ZEICHHUNC AC.XYOHOR


Iinden i.W. J.C.E. Bruns Verlag


Olga Robylanska


Eingeleitet durch einen Essay

„Ein Jahrhundert kleinrussischer Litteratur“ von Georg Adam.


Minden i. Westf. I. C. C. Bruns’ Verlag.


Gedruckt bei I. C. C. Bruns in Minden i. W.


Juhalts-Verzeichuis.

Georg Adam: Ein Jahrhundert kleinrussischer


I Litteratur 1 Natur 55 Eine Unzivilisierte. Eine Schlacht 145


C0g999


Litteralur.


Das kleinrussische Volk, welches die Hauptmasse der Bevölkerung in der russischen Ukraine, dem östlichen Teile Galiziens, der Bukowina und den angrenzenden Gebieten Ungarns bildet, ist eines der Stiefkinder der Geschichte. Früh schon wurde es der staatlichen Selbständigkeit beraubt, es unterlag den beiden mächtigen stammesverwandten Nachbarn, den Polen und Russen. Politisch zerrissen und unterdrückt, brütete das Volk dahin in dumpfer Ergebenheit und seiner selbst unbewußt, während die höheren Schichten sich bald bemühten, ihren Herren, den Polen und Russen, sich zu assimilieren. So schien es Jahrhunderte lang, als sei jede litterarische Bewegung, abgesehen von der reichen alten Volkspoesie, welche im Munde des Volkes fortlebt, bei den Kleinrussen erstorben; ja, die Sprache selbst, die ja nur


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noch die Sprache der ungebildeten Bauern geblieben, schien in ihrer Existenz in Frage gestellt. Als im Jahre 1818 die erste Grammatik der kleinrussischen Volkssprache herausgegeben wurde, fügte der Verfasser erklärend hinzu, daß dies aus rein historischem Interesse geschehe, denn die kleinrussische Sprache sei im Aussterben begriffen, eine nicht lebendige und nicht tote Sprache. Doch als diese Worte geschrieben wurden, da waren die ersten Schritte zur Wiedererweckung der kleinrussischen Litteratur bereits gethan. Das erste Werk, welches – abgesehen von einigen früheren Versuchen, die jedoch meist ungedruckt blieben und nicht genügende Beachtung vor der Offentlichkeit fanden – in kleinrussischer Sprache erschien und dabei Anspruch auf litterarischen Wert machen konnte, war die Travestie der Vergilschen Aeneis von Iwan Kotlarewski. Das war im Jahre 1798 – und im Jahre 1898 da wurde allerorten, wo Kleinrussen wohnen, in Kiew, Odessa, Lemberg, Czernowitz u. v. a., das Andenken jenes ersten kleinrussischen Dichters und der hundertste Geburtstag der kleinrussischen Litteratur als hoher Festtag begangen. Sehen wir, was diese Litteratur in ihrem ersten Jahrhundert geschaffen hat. Zunächst jene Aeneis deren erste Auflagen in Petersburg erschienen. Der Dichter hatte die Anregung dazu in einer russischen Bearbeitung von Blumaners „Aeneis“ gefunden, aber die Art, wie Kotlarewski


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seinen Stoff behandelte, läßt sein Werk im Lichte der Geschichte als eine grundlegende That erscheinen. Zum ersten Male wurde hier das Volkstümliche, das Nationalkleinrussische mit voller Kraft zu seinem Rechte geführt, und von nun an nahm die kleinrussische Nation selbständig Teil an den gesamt-europäischen litterarischen Bewegungen. Nicht nur, daß hier zum ersten Male die Sprache des kleinrussischen Volkes mit Erfolg in die Litteratur eingeführt wurde, während man sich bisher einer Sprache bedient hatte, welche aus polnischen, großrussischen und vorwiegend altkirchenslawischen Bestandteilen zusammengeflickt war, auch das Volk selbst tritt hier tren und lebendig auf die Bühne. Denn die ganze Geschichte von den trojanischen Helden, den bunten antiken Götterhimmel benntzt Kotlarewski nur, um unter ihrer Maske seine eigenen Volksgenossen zu schildern. So sind die Götter mit Zeus an der Spitze nichts anderes als die kleinrussischen, polnischen und russischen Adligen und Beamten, die sorglosen Herren des arbeitenden Volkes, die in Saus und Brans dahinleben und keine höheren Ideale kennen als Essen und Trinken, und Trinken vor allem, während Aeneas und seine Gefährten echte fahrende Kosaken sind, welche in ihren Schiffen die Lieder der alten Saporoger singen von der Herrlichkeit ihres Sicz. – Wohl hat ein Kritiker Kotlarewski einen strengen Vorwurf daraus gemacht, daß er das kleinrussische Leben nur im Spott und von der lächerlichen Seite behandle, doch ganz


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zu Unrecht; denn mit dem, was er in diesem heiteren Gewande erzielen will, ist es dem Dichter heiliger Ernst, und überall leuchtet herzliche Humanität und wahre Liebe zum Volke hervor. Kotlarewski, welcher, im Jahre 1769 in Poltawa als Sohn eines kleinen Beamten geboren, im Jahre 1838 als Major und Leiter einer Erziehungsanstalt in seiner Heimat starb, ist auch der Schöpfer des nationalen Dramas geworden. Dies letztere stand damals in Kleinrußland noch ganz im Banne des Kirchentums, etwa auf der Stufe der mittelalterlichen Mysterien. Auch hier trat Kotlarewski als bahnbrechender Neuerer auf, indem er mit mächtigem Griff sein kleinrussisches Volk und kleinrussisches Leben auf die Bühne stellte. Und noch heute wird seiner „Natalka Poltawka“ und dem „Moskauer Zauberer“ in kleinrussischen Theatern zugejubelt. So wird Kotlarewski nicht nur als Begründer der Litteratur, sondern auch als Erwecker des nationalen Bewußtseins in seinem Volke gefeiert. Ja, es lassen sich in seinem Werke im Keime bereits jene Züge erblicken, welche die gesamte kleinrussische Litteratur fernerhin charakterisieren: die scharfe Betonung des Nationalen, die schwärmerische Kosakenromantik, die streng demokratische Volkstümlichkeit. Dieser demokratische Zug, welcher sich in allen slavischen Litteraturen bemerlbar macht, liegt bei den Kleinrussen besonders fest begründet in den äußeren Verhältnissen.


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Denn da die wenigen Vertreter der höheren Schichten, der Intelligenz dem eigentlichen Volke in Sitte und Sprache fast völlig entfremdet waren, so mußte die nationale Litteratur sich vornehmlich an die Bauern als alleinige Stütze wenden, und eine große Zahl nkrainischer und galizisch=ruthenischer Dichter ist auch selbst aus dem Bauernstande hervorgegangen. Die nkrainische Litteratur ist eine Bauernlitteratur von Geburt, und sie hat auch durch freinde Einflüsse sich in ihrem Wesen nicht wandeln lassen, daher spielte in ihr das Bauerntum seine natürliche Rolle, schon Jahre bevor man in West=Europa sich auf diesen für die litterarische Welt fast vergessenen Stand zu besinnen begann und bevor die russische Litteratur sich zu voller, starker Selbständigkeit hindurchgerungen hatte. Jahre vergingen, ehe die Arbeit Kotlarewskis recht ihre Wirkung that und Nachfolger zu zeugen vermochte. Und als diese sich fanden, da bestand, wie das ja so zu kommen pflegt, die Nachfolgerschaft nur in täppischer, oberflächlicher Nachahmung, welche nicht die Kraft besaß, sich in Geist und Herz des Meisters hineinzuleben. Zu eigener Bedeutung erhob sich aus der Schule Kotlarewskis Petro Artemowski-Hulak, der Sohn eines Geistlichen aus dem Gonvernement Kiew, welcher von 1790 bis 1866 lebte und in seinen Fabeln und Satiren die kleinrussische Litteratur durch feine künstlerische Gebilde bereichert hat. Besonders bezeich

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nend ist seine Geschichte „Der Herr und der Hund“ in welcher der Hund, der für alle seine Treue nur gequält und geschlagen wird, der Repräsentant des kleinrussischen Volkes ist. Zu hoher Entfaltung brachte die satirische Fabel in den dreißiger Jahren Eugen Hrebinka (1812 bis 1848). Alle Zeitgenossen überragte jedoch Gregor Kwitka-Osnowjanenko (1778 bis 1843), welcher, aus einer Charkower adligen Gutsbesitzerfamilie stammend, sich schließlich, nachdem er sich im Militär= wie Zivildienst versucht hatte, sodann einige Jahre im Kloster zugebracht, von allem anderen unbefriedigt der Litteratur zuwandte. Er verließ die bis dahin vorherrschende Form der Humoreske und Satire und schuf in seinen Erzählungen, welche vom warmen Hanche tiefen Gefühls durchweht sind, das allerdings zuweilen als Sentimentalität erscheint, Bilder aus dem Leben des Volkes voll packender Natürlichkeit und Wahrheit. Auch einige volkstümliche Theaterstücke von Kwitka gelangten zu großer Popularität. Vor allem aber durch seine Erzählungen, welche überall gerade wegen ihrer Lebenswahrheit offene Herzen fanden, übte er einen außerordentlichen Einfluß auf sein Volk aus, welches seine Werke zu den Perlen heimischer Litteratur zählt. Neue Stoffe, die nationale Geschichte und Tradition des kleinrussischen Volkstums, kamen gegen Ende der dreißiger Jahre zur Geltung, und zwar im Zusammen

hang mit dem allgemein europäischen Entwickelungsgange der Litteratur. Das Zeitalter der Romantik brachte in der polnischen und russischen Litteratur eine schwärmerische Begeisterung für die Ukraine und das alte Kosakentum. In Polen bildete sich eine ganze ukrainische Schule. Deren glänzendste Vertreter sind Anton Malezewski mit seiner tragischen Erzählung aus der Ukraine „Maria“, Sewerin Goszzynski, welcher in seiner erschütternden Dichtung „Das Schloß von Kaniow“ (Zamek kaniowski), das grausige Bild eines kleinrussischen Bauernaufstandes im 18. Jahrhundert schildert, und der feine, zartlyrische Bohdan Zaleski, welcher seine zauberhafte Dichtung „Der Geist der Steppe“ (Duch od stepu) mit den Worten voll glühender Heimatbegeisterung beginnt: Mich auch, Mutter Ukraine, Mich auch hat sie, ihren Sohn, Mit dem Lied genährt am Busen. Zauberin, im Morgendämmer Ahnend mein ätherisch Leben In der Zukunft fernem Reich, Sprach sie mild und zärtlich weich: „Warte du mein Kind, Rusalka! Milch der Lieder, Mark der Blumen Nähr’ zum Flug den schwachen Leib; Meines Ruhmes Sonnenzeiten Leih als Bilder seinen Träumen! Daß in Gold und Azur ihm Regenbogengleich erblühen Alle Sagen meines Volkes.“


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Doch auch andere, nicht eigentliche „Ukrainer“ wie der phantasiegewaltige polnische Romantiker Inlius Slowacki mit seiner von Byronschem Geiste erfüllten poetischen Erzählung von dem Kosakenhetman Zmija und der große russische Romantiker Puschkin, sodann Nikolai Gogol, der im Gonvernement Poltawa geboren wurde und dessen Vater, Wassili Afanasjewitsch Gogol, sich selbst in der kleinrussischen Litteratur durch einige Komödien bethätigt hat, konnten sich dem Zauber der Ukraine nicht entziehen. Und wirklich, kein anderes Land bietet der Romantik ein reicheres Feld als jene Ukraine mit ihren weiten, ewigen Steppen, die bis zum blauen Meer sich dehnen, „wo Hügel sich an Hügel reiht, und jeder Hügel ist ein Grab,“ ein Grab und zugleich ein Denkmal der wilden, ruhmreichen Vergangenheit, da die Kosaken unter ihren tapfren Atamanen gegen Polen, Russen und Tataren fochten, die Saporoger in ihren leichten, flinken Booten bis vor die Kaiserstadt Konstantinopel fuhren und den Feind der Christenheit in seinem goldenen Palast erbeben machten, da die Tschumaken frei das Land durchzogen und der stolze Kosak keinen Herrn über sich erkannte. Natürlich konnte diese Romantik gerade auf die eigentlichen Nachkommen jener alten Kosaken, das kleinrussische Volk, ihre Wirkung nicht verfehlen, und im Munde der nenen kleinrussischen Dichter erwachten die Lieder und der Geist der Sänger, der Teorbaspieler der Vorzeit, zu neuem, frischem Leben.


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Zu diesen kleinrussischen Romantikern gehört zunächst Ambrosius Metlynski (1814 bis 1870), dessen melodische Lieder wehmütig über den Ruinen der Vergangenheit klagen und schwärmerisch vom Ruhme des alten Kosakentums singen. In derselben Richtung bewegen sich einige Werke von Artemowski=Hulak und die Balladen von Borowikowski. Zur höchsten Blüte entfaltete sich die kleinrussische Romantik, die kleinrussische Poesie überhaupt, in Taras Schewtschenko. Taras Schewtschenko wurde am 9. März (25. Febrnar) 1814 als Sohn eines Leibeigenen des Kiewer Gutsbesitzers Engelhardt geboren. Nach einer außerordentlich traurigen Kindheit – schon im Alter von 8 bis 9 Jahren wurde er Waise – wurde er im Jahre 1832 von seinem Herrn bei einem Petersburger Maler in die Lehre gegeben. Hier lenkte er die Aufmerksamkeit von Petersburger Künstlern auf sich, welche, unterstützt von dem berühmten Dichter Shukowski, im Jahre 1838 seinen Loskauf ermöglichten. Nun besuchte Schewtschenko die Akademie und wurde einer der Lieblingsschüler des Geschichtsmalers Brylow (Brüllow). Seine Thätigkeit teilte sich jedoch zwischen Malerei und Poesie. Im Jahre 1840 gab er seine erste Gedichtsammlung heraus unter dem Titel „Kobzar“ (Der Spielmann), welche ihm sofort den ersten Rang in der kleinrussischen Litteratur erwarb. Nachdem er 1844 als freier Künstler in die Heimat zurückgekehrt war, ereilte ihn dort im


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Jahre 1847 ein trauriges Geschick: er wurde als Mitglied eines kleinrussisch=patriotischen Geheimbundes, welcher die Aufhebung der Leibeigenschaft, eine freie Verbrüderung aller Slaven u. a. als Ziel verfolgte, verhaftet, unter das Militär gesteckt und als gemeiner Soldat nach dem Orenburger Gonvernement, fern an die Grenze Asiens geschickt. Dabei war ihm streng verboten, zu schreiben! Nach zehn Jahren des Elends wurde er endlich auf Fürsprache von Petersburger Freunden freigegeben, doch seine physische Kraft war gebrochen; nachdem er abermals, im Jahre 1859, seine Heimat aufgesucht, starb er am 10. März (26. Februar) 1861. Bei Kaniew am Dujepr wurden seine Gebeine beigesetzt, mitten in der weiten Steppe seiner Ukraine, wie er es gewünscht, ein neuer Grabhügel, der sich an die vielen andern des ukrainischen Landes reiht, in denen die ruhmreichen Söhne des kleinrussischen Volkes schlummern. Und zu ihnen gehört Schewtschenko wie kein andrer. Für sein Volk ist er der Sänger, der Genosse seiner Leiden, der Tröster und Führer; für die Weltlitteratur ist er eine der eigenartigsten und anziehendsten Dichtergestalten. In Schewtschenkos Liedern liegt die Seele des kleinrussischen Landes und des kleinrussischen Volkes. Und diese Seele spricht in ihnen frei und ungekünstelt, in der schlichten, herzlichen Sprache des Naturkindes, und doch voll tiefer, zartester Empfindung und Poesie, voll der melancholisch süßen Innigkeit des slavischen


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Volksliedes. Ja, Schewtschenkos Poesie ist echte Volkspoesie. Und das ist das Große und Seltene an Schewtschenko. Seine Dumki sind nicht Gedichte, welche der Dichter in kluger Erkenntnis des Volkes dessen Verständnis angepaßt hat, es sind Lieder, die, aus dem Herzen des Volkes geflossen, mit urkräftiger Gewalt wieder zum Herzen des Volkes gehen. „Die Poesie Schewtschenkos“ so sagt sein Freund und Gefährte Kostomarow, „ist die Poesie des ganzen Volkes, doch nicht nur die, welche schon das Volk selbst in seinen namenlosen Schöpfungen, den Volksliedern und Dumen gesungen hat, es ist die Poesie, welche das Volk selbst würde anstimmen müssen, wenn es mit selbständiger Schöpferkraft ununterbrochen nach seinen ersten Liedern fortfahren wollte zu singen; oder vielmehr, es war die Poesie, welche das Volk wirklich angestimmt hat durch den Mund seines Auserwählten, seiner wahrhaft leitenden Persönlichkeit.“; Wohl sang auch Schewtschenko wie die anderen ukrainischen Romantiker von dem Ruhme der Vorzeit, den Kämpfen der freien Kosaken, den blutigen Bauernaufständen der Haidamaken, wohl träumte auch er über den Grabhügeln der Ahnen und lauschte dem Winde, der bald sanft, bald in wildem Brausen sein düsteres Lied durch die Steppe singt, doch über dem Versenken in die Vergangenheit verlor er nicht den Blick für das Leben der Gegenwart, und das traurige Geschick der Volksgenossen um ihn wirkte nicht minder auf seinen


Geist und auf sein Gemüt als die Erinnerung der glanzoollen, in verschönendem Lichte gesehenen Tage der alten Kosakenherrlichkeit. Und dem Volke, mit dem er verwachsen bis in die innersten Fasern seines Wesens, dem allein er angehören wollte, ihm hat er sein ganzes Lebenswerk gewidmet, ihm hat er sein Glück, ihm hat er das höchste der Güter, die Freiheit zum Opfer gebracht. Sein Ideal, das in voller Schärfe und Klarheit aus seinen Liedern leuchtet, war ein freies kleinrussisches Volk, edel an Herz und Geist. Die Verwirklichung dieses Ideals erhoffte er von der Durchführung des panslavistischen Gedankens, doch, wohl verstanden, nicht jenes Panslavismus, den russische Regierungskreise zum willkommenen Vorwand einer Raub= und Eroberungspolitik auszubeuten sich bemühen, nein, frei und brüderlich sollen alle Slaven sich vereinen, „Söhne der Sonne Gerechtigkeit“ Diese Ideen waren es, welche auch jener Verein ukrainischer Patrioten, die „Brüderschaft des heiligen Kirill und Method“ verfolgte, deren hervorragendste Mitglieder neben Schewtschenko Kostomarow und Kulisch waren. Auch sie fielen im Jahre 1847 der Verfolgung der russischen Regierung zum Opfer und erlitten eine mehrjährige Unterbrechung ihrer Thätigkeit, so daß durch jene Gewaltmaßregel die kleinrussische Litteratur etwa ein Jahrzehnt lang lahm gelegt war. Kostomarow (1817 bis 1885) hat sich, außer einigen geschichtlichen Dramen und Gedichten, hauptsächlich


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durch seine Arbeiten auf dem Gebiete der Geschichte und Ethnologie, mit denen er eingehende Studien der Volkspoesie verband, um die kleinrussische Litteratur und die nationale Sache hervorragende Verdienste erworben. Ein großer Teil seiner historischen Werke ist zwar in russischer Sprache erschienen, aber die überwiegende Mehrzahl behandelt doch rein kleinrussische Stoffe. Ein buntes, wechselvolles Bild bietet die Thätigkeit Panko Kulischs. Im Jahre 1819 geboren, lebte er bis 1897, und in seinem langen Leben hat er sich auf allen Gebieten der Litteratur versucht und immer mit reichem Erfolge. Doch seine Vielseitigkeit hat eine starke Schattenseite: sie erstreckte sich auch auf seine Anschauungen und Überzeugungen. Ursprünglich als Freund Schewtschenkos und Kostomarows zum Kreise der Brüderschaft Kirill und Method gehörig hat er später, obwohl selbst Nachkomme eines alten Kosakengeschlechtes, den Ruhm der Kosaken in mehreren historischen und belletristischen Werken heftig angegriffen und die ganze Kosakenromantik zu vernichten getrachtet. Er that das jedoch aus Liebe zum gemeinen Volke, das von den Kosaken auch nicht wenig zu leiden hatte. Kulisch war kein streng objektiver Historiker, kein umsichtiger Politiker, doch blieb er bei allem bis zu seinem Tode ein treuer Sohn der Ukraine. Ein Meister der kleinrussischen Sprache, veröffentlichte er in derselben seinen besten II


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historischen Roman aus dem 17. Jahrhundert „Der schwarze Rat“ sodann kleinere Erzählungen, Dramen, lyrische und epische Dichtungen, übersetzte viele Werke von Shakespeare, Byron u. a. Nachdem die Verfolgung der Mitglieder der Brüderschaft Kirill und Method nachgelassen, und nachdem der Krimkrieg in ganz Rußland eine Umwälzung der Gesinnungen hervorgerufen hatte, die zur Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahre 1861 führte, trat ein neuer Aufschwung der kleinrussischen Bewegung ein, man gründete Sonntagsschulen und gab Volksbücher heraus. Großen Eindruck machten durch die Tiefe des Gefühls und Lebendigkeit der Darstellung die Erzählungen aus dem Volksleben von Marko Wowtschok (Opanas Markowitsch), welche vornehmlich das leidenvolle Dasein der leibeigenen Bauern schilderten. Einige von diesen Erzählungen übersetzte Turgenjew, der ja auch in seinen eigenen Werken für die Befreiung der Bauern kämpfte, in die großrussische Sprache. Des weiteren traten in dieser Zeit hervor die Erzähler Danilo Mordowetz (geboren 1830), Hanna Barwinok, die Gattin Panko Kulischs, Alexander Storoshenko, dessen Werke sich durch feine Psychologie und fröhlichen volkstümlichen Humor anszeichnen, der Fabeldichter Hlibow, Rudanski u. a. Die ungehemmte Entwickelung der kleinrussischen Litteratur sollte jedoch nur ein kurzer Sonnenblick bleiben, denn gerade als die Aufhebung der Leibeigen

+ XV schaft neue Hoffnungen erweckte, und als die neuen Verhältnisse viel eifrige und ungestörte Arbeit erforderlich machten, damit diese liberale That auch wirklich dem Volke Nutzen bringe, da huben von neuem die Verfolgungen wie der Polen so auch der Kleinrussen an, welche von Jahr zu Jahr immer schärfer wurden. 1863 wurden die Kiewer Sonntagsschulen aufgehoben, der Gebrauch der kleinrussischen Sprache in den Volksschulen wurde verboten, und im Jahre 1876 wurde durch kaiserlichen Ukas kurz und bündig verkündet: „Im ganzen Reiche ist der Druck von Werken in kleinrussischer Sprache, seien es eigene oder übersetzte, verboten!“ Die wenigen Ansnahmen, welche zugelassen werden sollten, sind gänzlich belanglos. So wurde die kleinrussische Litteratur in der Heimat, der Ukraine, völlig obdachlos gemacht. Sie flüchtete sich nun hinüber nach dem österreichischen Galizien und der Bukowina, wo, wie wir weiter unten sehen werden, auch schon unter den Ruthenen im Anschluß an die ukrainische Bewegung eine junge kleinrussische Litteratur sich heranbildete. Natürlich konnte von einem über Äußerlichkeiten hinausgehenden Erfolge jener harten Maßregel keine Rede sein, und in den achtziger Jahren griff denn auch in der russischen Regierung eine mildere Stimmung Platz, so daß wenigstens kleinrussische Theater geduldet wurden. Aber auch heutzutage, da das Erscheinen belletristischer Werke in kleinrussischer Sprache gestattet ist, II“


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unterliegt diese Litteratur in Rußland noch einer strengeren Zensur als die russische selbst. So kommt es denn, daß die kleinrussische litterarische Bewegung noch jetzt ihr eigentliches Zentrum in den österreichischen Gebietsteilen hat. Die führenden Geister der ukrainischen Litteratur in den siebziger und achtziger Jahren sind LewytzkiNetschuj, Konyski, Myrnyj und Schtschoholew. Iwan Lewytzki=Retschuj, geboren 1838, ist einer der beliebtesten Erzähler der kleinrussischen Litteratur. Er führt in alle Schichten der Gesellschaft, läßt die verschiedensten Typen seines Volkes ihr Wesen zeigen; wir sehen den Bauer in seiner armseligen Hütte, den Arbeiter in der Fabrik, wir lernen die Kreise der Gebildeten kennen, die Ideen, welche sie bewegen. Bald sind es Bilder voll tiefer Tragik, bald leicht und fröhlich hingeworfene Skizzen. Und auch der Tradition brachte Lewytzki seinen Tribut, indem er in seinen „Saporogern“ wieder die alten romantischen Zeiten erstehen ließ. In derselben Richtung bewegen sich auch die Werke des äußerst rührigen Alexander Konyski (1836–1900). Eine schärfere Betonung der sozialen Momente, kraftvollen Protest gegen alle Bedrücker des Volkes finden wir in den Erzählungen von Panas Myrnyj, welcher mit Vorliebe das in Mühsal und Not sich dahinschleppende Banernvolk mit seinem wilden, ohnmächtigen Grimm gegen die Herren zum Gegenstand seiner lebensvollen, psychologisch scharfen und


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treuen Schilderung wählt. Dazwischen tönen die Lieder Jakob Schtschoholews, welcher zunächst noch ganz nach seinen Jugendeindrücken und im Sinne der älteren romantischen Schule dichtete. Im Jahre 1824 geboren, lernte er während seiner Studentenzeit in Charkow noch Männer wie Artemowski=Hulak, Metlynski, Kostomarow kennen; er widmete sich nach Beendigung seiner Studien dem juristischen Dienste, welcher ihn zwar viel mit dem Volke in enge Berührung brachte, aber auch viele Jahre hindurch seine ganze Zeit und Kraft in Anspruch nahm. Nach einigen jugendlichen Anfängen beginnt seine dichterische Thätigkeit wieder nach langem Schweigen gegen Ende der siebziger Jahre und setzt sich bis in das letzte Jahrzehnt fort. In seinen späteren Dichtungen wendet er, dem Geiste der Zeit folgend, seinen Blick dem Leben und den Bedürfnissen des Volkes in der Gegenwart zu und verleiht ihnen ein mehr soziales Gepräge. Noch kurz vor seinem Tode, zu Beginn des Jahres 1897, gab Schtschoholew seine letzte Gedichtsammlung heraus. Höher als bei anderen slavischen Völkern hat sich bei den Kleinrussen das Volksdrama entwickelt; gehört doch schon zu den ersten Außerungen des kleinrussischen litterarischen Lebens das gefeierte Drama Kotlarewskis „Natalka Poltawka“ und ist doch das Theater im russischen Gebiete das freiste, Mittel für den ukrainischen Dichter, zu seinem Volke zu sprechen. Mit besonderem Erfolge bethätigt sich auf diesem Gebiete Iwan


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Tobylewitsch (Karpenko=Karyj, geboren 1845), welcher in seinen Dramen, zuweilen mit volkstümlichem Humor, treffliche realistische Bilder der sozialen Zustände seiner Heimat entwirft. Nach ihm sind ferner zu nennen M. Kropywnytzki, Starytzki, Myrnyj. Wie bereits kurz angedentet, blieb die in der Ukraine beginnende rege litterarische Bewegung der kleinrussischen Nation nicht auf das russische Gebiet beschränkt, sie riß auch die unter etwas anderen Verhältnissen lebenden Stammesgenossen in Galizien und der Bukowina mit sich fort. Den ersten Anstoß zu einer nationalen kleinrussischen Litteratur gab hier im Verein mit einigen Freunden der Geistliche Markian Schaschkewitsch, welcher, im Jahre 1811 geboren, seine Thätigkeit gegen Ende der dreißiger Jahre begann, wo er einen kleinrussischen Almanach, „Die Russalka vom Dniestr“, herausgab, welcher im Jahre 1837 noch in Budapest gedruckt werden mußte. Jedoch starb Schaschkewitsch schon 1843, und viele seiner ehemaligen Mitkämpfer und Nachfolger, wie Jakob Holowatzki, A. Mohylnytzki, N. Ustyjanowitsch, verließen später wieder die Sache ihrer Ingend. Auf die endlosen und unerquicklichen Kämpfe zwischen den verschiedenen Parteien, welche teils den Anschluß an Polen, teils das Aufgehen der kleinrussischen Nation in der gesamtrussischen verlangten, während die kleinrussisch=nationale Partei, die Ukrainophilen, meinten, zusammen mit den ukrainischen Kleinrussen eine eigene Nation und Litteratur


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bilden zu können, unabhängig von den Polen und nnabhängig von den Russen, auf diese Kämpfe, welche auf litterarischem Gebiet mit dem Streit um das Alphabet begannen, will ich hier nicht näher eingehen, denn endlich, in den sechziger Jahren, nach einer traurigen Zeit völliger Dürre auf dem Felde der Litteratur, erhob sich die nationale Poesie von neuem, indem sie frische Kräfte sog aus den Werken Schewtschenkos und der anderen ukrainischen Dichter. Gewiß giebt es noch heute eine russische Partei in Galizien, aber trotz kräftigster Unterstützung von russischer Seite kann sie doch neben der nationalen und demokratischen kleinrussischen Volkspartei, welche schon außerordentlich viel zur Hebung und Erweckung der Bauern, wie auch zur Förderung der Litteratur gethan hat, nicht aufkommen. Im Jahre 1868 wurde der Verein „Proswita“ (Aufklärung) gegründet und 1873 die „Gesellschaft im Namen Schewtschenkos“. Diese letztere ist im Jahre 1892 in eine wissenschaftliche Gesellschaft umgewandelt worden, welche gewissermaßen eine kleinrussische Akademie der Wissenschaften darstellt; die von ihr herausgegebenen „Mitteilungen“ bringen eine Fülle von gediegenen wissenschaftlichen Studien. Die Schewtschenko=Gesellschaft giebt auch seit dem Jahre 1898 eine trefflich geleitete Monatsschrift „Literaturno-naukowyj Wistnyk“ (Litterarisch-wissen- schaftlicher Bote) in Lemberg heraus. Ihren Führer und Meister fand die neu erstehende


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kleinrussische Litteratur in den österreichischen Gebietsteilen in Jurij Fedkowitsch (Josef Hordynski). Im Jahre 1834 in der Bukowina als Sohn eines Beamten geboren, trat Fedkowitsch 1852 in den Militärdienst, den er im Jahre 1863 als Offizier wieder verließ. Frühzeitig mit der deutschen Sprache und Poesie bekannt geworden, schrieb er seine ersten lyrischen Gedichte in deutscher Sprache, bis ihn ein kleinrussischer Patriot veranlaßte, sich der Sprache des eigenen Volkes zu bedienen. So trat Fedkowitsch in die kleinrussische litterarische Bewegung ein, unter deren hervorragendste Vertreter er sich reihen sollte. Seine Gedichte und Erzählungen, erstere zum Teil unter dem Einflusse Schewtschenkos, zeichnen sich durch unverfälschte Natürlichkeit, tiefes, mitfühlendes Verständnis des Wesens seines huzulischen Volkes und eine klingende, von Poesie durchglühte Sprache aus. Von herzlicher Liebe zu den Menschen und zu der schönen Natur seiner Heimat durchdruugen, gehören sie zu den besten Werken volkstümlicher Litteratur. Fedkowitsch starb im Jahre 1888. Ihm schließen sich an: Isidor Worobkewitsch (Danilo Mlaka), K. Ustyjanowitsch, G. Cehlynski, welche sich auch auf dem Gebiete des Dramas hervorgethan. Einen weitgehenden Einfluß auf die Entwickelung der kleinrussischen Litteratur übte in den letzten Jahrzehuten durch feine wissenschaftliche und publizistische Thätigkeit, ähnlich wie früher Kostomarow, Michael


