Modi 391. -- Das System 392. -- Paralletität von Geist und Körper 393. Transzendentalität 394. -- Ethik und Unsterblichkeit 395.

47. Neuspinozismus und Neuidealismus . . . . . . . . . . 396

Lotze 396. -- Fechner, Psychophysik 398. -- Wilhelm Wundt, assoziative Psychologie 399. -- Riehl, Lasson u. a. 401.

Achtes Kapitel. Empirismus, Sensualismus, Realismus, Naturalismus, Positivismus.

48. Die englische Trias: Bacon, Locke, Hume . . . . . . 402

Bacon von Verulam und der Empirismus 402. -- John Locke und der Empirismus, Sensualismus und Positivismus 402. -- David Humes sensualistisch-positivistische Anschauung, Assoziationsprinzipe 407.

49. Die weitere Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . 411

Condillac, Montesquieu, Rousseau u. a. 411. -- Beneke und die Prädetermination 413. -- Comte und der Positivismus 415. -- Eugen Dührings Wirklichkeitsphilosophie 416. -- Ernst Machs sensualistischer Posivitismus 417. -- Herbert Spencer und der Agnostizistrtus 420.

XII Inhaltsverzeichnis.

Neuntes Kapitel. Physische Weit- und Lebenanscbauun.

Definitionen 421.

50. Materialismus und Mechsnisraus, Atomistik . . . . . 422

Der griechische Materialismus und die griechische Mechanistik 422. -- Atomistik, auch indische und arabische 423. -- Epikuros, Lucretius Carus 425. -- Materialismus und Mechanismus im Mittelalter 428. -- Mechanistischer Monismus 428. -- Gassendi 431. -- Hobbes 432. -- Boyle, Newton 434. -- Aufklärungsphilosophie 434. -- Baron Horbach und das systme de la nature 435. -- Lamettrie 437. -- Ludwig Feuerbach u. a. 438.

51. Allgemeine und besondere Naturgesetze, Entwicklungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

Die Weltgesetze 439. -- Die Sondergesetze 443.-- Vererbungsgesetz 444. -- Abstammungslehre 445. -- Urwesen 446. -- Evolution und Epigenesis 447. -- Panspermie 447. -- Phylogenie und Ontogenie, biogenetisches Grundgesetz 449. -- Morphologisch-biologische Vererbungsgesetze, morphologische Potenz 450. -- Phylogenetische Evolution 452. -- Restitution und Regeneration 453. -- Biologisch-harmonische Gesetze, Regulationen 453.

Energetische Anschauungen; Ostwald und Häckel . . . . . . 454

Ostwalds physische und psychische Energetik 454. -- Zwiespältigkeit der Energie 457. -- Scheinmonismus 458. -- Energetik und Mechanistik 459.-- Häckel als Spinozist 461. -- Psychom und Psychoplasma 461.

53. Über die physischen Welt- und Lebenanschauungen überhaupl Weltende, Unsterblichkeit . . . . . . . . . . . . . 463

Gang der physischen Welt und Weltende 463. -- Anfang der Welt und Schöpfung 464. -- Endlichkeit d"er Welt 466. -- Zehnders Bild der Lebenmechanistik 467. -- Die psychischen Energien als auslösende 468. -- Zusammenwirken der physischen und psychischen Energien 470. -- Schwierigkeiten aus den regulierenden psychischen Tätigkeiten 473. -- Was eine physische Theorie des Lebens zu leisien hätte 477. -- Unmöglichkeit einer physischen Theorie des Lebens 479. -- Unsterblichkeit aus einem physischen Weltgesetz 479. -- Auerbachs Ektropismus 480. -- Du Bois Reymonds Welträtsel und Ignorabimus 483. -- Letzte Anschauung 484.
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VORBEMERKUNGEN.
Charakteristik, Prinzipe und Einteilung der Welt- und Leben::anschauungen.

1. Bedeutung der Welt- und Lebenanschauungen.

Es liegt schon in der Natur des Menschen, von sich selbst und von allem, was ihn umgibt und störend oder unterstützend in sein Leben eingreift, sich eine Ansicht zu bilden. Vielfach und bedeutungsvoll sind die Fragen, die dabei gestellt werden, und mit deren Beantwortung die Menschheit, seit sie ihrer sich bewußt ist und die Fähigkeiten ihrer Seele auch geistig anzuwenden gelernt hat, sich müht und plagt. Und diese Beantwortung bildet eine Welt- und Lebenanschauung; vollständig, wenn sie alle Fragen betrifft, fragmentarisch, wenn sie nur in das Einzelne dringt. Es gibt Anschauungen, die nur aus träger Gedankenlosigkeit oder aus trotziger Verbitterung oder gar aus pathologischer Denkweise hervorgehen. Diese lassen wir beiseite. Die Weltanschauungen, mit denen wir es hier allein zu tun haben, können auf naiver Naturbetrachtung und naivem Egoismus beruhen, sodann auf Kultgebräuchen und Religionslehren, auf philosophischen Untersuchungen und Meinungen, endlich auf naturwissenschaftichen und soziologischen Feststellungen. Alle diese Grundlagen mögen gesondert stehen oder miteinander verbunden sein. Bei wenigen Menschen haben die Anschauungen nur eine objektive, rein wissenschaftliche Bedeutung. Die meisten wollen neben der Erkenntnis auch eine Beruhigung für das

