Benutzer:Methodios/Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus

Joh. Chrysostomus Baur (Übers.): Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus (= Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften, Bd. 1; = Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 23), Kempten und München 1915.

Fünfte Homilie. Kap. I, V. 22-25. Bearbeiten

1.

V.22: "Das alles ist aber geschehen, damit erfüllt werde, was der Herr durch des Propheten Worte sprach: V.23: Siehe, die Jungfrau wird im Schoße tragen, und wird einen Sohn gebären, und sie werden seinen Namen Emmanuel nennen" (Anmerkung 1: Jes 7,14).

Vielfach höre ich Leute sagen: So lange wir in der Kirche sind und die Predigt hören, sind wir zerknirscht; kaum sind wir aber draußen, so werden wir schon wieder anders und lassen das Feuer der Begeisterung erlöschen. Was sollen wir also dagegen tun? Geben wir acht auf die Ursache dieser Erscheinung. Woher kommt es denn, dass wir so leicht veränderlich sind? Das kommt davon, dass wir nicht so leben, wie es sich gehört, und dass wir mit schlechten Menschen umgehen. Wenn wir aus dem Gottedienst kommen, sollten wir uns eben nicht alsbald wieder in den Strudel weltlicher Geschäfte stürzen, sondern, wenn wir nach Hause kommen, sogleich die Hl. Schrift zur Hand nehmen, Frau und Kinder zusammenrufen, und mit ihnen das, was in der Predigt gesagt wurde, wiederholen, und dann erst den zeitlichen Geschäften nachgehen. Wenn du schon nicht gerne aus dem Bade unmittelbar in dein Geschäft gingest, um dir nicht deine Erholung durch geschäftliche Dinge zu verderben, so solltest du das um so weniger tun unmittelbar nach dem Gottesdienst. In der Tat tun wir aber gerade das Gegenteil, und damit verderben wir alles. Denn noch ehe der Nutzen, den wir aus der Predigt geschöpft, (Anmerkung 2: in unserer Seele) Wurzel gefaßt hat, reißt und trägt schon der gewaltige Andrang der Dinge, die von außen her auf uns einstürmen, alles mit ich fort. Damit du also dem entgehst, so halte bei deiner Rückkehr aus der Kirche nichts für notwendiger als die Wiederholung der Predigt. Denn es wäre ja doch äußerst unverständig, fünf oder sechs Tage den weltlichen Geschäften zu widmen. den geistlichen aber nicht einmal einen, ja kaum einen kleinen Teil eines Tages zu gönnen.

Seht ihr nicht, wie es unsere Kinder machen? Die denken den ganzen Tag an die Aufgaben, die sie zu lernen haben. Machen auch wir es so. Sonst haben wir nach unserem Weggange aus der Kirche keinen größeren Gewinn, als wenn wir den ganzen Tag Wasser in ein durchlöchertes Faß schöpften, da wir ja für die Bewahrung des Wortes Gottes nicht einmal soviel Eifer entwickeln als für die Bewahrung von Gold und Silber. Ja, das Gold, und ist es auch wenig, das legt jeder in einen Beutel und versiegelt ihn; wir aber haben Lehren empfangen, die weit mehr wert sind als Gold und kostbare Edelsteine; wir haben die Schätze des Hl. Geistes erhalten, und die legen wir nicht in die Schatzkammer unserer Seele, sondern lassen sie sorglos verloren gehen (Anmerkung 3: der griechische Ausdruck ek dianoias ekrein läßt sich im Deutschen auf den gebrauchten Vergleich nicht gut anwenden) , wie es der Zufall will! Wer wird da noch länger mit uns Mitleid haben, wenn wir so uns selber schaden, und uns in solche Armut stürzen? Damit also das nicht geschehe, machen wir es uns selbst zum unabänderlichen Gesetz, mit unserer Frau und unseren Kindern einen Tag in der Woche, und zwar einen ganzen dem Anhören der Predigt und deren Wiederholung zu widmen. Auf diese Weise werden wir auch viel mehr Verständnis für die jeweilige Fortsetzung haben; es wird unsere Mühe geringer und unser Gewinn größer sein, wenn wir das Frühere noch im Gedächtnis haben, während wir bereits das Folgende hören. Denn das hilft nicht wenig zum Verständnis des Gesagten, wenn ihr die Reihenfolge der Gedanken, die wir euch entwickelt haben, genau gegenwärtig habt. Da es nämlich unmöglich ist, sie alle in einem einzigen Tag vorzubringen, so müßt ihr das, was wir in vielen Tagen euch vorlegen, im Geiste zusammenfassen, und gleichsam eine Kette daraus machen, die ihr so um die Seele legt, dass die ganze Hl. Schrift im Überblicke vor euch steht. Rufen wir uns also das Frühere nochmals ins Gedächtnis zurück, und gehen wir heute so zum Folgenden über.