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Dragomanow aus. Ein geborener Ukrainer, verließ er, als in den siebziger Jahren die Verfolgungen der kleinrussischen Schriftsteller in der russischen Ukraine immer nnerträglicher wurden, die Heimat, wo er eine Professur an der Kiewer Universität bekleidete, und verlegte seinen Wirkungskreis nach Galizien, später in die Schweiz und schließlich nach Bulgarien, wo er im Jahre 1895 als Professor an der Sofianer Hochschule starb. Dragomanow hat durchans in modernem Geiste auf seine Landsleute gewirkt, hat sie in unermüdlicher, hingebender Arbeit mit allen modernen Geistesströmungen Europas bekannt gemacht. Der Hauptvertreter und Vorkämpfer dieser von Dragomanow vorbereiteten, in modernen Bahnen vorwärts schreitenden Litteratur ist der Galizier Iwan Franko (geboren 1856). Auch Franko ist der Sohn eines Banern, und wie die besten unter seinen Vorgängern hält er mit Stolz und mit ganzer Seele zum Bauernvolke. In allen Zweigen der Litteratur ist er in erstaunlicher Vielseitigkeit hervorgetreten und mit zäher Bauernenergie kämpft und arbeitet er unermüdlich für sein Ideal: die Befreiung seines kleinrussischen Volkes aus jeder Art der Unterdrückung und Unfreiheit. Kaum je aber tritt in seinen künstlerischen Werken das Wirken für dieses Ideal in störender, predigthafter Weise hervor; durch die realistische Kraft der Darstellung erreicht er meisterhaft sein Ziel: er ist ein Tendenzdichter im guten Sinne des Wortes. In seinen Er

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zählungen bringt er Typen aus allen Klassen der Gesellschaft zur Darstellung, immer in dem Streben, seine Menschenbrüder „zu bessern und zu bekehren“ und als er am Ende des Jahres 1898 auf eine fünfundzwanzigjährige litterarische Thätigkeit zurückblickte, da wurde ihm von Vertretern aller Stände aufrichtiger Dank als schönste Gabe dargebracht. Doch ist Franko nicht blindlings auf die realistische Schule eingeschworen, und viele seiner zarten, empfindungstiefen Gedichte, sowie manche romantisch=phantastische Erzählung zeugen von seinem eigenartigen, schulfreien Wesen. Neben seinen zahlreichen belletristischen Werken hat Franko sich ferner auch durch eine ganze Reihe wissenschaftlicher Arbeiten auf dem Gebiete der Philologie und Geschichte seiner Nation reiche Verdienste erworben. Neben Franko, welcher seine ganze Kraft der Sache des leidenden und gedrückten Bauernvolkes widmet, stellt sich als führende Persönlichkeit, in der sich der Geist der modernen kleinrussischen Litteratur verkörpert, Olga Kobylanska, in welcher im Besonderen die Sache der Frauen eine begeisterte Kämpferin findet. Im Jahre 1865 in der Bukowina geboren, erhielt Olga Kobylanska den dortigen Verhältnissen entsprechend eine fast ausschließlich deutsche Erziehung. So schrieb sie, wie ihr Landsmann Fedkowitsch, ihre ersten litterarischen Versuche in deutscher Sprache, und erst durch die Bekanntschaft mit den kleinrussischen Patriotinnen Natalie Kobrynska


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und Sophie Okuniewska – die erste Kleinrussin, welche den medizinischen Doktorgrad erwarb – wurde sie in die litterarische Bewegung ihrer Nation hinübergezogen. Das Schicksal des Weibes, des zur Hilflosigkeit verurteilten, beschäftigte von je ihr Fühlen und Denken aufs innigste. Das Wort „nur ein Weib“ genügte ihr nicht, und rücksichtslos fordert sie für das Weib volle Freiheit und unverkümmertes Recht auf Leben und Liebe. Dies Verlangen kommt ihr nicht aus sozialpolitischer Weisheit, es lodert mit Naturgewalt aus mitfühlendem, heißem Herzen, und das nicht zum Schaden des poetischen Wertes ihrer Schöpfungen, wenn auch die Klarheit der praktischen Schlüsse darunter leidet. Das giebt den Grundzug der Gedanken und Gefühle, welche in ihren Erzählungen leben, in denen sie uns in psychologisch feiner und scharfer Darstellung Anteil nehmen läßt an den schmerzvollen Kämpfen des entgegen den Vorurteilen und Gesetzen, entgegen der Not des Lebens nach Freiheit ringenden Weibes, das in diesem Kampfe an der eigenen eingeborenen Hilflosigkeit oder an der Übermacht der äußeren Gewalten meist erliegen muß. Nur für die Künstlerin und für das starke Bauernweib, das unkultivierte Kind der Berge, findet sie den Weg zur Freiheit. Bei dem unwandelbaren Triebe zur Freiheit, zum Individualismus, der im innersten Wesen der Dichterin sich gründet, ist es natürlich, daß Nietzsche auf sie einen starken Eindruck machen mußte, und


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Spuren seines Einflusses finden sich nicht selten in ihren Werken. Das Verlangen nach stolzer Freiheit ist es auch, das ihr die Liebe zu der majestätischen Gebirgsnatur der Heimat, in der sie erwachsen ist, tief im Herzen wurzeln läßt. In ihr erhebt sie sich zu reinster, urgewaltiger Poesie. Es sind ihre besten Schöpfungen, in denen sie die Schicksale ihrer Menschen mit dem Leben der Natur innig ineinanderwebt. Und auch ohne Menschen bietet diese ihr dramatischen Stoffes genug, um bewegte, farbenreiche Bilder ans ihr zu gewinnen. Selten ist es einem Dichter gelungen, das geheime Leben des Waldes bis in seine verborgensten Regungen menschlichem Empfinden so nahe zu bringen, wie Olga Kobylanska es gethan, in höchster Vollendung in der Schilderung der Schlacht zwischen den hundertjährigen Riesen der freien, stolzen Berge und dem kleinen, gewinnsüchtigen Menschenvolk, das sich mit ruchloser Hand an der heiligen Größe des Urwaldes vergreift. Wohl öffnet sie ihr Herz auch der Not des Tages und den Leiden der Kleinen, wie sie ein paar treffliche Bildchen aus dem mühseligen Dasein der Banern gezeichnet, doch ist es das Große und Freie in der Menschenseele wie im Leben der Natur, bei dem sie am liebsten verweilt, und die Aristokratin des Gemütes ist ihre Lieblingsheldin. Den Gedanken, welcher für ihr weiteres Schaffen bestimmend geworden ist, spricht sie aus in den Worten: „es scheint mir, daß man besonders im Leben des einfachen Landmannes auch


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anderen Erscheinungen begegnen kann, als Hunger, Not, Stumpfheit und dergl.“ und „daß, wenn man die Augen seiner Seele gut offen hält, man auch an Alltagstagen und im Alltagsleben mehr sehen kann, als man bis nun zu sehen gewohnt war“ – Daß die Dichterin, welche alle Bewegungen der Seele und des Geistes des modernen Menschen im Innersten selbst durchlebt, der nicht nur Liebe und Verständnis für alles Leben um sie gegeben ist, sondern auch das träumerische Sehnen, welches die empfängliche Seele in erdenferne, geheimnisvoll lichte Räume der Phantasie erhebt, ihre Empfindungen und Stimmungen mitunter in symbolistischen Tönen ausströmen läßt, stört nicht die Einheit ihres dichterischen Wesens. In praktischer Thätigkeit an der Spitze der kleinrussischen Franenbewegung in Galizien steht Natalie Kobrynska (geboren 1855), welche zugleich auch auf belletristischem Gebiete zu den besten Kräften der kleinrussischen Litteratur gehört. Scharf und wahrhaftig schildert sie in ihren Erzählungen das Wesen und das Schicksal des Weibes, mit Vorliebe in den ruthenischen Priesterfamilien – ihr Vater wie ihr Mann waren unierte Geistliche – das hilflose Unverständnis der Alten gegenüber dem modernen Geiste, das Ringen der Stärkeren unter den Jungen nach den Gütern und Idealen dieses Geistes der Zeit. Und nicht nur für die wirtschaftliche und individuelle Selbständigkeit der Fran tritt sie ein mit aller Energie, auch die der


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ökonomisch und politisch unfreien Bauern verficht sie in trener Darstellung der gegenwärtigen Zustände. In letzter Zeit hat sich Natalie Kobrynska der psychologischen Erforschung der rätselhaften, geheimnisvoll an der Schwelle des Bewußtseins stehenden Regungen der Menschenseele zugewandt, die sie, verwoben mit phantastischen Volksmärchen, in poesievoller Harmonie zu spiegeln sucht. Auch sie ergeht sich neuerdings zuweilen in dekadent=symbolistischen Nebelwelten. Noch eine ganze Reihe beachtenswerter Talente

stellt, die kleinrussische Franenwelt der Litteratur: den Genannten, Hanna Barwinok, Olga Kobylanska, Natalie Kobrynska, schließen sich an: Olena. Ptschilka, die Schwester Dragomanows, und ihre Tochter Lesja Ukrajinka (Larissa Kossatschiwna, geboren 1872), welche neben eigener zarter Lyrik auch vorzügliche Übertragungen Heinescher Gedichte geliefert hat, Dnjiprowa Tschajka (Wasyliewska), Ludmilla Starytzka, Inlie Schneider. Unter der beträchtlichen Schar der jüngeren Mitstreiter und Nacheiferer Frankos, welche ihren Sammelpunkt in der oben genannten Zeitschrift „Literaturnonaukowyj Wistnyk“ finden, haben sich geachtete Namen erworben: Boris Hrintschenko, W. Samijlenko, M. Kocjubynski, Ossip Makowej, Andrij Tschajkowski, Timotej Bordulak, Bohdan Lepkyj, W. Schtschurat, n. v. a. Zu weitester Anerkennung hat sich unter ihnen neuerdings binnen kurzer Frist der junge Galizier


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Wasyl Stefanyk emporgeschwungen. Auch sein Held ist der Baner, den er uns in jeder Lage seines eintönigen und doch an Mühsalen so reichen Daseins in meist düsteren Szenen greifbar vor Augen stellt. In unübertrefflicher Schärfe, gedrungener Kraft wirft er seine Skizzen hin, gleichsam blitzartig den Vorgang, den er uns zeigen will, erhellend. Wir haben jetzt ein Jahrhundert litterarischer Arbeit in flüchtigen Bildern an uns vorüberziehen lassen, einer Arbeit, welche in ununterbrochenem Kampfe gegen widrige äußere Verhältnisse von einem Volke geleistet wurde, das sich erst von neuem zu eigenem Leben emporringen mußte. Und nicht nur durch rohe Gewaltmaßregeln drohte der kleinrussischen Litteratur Gefahr, auch der machtvoll sich ausbreitenden russischen Litteratur gegenüber mußte sie mit aller Kraft ihre Stellung wahren; war es doch von Alters her keine so seltene Erscheinung, daß geborene Ukrainer ihr Talent ganz in den Dienst der russischen Litteratur stellten. Wir haben gesehen, daß die Entwickelung aus bescheidenen Anfängen vorwärts gegangen ist, die in jenen enthaltenen Keime zu Blüten entfaltend, welche ihre Lebenssäfte aus dem ewigfrischen Boden des Volksgeistes ziehen. Und das ist die Eigenart der kleinrussischen Litteratur: sie ist vielleicht diejenige, welche am wenigsten sich von dem Ideenkreise der großen Masse des einfachen Volkes eutfernt hat, welche am urwüchsigsten die Gedanken und Gefühle, welche dieses Volk von Bauern bewegen,


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zum Ausdruck bringt, doch nicht etwa im kindlichen Stammeln des Naturmenschen, sondern in künstlerisch vollwertigen Werken. Kwitka, Schewtschenko, Wowtschok, Fedkowitsch und eine ganze Reihe anderer bis in den Kreis der Jüngsten hinein, vor allem Franko, Kobylanska und Stefanyk, das sind Dichtergestalten, welche einer jeden Litteratur Ehre machen würden, und welche der kleinrussischen durch ihre eigenartigen, selbstsicheren Schöpfungen das volle Recht einer litterarischen Nation erworben haben, das Recht, als selbständiges Glied in der großen Gemeinde der Weltlitteratur geachtet zu werden. Schwerin i. M., 4. September 1901. Georg Adam.


Kobylanska, Erzählungen





Die war über die Zwanzig und groß. „Kleinrussisch“ vom Scheitel bis zur Sohle, hatte sie nur rötliches Haar, welches bei den Kleinrussen zur Seltenheit gehört, aber die Züge hatten Rasse, und die fast melancholische Trauer, die sich auf allem ausprägt, was an diese unglückliche Nation gemahnt, war auch bei ihr ein Grundzug des Charakters. Ihre Augen, groß, etwas unbeweglich und von feuchtem, schimmerndem Glanze, blieben auch dann tranrig, wenn der Mund lächelte. Um dieser ihrer Augen willen nannte man sie „die russische Madonna“. In Einsamkeit und in einem fast üppigen Glanze aufgewachsen, kannte sie weder das Leben, noch wußte sie etwas von seinen düsteren Seiten. Sie kannte es bloß aus Büchern, aus welchen sie sich bis zum Überdruß voll las.


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Tolstoj war ihr Gott, und Schewtschenko[1] kannte sie fast auswendig. Träge wie ihr Volk, empfand sie nicht viel Bedürfnis nach Arbeit, und in ihrer Lebensweise glich sie jenen exotischen Pflanzen in den Treibhäusern, die von den Stürmen außer ihrer Umgebung nur träumen. Und sie hatte viel zusammengeträumt. Ihre Phantasie entfaltete sich zu einer Blüte, auf deren Kosten alle anderen Triebe erstickten und nie an das Sonnenlicht gelangten. Obwohl gefühlvoll bis zur Krankhaftigkeit, verspottete sie ein bloßes „Züchten von Gefühlen und Gedanken“ Über alles liebte sie die Natur. Sie streifte im Gebirge umher, ohne Begleitung oder Waffe, wie ein Mann. Die ganze gebirgige Umgegend der kleinen Stadt, in der sie lebte, war ihr bekannt wie ihr Gemach, und eine der schönsten und wildesten Partien bildete den ganzen Sommer hindurch das Ziel ihrer Spaziergänge. Ihr von Natur aus kraftvoll angelegtes Wesen verlangte mehr als „Zimmerschönheit“ und ein ruhiges, verweichlichtes Leben. Instinktiv fühlte sie das Dasein der Stürme, und es gab Momente, in denen sich


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ihre Seele voll leidenschaftlichen Ansturmes darnach sehnte. Sie liebte den Kampf, wie man prächtige, farbenreiche Gemälde und eine berauschende Musik liebt, und ebenso hatte sie ihn in ihrer Vorstellung. Eine undentliche Begier nach dem Gefühle von Sieg machte sich zeitweise bei ihr geltend; allein im Nichtsthun aufgewachsen, nie angespornt und gekräftigt, sondern verzärtelt, verfeinert, schlief ihre Kraft und verkümmerte und ging über in eine krankhafte, unmotivierte Sehnsucht. So war sie. Sie träumte von einem Glücke, dessen bunte Fülle ersticken müßte. Sie erwartete es täglich, lebte beständig in Erwartung von etwas Neuem, Fernem. Gleich einer Sonnenblume stand ihr Gemüt einem unbekannten Etwas offen. Im Walde lag sie im Moose langgestreckt und suchte zwischen den Wipfeln der Tannen den Himmel. Das war schön. Mitunter verfolgte sie den Flug des Adlers oder einen Weih, wie der seine stillen Kreise zog und gleich einem schwarzen Punkte in den Lüften hing.


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Gierig verschlang sie die Laute des Wassers und bildete sie um zum Lachen. Klang vielleicht nicht das Fallen eines Baches über Fels und Stein wie halblautes Lachen? Wenn man sich hineinhörte . Ein andermal vertiefte sie sich ganz in das Rauschen des Waldes, und das Antlitz verhüllt, bildete sie sich ein, sie läge am Meeresstrande. So müßten die Meereswellen rauschen, so wie der Fichtenwald, genan so … nur vielleicht etwas lanter. Es war ihr Lieblingswunsch, aufs Meer hinauszukommen, es einmal bei Sturm zu sehen oder bei Sonnenaufgang oder bei Mondlicht. Das mußte eine andere Art Schönheit sein, als das Gebirge; unruhig und voller Abwechslung, verlockend und prächtig. Das Gebirge in seiner stoischen, düsteren Ruhe stimmte schwermütig und weckte immer mehr ein Schönheitsverlangen, als daß es ein solches zu stillen vermochte. So träumte sie auch von den Fjorden da oben im Nordland … Hie und da klang durch den Wald die trauervolle Dumka[2]

eines einsam reitenden


Huzulen[3] , und das bereitete ihr stets einen Hochgenuß. In den Schluchten zwischen steilen Felswänden erklang das Echo. Und sie stellte es sich vor als einen großen Vogel, der im unachtsamen Fluge an harte Felswände schlüge und endlich ermattet zu Boden niedersänke. – Darauf folgte dann die Stille. Manchmal weinte sie vor Trauer. Über die Tannen raste der Sturm und schüttelte und bog sie und machte sie um so kräftiger. Um so stolzer hoben sie ihre Wipfel am nächsten Morgen und ließen sie vom Sonnenlicht vergolden. Das alles gab ein Recht, sich bis in die Wolken zu erheben und stolz zu sein. – Auch sie liebte die Kraft, und doch! – Einmal brachte man ihrem Vater ein Gebirgspferd zum Ansehen. Es war ein prachtvoller, langgestreckter Hengst, schwarz wie eine Kohle, mit einem Halse wie ein Bogen, großen Nüstern und hervorstehenden, funkelnden Augen; der reiche Schweif fegte fast den Boden.


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Sie stand beim Fenster und sah zu, wie es in seiner Wildheit sich bäumte und unbändig schien. Ein junger und schöner Huzule, den sie schon öfters in ihres Vaters Kanzlei gehen sah, hielt das Tier und gab sich alle Mühe, es zum Stillstehen zu zwingen, um auf Wunsch seine Hufe auch von unten betrachten zu lassen. Es schien ihm das nicht zu gelingen. Eine plötzliche, unwiderstehliche Lust überkam sie, das Tier zu bändigen. Ihre Blicke glommen auf, und die feinen Nasenflügel erzitterten. Es regte sich etwas in ihr, was an Thatenlust gemahnte, und trieb sie hinaus. Sie lief so, wie sie im Zimmer stand, mit bloßem Kopfe, auf den Hof. Als sie jedoch fünf Schritte vor dem Tiere stand und es sich just in diesem Momente bäumte, erschrak sie derart, daß die Kniee unter ihr erzitterten und sie erblaßte. Einige Minnten später lag sie ermattet im Lehnstuhl, und ihre schönen, blassen, beringten Hände lagen müde im Schoße und hoben sich vornehm und unbeweglich von dem schwarzen Spitzenkleide ab … Bah! – was war ihr?


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Das war ein lächerliches Anflodern, eine unzeitgemäße Regung plebejischer Instinkte, die aber dank ihrer feinen Lebensweise keine Zukunft hatten. Sie hatte sich vor der Dienerschaft blamiert. Ihre Lippen krümmten sich in Selbstironie. Sollte die Natur thatsächlich ununterdrückbar sein? Ihre Großmutter väterlicherseits war nämlich eine Huzulin. Schön, aber dennoch Bänerin! Da pflegt es immer unbewachte Angenblicke zu geben, in denen die Instinkte emporschwellen und keinen Damm kennen. Aber ihre Mutter war eine vornehme Dame von gewählten Formen und strengen Sitten, und die Schönheit war bei ihr kein bloßer Zufall. Sie war erarbeitet und „das Schlußergebnis einer Arbeit von Geschlechtern“ – Sie hatte entschieden die Natur ihrer Mutter; sollten aber bei ihr Nachklänge großmütterlicher Regungen vorhanden sein, dann konnten es nur Dissonanzen sein. Es war ihr übrigens nicht so sehr um das Pferd zu thun. Sie wollte auch einen Blick auf den Menschen werfen, der daneben stand. Einmal kam ihr der Gedanke in den Sinn, ihn zu malen. Er


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hatte rein slavische Züge; überhaupt – er hatte etwas Eigenes an sich. Etwas Anziehendes, Zwingendes, etwas, das ihre Aufmerksamkeit erweckt hatte. Gewöhnlich sah sie ihn nur an ihrem Fenster vorbeigehen – d. h. zu ihrem Vater. gehen. Aber sie hätte einmal seine Augen und seinen Mund aus der Nähe sehen mögen … . Nur einmal – dann hätte sie weiter aus dem Gedächtnisse gemalt. Ja, es gab Augenblicke, in denen sie fähig war, Großes zu leisten, gespannt war wie ein Bogen, der Pfeile absenden soll in weite Ferne. Aber das danerte nie lange. Sie schrumpfte in sich zusammen und ward träge. Das Warten machte sie matt und verstimmte sie. In solchen Momenten suchte sie die Natur auf. Dort holte sie sich Kraft und Ausdaner. Dort feierte sie ihre goldenen Stunden des Sieges – z. B. wenn sie eine hohe, gefährliche Spitze erklommen, einen steilen Fels, wenn sie einen Adler aus der Nähe betrachtete, seine schwarzen, funkelnden, feindseligen Angen, seine lauernde, vornüber gebengte Haltung. Ganz besonders liebte sie den Herbst. Aber nicht jenen, der nur feuchte, dämmerige


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Tage, gelbes Laub und kalte Stürme bringt, sondern jenen, der an Schönheit dem Frühling gleichzustellen ist. Der helle, warme Tage aufweist und einen klaren, blauen Himmel. Im Gebirge ist der Herbst stets wunderbar. Die wilden Karpathen! – sie kannte ihre stolze, verschlossene Schönheit, und auch ihre eigenartigen Bewohner, die Huzulen. Kannte alle Geheimnisse des Waldes. Im September ziehen sich von Baum zu Baum Spinnengewebe fast endlos, und leuchten in der Sonne; und im Walde ist es still – still … Die Bäche rieseln ernst und eilig zu Thal, und ihr Wasser ist kühl, und an ihren Ufern blühen keine Blumen mehr. Im Thale ist es etwas anders. Dort scheint die Luft voll von Asterngeruch, und auf allem liegt leichte Schwermut. Das ist die Melancholie alles Fertigen, die allem ihr Gepräge aufdrückt. Dies ist die Schönheit, in der sie schwelgt, in der sie ihre Seele badet, und die sich in ihren großen, erwartungsvollen Angen spiegelt.

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Es war nach einem Gewitter. Die Sonne war im Untergehen und der Himmel wolkig und nur im Westen hell gerötet. Die Berge, von Nebelmassen phantastisch umzogen, stachen scharf und blandunkel vom Himmel ab. Auf einem dieser bewaldeten Berge stand eine neue Huzulenhütte. Stämmige Fichten breiteten ihre Arme über ihr aus; sie schüttelten unmutig die stolzen Wipfel, und einzelne, große Regentropfen fielen lautlos ins Moos. Ringsum Stille; nur wie gedämpftes Meeresrauschen scholl es durch die unabsehbaren Wälder. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne drangen hie und da in das Dickicht des Waldes und spielten für kurze Augenblicke als goldig zitternde Schatten auf den Zweigen; und dann ward es im Walde völlig dunkel. Die Thüre der Hütte öffnete sich, und heraus trat, etwas gebeugt, ein junger Huzule, eine Axt nachlässig über der Schulter haltend, und sah sinnend in die Ferne. Er war schlank, elastisch und überaus kraftvoll


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gebaut, wie alle seine Stammesgenossen, und sein Autlitz von eigenartiger Schönheit. Düster sinnend, um den Mund fein und in der oberen Partie slavisch, d. h. etwas breit, ohne der Schönheit Abbruch zu thun. Sein schwarzes Haar war der Sitte gemäß bis zu den Brauen geschnitten und verdeckte die Stirn. Seine Tracht hob die Schönheit seines Körpers: Blutrote Beinkleider und ein schneeweißes, um Hals und Armel gesticktes Hemd, dessen weite Armel die Kraft der sehnigen Arme unverhohlen zeigten. Brust, Hals und Handgelenke waren mit Silber= und Messingketten und Krenzen geschmückt, und am breiten, buntfarbigen Ledergürtel hingen kleine Fingerhüte und Münzen, staken eine Pfeife und einige Waffen. Forschend blickte er in die vor ihm liegende Schlucht, aus der weißliche Nebelmassen empordampften, die wie zerrissene Schleier die Baumwipfel umhüllten. Er mochte immerhin blicken und forschen: das, woran er dachte, tauchte aus jener grünen Tiefe nicht auf. Schleier um Schleier zog langsam über die Schlucht, und dann versanken auch die letzten Sonnenstrahlen hinter den Bergen. Unmutig spuckte er


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durch die Zähne, schritt zu einer neben der Hütte gestürzten großen Tanne und schlug, weit und kräftig ausholend, die Axt in sie ein. Dann setzte er sich auf diese die Arme auf die Kniee stützend und vergrub das Gesicht in die Hände. Etwas Böses hatte sich seiner bemächtigt. Und dieses Böse, das war sie, die wunderschöne rothaarige Hexe, der er im Walde begegnet. Hexe? Er hatte ihr ja gesagt, daß sie dem Bilde der Mutter Gottes, welches in der Dorfkirche hänge, gleiche; und doch! … und doch war sie keine Mutter Gottes. Die Mutter Gottes hat kein rotes Haar, die Mutter Gottes hält niemanden zum Narren, nachdem sie einen so sehr gefesselt wie sie ihn, die Mutter ist heilig, während sie … ach!! – Vor drei Tagen war das alles vorgefallen, und seit der Zeit ist er wie wahnsinnig. Sogar im Traume sieht er sie. Sein Blut kreist ihm wie toll durch die Adern, in den Schläfen hämmert es, und vor den Augen hat er Funken.

Sie ist keine Mutter Gottes, diese Hexe! Diese wunderschöne, berückende rothaarige Hexe!


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Wie er sie liebt, wie er sich nach ihr sehnt! Er ist vor Sehnsucht krank, er möchte weinen wie ein Knabe und möchte sie totschlagen vor Zorn, weil er sie nicht hat! Warum begegnete er ihr nirgends? Warum? – Es hatte so traurig begonnen und so herrlich geendet. Es war so. Zuerst hatte ihn der Aufseher „wegen Übertretung des Forstgesetzes“ unten in der Stadt bei den Herren angeklagt, und zwar, weil er eine Tanne (dieses beinahe morsche Zeug da, auf dem er saß) eigenmächtig umgehackt hatte. Die hatten ihn dafür Strafe zahlen lassen und, wie sie sagten, wegen ungebührlichen Betragens vor Gericht achtundvierzig Stunden lang festgehalten. Lebhaft stand alles vor seiner Seele. Es hatte nichts geholfen, als er ihnen auch den Beweggrund jener Handlung vorhielt. Er brauchte einfach Holz für seine Koliba[4], in der er mit seiner Mutter den Sommer über wohnte und Aufsicht hielt über seine Schaf= und Pferdeherden. Da ihm das


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„Klafterholz“ ausgegangen war, und er unumgänglich nötig welches brauchte, hatte er die Axt an jenen Baum gelegt … an einen einzigen Baum in jenem Urwalde. Natürlich war er aufgebranst, als die Herren seine Entschuldigung ruhig und teilnahmslos verwarfen und nur auf das zu antworten erlaubten, was man ihn frage. Dann wollte er die doppelte Strafe zahlen, auf daß sie ihn nur nicht anfhalten sollten. – Die Mutter wäre daheim am Waldberge mit den Hunderten von Schafen und den zahllosen Pferden allein und könne sich auch nicht in Stücke reißen und noch weniger das alles zum Flusse jagen und tränken. Sie könne auch nicht mehr reiten wie in jungen Tagen, und am allerwenigsten seinen Hengst, dem allein alle übrigen Pferde folgten. Sie sei schon eine alte Fran und koche ihm nur Essen und spinne. Das sollten sie verstehen! Die Herren hatten einander nur angelächelt. Als er seine Bitte wiederholte, und zwar heftig, und, sie trotzig und herausfordernd ansehend, mit dem Fuße stampfte, da ging der Teufel los. Sie nannten ihn einen übermütigen Vogel, der


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den Käfig brauche … einen, der das, was der Kaiser gebot, mit Füßen trat … und der bald auch an Gott nicht glauben werde … weil er Hunderte von Schafen und Pferden besitze … Er knirschte mit den Zähnen vor Zorn. Sogar den Kaiser haben sie hineingemengt! und den Herrgott! – Wer ritt jeden Sonntag in die Kirche, wenn nicht er? – Und was den Kaiser anbelangt, so war der ja weit und sah nicht, was hier um eines einzigen Baumes willen geschah … Bettelvolk! … alle diese Herren … Knechte, die dienten … sie wollten ihn … den einzigen Sohn des reichsten Huzulen … besudeln … Das hatte er ihnen alles gesagt und dann seine achtundvierzig Stunden abgesessen … Ihre ihm vorgelegte Kost wollte er nicht anrühren … die könnten sie sich selber behalten, meinte er; von der seien sie auch so spindeldürr und blaß und häßlich. Aber dann wurde er freigelassen … Herrgott! … Aber das war nicht die Hauptsache, und an das wollte er ja auch gar nicht denken. Er hatte nach alledem die Stadt, in der es heiß Kobylanska, Erzähkungen. 2


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und staubig war und die voller Menschen wimmelte, im Sturmschritt durcheilt, und als er den ersten Weg betrat, der ihn zu seinem Heim führte, und die gewohnte Waldkühle seine Glieder umfloß, war all sein Groll gegen die „unten“ verschwunden. Er brauchte nicht mehr zu eilen; es schritt niemand hinter ihm, der ihn zur Umkehr zwingen konnte! … Links von dem Bergwege, den er ging, gähnte eine bewaldete Schlucht, rechts zog sich ein felsiger Waldberg, einer Wand gleich, steil hoch. Einige hundert Schritte vor ihm lag dicht am Schluchtrande ein Felsblock, der sich von dem felsigen Waldberge in einer wilden Frühjahrsnacht abgelöst hatte und nun dalag – gleichsam ein Ruheplatz für Wanderer. Dort wollte er sich einen Augenblick niedersetzen und seine Pfeife anzünden. Er saß nicht lange. Aus der Schlucht, und just in der Nähe des Felsblockes, stieg ein Mädchen herauf. Es erfaßte mit kräftiger Hand die bei dem Steine wachsenden Farne, schwang sich herauf und blieb dann stehen. Es war nicht vom Bauernstande, das hatte er auf den ersten Blick erkannt. Sein Kopf war in ein


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rotes Seidentuch gehüllt, dessen Enden von rückwärts zusammengebunden waren und Gesicht und Hals freiließen. Das Gesicht war perlmutterweiß … und schön … und die Augen groß und glänzend und unendlich traurig. Schweigend starrten sie sich einen Moment an … „Wünsch’ gute Gesundheit, Frau!“ grüßte er endlich zaghaft und erhob sich. „Gott grüße dich!“ hatte sie in etwas ermüdetem Tone geantwortet und ihm zugenickt wie eine Bekannte … Dann zog sie das Seidentuch vom Kopfe, wischte sich damit die leichtverschwitzte Stirn, umging ihn langsam und schritt weiter auf dem steilen Bergweg. Er folgte ihr. Sie war von hohem, geschmeidigem Wuchs und wiegte sich im Gehen leicht in den Hüften. Rotblonde, dicke Flechten, gegen das Ende zu aufgelöst, hingen ihr über den Rücken. „Mein Gott, rotes Haar,“ dachte er sich. „Wie eine Hexe – ein solches hat kein einziges Mädchen bei uns im Dorfe – alle sind schwarz. Was sie sich nur nach mir sehnen werden … bin ja schon 2*