2: Charakteristik, Prinzipe u. Einteilung der Welt- u. Lebenanschauungen

Dasein und darüber hinaus gewinnen. Indessen bilden sich eine eigene Anschauung nur wenige Menschen. Den anderen wird sie durch Erziehung oder Religionsvorschriften eingeimpft. Letztere waren ja frühst gerade bei den Kulturvölkern von so zwingender Gewalt, daß eine andere Anschauung als die, welche die Religion allein zuließ, gar nicht gehegt, geschweige geäußert werden durfte. Viel* standen und Stehen freiwillig unter dieser zwingenden Gewalt, indem die Glaubenssätze der Religion für sie über jeden Zweifel erhaben sind. Andere beugten und beugen sich ihr aus Weitklugheit oder weit das Beispiel des Widerstandes sie schreckte. Auch Lehren, die gerade mit besonderer Kraft ausgesprochen sind oder in Mode stehen, werden gerne ergriffen. Denn es handelt sich, wenn man eme Welt- und Lebrmanschauung sich bilden will, immer um eine tiefe und schwere Ge.daukeuarbeit, und mitunter um einen harten Kampf mit sich selbst und mit Anderen. Und bei der Unsicherheit des Kennens und Erkeunens fällt der Mensch von Zweifeln in Zweilei und nimmt darum gerne an, was ihm autoritativ übermittelt ist. Mitunter muß der Same an Stelle der Sache treten. W:e wenige von einer Religionsgemeinschaft wissen, was eigentlich die Lehren dieser Religion sind, zumal, wenn diese Lehren van vornherein als „geoffenbart" vorgetragen werden. Viele wollen sie gar nicht einmal wissen; die symbolischen Formeln genügen ihnen, das übrige soll der Seelsorger verantworten. Und was hat für die meisten Nietzscheaner Nietzsche eigentlich gelehrt? Man darf nicht fragen, ohne auf die hohlsten Redensarten au stoßen, wenn man überhaupt eine Antwort und nicht eine Widerfrage oder eine Abweisung erhalt. Am ehesten auf eine bestimmte sachliche Well- und Lebenanschauutig stoßt man bei Naturmenschen und bei unreifer Jugend, nur daß es sich dabei teils um widersinnige, teils um töricht übereilte Äußerungen handelt. Für die Naturvölker werden wir das später eingehend verfolgen, da es ein anthropologisches Interesse hat. Wer die junge Kulturwelt belauschen will, braucht nur ihre modernen Dichtungen zu lesen, die bei schönen Worten und reizvollen Wendungen


I. Bedeutung der Welt- und Lebenanschauungen::3

gedanklich oft recht blühenden Unsinn enthalten und Anschauungen wiedergeben oder erraten lassen, bei denen selbst einen mild urteilenden harte Ungeduld ergreift. Die ernst und selbständig denken, suchen sich allmählich zu einer sie befriedigenden Welt- und Lebenanschauung durchzuringen. Da hierzu auch Kenntnisse gehören und namentlich auch Disziplin des Denkens, kommen nur sehr wenige Begünstigte schon früh jeu einer brauchbaren solchen Anschauung. Viele gelangen erst in spaten Jahren dazu, und noch mehr mühen sich ihr Leben hindurch umsonst ah und müssen sich mit einem Stück einer Anschauung oder mit mehreren Anschauungen begnügen, zwischen denen sie nicht zu vermitteln vermögen.

Ich habe unbestimmt von einer Welt- und Lebenanschauung gesprochen. Die Welt- und Lebenanschauung gibt es noch nicht. Selbst bei den Kulturvölkern sind unzählige Anschauungen im Schwange, und eine Anschauung wird von der anderen bekämpft, und von jeder Anschauung kann man nachweisen, daß sie hier oder da unrichtig sein muß, von keiner aber, daß sie richtig ist. Die wichtigsten Dinge, die in einer Welt- und Lebenanschauung zur Sprache kommen, sind zeitlich, räumlich und sinnlich unerreichbar. So ist niemand bei der Schöpfung zugegen gewesen; der eine kann sie also ganz leugnen, der andere ebenso sicher absolut bejahen. Daher handelt es sich hier fast ausschließlich um Meinungen. Und diejenige Meinung wird die größte Wahrscheinlichkeit für sich haben, welche mit den Vorgängen im All, jetzt und früher, am besten in Einklang ist. Hier aber spielen subjektive Ansichten mit, gerade wie in der Religion; und was dem einen erwiesen scheint, weist der andere weit von sich. Und wie oft geradezu Widersinniges für sicher genommen wird, werden wir an vielen Beispielen sehen. Ich habe einmal in einer sehr wichtig und bedeutend tuenden Broschüre gelesen, unsere Welt sei die Schlacken oder auch die Auswurfstoffe aus der vierten Dimension, Wie töricht! wird der Leser ausrufen. Aber wir haben noch viel seltsamere Ansichten.