2.

Welche Schriftverse kommen also heute an die Reihe?

"Das alles ist aber geschehen, auf dass erfüllt werde, was der Herr durch des Propheten Worte sprach."

Der Größe des Wunders nach Möglichkeit entsprechend rief der Engel aus: "Das alles ist aber geschehen." Da er nämlich die Tiefe und den Abgrund der Liebe Gottes schaute, das Unverhoffteste verwirklicht, die Naturgesetze aufgehoben, die Versöhnung bewirkt, den Höchsten herabgestiegen zum Niedrigsten, die trennende Wand niedergeworfen, die Hindernisse gehoben, und noch weit mehr als all dies, so faßte er das Wunder in ein einziges Wort zusammen und sprach: "Das alles ist aber geschehen, auf dass erfüllt werde, was der Herr durch des Propheten Worte sprach." Glaube nicht, will er sagen, dass all dies erst jetzt (Anmerkung 1: von Gott) beschlossen worden sei; schon seit langem waren die Vorbilder dafür erschienen. Das will ja auch der hl. Paulus bei jeder Gelegenheit nachweisen. Den Joseph verweist der Engel auf Isaias, damit er, hätte er beim Erwachen seine Worte vergessen, die erst kurz zuvor gesprochen waren, sich wenigstens der Worte des Propheten erinnere, mit denen er von Jugend auf vertraut war, und so auch des Engels Worte behielte. Der Jungfrau sagte er nichts dergleichen. Sie war ja noch ein Mädchen und hatte in diesen Dingen keine Erfahrung; mit dem Manne, der gerecht war und eifrig die Propheten las, hat er davon gesprochen. Und zuvor sagte er: "Maria, dein Weib." Dann aber, als er die Worte des Propheten erwähnt hatte, da vertraute er ihm auch den Namen der "Jungfrau" an. Joseph wäre nicht so ruhig geblieben, als er den Namen "Jungfrau" von dem Engel hörte, hätte er ihn nicht früher schon bei Isaias gelesen. Er sollte ja nichts Neues von dem Propheten erfahren, sondern etwas, das ihm längst bekannt, womit er seit langer Zeit vertraut war. Um ihm also das Gesagte annehmbar zu machen, beruft sich der Engel auf Isaias. Doch bleibt er auch dabei nicht stehen, sondern führt die Sache bis auf Gott zurück; denn nicht bloß eines Propheten Worte seien es, sondern sie kämen von Gott, dem Herrn des Weltalls. Darum sagte er auch nicht: "Auf dass erfüllt werde, was Isaias gesagt hat", sondern "was der Herr gesagt hat". Der Mund war allerdings des Isaias Mund, die Weissagung aber kam von oben. Worin besteht also diese Weissagung? "Siehe, eine Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und man wird seinen Namen Emmanuel nennen" (Anmerkung 2: Jes 7,14). Warum aber, fragst du, ward er dann nicht Emmanuel genannt, sondern Jesus Christus? Weil es nicht heißt "du wirst nennen", sondern "sie werden nennen", die Leute nämlich und die tatsächlich eintretenden Ereignisse. Hier wird ihm nach der wirklichen Tatsache der Name beigelegt; denn die Hl. Schrift pflegt lieber die entsprechende Sache als bloße Namen zur Bezeichnung zu gebrauchen. Nichts anderes also bezeichnen die Worte. "Sie werden ihn Emmanuel nennen", als: Sie werden Gott mit dem Menschen schauen. Allerdings hat Gott immer mit den Menschen verkehrt, aber niemals in so sichtbarer Gestalt. Sollten die Juden sich erkühnen, dagegen Einwendungen zu machen, so werden wir sie fragen: Wann hat man denn das Kind genannt: "Beraube schnell, plündere in Eile"? Darauf werden sie keine Antwort wissen. Warum sagte also der Prophet: Gib ihm, den Namen: "Beraube schnell"? (Anmerkung 3: Jes 8,3) Weil er nach seiner Geburt gleichsam eine Kriegsbeute wurde, die man verteilt; deshalb ist ihm auch im Leben das widerfahren, was sein Name besagt.