Tennyson

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196

 Die Lotusesser.

„Muth!“ sprach er, „Muth!“ und deutete zum Strand;
„Ans Ufer springen heut noch unsre Reihn.“
Gen Abend kamen sie zu einem Land,
In dem es ewig Abend schien zu sein.
Wollüst’ge Lüfte zogen aus und ein,
Wie Jemand athmen mag in müdem Traum.
Hell überm Thale stand des Vollmonds Schein;
Gleich niederwärts gekehrtem Rauch und Schaum,
Fiel stumm vom Berg der Strom, und fiel, sich regend kaum.

Ein Land der Ströme! Lichtem Rauche gleich
Und Schleiern dünnsten Flors, der eine flog;
Ein Tuch von Schaum, sein schläfrig Wellenreich
Der andre dort durch Licht und Schatten bog.
Der breite Fluss vom innern Lande zog
Zum Meer; drei Gipfel standen altersgrau,
Drei Bergesgipfel, schneebedeckt und hoch,
Im Abendgold; – benetzt von Perlenthau
Stieg durchs Gestrüpp empor der schattigen Fichte Bau.

Es säumte lang’ der weiche Purpurschein
Im rothen West; durch Bergesspalten sah
Man fern ins Thal und sand’ge Feld hinein,
Umkränzt von Palmen; manche Schlucht war nah

197

Und manche Flur mit Heid’ und Erika.
Ein Land, das nie ein Wechsel wohl befiel!
Und bleichgesichtig bald umstanden da
– Bleich gegen jenes rosige Farbenspiel –
Die milden, trüben Lotosesser unsern Kiel.

Sie boten Stengel jener Zauberfrucht
Mit schneeigen Blumen Jedem von uns an;
Doch wer sie angenommen und versucht,
Für Den in weite Ferne bald verrann
Der Brandung Wuth, und schien zu klagen dann
An fremdem Strand; wenn sein Gefährte sprach,
Klang leis sein Wort, wie aus des Grabes Bann;
Im Schlaf schien er zu ruhn, und dennoch wach,
Und wie Musik erscholl ihm seines Herzens Schlag.

Sie setzten hin sich aus den gelben Sand
Zwischen der Sonne und dem Mond am Meer;
Süß war’s, zu träumen von dem Vaterland,
Von Weib und Kind und Sklav; doch schlummerschwer
Und müde schien die See, müd’ ringsumher
Die schaum- und rauchbedeckten Ufergaun.
Und Einer sprach: „Heim kehren wir nicht mehr!“
Und Alle sangen: „Unsre Heimatsaun
Sind fern dortüberm Meer – lasst hier uns Hütten baun!“

198

Chorgesang.
1.

Hier klingt Musik, die sanfter noch erbebt,
Als eines Rosenblättleins Fall ins Gras,
Oder als Nachtthau, der herniederschwebt
Auf stille Wasser in granitnem Pass;

Musik, die weicher um den Geist sich schmiegt,
Als müdes Lid aus müdem Auge liegt;
Musik, die uns in himmlisch süßen Schlummer wiegt.
Kühl ist und tief das Moos,
Durchwirkt mit weichem Eppich bloß,
Blumen im Strom mit Blättern, lang und groß,
Und schläfrig hangt der Mohn in zackiger Klippen Schoß

2.
Was ist’s, das uns zur Arbeit spornt so scharf,
Und solche Last auf unsre Schultern warf,
Wenn Alles sonst, ermüdet, ruhen darf?
Alles hat Ruh’ – was sollen wir allein
Uns mühn, von Allem doch das Erste wir?
Mit Seufzen und Gewein
Bon einer stets gejagt zur andern Pein;
Und unsre Schwingen hie
In Ruhe senken nie,

199

Noch unser Aug im Schlummer schließen zu,
Noch, wann die Seele redet, horchen ihr:
„Kein Freuen giebt’s, als Ruh’!“
Was mühn wir uns allein, der Schöpfung Krone wir?

