Benutzer:Ckepper/Bücher/GlimmendeKohlen
Die lange Herbstnacht wollte noch nicht weichen, als es auf dem Brunnhofe schon wieder sich zu regen begann.
Die erbleichende Mondsichel hing noch wie ein weißes verflatterndes Wölkchen über den Bergen, die mit tiefem Veilchenblau übergossen sich klar und scharf von dem anglühenden goldrothen Himmelsgrunde abhoben. Im Thalgrunde, am See dahin und die Hänge hinan war es noch fast vollständig dunkel, der See selbst zwar unsichtbar, eine graue Nebelschicht lagerte über ihm, als hätten die Wasserweiblein in der Fluth und die Wichteln am Land zusammengeholfen, ihr Kleinod zu wahren und die Nacht über mit schützender Decke zu verhüllen. Auf den geschornen Grashängen schimmerte es leicht, denn es war starker Reif gefallen, und wer Tags zuvor die Kirschbäume an den Feldrainen genau betrachtet hatte, dem konnte es nicht entgehen, daß die Blätterkronen
um manch’ ein Blatt durchsichtiger geworden; daß das noch vorhandene Grün sich um vieles dunkler geröthet hatte.
Der Morgen vor dem Erwachen war so still, wie der Abend vor dem Einschlafen gewesen; drum ward auch das leise Knarren wohl hörbar, mit welchem die Hausthür langsam und vorsichtig in den Angeln gedreht wurde. Beinahe gleichzeitig war im obern Stockwerk an einem Fenster eine Hand zu sehen, welche geräuschlos den daran befindlichen Schieber in die Höhe drückte.
Auf der Schwelle stand Sylvester, schon im vollen Sonntagsstaat, und blickte wie unschlüssig in den kalten grauenden Morgen hinaus; hinter dem Fenster lauerte wie ein Füchslein aus dem Bau der alte Brunnhofer.
Die Blicke des Burschen kehrten immer wieder auf die Wand neben dem Thürgerüste zurück, denn dort prangte zierlich aufgehangen ein stattlicher Doppelstutzen, schön geschäftet und blank gehalten, daneben Waidtasche, Pulverhorn und Kugelbeutel, wie es sich für einen richtigen Jagdschützen schickt. Der Förster, der in dem Burschen einen waidgerechten Genossen sah, hatte nichts dagegen, daß im Bauernhause die Abzeichen der Jägerei prunkten, und ließ ihn gewähren, wenn er auf Bürsch oder Anstand gehen wollte, ganz nach eigenem Belieben. Schon hob er den Arm nach der lockenden Waffe. „Warum sollt’ ich nit?“ murrte er halblaut. „Es ist ja nichts Unrechtes … und heut’, bei dem prächtigen Reif, da muß die Fährt’ zu sehen sein, daß einem das Herz im Leib’ lacht! Weil’s der Vetter verboten hat? … Das ist seine Schuld, nit die meine: warum verbiet’t er was, das er nit verbieten soll? Ich bin ja kein Kind mehr…“ Dabei hatte er mit rascher Bewegung das Gewehr von der Wand gerissen, hielt es schußgerecht an die Hüfte und ließ mit sichtlichem Behagen den Hahn auf und nieder klappen… „Wahr ist es, ein Kind bin ich nimmer,“ fuhr er in seinem innern Selbstgespräch fort, „aber er ist d’rum doch der Vetter und wenn er’s halt justament haben will, könnt’ ich ihm ja einmal den Gefallen thun… Ja, wenn er’s nur nit so positiv verlangen thät … wenn er mir’s unter vier Augen g’sagt hätt’, in der Still’, nit vor der Bas’ und vor dem Muckl, der’s gewiß noch gestern im Wirthshaus drüben erzählt hat… Ich wollt’ ihm ja gern zeigen daß ich ‘was auf sein Reden geb’, aber er sollt’ nur nit gerade das verlangen was mir das Allerliebste ist und von was ich einmal nit lassen kann. … Aber wie?“ sagte er plötzlich ernst und ließ die Büchse sinken. „Hat er mich nit ein’ Loder geheißen, der erst ein richtiger Mensch werden müßt’? Er soll nit Recht behalten, ein richtiger Mensch kann Alles, was er will … und jetzt will ich ihm einmal zeigen, daß ich ein richtiger Bursch bin und nit erst zu werden brauch’! Da häng’, mein’ liebe Kugelbüchs, hast Feierabend auf eine Weil’! Jetzt wird nimmer auf d’ Jagd ‘gangen, sechs Wochen lang, aber nit weil’s der Vetter befohlen hat, sondern weil ich selber nit will, weil mich das Jagdgehn nimmer g’freut und das Schießen; damit muß er wohl zufrieden sein, so geh’s wenigstens in dem Einen Stuck nach sein’ Kopf, denn das andere … das mit dem Heirathen, das ist doch nur Narrethei!“
Während dieser Worte war der Stutzen wieder an seinen Platz zurückgekehrt; Sylvester machte, als wolle er verhüten, daß der Entschluß ihn nicht wieder gereue, einen raschen Schritt über die Schwelle und die Thür flog hinter ihm in’s Schloß.
Der Alle oben am Guckloch duckte sich und lachte zufrieden in sich hinein, während er noch einmal sein Bett aufsuchte. „Er geht ohne Gewehr,“ brummte er, „na, so ist Hopfen und Malz doch noch nicht ganz verloren an ihm!“
Der Bursche schritt indessen rüstig die Berghalde hinan, quer durch das bereifte Gras; das war nicht der Weg, der zum Dorfe und zur Kirche führte, wo heute das Erntefest stattfinden sollte und die verhängnißvolle Wahl, aber dazu war es auch noch viel zu früh und wenn er auch entschlossen war, nicht zu jagen, unwillkürlich und fast unbewußt zog ihn doch die alte Lust, die liebe Gewohnheit in’s Freie, dem Walde zu, von dem ein leichtes Morgenlüftchen den Harzduft herübertrug wie Lockung und Gruß. Die Nacht war ihm unruhig und fast schlafslos vergangen: die Ereignisse des Abends erfüllten sein Gemüth und noch mehr das, was kommen, die Frucht, die aufkeimen sollte aus der rasch in den Augenblick geworfenen Saat. Und wenn er die wachenden Gedanken und Bilder von sich gescheucht, dann kam es in Träumen mit gesteigerter Unruhe mit allerlei beängstigenden Gestalten über ihn: bald kamen die Hasen und Füchse an sein Bett, machten Männchen und Kreuzsprünge und neckten ihn, daß sie nun Ruhe haben sollten vor ihm; bei näherem Herankommen aber hatten die Thiere Menschengesichter und verwandelten sich in die Köpfe der Jäger und der Bauernburschen, die lachend und höhnisch vor ihm einen lustigen Tanz aufführten. Dann schien es ihm wieder, als sei er mitten unter den Tanzenden und höre die Clarinette seines Cameraden, der einen Ländler blies, wie man noch keinen gehört hatte in den Bergen, er flog, sprang und drehte sich und hatte eine Tänzerin in den Armen, die sich schwang wie eine leichte Feder, aber das Gesicht konnte er nicht sehen; das war abgewandt und wie er sich auch mühte, es war und blieb undeutlich … allmählich aber ward die Gestalt immer körperhafter und hing sich immer schwerer an ihn wie eine bleierne Last … und jetzt – jetzt konnte er auf einmal auch das Gesicht sehen … große eulenhafte Augen guckten auf ihn herab, eine spitze Nase, die einem Schnabel glich, senkte sich immer tiefer, und wie der Spuk näher und näher kam, da schleuderte ihn das Entsetzen aus den Armen des Schlafes auf, mit Einem Salze war er aus dem Bette und hastete sich, aus Stube und Haus und mit beiden aus dem Wirrsal unfreundlicher Gedanken zu entkommen.
Aber wie er auch eilte, die Gedanken gingen mit ihm, die Bilder gaukelten nebenher in den Büschen und Zweigen, waren sie auch mit dem Tage und der Helle des Tages andere geworden. Kaum hatte er den Wald selber betreten, als es in den Gesträuchen zu rauschen und zu knicken begann: er erkannte den Ton, ein Reh mußte in voller Flucht herankommen und quer über die Blöße setzen. Lautlos stand er und regungslos – da brach das schöne geschmeidige Thier aus dem krachenden Geäst und machte noch ein paar Sprünge, dann hielt es an, wandte den schlanken Hals gegen den Lauschenden hin, den es mit klugen Augen wie prüfend betrachtete, und trippelte dann ruhig weiter. „Hätt’ ich meinen Stutzen bei mir,“ grollte Sylvester, „Du solltest es wohl eiliger haben und bald ruhig liegen! Ist es nicht gerade, als ob’ das Gethier Menschenverstand hätte und hätte gewußt, daß ich kein Gewehr habe und ihm nichts thun kann? Ich mein’, es hat mich ordentlich spöttisch angeschaut!“
Als wär’ es eine Zustimmung, ertönte helles Gelächter in das Selbstgespräch des Burschen: es kam aus der Luft, eine Moosgeis, auch Moosgrille geheißen, strich in der Nähe vorüber und ließ ihr meckerndes Geschrei ertönen, das sich deutlich anhört, wie stoßweises spöttisches Lachen.
„Der Tag fangt sich schon gut an, das muß ich sagen!“ rief Sylvester unwillig und stieg in der Erregung schneller bergan. Ein munteres Bergbächlein kam in schmaler grüner Rasenrinne ihm plaudernd entgegen; auf einer flachern Stelle bildete es eine kleine Wasseransammlung, in welcher gelbe Schmalzblumen ihre vollen goldenen Köpfe schaukelten und die Wasserlinse ihre grünen fetten Blattscheiben auseinander breitete. Dazwischen spazierte und hüpfte ein Paar langgeschweifter, schwarz- und weißgefleckter Vögel zierlich hin und wieder.
Es war ein Bachstelzen-Paar und der Volksglaube will, wer ein solches Paar spielend beisammen erblicke, dem sei es ein fröhlich vorbedeutend Zeichen, daß er binnen Jahr und Tag Hochzeit gemacht haben werde.