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einen ganzen Monat vom Dorfe fort, und hier herauf kommt keine!“ Er lachte mutwillig auf. Die vor ihm Schreitende sah sich erschrocken um. „Wohin gehst du?“ fragte er und trat an ihre Seite. „Hinein in den Wald.“ Ihr Blick streifte ihn von der Seite; sie öffnete die Lippen, um noch etwas zu sagen, schwieg aber, während ein kaum merkliches Lächeln ihr melancholisches Gesicht erhellte. Er musterte sie eine Weile scheu, dann sah er wieder in einer ihm eigenen Weise, halb düster, halb sinnend, vor sich hin und fragte: „Du bist von unten aus der Stadt?“ „Ja.“ „Dort giebt es eine Menge schöner Häuser, aber auch viel Menschen. Die Stadt ist groß. Bei uns im Dorfe wohnt nur der Herr Pfarrer in einem großen Hause; wir brauchen sie nicht.“ „Warnm solltet ihr nicht auch größere Wohnungen brauchen?“ fragte sie. „Wozu? Sind wir denn Herren? Die unten sind Herren!“


„Die Stadt da unten ist sehr klein,“ meinte sie belehrend, „es giebt hundert= und abermals hundertmal größere Städte!“ Er pfiff vor Erstaunen auf und schüttelte bedächtig mit dem Kopfe. „Fran!“ „Sage zu mir nicht Frau; ich bin nicht verheiratet.“

„Du hast keinen Herrn?“ Sie schüttelte mit dem Kopfe, während ihre großen Augen ernst an seinen Lippen hingen. „Kannst ja einen Herrn aus der Stadt nehmen, sind ja ihrer viele wie Drohnen. Nimm einen Herrn vom Amte!“ Sie schüttelte abermals mit dem Haupte, während ein kaum merkliches Lächeln ihre Mundwinkel verzog. „Nicht? Freilich, wenn du ihm nicht folgst oder das sprichst, was er nicht mag, kann er dich auch auf achtundvierzig Stunden einsperren. Das verstehen sie gut, diese – Herren! Ich komme eben von ihnen.“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, erzählte er ihr in empörtem Tone sein Erlebnis. Sie betrachtete ihn die ganze Zeit hindurch aufmerksam. Als er zu erzählen aufgehört und nach


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einer kurzen Pause den „Herren“ unten noch einen Fluch nachmurmelte, lachte sie leise auf. „Warum lachst du? Es ist gar nicht zum Lachen!“ „Man muß die Dinge verstehen, Meusch,“ sprach sie nun ernsthaft. „Bin ich denn auf den Kopf gefallen, oder hab’ ich Giftschwämme gegessen? Doch eher die nnten!“ antwortete er. „Weder die unten, noch Du oben. Du hast sie aber nicht verstanden. Deine Gedanken sind Herz, ihre Gedanken sind Kopf. Sie denken nach Gesetzen und werden dir haarklein beweisen, daß du unrecht gehandelt hast, jene Tanne abzuhacken, trotz des mächtigen Waldes. Bei dir, siehst du, ist es anders. Man muß stets zum Kopfe um Rat gehen.“ Er spuckte weit vor sich durch die Zähne. „Der Teufel mag sie holen! Sie sind alle Verdreher; alle diese hungernden Röcklinge. – Gott hat doch für alle Menschen den Wald erschaffen; das können sie nicht lengnen und werden es mir auch nicht weismachen, und mögen sie hundertmal Herren sein und schreiben und lesen können. Daß mich das Unglück traf, ertappt worden zu sein – na – das


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habe ich nur der unglücklichen Stunde zu verdanken, in der ich die Tanne abhackte!“ Es giebt keine glücklichen oder unglücklichen Stunden,“ meinte sie. „Oho!“ protestierte er. „Glaube mir. Wenn dn studiert hättest, würdest du derlei Unsinn nicht reden!“ Seine Augen funkelten auf. „Du glaubst, wenn man lesen und schreiben kann, hat man schon den Herrgott beim Fuße erwischt? Auch die Heiligen sind noch da. Ich sage ja nicht gescheidt sind ja die Leute, die lernen; aber sie sind auch schlecht!“ „Mitunter ja; aber glaube nicht, daß Unwissenheit besser macht.“ „Was weiß ich?“ sprach er. „Wie Gott einen erschafft, so ist man; wie einem das Schicksal beschieden wird, so lebt man; wenn einem die Zeit ausgeht, so stirbt man. Ich kann gescheidt sein, wie ich will: wenn Gott es will, so kann ich doch sterben!“ „Gewiß – dagegen läßt sich nichts thun.“ „Siehst du? – Und wenn sie, die Gescheidten, so gut sind, weshalb nimmst du nicht einen zum Herrn?“


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Er sah sie schadenfroh an. „Das ist etwas anderes. Das ist etwas, was ich wollen oder nicht wollen kann. Es gefällt mir keiner sehr gut. Ich bin sehr reich; ich hab’ sie alle in der Hand.“ „Gerade wie ich die Mädchen im Dorfe,“ sprach er flüchtig stolz und mehr wie zu sich selber. „Ich bin auch reich; unsere Leute sagen „der Reichste“ Die Mädchen sterben alle nach mir.“ Sie lachte. Er faltete verletzt die Stirn. 1094 „Was lachst du immer„Ich lache nicht über dich.“ Er beruhigte sich. „Es ist wahr,“ sprach er dann, „wenn man reich ist, kann man schon über alle lachen. Ich lache ja auch über alle. Ich kümmere mich um niemanden. „Über mich möchtest du auch lachen?“ fragte sie übermütig und wie infolge innerer Eingebung und sah ihm voll ins Gesicht. „Über dich?“ Er blickte sie beinahe erschrocken an; dann lächelte er leicht errötend. „Eh – das geht nicht so,“ meinte er.


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„Weshalb nicht?“ „Ich weiß nicht – aber du bist so – so –“ „Wie bin ich?“ fragte sie ernst. „So – ich weiß nicht – so wie das Bild der Mutter Gottes in unserer Kirche … Sie lachte wieder; nicht sehr herzlich, aber doch; dann verstummten beide. Schweigend schritten sie eine Zeit lang weiter. Er war schön und kräftig gebaut, und sie bewunderte ihn heute wie schon früher. Einmal kam ihr der Gedanke in den Sinn, wie er wohl wäre, wenn er ein Mädchen liebte, und weiterhin fiel ihr, sie wußte selber nicht weshalb, der Satz ein: „Von starkem Arme geborgen zu sein … Sie hielt viel auf physische Kraft und körperliche Schönheit, und wenngleich sie selten „liebte“ so empfand sie immer Wohlgefallen an schönen, kräftigen Menschen. Wenn sie sich müde fühlte, so empfand sie oft eine wehmütige Sehnsucht, ein Bedürfnis, sich an der Brust irgend jemandes auszuruhen. Dieser jemand hätte aber kräftig und kühn sein müssen. Vor allem – kühn. Sie mäßigte ihre Schritte.


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Sie waren lange und schnell gegangen. Nach den tiefen Atemzügen und der Röte, die sich auf ihre Wangen legte, schloß er, daß sie müde war. „Du bist müde geworden,“ sprach er, „kannst nicht mit mir Schritt halten. Ich bin zu schnell gegangen.“ „Ja,“ klang es ermüdet zurück. Er ging plötzlich langsam. „Du sprichst unsere Sprache so schön,“ fing er dann an. „Ich bin dasselbe, was du bist – auch eine Kleinrussin. Warte ein wenig; ich bin müde. Wenn ich zu angestrengt gehe, schlägt mir das Herz zu stark und vor den Augen flimmern tansend Funken.“ Sie preßte beide Hände an die Schläfen. Er war vor ihr stehen geblieben. Einen Moment lang sahen sie einander an; es war, als züngelten plötzlich Flammen ans beider Augen und vereinigten sich zu einem Fener. Sie senkten die Blicke. – Sie sah sich schen um. War das dieselbe, ihr so wohl bekannte Gegend? Doch. Dieselbe dunkelgrüne Schlucht, derselbe felsige Berg da rechts mit seinen kerzengeraden Tannen, dazwischen hinein zarte Weißbirken … üppige Farne


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wucherten aus dickem Moose, und hier und da schlanke Glockenblumen …. Leise, eintönig rauschte der Wald. Schattige Kühle legte sich um ihre Glieder. Irgend ein Waldvogel hatte in ihrer Nähe aufgekreischt; sie war ängstlich zusammengefahren. „Du fürchtest dich?“ fragte er beklommen. „Nur heute. Sonst niemals.“ „Du bist also täglich hier? Und weshalb fürchtest du dich heute?“ „Ich weiß nicht … ich fühle mich weniger einsam, wenn ich ganz allein im Walde bin. „Wie kommt das?“ „Ich weiß nicht … ich weiß – wirklich

nicht … „Was thust du hier?“ „Nichts. Ich komme nur so hierher. Ja – manchmal male ich die Tannen … gewöhnlich höre ich zu, wie die Bäume ranschen. Sie rauschen wie das Meer, nur um vieles schwächer. Du weißt nicht, wie das Meer rauscht … gehört habe ich es auch nicht, aber ich weiß, wie es ranscht … horch!“ Beide horchten mit angehaltenem Atem. Hörbar schlug jedem einzelnen das Herz.


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Sie sah sich abermals ängstlich um … so wild und einsam schien es ihr noch nie wie heute, das reiche Waldgrün schien sie geradezn zu ersticken. „Fürchte dich nicht … ich bin ja hier im Walde … schan’ nicht hinter dich … es ist nicht gut …“ meinte er in seltsam gepreßtem Tone. Schweigend und geradezu eilig schritten sie den steilen Weg hinauf. Um ihre Lippen lag ein Zug wahnwitziger Entschlossenheit, und die Augenlider waren gesenkt. Ihre langen, dunklen Wimpern stachen von den schneeweißen Wangen seltsam ab. „Bald geht die Sonne hinter die Berge,“ unterbrach er erregt die Stille und strich sich sein Stirnhaar hastig zur Seite. Es wurde ihm heiß. „Als ich fort, das heißt hierher in den Wald ging, schlng es drei. Zusammen gehen wir gute zwei Stunden; in der Stadt kann es fünf sein.“ Bei diesen Worten, die sie fast mit zuckenden Lippen gesprochen, zog sie eine kleine Uhr ans ihrem Seidengürtel, blieb stehen und sah mit großer Aufmerksamkeit auf dieselbe. „Ah! Du hast eine Uhr? Von Gold? Zeige sie mir!“


Schweigend und geradezu eilig schritten sie den steilen Weg hinauf. (S. 28.)


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Er trat dicht an sie heran. Beide sahen mit Spannung auf das kleine, goldene Ding. Das geht, als ob es eine Seele hätte,“ sprach er. „Was für gescheidte Leute es doch auf der Welt giebt, die so etwas machen können … mein Gott, mein Gott! … Du mußt wirklich reich sein, weil du eine solche Uhr hast. Ist dein Vater ein großer Herr? – Wer bist du?“ Sie lächelte wieder. „Dut weißt nicht, wer ich bin?“ „Nein.“ „Aber du hast mich ja doch gesehen … erinnere dich!“ „Ich habe dich niemals gesehen.“ „Erinnere dich!“ „Aber wenn ich es dir sage!“ „Also … als du dein schönes Pferd in den Advokatenhof brachtest … und es zum Stehen zwangst … kam ich heraus … erinnerst du dich?“ Er sann eine Weile nach. „Ich weiß nicht …, sprach er gedehnt und erstaunt, „aber ich habe dich nicht gesehen … es kam jemand heraus … das weiß ich … aber


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es war jemand in schwarzer Kleidung … an dein Gesicht erinnere ich mich nicht.“ Sie blickte von ihm fort und lächelte. „Wenn du nicht weißt, wer ich bin, so thut es auch nicht viel zur Sache. Ich habe dich oft gesehen, oft genug!“ „Du lachst wieder über mich!“ „Nein!“ „Also wer bist du? „Was kümmert das dich? Übrigens“, fügte sie plötzlich mit einem melancholischen Lächeln hinzu, „bin ich eine, die kein Glück hat … weißt du … in manchen Dingen.“ „Reich und kein Glück?“ sagte er ungläubig und lachte auf. „Schau’, vielleicht hat es dir jemand abwendig gemacht, das kommt vor. … Aber du bist jung …, fuhr er fort und trat noch dichter an sie heran, währenddem er, ohne zu wollen, mit seiner Hutkrempe ihr Stirnhaar berührte. Sie sah auf, und in demselben Augenblick ergoß sich eine tiefe Röte über ihr Gesicht. „Ja ich bin jung … und wieviel Jahre zählst du?“


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„Zu Demetrius werde ich sechsundzwanzig. Ich … Plötzlich hielt er inne. Wie Feuerflammen schlug auch ihm eine glühende Röte ins Gesicht, bis in die Stirn hinauf, und mit funkelnden Augen starrten sie einander an. „Du!“ stieß er bebend aus. „Was ist?“ klang es kaum hörbar zurück. Sie hatte die Blicke gesenkt. „Du bist schön,“ sprach er in verändertem, klanglosem Ton. Leichtes Zittern überfiel ihre Gestalt. Sie sah wieder auf. Sein Gesicht ward weiß, als ob der letzte Blutstropfen daraus fortgewichen wäre, und zeigte Spuren tiefster Erregung. Die Augen schienen Funken zu sprühen. Ein erzwungenes Lächeln erschien auf ihren Lippen, dann erstarb es. Sie konnte seinen Blick nicht ertragen. Sie fühlte sich plötzlich von einem ihr bisher völlig fremden Gefühl erfaßt … und Thränen traten ihr in die Augen. Sie schritt weit von ihm bis an den Rand der Schlucht und meinte eilig, ohne sich zu besinnen: „Gehen wir weiter!“ Und weiter schritten sie auch in den Wald, der


immer stiller und stiller ward und in dem sich höchstens Laute eines rieselnden Baches durchbrachen. Rasch glitt sie am Schluchtrande dahin, sich leicht unter den über den Weg hängenden Tannenzweigen neigend, während er erregt fragte: „Es gefällt dir also im Walde?“ „Ja.“ „Warum? Man sieht ja nichts.“ „Eben weil ich nicht sehe, was ich sonst sehe.“ „Nun, so komm’ mit auf meinen Berg; dort wird es dir noch besser gefallen; dort kommt kein Mensch hinauf, nur manchmal an Feiertagen mein Vater. Dort wohne ich mit meiner Mutter seit fast zwei Monaten und es besuchte uns kaum ein Mensch. Willst du?“ „Du bist der einzige bei deinen Eltern?“ fragte sie, ohne auf seine Worte zu achten. „Ja – aber kommst du?“ „Das geht doch nicht!“ „Und warum nicht?“ „Weil es nicht geht.“ „Weil du nicht willst?“ Sie schwieg.


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„Weil du nicht willst? – Du hörst?“ „Ach – was dir einfällt!“ Sie lächelte gezwungen, während ihre Augen vor Aufregung fast unheimlich leuchteten. „Sieh’ doch, wie dicht hier die Bäume wachsen, die Luft wird geradezu feucht; man sieht den Himmel beinah’ gar nicht … o Gott!“ „Du fürchtest dich doch!“ Sie schüttelte das Haupt, die Angen voll seltsamen Glanzes nach ihm gerichtet. Zurück wollte sie noch immer nicht; sie wußte nicht, weshalb. Sie war auch weit davon entfernt, mit ihm bleiben zu wollen … sie fühlte mit einem Male, daß der Wille nie wahrhaft frei ist …. Narr, der sie noch vor zwei Stunden war! „Geh’ nicht so dicht an den Rand – du wirst fallen!“ Sie gab keine Antwort. „Hörst du? Ach! Du fürchtest dich vor mir! Ich thue dir nichts. Deine Uhr brauche ich ja nicht. Komm doch näher an mich; meine Brustkette da mit den Krenzen ist mehr wert, als deine Uhr. Komm, ich schenke sie dir! … und mehr noch könnte ich Kobylanska, Erzählungen. 3


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dir schenken … auch meinen schwarzen Hengst mit

dem geschnitzten Sattel … Komm nur: Es war, als hörte sie ihn nicht. Eilig, mit geröteten Wangen und fieberhaft glänzenden Augen, schritt sie mühsam empor. Immer dichter und dunkler wurde der Wald, immer wilder. Der Weg, steiler und schmäler, führte bis zu einer Wiese. Bis dorthin wollte sie noch. Bis dorthin, auf jeden Fall, um jeden Preis, und erst dann zurück. Atemlos – schien es – in höchster Spannung schritt er wortlos neben ihr. Nun standen sie oben. Ihren Blicken bot sich eine wunderbare Aussicht. Gewaltige bewaldete Berggipfel, blan=dunkle Schluchten, Urwälder, grasreiche Wiesen, alles gleichsam in Bläue gehüllt. – Und das alles lag nicht in der Ferne; nein, in nächster Nähe türmte sich Berg an Berg, getrennt nur durch Tiefen; darüber ein reiner, wunderbar reiner blauer Himmel. Alles das von überwältigender Schönheit … All dieser farbenprächtige Raum, dieses überreiche, intensive, fast dunkelblane Grün. Ringsum stille Einsamkeit und Rauschen der Wälder.


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Ein weithin reichendes, eintöniges Rauschen. – – Einen Moment lang stand sie überwältigt von dieser üppigen Schönheit; sie schien seine Nähe vergessen zu haben. Er saß neben ihr auf dem Boden. Er schien die Schönheit der Umgebung gar nicht zu bemerken oder zu fühlen; er sah nur sie. Sie stand so hoch und geschmeidig da und war so wunderbar schön! Ihr prachtvoller Körper schien’ ihm im Sonnenglanz durch die leichte, lichte Kleidung entgegenzuschimmern. Er sah genan alle seine Formen und Umrisse, fühlte sie so, wie man die Nähe einer starkduftenden, betäubenden Pflanze fühlt. – Das Blut kreiste ihm wie toll durch die Adern. Plötzlich wandte sie den Kopf um und richtete ihre schimmernden, weitgeöffneten Augen nach ihm. Was verhielt er sich so still? „Es ist so schön hier,“ meinte sie und sah sich halb verlegen, halb ängstlich um. „Ja, aber setz dich!“ „Ach nein, ich muß schon fort.“


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„Fort? Weswegen?“ Er sprach das wie ohne Bewußtsein. „Ja!“ „Wozu?“ „Ich muß doch. “ „Setz dich ein wenig!“ „Ich will nicht!“ „Warum nicht?“ „Weil “ „Aber setz dich!“ Das klang wie befehlend. Eine Art Übermut, die das Gefühl der Furcht gar nicht kennen will, regte sich in ihr, und sie lächelte und flüsterte: „Wenn ich es aber nicht will?“ Ein eisig kalter Ernst legte sich auf seine Züge. Er hob sich auf ein Knie, legte beide Arme um ihre schlanke Gestalt und zog sie an sich. „Du bist so schön … so schön!“ sprach er in erstickenden Tönen. Bei seiner Berührung ward ihr, als ob ein unerklärliches Etwas wie ein elektrischer Strom von ihm


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auf sie überginge und tansend Flammen nach ihr züngelten. Aber sie wollte sich wehren. 2/ „Was fällt dir ein? Was willst du? „Nichts.“ „Dann lasse mich.“ „Du bist so schön, so schön!“ Eine wilde Aufregung bemächtigte sich ihrer. In tiefen Zügen hob sich ihre Brust, und das Herz schien seine Hülle sprengen zu wollen. Sie fühlte, wie etwas ihre Widerstandskraft unterwühlte, wenn er sie an sich zog. „Mensch, lasse mich!“ Einen kurzen Moment rang sie mit ihm, stumm und fast antomatenhaft. Seine Augen glühten, und er war leichenblaß. Er ließ sie nicht los. „Wenn ich dich aber bitte … siehst du … bitte …“ murmelte er immer von neuem. „Du bist so schön … so schön … Ihr schwindelte, und sie vermochte nicht mehr zu reden. Knieend hing er sich um ihre Hüften, und seine Arme umklammerten sie geradezu eisern. Das Antlitz barg er mit leidenschaftlicher Geberde in die Falten


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ihres Rockes, und langsam, aber kräftig zog er sie herab. Sie verlor all ihren Willen. Ein Lächeln, flüchtig, unbestimmt, überflog ihr Gesicht, das schneeweiß sich tief und tiefer neigte, und, der Gewalt einer unbekannten Macht unterliegend, glitt sie langsam, gleich einer gebrochenen Palme, und fast ohne Besinnung zu Boden. Blendend und wie siegestrunken flammte die Sonne im Westen in überreicher Goldfülle auf, und das zartlichte Gewölke verwandelte sich in glühende Röte rings um sie. So war also das Ganze! – Und jetzt sitzt er da wie vergiftet, wie zum Hohne und Gelächter, und muß sich zu Tode nach ihr sehnen! Er, der Reichste, der Schönste, er, nach dem im Dorfe alle Mädchen sterben – er sehnt sich vergeblich! Das ist ihm nie passiert. Er knirscht mit den Zähnen und schlägt mit der Faust auf den Stamm. Wie schön, wie wunderbar schön ist sie! Während des kurzen Schlafes vorhin hat er von ihr getränmt. An alles weiß er sich nicht genau zu


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erinnern, nur an das, daß sie sich dicht an ihn geschmiegt hat und es ihm bei ihrer Berührung in den Gliedern wie eine Sonne aufgestrahlt hat. Dabei hat sie so leise aufgelacht wie damals, als er ihr gesagt, daß nach ihm alle Mädchen „sterben“. Auch hat sie ihn aufgefordert, mit ihr auf eine Höhe zu steigen, wo es einem schon schwindelt. „Du mußt mich suchen,“ hatte sie ihm auch unter anderem gesagt, und diese Worte hatte er sich ganz genan gemerkt; sogar den Tonfall ihrer Stimme. Heute Morgen hatte er sich auf seinen wilden Hengst gesetzt und war wie toll den Weg geritten, den er mit ihr zurückgelegt. Vielleicht saß sie dort irgendwo und malte die Tannen und hörte zu, wie der Wald rauscht? Aber er hatte sie nicht gefunden. Einmal schien es ihm, als ob etwas Menschenähnliches durch den Wald ginge, und er horchte mit angehaltenem Atem nach allen Seiten, stand regunglos wie ein Tiger auf der Lauer … aber es war ein Hirsch, und das Pferd wäre ihm fast vor Schreck in den Abgrund gesprungen …. Das hatte er von jenem Ritt.


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Damals war alles so schön, so wie eine Sonne, wenn sie am höchsten steht. Er will, daß es wieder so schön wird. Er liebt sie ja … ja, jetzt ist die Reihe an ihn gekommen, zu sterben! Er lacht, während sein Herz voller Zornesthränen ist. Damals ging sie mit Blicken fort, als sei die Welt für sie mit einem Male anders geworden, als sei sie ein anderer Mensch geworden. – Sie war schneeweiß, und ihre großen, traurigen Augen glänzten so seltsam … Herr Gott! „Liebst du mich?“ hatte er sie gefragt. Sie antwortete nicht gleich, sagte aber nach kurzem Besinnen mit einem matten Lächeln: „Nein. „O, du liebst mich!“

„Vielleicht!“ „Warum vielleicht?“ „Weil … weil das etwas anderes ist.“ Foppte sie ihn, daß sie nicht mehr erschien? Würde sie thatsächlich niemals mehr kommen? Das war unmöglich. Die Mädchen im Dorfe kamen unzählige Male, wenn sie einen liebten, zum Beispiel ihn! Voller


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stolzer Ungeduld schüttelte er den prächtigen Kopf, und ein gedämpfter Wutschrei entrang sich seinen Lippen. – Ja, er war wild. Er fühlte, wie seine Seele gleichsam zertragen war und nicht mehr ineinander paßte. Kaum, daß er sich um seine Pferde kümmerte und sie zum Tränken jagte. Was thun? – Was thun, um sie zu sehen und abermals zu haben? Aber wenn er sie noch einmal in seine Hände bekommt, dann muß sie hinauf zu ihm; gutwillig oder nicht. Sie muß. Er will es. Er wird mit ihr ganz allein oben wohnen. Sie ist ja gern allein. Hier kann sie vom Morgen bis zum Abend dem Ranschen der Wälder zuhören niemand wird sie stören. Er wird zu ihr kommen dürfen, denn sie ist dann sein, aber Fremde … Er faltete drohend die Stirn. Das sollte nur einer wagen! Der würde mit zerschmettertem Hanpte hinunter in irgend einen Abgrund fliegen, daß ihn auch die Geier nicht fänden. Mit Huzulen ist in der Liebe nicht ratsam zu spaßen. Aber sie würde es gut haben bei ihm.


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Alle Teppiche, die seine Mutter daheim, unten, in der Truhe für ihn aufbewahrte, würde er hinanftragen. Alle die bunten Seidentücher, Seidenstoffe die Silbermünzen, die buntfarbigen, prächtigen Wollgürtel, alle die reichgestickten, schneeweißen Hemden, die Felle von Bären, die er selber erlegt, alle gestickten Pelze, alles das würde er ihr hinanfbringen und sie damit umgeben. – Seinen schwarzen Hengst mit dem silbergeschmückten und geschnitzten Sattel, den er noch von seinem Großvater erhalten, würde sie auch bekommen, denn zu Fuß dürfte sie selbstverständlich nicht gehen. Ein echtes Huzulenweib thut das nicht. Nur sollte es ihm nicht einfallen, sich unter ihr zu bäumen, wie er das mit Vorliebe bei jeder Brücke that, denn dann wäre das gleich sein letzter Augenblick. Er würde ihn sofort niederschießen; so wie die goldhaarige Stute, die irgend ein Herr einmal zu ihm auf die Weide gegeben. Er wollte ihr eine Wunde am Fuße reinigen, und sie schlug ihn dafür mit den Hinterfüßen in die Seite, daß er fast zwei Wochen wie ein Krüppel im Hanse hocken mußte. Er hatte sie dann bezahlt, vielleicht auch überzahlt, aber sie hatte auch das Ihrige bekommen!


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Ja, er ist gut, wenn er gut ist … aber wenn er böse ist … Er wühlt im Haar und reibt sich die Stirn und brütet unaufhörlich, wie er sie bekommen könnte. Er wird schon etwas herausdenken. Ihr rotes Seidentuch hat er ja bei sich, das ihr aus dem Gürtel herausgefallen war und das sie vergessen hatte, mitzunehmen. Wie das duftete! Weiß Gott, zwischen welchen Kräutern es gelegen! Damit kann er ja auch zur alten Hnzulenwahrsagerin gehen. Die hilft bestimmt, und wenn sonst nichts hilft. Aber vorläufig will er mit Weibern nichts zu thun haben. Will selbst etwas ansdenken. Die Thüre der Hütte öffnete sich und seine Mutter kam herans und rief ihn zum Abendmahl. „Ich mag nichts essen,“ antwortete er mißmutig, ohne den Kopf zu erheben. Gott sei mit dir, mein Sohn,“ antwortete sie ernst, „aber ich merke, daß sich eine Krankheit an dich machen will. Christus mag sie fernhalten die guten Heiligen mögen sie schlagen. Mit bekümmertem Gesicht befühlte sie seine Stirn und versuchte, ihm in die Augen zu schauen. Er wich ihren ängstlich forschenden Blicken aus.


„Stehst du?“ rief sie in triumphierender Bitterkeit, „sie haben dich dort unten verdorben. Gott lohne es ihnen. Laß mich deiner Stirn das Unreine aussangen.“ Und küssend sog sie den bösen Blick ans seiner Stirn heraus.

„So, jetzt wird es besser werden; und später will ich wieder Kohlen löschen und die Hütte mit Kräutern räuchern. Ach, jammerte sie, „unglücklich die Stunde, in der du den Baum abgehackt. Krank bist du mir heimgekehrt und mit gesenktem Kopfe. Die Flöte rührst du nicht an und halb issest du nur. Die Heiligen werden das Böse schlagen, werden es auf deine Feinde werfen. Nun, komm’ herein was willst du da mit der Axt?“ „Hinein in den Wald.“ „Wozu?“ „Ich will noch eine Fichte fällen.“ „Bist du wahnsinnig geworden? Gott soll dich bewahren!“ rief sie entsetzt aus. „Zum zweiten Male willst du verhaftet werden – und erkranken? Laß ab, Duschko[5] , laß ab. Noch klebt die Folge der bösen Stunde an dir, noch bist dn nicht ganz rein.“


– 45 : „Ich werde gehen, Mutter, ich muß gehen,“ antwortete er düster und senkte das Haupt, das Angesicht mit beiden Händen verhüllend. „Ich“, fuhr er fort, „will noch eine Umzäumung hier bei der Koliba für die Schafe machen. Es könnten welche erkranken, und da magst du sie gleich unter den Augen haben, während ich draußen im Walde bei den anderen oder bei den Pferden bin. Das thue ich, Mutter. Diesmal aber steige ich den Berg bis zum Flusse hinab, wo ich Forellen fange, und will dort eine Fichte aushacken. Dort ist der Wald dichter, als überall, und die Stimme der Axt wird sich verlieren. Ich hacke den Baum bis zum Erdboden aus und verdecke den Stumpf mit Moos. Dort bereite ich mir die Pflöcke und werfe die Späne ins Wasser; mögen sie mich daun unten anzeigen! Ich fürchte mich nicht!“ Die letzten Worte sprach er mit finsterer Entschlossenheit und erhob sich. „Und jetzt gehe ich, Mutter; bleibt gesund und harrt nicht vor Mitternacht auf mich.“ „Wenn es durchaus sein muß, dann gehe,“ sprach verstimmt die Alte; „aber besser wäre es,


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du bliebest daheim. Auch das Gewitter kann noch umkehren; es hat heute nicht ganz ausgetobt.“ „Nein. Es kehrt heute nicht zum zweiten Male ein; dort blinkt bereits der Abendstern, auch haben wir heute Vollmond!“ „Dann geh’ mit Gott. Das Abendmahl hebe ich dir auf und will bis zu deiner Ankunft spinnen und für dich beten.“ Rasch schritt er den bekannten bewaldeten Berg hinab, ungeduldig trockene Zweige oder Holzstücke, die im Wege lagen, mit dem Fuße von sich stoßend. Tiefe Stille herrschte im Walde, und nur sein kräftiger Tritt oder hier und da ein ansgestoßener Fluch, wenn er schlecht getreten, unterbrachen sie. „Und ich bekomme sie doch!“ dachte er mit unheimlicher Freude. „Ich steige hinnnter zum Flusse und hacke, wo just der Wald gelichtet ist und besucht wird, die gesündeste Tanne aus. Dann geht einer und meldet mich unten bei den Herren an; die werden mich abermals achtundvierzig Stunden festhalten wollen; ich aber gehe zum Advokaten und drehe mich dort so lange, bis sie kommt!“ Vielleicht ist sie seine Tochter? … Aber nein,


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sie scherzte nur, als sie sagte, daß sie ihn dort oft genug gesehen habe! Weshalb hatte er sie nicht gesehen? Und weshalb hatte er seine Frau gesehen? Diese strenge, schreckliche Frau, die stets nur ihre Augen auf seine Füße gerichtet hielt, wenn sie in die Kanzlei kam und er dort anwesend war. Das kann nicht ihre Mutter sein … sie kann dorthin nicht gehören, sie muß jemand anderer sein … Sie spricht kleinrussisch, während ihre Mutter weiß Gott was für eine schreckliche Sprache gesprochen. Er haßt sie. Er weiß nur das eine: Er bleibt dort beim Advokaten so lange, bis sie irgendwo zum Vorschein kommt; und dann geht er ihr nach … und dann wird sie schon sein werden müssen. Alles andere kümmert ihn nicht, und an alles andere will er gar nicht denken. Immer rascher und eiliger wird sein Schritt. Er hat nicht mehr weit zum Ziele. Durch den sich bereits lichtenden Wald blinken Fluten des Gebirgsflusses im Mondschein auf. Nur noch einige Schritte und er befindet sich an Ort und Stelle. Dicht vor ihm am Fuße des Berges floß der Fluß; heute durch das Gewitter angeschwollen, bewegte


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er sich in großen, schäumenden Wellen, die, schmutzigmatt, im Mondlicht nnheimlich schimmerten. Er blieb, an eine Fichte gelehnt, stehen und sah weit vor sich in die Ferne. Schöner und sehnsuchtweckender denn je lag eine ganze Gebirgskette vor seinen Blicken. Vom magischen Mondlicht, von Millionen flimmernder Sterne beleuchtet, war sie von märchenhafter Schönheit. Ob er das großartige Schöne in der Natur merkte oder fühlte? Er war den prächtigen Anblick, den das Gebirge bot, von Kindheit an gewöhnt, taghelle, lautlos schweigende Sommernächte waren ihm bekannt, denn er hatte mehr als eine wachend bei seiner Pferdeherde zugebracht; – und doch! und doch wurde sein Herz, als sein Blick über die in blaue Nebel gehüllten Gipfel schweifte, von tiefer und nnerklärlicher Sehnsucht erfaßt! Und da zu seinen Füßen wogten und murmelten die Wellen etwas Trauriges; ihre Laute weckten in seinem Herzen … Thränen. Ja, es ward ihm schwer und einsam, und er wußte selber nicht, wie es kam, daß er zu singen begann … . Ein echtes Kind seines Volkes, suchte er Erleichterung im Gesange. Er sang in langgezogenen Tönen eine jener


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trauervollen kleinrussischen Weisen, „Dumka“ genannt, welche der Ausfluß aller Trauer und allen Schmerzes dieser unglücklichen Nation sind: Wer ein Elend überstanden, [6]

Dem zehn andre sich gleich fanden!

