Benutzer:Mapmarks/Edfou
Meyer’s Universum, Band 12
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Jahrtausende fluthen in’s Meer der Ewigkeit hinab; Jahrhunderte rollen vorüber; Geschlechter kommen und gehen und auf den Stufen des Glücks und der Macht steigen die Nationen auf und nieder. Nichts ist dauernd als der Wechsel; nichts ist beständig als der Tod. Doch trägt jeder Tod wieder ein Leben in seinem Schooße, wie jedes Leben ein Sterben, ein Verbluten, ein Verwelken, oder ein Verschwinden. Kreislauf ist’s, doch ein Kreislauf wie am Sternenhimmel: ein Kreislauf mit Fortbewegung zu Zielen, die in unfaßlichen Fernen stehen.
Und diese Fortbewegung ist unser Trost. Ohne dieselbe wäre unser Im-Kreise-gehen in der That nur ein Stillstand, die Bewegung nur Schein, die Achse, um die sich Alles dreht, das leere Nichts. Es ist auch diese Fortbewegung der stärkste Bürge unserer Unsterblichkeit. Der Raupe gleich, die eingesponnen im dunkelsten Blatte wohnt, um später im Sonnenschein von Blume zu Blume zu flattern, werden auch wir Erdenpuppen von Stern zu Sternen fliegen und im Fluge den Himmel küssen. – Und mit dem Sternenauge werden wir dann auf die Erde herabsehen und denken der alten Heimath und der Freuden und Leiden, die sie gegeben hat, und die Saaten groß wachsen sehen, die wir ausgestreut, und die Früchte betrachten mit dem Gefühl der Seligen, wenn sie gut waren, und sind sie schlecht gewesen mit dem Gefühl der Verdammten.
„Was in der Zeit Du gesäet in die dunkeln Furchen der Erde,
Aerndte davon – sprach Gott – im lichten Himmel für ewig.“
Das Räthsel der ewigen Vergeltung erhält also die einfache Lösung.
Auch diese Trümmer, deren Bild uns den beredten Zeugen einer viertausendjährigen Vergangenheit vor’s Auge führt, kündigen von dem steten Fortschreiten im geistigen Leben der Menschheit. Zwischen den Bildungsgraden von damals und jetzt, welche Kluft! und wie ärmlich erscheint die Errungenschaft des kulturreichsten Volks des Alterthums gegen den Schatz des Wissens und Könnens der Neuzeit! Ein Schulknabe weiß jetzt mehr als alle Weisen des Pharaonenlandes zusammen, und Vieles ist jetzt unmöglich, was man damals den Völkern zumuthen [136] durfte. Wenn man eine gebildete Nation aufforden wollte, der Despotie Gebäude im Frohndienst aufzurichten, von deren Pracht und Größe die üppigste Phantasie eines abendländischen Herrschers kaum zu träumen wagt, was würde sie dazu sagen? und welches Volk würde jetzt in seinem Monarchen den lebendigen Gott anbeten mögen und ihm auf Altären opfern?
An solchen Dingen erkennen wir den Abstand zwischen der Kultur von heute und vordem und den ungeheuern Raum, den die Menschheit auf ihrer Bahn zur geistigen Vollkommenheit in der verhältnißmäßig kleinen Spanne Zeit durchlaufen hat. Ein solcher Rückblick erhebt, er versöhnt auch mit vielen Erscheinungen und macht den Glauben an ein beständiges Fortschreiten in jener Bahn unerschütterlich.
Und dieser Glaube sey der Fels, von dem herab der ruhig beobachtende Geist nieder schaue auf die Nebel und die tobenden Gewässer der Tiefe, und keine Leidenschaft, kein Irrthum, kein Zweifel, kein Grimm über verwirrende Verhältnisse, noch das Rückwärtszerren eigennütziger, boshafter und wahnsinniger Menschen soll ihn irren, oder den Blick verdunkeln. Der rechte Mensch, dem Gott Kraft gegeben, hat nur eine Bahn und nur eine alleroberste Pflicht: mitzuwirken für Das, was die edelsten Geister erwärmt hat von Anfang der Geschichte: – d. h. zu wirken für die Beglückung der Brüder durch Unterricht und Aufklärung, durch Erweckung zum Selbstbewußtseyn und zur Liebe für wahre Freiheit, die Mutter jeglicher Tugend. Mit voranzuschreiten für dieses Streben in der vordersten Reihe, das ist das Höchste des menschlichen Thuns und das Rühmlichste unter Allem.