„Scht … scht …“ rief der Bursche und scheuchte die Vögel auf, „wollt ihr mir wohl aus dem Wege gehen, ihr Schelmen! Was versteht ihr davon, ob ich noch länger ein freies, lediges Leben führen darf oder mich einbandeln und einhäuseln lassen muß! Ist denn der ganze Wald, und was drinn’ ist, heut verkehrt, weil mich Alles an mein unglückseliges Schicksal mahnen muß, oder bin ich’s, daß mir die Gedanken keine Ruh’ lassen … ich will hinaufgeh’n auf mein’ Vogelheerd und nachschau’n, was sich g’fangen hat, das bringt mich auf andere Gedanken, und das hab ich ja nit verred’t, das heißt ja nit auf die Jagd gehen …“
Er wich vom ausgetretenen Waldpfad und schlug sich in’s Dickicht zur Seite. Freistehend, wie eine vorgeschobene Warte, hob sich unmittelbar an dem Gewänd, in welchem der eigentliche Berg anzusteigen begann, ein runder stattlicher Hügel empor, reich bebuscht und mit mächtigen Buchen und Eichen besetzt, deren Kronen einander nicht irrten, so daß es gar ein anmuthig liebes Plätzchen für das Gevögel des Waldes bildete, zum Nisten in den grünen Niederungen und zu fröhlichem Spiel und Aufenthalt in den dichten und doch so luftigen Wipfeln. Hinter dem Hügel wand sich eine enge, feuchte Schlucht herum, ein Zeichen, daß er nur ein mächtig Bergstück war, welches einmal von der Felswand herabgestürzt und nun von ein paar Jahrhundert überras’t, überbuscht und überwaldet war.
Als Sylvester den Bühel hinanstieg, war ihm die Stille verwunderlich, die ihn empfing; es war doch schon um die Zeit, wo die wenigen Herbstsänger des Waldes ihr Morgenliedchen hören lassen, auch hatten die Züge der verschiedenen Wandervögel schon begonnen und belebten sonst den Hügel – es mußte etwas Ungewöhnliches vorgegangen sein, das Gast und Hausherrn verscheucht hatte.
Ueber die entvölkerten Baumkronen hinaus wölkte sich, wie ein willkommenes Brandopfer, eine kerzengerade Rauchsäule empor, sie kam aus der Schlucht am Felsgewänd.
Das Befremden des Burschen erklärte sich aber bald und ging rasch in immer stärkeren Unwillen über; er suchte die Schlingen auf, die er für die streichenden Krammetsvögel geknüpft und an die er rothe Beeren als Lockspeise gehängt hatte; die Schnüre und Drähte waren wohl vorhanden, aber eine fremde Hand hatte sie alle aufgezogen und losgeknüpft, der Fang war vereitelt. Das Blut stieg dem Suchenden zu Kopf; er rannte vorwärts, der kleinen, von Gesträuch dicht umrahmten Blöße zu, wo unter einem Büschel kräftiger Tannen der eigentliche Vogelheerd mit der wohlversteckten Streu- und Blätterhütte und das Gestell angebracht war, auf welches der Auf (Eule) gesetzt wurde, um seine gefiederten Feinde heranzulocken und dafür, daß sie ihrem Hasse Luft zu machen suchten, in’s eigene Verderben, in’s Netz des Vogelstellers, zu bringen. Auch das Netz war zugeklappt, aber leer, nur in der allerverschlungensten Maschenecke flatterte und piepte etwas Lebendiges.
Sylvester sprang zornig hinzu, einen derben Fluch zwischen den verbissenen Zähnen. „Wer hat mir das angethan?“ rief er, „wenn ich den kennte, dem wollt’ ich einen Denkzettel geben, daß er ihn eine gute Weil’ mit herumtragen sollt’! Der beste Fang ist verdorben, jetzt ist Alles verscheucht und kommt so bald nit wieder! Nach dem Gefieder, das herumliegt, muß hübsch viel eingegangen sein und nichts ist mehr da, als da im Eck’ hinten ein elendiges Zaunschlupferl oder was es ist …“
Er entwirrte das Netz; ein Gimpel saß darin, so verschüchtert und verzweifelt ergeben, daß er sich gar nicht mehr regte und der dicke auf die rothe Brust herabgesenkte Schnabel aussah, wie eine mächtige Nase in einem runden, zinnoberfarbigen Angesicht. Beim Anblick des Gefangenen, der sich ruhig ergreifen ließ, milderte sich Sylvesters Unmuth sehr. Andere Gedanken fuhren ihm wieder durch den Sinn, die glücklichen entkommenen Vögel in ihrer Freiheit waren ein Bild seines bisherigen ungebundenen, fröhlichen Lebens, in dem Gimpel sah er sich selbst, mürrisch, verstimmt, in ein unentrinnbares Netz verwickelt. „Flieg’,“ sagte er und gab den Vogel frei, „sollst es auch nit schlechter haben, als die Andern, es ist ja nit deine Schuld, daß du ein Gimpel bist!“
Mit einem jubelnden Triller, der sonst in seiner Kehle nicht heimisch ist, begrüßte der Entfliehende die Freiheit; laut schmetternd setzte er sich gerade über Sylvester auf einen Zweig und
prüfte die Flügel, ob sie nicht gelitten in der Haft und noch im Stande waren, ihn den Genossen nachzutragen.
„Wie er singt!“ sagte Sylvester und blickte zu ihm empor. „Es ist, als wenn er sich ordentlich bedanken wollt’ …“
Beim Aufblicken gewahrte er die Rauchsäule über den Wipfeln.
„Aber was ist denn das?“ fragte er sich staunend. „Da raucht’s ja! Das kommt aus dem Gewänd’ da hinten heraus … ist der Kohlezubrenner wieder da? Das hab’ ich ja gar nit gewußt … O, da brauch’ ich nimmer lang’ zu fragen, wer meine Schlingen aufgemacht und meine Sprenkel ausgenommen hat! Gewiß hat er wieder einen Buben bei sich, so einen Schlingel, dem nichts lieber ist, als den ganzen Tag im Wald herumrennen …“
So schön er im Zuge war, er verstummte doch mit einem Male; er hatte heute einen eigenen Unstern mit Allem, was ihm begegnete und was er dachte. Konnte er den Köhlerbuben schelten, er, dem selber nichts lieber war, als im Walde herumzurennen den lieben langen Tag?
„Sehen muß ich doch, ob ich mich irr’,“ begann er wieder und schritt den Waldpfad nach der Schlucht hinab. „Dahinter kommen muß ich, wer mir meine Vögel ausgelassen hat, und muß ein deutsches Wörtel reden mit ihm! Am Boden sieht man nichts, der Moosgrund ist zu lind, man kann nit erkennen, was es für ein Fuß gewesen ist, der ihn nieder’treten hat …“
Während er sich nach einer Spur bückte, kam er einer Weißdornstaude zu nah und ein weitvorragender schlanker Zweig faßte mit einer seiner Stacheln nach seinem Aermel; er machte sich los und griff doch augenblicklich wieder nach dem Zweig, der Busch mochte sich als eine Art Wächter des engen Waldpfades betrachten, er schien jeden Vorübergehenden anzuhalten und ein Pfand von ihm zu nehmen … an einem andern Stachel hing eine rothe Wollenflocke, irgend einem Wanderer entrissen.
Sylvester nahm die rothe Flocke und war mit wenig Sätzen in der Niederung; jetzt durfte er von der Ecke aus nur noch ein paar Schritte machen, dann konnte er den ganzen schmalen Grund übersehen, aber er schritt nicht vorwärts; an der Felsecke war der Weg zur Abwehr des Weidviehs mit einem Zaun aus übereinander gelegten Stangen vermacht; auf diesen lehnte er sich mit beiden aufgestützten Armen und betrachtete verwundert das anmuthige Bild, das sich unerwartet in der Schlucht vor ihm aufgethan.
So eng der Raum war zwischen den Gebüschen des Hügels und den grauen, verwitterten Flächen der Felswand, hatte doch ein genügsamer Streifen saftgrünen Bodens sich dazwischen zu drängen gewußt; am Ende desselben, unter einem Paar gewaltiger Ahornbäume, stand etwas, was einer Hütte gleich, wie das einfachste, erste Bedürfniß sie erfindet und schafft. Vor derselben wanderten pickend einige Hühner umher; vom Giebel sahen, zum Fluge bereit, neugierige Tauben herab, und seitwärts auf schwarzem, ebenem Grunde lag ein mächtiger Kohlenmeiler, oben und nach allen Seiten mit gebräunten Rasenschichten bedeckt, aus den Ritzen stieg dichter Qualm, um sich darüber in reiner Luft zur Säule zu vereinigen. Auf dem Bänkchen an der Thür, hinter den stolzirenden Hühnern und flatternden Tauben, saß ein Mädchen, die Cither vor sich auf dem Schooße; eben war sie herausgetreten und hatte den geflügelten Hausgenossen Futter gestreut; jetzt schickte sie sich an, ihnen Musik zu machen zum Frühimbiß. Die Drahtsaiten klimperten hell wie Vogelgezwitscher, und hell wie Gesang eines andern Vogels tönte die Stimme des Mädchens darein. Die Spielende war im einfachsten Morgengewand, das keinen Beschauer erwartet; Busentuch, Hemdärmel und Schürze waren blendend weiß, nur der dunkle Rock war rothgesäumt und hob dadurch noch mehr die lichte Helle der Strümpfe mit buntem Zwickeleinsatz.