Ich vergesse alle Leiden, In der Dumka find’ ich Frenden! Laß dir, lieber Freund, es sagen, übers Los darfst du nicht klagen; Will ins Aug’ die Thrän’ dir dringen, Mußt du dir die Dumka singen. Meine Dumka, meine liebe, Wie weckst du so neue Triebe! Klingst du traurig, so auch freust du Dennoch! und den Mut erneust du! Dumka, Dumka, die Kleinrussen Dich aus alter Zeit noch kennen, Denn vom Dujepr bis zum Sane Schwingst du deine goldne Fahne! Wie in Freude, so im Leide, Im Gebirge, auf dem Felde, Dumka – dich nur hör’ ich klingen, Dich, nur dich will jeder singen! Ob im Zwilchrock, ob im Fracke, Bei der Feder, bei der Hacke: Jeder Russe singt dich gerne, Hältst du doch den Schmerz ihm ferne!


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Er schleuderte seinen Hut vom Kopfe zur Erde, als steckten alle traurigen Gedanken darin. Ihr rotes Seidentuch hatte er im Hierhergehen um den Hals geschlungen. Der starke Duft, der demselben entströmte, und der ihm überhaupt an ihr aufgefallen war, bewirkte, daß sie nur noch lebendiger vor seiner Seele stand. Sehnsucht und ein heftiges Begehren nach ihr erwachte noch wilder als bisher in seinem Herzen. Er wandte sich mit dem Rücken zum Flusse. Die dem Ufer am nächsten stehende Tanne hatte den ersten Schlag erhalten. Anfangs kamen die Schläge langsam, gleichmäßig; später rascher, wuchtiger. So hackte er über eine Stunde und gönnte sich keinen Moment der Ruhe. Eine Art Fieber hatte sich seiner bemächtigt. Unaufhörlich dachte er an sie. Sie stand so lebendig vor seiner Seele in ihrer ganzen hinreißenden Schönheit und mit all ihren Worten und ihrem Lächeln. Er lebte gleichsam noch einmal alles durch mit ihr. Wie schön, wie wunderbar schön war sie! Und dann der Traum! Er lag ihm noch in den Gliedern. Noch fühlte


So hackte er über eine Stunde und gönnte sich keinen der Ruhe. (S. 50.)


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er schier ihr Anschmiegen, fühlte ihre weichen, warmen Glieder. „Du mußt mich suchen!“ hörte er plötzlich dicht in seiner Nähe rufen. Er fuhr zusammen und hielt im Hacken inne. Fast in demselben Momente wiederholten sich die Worte: „Du mußt mich suchen!“ Ja, das war ihre Stimme ihre Stimme! Ehe er sich fassen konnte, krachte und schwankte die Tanne und hätte ihn im Stürzen fast niedergerissen, wenn er nicht rechtzeitig zur Seite gesprungen wäre. Er erschrak wie nie im Leben, und alles Haar stieg ihm zu Berge. – Was bedeutete das? Er sah sich um und starrte nach dem Wasser von dorther hatte es geklungen, so lant und so

dentlich …. Aber nichts regte sich. Welle um Welle, nicht allzurasch und auch nicht langsamer, kamen immer von nenem, und die Tanne – die ins Wasser gestürzt war – umspülend, nahmen sie sie langsam und majestätisch auf ihren Rücken. Alles andere verhielt sich so still, so erwartungsvoll still … Die Bänme da am Rande, ja, der ganze Wald – alles, als ob es sein müßte, um irgend etwas wahrzunehmen. 4*


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Die Fluten funkelten im Mondlicht unheimlich, und über ihnen zogen bläuliche Nebelgestalten, nein, sie waren überall, sie hatten sich angesammelt, als wollten sie alles ersticken und überwältigen. Er fröstelt vor wahnwitziger Angst und möchte wie ein Tier aufbrüllen, aber plötzlich denkt er an Gott. Er bekreuzigt sich einmal, zweimal, dreimal mehreremal – hernach reißt er wie infolge einer plötzlichen inneren Eingebung das Seidentuch vom Halse und schleudert es geballt ins Wasser. Mit einem Male ward ihm alles klar. „Sie ist eine Hexe – eine Hexe!! o heilige Mutter Gottes … o alle Heiligen!“ – Wohin war er da geraten? Mit wem hatte er sich zu schaffen gemacht? Er denkt mit der größten Feindseligkeit an sie. Er möchte sie totschlagen, auf der Stelle, zermalmen, zertreten wie einen Hund, wie einen Wurm … und ein Rätsel nach dem anderen löst er nunmehr mit Blitzesschnelle. Nicht vergeblich hatte sie rotes Haar. Nicht vergeblich roch sie nach Kräutern. Nicht vergeblich war sie so wunderschön, glich sie der Mutter Gottes, denn nur dadurch konnte sie fesseln!


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Nicht vergeblich strich sie im Walde umher. Welcher Christenmensch geht in den Wald, um zuzuhören, wie er rauscht? Und weswegen wollte sie nicht sagen, wer sie sei? Und weswegen sollte sie damals am Hofe gewesen sein, da er sich an ihr Gesicht nicht erinnern konnte? Und dann: sie hatte kein Glück! Nur die von Gott gänzlich Verstoßenen haben es nicht … etwas Glück giebt Gott stets einem jeden mit. Sie wollte ihm das seinige abwendig machen. Ha, ha, ha! „Du mußt mich suchen!“ hatte sie im Traume gezischelt. „Ja, suchen!“ damit er hierherkam, ihrem Rufe, weiß Gott wohin, folgte, irre gehe und in die Klauen ihrer Sippschaft falle und sein Glück auf sie übergehe! Weswegen fragte sie, ob er der einzige Sohn sei? Nur die einzigen Söhne haben besonderes Glück. Und weswegen versprach sie nicht damals, wiederzukommen, wenn sie thatsächlich ein Mädchen und ein christliches Menschenkind war? Weshalb fürchtete sie sich nicht im Walde, wenn sie ganz allein war? Und vor ihm that sie, als ob sie sich fürchtete! Er war doch kein Dobusch[7] !


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Als er ihr sagte, daß man im Walde nichts sehe, sagte sie, daß sie im Walde sehe, was sie sonst nicht sehe. Und immerfort hatte sie ihn mit ihren großen, schimmernden Hexenaugen angestarrt; ja, so lange, bis er toll geworden! Der Blitz möge sie treffen! Er möge sie treffen und jede Spur von ihr von der Erdoberfläche vertilgen. Oder sie soll versteinern oder lebendig von wilden Pferden zertragen werden oder in die Erde versinken; ja, von irgend einem Felsen soll sie stürzen und in die Erde versinken! Er ist fast ganz beruhigt. Er schreitet nach Hanse und ist so nüchtern, so ganz „der Alte“, daß er fast lachen möchte. Ihm ist auch noch ein anderes Licht aufgegangen. Alles das mußte ihm begegnen, denn er hatte seine neue Hütte da oben bezogen, ohne sie vorher weihen zu lassen! Aber gleich morgen geht er zum Popen. –


Eine Unzivilisierte.


Dagura hieß der Berg, unter dem ihre Hütte

stand. Und war bekleidet vom Fuße bis zum Gipfel mit dicht wachsenden Tannen. Das reiche Grün, welches Magura düster erscheinen ließ, und ihre Steilheit, machten sie unzugänglich und bewahrten sie vor Besuchen neugieriger Sommergäste. Au Werk= wie an Feiertagen stand sie allein, vertieft in das Rauschen der eigenen Tannen, oder betrachtete die Gipfel der nachbarlichen Berge und versank in Gedanken über ihren nächsten Nachbarn … Sein Name war Rung. Er war von ihr getrennt durch eine Thalenge, durch die ein Bach eilte, und war ein prächtiger Riese, hoch und breit. An der Nordseite, wo er mit jungem Walde dicht


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bewachsen war, hob er sich sanft in die Höhe – an der westlichen Seite, wo er an Magura grenzte, war er steil wie sie und wie sie geschmückt mit lauter alten, dichtwachsenden Fichten. Es schien, als ob beide für immer voneinander getrennt wären. Die Enge, die sie schied, barg eine Menge scharfen Gesteins, und der Bach – bei jedem stärkeren Gewitter anschwellend – bespritzte sie mit seinen kühlen Perlen, als erinnere er sie daran, daß er sich nicht verloren habe, daß er da sei und sie immer trennen werde … An hellen Sommertagen gegen die Mittagszeit, wenn die Sonne stark brannte und der Himmel sich in lichtes Blan gleichsam anflöste – erhoben sich aus der Tiefe des Rungschen Waldes Habichte, zogen über seinen Gipfel in sanften Kreisen und verschwanden dann im dunkelgrünen Walde Maguras. Hier ließen sie sich auf das Gezweig ihrer Tannen für kurze Angenblicke nieder und riefen weit hörbar, daß sie von Rung kämen. Sie nahm ihre Laute in sich auf und rauschte hernach etwas, so lant, daß auch die rings um sie waltende Stille aufhorchte.


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Wenn die Sonne aufging, war ihre ihm zugekehrte Wand von goldenem Lichte überflossen. Alle Tannen, die da auf ihr wuchsen, badeten in diesem Tone. Und sie lachte ihn an. Und er glänzte auch, aber vor Kühle. Seine ihr zugekehrte Wand, abschüssig, stolz – auch in Tannen gekleidet von der Sohle bis zum Gipfel – war fast düster. Durchsichtige, kühle Tautropfen standen noch auf den Nadeln der Zweige, und seine Erde war bedeckt von Tau gleich wie von zartem Silbergewebe. Der zwischen beiden eilende Bach drängte sich dicht an die Magura, aber erwärmt bog er aus, wandte sich unter die kühle Wand Rungs, jedoch nur, um, abgekühlt, abermals an die Magura sich zu drängen. Erreichten die Strahlen der Morgensonne Rung nicht? – Warf sie selber den Schatten auf ihn? Sie wußte es nicht. Hier und da drangen auch zu ihm einzelne Strahlen. Sie fielen schräg zwischen seine Bäume als durchsichtig buntfarbige Streifen und bemühten sich, seine kühle grüne Tiefe zu erwärmen. Wo sich die Wände beider gegen den Süden


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wandten, wo sie sanft abfielen und sich in übergroßer Nähe fast vereinigten – da badeten beide im Lichte … Hier wuchs in der Thalenge, die zu einem schmalen Streifen wurde, zwischen dem großem Gestein die prächtigste Arnika, die goldig=gelbe Blüte zur Sonne gekehrt, wie die Sonnenblumen; hier wucherten dünne blaß=lila Glockenblumen und üppige Disteln. Der Bach bemühte sich, die Luft abzukühlen, aber diese, erwärmt und berauscht vom Harzgeruche der Tannen, machte ihn warm, entkräftete ihn bis zur Milde, und er ergoß sich sanft und fast unhörbar über Stock und Stein und verwandelte sich unbemerkt in fließendes Gold. Hier dehnte sich ein dichter, alter Wald aus, und Rung und Magura, von ihrer Schönheit gegenseitig überwunden, wurden zur ebenen Erde und verloren sich in seiner dunklen Tiefe. In der Thalenge zerschlugen Zigenner Steine. Das laut schallende Echo des Klopfens flog in rasender Eile den beiden nach … allein das ernste Rauschen des Waldes wehrte es ab. Dort war ihr Paradies. 4


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Just hierher kam die Huzulin Paraska, Holz zu stehlen. Sie wußte da allerlei Verstecke und hätte sich zu verbergen vermocht, wenn sie jemand verfolgt hätte – allein, da sie niemand verfolgte und sie ruhig trockene Äste und anderes Brennmaterial sammeln konnte, so war sie ihrer Beute sicher und eilte niemals. Wenn sie genng von allem hatte, setzte sie sich auf einen großen Stein, zog ihre Pfeife hervor und stopfte sie. Rauchend ruhte sie aus. So verbrachte sie oftmals wohl eine Stunde. Über das oder jenes sinnend, bemerkte sie kaum, wie die Zeit verstrich. Ein Gefühl der Einsamkeit kaunte sie nicht. Die Stille, die um sie herrschte, war anderer Natur, als die in ihrer Hütte. Hier war sie gleichsam lebendig. Vor ihr – beinahe ihr zu Füßen eilte der Bach. Über ihrem Haupte, hoch auf den Bänmen, kletterten raschelnd Eichhörnchen. Vom Walde her wurden von Zeit zu Zeit Schreie von Ranbvögeln vernehmbar; in der Luft schwirrten Mücken, Libellen, tanzten Schmetterlinge – und das reiche Grün der Bergwände nahm den Blick für sich ein und erstickte jedes Gefühl der Einsamkeit.


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Mitunter sah sie, wie sich zwischen dem kleinen weißen Gestein eine schimmernde Schlange durchwand. In ihren Anblick eine Zeitlang bewegunglos versunken, spuckte sie zuletzt aus: „So klein war sie und so schlimm! – ärger als ein Wolf!“ Zwischen dem Rung und der Magura war sie gleichsam zu Hause. Hier hatte sie auch mit wem zu plauschen. Zwischen ihren Wänden in eben dieser Thalenge zerschlugen Zigeuner Steine. Mit ihren muskulösen Händen zerklopften sie das scharfe Gestein vom frühen Morgen bis zum Versinken der Sonne. Ein älterer Zigeuner, eine Zigennerin und ihr Knabe. Gleichsam häuslich hatten sie sich hier niedergelassen. Unweit von ihnen brannte Fener. An hellen Tagen verlor sich die rötliche Flamme im Sonnenlicht, und nur der blänliche Rauch verriet, daß sie hier loderte, sich gierig in die Höhe reckend. Hier kochten sie ihr Mittagsmahl. Wenn sie in den Wald ging oder mit dem Holze zurückkehrte, mußte sie an ihnen vorbeigehen. Sie setzte sich zu ihnen; und da sie gewöhnlich hier ihre Pfeife anzündete, wobei sie öfters mit ihnen ihren


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Tabak teilte, so gingen auch die Gespräche sehr lebhaft vor sich. Die Zigeuner kannten die kleinsten Begebenheiten aus ihrem Leben und sie hinwieder aus dem ihrigen. Jahraus, jahrein zerschlugen sie hier Steine, lebten fast ganz von dieser Arbeit, und sie ging zu jeder Jahreszeit zwischen den Rung und die Magura. „Ihr wandert schon wieder in den Wald?“ rief mitunter der schwarze Zigeuner, sie mit seinen Angen unter dem Hute her anblitzend. „Wen sucht ihr

denn?“ Und sie lachte: „Gold,“ sagte sie. „Gold? Nicht einen „Goldenen“?“ „Ja, ja, auch einen Goldenen! – ich hätte es fast vergessen!“ Und dabei lachte sie noch mehr. „Ei, schaut nur her!“ sprach er, „unsere Huzulin wird uns noch verrückt“, und ausspuckend fluchte er mit verhaltenem Lachen der Frauennatur, daß die „Ruhe von ihr wie vom Teufel fliehe“. „Schweige!“ ließ sich seine Frau vernehmen, ein schwarzes Weib, abschreckend wie eine Hexe, mit wirrem Haare, feurigen Augen und mit auf der Brust offenem Hemde. „Bald wird sie krumm von


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dem Golde, das sie fast täglich schleppt, um etwas im Ofen brennen zu haben!“ „Dann mag sie sich den „Goldenen“ holen und er wird für sie alle Lasten schleppen! Wäre es nicht besser, Paraska?“ „Die Füße mög’ er sich brechen, bevor er in mein Haus kommt!“ fluchte nun auch Paraska zum Scheine, setzte sich aber schon zur Zigeunerfamilie. „So? Und noch gestern sagtet ihr, daß, wenn sich ein braver Mensch träfe, ihr ihn gleich zu euch ins Haus nehmen würdet!“ „Und wenn ich’s gesagt habe? Hab’ ich’s gesagt, so hab’ ich nicht gelogen!“ wehrte sie sich. „Und wie sollte er sein? Vielleicht so wie ich?“ scherzte der Zigenner fröhlich. / häßlicher Zigenner!“ „Ach, so geht doch! rief sie und spuckte aus. Die Zigenner brachen in Gelächter aus. „Also wie sollte er sein, Parasotschka?“ „So laßt mich doch in Ruhe; bin ich denn eine Sudjilnetza?!) Er mag sein, wie er ist; ich habe ‘) Sudjilnetza bedeutet im Kleinrussischen „Schicksalsengel“ Der Meinung des kleinrussischen Volkes nach bestimmen gute


darüber nicht zu entscheiden. Seid so gut und haltet den Mund!“ Und ihre Pfeife anzündend, lehnt sie sich kokett an das gesammelte Holz und, sich dem Genuß des Tabaks hingebend, erwartet sie die Zigeunerscherze. Sie war Witwe und zählte über vierzig Jahre. Brünett und fast noch schön, war sie schlank und fein gebant. Lebhaft, graziös, schien sie um vieles jünger, und in ihren kleinen Händen stak Manneskraft. „Jetzt stirbt sie schon langsam ab“ – erzählte sie einmal – „aber als ich jünger war! Manchmal hob ich einen Sack mit Kukurutz auf, schlenderte ihn aufs Pferd, daß sich sein Rückgrat einbog! … oder ich sammelte Holz, lud es auf mich, und nicht daß ich damit nach Hause ging – ich lief damit nach Hause! – Hier warf ich es zur Erde, daß die Hütte erdröhnte, und hatte während vier Wochen zu brennen. Die Leute wunderten sich, aber ich lachte. Glaubt ihr das nicht? – Oder was legt’ ich für Heuschober zusammen! Aj, aj!“ und böse Engel in Gestalt der Vögel während der Geburt des Menschen sein Schicksal. 5 Kobylauska, Erzählungen.


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So schwelgte sie in eigenen Erinuerungen, und ihre ungewöhnlich lebhaften und klugen Angen leuchteten von innerem Feuer, während ihr Antlitz selber fast jung war. „Ja, aber jetzt … jetzt werde ich immer schwächer und schwächer und alles nimmt ein Ende!“ Sie sagte es nicht traurig. Nicht im mitleiderregenden, weinerlichen Tone, sondern ernst, gedankenvoll. Es gab einen Anfang und muß demnach auch ein Ende geben; und jeden Schmerz mögen die Winde zertragen! „Bei wem legtet ihr denn Heuschober zusammen?“ fragte der Zigenner. „Bei dem, der mich dazu gemietet. Beim gottseligen Herrn Kuba; beim Vater des jetzigen jungen Gutsherrn, der da über dem Flusse den kahlen Berg hat. Kennt ihr ihn nicht?“ „Doch. Er ist ein Rumäne. Er ist derjenige, der den Leuten Bier gezahlt, als er gewollt, daß man ihn zum Bürgermeister wähle; und der ihnen // damals auch gesagt, daß er ihr Bruder sei …. „Bruder?“ fragte sie und kniff die Augen zusammen. „Und weshalb ist er jetzt kein Bruder, da


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ein anderer gewählt wurde? Jetzt nennt er die Bauern „Schlangen“! Aj, er ist ein häßlicher Mensch; nicht so wie sein Vater. Er geriet seiner Mutter nach – ja, er sagt es auch, daß er ein Rumäne ist. Sie ist aus der Moldau … sein Vater sprach mit uns kleinrussisch. Aj, wie gut war es doch, als sein Vater noch lebte und das Vermögen besaß! … Bei ihm legte ich im Gebirge Heuschober zusammen!“ Und nach einer Weile lebhaften Sinnens sprach sie: „Bei anderen Schobern arbeiteten zwei Menschen, bei dem meinigen war nur ich allein. Glaubt ihr es oder nicht? Ich trug selber das Hen zusammen, trat es selber fest, bante die Schober breit und prächtig wie Häuser. Herr Kuba trat von der Seite heran, blieb stehen und sah zu. Beinahe eine Stunde schaute er zu. Wenn er sah, daß ich ganz müde ward, trat er zu mir heran und reichte seinen Tabak: „Stopfe dir deine Pfeife, Paraska

du bist meine beste

Arbeiterin!““ „Und ihr, Paraska?“ „Ich setzte mich unter den Heuschober, lachte und rauchte.“ „Paraska, Paraska!“ drohte der Zigenner verschmitzt.


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„O Iwan, Iwan … ich bin nicht von solchem Stamme!“, und ausspuckend steht sie auf und geht mit ihrer Last nach Hause. Ihr Haus – das ist eine Bauernhütte, um die Fenster geweißt und rings herum mit einer Prispa, d. i. Lehmbank. Beim Hause lag der Garten, und im Garten wuchs allerlei. Da gab es Obstbäume, Gemüse, Sonnnenblumen, sogenannte „Landnelken“, starkduftend, und zwei volle Beete von großen leeren Astern. Der starke Duft von alledem war fast betäubend. Sie war allein. Kinder hatte sie niemals gehabt, und so bereitete ihr jede einzelne Blume Vergnügen. „Ich habe es gern, wenn von alledem so viel ist; das ist so schön!“ sprach sie, wenn jemand ihren Garten bewunderte. Und wenngleich in ihm nichts Besonderes wuchs, schien er ihr ein Paradies. Am Sonntag Nachmittag legte sie sich unter einen Birnbaum, und um sie herum lagerten sich ihr Hund, ihre Katze und zwei=drei Hühner. So lag und schlief sie oder rauchte. Gesellschaft suchte sie nie. Sie liebte es nicht, mit den Erstbesten zu


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reden. Zu den Nachbarn ging sie höchst selten, und wenn sie es that, so schaute sie den Platz, auf den sie sich zu setzen hatte, gut an oder z. B. den Bissen, der ihr gastfreundlich gereicht wurde. „Paraska ist gar delikat,“ sprachen gleichsam verletzt die Rumänen=Nachbarn. „Sie schant sich im Hause um wie eine große Frau; besser thäte sie daran, sich bei sich umzusehen; da fände sie eher etwas, als bei uns.“ Allein, ihr war das gleichgültig. Sie ekelte sich - wenngleich es in den Hütten der Rumänen sehr rein war – und es war ihr gleich, ob sie damit jemanden verletzte oder nicht. Schickte man sich an, sie mit etwas zu bewirten stand sie auch schon auf der Schwelle. „Ich vergaß, die Hühner in den Hof hereinzutreiben; es können mir noch welche verloren gehen!“ redete sie sich aus und eilte nach Hause. „Wenn ihr ein Kindchen hättet, wär’ es bei euch fröhlicher!“ sagte ihr einmal eine Nachbarin. „Vielleicht wäre es fröhlicher!“ antwortete sie, „allein, wenn’s ein häßliches Kind wäre … aj du lieber Gott! Nein, häßliche und schmutzige kann ich 4 nun einmal nicht ansehen!


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„Aber so allein … ist euch traurig.“ „Mir ist nicht traurig.“ Und sie sprach die Wahrheit. Ihr war nie traurig zu Mute. Auch im Winter, wo sie wochenlang allein saß und keinen Menschen zu Gesichte bekam, war ihr nicht einsam zu Mute. Sie saß, spann, rauchte, redete zu ihrem Hunde, zur Katze, zu ihren zahmen Hühnern … sie lachte zu ihnen … schlug sich Karten auf und las ihr Schicksal daraus, that das Gleiche ans Kukurutzkörnern und fühlte weder Traner noch Einsamkeit. An Winterabenden, wenn der Schnee an die kleinen Fenster ihrer Hütte schlug, wenn der Sturm mit seiner tonlosen Stimme heulte – saß sie zusammengekauert beim Ofen, die Pfeife im Munde, und horchte auf irgend etwas. Ein starkes Rauschen überschwemmte die Luft, kam vom Rung und der Magura her, gleich wie von ganzen Wolken von Vögeln … und der Wind rang mit ihm … Rung und Magura grollten miteinander allein sie fürchtete nichts. Klopfte jemand an die Thüre, so rührte sie sich nicht von der Stelle.


„Wer ist dort?“ fragte sie mit gerader, mutiger Stimme und öffnete die Thüre nicht, bis sie nicht genau erfahren, wer gekommen und was er nötig hatte. Gedanken sind bei ihr – Träume. Alles, was sie ausdachte, erklärte sie auf die Art: „Das sagte mir Gott im Traume.“ Sie hatte auch eine Schwester. Diese war älter, sie hieß Thekla, war ebenso schön und wie sie auch eine kinderlose Witwe – allein, sie vertrugen sich nicht. Auch wohnten sie nicht zusammen. Seit der Zeit, da Thekla sich bemüht hatte, von ihr den Sohn der alten Malwine abwendig zu machen, verlor sie das Herz für sie. Übrigeus war jene … Scherzte einmal ein Mann mit ihr oder ein Bursche – flugs griff sie auch schon in seinen Gürtel und suchte nach Geld und Tabak … die Schamlose! Wie oft gab der Herr Kuba ihr Tabak … ach du lieber Gott! – wohin wäre sie geraten, wenn sie gewollt hätte! Allein, sie hatte ein „Gesicht“ war schamhaft. In ihrem Hause sah es unordentlich und armselig aus.


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Eine lange Eichenbank, ein aus schwarz gewordenen Brettern zusammengeschlagenes Bett, ein ebensolcher Tisch, eine grobe, plumpe Kiste … auf einer langen, oben zwischen den Deckbalken angebrachten Stange nachlässig aufgehängte Kleidungsstücke – das war fast alles. Dafür waren aber die Wände beinahe voll. Da gab es bunte Bilder, farbige Papiere, auf die Wand ganz glatt aufgeklebt, Bänder, geschnitzte Holzkreuze, Lehmtöpfchen, getrocknete Blumen und Kränter … und in den kleinen, schiefen Fenstern hochrotblühende Blumen, die sich vergeblich an die ungewaschenen Scheiben preßten, um ein bißchen Sonnenlicht auf sich zu fühlen. Und unter alledem und immer belebt war – sie. Sie saß und spann oder schnitzte etwas ans Holz: Krenze, Löffel, Schüsselchen oder auch audere kleine Sachen; was ihr eben einfiel. „Wer hat euch schnitzen gelehrt?“ fragte man sie einmal. „Wer?“ gab sie erstannt zur Antwort, „ich kann’s von selber. Ohne Beschäftigung zu sitzen ist langweilig. Ich nehme ein Stück Holz in die Hand und es kommt dann von selber irgend etwas heraus …


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Eines Tages flüchtete sich zu ihr eine Frau vor dem Regen. Als sie sah, wie schön die Huzulin spinne, und auch erfuhr, daß sie für Fremde spinne, brachte sie ihr Flachs und Geld und besuchte sie dann öfters. Von Zeit zu Zeit schenkte sie ihr auch Tabak, als sie bemerkte, daß das Rauchen sie in eine redselige Stimmung bringe.: Die Huzulin ward anhänglich an sie wie ein Kind, und als die Frau einmal für länger fortreiste und von jener erst nach Verlauf mehrerer Wochen und zufällig in der Stadt wiedergesehen wurde, war die Freude dieses Weibes so groß, daß es zu ihrem übergroßen Erstaunen sie mitten auf den Mund küßte! „Es ist mir ordentlich leicht geworden, daß ich ench wiedersehe!“ sprach sie voller Freude. „Kommet zu mir auf Weichseln; sie sind gerade jetzt reif,“ Ind sie die Fran herzlich ein. „Soll ich ench auch Tabak mitbringen? Oder habt ihr vom Rauchen gelassen?“ fragte die Frau, scheinbar ernst. „Aj, wo hab’ ich denn vom Rauchen gelassen!“ antwortete sie fast erschrocken, „jetzt liebe ich es fast mehr als früher!“


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„So? Dann komme ich und bringe euch ein Päckchen, und ihr bereitet mir einen großen Strauß von euren duftenden Blumen und Kräutern vor; es muß ja bei euch alles in schönster Blüte sein!“ „Und wie!“ prahlte sie. „Die Köpfchen bei meinen Blumen sind so groß und offen, daß … o du lieber Gott!“ Den anderen Tag nachmittags kehrte die Frau von einem Spaziergange heim und trat bei ihr ein. Sie traf sie beim Nähen. Eine Zeitlang hörte sie ihrem Plandern zu und dann fragte sie sie: „Weshalb sehe ich niemals bei euch buntgestickte Hemden, Paraska? Die Huzulinnen tragen doch immer gestickte Wäsche?“ Sie ward ein wenig verlegen. „S’ ist ja da … “ antwortete sie mit einem um sich suchenden Blicke, aus dem sofort zu ersehen war, daß es nicht da war; später fügte sie hinzu: „Jetzt hab’ ich euch erst recht angelogen: ich hab’ gar keine gestickten Hemden! Ich sticke nicht gerne. Auch als Mädchen that ich es nicht. Ich wusch die Wäsche schön rein, daß sie wie der Schnee rein blinkte und trug sie so. Frauenarbeiten verrichtete ich nicht


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gerne, und – ich sag’s aufrichtig – ich thue es auch jetzt nicht gerne. Glaubt ihr’s oder nicht?“ Das Aussehen ihrer Hütte bestätigte die Wahrheit ihrer Worte. „Was arbeitet ihr mit Lust?“ fragte die Frau. „Was? Männerarbeit. Benötigt jemand einen Rechen – ich mache ihn. Braucht man Holz – ich hacke es. Muß mit den Pferden zum Schmied gegangen werden – geh’ ich. Fällt irgend ein Faß auseinander – schlag’ ich es zusammen. Wie oft fing ich die Pferde des Herrn Kuba droben im Gebirge auf den Weiden ein. Aj, aj!“ Dann lachte sie lustig auf, „Weshalb lacht ihr?“ „Weil ich mich erinnerte, wie es manchmal zugegangen war. Ich trieb Komödie!“ Ihre Augen leuchteten auf, änderten sich; sie verjüngte sich förmlich oder besser gesagt: sie hörte nicht auf, jung zu sein. „Die Köpfe habt ihr den Burschen verdreht nicht wahr?“ Ihre Mundwinkel zuckten mutwillig. „Nun ja … sie wurden verrückt“, antwortete sie, und mit diesen Worten berichtete sie einen Teil ihrer Geschichte.