4 Charakteristik, Prinzipe u. Einteilung der Welt- u. Lebenanschauungen

2. Naturvölker und Kulturvölker.
Wir unterscheiden zunächst die Anschauungen der Naturvölker von denjenigen der Kulturvölker. Die Völker der Halbkultur folgen wesentlich den Naturvölkern. Auch steht so mancher Kulturmensch ganz auf dem Standpunkt des Wilden. Trifft er sich dort, so mag er in sich gehen und in die ihm gehörige Klasse überwandern.
Einfacher und doch verworrener sind die Anschauungen der Naturvölker als die der Kulturvölker. Wie es unendlich viele Mühe gemacht hat, in die Religion der Naturvölker einige sichere Einsicht zu erhalten, weil auf Befragen nicht bloß fast jedes Dorf, sondern fast jeder Befragte etwas besonderes erzählt, so verhält es sich hinsichtlich der Weltanschauungen. Gemeinsame Lehren ergaben sich nämlich bald, weil ihre praktische Betätigung in unmittelbare Erscheinung trat. Aber Meinungen und Anschauungen hatte jeder für sich. Und dabei handelte es sich nicht einmal immer um Verlegenheit vor dem Frager und Mißtrauen gegen ihn, sondern einfach um Mangel an Ansicht und Unüberlegtheit. Wie viele Kulturmenschen würden auf Befragen nach ihrer Weltanschauung bestimmt antworten können oder wollen? Und wo sie eine solche Anschauung besitzen, würden sie in Staaten mit polizeilichen oder kirchlichen Gewalten aus Furcht vor Nachteilen, sonst in dem unbequemen Gefühl, etwas Törichtes zu sagen, noch weit mehr mit ihren Metnungen zurück halten als ein Naturmensch, oder äich mit Ausflüchten helfen. Als ich mich mit der Religion der ozeanischen Völker beschäftigte, fiel es mir auf, daß von den unzähligen Namen für Götter und Helden, welche in einem Hauptwerk hierüber, Greys „Polynesian Mythology", enthalten sine, kaum zwei in den sehr vielen Angaben der Seefahrer des achtzehnten Jahrhunderts (Cooks, Wilsons, Pokocks u. a.) sich finden. Die bei weitem wichtigste Bezeichnung für Götter und Dämonen in diesen Angaben, Eatooa oder Atoa oder ähnlich, sucht man in gleicher Eigenschaft in Greys Werk vergeblich. Ein anlautender Name kommt

2. Naturvölker und Kulturvölker::5

wohl vor, er bezeichnet aber eine Insel oder einen Distrikt. Nur die Namen Tane und Maui scheinen seitlich und räumlich sehr verbreitet zu sein. Frobenius, in seinem Buche „Die Weltanschauung der Naturvölker" hat sich der Mühe unterzogen, tur die afrikanischen Völker den Namen einer der bekanntesten Gottheiten durch die Stämme zu verfolgen. Er geht von dem Namen Tsehuka aus, der hei den Ibo und in Kalabar einfach Gott bedeuten soll, und stellt mehr ab fünfzig Namen auf, die jenem Namen entsprechen sollen, darunter solche wie Rupe, Ndsakumba und ähnliche, die nicht entfernt mehr an den Ausgangsnamen erinnern. Das kann und wird zum Teil an den abweichenden Sprachen liegen, wie wir ja für unser „Gott" selbst unter den Indogerrnanen um eine ähnlich lautende Bezeichnung verlegen sind. Dann ober muß man sich wundem, daß Hultentotteu und Buschmänner, die eine von dpn eigentlichen BantuNegern des mittleren Afrika ganz verschiedene Rasse bilden, last den gleichen Namen für Gott besitzen wie die ihnen so lernen Neger des oberen Kongo, Touquo und Tuiko gegen Tuku (vermehrt Tuku-Tuku), während last sich berührende Stämme der gleichen Rasse und anscheinend des gleichen Sprachstammes ganz abweichende Namen aufweisen. Bei den Yoruba an der Nigermündung heißt es Dso oder Zo, wie in dem weit entfernten Saumgebiet Ostafrikas. Aber in dem nahen Kamerun soll man das gleiche mit Loba, Lebe, Rubi bezeichnen, wie ähnlich mit Lubari in Uganda, wo ja auch Dso oder Zo bestehen soll, und wo als eigentlicher Name des Schöpfers Kitonca angegeben wird. Vieles muß also an den verschiedenen Angaben liegen, die im gleichen Bezirk von verschiedenen Personen dem gleichen oder einem anderen Forscher gemacht werden. Anderes an der kindlichen Gewohnheit der Naturvölker, Namen beliebig zu ändern oder zu verdrehen. Wer Reiseweike miteinander vergleicht oder die Namen in Atlanten und anderen Werken sucht, gerät mitunter in helle Verzweiflung. Gegenwärtig kommt noch dazu, daß die meisten Naturvölker schon mit Kulturmenschen durchsetzt sind und wieleg Kulturelle, namentlich Religiöse,