Sie sang:
- „Die Kohl’n san verdeckt und
Pfeilg’rad steigt der Rauch,
Was ein richtiger Rauch ist,
Ja, der hat halt sein’ Brauch!“
begann einen angenehmen Jodler als Nachgesang, dann wiederholte sie das kleine Vorspiel und wollte eben ein zweites „Gesätzel“ anfangen, als sie innehaltend verwundert aufblickte, denn vom Zaunstiege her begann eine andere, eine männlichen Stimme in gleicher Weise einfallend zu singen:
- „Die Kohl’n san verdeckt und
- I hab’s glei’ derkennt,
- Wo der Rauch davo’ geht,
- Das is eppes (etwas) das brenn!“
Das Mädchen hatte mit lachendem Wohlgefallen zugehört; jetzt nickte sie lächelnd und sang zur Erwiderung:
- „Und wenn eppes brennt, so
- Geh wegga (weg) fein glei’ (gleich)
- Du machst Dich leicht schwarz und
- Verbrennst Di dabei!“
Der Bursche zögerte nicht mit der Erwiderung, aber nicht mehr vom Zaune aus, mit einem kecken Satz hatte er sich hinübergeschwungen und eilte über den Rasen, dem Hause zu. Er sang:
- „Und wenn eppes brennt, da
- Lauf’ ich fredig (freudig, mit Absicht) erst zue,
- Wer das Rußigwerd’n fürcht’, ist
- Ka richtiger Bue!“
„Das lass’ ich mir einmal gefallen,“ fuhr er redend fort und trat vor die Citherspielerin, „wenn man so ang’sungen wird in aller Früh! Wie kommst denn um die Zeit schon in Wald?“
„Um das muß ich Dich fragen,“ erwiderte lachend das Mädchen, „ich bin da daheim. Du bist es, der zugereis’t kommt!“
„Daheim? Na, ich geh’ doch den Weg zur rechten Zeit und hab’ Dich niemals nit g’seh’n und die Hütten ist ja versperrt gewesen, schier so’lang ich’s weiß… Es sind nit viel mehr als acht Tag’, daß ich erst vorbei ‘kommen bin!“
„Justament, so lang’ wird’s sein, daß der Vater wieder da her’zogen ist, er hat eine große Lieferung übernommen, von Kohlen, für den Eisenhammer draußen in der Ebnet … ich weiß nit, wie er heißt; da ist er da her’zogen und hat sich die verlassene Hütten wieder eingericht’t und seinen Kohlhaufen angezünd’t…“
„Also wär’ der Kohlenbrenner, der Veit, Dein Vater?“
„Wenn’st nichts dawider hast, ja, und Du bist wohl aufgestellt und mußt die Gegend durchstreifen und die Leut’ ausfratscheln?“
„Nein, Dirndel, aber mich verwundert’s, daß ich Dich niemals geseh’n hab’, wenn’s so wär’, müßt’ ich Dich auch kennen, so gut wie Dein’ Vater mit seiner Kohlen-Kürben…“
Das Mädchen sah ihn mit einem raschen, eigenthümlich forschenden Blick an. „Ja,“ sagte sie lachend, „einbilden darf ich mir justament nichts, daß mich Alt und Jung so vergessen hat, aber ich bin ein paar Jahrl’n fortgewesen und war dazumal noch ein ganz kleines Ding… Die Mutter ist so letz (krank) worden in die letzten Wochen her; d’rum hat’s nach mir g’schickt, aber wie ich gestern ‘kommen bin, hat sich’s schon wieder ‘bessert g’habt; sie ist wieder ganz krappig (rührig) und ist heut’ in aller Früh’ mit’m Vater nach Miesbach hinein marschirt… Weißt jetzt genug? Oder hast noch mehr auszukundschaften?“
„Ja,“ sagte er zögernd, „es geht jetzt in Einer Arbeit hin; ich kenn’ doch den Gesang und Schlag schier von einem jeden Vogel im Wald, aber so hat mir noch keiner gefallen, wie der Deinige! Da möcht’ ich doch gern’ wissen, wie der Vogel heißt und ob …“
Er stockte und was er sprach, enthielt keine Unwahrheit: es war ihm zu Muthe wie noch niemals im Leben; seit er vollends vor ihr stand, kam es ihm vor, als sei er bis dahin blind gewesen und habe nun zum ersten Male in ein lachendes Mädchenauge geblickt, als wäre das Herz in seiner Brust bis dahin eingezwängt gewesen, unfähig sich zu regen, und habe nun erst den freien warmen natürlichen Schlag gefunden. Auch das Mädchen war nicht ohne Befangenheit; die Lustigkeit des ersten Begegnens war etwas verflogen und als sie die frischen feurigen Augen des hübschen Burschen so unmittelbar auf sich gerichtet fühlte, war es, als ob ihr etwas in die Kehle gekommen und ihr die Stimme zusammenpresse.
„Ich mein’, es wird Zeit sein, daß ich geh’ …“ sagte sie, indem sie die Cither bei Seite legte und sich erhob, „ich hab’ noch zu thun im Haus…“ Trotz der eigenen Beklommenheit entging ihr aber die des Besuchers nicht und mit einem gutmüthigen Spottlächeln fand sie den Ton der frühern Heiterkeit nahezu wieder. Sylvester hielt den Hut in der einen Hand, in der andern drehte er die rothe Wollflocke zum Klümpchen zusammen.
„Meinen Namen willst wissen?“ fragte sie. „Na, wenn’s Dich glücklich macht, kann ich Dir’s ja wohl eingesteh’n, daß ich
auf Clar’l getauft bin, und was ist das Andre, was Du noch wissen willst, Du neugieriger Mensch?“
„ … Ich?“
„Du! Hast nit gesagt: ‚und ob?‘ – und drüber bist stecken ‘blieben.“
„Ja so, weiß schon,“ sagte er stockend, denn eine Reihe bunter Gedanken zuckte ihm blitzschnell durch die Seele. War er denn nicht ausgegangen zur Brautschau? Und war ihm hier nicht ein Mädchen begegnet, das Alles an sich trug, was Aug’ und Gemüth zu fesseln vermochte, und fühlte er sich nicht zu ihr hingezogen, wie noch nie? Was hinderte ihn, der erwarteten Frage einen gewichtigen entscheidenden Inhalt zu geben? Aber, so sehr das Herz ihn drängte, das Wort wollte nicht von der Zunge; er hatte es ja gelobt, hatte sich selbst und seinem Cameraden das Wort gegeben, die Wahl dem Zufall, dem Orakel zu überlassen, das sich offenbaren sollte am Altare des Höchsten; er mußte sich selber treu bleiben, durfte eine feierliche Zusage nicht brechen, da er bisher es so gehalten, daß eine Rede von ihm so sicher gewesen, wie die vollendete That.
Noch zögerte er, da machte eine überraschende Wahrnehmung seinem Schwanken ein rasches unerwartetes Ende. Sein bald schüchtern sich hebender, bald wieder zu Boden gesenkter Blick traf auf den Rocksaum des Mädchens, es war keine Täuschung! Dort, an der einen Seite war der rothe Wollbesatz schadhaft und zerfranzt: ein Stückchen schien losgerissen und, kein Zweifel, er hielt das Fehlende in der Hand.
„Hast Dich bald lang genug besonnen?“ fragte sie lachend, während aus seinem Antlitz die sonnige Freundlichkeit hinter finstern Wolken und Schatten des Unmuths verschwand.
„Brauch’ mich nit lang zu besinnen!“ rief er in so verändertem barschem Ton, daß sie verwundert aufblickte und einen Schritt zurück trat. „Ich hab’ Dich nur fragen wollen, ob das rothe Fleckel da Dir g’hört?“
„Kann wohl sein …“ kicherte sie noch verwunderter, „ich bin an ein’ Dorngesträuch hängen ‘blieben! Du willst wohl Nest’l bau’n, weil Du Flocken eintragst?“
„Na, aber fragen will ich Dich, ob Du’s gewesen bist, der droben auf dem Bühel die Schlingen und Sprenkel aufgezogen und das Netz aufgemacht hat? Und wer Dir etwann das erlaubt hat?“
„Erlaubt?“ fragte sie und maß den Redenden mit einem Blicke, der dem entschlossenen Enste des seinigen nichts nachgab. „Braucht’s da eine Erlaubniß dazu? Bist es etwa Du, der das Netz und die Schlingen aufg’richt’ hat für die armen Vögel?“
„Ist das etwann was Unrechts?“
„Das fragst? Du thust mir leid, wann Du das nit in Dir selber g’spürst… Im Tirol drinn’, wo ich jetzt her komm’, da haben s’ den leidigen Brauch, daß s’ im Herbst Alles zusammenfangen, was Federn und Flügel hat … ich hab’ mich g’nug gekränkt drüber und Du wolltest das auch bei uns aufbringen, in unsern lustigen Bergen, in dem frischen grünen Wald, den unser Herrgott extra dazu gemacht hat, daß die lieben G’schöpferln drinn singen und fludern (flattern) und ihre Freud’ haben. Scham’ Dich, Bue! Siehst wie ein richtiger Bursch aus und tragst ein richtig’s Bauerng’wand und willst ‘n Jager in’s Handwerk pfuschen? …“
„Das wird Dich nit viel angeh’n,“ sagte Sylvester in um so unwilligerem Tone, als er sich von der unerwarteten Erwiderung getroffen fühlte, auch ohne es sich zu gestehen, „die Netz’ und die Sprenkel gehören mein; was sich drinn’ gefangen hat, auch – auf das hat Niemand ein Recht!“
„Kann schon sein…“ sagte das Mädchen, indem es die Arme über der Brust zusammenlegte und dem Burschen ruhig in die glimmenden Augen sah. „Ich bin zu Morgens hinaus, in aller Fruh, eh’ noch die Sonn’ heraus gewesen ist, da bin ich hinauf auf den Bühel .… es ist mein Brauch so gewesen vor Jahren, wie ich noch daheim gewesen bin … da ist es so still gewesen, so halb licht und so feierlich, wie in einer Kirch’, eh’ die Lichter an’zündt werden zum Hochamt und eh’ die Orgel anfangt zu geh’n … mir ist um’s Herz gewesen, wie Einem ist, wenn man gewiß nichts Unrechtes thun will und es gut im Sinn hat, da bin ich vor das Netz hin ‘kommen und hab’ die lieben Vogeln g’sehn, die Zeiseln und die Amseln und die Rothkröpfeln, wie sie sich abgematt’ haben und abgeängstigt in der Gefangenschaft. Da haben s’ mir leid ‘than, die schön’ Thierl’n, sie sind so vergnügt in ihrer Freiheit und singen so schön, und da hab’ ich mir denkt, daß sie jetzt vielleicht verkauft und in kleine Häuseln eing’sperrt und gemartert werden sollen Und geplagt … und wie unser Herrgott wieder so viel Reichthum hat wachsen lassen und so viel Segen und wie’s in all’ dem Ueberfluß nit zusammen geh’n kann auf die Hand voll Körneln, die das kleine Vogelvolk braucht … da hab’ ich nit gefragt, wer die Netz aufgestellt hat und die Schlingen, ich hab s’ aufgemacht und hab’ die Gefangenen los ‘lassen … und hab’ ihnen zug’schaut, wie’s in die Höh’ gestiegen sind und haben sich gefreut und geflattert und gesungen, ein Jedes nach seiner Weis, und da hab’ ich gewußt, daß ich nichts Unrechts gethan hab’, und wenn ich auch zehnmal kein Recht gehabt hab’ dazu, und wenn Du’s nit glaubst, Du bäurischer Staudenjäger, und wenn Du das Herz hast, so geh’ hinein nach Miesbach auf’s Landgericht und verklag’ mich, die Kohlenbrenner-Clarl laßt sich finden…“
Sie hatte mit erhöhtem Tone gesprochen, das Auge glänzte und über die Wange goß sich stärkere Röthe; als sie geendet, wandte sie sich rasch, im nächsten Augenblick war sie in der Thür verschwunden und Sylvester hörte den Riegel vorklappen. Einen Moment stand er noch unschlüssig, die Standrede, die ihm gehalten worden, hatte ihn verblüfft; er hatte mehrmal angesetzt, sie zu unterbrechen, aber es war ihm nichts Kluges eingefallen; er mußte sich ja selbst gestehen, daß er etwas Aehnliches empfunden, als er dem letzten Gefangenen die Freiheit gegeben hatte. Langsam drückte er das Hütel auf den Krauskopf und rief mit etwas gezwungenem Lachen, indem er sich ebenfalls rasch und wie gänzlich gleichgültig abdrehte: „Dank’ schön, Madel – versponnen bist nit – der Dich einmal heirath’, darf für’s Hauskreuz nit sorgen …“ Trotz dieser Worte aber blieb der Gedanke, daß die schöne Zänkerin heirathen, daß sie schon längst einem Burschen versprochen sein könne, wie der zurückgebliebene Stachel eines Wespenstiches in seinem Gemüthe haften, und während er dem Zaunstiege zuschritt, kam es ihm vor, als müßte es ganz anmuthig sein, einen so lieben Mund durch einen Kuß zu unterbrechen – noch nie in seinem Leben war ihm eingefallen, sich als Mann und Eheherr irgend einem Mädchen an die Seite zu denken; bei dieser, die ihn scheltend fortwies, ertappte er sich selbst über diesem Gedanken. Derselbe aber war ebenso schnell wie erstanden, auch wieder entschwunden; dafür kam es ihm vor, als hätten sich die Faden und Maschen eines unsichtbaren Netzes um ihn gelagert, und er sah sich selbst wieder als das Seitenstück des gefangenen Gimpels trübselig und desperat in der hintersten Ecke sitzen.