Wie schön mußte sie gewesen sein! Und nicht nur von Angesicht, welches noch jetzt Spuren fast intelligenter, beim Landvolk dadurch ungewöhnlicher Schönheit trug, sondern auch von einer anderen, inneren Schönheit, voll von wildem, unentwickeltem Künstlertum und einer ewigen Jugend, die noch jetzt in jedem ihrer Worte und jedem Blicke ihrer klugen, leuchtenden Augen durchbrach; in jeder Bewegung ihrer schlanken Gestalt und am meisten in der lebhaften Bewegung ihres Kopfes, der, voller Koketterie mit einem rotgeblümten Tuche geschmückt, den Blick unbewußt an sich fesselte. Sie hatte nichts von jenem groben „Etwas“ in sich, das mit dem Ausdruck „Bauernhaftigkeit“ bezeichnet wird und mit dem sich das feine Gefühl weder vereinigen, noch sonst vertragen kann. „Verdreht!“ wiederholte die Frau, „und zuletzt nahmt ihr einen alten Witwer zum Manne; war’s nicht so, Paraska? Ener Mann war Witwer?“ Sie sah die Frau durchdringend an. „Wenn auch! Ist denn ein Witwer kein Mensch? Nun ja,“ fügte sie dann hinzu, „ich heiratete ihn wohl; aber das war eben Gottes Wille und der 4 Wille der Sudjilnetzi:“


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„Und euer Wille nicht?“ reizte sie die Frau. „Weiß ich es denn? Wir kamen von entgegengesetzten Enden der Welt zusammen, um uns hier zu heiraten. Er ein vierzigjähriger Mann und ich ein neunzehnjähriges Mädchen. Ich hatte eben Glück gehabt. Das hat nicht ein jeder. Mancher ist so glücklos, daß man gut thut, ihn zu umgehen, damit nicht all sein Elend auf einen übergeht. Ich hatte Glück gehabt; von klein auf hatte ich’s gehabt!“ „Von eurem Glücke habt ihr mir nie erzählt, Paraska!“ sprach lächelnd die Fran. „Ich habe nicht erzählt, weil man nicht gefragt hat.“ „Nun, dann erzählt einmal. Stopft euch die Pfeife … die Hände laßt ruhen und mich laßt zuhören.“ „Zu erzählen ist keine Kunst,“ antwortete sie gleichgültig. Dann stopfte sie ihre kurze Pfeife, zündete sie an, that ein paar kräftige Züge aus ihr, damit sich der Tabak gut entzünde, und begann dann zu erzählen. Sie lebte von ihrem neunten Jahre bei ihrer Taufpate. In ihrem Dorfe daheim diente sie auch


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bei fremden Leuten, aber da sie vor Arbeit niemals scheute, erging es ihr überall gut. Im fünfzehnten Lebensjahre verlor sie ihre Eltern. Ihr Vater war ein bekannter Meister, welcher auch Kirchen baute; wie überhaupt ihre ganze Familie bekannt war. Zwei Söhne eines ihrer Onkel waren sogar berühmt. Sie waren beide sehr schön und hielten sich immer beisammen. Beide meisterten aus Holz Geigen, Sättel, verschiedene kleine und große, runde und eckige Büchsen, Flaschen, prächtige Hacken … und eines Tages gingen beide in den Wald, um einen Baum zu fällen. Der Baum brach und schlug sie tot. Auf der Stelle schlug er sie tot. Man legte auch beide zusammen in ein Grab … Das war furchtbar traurig … Und wieder einer – ein Sohn von ihres Onkels Sohn – Andrij war sein Name und sie war seine Tante – das war schon der berühmteste von allen. Einige Sachen, die er geschnitzt, nahm der Sohn des Kaisers zu sich. Von einem solchen Stamme ist sie – und nicht von den Bukowiner Hnzulen, sondern von den galizischen. „Eines Tages“, erzählte sie, „sagte mir die


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Pate, daß man am letzten Fasching – von Sonntag auf Montag – alle Kleider, die man an diesem Sonntage trägt, beim Schlafengehen unter das Kopfpolster legen solle, und daß dann derjenige, der einem von Gott zum Manne bestimmt sei, im Traume erscheine … Ich that, wie die Pate gesagt. Und ich träumte. Ich träumte, daß ich auf einen Berg stieg, auf dem Rücken Säcke trug, und in den Säcken stak Heu. Ich stieg auf einen hohen Berg, bis zur Brust im Grase, in einen Wald hinein – und der Wald war trocken. Er war ausgetrocknet bis auf den letzten Zweig, daß er fast rötlich schien, und darinnen war es so traurig und so still. … ich sah mich um und bemerkte plötzlich ein Thor. Aus dem Thore trat ein Mann, der war weder alt noch jung, und der hielt in der Hand einen Mond, den er hin und her drehte. Er blieb vor mir stehen, legte die Hände auf meinen Kopf und sprach: „Mein Kind: die Gedanken, die du hegst, hege auch weiter. Alsdann wirst du sieben Meilen und sieben Stunden gehen und deinen Bräutigam finden. Dann verschwand er.


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Dies träumte mir. Dann ging eine Zeit vorüber. Ich saß nicht müßig. Ich arbeitete, plagte mich, diente … ich war kräftig … mein Gott, wie kräftig war ich doch! So lebte ich dahin und kannte keine Not. Nur litt es mich nicht lange an einem Orte. Immerfort zog es mich irgendwohin, immerfort hätt’ ich irgendwohin wandern mögen. In die Bukowina lockte es mich. Ja, ja, dorthin, zur Heuarbeit. Zur Sommerszeit bat ich meine Schwester Thekla, mit mir dahin zu gehen, aber sie wollte nicht. Sie trat in den Dienst und blieb dort kleben, als wär’ sie dort angewachsen. Aber ich trug mich stets mit dem Gedanken, in die Bukowina hinüberzugehen; so beschlossen es die Sudjilnetzi. Und ich ging auch hinüber. Gewaltsam beredete ich die Schwester, und dann gingen wir mit anderen Huzulen auf Heuarbeit in den Wiznitzer Bezirk und nach Ispas. Dorthin kam Gawrissan gefahren. Er kam vom hiesigen Gebirge aus Briasa[8]

er war ein reicher Rumäne, der Aufsicht

hielt über die Stallungen und Weiden des Herrn


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Kuba – und er beredete uns alle, die wir da waren, mit zur Heuarbeit zum Herrn Kuba in die Bukowina nach Briasa zu kommen. Unter mir brannte der Boden: ich wollte gehen. Einige sagten, daß sie gehen würden, andere wieder wollten nicht. Die dritten überlegten es sich, und meine Schwester wollte davon nichts hören. Und ich – aj, du mein Gott! Ich wäre geflogen, so wie ich gestanden bin, auf der Stelle … glaubt ihr es oder nicht? Da wandte sich Gawrissan nach mir und maß mich vom Kopfe bis zu den Füßen. „Und du – Mensch?“ „Ich gehe,“ sagt’ ich. „Gut. Alle, die sich entschlossen, mit ihm zu fahren, fuhren gleich den ersten Tag; die anderen, die seine Aufforderung ablehnten, kehrten nach Hause zurück, und mit ihnen auch meine Schwester. Späterhin fand sie Gefallen an … dem. hier. Und so arbeiteten wir denn beim Hen hoch oben im Gebirge auf den Wiesen des Herrn Kuba. Wir mähten, scharrten zusammen, häuften das getrocknete Kobylanska, Erzählungen. 6


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Gras. Manche legten kleine Schober, manche bauten große. Hier legte ich derartige Schober zusammen, daß Gawrissan den Mund aufriß! Bei anderen arbeiteten sie zu zwei Menschen, bei meinem Schober arbeitete ich allein. Ei, wie war ich doch hurtig! Die Sonne brannte, wollte die Erde auflösen; kaum, daß es möglich war, die Augen gegen den Himmel aufzuschlagen, derart entströmte ihm blendende Hitze … aber meine Hände welkten nicht. Es war, als müßte mir das Blut jeden Augenblick aus den Wangen hervorspritzen, als hätte sich in ihnen Feuer verfangen und züngelte mir nach dem Gehirn … allein, ich ließ von der Arbeit nicht ab, bis ich mit allem fertig geworden … Herr Kuba suchte uns anf. Jung war er und schön und kräftig wie ein Baum. Er kam stets zu Pferde. Er ließ es weiden, und selber warf er sich im Waldesrande ins Gras oder er legte sich auf die Erde unter einen Heuschober in den Schatten, schleuderte den Hut weit von sich und sah mich an! Bei niemandem hielt er sich so lange auf, wie bei mir! Glaubt ihr’s oder nicht? … Zuletzt zog er seinen Tabaksbeutel hervor und reichte ihn mir: „Rauche dir eins, Paraska!“


– 83 2– Und ich rauchte und wir plauderten. Er fragte und ich antwortete. Er war ein guter Herr … er liebte es, wenn ich lachte! Nach beendeter Heuarbeit wollten wir wieder heimkehren; ja, wir fuhren bereits. Ein großer Wagen war dicht beladen mit unseren Leuten – mit lauter Huzulen – ich befand mich unter ihnen. Wir fuhren, die heitersten Schumkas[9]

singend … Da plötzlich bemerkten wir, daß uns jemand auf dem Pferde nachsprenge. Es war Gawrissan. „Paraska soll bleiben!“ rief er, „Paraska zurück! Der Herr will es haben!“ Man mußte stehen bleiben. „Geh“ doch grinsen!“ stichelte mich ein junger Bursche, der sich fortwährend bemüht hatte, während der Fahrt neben mir zu sitzen – als ich mich entschlossen hatte, beim Gawrissan in den Stallungen des Herrn Kuba zu bleiben. „Beneidest du mich darum?“ fragte ich ihn und brach in ein Lachen aus, in das alle übrigen mit


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einstimmten. Er mochte vor Zorn geplatzt sein, als er zu Hause anlangte. Und es erging mir gut beim Gawrissan. Ich that meine Arbeit und war froh … so froh … ei du lieber Gott! „In dich ist der Kummer nicht verliebt! sagte mir Gawrissan. „Ich möcht’ bei ihm auch nicht in den Dienst treten“, sagt’ ich ihm. Ich verstehe es nicht, die Trauer auf den Mund zu küssen; ja, ich vermag es auch bis zum heutigen Tage nicht; glaubt ihr’s oder nicht?“ Wer hätt’ es nicht glauben mögen! Aus ihren lebhaften dunklen Angen lachte die Sorglosigkeit, aus jeder ihrer Bewegungen, aus der Modulation der Stimme schlug Humor und ungeknickte Lebenskraft, während zu alledem sich eine Naivetät gesellte, die rührend war. „War aus mir selber fröhlich. Nichts betrübte mich. Dazu war ich kräftig und stark, daß ich Felsen gesprengt hätte! Jetzt freilich … aber auch jetzt ließe ich mir nichts anthun, wenngleich meine Hände längst nicht mehr dieselben von einst sind! Aber auch


jetzt … wenn zum Beispiel jemand käme nun, es sollt’s einer mit mir versuchen!“ Sie hob mit einer raschen Bewegung die kleine, zusammengeballte Faust in die Höhe und machte eine drohende Geberde. „Ei, wer doch vor eurer Faust Furcht empfände!“ warf die Frau ein. „Das ist mir einerlei; ich empfinde vor niemandem Angst. Meine Faust kannten in der Jugend alle gut; und auch damals, beim Gawrissan. Niemand vermochte sie mir zu öffnen. Auch zu zwei Menschen versuchten sie es und konnten es nicht. Kein Bursche, kein Mann – ich wettete darauf stets um meine Ringe. Ein junger Schafhirt, ein Rumäne, der gleich mir beim Gawrissan bedienstet war – ein schöner, kräftiger Bursche, verlegte sich darauf, meine Faust um den Ring zu öffnen. – Er war schier toll nach mir!“ fügte sie mit gesenkter Stimme hinzu, während ein mutwilliges Lächeln um ihre Lippen aufleuchtete, und sie spie von sich. „Du wirst meine Faust erst dann öffnen, wenn die Henne krähen wird!“ sagt’ ich zu ihm. Und er


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antwortete bloß: „Schon gut, schon gut“ und weiter sagte er nichts. Es traf sich dann später, daß ich in die Tschabanija Salz trug. Ihr werdet wohl wissen, was „Tschabanija“ bedeutet? So heißt die ganze kleine Wirtschaft der Schafhirten, wo sie mit den Schafen den Sommer über wohnen, sie melken und allerlei Käse bereiten. Eine breite Hütte, zusammengeschlagen aus Tannenholz und gelegen auf einem der Berge inmitten grasreicher Wiesen. Ich stieg von der Tschabanija herunter … allein … ringsum nur die dunklen, ranschenden Wälder, die Gräser, die einen fast erdrücken stieg herunter und sang. Plötzlich vernahm ich, wie ein Echo geflogen kam … es kam laut und dehnte sich in die Länge … „u–ch–! Ich horchte auf. Dann sah ich auf den gegenüberliegenden Berg. Hoch droben unter dem Walde breitete sich eine große Wiese aus. In ihrem Grase weideten weiße und schwarze Schafe, und aus ihrer Mitte lief als rolle eine Kugel vom Berge herab – der Schaf

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hirt. Sein langes schwarzes Haar schlug ihm um Hals und Schultern … Er hatte mich erkannt. Und nun – bitt’ um Vergebung für dieses Wort – brüllte er wie ein Stier auf. Er war wie ich’s schon vorhin sagte – nach mir toll geworden. Ich schüttelte nach ihm die beiden Fäuste und lief dann fort. Laufe mir nur nach, dacht’ ich mir, du holst mich ein, wenn du auf dem Kopfe springen wirst! Allein, er war bald unten, und ich verbarg mich hinter dichtwachsenden Tannen … . Er blieb stehen und sah sich nach allen Seiten um wie ein hungriger Wolf. Ihi!“ rief ich plötzlich hinterm Gesträuch und trat hervor. „Da bin ich ja, du blinder Ochs!“ Er stürzte auf mich, ein wirklicher Wolf. „Jetzt wirst du die Faust öffnen!“ sagt’ er zu mir und sah mich an wie der Teufel=selber. Seine Augen sprühten Funken, und sein Gesicht änderte sich. „Ich werde sie nicht öffnen’, sagt’ ich. „Du wirst sie öffnen.“ „Ich werde sie nicht öffnen. „Das werden wir sehen.“


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„Wir werden es.“ Da warf er sich wie ein Wahnwitziger auf mich und riß mir mit einem einzigen Ruck das Hemd auf der Brust auf. „Jetzt wollen wir sehen … schnaufte er, „wer wie eine Henne krähen wird … und drängte mich zu Boden. Da ward ich wild … daß sich Gott erbarm’! „Du, du, du!“ stöhnte ich bloß und begann dann zu ringen. Auf Leben und Tod rang ich mit ihm. Er war riesenstark und außer sich und bemühte sich mit aller Gewalt, mich auf die Erde zu schleudern; ich hingegen wehrte mich mit einer mir selbst unbekannten Kraftfülle. „Du wirst krähen, du wirst krähen.“ stieß er immer von neuem hervor und packte mich bei der Gurgel, um mich endlich doch zu Boden zu werfen. „Du wirst krähen!“ rief ich ihm zu und biß mit den Zähnen in seine Hand hinein, daß er aufheulte! Er heulte auf, und ich sprang auf die Füße und stürzte mich auf ihn. Er griff mich abermals an und diesmal mit einem Gesicht zum Erschrecken; wahrscheinlich wollte er mich ermorden, allein, ich wartete nicht darauf


sondern versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht, nach welchem ich mich nicht mehr fürchtete. „Siehst du meine Faust? Siehst du sie?“ brüllte ich. „Und meine Zähne, siehst du die auch? Zerfleischen werde ich dich – in Stücke reißen wie eine Hündin, zerfetzen … du, du, du!“ Dabei trat ich ganz dicht an ihn, sah ihn an und verging fast vor Zorn! Er stand blaß wie der Tod, ohne Hut – der war ihm vom Kopfe geflogen – und schwieg. „Räuber!“ sagt’ ich zu ihm, mit beiden Fäusten drohend, „glaubst du, mein Stamm sei der letzte? Schmach über dich!“ Dann spuckte ich zornig durch die Zähne und ging fort. Daraufhin hob er den Hut auf und kehrte auf seinen Berg zurück. Ich war schon weit … weit auf dem Rücken des anderen Berges, als er auf der Schalmei ‘) zu blasen begann. Er blies damals sehr traurig und späterhin – als er mit dem Gawrissan zusammengetroffen – erzählte er ihm, daß er geweint habe … So waren diese meine Fäuste. ) Schalmei oder Alpenhorn, ein drei bis vier Meter langes Rohr aus Fichtenbrettchen, mit Birkenrinde überzogen.


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„Und ihr habt euch nicht gefürchtet, Paraska?“ Sie sah die Fragende mit noch funkelnden Augen an. „Weshalb?“ fragte sie. „Das da mag sich fürchten!“ rief sie und ergriff mit einer stürmischen Bewegung ein kleines Hündchen, das zusammengekauert unweit von ihr schlief, und preßte es leidenschaftlich an sich. „Das da! wenn es mir zu viel bellt und ich wild werde und es anschreie; aber nicht ich!“ Dann lachte sie mit weichem Lachen und fügte hinzu: „Wer doch ein Narr wäre, sich zu fürchten!“ „Beim Gawrissan war ich zum Hornvieh aufgedungen. Mir war nur die Arbeit beim Hornvieh und bei den Pferden lieb, die häusliche Arbeit kümmerte mich wenig. Kurz darauf, als ich mit dem Schafhirten gerungen, schickte Herr Kuba aus der Stadt nach mir. Er gebot mir, zu ihm in die Stadt in den Dienst zu kommen. Ich wollte nicht. Ich sei keine Stadtmagd, hatte ich geantwortet, sondern eine Arbeiterin. Ich könne auch zurückkehren, von wo ich gekommen. Den Weg scheue ich nicht.


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Paraska möge hierher kommen, ließ er sagen, „hier bei mir dient ein Wirt aus ihrem Lande, der hat etwas Hab und Gut; der wird sie heiraten, und dann werden beide bei mir dienen!“ Er mag freien, wen er will“ – sagt’ ich – ich werde nicht gehen!“ Und ich ging auch nicht. Er schickte abermals. „Nein“ – sagt’ ich – ich geh’ nicht. Was bin ich denn, um zu einem Manne zu gehen? Ist mir die Welt verschlossen?“ Und damit trat Ruhe ein. Man schickte nach mir nicht mehr und fragte auch nicht mehr nach mir – und es erging mir gut. Die Tage verflogen mir wie Vögel. Kummer kannt’ ich nicht. Was mir Gott auch gab – aber Glück gab er mir! Die Trauer wandten die Sudjilnetzi von mir ab, und – wie man zu sagen pflegt – wen sie lieb gewonnen, dessen Seele vergolden sie; ich hatte Glück!“ „Aus dir selber!“ fügte die Frau hinzu. „Weiß ich’s denn? Ich war glücklich. „Wann wirst du weinen, Paraska?“ fragte mit

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unter Gawrissan und schüttelte dabei mit dem Haupte. Wenn der Regen trocken fallen wird“ – gab ich zur Antwort – „aber bis dahin gebt mir Geld auf Tabak!“ Und er lächelte und gab Geld auf Tabak. Er war gut, der Gawrissan! Ich hätte ihn geheiratet aber er hatte bereits eine Frau. Sie ging in schönen, breiten Röcken und wollenen Tüchern und war eine Hausfrau … schier ein Feuer! Sie verstand jede Arbeit und um verlorene Zeit tranerte sie wie um tote Kinder! Paraska wird weinen, wenn sie sich mit dem Elend verheiraten wird, sprach die Gawrissanin. Ich heiratete Burschen nicht, von denen gegen fünfzehn um mich geworben, arme und reiche, junge und alte – und sollte das Elend heiraten? Aj, aj, das wird mich nicht verschlingen!“ „Das sieht man; dein Leben ist lauter Sonne.“ „Nun“ – sagt’ ich – „Sonne oder nicht Sonne, aber es ist auch keine Trauer … Einmal träumte ich einen Traum. Ich saß – so träumte mir –


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Hütte und spann weiße Wolle. Die Wolle war weiß wie der Schnee, der Fäden aus ihr wurde silbern, das Knäuel aber ward von so prächtigem Silber, wie ich es noch nie gesehen hatte. Ich spann. 9 Plötzlich erschien eine Jüdin und schüttete mir in den Schoß viele, viele Semmeln! Das träumte mir. Und jetzt passet auf. In derselben Nacht, von Freitag auf Samstag, träumte Jurij bei Herrn Kuba in der Stadt, daß ich zu ihm gekommen wär’ und ihm eine Semmel gegeben hätte. Ja, und eine hätt’ ich mir behalten. Nun – glaubt ihr das oder nicht? Daraufhin … bemächtigte sich seiner ein starker Wunsch, um mich zu gehen, mich vom Gawrissan abzuholen … und … mich zur Frau zu nehmen. So hatten es ihm die Sudjilnetzi angethan. Der Herr Kuba hatte ihm von mir schon lange vorher erzählt. Er sagte ihm: „Wenn du Paraska zur Fran nehmen wirst, so werde ich dich bis an dein Lebensende bei mir behalten. Das Mädchen ist wie der Blitz; und es wird euch beiden bei mir gut ergehen.“


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Ein andermal drillte er ihm wieder den Kopf: „Nimm die Paraska zur Frau“ – sagt’ er „sonst schnappt sie dir jemand anderer wie ein Raubvogel eine Henne vor der Nase weg.“ Und er machte sich auf den Weg. Er nahm mit sich auch einen Kameraden, der schon vorher einmal beim Gawrissan gewesen war und mich gut kannte. So kamen sie beide zu uns nach Briasa zum Gawrissan. Ich befand mich in dieser Zeit in einer Hütte auf dem Berge und war mit einer Arbeit beschäftigt. Sein Kamerad kam (er selber – der Jurij blieb im Dorfe nuten beim Gawrissan zurück), blieb am Fuße des Berges stehen und rief mit weithin tönender Stimme: „Paraska he–j!’, daß das Echo wach wurde. „Hej!’ rief ich zurück. „Komm herab! „Was wollt ihr von mir?“ „Gieb mir Feuer zur Pfeife!“ „Und wo ist ener Feuerstein?“ „Ich verlor ihn.“


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„Und meiner fiel ins Wasser!“ Er fluchte dort unten, und ich lachte auf. „Kommst du nicht?“ „Ihr wollt ja Fener „Das wirst du mir schon zu Hause reichen. Deinetwegen ist Jurij gekommen. Komm’ nur schneller hinab, du Hexe!“ Die Zunge mög’ es dir verhexen für deine Nachricht, dacht’ ich mir, und damit benahm mir etwas den Verstand. Nun war er gekommen … was sollte daraus werden? Und ich weiß selber nicht, wie ich vom Berge herabgelaufen bin. Ich weiß nur so viel, daß ich meine Pfeife, die mir Herr Kuba selber geschenkt, verloren – und daß mich irgend etwas völlig verwirrt gemacht hatte. … Und geschämt habe ich mich – aj Gott! Nun, aber es mußte hineingegangen werden. Ich trat ins Haus und … da saß er, wo sich die Bänke vereinigten! Ihr müßt nämlich wissen, daß, wenn ein Bursche ein Mädchen auf alle Fälle zur Frau bekommen will, er sich bestreben muß, vor allen anderen auf der Stelle zu sitzen, wo sich die Bänke – wie sie an


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den Wänden stehen – zusammenfügen. Dann bekommt er das Mädchen bestimmt zur Frau. Damals bin ich im Hause herumgegangen, als watete ich in der Erde bis zu den Knieen. Ich sah nicht, wie er aussah. Ob er jung war oder alt. Ob sein Gesicht schön war oder nicht. Mich hatte etwas gleichsam mit Blindheit geschlagen! – wunderlich war mir zu Mute … schier todesartig! Und er verzehrte mich mit den Augen. Dann bestand er darauf, daß ich mit ihm gehe. Daß ich auf alle Fälle und unter allen Umständen mit ihm gehe. Sprach schon auch mit Gawrissan davon und mit der Gawrissanin; schon heulte auch der Schafhirt, mit dem ich mich geprügelt, in den Stallungen nach mir … schon hatte er allen selbst mitgeteilt, daß er meinetwegen gekommen, und wartete nur noch, daß ich mich auf den Weg mache. Und ich ging – glaubt ihr es oder nicht? Woraufhin gehst du eigentlich?“ fragte die Gawrissanin. „Auf Gottes Güte“ – sagt’ ich. „Nein, die wandelt unter den Menschen herum


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wie die Unruhe!“ brummte Gawrissan, dem es nicht recht war, daß ich ihn verließ. „Bald ist sie da, bald dort, und nirgends macht sie den Platz warm. „Ich werde den Platz warm machen, wo es mir recht sein wird!’ sagt’ ich. „Wen hat das zu kümmern?“ „Und wenn dich Böses anstatt Gutes trifft?“ „Es wird mir nichts Böses begegnen; ich trage meinen Kopf nicht in einem Sacke herum, um nicht zu wissen, was ich thue. Wenn es mir nicht gefallen wird, werde ich zu euch zurückkehren!“ „Da wäre es schon besser, den Ilija (so hieß der Schafhirt) zu nehmen. Das ist ein Bursche wie ein Bär; ist tauglich zu jeder Arbeit, während der … „Heirate ich ihn denn?“ sagt’ ich ihr. „Ich gehe, weil … nun, weil es mich zu gehen gelüstet!“ Gawrissan spuckte vor sich hin; „Pfni!“ sagte er, ,das Mädchen ist verrückt geworden. Fürchtest du dich denn nicht – Mensch?“ „Weswegen? Die Welt gehört Gott und nicht ihm.“ Und ich empfand keine Furcht. Warum sollt’ ich nicht gehen? dacht’ ich mir. 7 Kobylanska, Erzählungen.


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Ich will gehen und etwas sehen. Vielleicht etwas sehr Schönes – und auch die Stadt. Dort wohnt Herr Kuba. Vielleicht schenkt er mir eine andere Pfeife, denn – Tabak schenkt er mir bestimmt! und bei ihm werde ich nicht bleiben, wenn’s mir nicht gefällt … Er aber fragte jeden Angenblick: „Bist du schon fertig, Paraska? Gehen wir doch!“ Ich ließ alle Arbeit liegen … Und wir gingen. Als wir an dem Berge vorüberschritten, auf dem die Schafherden Herrn Kubas und Gawrissans weideten, blies Ilija in die Schalmei. Was er blies, war schwere Sehnsucht! Ich schritt auf den Berg hinauf und – werde ihn niemals vergessen. Da stand er, der Bär, das Haupt umgeben von dichtem, schwarzem Haar, und um ihn herum weideten weiße und schwarze Schafe. Er stand ganz allein und „weinte in die Schalmei! Das that er, solange er uns sah; als wir aber seinen Blicken entschwanden, sandte er uns seine Stimme zwischen die Felswände nach … „u–ch!“ daß es im Herzen wiederhallte. Damals sah ich ihn auch zum letzten Male.



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„Was bedeutet das?“ fragte Jurij und sah mich von der Seite an. Der Schafhirt nimmt Abschied von Paraska,“ sprach der Kamerad; er liebt sie. „Weshalb nahmst du ihn nicht zum Manne? wandte er sich dann zu mir, und hinter Jurij tretend, schnitt er auf diesen ein schiefes Gesicht. „Fühlt ihr Neid?“ fragte ich. „Still, Eidechse … „Ich empfand keinen Wunsch nach ihm … Und so gingen wir. Ich schritt hinter den beiden wie ein Blinder hinter Sehenden. Wir gingen. . Die beiden voraus und ich nach. Ich hörte zu, was sie sprachen; und sie sprachen rumänisch, damit ich nichts verstehe, allein, ich verstand alles; ich lernte diese Sprache von Schafhirten, nur sprechen konnte ich sie noch nicht. Unter anderem sagte Jurij: „Führen wir sie über Gipfel und durch Schluchten, damit sie mir nicht auf und davon gehe!“ Und ich erhob den Kopf und mein Blick überflog all die grünen Berggipfel. … Dann lachte ich;


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doch nein – nur mein Herz lachte, laut lachte ich nicht. Hej, hej, dachte ich bloß … ich bin nicht blind, und meine Füße treten die Erde erst neunzehn Jahre. Werd’ ich keine Lust zum Bleiben haben, find’ ich mich mit geschlossenen Augen zurück! Dann merkte ich mir genau den Weg, den wir gingen, und es war ein dunkler, räuberischer Weg. Abends kamen wir in die Stadt und bei einer Hütte an. Hier verabschiedete sich der Kamerad von uns und ging seiner Wege. Jurij öffnete die Thüre. „Wir gehen also nicht zum Herrn Kuba?“ fragte ich. „Warum sollen wir zu ihm?“ antwortete er. „Glaubst du, ich habe dich für ihn gebracht? Ich weiß, daß er das gewollt, aber ich will es nicht! Er wird schon eine andere Magd finden; kümmere dich nicht darum!“ „Was hat mich das zu kümmern?“ sagt’ ich und dabei dachte ich an die Pfeife. Er hätte mir eine gegeben! Dann sprach Jurij: „Jetzt sind wir schon zu Hause; wirtschafte gesund; koche etwas zum Nachtessen

…, und gab Eier, Milch und Butter heraus.

Du wirst nicht erleben, daß ich dir koche, dacht’


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ich mir; dann stand ich von der Bank auf, entledigte mich der schweren Kleidungsstücke und kochte etwas zum Nachtessen. Beim Nachtessen saßen nur wir zwei; weiter keine lebende Seele; weder Hund, noch Katze, noch eine Henne. Die Bissen blieben mir im Halse stecken … ich erstickte vor Scham. Ich aß, halb abgewandt von ihm. Beim Nachtessen erzählte er mir, daß Gott das Paar erdacht habe. Ich schwieg. Mochte es auch so sein, was kümmerte das mich? Dann gingen wir schlafen. Er sagte, daß er müde sei … . und ich … nun, was eben wahr ist … aber schwer war diese Nacht für mich und lang! Ich träumte von der Gawrissanin. Immerfort zürnte sie mir und fragte: Weshalb gehst du eigentlich? Und auch vom Schafhirten träumte ich. Er stand allein unterm Walde zwischen weißen und schwarzen Schafen und blies in die Schalmei; und späterhin träumte ich, daß er sich bemüht habe, mir die Faust zu öffnen und mich zu Boden drückte. … In der Frühe stand ich gleichsam als eine andere auf … In der Frühe kamen sein Bruder, seine Familie


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und seine Gevattern – eine ganze Gesellschaft – zu uns. Als sein Bruder mich erblickte, that er für eine Weile den Mund auf und sprach dann diese Worte: „Du hast gut dran gethan, Jurij, daß du dieses Mädchen gebracht hast!“ Alle übrigen bildeten einen Kreis um mich und beredeten mich, Jurij zu heiraten. Ein Weib, welches mit Jurij in Freundschaft gelebt, reich gekleidet und die Brust ausgeschmückt mit silbernen Münzen, mit Stirnlöckchen und einem schneeweißen, teuren Handtuch am Kopfe, beredete mich am meisten dazu. „Nimm den Jurij zum Manne; ich werde mit dir wie eine Schwester leben. Und auf alles Zureden sagte ich nur das: „Ohne Trauung werde ich mit ihm nicht leben. Nur diese Worte hatte ich gesagt, und Jurij hörte sie. Kaum hatte er sie aber vernommen, als er auch schon nach der Mütze griff und zum Popen lief. Jurij lief zum Popen, und ich ging im Hause und im Hofe herum und überlegte: Soll ich ihn heiraten? Oder soll ich fliehen? Gawrissan wird mich mit Freuden zurücknehmen, denn ich bin seine rechte Hand … aber dort ist auch der Schafhirt.