6 Charakteristik, Prinzipe u. Einteilung der Welt- u. Lebenanschauungen

von ihnen gehört und in sich aufgenommen haben. Neuere Mitteilungen ühtrt Ansichten von Naturvölkern können darum nur mit größtem Mißtrauen benutzt werden, namentlich, wenn sie an Kulturansichten erinnern. Und da die älteren Reisenden meist weder die Kenntnisse noch das Interesse besaßen, sich wirklich genau über die besuchten Völker zu orientieren, sondern nur allzu gerne sich die tollsten Lügen aufbinden ließen, um zu Hause die merkwürdigsten Fabeln erzählen zu können, so sieht es eigentlich mit Untersuchungen über die Welt- und Lebenanschauung der Naturvolker übel aus. In den Märchen und Erzählungen, die uns von den Naturvölkern vorgetragen werden, sind Züge reinster Empfindung und Tugend und dicht daneben Roheiten entsetslichster Bestialität. Ganz wie in cen Sagen der alten Griechen. Wer kann die rührende Szene zwischen Hektor und Andromache mit der scheußlichen des Totenopfefs für Patroklos vereinigen? Wir kommen dadurch auf einen Punkt, der von großer Bedeutung ist und uns noch beschäftigen wird. :Für die Kulturvölker scheint die Untersuchung einfacher und sicheret zu sein, hier ist ja so vieles durch Tradition und Schrift bekannt. Aber das Ungeheuere des Materials wirkt erdrückend. Es prahlte jemand mit seinem Fleiße und rechnete so viel Tätigkeit zusammen, daß für den Tag 26 Stunden Arbeit herauskamen. Selbst dieser Zauberkünstler wäre nicht imstande, das Material auch nur zum vierten Teil zu bewältigen, und wenn er Methusalems Alter erreichte. Man muß sich darum auf Hauptansichten und Hauptwerke beschränken. Und dieses darf um so eher geschehen, als wahrhaft große Meinungen nur spärlich erblüht sind, und als unglaublich Viele bewußt und unbewußt die Wege der Großen wandeln. Das ist hein Tadel; und wer in mühseliger Arbeit das gefunden hat, was einem Großen vor ihm schon als Geschenk des Genies eingefallen ist, darf mit Fug und Recht stolz sein und alberne Kritik aus Zusammengelesenhaben ablehnen. Eine solche Arbeitsvermehrung nimmt man gerne entgegen. Eine andere Schwierigkeit liegt in dem Mangel an Bestimmtheit in so vielen Meinungen


3. Hauptfragen u. Stammannahmen der Welt- u. Lebenanschauungen. 7

und Schriften. Wir werden von zwei wilden Rossen nach entgegengesetzten Richtungen gezogen, dem Verstand und dem Gefühl. Mancher wird innerlich zerrissen, viele geben wenigstens dem einen oder dem anderen etwas nach. Kommt noch dazu die menschliche Gebundenheit um des bloßen Lebens willen an anderer Meinung, etwa die bemerkte an Staat und Kirche, so ergibt sich ein weiteres Schwanken. Hat man doch dem großen Kant Inkonsequenzen in seinem philosophischen System vorgeworfen. Und wer weiß so recht, was Fichtes oder gar Schellings eigentliche Philosophie gewesen ist, da man doch von jedem von ihnen mehrere gans abweichende Philosophien hat? Und da bei weitem die meisten Menschen inkonsequent sind, die einen aus Anlage, die anderer, aus ehrlichem Zweifeln, so berührt uns ein ganz konsequenter Mann oder eint ganz konsequente Ansicht fast unheimlich. Wir werden sehen, daß auf unserem Gebiete davon nur sehr wenig vorhanden ist. Man kann last sagen: mitunter zum Glück für die Menschheit. Denn mit absoluter Konsequenz ist oft Fanatismus und mit diesem Verfolgungssucht verbunden, die sich in der konsequentesten Religion, der katholischen, in so entsetzlichen Taten geäußert hat, und eine Herrschernatur wie Innozenz III., trotz so großer Leistungen, durch die Ausmordung Tausender andersdenkender unschuldiger Menschen fast fluchbeladen erscheinen läßt.