Unwillkürlich beschleunigte er seine Schritte; schon hatte er den Stieg hinter sich, beim nächsten Schritt war er im Walde – aber während desselben hielt er dennoch inne und sah nach der Kohlenhütte zurück.… Er wandte sich zwar ebenso schnell wieder ab, aber der Blick hatte doch genügt, ihm zu zeigen, daß auch das Mädchen von innen hinter den Scheiben stand und ihm nachlugte.…
Sylvester wußte kaum, wie er die nun von vollem Morgenscheine übergossene Berghalde erreichte; unter ihm sah er Giebel und Dach des heimathlichen Hauses aus den Obstbaumwipfeln hervor blicken und an den Befehl erinnern, der über sein ganzes Leben entschied – von drüben her, über den See klang Glockengeläute, das erste Zeichen zum Gottesdienst in der Pfarrkirche, eine mächtige, fast vorwurfsvolle Mahnung an das muthwillige Gelübde; ein Band, das ihn trotz seiner Schwäche doch unauflöslich festhielt und das schon gerächt war, als er sich anschickte, es zu erfüllen … Gestern, als er in Erregung und Unmuth sein Wort gegeben, war er noch ein Anderer gewesen; heute hatte er ein neues Herz in sich entdeckt und war entschlossen, seine Regung im Aufkeimen zu ersticken. Je näher er dem Dorfe kam, desto langsamer ward sein Schritt, desto schwerer die Last auf seinem Herzen … er wußte kaum selbst, wie er dahin gekommen, als er an dem Fallgitter des Kirchhofs stand, wo die jungen Burschen der Gemeinde vor dem Hochamt sich zusammenfanden. –
Auch der lustige Muckel hatte sich schon mit Tagesgrauen auf die Wanderung gemacht, die unzertrennliche Clarinette unterm Arm – mußte sie doch, wie ihr Träger, die Sünden und Vergehungen der Werktagswoche dadurch wieder gut machen, daß sie am Sonntage auf dem Kirchenchor mitblies zur größeren Verherrlichung des Festes und des Feiertages. Ihn hatte der Entschluß
des vorigen Abends nicht um ein Viertelstündchen seiner gewohnten festen Nachtruhe gebracht; erst der Tag erinnerte ihn an das, was geschehen sollte, und ließ ihm das Ganze gleich wieder von der gewohnten spaßhaften Seite erscheinen. In Gedanken zogen alle Mädchen der Pfarre und Gemeinde an ihm vorüber, welche bestimmt sein konnten, das Ehrenamt als Prangerinnen auszuüben: er kannte sie alle; bei seinem herumziehenden Gewerbe kam er in alle Häuser und kannte die schwache Seite eines Jeden, wie allen Dorfklatsch, der dazwischen hin und wieder getragen wurde. Wenn ihm dann die Eine oder die Andere einfiel, die mit unter den Wahljungfrauen sein konnte, und wenn er dann dachte, daß der Zufall sie an den entscheidenden Ort stellen werde, so begann er wie ein Unsinniger mit sich selber zu reden und laut aufzulachen – es kümmerte ihn nicht, daß es dabei auf schlimme Verwicklung, auf heillose Verwirrung hinauslaufen konnte: der Spaß war sein Lebenselement und wo es den gab, da war er zufrieden und guter Dinge und fragte nicht, was der Spaß einen Andern kostete und wer die Kosten zu tragen hatte.
In dieser fröhlichen Gemüthsverfassung wanderte er eiligen Fußes das Sträßchen zum Pfarrdorfe dahin, das meist zwischen dichtem grünem Gebüsch und mancher mächtigen Esche oder Ulme hinzieht, die am Raine stehen bleiben als ein durch Jahrhunderte von Allen geschonter Schutz und Schmuck. Manchmal blieb er stehen, drehte sich mit geschwungenem Hute juchzend auf dem Absatz herum und focht mit Hand und Clarinette in der Luft, daß es den von fern heran Kommenden wohl befremdlich erscheinen mochte.
Die Nächste unter diesen – es waren allerlei Kirchgänger, die von den zerstreuten Einzelhöfen herniedereilten – war ein Mädchen, das, schon ein wenig der ersten jugendlichen Blüthezeit entwachsen, durch die Pracht und Kostbarkeit des Anzugs es verdecken zu wollen schien, daß diese Blüthe überhaupt eine nicht sehr reiche gewesen war. Die ganze Gestalt mochte der bildenden Natur etwas zu hager und dürftig gerathen sein, denn die von dem kurzen weißen Hemdärmel unverdeckten Arme waren ohne Rundung und im Gesicht streckte sich eine beträchtliche Nase, deren Schärfe nur von dem spitzen Kinn übertroffen wurde. Dafür trug sie um den Hals eine zwanzigfache Goldkette mit Gestein und Perlen besetzt, Fürtuch und Aermel waren mit kostbaren Spitzen eingefaßt und das überreiche Silbergeschnür mit all’ den daran baumelnden Schaustücken, Schnürstiften und Schatzthalern war sicher, nicht so leicht durch ein anderes verdunkelt zu werden. Beim ersten Anblick machte die Waben (Barbara), des reichen Landkrämers einzige Tochter und Erbin, einen fast sonderbaren und keinenfalls einen gewinnenden Eindruck; man mußte erst länger mit ihr gesprochen haben, um gewahr zu werden, daß aus dem auch von Sommersprossen nicht verschont gebliebenen schneidigen Angesicht ein paar gutherzige und doch etwas listige Augen blickten, deren Wasserblau sogar recht anmuthig zu erglänzen vermochte.
Die Kramer-Waben war von der gewöhnlichen Schwäche alternder Mädchen nicht frei geblieben, welche aus Besorgniß, nicht unter die Haube zu kommen, anstatt sich finden zu lassen, anfangen, selbst auf das Suchen auszugehen. Sie fehlte bei keinem Feste und war überall eine der Aufgewecktesten und wenn sie auch nichts that, was geradezu Tadel verdiente, so verschmähte sie doch nicht, die Angel auszuwerfen und mit allerlei reizendem Köder zu versehen. Da war es denn gekommen, daß Mancher sich’ von der blanken Lockspeise des Reichthums verführen ließ, aber, eh’ er noch vollständig angebissen, darin das verborgene Häkchen erspürte und hurtig sich wieder los zu machen trachtete. Auch der Musikant war einmal solch’ ein dickes Fischlein gewesen; die Fischerin hatte sogar besonderes Wohlgefallen an ihm gefunden wegen seiner Lustigkeit, die ihn überall zum gern gesehenen Gesellschafter machte. Auch er hatte eine Anwandlung gehabt, in welcher es ihm bequemer erschien und einträglicher, den Bauern, statt ihnen bei Hochzeit und Kirchweihe für einige Gulden zum Tanze aufzuspielen, ihre schweren Kronthaler abzunehmen für leichtes Tuch und noch leichteren Seidenkram; als er sich aber diese Lebensweise näher besah, war ihm die Lust vergangen, er zappelte und riß so lange, bis er frei war, und hatte die Rückkehr in das freie Element, in dem er nun erst doppelt wohlig hin und wider schoß, statt mit einem wunden Kiefer mit einem schmerzlichen Rückzuge erkauft, denn der alte Krämer verstand keinen Spaß und hatte, als er wußte woran er mit ihm war, dem unverlässigen Freier in fühlbarer Weise gezeigt, wo der Zimmermann eine Oeffnung gelassen hatte. Es war ihm zwar manchmal seither schlimm ergangen und kümmerlich, und manchmal fiel ihm ein, wie er es nun gut haben und in aller Ruhe und Behäbigkeit in dem Krämerhause sitzen könnte, anstatt mit der Clarinette durch das Unwetter und Gestöber eines stürmischen Wintertags zu wandern; wenn er sich aber die „schneidige Kramer-Waben“ neben sich dachte, mit dem hagern Gesicht und dem Auswuchs an der einen Schulter, die durch alles Ausstopfen nicht dazu zu bringen war, der gegenüberliegenden gleich zu werden, dann wies er die Lockung von sich und war mit seinem Schicksal mehr als zufrieden.
Nach all’ dem war es begreiflich, daß, als sie in dem lustigen Morgenwanderer den frühern Bewerbers erkannte, das Verlangen in ihr erwachte, den Grund dieser besondern Fröhlichkeit zu erfahren. Sie verdoppelte ihre Schritte und kam, als es eben um eine Ecke ging, aus den Büschen hervor, unbefangen und wie unerwartet, ihm in den Weg.