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Der könnte ein häßliches Wort sagen … man müßte sich schämen … vor Scham in die Erde versinken … o, besser schon bleiben! Und warum auch nicht bleiben? War ich denn aus eigenem Antriebe hieher gekommen? So hatten es doch die Sudjilnetzi haben wollen! Außerdem war es ja hier gar nicht schlecht. Da war ein Haus, Geld, eine Kuh … das war da … während es ein Mädchenland nirgends gab! So überlegte ich mir und blieb. Zur Hochzeit bereitete ich alles schön vor Fleisch, einen Hammel, Kolatschen und Schnaps, alles, was nötig war; und ging zur Trauung. Ich ging zur Trauung, wie bis zu den Knieen in der Erde. Warum? weiß ich bis heute nicht. Als wir von der Tranung zurückkehrten, fanden wir die Töpfe – leer! Die Gesellschaft, die zu Hause geblieben war, hatte alles aufgegessen; oder vielleicht hatte sie es gestohlen? … Gott weiß es. Daraufhin schürzte ich die Armel und bereitete ein zweites Mittagsmahl, und erst diesmal war alles, wie es sich gehörte. Ich verlebte mit Jurij siebzehn Jahre. Er war ein guter Mann und schlug mich niemals. Nur


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die letzten drei Jahre kam ich mit ihm schwer aus. Er trank, arbeitete aber nichts. Hatte ich die Arbeit verrichtet, so war sie verrichtet, und that ich’s nicht, so blieb alles tot. Dann starb er. Dieses Häuschen da, in dem ich jetzt lebe, haben wir uns beide erarbeitet; das andere mußten wir verkaufen – und es ist gut, daß ich es habe.“ Sie verstummte und klopfte die Asche aus der Pfeife. „Und jetzt lebt ihr so einsam und allein, Paraska?“ begann die Frau nach längerem Schweigen. „Ja,“ entgegnete sie und zuckte gleichgültig mit den Achseln. „Und ist euch nicht bange, immer so allein zu sein?“ „Nein, es ist mir nicht bange. Ich habe zu thun drinnen … und draußen … ich rauche, und es ist mir nicht bange.“ Dann wiederholte sie fast spöttisch: „Wo ist mir denn bange!“ „Und im Winter?“ „Im Winter auch nicht. Ich gehe ums Holz, spinne und schleuße Federn. Auch habe ich Karten, aus denen ich mir wahrsage. Ich wahrsage immer am


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Sonntag=Nachmittag; dies ist der beste Tag; auch am Abend, wenn ich Zeit habe … „Wer lehrte euch, aus den Karten wahrsagen?“ „Ich kann es von selbst. Wenn ich allein sitze, denke ich über Verschiedenes nach. Manches sagen mir die Träume … manches Gott … manches errate ich von selbst … und es ist mir wohl dabei. Wenn nicht das Holz wäre, das mir so schwer zu erlangen ist, würde ich nicht wissen, was Not ist. Nur das Holz zu bekommen ist schwer. Es fällt mir schwer, es zu schleppen.“ Sie hatte etwas am Fuße und hinkte. „Warum hinkt ihr, Paraska?“ fragte die Frau, die durch das Erzählen der Huzulin immer neugieriger geworden war. Sie zog für einen Augenblick die Stirn in Falten. „Daran ist dieser Verfluchte schuld,“ sprach sie, ohne den umdüsterten Blick zu erheben. „Wer?“ „Der Sohn der alten Malwine und meine Schwester.“ „Wieso, Paraska? „So wie ihr’s seht!“


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„Erzählt doch.“ „‘s ist nicht gut anzuhören.“ Und dann erzählte sie es. Aus ihren jetzigen knappen Sätzen ergab es sich, daß sie mit diesem „Sohn der alten Malwine“ gelebt und ihn geliebt habe, wenngleich das Wort „Liebe“ nicht über ihre Lippen kam. Ihre Schwester Thekla wollte den schönen jungen Rumänen (weiß Gott, wozu sie sich hier unter die Kleinrussen gemengt!) für sich gewinnen und verschwärzte sie vor ihm mit allerlei Verdächtigungen. Sie bestrebte sich, ihm zu gefallen, indem sie ihn so oft wie möglich ins Wirtshaus lud, ihm Branntwein kaufte, Geld schenkte, im geheimen seine Wäsche zum Waschen nahm und ihn manchmal sogar zur Nacht nicht nach Hause ließ. Es kam schließlich dazu, daß sich beide besprachen, Paraska ums Leben zu bringen, um sich dann hier auf ihrem Hab und Gut breit zu machen! Er war ein armer Taglöhner, und sie besaß auch kein eigenes Hans. Sie mietete eine kleine Hütte, lebte wie er von ihrer Hände Arbeit, und was sie verdiente, ging auch bald wieder in alle Winde. Er also, der alten


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Malwine Sohn (die alte Malwine war ein braves Weib, und die Karten, aus denen sie nun wahrsagt, hat sie von ihr bekommen), besprach sich eines Tages mit Thekla, sie, Paraska, in den Tod zu schicken. Er schickte sie in die „Teufelsmühle“, welche bei den schönen Wiesen, Schandru genannt, lag, damit sie sich erkundige, an welchen Tagen dort unentgeltlich gemahlen werde. Dann würde entweder er selber oder sie mit Mais dahin gehen und solchen mahlen lassen. Die „Teufelsmühle’ sollte sehr gut mahlen, und an manchen Tagen würde dort für Arme umsonst gemahlen. Der Weg zur Mühle war, wie es hieß, sehr beschwerlich, und der Müller nahm von ärmlichen Leuten keine Bezahlung an, damit sie nur kämen und dann auch andere beredeten, hinzugehen. Von der Stadt lag diese Mühle vier oder vielleicht auch fünf Stunden entfernt. Und sie ging. Sie ging, wie er gesagt. Zuerst auf einem Wege, der sich zwischen schönen Wiesen und Weideplätzen so fröhlich und grün wie das Paradies dahinzog. Später auf einem schmaleren und beschwerlicheren Wege, der sich zwischen zwei Bergreihen verlief. Hier ging sie lange, ohne eine Hütte


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oder ein Lebenszeichen von Menschen zu sehen, wie durch eine Wüste – bis sie endlich, endlich dahin gekommen, wohin er gewollt! Sie war endlich aus den Bergreihen heraus, zwischen denen sie mutterseelenallein geschritten und keiner menschlichen Seele begegnet war; ja, und als sie von dort heraus war, trat sie auch gleich in einen Wald. Und es war kein solcher Wald, wie er die Magura oder den Rung bedeckte – fröhlich wie ein Kind, in den man auch mit geschlossenen Angen hineingehen konnte –, der war so, als stünde er seit der Zeit, als noch die Gotteshand die Welt erschaffen. Er war alt, dicht wie ein Sieb … und finster ach, du großer Gott! Sein Rauschen überschwemmte die Luft und war so lant, daß es einen zwang, auf die Kniee zu fallen und zu beten, damit einen nichts Böses packe. Und es gab keinen Weg, der durch diesen Wald führte; nur ein Bach lief geradeaus wie eine Schnur. Dieser Bach sollte sie bis zur Mühle führen; in ihm sollte sie gehen. Sie ging in diesem Wasser. Aus dem Wasser ragten große Steine, scharf und


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kantig, und hinderten im Gehen; das Wasser war reißend, stellenweise vor Bosheit schäumend; seine Kälte drang bis an das Mark und brach die Füße! Trat sie jedoch aus demselben auf den Rand des Waldes, um ein paar Schritte im Trockenen zu thun und um sich zu erwärmen, mußte sie auch gleich wieder hinein: Am Waldesrande war die Erde durchfeuchtet, und es wuchs daselbst so viel Gestrüpp, daß es auch den menschlichen Verstand überwucherte. Dabei war es so hoch und üppig, so dicht und kräftig, und sie war barfuß!. Da lag zum Beispiel ein Baum – dick wie die Hälfte ihrer Hütte, gestürzt durch weiß Gott wessen Hand. Sie wollte über ihn schreiten, er gab unter ihren Füßen nach, und unter dumpfem Krachen fiel sie in ihn bis zur Brust hinein! Er war morsch! Er war uralt, hatte seine Zeit ausgelebt, fiel zur Erde und moderte langsam unberührt im Staube, unberührt auch von den Strahlen der Sonne! Hei, hei, was war das für ein Weg! Und diesen Weg ging sie – sie mag es gar nicht sagen, wie lange! Sie trat aus diesem Walde wie aus einer kalten


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Nacht heraus und trat zwischen zwei hohe Felswände, welche gleichsam auf eine Menschenseele harrten, um sie sogleich zu zermalmen. So dicht standen sie einander gegenüber. Sie und vielleicht noch so eine wie sie konnten da nebeneinander gehen, aber sonst niemand. Und wie es da kalt war und frostig wehte … und warum nicht? Das Wasser war kalt, über dem Wasser herrschte Kühle, die Sonne wagte sich bis hierher auch nicht herein … und es kam, wie es kommen mußte. Und warum kam dieses Unglück? Und war sie auch irre gegangen? Hatte sie einen falschen Weg eingeschlagen oder führte sie etwas Böses? Er sagte, daß der Weg schlecht sei, sagte aber, daß er später weit besser werde, sie möge nur tüchtig vorwärts gehen, und in der Mühle würde sie schon ausruhen und übernachten. Sie mußte also gehen. Ein beschwerlicher Weg war noch kein Unglück; vor einem schlechten Wege hatte sie auch keine Furcht, nur empfand sie Angst vor … vor … so etwas, was man nicht sieht


Sie und vielleicht noch so eine wie sie konnten da gehen, aber sonst niemand. (S. 110.)


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und es fühlt … nach welchem man sich umsieht … allein, was sollte sie thun? Aber es sollte schon sein, wie es sein mußte. Sie wollte schon ans Ziel kommen, hatte keine Ruhe, um diese Mühle endlich einmal zu erblicken! Es wurde ihr so seltsam zu Mute, so bange … sie begegnete niemandem … nicht einmal menschliche Spuren waren da … aj, gar menschliche Spuren! Sie wollte rauchen, damit ihr das Herz leichter würde, denn auch das Herz ward ihr immer schwerer, als hinge sich etwas Häßliches daran – aber sie hatte keine Pfeife. Sie war ein paarmal hingefallen und die Pfeife war ihr aus dem Gürtel herausgeflogen! Und so ging sie, die Armste. Vielleicht würde die Sonne endlich doch einmal hereinleuchten, würde eine wärmere Luft hereinwehen! … Sie war so erfroren

inmitten des Sommers,

am Tage, war sie bis an die Knochen erfroren. Glaubt ihr das jemand oder nicht? Welch ein Gespenst hatte hier eine Mühle aufgebaut? Welchen Nutzen brachte sie? Und wer würde diesen unmöglichen Weg gehen? Hier konnte man weder mit Pferden noch mit Ochsen, weder mit Wagen noch mit


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Schlitten durchkommen. Hier war das Ende der Welt … und ein Paradies für Ranbvögel und Bären … hier hörte alles auf. Die Felswände gingen zu Ende. Sie trat aus ihnen wie aus einem Thore heraus. Sie trat heraus, blieb stehen und erstarrte. Was lag vor ihr? Vor ihr lag wieder Wald. Derselbe Wald, den sie hinter sich gelassen, dunkel, grenzeulos … kraftvoll wie für die Ewigkeit … und dabei still nein, er war verzaubert … denn was war das für ein Rauschen, welches sich in den Lüften übereinandertürmte? Sie hatte solch ein starkes Rauschen nie vernommen, durch wie viele Wälder sie in ihrem Leben auch geschritten! Es erstickte, goß sich in die Ohren, brauste, und dabei war es doch so still … o großer Gott, o Christus! Diese Stille lockte einem die Seele aus dem Leibe, und man fühlte, wie man sie verlor. … Und ans dem Walde unweit vor ihr erhoben sich zwei himmelhohe, spitze Felsen in die Höhe – der Raryw!![10]


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Sie stand und starrte vor sich. Sie sah, daß die Felsen vom Sonnenlicht vergoldet waren, daß die Sonne im Sinken war … über dem Walde hing die Nacht; und dann sah sie wieder den Wald Ihre Seele verdunkelte und erhellte es plötzlich, als durchzucke sie der böseste Blitz; dann fuhr es in sie wie ein Messer, und mit einem Male wußte sie es: das war die Teufelsmühle! das war ihr Rauschen, welches so die Luft überschwemmte, während sie mahlte Sie wimmerte auf. Er hatte sie genarrt. Er schickte sie hierher, damit sie irre gehe, damit sie sich den Kopf zerbreche,

ein wildes Tier sie zerreiße oder damit sie der Böse hole! In ihr brauste der Zorn auf und entfesselte die Seele. Sie verlor auch fast die Besinnung. Wo war er, damit sie ihn totschlüge? gegen diese Felsen dort schleudere, daß er in tausend Stücke zerflöge, und die Raubvögel, die umherkreisten, ihm die Augen herausnähmen? … damit sie ihn mit eigenen Händen totschlüge oder zerdrücke wie eine Schlange – sie 8 Kobylanska, Erzählungen.


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schrie auf, sich mit beiden Händen in die Haare fahrend … Dann rannte sie gegen die erste beste Tanne und schlug mit dem Kopfe gegen sie … Sterben sollte sie! Sterben sollte sie gleich, nachdem es schon dazu gekommen war! Dann sah sie sich um. Und sie wußte nicht, ob sich die Welt in ihren Blicken verdunkelt hatte oder ob die Nacht herabkam. Es kam die Nacht herab O Christus! Und sie verfluchte ihn hier. Und in einer guten Stunde verfluchte sie ihn; Gott selber oder auch der Böse legte ihr diesen Fluch auf die Lippen, denn er ereilte ihn. Sie preßte die Hände gegen den Kopf, um nicht den Verstand zu verlieren. Oder – vielleicht hatte sie ihn schon verloren? Sie wußte und wußte doch nicht, was mit ihr vorging. Was jetzt beginnen? Sollte sie hier nächtigen oder weitergehen? Sie wußte bereits, daß es hier keine Mühle gab, und daß alles, was sie sah und hörte, die Teufelsmühle sei! Und nächtigen oder zurückkehren war einerlei. Der Tod würde sie holen, wenn sie bliebe, und würde sie


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mitnehmen, wenn sie ginge. Wie war es möglich, in dieser Hölle zu nächtigen, wo die Teufel bei Tage mahlten? … Dann stieg ihr plötzlich alles Haar zu Berge: wenn Mitternacht kommt, wird sie ohne Licht sterben! … Ach, wie ward ihr so schwer! In ihrer Brust schien sich alles Blut angesammelt zu haben vor Weh, Zorn und Angst. Um sie herum lag schwarze Dämmerung, und etwas senkte sich wie eine Wolke herab. Aus dem Walde gähnte Finsternis – der Tod. Aber es sollte nun schon sein, wie es zu sein hatte. Es war doch immer besser, umzukehren. Wenn sie zu leben und noch Tage und Stunden vor sich hatte – würde sie alles überstehen. Bis hierher hatte sie immer Glück gehabt, vielleicht würde es sie auch jetzt nicht verlassen. Die Füße schmerzten sie; sie zitterte vor Kälte und sollte wieder ins Wasser zurück! Wenn doch wenigstens der Mond schiene … aber wird sie zwischen den Felswänden etwas davon haben? Als sie wieder aus dem Felsenthor heraus war, leuchtete auch schon der Mond. Aber nun sollte sie wieder in den Wald hinein. Es war da bei Tage 8*


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unheimlich zu gehen und gar erst, als die Nacht herabkam! … Lieber will sie davon nicht reden. Und wieder watete sie im Wasser. Böse Stellen, welche sie bei Tage vorsichtig umschritt, waren ihr jetzt gleichgültig. Sie wußte nur, daß, wenn sie im Wasser ging, sie nicht fehl ging, und daß es ihr in der Seele leichter war, wenn sie das Murmeln und Geplätscher in der schwarzen Stille hörte. Manchmal stahlen sich die Mondstrahlen durch das Gezweig, das dicht war wie ein Netz, und spielten für kurze Augenblicke auf dem Wasser; und das war das ganze Licht, das sie sah. In solchen Momenten gewahrte sie, wie sie geradeaus auf den oder jenen scharfen Stein zuschritt, der, aus dem Wasser herausragend, tölpelhaft harrte, auf daß sie sich an ihn stoße; allein, wo dachte sie noch an den Schmerz in ihren Füßen! Die hatte sie sich schon so wund gestoßen, daß, wenn es Tag wäre, man vielleicht sehen könnte, wie ihr Blut das Wasser gefärbt Dann fiel sie wieder in morsche Bäume bis zur Brust. Sie hatte sich die Hand zerschunden … da, da blieb noch ein Zeichen – und als sie sich aus einem Banme herausarbeitete, da war ihr über


die Hand etwas Feuchtkaltes geglitten, wovor es sie noch jetzt schüttelt. Nur an eines kann sie sich nicht entsinnen, sie ging wie ohne Bewußtsein –: ob der Wald auch bei ihrer Rückkehr gerauscht? Und ob da so stark wie drüben hinterm Felsenthor? Sie glaubt, er habe nicht mehr gerauscht … . Und sie hatte sich ausgerechnet, daß, wenn sie aus diesem schrecklichen Walde herauskommen würde, gerade auch Mitternacht sein werde. Dann würde es sich auch entscheiden, ob sie leben oder sterben würde. Sie schaute sich nicht um. Ihr schien’s, als trüge sie etwas Schreckliches, Schweres auf den Schultern, welches sie jeden Augenblick zum Lachen kitzeln werde. Vielleicht trug sie auch etwas? Konute sie es denn wissen? Gott weiß es. Aus der Tiefe des Waldes drängte sich etwas gegen den Rand des Baches; durchsichtige, weißliche Gespenster. Sie schienen sich vom Erdboden zu erheben und dehnten sich im Gezweige aus. Manche drängten sich bis an ihre Brust und wollten sie ersticken, indes, sie hatte es bemerkt, schlug drauf los mit beiden Fänsten und ihr ward leichter. Als sie aus dem Walde heraustrat und sich zum


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ersten Male nach seiner Tiefe umschaute, da – Gott möge jeden davor bewahren! – kitzelte sie plötzlich etwas so stark, daß sie aus vollem Halse auflachte … nein, aufschrie. Und Gott gab, daß sich dieser Aufschrei zuerst im Walde verlor dann laut und deutlich an ihr Ohr schlng und sie wieder zur Vernunft brachte. Irgend etwas wollte ihr den Verstand nehmen: das, was sie auf dem Rücken getragen, und was sie gekitzelt. Glaubt ihr das jemand oder nicht? Nun aber begann sie auch zu laufen! Sie lief, lief den ganzen düsteren Weg, wie er sich zwischen den zwei Bergreihen zog, bis sie zwischen die schönen Wiesen und Weideplätze kam. Hier standen hie und da Hirtenhütten, bei denen das Vieh, in kleine Herden zusammengedrängt, nächtigte, und erst hier ward ihr leichter. Hier leuchtete der Mond ganz taghell, und hier erblickte sie die Welt. Sie sah die Berge, wie sie sie noch zu Mittag geschaut, den Himmel, mit den heiligen Sternen besät, und einmal bellte auch irgend ein Hund, der beim Vieh wachte, und das beruhigte sie wie eine menschliche Stimme.


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Überall lag Stille … das schreckliche Rauschen verlor sich, und man sah und fühlte: hier herrschte die Gotteskraft Aber von jetzt an vermochte sie nicht mehr zu laufen. Aus ihren Füßen schwand die Kraft, als hätte sie sich irgendwo verloren, und sie schleppte sich nur noch vorwärts. Nächtigen wollte sie nirgends. Wie sollte sie dann auch in der Frühe durch die Straßen und an den Wohnungen bekannter Wirtinnen vorbeigehen? Was sollte sie von den blutenden Füßen, von den zerfetzten, kotbespritzten Kleidern erzählen, und daß sie wie ein Mädchen, ohne Tuch am Kopfe, heimkehre? Und ihr schönes, rotes Tuch! …. ach, ach, wo blieb das nur! Vielleicht war es gut in Teufelshänden aufgehoben Und sie schleppte sich langsam, langsam, wie eine Blinde oder wie eine Zerschlagene oder wie das Alter selber – bis sie sich endlich an ihre Hütte herangeschleppt. Als sie an das Thor heranhinkte, bemerkte sie in den Fenstern Licht. Er war zu Hause. Sie trat an das Fenster und blickte hinein … und sah: auf ihrem Bette lag ansgestreckt ihre Schwester,


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mit verworrenem Haare … häßlich, häßlich, und schlief. Unweit von ihr, beim Ofen … saß er und nähte etwas Sie begann plötzlich zu zittern. Die Füße schwankten unter ihr, und aus ihrem Herzen stieg ihr etwas Schreckliches geradeaus in den Kopf. Es überkam sie die Lust, das Haus anzuzünden oder irgend etwas anzustellen, um ihn und sie aus der Welt zu schaffen … aber dann schwand diese Lust, wie von jemandes Hand abgewendet; sie fühlte keinen Schmerz und kein Weh mehr. Ihr ward alles gleichgültig. Sie war nur ermattet, entkräftet, sie fühlte Schmerz im ganzen Körper, und in den Füßen stach es wie Schlangenbisse – sie brach fast zusammen. Im Kopfe sanste es ihr … das böse Waldranschen hatte sich in ihrem Kopfe verfangen, und dazwischen summte es wie Bienenstimmen. Dann schleppte sie sich in den kleinen Schuppen, der, an das Haus angebaut, von einem alten Weichselbaum beschattet war, warf die Pelze von sich ab … warf sich auf dieselben, bekrenzte sich – und schlief ein. Als sie am nächsten Morgen erwacht und aufgestanden war, fand sie das Haus leer. Weder er noch sie war anwesend.


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Und sie schlief noch einen ganzen Tag und eine ganze Nacht, und als sie am nächst=nächsten Morgen aufstand, war sie fröhlich und kräftig wie damals, als sie sich auf den Weg in den Tod machte.“ „Und als er kam, Paraska?“ fragte die Fran. „Als er kam,“ erzählte sie, „da fütterte sie gerade ihre Hühner. Als er sie erblickte, spie er aus. „Nun, fragte er, „warst du in der Teufelsmühle; wann wird man mahlen?“ „Deine Sünden mögen dich zermahlen, sagte sie ihm, mehr nichts. Und sie sprach zu ihm während fünf Tage kein Wort. Sie hieß ihn nicht bleiben und hieß ihn nicht fortgehen. Sie kochte ihm kein Essen, zündete kein Licht an, wenn er des Abends von der Arbeit kam, und als er am Sonntag klagte, daß er keine reine Wäsche habe, sagte sie bloß: „Ich bin nicht mehr da.“ „Und Thekla?“ „Als Thekla bei ihr erschien, fühlte sie Schmerz, als ob hundert Schlangenzungen sie gestochen hätten. Sie sprang auf und griff nach der Axt. „Wirst du aus meinem Hause gehen, Hündin?“ schrie sie auf.


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„Ei, schaut doch! Bist du verrückt?“ rief diese

zurück und starrie sie mit ihren Zwiebelaugen an … Wirst du gehen? Wirst du gehen?“ schrie sie immerfort dasselbe; „gleich giebt’s deinen und meinen Tod. Und schon hob ihr etwas die Hand, um ihr die Axt in den Kopf zu tauchen, aber Gott gab, daß sie gegangen war, und die Sünde wandte sich von ihr ab. Sie warf die Axt unter den Ofen und wischte sich den Schweiß von der Stirne ab … ach Gott! Am fünsten Tage ging sie in die Stadt. Er holte sie ein. „Gieb mir zwei Gulden, sagte er ihr. „Ich gebe sie nicht.“ Wirklich? höhnte er sie. Sie schwieg. „Du giebst sie nicht?“ Ich gebe sie nicht. Er spie vor sich und schob sich den Hut zur Seite. „Du giebst sie nicht?“ Ich gebe sie nicht.“ Da versetzte er ihr einen Schlag ins Gesicht. „Da hast es!“


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Die Welt drehte sich mit ihr im Kreise, verfinsterte, verdunkelte sich. Funken tanzten vor ihren Augen auf und ab … und sie fiel nieder. Daraufhin ergriff er sie beim Fuße, warf sie über den Rücken wie einen Sack und trug sie nach Hause. Hier schlenderte er sie unterm Hause auf die Lehmbank. „Stirb! Als sie zu sich gekommen war und aufstehen wollte, konnte sie es nicht. Der Fuß war aufgeschwollen und schmerzte sie. Wer einen solchen Schmerz nicht kennt, der möge ihn auch nicht kennen lernen. Und sie verfluchte ihn zum zweiten Male. Und in einer guten Stunde verfluchte sie ihn; Gott selber oder auch der Böse legten ihr diesen Fluch auf die Lippen, denn er ereilte ihn. Nach einer Woche kehrte er zurück. Woher? Sie wußte es nicht. Sie fragte nicht. Schon hatte sie für ihn das Herz verloren und wartete nur noch, damit der Fluch in Erfüllung gehe. „Gnten Abend, sprach er. „Guten Abend. Und das war auch das Ganze. Sie ging im


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Hause herum … nein, schon hinkte sie und stützte sich auf den Stock, suchte sich Beschäftigung, und zu ihm sprach sie kein Wort, als hätte sie den Mund voll Wasser. Ich möchte etwas essen, Paraska!“ sagte er und warf sich ermüdet aufs Bett. Iß, was du gekocht hast!“ antwortete sie ihm. Er aber lag da … lag eine zeitlang … und dann begann er zu weinen, gerade wie ein angeschossener Wolf, so heulte er. Sie sagte nichts. Weine nur, dachte sie sich, solange bis du die Hölle unter dir ansgelöscht hast; ich habe für dich kein Herz mehr! Die ganze Nacht weinte er. Auch am nächsten Tage weinte er. Er ging herum, suchte seine Wäsche zusammen, spaltete ihr Holz und weinte dabei immerfort. Dann endigte der Tag. Abends sprach er: „Paraska, ich gehe in die Badestadt Dorna=Watra auf Arbeit in eine Brettsäge. Lebe wohl!“ Gehet gesund!“ hatte sie ihm darauf erwidert. Gott helfe euch!“ Er ging und kehrte bis zur Stunde nicht mehr zurück.“


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„Was geschah denn mit ihm, Paraska?“ „Ei was!“ antwortete sie. „Er ging gar nicht nach Dorna=Watra. Er bestahl hier einen Inden, denselben, zu dem er immer mit Thekla auf Branntwein gegangen, und entfloh dann nach Rumänien. Während der Flucht brach er sich eine Hand und verlor alles Geld. „So hat es dir Gott gegeben, sagte ich, als ich dies vernommen. „Du brachst mir den Fuß, und Gott brach dir die Hand.“ Die alte Malwine, seine Mutter, weinte und erzählte, daß er für immer zum Krüppel geworden sei und betteln gehe. Nun, aber so hat er’s selber gewollt.“ „Ach, Paraska, ihr wußtet nicht einmal, wen ihr im Hause gehalten!“ sprach die Frau. „Er hätte euch noch ermorden können!“ Sie schüttelte mit dem Kopfe und lächelte: „Was hätte er auch von mir genommen? Ich bin arm, und meinen Körper hätte er nicht für Geld umgetauscht. Übrigens … ehe er mich erschlagen hätte, hätte ich ihn erdrosselt. Ich fürchte mich nicht!“ „Ihr fürchtet euch nicht … und doch! Er hat euch genarrt und verletzte euch den Fuß für immer!“


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„Nun,“ meinte sie und zuckte mit den Achseln, „so haben es auch vielleicht die Sudjilnetzi gewollt. Dafür strafte ihn auch Gott. Weil das eine ist, muß auch das andere sein.“ „Und wie ward es mit Thekla? Habt ihr euch mit ihr nicht ausgesöhnt?“ Sie spie vor sich und begann von neuem ihre Pfeife zu stopfen. „Was hätt’ ich denn auch mit ihr sonst thun sollen? Sie näherte sich mir wieder … und so mochte ich ihr schon die Thüre vor der Nase nicht zuschlagen. Eine Schwester … mag sie nun einmal gut oder böse sein : … ist immer eine Schwester. Ich lebe mit ihr der Leute wegen. Die Leute sollten sich den Mund nicht mit unnützen Worten vollstopfen, aber ein Herz habe ich für sie nicht mehr. In einer Woche darauf, als ich sie totschlagen wollte, nahm sie ein blindes Kind, ein dreijähriges Mädchen, zu sich als eigen auf. Es war gewiß, das Gewissen ließ sie meinetwegen nicht in Ruhe oder vielleicht gab ihr Gott den Traum, die Waise zu sich zu nehmen. Und sie that gut daran, dem Willen Gottes zu folgen, denn vielleicht wird ihr dafür in jener


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anderen Welt was Gutes zu teil. Und das arme blinde Eugelchen … das lächelt so lieb zu ihr … starrt mit den lichtlosen Augen nach ihr … thut, als spinne es immerfort mit ihr zusammen. O, du teure Duschinka’)! Vielleicht erspinnst du ihr noch den Eintritt in das Himmelreich!“ „Und dann, Paraska … dann bliebt ihr allein … nicht wahr? „Nun ja, … ich lebte fast allein,“ erwiderte sie etwas zaghaft. „Eines Tages nahm ich noch einen Meister bei mir auf … auch wieder einen Rumänen. Er war weder alt noch jung und ein Witwer. Ich dachte: Wird er mir gut sein, wird es auch ihm gut gehen; wird er aber irgend ein Übel auf den Mund küssen, so wird sich für ihn auch eine Thür im Hause finden.“ „Wie könnt ihr nur so gleich den ersten besten Mann ins Haus nehmen?“ fragte die Fran vorwurfsvoll. „Habt ihr denn keine Furcht? So ein alleinstehendes Weib wie ihr

und noch dazu nicht mehr so

stark!“ Ihre Angen leuchteten auf, und ein fröhliches


)Seelchen, Herzchen.


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Lächeln überflog ihr Gesicht. „Aj, aj, ein alleinstehendes Weib! Bin ich denn zuzweit zur Welt gekommen, um mich allein zu fürchten?“ antwortete sie. „Wer war mit mir, als ich mit Jurij ging? Kannte ich ihn? Er kam und ich ging. Und damals wußte ich nicht einmal, ob es mir bei ihm gefallen würde, und doch ging ich. Ich hatte Glück gehabt. Ich fürchte mich niemals. So gab es mir Gott, daß ich mich niemals fürchte. Immmer denke ich mir: was zu sein hat, wird auch so sein.“ „Nun, und wie wurde es mit dem Meister?“ „Nichts wurde es. Eine zeitlang ging es gut. In der Frühe ging er auf Arbeit und abends kehrte er heim. Abends spaltete er mir Holz, half bei der Arbeit drinnen und draußen, und es ging alles gut. Ich dachte: nun werd’ ich jemanden haben, dem ich mein Haus verschreiben kann, wenn ich sterbe! Allein, es wandte sich zum Bösen. Er fing an, betrunken nach Hause zu kommen. Das eine Mal, das zweite, das dritte Mal; das war schlecht. In der Nacht schlief er nicht, sondern warf sich unruhig hin und her und sprach sinnloses Zeug durcheinander, daß einem angst und bauge wurde.


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Er stand auf und schrie, manchmal wachend, manchmal im Schlafe; legte sich wieder nieder … stand wieder auf … ach Gott! Er lag im Bette, und ich lag bei der Thüre auf der Bank. Lag zusammengekauert und schlief ganze Nächte nicht. Und Gott gab mir immerfort diesen Traum: er wird dich noch ermorden! Was war da zu thun? Und ich dachte mir: ein Unglück hat mich aufgefunden und macht sich bei mir breit; mög’ es doch ersticken! Ich grämte mich, schlief nicht, er aber trieb immerfort sein Unwesen. Und es war nicht genug daran; nein; er … begann mir den Kopf mit Dummheiten zu drillen. Darauf ward ich wild, wie er mich niemals gesehen – sagte ihm, aus welchem Stamme ich sei, und warf ihn aus dem Hause hinaus. Er kam dann noch während einer ganzen Woche jeden Abend und versuchte hereinzudringen; pochte und hämmerte an der Thüre – aber ich gab keine Antwort. Mög’ es dir im Kopfe herumpochen! dacht’ ich mir und rührte mich nicht vom Ofen. Was hab’ ich für eine Ursache, dich im Hause zu halten, wenn du mir nicht gefällst? Giebt es denn 9 Kobylanska, Erzählungen.