3. Hauptfragen und Stammannahmen (principia, ἀρχαί) der Welt- und Lebenanschauungen.

Der Leser sieht, welch umfangreiche Arbeit hier zu bewältigen ist, und wie alles nur in großen Zügen zur Darstellung kommen kann. Doch habe ich die Absicht, weit über die engen Grenzen der Spezialbetrachtungen hinauszugehen, die immer nur einzelne Klassen der Menschheit betraf. Ich möchte vorführen, was der Mensch allgemein in Welt- und Lebananschauungen geschaffen hat; nicht diese oder jene Philisophenschule, diese oder jene Religion,

8 Charakteristik, Prinzipe u. Einteilung der Welt- u. Lebenanschauungen

dieses oder jenes Volk. Unter solchen Umständen ist eine gewisse Systematik, unausweichlich, sonst verläuft man sich, in der Fülle des Gebotenen und gerät in Gefahr, die Darlegung in Phrasen aufzulösen. Und nirgends ist diese Gefahr so groß und sind ihr so viele Schriftsteller erlegen als gerade auf dem Gebiete, mit dem wir uns hier beschäftigen sollen. Was Prinz Heinz von seinem dicken Freunde bei der Musterung seiner Rechnungen gesagt hat, und ich einmal einen berühmten Nationalökonomen auf einem Kommers auf die Universitätsvorlesungen habe anwenden hören, soll uns aur Warnung dienen. Gründlichkeit hier, Schmuckrelde dort, zwischen diesen Symplegaden müssen wir unser Schifflein hindurchsteuern.

Fast jede Weltanschauung geht von einer Stammannahme oder von mehreren Stammannahmen aus. Es muß daher von großer Bedeutung für die Ordnung des Vortrags sein, wenn vor allem diese Stammannahmen vorgeführt werden. Vollständig dieses zu tun ist für einen beschränkte Zeit lebenden Menschen nicht möglich, wegen der unendlichen Menge von Büchern, die er lesen müßte. Nachdem ich mich aber durch so viele Jahre frei und veranlaßt in so vielen Wissenschaften umgesehen habe, glaube ich, daß in der nachfolgenden Aufzählung Wichtigeres nicht fehlen wirde Sollte der Leser noch eine und eine andere Annahme wissen, so füge er sie gütigst hinzu; wir sind alle gerne Kärrner der Königin Wissenschaft. Die Annahmen gehen aber auf
den Grund des Alls und den der Einzelnen,
den Bestand des Alls,
das Wesen der Dinge,
das Wesen und den Grund der Geschehnisse,
die Entwicklung des Alls,
das Ende des Alls,
das Ende der Einzelnen.
Das sind sieben Hauptpunkte. Es is nicht angängig, die allgemeine Liste ganz nach, diesen Hauptpunkten einzurichten; die Behandlungen müßten vielfach durcheinander gehen und sich verschlingen, wodurch ziele unnötige und störende

3. Hauptfragen u. Stammannahmen der Welt- u. Lebenanschauungen::9

Wiederholungen entstehen würden. Gleichwohl ist die nache folgende Liste unterteilt, und zwar derartig, daß sie in einiger Beziehung sich den Hauptpunkten anschmiegt. Wenn manche Hauptpunkte in der Liste nicht berücksichtigt zu sein scheinen, so ist es in der Tat nur ein „scheinen". Durch gehörige Untersuchung der Statnmannahmen und namentlich auch durch Verbindung zweier oder mehrerer van ihnen werden auch diese Hauptpunkte zur Erledigung gebracht.

Die Liste enthalt vier Klassen: phantomistische Annahmen, wesenheitliche, wesenheitlich-begriffliche, begriffliche. Es kommt auf die absolute Richtigkeit der Benennungen nicht an, diese müssen nur durchschnittlich zutreffen und können es auch nur. Nun möge die Liste selbst folgen.

I. Phantomistische. 1. Nichts, 2. Traum, 3. Schein.

II. Wesenheitliche. 4. Das (indisch Tad), 5. Etwas, 6. Urwesen, Ding an sich,

Substanz,

7. Gott, 8. Götter (in allen Abstu:fungen), 9. Weltgeist, 10. Schöpfer (Schöpfung), 11. Vernichfer, Satan, Widergott, 12. Weltseele, 13. Einzelseele, 14. Weltvernunft, 15. Einzelvernunft, 16. Emanation, 17. Chaos, Urmaterie, 18. Materie (auch Elemente und Körper), 19. Energie, Entropie, 20. Psychoma.

III. Weaenhcitlich-be:griffliehe. 21. Sein, Nichtsein, 22. Werden, Vergehen, 23. Ruhe, Erregung, 24. Attribute, 25. Ideen, 26. Formen, 27. Modi (auch Essenzen und

Bilder),

28. Monaden (auch Realen), 29. Zahl, 30. Raum (auch Leere), 31. Zeit, 32. Harmonie, 33. Disharmonie (auch Ent:zweiung in sich).