„Guten Morgen, Muckl,“ sagte sie mit ihrem freundlichsten Gesicht, „was für ein Glück ist denn Dir in die Haut geschossen, daß Du heute schon so gar alert bist?“
„Guten Morgen auch,“ erwiderte der Musikant etwas überrascht und mit einem kurzen Seitenblick auf die Grüßende. „Weißt ja, was ich für ein narreter Ding bin! Ich kann lachen über ein’ Vogel auf der Stauden und nachher,“ setzte er kichernd hinzu, „nachher gieb’ts oft allerhand, was man nit sagen kann …“
„O, ich verlang’s nit zu wissen!“ rief sie schnell verletzt. „Kannst Deine Geheimniss’ schon für Dich behalten! Die Mutter laßt Dich fragen, warum Du denn gar nimmer einkehrst bei uns?“
„Ist’s wahr?“ entgegnete er, „laßt sie mich fragen? Dann soll sie sich nur vom Kramer, von ihrem Mann, die Antwort sagen lassen …“
„Ach nein,“ entgegnete das Mädchen unbefangen, „Du mußt dem Vater nichts nachtragen, Du kennst ihn ja und weißt, daß er ein rescher (rascher) Mann ist …“
„Wie sie schön thun kann, die Kramer-Waben!“ dachte Clarinetten-Muckl, mit einem wiederholten Seitenblick. „Wenn man sie blos reden hört, meint man Wunder, wo die Stimm’ wohl herkommt, aber wenn man sie sieht mit der spitzen Nasen und dem spitzen Kinn … Nichts da, da sitzt der Teufel drinn! … Ich kann nit kommen, Waben,“ sagte er dann, zu ihr gewendet, „ich hab’ gar viel zu thun und bin nit in die Gegend ‘kommen …“
„Das ist nit schön von Dir …“ erwiderte die Waben kokett, „Du bist auch auf dem Marbacher Kirchweih’ nit gewesen und hast es doch versprochen gehabt und ich hab’ Dir den Kehraus aufgehoben bis zu allerletzt …“
„Du meinst es ja gar schmalz-gut mit mir,“ rief er, „selbige Zeit war ja die Hochzeit vom Mauerwirth, in Holzkirchen drinnen, einen solchen Verdienst hab’ ich nit auslassen können …“
„Ach mein – die Hochzeit ist ja schon drei Wochen ehender g’wesen …“
„Was Du nit sagst! Ja, mir kommt Alles durcheinander und ich weiß oft gar nit, wie ich in der Zeit bin!“
„Thätst Dich kaum mehr auskennen, wenn Du zu uns kämst …“
„Ei – warum denn?“
„Der Vater hat bauen lassen eine große prächtige Stuben und zwei Kammern … er meint, wenn’s halt doch über kurz oder lang eine Veränderung abgeben thät …“
„Was denn für eine Veränderung?“
„Das ist eine g’spaßige Frage … Der Vater meint halt, ich werd’ bald Hochzeit machen …“
„Ja so – da hat er freilich Recht! Und jetzt seh’ ich es erst, daß Du schon aufgeputzt bist, nochmal wie eine Hochzeiterin! Du gehst wohl schon zum Stuhlfest machen oder was hast im Sinn?“
„Das könntest leicht errathen – weißt ja, daß heut’ in Schliers drüben die Sichelhenk g’feiert wird und das Erntefest …“
Muckel hatte über dem Gespräch ganz vergessen, was ihn vor der Begegnung so sehr erlustigt hatte, jetzt fiel es ihm wieder ein und packte ihn mit doppelter Gewalt.
„Zum Erntefest?“ rief er und konnte es vor Lachen fast nicht herausbringen. „Und Du bist wohl gar … Du bist Eine von den Prangerinnen?“
„Warum sollt’ ich nit?“ fragte sie bös. „Hast was einz’wenden dagegen?“
„Ich? O nein …“ rief er und lachte immer unbändiger. „Es ist mir nur was eing’fallen … ich hab’ mir nur vorgestellt, was das für Augen geben wird …“
„Du bist ein grober, ein unnützer Bursch!“ unterbrach sie ihn zürnend. „Ich kann so gut Prangerin sein, wie jede Andere – wer kann mir was Unrechtes nachsagen? – Wart’ nur, Muckl, das ist Dir nit g’schenkt … ich muß nur den Vater noch einmal über Dich schicken, damit er Dir’s austreibt, die Leut’ zu verspotten …“
Sie war roth und bleich geworden vor Aerger; mit Einem Satz war sie durch den berasten Straßengraben gelaufen und im Gebüsch verschwunden.
Muckl kehrte sich nicht daran und beachtete ihre Entfernung kaum; er war zu sehr mit dem lustigen Bilde beschäftigt, was Freund Vestl für ein Gesicht schneiden werde, wenn der Zufall die schneidige Kramer-Waben auf den gewählten entscheidenden Platz stellen würde; das kam ihm so lächerlich vor, daß er auch in den Graben sprang und sich auf den Rasen warf, die Clarinette neben sich – lachend, daß ihm die Augen übergingen, und mit den Beinen zappelnd.
Ein paar Bursche, mit denen er schon manche Nacht durchjubelt, kamen des Wegs, blieben vor ihm stehen und wurden von dem Anblick angesteckt, daß sie in das Gelächter einstimmten und dessen Ursache zu erfahren verlangten. Der Musikant vermochte es nicht, seinen Schatz länger allein zu bewahren – hatte es doch keine Gefahr mehr damit, denn die Entscheidung stand unaufhaltsam vor der Thür und die bewährten Genossen durfte er ja sicher in’s Vertrauen ziehen: je mehr Eingeweihte um das Geheimniß wußten, desto lustiger ward die Geschichte, desto größer der Spaß. Der Drang der Mittheilung siegte über die Klugheit und bald wußten die Bursche, die sich nebenan im Grase gelagert, was gestern Abend am Brunnhofe geschehn und beredet worden, und schritten unter lautem gemeinschaftlichem Lachen und Scherzen eilends dem Dorfe zu.
Eben ertönte das zweite Glockenzeichen vom Pfarrthurme.
Sie waren noch nicht weit, als an ihrem Lagerplatze das Gebüsch vorsichtig auseinander schlug und die listigen Augen der Krämerstochter ihnen nachfunkelten. Sie hatte erst einige Schritte gemacht, als sie, sich umwendend, die Bursche gewahr ward, wie sie bei Muckl stehen blieben, dann sich zu ihm setzten und in sein schallendes Gelächter einstimmten. Ihnen hatte er also den Grund seiner Lustigkeit mitgetheilt – sie war sich gewiß, daß es etwas sein müsse, was auch sie betreffe … Unbeachtet, langsam und geräuschlos schlich sie zurück und kauerte hinter der Hecke nieder; konnte sie auch nicht Alles verstehen, so viel ward klar, daß es eine
Hochzeit galt und vorher eine Brautschau und daß auch der Musikant, der sie so sehr beleidigt, eine Wahl getroffen habe …
Mit geballter Faust drohte sie dem Dahineilenden nach; als sie an einen Seitenpfad kam, lief sie, so steil er war, keuchend hinan, noch vor ihnen das Dorf zu erreichen.
In diesem war es indessen schon einsam und still geworden, das dritte Zeichen war verhallt, die Gemeinde war in der Kirche versammelt und harrte des beginnenden Gottesdienstes. Aber Minute um Minute verging, ohne daß der Pfarrer an den Altar trat, und die andächtigen Köpfe, besonders der Weiber, fingen an, sich gegen einander zu neigen und zischelnd nach dem Grunde der unbegreiflichen Zögerung zu forschen.
Niemandem aber schlichen die Augenblicke mit so peinlicher Langsamkeit dahin, als Sylvester, der sich bis an das Marmorgeländer vorgedrängt hatte, welches das Kirchenschiff von dem erhöhten Hochaltare trennte und von dem aus die ganze Kirche zu übersehen war. Er befand sich in einer sehr aufgeregten, höchst eigenthümlichen Gemüthsstimmung: im Augenblick der Ausführung erst stürmten alle die Bedenken auf ihn ein, die in jenem des kecken Entschlusses unbeachtet bei Seite geworfen worden waren. Es war etwas in ihm, das ihm sagte, die Base habe Recht gehabt mit ihrer Warnung, er sei daran einen Frevel zu begehen, einen Frevel am Hause des Herrn und in einer so ernsten Angelegenheit. Es engte und zwängte ihn auf der Brust, daß ihm fast der Athem verging; er wollte hinaus eilen in’s Freie, um frische Luft zu schöpfen, aber das Gedränge, das ihn umgab, machte das unmöglich und in den Knieen, die auf der Jagd bei manch verwegenem Klettersprung nicht gezittert hatten, begann es unsicher zu werden. Dazwischen mahnte er sich selbst wieder und schalt sich aus ob seiner feigen Kleinmüthigkeit und daß er nicht die Kraft habe, ein gegebenes Wort einzulösen, ein einmal begonnenes Unternehmen auch durchzuführen. Fast wollten in diesem Widerstreit die weichern Regungen die Oberhand gewinnen, als die Orgel einen langgehaltenen tiefen Ton anschlug, zum Zeichen, daß der erwartete Zug die Kirchenschwelle betreten habe.
Unwillkürlich schloß Sylvester die Augen, als die Mädchen an seinem Platze vorüberschritten; er wollte sie nicht eher sehen, als bis sie vor dem Altare aufgestellt sein würden. Desto größer war die allgemeine freudige Theilnahme der frommen Gemeinde, und die Prangerinnen, meist schöne Gestalten mit klaren Augen und offnen unverdorbenen Gesichtern, in ihren weißen Röcken, dunklen Miedern, mit den Rosmarinzweigen im Haar und den Aehrengarben, Blumensträußen und Fruchtgewinden in den Händen, gewährten auch einen Anblick, der wohl jedes Herz zu bewegen vermochte, das noch eine verwandte Regung für einfache Schönheit hatte, für schlichte Unschuld und kindergläubige Frömmigkeit.
Jetzt ward es still; der Lehrer droben auf der Orgel stimmte an: „Hier liegt vor Deiner Majestät – im Staub die Christenschaar“ – die Klingeln der Ministranten verkündeten, daß der Pfarrer zum Hochamt an den Altar getreten sei – die Prangerinnen mußten nun um denselben aufgestellt sein, im weiten Halbkreise …
Jetzt wagte es Sylvester, die Augen zu öffnen, einen furchtsamen Blick nach der Evangeliumseite zu werfen … schnell wie ein ertappter Uebelthäter wollte er wieder hinwegblicken, aber er kam nicht mehr los, sein Auge wurzelte fest und immer fester an der gesuchten Stelle. Er besann und fragte sich, ob er denn träume: er rieb sich die Augen, um recht klar zu sehen … die Gestalt, das Antlitz, das er erblickte, blieb und blieb – es war kein Traum, keine Täuschung … die fünfte der Prangerinnen an der Evangeliumseite, die zweite vom Altare her, war seine schöne Gegnerin, die Waldsängerin vom Kohlenmeiler …
Im ersten Augenblick durchfuhr es ihn wie Schrecken, blitzartig wie Flugfeuer zuckte es ihm durch Sinn und Herz und verzehrte mit Einem Schläge Alles, was darin gehaust hatte von hochmüthigen, hinterhältigen oder widerstrebenden Gefühlen, und wie entfesseltes Wasser aus einer Schleuße goß sich der siegende Strom der Liebe triumphirend durch sein ganzes Wesen.