Ein Wirken des Friedens ist es jedoch nicht! Kampf fordert’s und Unruhe und schwere Arbeit und große Opfer immerdar. Wer es als Panier seines Lebens aufgesteckt hat, der darf sich nicht fürchten. Er muß hinabsteigen, tief hinab, wo all das häßliche, giftige Schlangengezücht kriecht, dessen Biß das Volksleben siech macht und elend und um den Preis seines irdischen Daseyns berückt. Er muß den Kampf wagen mit dem Gezücht, wie St. Georg mit dem Lindwurm, einen Kampf auf Leben und Tod. Dem die Entschlossenheit dazu nicht inne wohnt, der soll ihn nicht beginnen. –
In den Tempeln, von denen ein Theil dieser Trümmer die Ueberreste sind, wurden einst Menschenopfer geschlachtet von schurkischen Priestern; ein Blutzehnt für den König als Gott. Unsere Pfaffen beten noch für ihre Herrscher und machen die Gemeinde für sie beten. Die Natur des Geiers, der die unschuldige Taube würgt, haben sie ausgezogen; sie spielen nur noch die Nachteulen. Sie fordern nicht mehr Menschenopfer: sie wünschen nur, daß es dunkel bleibe. Sie sind auch barmherzig geworden; denn sie gönnen dem Volke den Himmel, nachdem es auf Erden gedarbt hat. Auch die Fürsten sind jetzt anders: sie lassen dem Volke nicht mehr Pyramiden bauen zur Frohnde; sie gestatten ihm Erwerb; nur sorgen sie dafür, daß Das, was der Fleiß gewonnen hat, der Fleißige mit ihnen theile. Sie sagen auch nicht mehr: Sklav, gehorch! Sie sagen dem Einen: du bist frei! [137] und dem Andern: du sollst frei werden, wenn du reif bist zur Freiheit, und dann bestellen sie den Einen zum Hüter des Andern, und das gegenseitige Mißtrauen macht Beide zu ihren Gefangenen. – So ist es. – Die Heuchelei, nicht die offene Gewalt ist’s, womit die Dämonen der Erde den Fortschritt bekämpfen und darum muß sich gegen die Heuchelei vorzugsweise unser Geschoß richten. Sie ist zu solcher Meisterschaft herangebildet worden durch die lange Uebung, daß selbst verständige Leute durch sie getäuscht werden und nicht glauben können, daß man sie äffe. Keiner, der auf unserer Seite steht, soll daher müde werden, ihr in’s Angesicht zu leuchten und sie zu entlarven. Ob uns die Gegner dafür Störenfriede heißen; ob sie sagen, wir reizten die Gemüther und kürzten den Menschen den Schlaf; ob sie uns Wühler nennen und Freunde des Umsturzes; ob sie alle Schimpf- und Scheltworte über uns ergehen lassen: es kümmert uns nicht! Wir sagen gelassen: besser ist’s zeitig geleuchtet mit der warnenden Fackel der Wahrheit, als abzuwarten, bis Andere die Nacht mit der Mord- und Brandfackel erhellen! Wir sagen: besser ist’s, die Wahrheit entwaffne und die Ironie beschäme die Gegner, als daß die schleichende Erbitterung unbemerkt das volle Maß erreiche und, überströmend, sich in Blut verwandle. Redlicher Wille bleibe die Quelle unsers Muths und das Wort der ehrlichen Ueberzeugung unser Schwert. Und das Schwert, recht geführt von rechten Männern, gab schon öfters die Macht, Völkern die Fesseln zu lösen. Die Gegenwart hat’s bewiesen; die Zukunft wird es noch besser beweisen.