3.
Seht, in dem Walde koset lind
Aus seiner Knospenhüll’ ein lauer Wind
Das Blatt hervor am Zweig, und dort
Wird’s grün und breit, wächst sorglos fort,
Vom Sonnenschein, vom Nachtthau rein
Genährt, bis es ein Wind aus Norden
Fortwirbelt, fahl, verdorrt.
Seht, wie, vom Sommerlicht geschwellt,
Der saftige Apfel, überreif geworden,
In stiller Nacht zur Erde fällt.
In den ihr zugemessnen Tagen
Reist jede Blum’ auf schattigen Hagen,
Reist und verwelkt, der Sorgen bar und bloß,
Festwurzelnd in dem Mutterschoß.

4.
Widrig ist das Wolkenzelt
Über dumpfer Meeresruh’.
Tod ist des Lebens End’ – o fällt
Dem Leben nur Arbeit zu?

200

Lasst uns in Ruh’! Die Zeit uns bald vertreibt;
Ein Weilchen noch, und unsre Lipp’ ist stumm.
Lasst uns in Ruh’! Was ist es, das da bleibt?
Alles wird uns geraubt, und wandelt um
Sich in Vergangnes, das in Sand sich schreibt.
Lasst uns in Ruh’! Wie kann es Lust uns sein,
Das Recht zu schirmen? Könnt ihr Rast erspähn
In diesen ew’gen Meerdurchschweiferein?
Alles hat Ruh’, und reist ins Grab hinein, –
Ein stetes Reisen, Welken und Vergehn!
Lasst Ruh’ uns oder Tod, Tod oder Frieden sehn!

5.
Süß wär’s, zu horchen aus den fallenden Schaum,
Mit halbgeschlossnem Auge kaum
Zu wachen noch in halbem Traum!
Zu träumen, wie der ambrafarbne Schein,
Der nie verlässt am Berg den Myrrhenhain;
Zu hören leisgesprochnes Wort,
Den Lotos essend Tag für Tag;
Dem Strom zu lauschen, der zum Meere fort
Die Wasser führt mit sanftem Wellenschlag;
Und Herz und Geist mit heil’gem Schauer
Dem Einfluss hinzugeben milder Trauer;
Sinnend herauszuzaubern im Erinnrungskleid
Alte Gesichter unsrer Jugendzeit,
Bedeckt mit Gras im Kirchhofsgrund,
Zwei Handvoll weißen Staubs in einer Urne Rund!

201

6.
Lieb ist das Angedenken unsrer Eh’n,
Und lieb der Scheidekuss, das letzte Flehn
Der Gattin – doch was wisst vom Heute ihr?
Kalt sind nun unsre Herde sicherlich;
Der Sohn beerbt’ uns; fremd erschienen wir,
Als Geister störend seiner Freude Schall.
Oder die Inselfürsten letzten sich
An unserm Gut, der Barde singt um Lohn
Bei ihrem Fest vom Kampf um Troja’s Wall
Und unsern Thaten, halbvergessen schon.
Herrscht Streit aus diesem Inselland, dem schönen?
Lasst, was zerbrach, zerbrochen sein!
Schwer sind die Götter zu versöhnen –
Schwer stellt daheim sich wieder Ordnung ein.
Kampf giebt es schlimmem dort als Tod,
Wilde Verwirrung, Schmerz und Pein,
Für graue Häupter Sorg’ und Noth,
Ein traurig Loos nür Herzen, müd’ der Schlacht,
Und Augen, trüb vom Schaun aus Stern’ und Wogennacht,

7.
Doch, hingestreckt aus lauchdurchwirkten Moosen,
Wie süß, umnächelt von der Lünte Kosen,
Mit halbgeschlossnem Lid,
Unter des Himmels Purpurrosen

202

Zu schauen, wie der Fluss mit seinen großen
Gewässern still zum Meere zieht;
Zu hören, wie mit leisem Hallen
Von Schlucht zu Schlucht herniedertropft der Thau;
Zu hören, wie smaragdne Fluthen wallen
Durch manch gewundnes Feld von Bärenklau;
Zu hören und zu sehn das Meer, so tief und blau,
O süß schon wäre Das, ruhnd an der Fichte Bau!