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keine anderen Meuschen auf der Welt? Ich kann mein Leben auch allein leben, und wenn ich das nicht will, so habe ich keine Furcht, daß ich nicht jemanden finde. Ich finde schon, wen ich will. Er scherte sich dann fort. Er begegnet mir manchmal, bald da, bald dort, traktiert mich mit Tabak und sagt mir jedesmal: Liebes Frauchen – sagt er mir – mir thut das Herz um euch sehr weh! Und ich antworte ihm: Guter Meister – euch thut das Herz um mich weh – mir aber thut das Herz um euch nicht weh! Und so ist es. Jetzt bin ich wieder allein. Ich lebe, wie es sich trifft. Einmal gut, das andere Mal schlecht; wie es schon die Zeit mit sich bringt. Etwas Ausgewähltes giebt es nicht. Und wie es auch sein mag – aber Glück hab’ ich immer. Auch Tabak habe ich immer. Mag es ein, zwei Kreuzer sein – aber ich habe sie.“ „Das ist mir aber auch ein großes Glück!“ warf die Frau mit unverhohlenem Spotte in der Stimme ein. Doch jene sah die Sprechende mit ihren klugen Angen an.


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„Was für eines einem eben zufällt!“ sagte sie. „Trauern? Ich traure nicht, weil Gott mir um nichts zu trauern gegeben; ich würde das auch gar nicht treffen. Ich thue, was mir einfällt. Essen habe ich, froh bin ich auch – gut ist mir … und vielleicht wird’s auch noch einmal besser! Ein altes, altes Väterchen … ein schneeweißer Mann, sagte mir, daß ich ein großes Glück bei mir habe. Noch als Jurij lebte! Eines Tages sammelten wir Weichseln. An einem Samstag. Ich war oben auf dem Baume und Jurij auf der Erde. Er sammelte, was zur Erde fiel. Da kam ein altes Väterchen und bat um eine milde Gabe. „Trage ihm eine Schüssel voll Mehl heraus!“ gebot Jurij. Ich war mit einem Satze unten und trug ihm das Mehl heraus. „Nun, sprach er, „wenn du schon so barmherzig bist, daß du es mir schenkst – so trage es auch nach meinem Hause. Mein Haus liegt nicht weit von hier. Dafür will ich dir aus meinem Schicksalsbuche dein Schicksal herauslesen!“ Ich trug ihm die Gabe in seine Hütte, und er zog aus einer Kiste ein dickes Buch und las mir 9*


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daraus. Las alles heraus, was bis dazumal war und was noch zu sein hatte. Er las heraus, daß ich nicht von hier sei, daß Inrij mir zum Manne bestimmt, daß ich ein Unglück mit meinem Fuße haben würde und noch vieles, vieles andere. „Du hast ein solches Glück“ – sagte er – „welches dich nie verlassen kann; und so steht es dir bis an deinen Tod bevor: Glück, Heiterkeit, Frende. Die Trauer fehlt in deinem Leben. Lebe dein Leben gesund bis an die letzte Stunde.“ Darum sag’ ich, daß ich Glück habe!“ Nach leichtem Sinnen sprach sie: „Wenn ich auf einen Menschen treffe, der gut sein wird und dem ich mein Haus hinterlassen kann, wenn mich der Tod holt … so werde ich ihn zu mir nehmen. Und wenn sich kein solcher trifft, bleibt es, wie es ist.“ „Nehmt eure Schwester zu euch.“ „Meine Schwester? Aj Gott! Da würde ich erst recht ohne Licht sterben. Nein; zu ihr zieht es mich nicht hin. Ich werde allein bleiben. Das Sonnenlicht wird mein Haus nicht meiden!“


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Und sie ist auch bis nun allein. Sie wirtschaftet, macht sich in ihrem Hause und Garten zu schaffen, und ihr „Vieh“, der Hund, die Katze, die Hühner und zwei schöne, reingehaltene Ferkel, die Iwan und Paraska heißen, folgen ihr auf Schritt und Tritt. Manchmal geht sie auf Heuarbeit zu gut bekannten Bauern, und diese Arbeit, die ihr die liebste ist, bringt sie in die beste Laune. Sonntags kleidet sie sich kokett und geht in die Kirche; nachmittags bekommt sie Besuch, und wenn das nicht, dann lehnt sie sich bequem auf die Prispa! [11] am Hause, in ihrer gewöhnlichen Gesellschaft, und raucht ihre Pfeife. Im Vorbeigehen rufen ihr bekannte Bäuerinnen zu: „Kommt in die Stadt, Paraska!“ „Ich habe meinen Geldbeutel verloren und hab“ kein Geld, Branntwein zu kanfen!“ giebt sie scherzend zur Antwort. „Kommt nur so zum Vergnügen, irgend etwas Schönes anzusehen!“ „Ich fürchte, daß mich jemand mit bösen Augen



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besieht! ich habe Kinder: und damit streichelt sie dasjenige, was ihr am nächsten liegt; die Katze, den Hund oder eines der Hühner. Und die Bäuerinnen gehen beleidigt von dannen. „Wie stolz Paraska thut!“ Aber trotzdem sind sie ihr gut. „Sie ist eine gute Nachbarin; kennt verschiedene Kränter und hat auch eine geschickte Hand. Giebt sie etwas – gerät ihr alles.“ Eines Morgens stieg sie auf die Magura um Himbeeren und erstieg nach und nach den Gipfel. Als sie die Kanne voll hatte, wandte sie sich gegen die südliche Seite, von der abzusteigen leichter war. Da zog sich der Wald nur streifenweise, breiteten sich schöne, grasreiche Wiesen aus, und die Magura fiel sanft ab. Sie befand sich gerade auf der höchsten Wiese und setzte sich nieder, um auszuruhen. Sie war sehr befriedigt. Für die Himbeeren bekommt sie Geld und wird sich dafür etwas anschaffen. Was? weiß sie noch nicht, aber irgend etwas wird sie sich kanfen. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirne. Das Tuch, welches um den Kopf gebunden war, fiel


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frei über den Hals auf den Rücken und machte ihr heiß. Dann zog sie ihre Pfeife hervor, stopfte sie mit Tabak und rauchte. Rings um sie war es grün. Weit und breit sah man nur die Gipfel anderer Berge – denn die Magura war hoch – und den Himmel, der rein und blau und so licht war, daß die Lider sich unwillkürlich über die Augen senkten. Hoch über alle anderen Gipfel ragte der Felsen Raryw. Ihn umgaben unbegrenzte dunkle Waldungen, über denen fast immer bläuliche Nebel wie über sumpfigen Gegenden lagerten. Aus diesem Walde, nahe den stolzen Felsen, ragten zwei gleiche, einander gegenüberstehende Felswände wie ein Spalier, das gleichsam den weiteren Weg zu den Steinriesen wies. Dort war die „Teufelsmühle“ Und sie blickte lange dahin. Sie spie von sich. Sie war ja doch dort gewesen! Verlor dort ihr wunderschönes hellrotes Tuch und eine funkelnagelneue Pfeife! Hui, welch eine Pfeife! Nur Herr Kuba kaufte solche Pfeifen. Dann lachte ihr Herz. Welch einen Schrecken stand sie in jener


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häßlichen Mühle aus: fast hätte sie ihren Verstand dort gelassen! Nun … aber sie hatte Glück und alles nahm ein gutes Ende; hätte das aber jemand anderen getroffen … ach Gott! Der bliebe bis heute dort … So saß und sann sie über Verschiedenes nach; erinnerte sich an dieses und jenes, und als sie ihre Pfeife zu Ende geraucht, dachte sie an die Heimkehr. Morgen ist Sonntag, und sie will auf den Rung um Schwämme gehen. Er liefert jahraus jahrein die prächtigsten Schwämme; sie will sich von ihnen ein paar Kränze trocknen, welche ihr einmal, wenn der Winter mit seinem Schnee kommt, gut zu statten kommen werden. Allein, zu Hause gab es Arbeit, welche für heute und morgen gemacht werden mußte. Auch mußte sie noch mit den Zigennern zusammentreffen. Der alte Zigenner bat sie, ihm ein paar Sechser zu leihen, wofür er ihr demnächst Holz aus dem Walde zu bringen sich verpflichtete. Wenn er überhaupt die Wahrheit sprach! Er log ja fast mit jedem Worte! Sie wollte ihm aber das Verlangte bei der Rückkehr geben; wollte schon auch heimkehren; die Zigenner würden nach ihr ausschanen. Sie wissen,


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von welcher Seite sie auf die Magura um die Himbeeren gestiegen ist und von welcher sie herabsteigen muß. Sie kannten sich hier aus wie die hungrigen Raubvögel! Sie ist jedoch so müde und hat keine Lust, sich von der Stelle zu rühren. Wenn sie die Arbeit heute nicht verrichtet, kann sie morgen nicht um Schwämme gehen; aber … schlug denn schon ihre letzte Stunde? Und wenn es morgen schon mit dem Morgengrauen zu regnen anfinge? Und wenn es heuer überhaupt keine Schwämme gäbe? So ersann sie sich Entschuldigungen, narrte sich selber, um nur länger sitzen zu können. Und es saß sich gut da. Dann entdeckte sie weit von sich auf einer Wiese eine Koliba[12] und daneben weidendes Vieh. War jemand in der Koliba? Oder stand sie leer? Es überkam sie eine lebhafte Lust, eine jugendliche Neugier, irgend etwas zu erfahren, hier in der Einsamkeit eine menschliche Stimme zu vernehmen. Sie rief aus voller Brust und mit ihrer hellen,


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volltönenden Stimme: „Hej, hej!“ Aus der Koliba trat ein Mann heraus und sah sich um. Hatte er sie entdeckt? Sie wußte es nicht. Aber dafür drang bis zu ihr ein langes, sehnsuchtsvolles „hei! hej!“, welches sie an etwas aus längst vergangener Zeit erinnerte; aus längst vergangener Zeit, – als sie noch beim Gawrissan diente Ein undentliches Gefühl eines erlebten Glückes übermannte sie für einen Moment und ging dann, ohne daß sie sich dessen bewußt wurde, in den Gedanken über: „Gut war Gawrissan!“ Dann streckte sie sich, ohne sich zu besinnen, ins Gras. Sie möchte ein wenig schlummern. Sie stand so früh auf … und jetzt ging es gegen Mittag. Sie bleibt den Mittag über da; was hat sie auch für eine Ursache, nach Hause zu eilen? Was sie thut oder auch nicht thut, geschieht doch nur für sie allein und nicht für jemand anderen! Und wenn sie zu lange ausbleibt, werden sie die Zigenner schon suchen und aufwecken. Der Zigenner wird das Geld nicht lassen … Daß ihn doch! … Aber sie hat sie


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alle lieb. Mag man sie wann immer anreden stets sind sie heiter und zufrieden; und ihre Scherze, die sind echt zigennerhaft, daß man sich die Seiten halten muß. Sie streckte sich am Rande des Waldes und halb im Schatten aus. Die Kanne mit Himbeeren schob sie etwas von sich und die Faust unter den Kopf schiebend, schloß sie die Augen. Neben und über ihr tanzten in der Luft und über den Blumen, die in überreicher Fülle zwischen dem Grase wuchsen, zahllose Mücken und summten in zarter Harmonie. Unweit von ihren Füßen wimmelten im großen rötlichen Ameisenhaufen die Ameisen, und dort weiter, vielleicht drei Schritte von ihrem Kopfe, sonnte sich auf einem Riesensteine, den der Berg ans sich herausgeworfen zu haben schien, eine zusammengerollte Schlange. Im glühenden Sonnenlicht lag sie da mit halb geschlossenen Augen. Weit und breit herrschte die Mittagsstille … In ihr versanken alle Laute wie in einem unsichtbaren Meere, und das Rauschen des alten Waldes, in dem sich Rung mit Magura vereinigte, wogte in


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üppigen Wellen in der Luft auf und nieder. Die Stille nahm es gierig in sich auf und belebte sich damit Hier war gut zu liegen. Weiß Gott, weshalb so gut! Vor ihren geschlossenen Augen wechselten allerlei Farben. Gelbliche, rötliche

… und so sonderbare! … erstanden und

zogen vorbei, Bilder, unbestimmte und abgerissene Gedanken Ein Gedanke kehrte immer von neuem zurück: „Ich nehme ihn doch!“ Er bezog sich auf das, was sie in letzter Zeit überaus lebhaft beschäftigt hatte; auf den Meister, den sie aus dem Hause gejagt. Er kroch alle Angenblicke zur alten Malwine, drillte ihr den Kopf, damit sie sie, Paraska, berede, ihn wieder zu sich ins Haus zu nehmen. Er könne ohne sie nicht leben, sagte er. Sie hätte ihm irgend etwas angethan, mit guten oder mit bösen Kräften, und nun ziehe es ihn immerfort zu ihr. Es möge kommen, was da wolle, aber trinken werde er nicht mehr; nur möge sie ihn anfnehmen! Und die alte Malwine hatte ihr das alles erzählt


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und sie tüchtig beredet, ihn aufzunehmen. Allein – sie wollte davon gar nichts hören. Litt sie Not ohne ihn? Höchstens, daß ihr der Gang ums Holz schwer ist. Aber er bat immerfort. Neulich kehrte sie von der Stadt zurück, in die sie um „Körner“ für ihre Hühner gegangen, und sah: vor dem Hause lag ein Haufen gespaltenen Holzes! – und sie hat es auch gleich weggehabt, daß er es gethan In ein paar Tagen daranf kehrte sie von einer Arbeit heim, und was sah sie? Auf der Bank unterm Haus lag sein Pelz und standen – wie ein paar Kinder – seine neuen Stiefel. Was hätte sie thun sollen? Sie übers Thor hinauswerfen? Da hätte sie einfach jemand gestohlen. Es wäre zu gut, wenn er nicht mehr trinken würde; aufrichtig gesagt, ist er gar ein guter Mann. Die Hand hat er niemals an sie gelegt, und auch zur Arbeit ist er wie geschaffen. Er hatte schöne Kleider, zwei Pelze und mehrere Hemden Nimm ihn! vielleicht ändert er sich zum Guten! riet ihr immerfort der Traum; es wird leichter zu leben sein. Der Zaun steht nicht allein, sondern


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muß gestützt werden, und mit einem Pflocke wird er nicht gestützt. – So wimmelte es ihr im Kopfe. Und sie wird ihn noch einmal aufnehmen; wird noch einmal versuchen, mit ihm zu leben. Da er es so heftig wünscht … wer weiß. vielleicht wird es noch gut sein. Manchmal glaubt der Mensch, irgend etwas sei schlecht, indessen ist es doch gut. Und – was wahr ist: nicht sie bittet bei ihm um Aufnahme, sondern er bei ihr. Und wenn er wieder einen Sturm im Hause aufführt, wird sie sich Rat schaffen. Ihre Fäuste sind noch gesund, noch wird sie es vermögen, einen Betrunkenen zu Boden zu werfen. Aber wenn sie ihn einmal zu Boden geschleudert, dann … nun, er wird sich diesen Tag schon merken! … Sie ist gut, solange sie gut ist, aber wenn sie böse ist – will sie – aj Gott! …

Ein breiter Streifen des Sonnenlichts drang bis zu ihr und spielte auf ihrem Gesicht. Sie lag im Halbschlummer. Ihr war, als hörte sie ein entferntes, wunderliches Länten, wie das Länten von Glöckchen an den


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Hälsen alter Schafe und Ziegen, und Pfiffe und Rufe der Hirten, durch die sie beisammengehalten werden. Plötzlich befand sie sich bei Gawrissan. Sie ging mit Jurij und seinem Kameraden, ging vorbei an dem Berge, auf dem die Schafherden

Herrn Kubas und Gawrissans weideten. Dort befand sich der Schafhirt Ilija. Er stand in der Wiese am Walde mit seinem dichten, langen Haare, stand allein zwischen weißen und schwarzen Schafen, die aus dem Grase ganz klein erschienen, und weinte in die Schalmei. Wie weinte er so schwer! Die Stimme der Schalmei tönte sehnsüchtig zwischen den Bergen, traurig und so gedehnt – ach Gott! und ihr war’s im Herzen, als ginge sie in den Tod. So schwer war es ihr – sie wußte nicht, weshalb! Dann verstummte die Schalmei. Seine Stimme hatte sich irgendwo zur Erde gelagert, und rings um sie legte sich auf alles eine tiefe Finsternis. – Ihrer bemächtigte sich ein Angstgefühl, und sie faßte Jurijs Kameraden an der Schulter: „Rettet mich, Mann!“ Und er sprach: „Jetzt hat dich dein Glück verlassen. Von jetzt an wirst du ohne Glück auf der Welt leben!“


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Sie hatte vor Schrecken aufgejammert – und erwachte. Nein – es herrschte keine Finsternis! Helllichter Tag umgab sie, und der Glauz der Mittagssonne machte alles golden. Sie setzte sich auf, rieb sich die Augen, und gleichzeitig horchte sie. Aber nein; man hörte keine Schalmei. Um sie her lag es so still … und nur das Rauschen des Waldes wogte in den Lüften … Das war ein häßlicher Traum und ein unwahrer! Ihr Glück kann sie niemals verlassen. Das Väterchen hatte gesagt: „Dein Glück ist derart, daß es dich niemals verlassen wird. In die Seele legte dir Gott dein Glück hinein, damit es dich niemals verlassen kann … Ein Alter wie er – wird nicht lügen


Eine Schlacht.


uska, Erzählunge


Die Karpathen Bukowinas. Berg an Berg reiht sich in stummer Größe, bekleidet mit Nadelwaldungen. Pyramidenartig und kugelförmig, so stehen sie da, unerschütterlich, jedes vor ihren Blicken vorgehenden Wechsels spottend, schwelgend in der eigenen Schönheit und siegesbewußt ihrer Dauer Viele parallellaufende Bergketten des Bezirkes Kimpolung sind noch mit Urwäldern bedeckt. – Als blaudunkles Grün schimmern sie in der Entfernung, und von nachbarlichen Höhen aus betrachtet, scheinen sie in grünlich blauen Nebeln vornehm und unzugänglich. In der Gegend von Rußmoldawitza hatten sich zwei Reihen jener Ketten so dicht genähert, daß ihr Thalraum nur ein bequemer Tummelplatz für einen übermütigen Bach sein konnte. Wo er sich erweiterte oder schmal wurde, wo er endete – wußte niemand 10*


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genan anzugeben. Er zog sich in Windungen hin, rechts und links von bewaldeten Höhen beschützt, und verlor sich mit dem lustig laufenden Bache zwischen felsigen Vorsprüngen. Da waltete überall eine beängstigende Stille. Und eine Uppigkeit in der Vegetation, eine Farbenpracht der Flora und auf den Bergen ein Reichtum von Grün von fast erdrückender Gewalt! Kniehohes, braungrünes Moos wucherte dort unberührt in sanften Wellen aus dem halbfeuchten Boden der Urwaldungen. Daraus hervor – nicht allzudicht – stiegen Tannen, deren Alter hätte erraten werden können, deren Umfang und Schönheit aber stumm machte. Ihre stattlichen Kronen wurden vom Gewölke gestreift und duldeten über sich nur den Goldglanz des Sonnenlichtes Hie und da lagen am Boden Riesenbäume, vom Alter unterwühlt, gespalten vom Blitz und vom Sturm zu Boden geworfen. Von außen moosüberzogen und umwuchert von Gräsern, waren sie inwendig hohl und morsch. Neben ihnen schossen junge Bäumchen empor, breitästig angelegt und gegen die Höhe zu überschlank und voller jugendlicher Biegsamkeit.


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Vogelsang – kaum hie und da. Öfters ein lautes, in der kirchenartigen Stille deutlich vernehmbares Knistern und Rascheln, gleichwie das Brechen und Aneinanderreiben völlig verdorrter Zweige – und fast immer ein schwermütiges, weithin hallendes Rauschen Selten, daß der Wind stark die Zweige hob. Kaum, daß beim stärksten Sturm die Kronen sich wiegten … Es schien, als käme das Rauschen aus weiter Ebene dahergerast, verfinge sich in den Zweigen, verteilte sich als schweres Seufzen im Walde und kämpfte zwischen dem dichten Geäste wieder um Ausgang …


Als der gellende Pfiff der Lokomotive das erste Mal die Luft jenes Thalranmes durchschnitt, – fuhr es den hundertjährigen Bäumen jäh wie ein Blitz durch Mark und Bein. Mit ihr erschien ein Haufe Menschen. Der wagte sich kaum über den fast unzugänglichen Waldsaum in die Tiefe des Waldes, denn alltäglich sah es hier nicht aus.


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Ringsum waltete tiefste Stille. Die Luft war kühl, durchdrungen vom Geruch des Harzes, das in dicken, weißlichen Tropfen aus der geborstenen Rinde herausquoll und an der Luft sich verdichtete, und hohes Moos hemmte überall den Gang. Armdicke Banmwurzeln wie Schlangen quollen aus dem Moose, hart und trotzig, und, verflochten ineinander, bahnten sie sich in tollem Ringen den Weg zur weiteren Tiefe, die, in grünes Dunkel geborgen, unheimlich gähnte. Einer von den Ankömmlingen schlug mit einem eisernen, axtartigen Stabe an einen alten Fichtenbaum, an dessen Stamme Schwämme wuchsen gleich riesigen Schwalbennestern. Der zuckte zusammen. Seit er lebte, hatte er an sich keine Axt gefühlt. Der Schlag rief ein Echo im ganzen Walde hervor, daß alle Bäume stitzten. Der Schlag wiederholte sich – die Bäume hielten den Atem an, eine lautlose, erwartungsvolle Stille verbreitete sich, und eine Stimme sprach langsam und deutlich ein Wort aus: „Abholzen!“ Wie durch eine Kirche lief es: „Abholzen“


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„Abholzen!“ erklang es deutlich in der nächsten Nähe und fast zugleich in der Ferne. Es hallte wie erwachte Rufe wieder, erfüllte den ganzen Wald, lief ängstlich in alle Ecken und Enden und wollte nicht verstummen „Abholzen!“ Es ging in ein Säuseln über. Daraus ward ein beklommenes Flüstern, ein Seufzen, endlich erhob sich ein Rauschen, wie vom Sturm hervorgerufen

… erfüllte weithin die Luft, wie ein

Meereswogen, daß es unheimlich ward … schlug bis an die Wolken hinauf, und zuletzt beschwor es ein Gewitter herab. Schwarzgrau färbte sich der Himmel, und dann kam es. Schwere Regentropfen fielen herab. Zuerst einzeln und so wuchtig, daß die Blätter unter ihrer Last erzitterten und raschelten; dann dichter und endlich in schrägen Strömen. Blitze fuhren in die Tannen, spalteten erbarmungslos die prächtigsten Stämme, und der Donner versuchte die Berge zu sprengen. Mit rollendem Gekrach und Getöse erschütterte er sie, als wollte er sie aus ihrer unbeweglichen Ruhe


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zwingen. Es schien, als rollten durch sie der Reihe nach Riesenkugeln, heransgefordert von Zeit zu Zeit von goldig zuckenden Blitzen Dann ward es still, und der Regen fiel ungestört. Laut und schluchzend fiel er


Im Walde ward es dunkel. Bewegungslos, mit angehaltenem Atem dem Vorgange um sich lauschend, standen die alten Bänme, während die jungen in leichtes Schwanken gerieten. Von den am Waldessanme wachsenden Sträuchern tropften emsig übergroße Regentropfen ins Moos, und der hochangeschwollene Bach unten im Thalraume stürmte in schmutzig=plumpen Wellen über Stock und Stein fort, lant schäumend, alles mitreißend. Blumen, Forellen, trockene Aste, hie und da abgelöste Erdstücke, in völlig unbeherrschter, wahnwitziger, nie gesehener Erregung.


An einem nebelgrauen Morgen begann die Schlacht. Auf dem durch den engen Thalraum gebauten Bahnwege, dessen Schienen sich wie Silberschlangen


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in koketten Krümmungen um den dicht neben ihnen lanfenden Bach wanden – kam die Rollbahn gefahren. Ein feindseliges Gezisch, ein gellendes, durchdringendes Pfeifen kündigte ihre Ankunft an. Nicht weit vom Ende dieses Weges hielt sie unter Schnauben an, zornige, schwarze Dampfringe pfeilschnell in die Höhe stoßend Sie hatte den Feind gebracht. Er stieg aus. Mit rohen Gesichtern, in zerrissenen, schmierigen Arbeitskitteln. Mit plumpen, von schwerer Arbeit unförmigen Händen; bewaffnet mit blitzenden Hacken, mit schweren, schwarzen Eisenketten – ein häßlicher, mißratener Anblick –: so kam er daher. Ein Adler, der in nächster Nähe auf einem spitzen Felsen gesessen und mit gesträubten Federn hinabgelauert – breitete plötzlich seine Flügel weit aus, schlug beleidigt und voller Zorn um sich und schwang sich dann jäh in die Höhe. Er kreiste lange wie in tiefer Erregung über jener Gegend, dann schoß er wie infolge einer inneren Eingebung blitzschnell in schräger Richtung hinab ins Thal, verweilte daselbst eine Weile, hob


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sich dann abermals, jedoch diesmal ganz langsam, empor und verschwand im grauen Gewölke gleichsam für immer … Unsägliche Traurigkeit breitete sich aus, eine Art – Todesstimmung. Man wartete. Die Bäume regten sich nicht; die ältesten standen gewappnet in Stolz und Unnahbarkeit und glaubten gar nicht an die Möglichkeit eines Angriffes. So viele Jahrzehnte hatten sie dagestanden, ganze Jahrhunderte! So vieles hatten sie wachsen und sterben sehen! So viele Frühlinge und Winter durchlebt, so oft die Sonne aufgehen sehen! Die prächtige, goldblendende Sonne, die sie des Morgens in ihrem glutroten Lichte baden ließ und des Abends segnete! So vielen verheerenden Stürmen getrotzt! Jetzt sollten sie eines anderen Todes sterben, als den ihre Vorfahren gestorben: als den des Alters oder den des Blitzes? Lächerlich! Sie wollten sich gar nicht regen. Nicht einmal durch das geringste Rauschen ihre Verwunderung bezengen. Nur die jungen – wenn nur die nicht so leicht ins Schwanken gerieten!


Der Angriff begann. Mit einem wilden Hurrageschrei führten ihn die Söldlinge aus. Sie kletterten mit katzenartiger Gewandtheit auf den ersten Berg, als wollte einer dem anderen zuvorkommen oder als wäre es eine Heldenthat fürs ganze Leben, derjenige zu sein, dessen Hand die Axt an den Urwald anlegte! – Aber sie trafen auf Widerstand. Das trügerische, braungrüne Moos gab unter ihren plündernden Händen nach, und sie rutschten herab. Die kieselige Erde bröckelte unter ihren Füßen, und sie rissen sich die Hände wund, wenn sie sich festhalten wollten. Aus dem in Fetzen herausgerissenen, an der Wurzel feuchten Moose krochen allerlei das Sonnenlicht meidende Insekten und liefen ihnen über die Hände. Als sie einen fest liegenden morschen Baum in wilder Kampfeslust hinunterrollen wollten und es ihnen nur gelang, ihn ins Schwanken zu bringen, wanden sich aufgescheuchte Schlangen hervor und zischten sie an. Viele der Söldner, die nur leichte Sandalen trugen, wurden gebissen. Stachelige Heckenrosenbüsche, deren Zweige in großen Ruten bogenförmig aufgewuchert waren,


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verflochten mit anderen Sträuchern und unzerreißbaren, epheuartigen Pflanzen und Disteln, bildeten undurchdringliche Wände. Uppige, hellgrüne Farren spreizten sich fächerartig in schwellender Schönheit in die Breite und Höhe, und Giftschwämme von schreiend roter Farbe drängten sich vor. Junge Fichten wuchsen so dicht nebeneinander, streckten ihre Zweige so abwehrend von sich, daß an ein Fortkommen nur mit Mühe gedacht werden konnte. Sie zerstachen das Antlitz, zerrissen das Haar und zerrten an der Kleidung. Unförmige, buckelige Spinnen hatten Netze von Baum zu Baum gezogen, und diese legten sich gleich Schleiern vor die Augen – während Ameisenhaufen, aus trockenen, rötlichen Fichtennadeln aufgebaut, sich wie kleine Hügel vom Boden erhoben, und der Fuß wie an Glasglocken herabglitt. Aber sie drangen unermüdlich weiter vor. Tief im Walde, wo sich der Boden eine Zeit lang eben hinzog, blinkte ihnen etwas Leuchtendes aus dem Gründunkel des Waldbodens entgegen. Es war umsänmt von stämmigen Fichten, von deren Zweigen langes, grangrünes Moos schleierartig


in steifer Vornehmheit fast bis zur Erde hing, – von üppigen, rundblättrigen Sumpfpflanzen und vom breiten Schilfgras. Es war ein Meerauge. So wie ein Spiegel, umgeben vom überreichen Grün der Pflanzen, lag es unbeweglich, träumerisch da – mit klarer, glatter Fläche – bodenlos ein ewiger Spiegel des Himmels und der Baumwipfel; ein Stück unberührtester Schönheit. Quer darüber lag ein Tannenbanm. Stellenweise mit kurzem Moos überwachsen und zur Hälfte im Wasser, bildete er einen Steg für leichtfüßige Waldtiere und einen Sammelplatz für Eidechsen und für Libellen, die ihre blauweißen, durchsichtigen Flügel im Wasser netzten und es im blitzartigen Tanz nnermüdlich umkreisten


„Hurra!“ – Also doch! „Hier wird der Urwald eingenommen!“ Es wiederhallte: „Ein=genommen!“ „Hier – einhauen!“ Ein gellender Schrei des Entsetzens lief durch


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den Wald: „Ein=hauen!“ Das Eisen der Axte blitzte im Halblicht, und wie Ein Schlag ging es los. – Angstlich verwirrt flatterten die in der Nähe weilenden Vögel auf, und zum ersten Male spiegelte die bewegungslose Fläche des Meerauges andere Erscheinungen wieder als Baumwipfel und Himmel


Zuerst kamen die Jungen daran. Es wurde Maß an die Hoffnungsreichen gelegt. Die, welche gleich hoch, gleich gesund und gleich schlank waren, wurden ihrer grünen Kleidung beraubt und niedergehauen. Als sie alle, an beiden Enden gleich, abgesägt waren – wurde aus ihnen ein Weg hergestellt, der zwischen den Bergen im Thalraume und fast über den Bach entlang führte. Dort, wo der Bahnweg nicht weiter fortgesetzt werden konnte, mußten sie als Pfad dienen. Ein Stamm wurde dicht neben den anderen gelegt. Solchergestalt bereitete man eine Straße für die übrigen Truppen vor, und die zog sich in Windungen lang zwischen den zwei Bergreihen und bot einen traurigen Aublick. Auf diesem Wege sollten


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dann die hundertjährigen Riesen überführt werden. Als man sie auf der Erde dicht aneinander reihte, erhielten sie wuchtige Axthiebe in den Kopf und in die Füße, daß aus ihnen Blut rann. Der Bach, der dicht neben ihnen dahineilte, preßte sich von unten herein, rieselte sanft zwischen ihnen hervor, wusch sie – Stellenweise, wo die ab und trank ihr Blut auf. Sonnenstrahlen am längsten verweilten, setzte es sich an Gestein fest und färbte es für immer rot. Bis diese gemieteten Söldner mit allem fertig geworden, verging eine lange Zeit, und sie wurden fast wild darüber. Sie gingen nie ins Thal, bekamen nie ein Weib zu Gesichte, ihre Kleidung war in Teer getaucht, Haar und Bart wuchs ihnen lang und verlieh ihnen ein wildes Aussehen. Mittelst der Rollbahn erhielten sie jede Woche Lebensmittel, vor Ungewitter und Kälte schützten sie Hütten aus abgehackten Tannenzweigen, welche in massenhafter Fülle umherlagen. Die von Harz durchdrungenen Baumrinden, die gleich riesigen, braunen Papierrollen an der Sonne trockneten – wurden des Abends auf den Höhen rechts und links in großen


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Haufen angezündet und loderten in roten, gierigen Flammenzungen als Lebenszeichen der Söldner empor. So stärkten sich diese zum Kampfe mit den Hundertjährigen. Endlich kam die Reihe auch an diese. Eine Nacht zuvor – es war eine lichttrunkene Nacht – hatte sich der Mond zu einer großen, mattroten Scheibe erweitert. In der Stille, die mit dem Dunkel gewachsen war, schien das Gebirge mit seinen unabsehbaren, dunklen Waldungen von stoischer Ruhe. Das Mondlicht durchschimmerte die zartbläulichen Nachtnebel, erleuchtete die Ferne mit klarem Licht und schien sich den auf den höchsten Gipfeln stehenden Wipfeln der Bänme mitzuteilen. Sie waren von seinem Schein wie verklärt und lösten sich darin gleichsam auf. Flehentlich blickten sie empor. Sie nur allein? So viele ihrer da waren – und ihre Auzahl war so groß, daß niemand im stande war, sie anzugeben – sie blickten alle zur Höhe und flehten um ihr Leben! Selbst die Luft war geschwängert von Sehnsucht nach Leben. Sie roch nach Uppigkeit, nach


Eine Nacht zuvor hatte sich der Mond zu einer großen mattroten Scheibe erweitert … (S. 160


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unersättlichem Dürsten und schien der Atem Tausender und abermals Tansender lebensgieriger Wesen zu sein. Ein Duft, der an berauschende Leidenschaft gemahnte, an vollendete, begehrende Reife, strömte aus der Tiefe des Waldes und riß auch die mit sich fort, die seither nur in keuschverstecktem Erwarten dastanden, den Wunsch, voll zu leben als schamhaftes Geheimnis im Herzen bergend. Die Farne lösten ihre prophetischen Zungen. Die Kelche der kenschesten Blumen wurden zu vollendeten Blüten. Die Angst, daß sie morgen zu leben aufhören könnten, erweckte in ihnen die Gier, nebeneinander zum letzten Male in vollster Pracht zu prangen. Morgen würden sie vielleicht schon zertreten daliegen, ihre Kronen entblättert und gebrochen werden. Morgen würde vielleicht niemand mehr wissen, daß sie waren und voll Schönheit waren. Der Waldboden belebte sich mit Johanniskäfern, die wie Lichttropfen im Moose glänzten; Grillen in erstaunlicher Menge riefen sich an und antworteten und wollten gar nicht verstummen. Es herrschte in ihnen die Stimmung, aus sich selbst herauszutreten, Verlangen nach Schwelgereien, nach rückhaltlos Kobylanska, Erzählungen.


entfesselten Gefühlen, welche nur die vornehme Stille der Nacht dämpfte. Lachen nie gekannten Entzückens, vermischt mit schweren Schmerzensthränen, ließ sich hören, und eine Sehnsucht, weich wie ein Sammetmantel, lag auf allem und rief immer mehr Wünsche und Liebe zum Leben hervor Seltsam waren die Laute um die Stille dieser Nacht … zärtlicher als Musik. Mehr ein Geflüster, vereint mit dem weichen Dunkel der Nacht – oder wie das Fallen von Wassertropfen von Blatt zu Blatt nach ersehntem, mitten im Sonnenschein gefallenem Regen


Eine lange, kampfesvolle Zeit,

und die

Hundertjährigen waren gefallen. Starre, steife Majestät, so lagen sie gebettet im eigenen Grün. Ihre zurückgebliebenen Stümpfe mit den runden, an die Oberfläche der Erde herausgewucherten Wurzeln klafften verstümmelt aus dem Grase. Noch lagen sie auf den Höhen – jedoch nicht mehr vereinzelt.