Was unser Stahlstich uns zeigt, sind die großartigen Reste der alten Apollinopolis magna, der
Hauptstadt des apollonopolitischen Nomos in Thebais, die unter dem Zepter der Ptolemäer jene Prachtbauten
erstehen sah, deren Trümmer sich jetzt noch stolz im Nile spiegeln. Nur Theben kann sich mit seinen Resten
neben diese der Apollonia stellen. Das Loos beider ist gleich. Schmutz und Wetter arbeiten mit den Hämmern
und Meiseln der Archäologen und Kunstkrämer gemeinschaftlich an deren Zerstörung. Apollonia erlag
ihr später, denn es war noch lange Zeit unter den römischen Kaisern ein angesehener Bischofssitz; eine
römische Legion hatte hier ihren Standort. Gegenwärtig finden wir auf dem flachen Dache des großen Tempels
das Dörflein Edfou, das zur oberägyptischen Provinz Said gehört und gegen 1000 arabische Einwohner beherbergt,
die sich in der Verfertigung schöner rother Thongefäße auszeichnen und dieselben auf dem Nil verfahren.
Das Hauptgebäude des Tempels ist in seiner Länge von 424 Fuß und seiner Breite von 212 Fuß mit seinen
Zahlreichen Skulpturen noch deutlich zu erkennen; dagegen haben die Zwischenwände der Säulen des Portikus
und die oberen Einfassungen der herrlichen, 110 Fuß hohen Pylonen sehr gelitten. Die Hauptursache der Zerstörung
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liegt darin, daß der Unrath aller Art, welchen die Dorfbewohner aus ihren Fenstern werfen, nach und nach
das Innere des Tempels ganz anfüllt, so daß jetzt die prächtigen Säle nur noch als Souterrains erscheinen und
von den kolossalen Säulen blos die Kapitäler noch aus dem Schutt hervorragen. Ein kleinerer Tempel des Typhon
erhebt sich neben den Ueberresten des großen.
Das Bild zeigt uns den am reichsten mit Skulpturen ausgeschmückten Haupteingang des großen Tempels. Welche Thaten durch diese wunderbaren und wunderlichen Bildwerke verewigt werden sollten? Wir wissen es nicht. Hat die Wahrheit sich dieser Riesenschriftzüge bedient, um ihre Freunde und deren Werke zu preisen? Wir glauben es nicht. Es ist nicht ihre Art, sich mit so betäubenden Massen und Gepränge in das Licht der Sonne zu stellen. Hat die Macht des Glaubens sie aufgebaut? Schwerlich diese Macht allein: die Trümmer selbst deuten verrätherisch auf noch andere Mächte. Die Macht der Tyrannei, Eitelkeit und Schmeichelei scheint hier Menschenwogen zusammengeschleudert zu haben, um für das Andenken der Götter der Erde unverwüstliche Säulen zu gründen. Von ihrer Größe und Herrlichkeit sollten jene Bilder und Zeichen allen kommenden Geschlechtern predigen und, hochaufgerichtet von dem Stolz dieses Gedankens, stiegen jene alten Könige über die niedergedrückten Häupter von Millionen hinab in die prangende Gruft. Dort lag ihr Staub. Die Zeit hat ihn verweht. Aber auch ihre letzte Hoffnung ist mit ihrem Geschlechte zu Grabe gegangen: die Zeichen und Bilder hörten auf, ihre Größe und Herrlichkeiten zu predigen, und wo sie noch aufrecht stehen, sind sie, was sie sind: Prediger in der Wüste: ihre Worte haben keinen Laut für die Ohren der Gegenwart und fänden, wenn der Gelehrten Witz auch den Laut wieder zu beleben wüßte, kein Ohr mehr, das ihnen lauschen möchte. Die den Fürsten angelogene Größe hat hier ein stummes Grab und wird es behalten: und die Zeit wird kommen, wo alle solche Lügen verstummen und sie verschwinden werden aus den Büchern der Weltgeschichte, die sie besudeln.
[Tafel 555] DLV
RUINEN von EDFOU in Egypten.
Aus d. Kunstanst. d. Bibl. Inst. in Hildbh. Eigenthum d. Verlages.