IV. Begriffliche. 34. Gut, 35. Böse,


10 Charakteristik, Prinzipe u. Einteilung der Welt- u. Lebenanschauungen

36. Liebe (auch Anziehung), 37. Haß (auch AbstoBung), 38. Streit, 39. Zwang (absoluter), 40. Notwendigkeit, 41. Anlage (auch Prädestination, Prästabiliaation), 42. Unfreiheit, Determinismus 43. Ursächlichkeit, 44. Beschränktheit, 45. Zweckmäßigkeit (Telco:logie, auch Instinkt), 46. Entwicklung, 47. Produktion und Reaktion

(auch Regulative),

48. Parallelismus, 49. Gelegen hei tJichkeit, 50. Zufall, Association, 51. Freiheit, 52. Unbeschränktheit

Die Liste sieht bunt genug aus; es soll ja aber auch ein allgemeiner Überblick über die Welt- und Lebenanschauungen gegeben werden. Wir könnten nun weiter so verfahren, daß wir einfach die obigen Stammarmahmen einzeln und zu zweien oder mehreren nehmen, so würden wir schon eine große Zahl aller bisher entwickelten Anschauungen gewinnen. Aber die Liste soll uns nur im einzelnen leiten. Die Betrachtung

führen wir allgemein.

4. Vergleichung der Anschauungen, Parallelen.
Drei Hauptautgaben haben wir zu erfüllen: die Anschauungen einzeln oder in Klassen vorzuführen, sie auf ihre theoretische und praktische Bedeutung zu untersuchen, sie miteinander zu vergleichen. Über die beiden ersten Aufgaben ist nichts besonderes mehr zu sagen. Die dritte Aufgabe aber gibt zu einer wichtigen Bemerkung Anlaß. Die Vergleichung kann zu zwei Zwecken geschehen. Einmal um die Kulturzustände der Völker oder Zeiten, innerlialli deren die Anschauungen geäußert sind, gegen einander abzuwägen. Sodann um über die Priorität einer aufgestellten Anschauung zu entscheiden. Das erstere gehört nur zu sehr geringern Teil hierher, da wir ja keine Kulturgeschichte schreiben, und wird sich meist bei den Vorführungen selbst erledigen. Das zweite lassen wir fort, sofern es sich tun Prioritäten einzelner Personen handelt. Diskussionen hierüber haben nur dann einen Wert, wenn mit der Priorität auch der Sinn

4. Vergleichung der Anschauungen, Parallelen. 11

der Anschauung verbunden ist, den wir ja bei einem gedankentiefen Manne immer eine Stufe höher verstehen müssen als bei einem mittelmäßigen Kopf, wenn der Ausdruck der Ansicht dazu Raum läßt. Nun aber werden Anschauungen nicht bloß von einzelnen Personen ersonnen, sondern, wie Lieder, von einem ganzen Volke, so daß es sich um Volksanschauungen handelt. Dann können Völker miteinander in Wettbewerb treten und hat die Frage nach der Priorität doch große Bedeutung. Ich darf nur an den Streit Babel und Bibel erinnern, der mit so außerordentlicher Heftigkeit in unseren Tagen geführt worden ist. Und gerade an diesen Streit kann ich anknüpfen. Er entsprang aus behaupteten Ähnlichkeiten zwischen der Literatur der Babylonier und gewissen Teilen der Bibel, so daß die erstere Vorläufer und Muster für die Erzählungen und die Lebren der Bibel sein sollte. Auch ganz abgesehen davon, ob die Ähnlichkeiten wirklich so bedeutend sind, daß man es wagen dürfte, ein Werk wie die Bibel in wichtigsten Teilen der Originalität zu entkleiden, machte sich in diesem Strei- eine verblüffende Außerachtlassung aller Errungenschaften der Anthropologie geltend. Längst haben die Anthropologen erkannt, daß die Menschheit eine auffallend gleichartige Masse bildet, daß Gebräuche, Gedanken und Vorstellungen sich oft an den entferntesten Punkten der Erde in gleicher Weise vorfinden. Ein so ekelhafter und so seltsamer Brauch wie das AufLaugen und Verwenden der Fäulnisflüssigkeit des Leichnams zeigt sich im Herzen Afrikas und auf weit, abliegenden ozeanischen Inseln. Die Entstehung der Menschen aus Bäumen oder Steinen wird fast auf der ganzen Erde erzählt. Reineckes Streiche und Schlauheiten, nur übertragen auf Hasen und Schakale, geben auch den verschiedensten Negerstämmen Stoff zum Lachen. Meirchen fast des gleichen Inhalts finden sich bei Völkern, die weder sprachlich noch stammlich zusammenhängen. Ich habe mir mehr als zwanzig Ähnlichkeiten sogar im Einzelnen zusammengestellt. Eine sehr seltsame und sehr wichtige, daß nämlich die Wasser über dem Himmel der Bibel in Ozeanien sich wiederfinden.