Er stand und schaute und schaute und stand wieder und war wie versteint – darüber ward er gar nicht gewahr, daß bald nach dem Eintritt des Zuges auf dem Orgelchore arges Gepolter entstanden war; eilige Schritte kamen die Treppe herab. „Kein Wunder,“ sagte eine Bäuerin zu der andern, „es ist so voll und dunstig in der Kirch’, kein Wunder, wenn Einem nicht gut wird!“
Der, dem ‚nicht gut‘ geworden, war kein Anderer, als der Clarinetten-Muckel … ein halber Blick auf den Zug der Prangerinnen war für ihn hinreichend gewesen: die schneidige Kramer-Waben mit der hohen Schulter war die von ihm erkorene Ehrenführerin.
Der Gottesdienst ging seinen feierlichen Gang. Bald war der Segen über alle Frucht gesprochen, daß sie ergiebig sein möge und gedeihlich; die Prangerinnen hatten ihre Körbchen, Garben, Büsche und Kränze zierlich niedergelegt auf den Altar und die Stufen davor; das Ite, Missa war gesungen und auf den Weihrauchwolken verschwammen die letzten wehmüthig feierlichen Töne des Orgelnachspiels, das die Andächtigen aus der Kirche geleitete und ihnen nachklang, wie die Erbauung, welche ihnen darinnen geworden.
Wie ein weltlicher Widerhall begrüßten sie von draußen andere Töne – durch den klaren, angenehm sonnigen Herbstmittag klang es vom Wirthshause her hell und dumpf, schmetternd und schnurrend, Trompete und Baß, sich lustig einübend für den frohen Schluß des Festtages, den nachmittägigen Tanz. Die Einwohner des Dorfs ließen sich nicht verlocken, ihrer wartete die Mahlzeit am nahen eigenen Heerd; von den Auswärtigen aber ließ Mancher sich verleiten, vor der Wanderung Halt zu machen und eine kleine Stärkung mitzunehmen auf den Weg.
Vor der Kirche aber, da wo der Weg zum See hinunter sich um die Friedhofmauer wendet, da stockte der Menschenstrom; Alt und Jung drängte heran und bildete eine schmale Gasse, durch welche die Prangerinnen herangeschritten kamen; sie wanderten dem Pfarrhofe zu, denn die Köchin und Schwester des alten Pfarrers war es ja, bei der die Mädchen sich zu solchen Anlässen immer versammelten; verstand es doch Niemand besser, sie einfach und doch so recht sinnig zu schmücken, als das alte freundliche Fräulein, von der noch kein Mensch ein übles Wort gehört oder eine unliebe Miene gesehen. Der Pfarrer aber, der den Brauch wie manche andere sinnige Freude eingeführt hatte in der Gemeinde, ließ es sich nicht nehmen, die Jungfrauen nach dem Gottesdienst mit einem Stück Kuchen zu bewirthen und einem Gläschen süßen Wein, den er eigens deshalb verschrieb aus dem nahen Tirol.
Zuvorderst an den Stufen stand Sylvester, hinter ihm Muckel mit trostlos verzogenem Angesicht, halb versteckt in den Hollundersträuchen des Wegs.
Sylvester wollte die Erwählte noch einmal sehen; sie kam heran und schritt vorüber, schlicht und unbefangen und doch schüchtern ob der drängenden Menge; sie erhob die Augen nicht von dem Gebetbuch, das sie in den Händen hielt und um das ein Rosenkranz geschlungen war … des Burschen ganze Seele war in seinen Augen, sie schien ihn nicht zu gewahren und doch regte sich ein nie gekanntes Entzücken in ihm, denn trotz ihrer Achtlosigkeit glaubte er zu bemerken, daß im Vorüberschreiten eine leise Bewegung sie überflog und das Roth ihrer Wange sich tiefer färbte.
Er stand noch an seinem Platze und starrte nach dem Eingang des Pfarrhofes, in dem sie verschwunden war; Muckel hatte sich auf die Stufen niedergesetzt, er war so matt in den Beinen, als hätte er drei Faschingsnächte hindurch zum Tanze geblasen.
„Nun?“ sagte er endlich, „bist ganz verzuckt? Mir scheint, Du bist ganz wohl zufrieden mit dem, was ich Dir zugebracht hab’… und Du hast wohl auch Ursach’ dazu!“
„Muckl …“ erwiderte Sylvester halblaut und haschte nach der Hand des Freundes … „ich weiß selber nit, wie mir ist! Ich kenn’ mich selber nimmer mehr … aber ich bin der unglücklichste Mensch auf Gottes Erdboden, wenn das Madel nit mein wird.“
„Dein werden! Warum sollt’ sie nicht? Du bist ein sauberer Bursch’, bist jung, reich – sie ist arm wie eine Kirchenmaus, sie wird mit allen zwei Händen zugreifen! Du kannst lachen – aber was fang’ ich an? An mir ist das Trumm’ aus’gangen!“
„An Dir?“ fragte Sylvester zerstreut.
„Etwan nit?“ rief der Musikant und fuhr sich, da die Haare fehlten, wie trostlos über die Glatze. „Hast etwan in Deiner Verzuckung gar nit einmal geseh’n, was mir passirt ist? Ich hab’ mich aufgeopfert wegen Deiner und jetzt soll ich das Bad austrinken für Dich? … Du hast wohl gar nit geseh’n, wer die Ehrenführerin war? Die Kramer-Waben mit ihrem Buckel und Ihrer spitzigen Nasen! Und die soll ich heirathen? Lieber schau’ ich, wo der Schliersee am tiefsten ist …“
„Du mußt Wort halten …“ rief Sylvester, „ich will keine gesunde Stund’ mehr haben, aber ich hätt’s auch gethan und wenn’s noch so schlimm ausgefallen wär …“
„Ja,“ entgegnete der Dicke mit bitterem Lachen, „Du hast jetzt gut reden hintennach! Aber mir ist’s justament, als wenn ich mein Todesurtheil unterschreiben sollt’ … und nit geschwind den Kopf herunter, nein, schön langsam und nach und nach gebraten bei einem Kreuzerkerz’l … Ich riskir’ ja, daß sie mich beim ersten Bussel ersticht oder mitten von einand’ schneid’t, wie die eiserne Jungfrau!“
„Wenn ich nur wüßte, wer sie eigentlich ist!“ rief Sylvester vor sich hin; er war zu sehr mit den eigenen Gedanken beschäftigt und hatte die Lamentation des betrübten Clarinettisten ganz überhört. „Wer sind ihre Eltern?“
„Wer sonst, als die Kramerleut’ da oben, wo’s gegen den Rohnberg hinauf geht? Der Vater ist eine lange, dürre Hopfenstang’ und die Mutter …“
„Willst mich foppen?“ unterbrach ihn Sylvester unmuthig. „Ich red’ von der Meinigen … Von der möcht’ ich was wissen!“
„Ja – von der weiß ich auch nit viel …“ brummte Muckel, „aber da kommt die alte Austrags-Wirthin noch aus der Kirchen angehinkt … die kennt jedes Haushalten in und auswendig, die kannst ausfragen …“
Die redselige Alte kam heran; Gruß und Ansprache ergaben sich wie von selbst und es fiel nicht schwer, sie zur Mittheilung ihrer gesammten Wissenschaft zu bestimmen und das Brünnlein ihrer Rede plätschern zu machen. Was aber daher geplätschert kam, war wohl nur Wasser, aber rein, frisch und hell, wie es aus den Bergen quillt; auch die Klatschchronik des Dorfes wußte die klare Fluth nicht zu trüben. Die Alte wußte nicht genug zu rühmen, wie die Clar’l nicht blos ein braves Mädchen sei, eine gute Tochter und eine tüchtige Arbeiterin; wie keine Mühe ihr zu schwer sei und keine Arbeit zu schlecht; wie sie immer fröhlich und guter Dinge sei, für Jeden ein freundlich Wort habe und doch sich wieder ein Wesen zu geben verstehe, daß Keiner es wage, sie mit einem unrechten Auge anzusehen. Das habe sie erst in Tirol drinnen wieder gezeigt, wo sie, weil es den Eltern etwas sehr hinderlich gegangen, bei einem Verwandten mehrere Jahre gewesen und aufgezogen worden sei. Da sei in der Nachbarschaft ein Ritterschloß gewesen und in dem Schloß ein vornehmer junger Herr, dem habe das hübsche Mädel in die Augen gestochen und er sei ihr nachgegangen und habe ihr das Blaue vom Himmel herab versprochen für ein gutes Wort und einen freundlichen Wink, sie aber habe ihm heimgeleuchtet, und wie er einmal eine Gelegenheit abgelauert, wo sie allein gewesen, und zudringlich geworden sei … „da,“ sagte die Alte lachend, „da ist sie nicht faul gewesen, hat das vornehme Herrlein um die Mitt’ gefaßt, wie einen ungezogenen Buben, hat ihn in den Milchkeller hinuntergetragen und eingesperrt und nicht eher heraus gelassen, bis Alles vom Feld daheim war und von der Arbeit, daß er sich nirgends mehr hat sehen lassen können vor Schand’ und Spott und Gelächter .… Ihr fragt mich wohl,“ fuhr die Frau fort, „weil das Dirn’l heut’ unter den Prangerinnen gewesen ist? Ja, das ist eine merkwürdige Geschichte und müßt’ ich nit heim und nach der Kuchel schau’n, ich wollt’ Euch davon erzählen, eine Stunde lang… Sie ist erst gestern heim ‘kommen aus der Fremd’ und hat wohl gar nit daran ‘denkt, daß sie mit sollt’ prangen geh’n, es ist ja allemal eine hübsch lange Zeit vorher, daß die Dirndeln dazu ausgesucht werden. Aber unverhofft kommt oft und so ist’s da auch wieder so ‘gangen; die Schmied-Zenzi von der Einöd’, die ist ausgewählt gewesen, die sollt’ die Ehrenführerin sein…“
„Was?“ rief Muckl und sprang von seinem Treppensitz auf, als hätt’ ihn eine Natter oder irgend ein Ungethier gestochen. „Die Schmied-Zenz? Das bildsauberste Dirnd’l auf sieben Meilen Wegs, und nit die schneidige Kramer-Waben? Warum ist sie nachher nit Ehrenführerin gewesen? Wer hat sich unterstanden und hat sie mir aus’tauscht?“
„Wer kann für’s Unglück, wenn ‘s Haus davon voll ist?“ kicherte die Alte. „Gestern war die Zenz noch hechten-gesund, über Nacht ist s’ krank ‘worden und liegt im Bett, über und über klitschroth, wie eine Kornrosen… Das war keine kleine Verlegenheit, wie heut’ der Zug in die Kirch’ geh’n soll: Alle sind schon da fix und fertig und die Ehrenführerin ist aus’blieben! Aber die Schwester vom Herrn Pfarrer, das alte Fräulein, die weiß Rath in Allem … die sieht die Kohlenbrenner-Clar’l, die vorbeigeht und an nichts denkt, als daß sie noch recht kommt zu Amt und Predigt; die muß herein und mag reden, was sie will, das Fräulein putzt sie auf, die Andern geben auch von ihrem Gewand, was sie nit ang’habt hat, und so muß sie mit in die Kirch’…“
Sylvester hatte schweigend zugehört; er war immer ernster und ernster geworden und bei den letzten Reden hatte er den Hut in der Hand und fühlte es durch seine Seele gehen wie warmen Märzwind, der den Schnee mürbe macht, daß die ersten Blumenglocken darunter hervorbrechen können. „Ja,“ flüsterte er in fromm bereuender Regung in sich hinein, „ja, die Heirathen werden im Himmel geschlossen! Ja, das ist wahrhaftig eine Schickung … ich dank’ Dir, lieber Gott, daß Du’s so gnädig g’macht hast mit mir … verdient hab’ ich’s wahrhaftig nit!“
Er eilte fort, unbekümmert um den Genossen, der seinerseits zu sehr mit sich selber beschäftigt war, um seine Entfernung zu beachten.