8.
Der Lotos steht aus jedem blumigen Hag,
Der Lotos blüht an jedem Murmelbach;
Mit sanftem Hauch tagtäglich weht der Wind;
Durch jede Schlucht, und wo nur Stege sind,
Fliegt und stiegt der gelbe Lotosstaub durch Wald und Wiesen lind.
Nun genug für uns der Thaten und der Wanderung!
Bald nach Steuer-, bald nach Backbord warf uns tückischer Wogen Sprung,
Wo den Schaum und Gischt hinaufwärts spritzte tollen Wirbels Schwung.
Lasst uns schwören einen Eid und treu ihn halten nun,
In dem Lotosland zu leben, und im Moos zu ruhn,
Göttern gleichend, unbekümmert um der Menschen Thun.
Denn bei ihrem Nektar ruhn sie, und der Donnerkeil
Schmettert tief ins Thal hinunter, und es blitzt der Sonnenpfeil

203

Um ihr goldnes Haus, wo ew’ge Friedenslust ihr Theil;
Wo sie heimlich lächelnd blicken aus verheertes Land,
Pest und Hunger, Erderschüttrung, brüllende Wirbel, glühnden Sand,
Schlacht und brennende Stadt und untergehndes Schiff und flehnde Hand.
Doch sie lächeln, und sie finden süßen Klang im Wehelied,
Das wie eine alte Klage trauervoll gen Himmel zieht, –
Kaum so trübe, wenn man durch die trüben Worte sieht;
Abgesungen von dem armen Volk, das endlos schafft,
Pflügt und säet und still die Ernte in die Scheuern rafft,
Wenig Öl und Trauben jährlich kelternd in der Bütten Haft;
Bis sie sterben dann und leiden, Ein’ge – heißt’s – im Höllenschlund,
Endlos leiden; Andre wallen aus Elysiums Wiesenrund,
Müde Glieder streckend aus dem Asphodelosgrund.
Wahrlich, Schlaf ist süßer, als am Land sich mühen schwer,
Und als mit Well’ und Wind zu kämpfen auf dem wilden Meer;
O Seegenossen, ruht euch aus – wir wandern jetzt nicht mehr!


216

 Der Bach.
 Ein Idyll.

„Am Bach hier schieden wir; nach Indien ich,
Er nach Italien – zu spät – zu spät!
Die starken Herrn der Welt verachten ihn;
Denn Reime waren für ihn Aktien,
Und sanfte Rhythmen mehr als Zins auf Zins;
Auch wusst’ er nicht, wie Geld sich mehren kann,
Es schien ihm todt; allein er selbst erschuf,
Was nicht ist wie die Dinge, die da sind.
O lebt’ er noch! In unsern Büchern heißt’s
Von Denen, welche hoch hervorgeragt:
Sie blühten dann und dann. In ihm hat kaum
Geblüht das Leben; leis gefärbt nur war’s
In solcher Zeit, die vor dem Sprießen kommt,
Wo rings der Wald sich neu begrünt, und Nichts
Vollkommen. Doch der Bach, den er geliebt,
Nach dem ich in Bengalens Tropengluth
Und Neilgherry’s halbheimatlicher Luft
Mich sehnte, bringt nun mir, dem Horchenden,
Des Knaben Blumenträume all’ zurück,
Den ich geliebt. Denn: „Bach!“ –so sang er einst –
„O Murmelbach,“ sang Edmund’s schlichter Vers,
„Von wannen kommst du?“ und der Bach drauf sprach:

217

Wo Sumpshuhn weilt und Reiher baut,
Entspring’ ich licht und munter,
Und schlängle dann durchs Farrenkraut
Mich froh ins Thal hinunter.