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Besäet waren die Berge mit ihren Leichen, rechts und links, schräg und quer und wagerecht. Dicht nebeneinander Kopf an Kopf, gruppenweise oder auch übereinander oder wie es sonst im Stürzen der Zufall gewollt. – Aus der Ferne sah man nur abgemähte Waldungen! Bis zur Nacktheit ihres Schmuckes entblößt, der sich Jahrzehnte Sommer und Winter hindurch in seiner schwellenden Schönheit unverändert gehalten- starrten die Berge beschämt gegen den Himmel, vergeblich bemüht, mit den Überresten der einstmaligen Kleidung die unförmigen Glieder zu verhüllen. Verratene Adler und verwaiste Habichte flogen schwermütig umher, und während die Adler, von Zeit zu Zeit nach ruhelosem Fluge ausruhend, zornig ihre Gefieder sträubten, die schwarzen, feindselig funkelnden Augen spähend in das Thal gerichtet zogen die Habichte stille, langsame Kreise über den Gefallenen


Als man die Gestürzten von ihrer Höhe zog, gab es einen Kampf auf Leben und Tod. Viele Söldner büßten ihr Leben ein, viele wurden 11*


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für immer zu Krüppeln, und andere lagen schwerverletzt monatelang im Thale. Größen zu stürzen! Solche, die ihre Plätze Hunderte von Jahren behauptet hatten! Deren Wurzeln in das Innerste der Berge ihre Fasern erstreckt und sich mit denen anderer Gewächse für immer verkettet hatten! Zu stürzen, ohne sich zu beschädigen, ohne den jungen Nachwuchs zu vernichten und ohne die nähere Umgebung zu verwüsten! Gleich nie ermüdeten Käfern krochen die Söldner auf die unzugänglichsten Orte, bewaffnet mit Ketten und allerlei Werkzeugen. Zuerst wurden die Gefallenen ihrer Rinde beranbt. Dies gab viel zu schaffen. Festgewachsen an das Fleisch, war sie hart und spröde und ließ die Äxte von sich abprallen. Erst nach langem Hacken sprang sie in Splittern auseinander und fiel auf die reiche Fülle elastischer Zweige, die, abgetrennt vom Körper, nunmehr im Grase verdorrten. Dann wälzten kraftvolle Hände mit Todesverachtung die schweren Riesen vorwärts. Unter öden, gleichzeitig ausgestoßenen Aneiferuugsrufen, die mehr den Schreien wilder Vögel glichen,


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als harmonischen Menschenlauten – verrichteten die Schlächter diese Arbeit, während helle Schweißtropfen ihnen über die Stirnen rannen und Blut aus den verletzten Händen floß. – Der Aufenthalt in der Einsamkeit und die Verwilderung stimmte sie bei solchen Unternehmungen tollkühn, und die Aussicht auf einen hohen Lohn entzündete in ihren Augen das Gefunkel des Sieges. Herab bis zum Bergfuße zerrten sie die Kolosse. Dort wurden dann schrägfallende Brücken aus runden Balken gebaut, – und über diese hinrollend, wurden die Großen dann dicht nacheinander dröhnend zur ebenen Erde fallen gelassen. Sie blieben nicht lange liegen. Große Eisenhaken wurden ihnen in das Haupt getrieben; Pferde wurden vorgespannt, und über den Weg, der aus den Jungen hergestellt wurde, zogen sie die Riesen hinunter, langsamen Schrittes und gesenkten Kopfes. Hellrotes Siegesfeuer prasselte nach solcher Überwindung in die helle Nacht hinein, während die Helden, im Kreise lang ausgestreckt, ihre Pfeifen rauchten und die Widerstandskraft des Urwalds besprachen. Unten harrte der Besiegten die Rollbahn.


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Sie bestand aus vielen aneinandergeketteten Wagen und einer ungeduldig schnaubenden Lokomotive. Auf jeden Wagen wurden fünf bis sechs Stämme geladen und mit armdicken Ketten zusammen befestigt. Und zwar mit solcher Enge, daß sich das Eisen in ihr von der Rinde entblößtes Fleisch einschnitt und stellenweise Blut herausquoll. Das sammelte man auf, knetete es zu einem Ballen, und, in glühende Kohlen getaucht, daß es Feuer fange, wurde es in nebeligen Herbstnächten als Fackel bei der Überführung benutzt. – So gefesselt, jagte die Bahn mit ihnen hinunter ins Thal, von Zeit zu Zeit einen gellenden Siegespfiff ansstoßend Im letzten Wagen saß ein Aufseher. Seine Wärterhacke in die Brust des Obenaufliegenden eingehackt, saß er mit verschränkten Armen und stumpfen Blicken da. So oft machte er diesen Weg! So oft hatte sein Blick auf den Kämmen dieser Berge geruht, so oft war er den Krümmungen der Bahn gefolgt – daß er nunmehr ermüdet den Blick zurückwandte. Die, über welche er die Aufsicht hatte, verhielten sich ja still. Sie grüßten die Gegend, durch


die sie fuhren, und nahmen von ihr Abschied Rechts und links erhoben sich Berge; die waren noch mit Nadelholz bekleidet. – Das waren Genossen, Jahrzehnte lang, und von diesen schied man für immer. Niemals mehr sollten sie ihr eigenes Rauschen vernehmen … Und sie suchten zu erraten, wohin sie geführt würden. Daß es hinunterging in ein weites Thal, wo die Berge zurücktreten mußten, wo anstatt eines Baches schon ein Fluß wogen mochte – wußten sie. Die Bahn jagte rasend dahin und wand sich durch die Engen wie eine Schlange; ob es aber zu den Menschen ging? Sie dachten an die Zeit der Stille, wo sie stolz gestanden, und ihre Kronen nur stolze Adler berührt. Jetzt lagen diese Kronen tief unten. Und dann … wie alles über sie hereingebrochen, und sie auch ohne Kronen fielen Ging es also zu denen, die ihr Schicksal beschlossen und sie zu stürzen sich das Recht erkauft? – Oder zu Menschen, welche weder Sonntag noch Feiertag kannten und von Schönheit nie etwas gewußt? Aber nein; außer diesen mußte es auch noch andere Menschen geben, vielleicht ihnen selber ähnliche


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Ihnen ähnliche! Als sie nach stundenlanger Fahrt durch Urwälder in das Thal herauskamen, sahen sie hie und da einzelne Hütten. Zuerst auf den Bergen und dann an der Dorfstraße, welche sich an den Bahnweg schloß und mit ihm parallel lief. Die Hütten waren klein, bedeckt mit Brettern, über denen Steine lagen; und einzelne hatten auch Schindeln. An einem Schankhause, das zum Vorschein kam, hielt die Bahn still. Sie hatte Fremde und Arbeiter mitzunehmen, die da ihrer harrten. Hier sah man auch die Bewohner jener Hütten. „Huzulen“ naunten sich die. Groß und kräftig, mit slavischen Zügen, in malerischer Tracht, so lagen und saßen sie dort. Dort ein junges Weib mit etwas abgespannten, aber schönen und fast kindlichen Zügen, gekleidet nach der Sitte ihres Volkes, buntfarbig und reich. Sie rauchte aus einer Pfeife und blickte gleichgültig vor sich hin, unbekümmert darum, daß ein Haufen fremder Menschen sie mit Blicken schier verschlang. Ihre Genossen – prächtige Männer, schlank wie Tannen und elastisch wie Rohre – saßen umher in der Stube, in der bequemsten Haltung von der Welt.



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Ihre Tracht war nicht minder originell. Blutrote Beinkleider, dazu schneeweiße, reichgestickte Hemden und ebenso reichgestickte, kurze, ärmellose Schafpelzchen. Breite, buntfarbige Ledergürtel, behängt mit Fingerhüten und allerlei glänzendem Tand, und Hüte mit hohen, emporgeschlagenen Krempen, geschmückt mit Pfauenfedern, vervollständigten die Kleidung. Da es ein Feiertag war – so versammelten sie sich da zum Tanz. Zwei von ihnen spielten auf den Geigen ihren Nationaltanz, die Kolomyjka. Ein anderer lag auf der Bank, in seiner vollen Länge ausgestreckt, blickte träumerisch durch die offenen Fenster hinaus und ließ sich neugierig betrachten. Alle ließen sich betrachten, ohne es zu fühlen, gerade wie Kinder, allein, selber bezeugten sie fast nie Erstaunen oder Nengier, weder für die fremden Ankömmlinge, die kaum einmal im Jahre in ihre Gegend kamen, noch für andere Vorgänge in ihrer Umgebung. Während die Lokomotive mit ihrem jedesmaligen Erscheinen ihre nachbarlichen Dorfbewohner gewöhnlich in Aufregung versetzte, – wandten sie kaum die Köpfe nach der Seite. Das war ihnen ein Schanspiel, so weit und so fremd, sie hatten damit


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so wenig gemeinsam, als wären sie aus einer anderen Welt und sollten damit so wenig in Berührung kommen, wie mit den Wolken da droben! Viel mehr Ähnlichkeit besaßen sie mit denen, die gefesselt auf den Wagen ins Thal geführt wurden. So unberührt waren sie aufgewachsen, so harmonisch, so eigenartig in ihrer Schönheit und ihren Sitten. Auf steilen Höhen in ganz für sich gelegenen Erdenwinkeln führten sie ihr Dasein, ohne Herren und Knechte. Unwissend bis zur Rührung und für alles Große der Zivilisation verständnislos, begegneten sie ihren Errungenschaften mit kindlichem Lächelu auf den Lippen. So waren sie, jene Kinder der Wälder, die um keinen Preis Hand anlegen wollten an die, die von ihrer Höhe gestürzt wurden. „Wer seid ihr?“ hatten sie mißtrauisch die gefragt, die gekommen waren, sich den Nutzen der Schlacht auszurechnen – „welches Glaubens? Wohl keine Christusmörder?“ und dabei griffen sie nach ihren feingeschnitzten Hacken, die sie fast nie aus den Händen ließen. Für Waffen hatten sie Sinn. Als sie zum ersten Male die Rollbahn fahren sahen, bekreuzten sie sich und spieen weit von sich.


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Das ging nicht mit rechten Dingen zu, und sie wollten nie eine Gemeinschaft mit jenen haben, die solch Ungetüm lenkten. Sie hielten sich auch fern von dem Getriebe, und unter der Menge Kerle, die bei der Schlacht beteiligt waren – befand sich kein einziger Huzule. „Hacket selber, was Gott geschaffen hat, ihr Hundeseelen! … uns laßt in Ruhe!“ hatte einer voller Haß über die Aufforderung, beim Abholzen mitzuhelfen, geantwortet. Und man ließ sie in Ruhe. Ihre Welt war Berg und Wald, und nur da gediehen sie zur Vollendung. Gleich prächtigen, glühroten Blüten schimmerten sie in ihrer schönen, malerischen Tracht zwischen dem Grün der Bäume oder auf flinken, starkmähnigen Pferden, deren Zucht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehörte. – Durch Wälder scholl auch das Echo ihrer schönsten Lieder. Das waren Menschen, die den Stämmen ähnlich waren Als sich die Bahn in Bewegung setzte und immer rascher vorwärts flog, sahen die im letzten Wagen Fahrenden durch die weit geöffneten Thüren und Fenster des Schankhauses, wie dort im großen Kreise Männer und Frauen im wilden Reigen tanzten!.


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Ein unvergeßlicher Anblick, flüchtig wie ein Blitz und ebenso zündend Eine einfache Melodie zweier Geigen brachte sie ins Feuer. In übersprudelnder, unbeherrschter Lust tanzten sie. Ihre Kleider und Tücher wehten im Kreise, und von Zeit zu Zeit stießen sie helle Frendenrufe aus. Es sah aus, als tanzten sie ihr Glück zu Ende und wollten sich jetzt damit sättigen für alle Zeit . . Vor dem Hause standen andere in Gruppen, oder lagen da, aus kurzen Pfeifen ranchend, langgestreckt bei ihren Pferden. Es war, als flöge das Haus mit dieser Pracht voller Farben und Lebensfülle an der Bahn vorbei Ein schönes Weib

eine junge Witwe

sprengte auf einem halbwilden Pferde den übrigen zu. Ihr nach jagte ebenso toll ein Schwarm junger Burschen. Sie ließ sich nicht einholen. Den Kopf über die Schulter nach ihnen gewandt, mit ansgestreckten Händen dem Pferde freie Zügel lassend, lachte sie ein schallendes, sorgloses Gelächter! Alle diese Sorglosen, in wilder Lustigkeit Zurückgelassenen lachten noch dieses Lachen! Noch fühlten sie keinen Schander beim Kommen und Gehen jenes


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feindselig zischenden Ungetüms, das mit seinem Erscheinen Licht, aber auch namenloses Elend brachte! Noch hatten sie keine Ahnung von jener tiefen, zersetzenden Sehnsucht mit dem kranken Lächeln um den Lippen, die nur die Bildung und Kultur hervorruft!

… Sie lebten in den Tag hinein, unbekümmert

um die Zukunft und ihre Gestaltung, ihre Wünsche waren klar und bündig, und die Bedingungen ihres Glückes … Sonnenschein und ein blauer Himmel

Im Thale waltete reges Leben. Eine große Dampfsäge war im Betriebe. Ziegelrote Schlöte von imposanter Größe erhoben sich vom Boden und spieen schwarze Rauchwolken unter den Himmel – während im Fabrikgebände ein Getöse herrschte, ein Brausen und Zischen, das alle anderen Laute übertönt wurden. Rings herum lagen tausende von Brettern, hochaufgestapelt, fertig zum Transport, und kreuzweise übereinandergelegt, schmale und breite, und Massen von noch ungeschnittenen Stämmen harrten ihres Todes. Da lagen noch Riesen von mehreren Metern Umfang, wahre Wunder an Alter und Schönheit, und schlanke, blutjunge Tannen.


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Fast ohne Unterbrechung wurden frische Stämme in die Fabrik hereingewälzt, um schon nach kurzer Zeit, in dünne Bretter geschnitten, hinausgeschoben zu werden. Die Bahn brachte immer neue Opfer, und der nie ruhende Moloch verarbeitete sie in erstannlich kurzer Zeit. Auch diesmal wieder. Die Lokomotive wurde von den Wagen abgetrennt, und diese rollten allein mit ihren Gefangenen ein Stück vorwärts und nach dem Lagerplatze zu. Hier wurden den Stämmen die Ketten gelöst, und man lud sie ab. Als sie am Fabrikeingange vorbeigerollt wurden, vernahmen sie die Worte des Sägemeisters, mit denen er einen Gast belehrte: „Die Waldungen wurden von der Firma O. & C. vom Religionsfonds gekauft. Man sägt schon sieben Jahre und hat noch drei Jahre zu sägen. Täglich werden siebenhundert Stämme 4 zerschnitten Siebenhundert Stämme täglich! – Wie ergreifend deutlich dies klang! – Siebenhundert ihrer Genossen täglich vernichtet, die jeder von ihnen Jahrzehnte, ja, zu Hunderten von Jahren gebraucht hatte, um sich zu diesem Umfange zu entwickeln!


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Und hier lagen noch Türme von Stämmen. Tausende und tausende lagen noch daheim, auf den Gipfeln der Berge, die hernnterzuschaffen man sich bis zum Schluß aufgespart; und wieder Massen auf den Rollbrücken aufgeschichtet. Dreimal im Tage brachte die Bahn die Opfer herein. Dazu hatte man es so eilig mit ihrem Vernichten und geizte mit jeder Stunde im Tage!


Mit glühenden Eisen hatte man die frisch angelangten gezeichnet und sie dann in das Getriebe ringsum blicken lassen. Sie sahen, wie Arbeiter – genau solche, wie die halbverwilderten oben im Walde – hier unten arbeiteten. Wie sie massenweise gleich unermüdlichen Ameisen umherwimmelten drinnen und draußen. Wie sie den dröhnenden Eisenmoloch, der in der Vernichtung wahre Wunder leistete, pflegten und sich geradezu aufopferten, um es ihm nur an nichts fehlen zu lassen. Sie sahen und vernahmen vieles. „Ja, ja,“ hörten sie einen Arbeiter erzählen, den man den „Närrischen“ nannte, „so verheeren ausländische Antichristen die schönen Waldungen, die


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Gott unserem Lande zur Freude wachsen ließ! … Weiß Gott … die Kutten behüteten ihn schlecht und werden es dereinst schwer zu verantworten haben. Und nun soll all dies wunderschöne Holz fort, vielleicht übers Meer? Und was unser Land davon hat? Frage man nur die Kirchenratten, die das große Wort bei der Verwaltung reden, die im Wohlstand schwelgen und fasten, daß ihre fündigen Leiber aus den Fugen gehen. Fraget sie, was unser Land davon hat!“ – Und nach einer Weile, während welcher er die Sägespäne aus den Augen gewischt hatte, rief er weiter: „Man baut schon nach der anderen Seite hin den Bahnweg. Es heißt wieder: „Auf neue zehu Jahre gepachtet!“ Ja, nur noch zehn Jahre und daun noch einmal zehn Jahre, und aus wird es sein mit dem Reichtum unseres Landes. Verfluchte Gerechtigkeit! – daß ich doch nicht lieber deinen Leib zersägen kann, anstatt dieses Stammes da, und alle die Höllen–// öfen da unten nicht lieber mit jenen Teufelsbr eine schallende Ohrfeige des Sägemeisters machte dieser Rede ein Ende. „Daß du lieber aufpaßt auf deine Affenpfoten, anstatt daß du dein Mundwerk ewig in Bewegung


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hast – verdammte Brut noch mal!“ … Die Antwort des Gezüchtigten ging in dem betäubenden Getöse verloren, denn neu hereingerollte Stämme rollten unter die Säge. Die einen kamen unter zehnblätterige Sägen, andere unter fünfzehn=, und wieder andere, die Hundertjährigen, unter zwanzig= und mehrblätterige. Mit einem ohrenzerreißenden Gezisch, das sie zunächst betäubte, ehe sie getötet wurden, fuhren die Sägen in ihre Leiber. Mit den scharfgespitzten Zähnen zerschnitten sie mit blitzartiger Schnelligkeit die schönen Stämme; während dessen sprudelten Sägespäne aus ihnen hervor wie Blut und überschütteten sie. Als die Sägen den letzten Riß thaten – es zog wie ein schriller Mißton durch den Raum zerfielen die einstmals so stolzen Riesen in dünne, blasse Bretter und hörten auf zu sein für immer


Arbeiter mit Riesenkarren kamen eilig und gingen. Sie fegten die Sägespäne zusammen, die sich am Boden angesammelt, führten sie fort und schüttelten sie in den Schlund der Ofen im Erdgeschosse. Ohne Unterbrechuug führten sie diese Arbeit aus, tagaus, tagein. 12 Kobylanska, Erzählungen.


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Andere zogen die in Bretter zerfallenen Stämme fort und schleuderten sie derart wuchtig auf den Lagerplatz, daß sie im Niederfallen noch einmal wie elastische Stahlblätter emporschnellten. Wieder andere schoben schlanke Tannen unter streifenartig schneidende Sägen, und noch andere schmiedeten und schärften Sägen und besäeten ringsum alles mit rotblitzenden Funken Auf dem Lagerplatze wimmelte es von Menschen. Die einen schoben Bretter heraus, andere stapelten sie auf. Es war ein Lärmen und Rufen, ein ewiges Hin und Her, eine fieberhafte, nach mathematischer Genanigkeit bemessene Thätigkeit, hervorgerufen durch den Koloß der Maschine, der eine Hitze entströmte zum Ersticken. Lautlos, schien es, bewegten sich die Riesenräder, umschlungen von breiten Riemenbändern, aber die Luft war erfüllt von ihrem Getöse, und die Gegend weit bis in die Wälder belebt. Nur in der Nacht war es totenstill. Wie ein Wächter stand da der schwarze Schlot und übersah finster das Kriegslager. Da lagen die weißen, entblößten Stämme in großer Menge, umflossen vom sanften Mondlicht, wie starre Leichen. Die zu stolzer Höhe aufgestapelten Bretter

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reihen, zum Transporte vorbereitet, schimmerten silbergrau, und von der Seite betrachtet, schienen sie bloße Linien zu sein. Stämme! – Überall, wohin der Blick fiel, lagen Stämme, Holz, Bretter, Abfälle; und zwischen all’ diesen Haufen schlichen lautlos Bluthunde wie Gespenster umher, große, ungeschickte Schatten werfend und schnüffelnd nach Eindringlingen. – Seitdem die Fabrik einmal in Flammen gestanden, wurden sie zu Wächtern auserkoren. Aber niemand drang hinein; niemand störte die Ruhe der Gefallenen Halbleises Gemurmel des Gebirgsflusses, welcher unweit der Fabrik unter dem Walde floß, drang weich und eindringlich herüber, während der Wald eine dunkle, unübersteigliche Mauer um das ganze Thal bildete, über die nur der Mond herüber konnte. Und der kam auch allnächtlich herüber. Blaß und still und unbeweglich, als sei er gänzlich ermattet vor Wehmut und als thäte es ihm wohl, seine Strahlen in den bläulich durchsichtigen Nachtnebeln aufzulösen oder hie und da in den dunklen Ton des Wassers zu tanchen. Das Wehgemurmel der Wellen stimmte ihn so schwermütig, und er vermochte es nicht zu überhören. 12*


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„Wohin? Wohin? Wohin?“ murmelten sie unermüdlich Nacht für Nacht und leckten gierig das Ufer und plätscherten schmeichelnd in hörbaren Lanten an große Steine, die hie und da aus dem Wasser plump hervorragten. Aber sie erhielten keine Antwort. Auf dem Lagerplatze blieb es still. Die Stämme lagen entseelt und die Bretter steif und ansgestreckt. Er aber sah die Antwort … Wohin er sein blasses Antlitz auch wenden mochte, sah er auf den zum Transport bestimmten Brettern die in schwarzen Lettern geschriebenen Worte: „Nach Batum“ – „Nach Ba„Nach Batum“ tum“


Hochsommer. – Versengend schienen die Strahlen der Sonne, und die Luft war schwül und heiß. Einzelne Wolken, die sich am Himmel eingefunden, waren düster und regenschwer. Von Zeit zu Zeit hob sich ein leichter Wind und dehnte die Wolken in die Breite und zu unheilverkündenden Schatten. Eine zeitlang schien es, als ließen sie sich von ihm bewegen, fortzuziehen, als übte die Macht der Sonne einen zerstörenden Einfluß auf sie aus; – allein, um die Mittagszeit blieben sie plötzlich in ihrem Fluge stehen


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und hingen als gräulich-schwarze Massen über den Bergen. Es war nach der Schlacht. Ringsum herrschte öde Stille. So weit das Auge über die Bergreihen reichte, begegnete es der tiefsten Verwüstung, und die abstoßende Nacktheit der Höhen rief Stimmungen der Leere hervor. Weißliche, verwitterte Baumstümpfe klafften dicht nebeneinander gleich Gerippen aus dem vergilbten Grase hervor. Überflüssige, zurückgelassene Bänme lagen in großer Anzahl verstümmelt umher, und von der Rinde entblößte Stämme, die sich als morsch erwiesen, moderten unberührt. Große, ansgebrannte Erdstellen mahnten an Brandwunden und gaben Zeugnis vom Sieg der Flammen, die hier so oft das Dunkel der Nacht wie rote Zungen durchflackert und jedes in ihrer Nähe befindliche Element gierig verzehrt hatten. Stöße von Fichtenrinden lagen als dunkelbranne Fetzen und Rollen halbverfault umher, und erdrückend schwer lasteten haufenweise Holzspäne auf dem Grase. Alte, vom Blitz zerspaltene Tannenbänme, unangetastet zurückgelassen, standen da, die halbverdorrten


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Aste weit von sich streckend gleich hinfälligen Greisen, vergeblich bemüht, den Wind in ihren erschütterten Zweigen aufzuhalten. Von Zeit zu Zeit zog durch die Luft ein klägliches, trauriges Knarren. Es rührte her von gesunden, einzeln zurückgebliebenen Fichten, die, jugendschlank und von fast schwindelnd hohem Wuchs, nur in der höchsten Spitze bekleidet waren. Diese Wipfel neigten sich jetzt bogenförmig zur Erde, als hinge zwischen ihren kurzen Kronenzweigen ein Zentnergewicht und zöge sie nach unten. – Preisgegeben den Lannen des Windes, bar des Schutzes und ohne jeglichen Halt, wiegten sich diese Fichten tranervoll hin und her und knarrten endlos, ruhelos Junge Tannenbäumchen, einst von helllichtem, fast schimmerndem Grün bedeckt, waren gebrochen und für immer vernichtet. Farren ließen ihre Blätter wie ausgefrauste Lappen hängen, und beraubt des Schattens, verblaßten sie und starben langsam im Sonnenglanz. Das alte, hohe Moos, herausgerissen, zerfetzt und mit der Wurzel zur Sonne gekehrt, war ausgetrocknet, und denselben Tod erlitt auch das schwellende, reiche Gras. Die reichen Waldbüsche, Himbeersträuche, Wacholder


und andere widerstandsfähige Gewächse und Blumen, die einst voller Uppigkeit gewuchert, waren am Boden anseinandergezerrt. Denn über alle wurden ja tausende und tausende Kolosse gewälzt!. Hie und da zur Erde gedrückte Maulbeersträuche, ihrer Kraft noch nicht beraubt, trugen reichlich ihre blutroten Beeren, und sie schimmerten aus der Ferne aus mattgrünem Hintergrunde hervor wie Blutlachen. Kleinlant sickerte zwischen dem Gestein der einstmals übermütige Bach. Massen von abgehackten Zweigen, Baumrinden und Holzspänen dämpften sein lautes Rieseln für lange, unbestimmte Zeiten. Adler und Habichte verließen ihre Stätten und verirrten sich nur felten in diese Gegend. Kaum daß sie einige Male zur Frühlingszeit im raschen Fluge die einstmals so stolze Heimat passierten. Ode, verwüstet, bar aller ursprünglichen Schönheit, eines fast erdrückenden Reichtums – waren die Berge gleichsam zum Hohne zurückgeblieben und konnten es nicht verhindern, daß die sengenden Strahlen der Sonne die zurückgebliebene Flora, welche den tiefsten Schatten erforderte, erbarmungslos ausbrannte. Die zurückgelassenen, kaum dem Boden entwachsenen


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Fichten und Tannen, welche durch Zufall unverletzt geblieben waren, standen traurig und verlassen. Stürme und Sonnenglut zogen abwechselnd über ihre jugendlichen Kronen, die lange nicht gestählt genug waren, um all’ das Ungemach der Witterung zu ertragen. Die Hundertjährigen hatten sie mit ihren stämmigen Armen bis jetzt vor allem geschützt aber nun? Und wenn sie auch allem trotzten? Aller Sonnenglut, die so gierig ihre jungen Säfke anstrank, allen Stürmen, die ihre Kronen zu brechen begehrten, aller Kälte und allen übrigen äußerlichen Gefahren – was dann? Vergriff sich dann nicht auch an ihnen, wenn sie schon in ihrer stolzesten Pracht da ständen, in Uppigkeit prangend – über sich nur den Himmel anerkennend – dieselbe ruchlose Hand? Und sie beschlossen zu sterben.


PG Kobylians’ka, Ol’ha 3948 Kleinrussische Novellen K55K5


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  1. Kleinrussischer Volksdichter.
  2. Kleinrussisches Trauerlied.
  3. Kleinrussischer Gebirgsbewohner.
  4. Bezeichnung der Huzulen für ihre Berghütte.
  5. Seelchen, Herzchen.
  6. Dies ist ein echtes Volkslied, übersetzt von Simiginowitsch Staufe.
  7. Berühmter kleinrussischer Räuberhäuptling.
  8. Briasa: ein Huzulendorf im Hochgebirge Bukowinas.
  9. Schumkas, fröhliche Gesänge der Kleinrussen und meist humoristischen Inhalts.
  10. So heißen die höchsten Felsenspitzen des Karpathengebirges in der Bukowina.
  11. Lehmbank am Hause draußen.
  12. Eine aus Brettern zusammengeschlagene Hütte, in der Hirten den Sommer über nächtigen.