„Aber wie war’s denn mit der Ehrenführerin?“ fragte Muckl die Alte, die sich ebenfalls zum Gehen anschickte. „Wenn die Clar’l für die Kranke hat eintreten müssen, warum ist sie dann doch nit Ehrenführerin gewesen?“
„Ich hab’ wahrhaftig keine Zeit mehr,“ sagte die Alte und wollte sich los machen, „das wär’ auch wieder eine lange G’schicht…“
„Halt, Alte,“ rief Muckl, „ich laß’ Dich nit fort, und wenn Deine ganze Kuchel in Rauch aufgeht, das muß ich vorher wissen! Es ist meine Haut, um die es dabei geht! Wenn die Clar’l die Ehrenführerin hätt’ sein sollen, dann gehört sie von Gott und Rechtswegen mir und es kann leicht sein, daß die Waben auf’n Sylvester seinen Antheil trifft…“
„Das mußt halt mit der Waben ausmachen, Du narreter Ding,“ lachte die Alte, hinweg trippelnd, „der Clar’l ist’s gleich gewesen, wo sie sie hingestellt haben, aber die Waben hat’s verlangt, daß man sie zur Ehrenführerin machen sollt … sie hat sich’s eigens ausgebeten…“
„Ausge ..…,“ stammelte der Musikant und sah der Alten mit offenem Munde nach. „Das gilt nit!“ rief er dann plötzlich und sprang vor Ingrimm mit beiden Beinen in die Höhe. „Die Clar’l war mir vermeint! Die Wab’n gehört dem Sylvester zu, er kann schauen, was er mit ihr anfangt! … Ausgebeten? Warum denn etwann?“ Im Augenblick verstummte er wieder, denn wie ein Blitz schoß ihm die Antwort auf diese Frage durch den Kopf. „Herrgott, was geht mir auf einmal für ein Licht auf! … Wenn die Waben was gemerkt hätt’? … Ah, das kann ja nit sein.… Aber warum nit? Hab’ ich mich nit an den Zaun hing’setzt und an die offene Straß’ und hab’s in Wind hinaus erzählt, wie ein Narr… Es ist nit anders! Sie ist in der Näh’ gewesen und hat zugehört … und d’rinn hat sie sich die Zugführerin ausgebeten… Aber nein, das gilt nit! So ist’s nit ausgemacht worden … da thu’ ich nimmer mit! Vest’l, he, Vest’l … wo bist denn? Das gilt nit…“
Er eilte fort, am Pfarrhofe vorüber; im nämlichen Augenblicke traten Clar’l und die Krämerstochter aus der Thür. Er prallte zurück und machte einen Seitensprung, als er sie erblickte; sie aber lachte und nickte ihm zu mit der freundlichsten und vertrautesten Miene und rief: „Wo ‘naus, Muckl? Wie ist’s, wann wollen wir denn d’ Stuhlfest machen?“
Er war nicht aufzuhalten. „Wenn Pfingsten vor Ostern kommt, Du … Du Kreuzspinn’ Du!“ rief er im Entspringen, halb zurückgewendet, und verschwand um die Ecke.
„Lauter Neuigkeiten, die ich erfahr’!“ sagte die Köhlerin. „Das hab’ ich ja auch nit gewußt, daß Du mit dem Clarinetten-Muckel so gut bekannt bist! Seit wann denn?“
„Das will ich Dir wohl erzählen,“ sagte die Waben mit bissigem Lächeln, „jetzt ist ja keine Gefahr mehr dabei … aber komm’, nur, ich möcht’ den ersten Tanz nit versäumen, das können wir auch unterwegs ausmachen!“
Im Wirthshause war es schon lebendig und laut; in den Trinkstuben summte es wie in einem schwarmbereiten Bienenstock, vom Tanzboden herab begann es zu poltern und die Töne des ersten Ländlerischen machten die fröhlichen Paare drehen und sich schwingen. Die Kramer-Waben konnte es kaum erwarten, die Stiege hinauf zu kommen; ihre Gefährtin aber war nicht zu bewegen, ihr zu folgen; es war während des kurzen Weges, den sie
miteinander durch das Dorf gewandert, eine große Veränderung mit ihr vorgegangen: der anmuthige Mund hatte sein liebliches Lächeln verlernt und um die treuherzigen Augen zuckte und blinkte es, als entstehe eine Thräne darin.
Hastig eilte sie am Heckenzaune dem Gestade zu, sich über den See rudern zu lassen.
In der engen Gasse stand auf einmal Sylvester vor ihr.
„Wo ‘naus, Dirn’l,“ rief er ihr entgegen und seine Augen blitzten vor freudiger Erregung. „Hast’n Weg verfehlt? Dort hinum geht’s zum Tanzboden!“
Als das Mädchen ihn erblickte, schoß ihr das Blut in’s Gesicht, aber sie faßte sich rasch und entgegnete, zur Seite weichend, in fast nur unmerklich bebendem Tone: „Kann sein – mein Weg führt nit zum Tanzboden!“
„Wär’ nit übel!“ lachte er in der seligen Ausgelassenheit seines Glücks. „Die schönste von den Prangerinnen darf beim Erntetanz nit fehlen! Komm’ mit, Clarl, mir müssen wieder gut freund werden miteinander, wir tanzen miteinander, wir schwatzen miteinander … o mein! Ich hab’ Dir so viel zu sagen…“
„Ich hab’ nichts zu schaffen mit Dir,“ sagte sie finster, „und will nichts zu schaffen haben; geh’ mir aus dem Weg!“
„Oho, bist noch fuchtig, Madel? Wirst schon wieder gut werden, hör’ mich nur erst an und tanzen mußt Du mit mir, das hab’ ich mir einmal vorgenommen und lass’ Dich nit aus …“
Sie sah ihn mit einem Blick an, der ihm ein gut Theil seiner zuversichtlichen Laune raubte. „Müssen?“ sagte sie. „Nit auslassen? Hätt’st Schneid’ über ein einschichtig’s Madel, wie über die armen Rothkröpfeln mit Dein’ Netz?“
Sylvester zuckte zusammen und trat erbleichend einen Schritt zur Seite … „Das dürft’ mir kein and’rer sterblicher Mensch sagen, als Du …“ stammelte er, „aber es mag geh’n, wie’s will, anhören mußt’ mich doch, ich hab’ ein ernsthaftes Wort mit Dir zu reden … Du kennst mich ja noch gar nit, Du weißt ja gar nit, wer ich bin …“
„O,“ erwiderte sie, „ich kenn’ Dich wohl, Vestl: wenn Du’s auch vergessen hast, ich denk’s noch wohl, wie wir miteinander gespielt haben, als kleine Kinder… Ich bin dazumal in Fischhausen gewesen, beim Fischer, weil der Vater seine Kohlhütten im Josephsthal drinnen gehabt hat … da bist Du manchmal mit dem Vetter hereingekommen zum Kirchenbauern, dann haben wir am See gespielt miteinander…“
„Ja, ja …“ rief der Bursche mit aufleuchtenden Augen, „das hab’ ich nit vergessen! Und das bist Du gewesen? Und wie ich mich einmal zu stark hinausgebeugt hab’ über’n Kahn und bin hineingestürzt in den See … da ist das Kind hineingewatet und hat mich herauszieh’n wollen und wär’ mit mir ertrunken, wenn nit justament der Vetter herzu’kommen wär … Und das bist Du gewesen, Clarl? Weiß Gott, ich hab’ Dich nit wieder erkennt, aber jetzt weiß ich, warum Du mir gleich so eigen vor: ‘kommen bist, warum’s über mich ‘kommen ist auf einmal, gerad’ wie wenn der Blitz einschlagen thät … Clarl, geh’ nit fort, bleib’ bei mir, Clarl … schau, ich hab’ Dich so gern!“
Sie stand mit glühenden Wangen und gesenkten Augen, aber regungslos. „Es ist nit wahr …“ sagte sie und wollte an ihm vorüber.
„Nit wahr? Ich will Dir den Beweis geben dafür! Mein Vetter ist gesinnt, mir Haus und Hof zu übergeben … nichts brauch’ ich mehr, als ein Madel, das Brunnhoferin wird … Sag’ Ja, Clarl, und auf Heilig-Drei-König ist Hochzeit! … Glaubst mir noch nit?“
„Es ist doch Alles, Alles nit wahr …“ wiederholte sie, beinahe wehmüthig, aber fest.
„ … Madel …“
„Du weißt gar nit, was das heißt, Jemand gern haben, so recht gern, von Herzensgrund!“ fuhr sie fort. „Du bist ein eigensüchtiger Mensch, der an Niemand denkt, als an sich selber! …“
„Aber Clarl!“
„Ob’s etwann anders ist? Deinem Vettern zum Widerspielen bist statt einem Bauern ein halbeter Jager ‘worden; wann’s ihn auch ‘kränkt hat – nur weil Dir selber das Herumschlenzen lieber gewesen ist! Dein Vetter verlangt, Du sollst den Hof übernehmen und Dir eine Bäurin suchen; Du thust ihm den Willen, aber wie? Auf Deine eigensüchtige Weis’! Wie’s Dir gefallt in Dein’ übermüthigen Sinn, Du treibst Dein G’spött mit der Lieb’, mit der Kirch’ und mit unserm Herrgott … Aber auf Eins,“ fuhr sie näher tretend fort, „auf Eins hast doch nit ‘denkt, Du übermüthiger Bue … ob Dich das Madel auch mag, die die Fünfte ist auf der Evangeliseiten …“
„Das weißt Du …“ rief Sylvester bestürzt.