12 Charakteristik, Prinzipe u. Einteilung der Welt- u. Lebenanschauungen

habe ich schon in meinem Buche „Die Entstehung der Welt und der Erde nach Sage und Wissenschaft" hervorgehoben. Ich kann hier mit noch einer, nicht minder bedeutenden, vielleicht noch bedeutenderen aufwarten. Nach der Bibel schafft Gott zwischen den Wassern eine Dehnung, wodurch die Scheidung zwischen Himmel und Erde bewirkt wird. Bei den Neuseeländern sind Himmel und Erde ursprünglich auch aufeinander und der Gott Tane-mahuta trennt sie, daß ein Zwischenraum zwischen ihnen entsteht. Geschieht letzteres auch grobsinnlich -- der Gott stemmt den Kopf gegen die Erde, Papa, und die Fuße geigen den Himmel, Rangi, und drückt so diese Galten auseinander -- die Sache ist doch die gleiche, das Schaffen der Ausdehnung zwischen Himmel und Erde. -- Der Neuseeländische Maut wird von seiner Mutter, eingewickelt in einen Wulst ihrer Haare, ins Meer geworfen, von den Wogen ans Land gespült und dort aufgefunden und erzogen. Damit vergleiche man die Kindheitsgeschichte Mose. Der Hauptunterschied besteht nur darin, daß Mose van einer Königstochter aufgenommen wird, Maui von einem männlichen Vorfahr. -- Die Polynesier haben Schwanenjungfrauen wie wir und mit fast den gleichen Erzählungen. -- Ra kennzeichnet in Ozeanien den Sonnengott, genau wie im alten Ägypten. -- Fast noch verwunderlicher ist, was Max Müller mitteilt, daß einem Zwillingsgötterpaar der indischen Mythologie, Yama und Yami, ein anderes, Yame und Yama, mit gleicher Bedeutung in Peru entspricht. Nun denke man, welche wilde Theorien unsere Babylonier darauf gegründet haben, daß im Babylonischen, das doch eine Sehwestersprache des Hebräischen ist, ein Wort sich fand, das an Jehova anklang! Und Indien und Peru, Altägypten und Ozeanien! -- Josuas Wunder, daß die Sonne auf sein Geheiß stehen bleibt, ist von vielen Ozeaniern nachgeahmt, z. B. bis ein Haus fertig ist oder ein Wanderer seinen Weg zurückgelegt hat. -– Totenschiff und Totenführer kennen nicht bloß die Griechen, sondern auch die Polynesier und einige Afrikastämme und Indianer. -Maui raubt das Feuer wie Prometheus. -- Solare Gottheiten


5. Einteilung der Welt- und Lebenanschauungen. 13

der Neger erregen Krankheiten durch Wurfgeschosse wie Apollon. -- Gleich den Israeliten geht ein Hottentottenheros, Heitsi-Eibibs, durch das Wasser, das sich vor ihm spaltet und wie dort über dem Verfolger zusammenschlägt. -- Ich könnte noch viel mehr anführen, Regenbogen, Weiter, Wahrsagekunst, Jonas und anderes betreffend. Aber ich glaube, daß die obige kurze Aufzählung schon genügt darzurun, wie außerordentlich vorsichtig man hei Schlüssen aus Ähnlichkeiten sein muß. Diese Vorsicht muß aber geübt werden, sonst kann man hinsichtlich der Völkerzusammenhänge zu den bösesten Schlüssen kommen. Wir werden später noch vieles andere kennen lernen, was auf gleichem Gebiete liegt, Ost und West, Nord und Süd verbindet und seine Wurzel eben in Zufall oder in der Gleichartigkeit des Menschengeschlechts hat. Im allgemeinen kann man sagen, daß alles Entlehnte sich ziemlich bald durch Mißverständnis, Unstimmigkeit und Gezwungenheit verrät. Echtes, Eingeborenes, geht frei nach rechts und links ausgreifend und entwicklungsfähig einher. Doch sollen die Schwierigkeiten bei der Scheidung nicht verkannt werden.