An dreißig Hügeln geht’s vorbei,
Durch Fels und Bergesrücken,
An zwanzig Dörfern, stolz und frei,
Und wohl an fünfzig Brücken.

Zuletzt, wo Philipps Scheuern stehn,
Muß in den Strom ich schießen –
Die Menschen kommen und vergehn,
Doch ich muss ewig fließen.

„Der arme Bursch starb in Florenz, als er
Neapelwärts sein welkes Leben trug.
Die Darnley-Brücke hier! mehr Eppich weist
Sie heute aus; und dort der Strom; und dort
Liegt Philipp’s Hof, wo Bach und Strom sich eint.

Geschwätzig über Sand und Stein
Hüpf’ ich in sanftem Rieseln,
Stürz’ über Dämm’ und Schleusenreihn,
Und plaudre mit den Kieseln.

Hinzieht sich mein gewundner Lauf
An manchem Feld und Brachland;
Wo Pappeln, Weiden stehn zuhauf,
Rinn’ ich durch manches Flachland.

218

Ich plaudr’ und plaudre gerngesehn,
Bis ich zum Strom muss schießen –
Die Menschen kommen und vergehn,
Doch ich muss ewig fließen.

„Allein der alte Philipp schwatzte mehr
Als Bach und Vogel; rings im Feld vernahmt
Den ganzen Tag ihr sein Gezirp, der hoch-
Gebeinten Grille gleich im Sommergras.

Ich schlängle mich gar lustiglich
Entlang mit krausen Wellen;
Hier schaukelt eine Blume sich,
Dort tanzen Bachforellen.

Und hier und da gleich Winterreif
Schaumperlen ziehn zum Strande,
Nebst manchem lichten Silberstreif
Auf goldnem Kies und Sande.

Und Alles konnt ihr blinken sehn,
Bis ich zum Strom muss schießen –
Die Menschen kommen und vergehn,
Doch ich muss ewig fließen.

„Lieb Käthchen Willows, du sein einzig Kind!
Ein Mädchen unsrer Zeit, doch wundersanft;
Ein Spross der Wiesen, aber doch nicht plump;

219

Schlank, doch geschmeidig wie ein Haselreis;
Ihr Auge ein verschämtes Blau, ihr Haar
An Glanz und Farbe der Kastanie gleich,
Wenn reif die Frucht gespaltner Schal’ entblinkt.

„Lieb Käthchen – einen Dienst erwies ich einst
Ihr und dem Vetter, ihrem Bräutigam,
James Willows, Eins mit ihr an Nam’ und Herz.
Ich kam hieher – es sind nun zwanzig Jahr’ –
Die Woche just, eh’ ich von Edmund schied;
Die alte Brücke überschritt’ ich, die,
Schon damals halb zerfallen, heute noch,
Wie eines Greises Braue, überm Glanz
Vereinter Fluth von Bach und Strom sich wölbt;
Ich pfiff das alte Lied von „Bonny Doon,“
Und pocht’ an Philipp’s Gartenthür. Die Thür,
Geöffnet halb aus kreischender Angel, ging
Nicht auf; aus einem Fenster schrie er: „Lauf!“
Der Tochter drunten in dem Garten zu,
„Lauf, Käthchen!“ Nie doch lief sie. Hergewallt
Kam sie zu mir aus blühndem Geisblattpfad,
Erröthend, mit gesenktem Augenlid,
Als hielte einen Wunsch ihr Herz zurück.

„Was war es? Weniger Denken als Gefühl
Besaß sie; ungebildet nicht, doch auch

220

Empfindelnd nicht in falscher Thränenfluth,
Noch Eine, die in stumpfer Heuchelei
Das Fühlen vom Gefährten trennt: der That.

„Sie sagte mir, dass James mit ihr gezankt.
Wie? und der Grund? –James habe keinen Grund,
Versetzte sie; doch als ich in sie drang,
Erfuhr ich bald, dass James durch Eifersucht
Sie quäle. Und wer quält denn James? fragt’ ich.
Doch Käthchen wandte von mir ab den Blick,
Und mit dem kleinen Fuss im Gartenkies
Ein Zeichen wie ein Zaubrerpentagramm
Hinmalend, gab sie keine Antwort mir,
Als ein erröthend Schweigen, bis ich frug,
Wann James herkomme. „Wann? O, jeden Tag,“
Sprach sie; „ aufklären möcht’ er stets den Zwist,
Doch Vater stör’ ihn immer, schneide mit
Langathmigem Bericht ihm ab das Wort,
Und murrend scheide James von ihm und ihr!“
Wie sollt’ ich helfen? – „War’ ich nur so gut.“
(Gefaltne Hände und ein flehnder Blick
Besiegten mich schon eh’ sie weiter sprach,)
„Ein Stündchen mit dem Vater fortzugehn,
Zu horchen ihm ein halbes Stündchen bloß!“
Und während sie noch sprach, erblickt’ ich James
Wie Einen, der die Fluth durchwatet, nahn
Jenseit des Bachs, kniehoch im Wiesengras.

221

„Wie Viel, o Käthchen, litt ich deinethalb!
Ich ging hinein und bat den Alten, mir
Den Hof zu zeigen; willig stand er auf.
Er führte mich aus schmalem duft’gem Pfad
Durchs Weizenfeld, und schwatzte Viel im Gehn;
Er pries sein Land, sein Vieh, sein Ackerzeug,
Die Pflüge, Pferde, Schweine. Hund’ und Küh’;
Er pries die Gänse, Hühner edler Zucht,
Die Tauben auch, die von dem Dachesfirst
Ihm Beifall nickten, als er sie gelobt.
Dann von der winselnden Mutter Zitzen nahm
Die blinden Welftein er, und nannte sie,
Und nannte jeden Freund, dem sie bestimmt.
Dann wies er mir in Darnley’s Jagdrevier
Sir Arthur’s Wild. In Unterholz und Farrn
Lugten hervor, fast zahllos, Ohr und Schwanz,
Dann setzt’ er sich aus einen Buchenstamm,
Und zeigt’ ein weidend Fohlen mir, und sprach:
„Dies habe ich dem Richter jüngst verkauft.“
Und nun ein endlos ewiger Bericht:
Wie erst der Richter jenes Fohlen sah,
Wie dessen To chter just solch Pferd gewünscht,
Wie er den Schultheiß nach dem Hof gesandt,
Den Preis zu hören; wie viel er verlangt,
Und wie der Schultheiß schwor, er sei verrückt;
Doch er blieb standhaft; so ward Nichts daraus;
Er ließ sie zappeln; und fünf Tage drauf
Traf er den Schultheiß in dem „Goldnen Vließ,“

222

Wo dieser mehr und mehr allmählich bot;
Doch er blieb standhaft; so ward Nichts daraus;
Er kannt’ ihn ja – sein Preis war ihm gewiss –
Er ließ ihn gehn; und endlich tras er dann
(War es April, war’s Mai? er wusste nicht,
Ob letzter im April, ob erster Mai?)
Den Schultheiß, der am Hof vorüberritt,
Und lud ihn, von dem Handel redend, ein
Ins Haus, und sanstigte sein Herz mit Ale,
Bis Hand in Hand der Kaus geschlossen ward.