5. Einteilung der Welt- und Lebenanschauungen.

Man teile die Welt- und Lebenanschauungen in zwei Klassen ein, in monistische und pluralistische oder multistische (dualistische, trialistische usf.). Die erstere Klasse soll Anschauungen enthalten, die, von einem Gesichtspunkt ausgehend, das gesamte All, ohne irgend eine Ausnahme darin, als eine Einheit mit zeitlich und räumlich unbegrenzt gleichen Eigenschaften betrachten. So z. B. behauptet der bekannteste Monismus -- den ich hier nicht mit dem unzureichenden und irreführenden Beiwort; materealistischer, sondern allgemeiner und treffender: physischer Monismus bezeichnen will --, daß das gesamte All, belebt und unbelebt, stets und überall nur von den Erscheinungen. die wir in der unbelebten Natur kennen, erfüllt und beherrscht worden ist, wird und werden wird. Ihm gegenüber


14 Charakteristik, Prinzipe u. Einteilung der Welt- u. Lebenanschauungen.

betrachtet der Dualismus die Welt von zwei unabhängigen Gesichtspunkten, z. B. indem er das All durchaus in Leben und Nichtleben, In Körper und Geist, in Gott und Welt usf. teilt. Noch weiter würde die Teilung gehen im Trialismus, Tetralismus usf. Dabei käme es eigentlich darauf an, daß die Trennungen im Pluralismus absolute sind. Derartige Anschauungen besitzen wir nicht recht; es läßt sich nicht vermeiden, daß eines in das andere eingieift. Indessen gibt es, wie wir noch sehen werden, einen wirklichen Monismus auch noch nicht. Überhaupt bringt es der Gegenstand mit sich, daß keine der Anschauungen auch nur theoretisch, geschweige praktisch, durchaus konsequent ist, wenigstens wenn man sie sachlich und nicht bloß nach den Behauptungen untersucht. Mitunter erscheinen die Anschauungen der Wilden, namentlich in ihrer praktischen Anwendung, bei weitem konsequenter als die der Kulturmenschen. Und das hat seinen guten Grund, den wir noch kennen lernen werden.

Der obigen Einteilung werden wir nur bei den einzelnen Anschauungen Rechnung tragen können. Allgemein werden wir drei Hauptklassen unterscheiden: psychisch-religiöse, religionsphilosophische, philosophisch-physische, und werden darunter finden: irdisch-menschliche, irdisch-göttliche, religiöse, psychische (auch geistige), philosophische (metaphysische), physische (naturwissenschaftliche); phantomishsche, theosophische, mystische Anschauungen. Die drei letzten sind durch das Semikolon absichtlich von den anderen getrennt; sie bedeuten eine eigenartige Gattung von Anschauungen diesen gegenüber, in dar Phantasie und Grübelei eine besonders große Rolle spielen. Aus den ineinandergreifenden Benennungen in den Hauptklassen sieht der Leser schon, daß auch hier scharfe Scheidungen nicht vorhanden sind. Und wie sollten auch solche Scheidungen bestehen! Jede Anschauung wird regiert durch Erfahrung, Wunsch, Religion und Nachdenken. Die Erfahrung gibt die Welt wie sie ist, oder wenigstens erscheint, das ist das Physische. Der Wunsch richtet sieh aut den Gang der Welt in bezug auf uns und auf andere, als positiver und negativer Egoismus, bedeutet also das Irdisch-menschliche.

5. Einteilung der Welt- und Lebenanschauungen. 15

Die Religien ist bei den meisten verdeckter Egoismus, und zwar natürlicher Egoismus, der, berechtigt, auf Erhaltung seiner selbst und anderer geht, aber auch häßlicher, der die Gottheit oder die Weltordnung zur Demütigung, Dienstbarmachung oder gar Vernichtung des Anderen sich zum Vorteil oder nur zur Schadenfreude herbeiruft. Bei anderen, wie bemerkt, und wiederum recht vielen, ist sie lediglich gedankenloses Anhängen an bestimmte Satzungen. Verhältnismäßig die Minderzahl faßt die Religion innerlich mit tiefem Fühlen und fester Überzeugung auf. Endlich das Nachdenken, das philosophische, sucht die unmittelbare Erfahrung der äußeren und inneren Welt zu verknüpfen; Widerstrebendes zu vereinigen, das Mannigfaltige zu vereinheitlichen und aus allem diesen das Gewirr der Welt und des Lebens unter wenige Gesichtspunkte zu bringen, die auch Schlüsse auf Unbekanntes und Zukünftiges gestatten. Dazu können wir getrost auch das Phantasieren und Grübeln rechnen, die beide nur ein Übergreifen des Denkens auf übersinnliche oder unsinnliche Objekte darstellen. Das eine oder das andere von diesen vier Steuern auf dem Meere der Anschauungen mag hier und dort nicht zur Anwendung gelangen, es mag sogar herausgehoben und als unnötig beiseite gelegt werden. Das tut nichts und berührt die Bedeutung dieser Steuer für die Gesamtbetrachtung nicht.

Und so kennzeichnen die gewählten Namen für die einzelnen Anschauungen nur das Vorwiegende in der jeweiligen

Anschauung. Denn beispielsweise fehlt das Physische in keiner der Anschauungen, aber es gibt Anschauungen, in denen es ganz besonders zur Geltung gebracht ist. Gleicherweise verhält es sich mit dem Religiösen, wo nur die rein materialistischen Anschauungen eine Ausnahme machen, und mit dem Philosophischen und Irdisch-menschlichen.

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