„Schon Angesichts des Hafens wähnt’ ich mich,
Aufathmend; da von Neuem hob er an,
Der Ärmste – denn wie konnt’ er anders wohl? –
Und trug den ganzen Füllen-Stammbaum vor:
Rosa und Bess, Tantivy, Tallyho,
Reform, Kokette, Will, Bellerophon,
Arbaees und Phanomenen, und so fort,
Bis, einzuschlafen nicht, ich mich erhob,
Und Philipp auch, fortschwatzend stets; und so
Wandten den Rücken wir dem Abendroth,
Und unsern Schatten folgend – dreifach wuchs
Ihr Maß, seit sie vom Hause uns gefolgt –
Rückkamen wir, und sahn in Kathchen’s Aug’
Die Sonne der Zufriedenheit aufs Neu’
Erstrahlen, sahn, dass Alles wieder gut.

223

Ich wandle, wo auf Rasen dicht
Viel’ duft’ge Blumen glühen;
Ich wiege die Vergissmeinmcht,
Die froher Lieb’ erblhüen.

Ich hüpf’ und schlüpf’ durch Licht und Nacht
Mit schaumbedeckten Wellen;
Es tanzt der goldnen Sonne Pracht
Aus meinen sand’gen Stellen.

Ich murmle bei der Sterne Schein
Au wilden Bromberhecken,
Verweil’ an glitzerndem Gestein,
Und wo sich Falter necken.

So wind’ und wend’ ich mich im Drehn,
Bis ich zum Strom muss schießen –
Die Menschen kommen und vergehn,
Doch ich muss ewig fließen.

„Ja, kommen und vergehn! – und Die sind hin,
All’ hin! Mein theurer Bruder Edmund schläft,
Nicht bei dem lieben Strom und Kirchthurm, nein,
Am unbekannten Arno und dem Dom
Von Brunelleschi, – schläft in Ruh’; und von
Des armen Philipp’s Wortverschwendung blieb
Die Inschrist nur „P. W.“ aus seinem Grab;
Das Moos davon entfernt’ ich; – Käthchen weilt
Am sernen Meeresstrand Australiens,
Und hebt zu andern Sternen nun den Blick
In sremder Zone. Alle sind sie hin!“ –

224

So Lawrenee Aylmer. Sitzend aus dem Steg
Des breiten Zauns, verschollner Melodien
Gedenkend, und ein früh gealtert Haupt –
Geschoren war’s – hinbeugend übern Bach,
Sann er, und schwieg. Da plötzlich ließ ein Hauch,
Ein warmer Athem, zittern in dem Zaun
Die schwanken Winden und die Glöckchen all’.
Er sah empor. Ein Mädchen huschte sacht
An ihm vorbei. Verwundert schaute er
Zwei Augen von verschämtem Blau, und Haar,
An Glanz und Farbe der Kastanie gleich,
Wenn reif die Frucht gespaltner Schal’ entblinkt.
Voll Staunens fragt’ er: „Bist du vom Gehöft?“
„„Ja,““ sagte sie. – „O bleibe noch ... verzeih ...
Wie heißt du?“ – „..Käthchen.““ – „Seltsam wäre Das ...
Wie ferner ?“ –„ „Willows.““– „Nein!“ –„ „Dochheiß ich so.““ –
„Fürwahr!“ und hiebei schaut’ er so verwirrt,
Dass Käthchen lachte und erröthete,
Bis selbst er lachte, doch wie Einer, eh’
Aus sonderbarem Traumbild er erwacht.
Dann, sie betrachtend, sprach er: „Allzu schön,
Zu frisch und schön und glücklich bist du, Kind,
Im hellsten Frühling dieser trüben Welt,
Um hier als Geist von Einer umzugehn,
Die einst – wohl zwanzig Jahre sind es her –
Aus diesen Feldern deinen Namen trug.“

225

„„So wisst Ihr nicht, dass wir zurückgekehrt,““
Sprach Käthchen, „„und den alten Hof gekauft?
Gleich’ ich ihr so? Man sagt’ es auf dem Schiff.
Herr, wenn in England meine Mutter einst
Ihr kanntet, wie es scheint – zu jener Zeit,
Von der sie stets am liebsten spricht – so kommt!
Mein Bruder James ist in dem Erntefeld;
Doch sie – willkommen seid Ihr – tretet ein!““