„Wohl weiß ich’s und mehr … und darum weiß ich auch, daß Du gar kein’ Ahnung davon hast, was das heißt, Jemand gern haben, so recht von Herzensgrund gern, und daß Du nur Dein’ Muthwillen treiben willst mit mir! Wer sich ein Weib aussucht durch’s Loos und durch’s blinde Ungefähr, der taugt nit zu mir, und wenn er zehn Bauernhöf’ hätte und ich noch zwanzig: mal ärmer wär’, als ich bin! B’hüt Dich Gott, Sylvester … es ist schad’ um Dich … aber wir Zwei kommen nit zusammen!“
Sie ging; sie hatte mit Strenge gesprochen, aber durch die Strenge klang der Schmerz, bebte die Wehmuth, so sprechen zu müssen.
Vernichtet, keines klaren Gedankens fähig, starrte ihr Sylvester nach.
Eine schöne reine Gluth war angefacht in den beiden Herzen, aber eine finstere Aschenschicht legte sich erstickend auf die glimmenden Kohlen.
3. Christmette.
„Tausend, tausend! Ist das eine Kälte, das Holz im Ofen könnt’ gefrieren! Es schneidet Einem fast das Gesicht auseinander und die Haut bleibt schier hängen, wenn man das Thürschloß anfaßt! Ich mein’, ich höre die Füchse bellen, dort drüben am Waxenstein!“
Es war die Hauserin vom Brunnhofe, welche auf diese Weise mit sich selbst plauderte; sie stand unter der Thür des Hauses, hauchte sich in die erstarrenden Hände und blickte nach allen Richtungen umher in der schneebedeckten, dämmerverhüllten Wintergegend. Das Bild war, wie es vor Wochen gewesen, voll einfacher schweigender Erhabenheit, nur die Farbengebung war eine andere – das Grün der Matten und Hänge war zum hellen eintönigen Weiß geworden, von welchem nur strichweise die graubraunen laublosen Buchenstämme sich abhoben oder die Tannenwälder mit ihrem schwarzdunkelnden Grün, oder die blauen Schatten, mit welchen die Häupter und Schluchten der Berge sich selbst abzeichneten auf dem lichten gleichgespannten Grunde. Wieder verriethen nur noch die fernen Rauchsäulen, wo das Leben des Dorfes um Heerd und Ofen zusammengeflüchtet war; nichts ließ sich vernehmen, als manchmal ein dumpfer Knall, wenn droben im Bergwald ein Stamm unter der Schneelast brach oder der See den Eispanzer zu sprengen suchte, in den er eingezwängt war – über all’ dem ein frischer klarer Himmel, an dessen Saum ein winterliches Abendroth erkaltete.
„Schaust Dich nach dem Wetter um, Hauserin?“ fragte es von unten nach der Schauenden herauf, die eben kopfschüttelnd in’s Haus zurückkehren wollte. „Das giebt einmal kalte Feiertage – ich weiß schier seit meiner Jugend nimmer, daß wir solche Weihnachten gehabt haben …“
„Wer bist?“ fragte die Hauserin entgegen und machte einige Schritte gegen das Geländer; der an der Oberfläche gefrorene Schnee trug sie nicht und brach unter ihren Schritten ein. „Die Boten-Lisel!“ sagte sie dann, als sie der Redenden ansichtig geworden; es war ein altes Mütterchen, über und über und doch nur dürftig verhüllt, das Gewand war bereift und auf dem Tuch vor dem Munde lag eine Eiskruste vom Athem gebildet. In der einen Hand trug die Alte einen starken Stock mit Eisenspitze, mit der andern hielt sie einen Strick, an den ein kleiner Schlitten gebunden war, bepackt mit allerlei Bündeln, Körben und kleinem Geräth, daß es eine ziemliche Beschwer sein mochte, die Last so fortzuschleifen durch den tiefen Schnee und auf all’ den holperigen Wegen. Wohl hatte die Frau sich dabei Hülfe und Unterstützung zu schaffen gewußt, denn neben ihr war ein Hund vor den Schlitten gespannt, ein schwarzes zottiges und unscheinbares Thier, aber was es ihr ersparte, mochte auch nicht viel bedeuten, denn der Hund war als solcher nicht viel jünger als seine Herrin; er schien müde und hatte den Augenblick des Stillstands sofort benutzt, sich ausruhend in den Schnee zu legen.
„Bist auch noch unterwegs?“ fuhr die Hauserin fort. „Du arme Haut! Und in dem dünnen Gewande da! Komm doch morgen zu mir – ich hab’ einen alten Mantel liegen und eine warme Hauben – die kannst haben …“
„Vergelt’s Gott!“ erwiderte die Botin, „ich kann’s wohl brauchen. Die inwendige Wärm’, die fangt halt an, so völlig auszugeh’n in mir und da friert’s Eins bis in die Knochen hinein! Hab’ mich in Miesbach verhalten drinnen, weil ich der Wirthin ihr neues Camisol hab’ mitbringen sollen, da hab’ ich warten müssen, bis es fertig geworden ist. Wir kommen alle Tag ein bissel langsamer vom Fleck … ich und mein Bläß da! Gelt, Alter?“ sagte sie und wandte sich nach ihm; der Hund kroch ihr näher, als ob er Wort und Blick verstünde, und leckte der Herrin die magere froststarre Hand. „Ja, ja – das machen die Jahr’ – aber es thät Alles nicht so viel, wenn das arge Wehthun und das Reißen nit wär’ im linken Fuß! Den hab’ ich mir einmal verstaucht und seitdem – auf Lichtmeß jährt sich’s wieder, da sind’s volle sieben Jahr – seitdem spür’ ich das Wetter daran und könnt’ einen Kalendermacher abgeben alle Stund’… Heut’ ist’s wieder recht bös und drum mein’ ich schier, die Kält’ dauert nimmer lang … Ich will machen, daß ich noch über den See hinüber komm’…“
„O, damit hat’s keine Gefahr!“ erwiderte die Hauserin. „Der See ist fest zu – sie sind gestern noch drüber gefahren mit einem vierspännigen Holzwagen!“
„Ja, ja,“ sagte die Alte mit bedenklichem Kopfschütteln, „gestern und heut’! Was kann nicht Alles gescheh’n zwischen gestern und heut’! Das Eis kann weich werden über Nacht und es ist mir schon ein paarmal gewesen, als wenn mich so ein warmer flanderischer Wind anblasen thät, und das Reißen, das Reißen! Aber ich muß mich tummeln, daß ich noch in’s Dorf hinüber komm’ … morgen will ich mich schon einstellen, will gute Feiertag wünschen und den Mantel holen und die warme Hauben … Gute Nacht derweil, Hauserin! Gehst doch auch in die Metten hinüber?“
„Das versteht sich!“ erwiderte die Hauserin und ging. „B’hüt Gott derweil, Lisel – komm’ gut heim!“
Sie machte einige Schritte gegen das Haus und gewahrte jetzt erst, daß der früher frostharte Schnee unter ihr einsank. „Schau,“ dachte sie, „der Schnee will ableinen (schmelzen) – könnt die Alte am End’ doch Recht haben, daß sich die Kälten brechen will … Wenn nur der Schwager heim käm’! Wo er sich wieder verplauscht haben wird! Ich will nur das Essen vom Feuer stellen, sonst brat’ Alles ein! Der Vestl hat sich auch noch nicht seh’n lassen – aber der rührt eh’ nichts an, bevor der Vetter daheim ist …“
Kopfschüttelnd und wie suchend ging sie um das Haus herum, die Gräd’ entlang, welche gegen den Grasgarten und dessen Obstbäume hinlief, durch das vorspringende Dach vor Wind geschützt und vom Schnee frei gehalten. Sie spähte unter den dunklen Baumgruppen durch die Dämmerung herum und ihr vorsichtiges Stillstehen zeigte bald, daß sie gefunden, wonach sie gesucht.
Unter den Bäumen, an einer von Hecken eingeschlossenen Stelle, stand Sylvester und streute Brodkrumen und allerlei Sämereien auf den Schnee.
„Da bist Du ja!“ sagte sie, „hab’ mir doch gar nit einbilden können, wo Du steckst. Thust heut’ noch den Vögeln aufstreuen, wo sie doch alle schon lange schlafen …“
„Sie werden doch früher wach, als Unsereins,“ erwiderte Sylvester, ohne sich umzuwenden, und fuhr in seiner Beschäftigung fort, „es ist, daß sie morgen ihr Futter schon bereit finden …“
„Ich muß mich nur über Dich wundern,“ begann die Base, „was Du davon hast! Ist Dir doch sonst nicht eing’fallen, darum zu sorgen, ob die Finken und die Meisen und die Gimpeln was zu fressen haben im Winter – unser Herrgott hat ihnen die große Tafel gedeckt, wo sie alleweil ein paar Bröseln finden, und es fällt kein Vogel vom Baum, ohne sein’ Willen – Sonst hast doch wenigstens ein halb Dutzend Schlaghäuseln aufg’stellt und hast sie gefangen; hat’s doch oft in der Stuben und in Deiner Kammer ausgeschaut, wie bei einem Vogelhändler …“
Sylvester wandte sich mit rasch abwehrender Geberde, er schien etwas erwidern zu wollen und doch im Augenblick sich anders zu bedenken. „Ich habe mir’s überlegt,“ sagte er, langsam dem Hause zuschreitend, „warum soll ich den Thierl’n ihre Freiheit nehmen, in der sie so lustig sind? Ich kann mir’s einbilden, wie das thut, wenn man eingesperrt ist und kann nimmer hinaus, wie man’s gewohnt gewesen ist …“
Die Frau schritt bedächtig hinter ihm. „So, so?“ murmelte sie. „Hast Dir’s anders überlegt?“ Und unwillkürlich mußte sie des Wortes der alten Lise gedenken, wie das Eis weich werden könne über Nacht, wenn es der warme flanderische Wind anweht. „Was hab’ ich Dir nur sagen wollen?“ fuhr sie, wie ablenkend, fort. „Ja – richtig! Schon zwei Tag’ hab’ ich den Mader gespürt … man sieht die Spur ganz deutlich über den Zaun nach dem Hühnerstall zu – Du solltest aufpassen und ihn zusammenschießen, eh’ er uns ein Dutzend Hendeln abkragelt …“
„Ich will’s dem Hies sagen,“ erwiderte Sylvester bedächtig, „er soll sich auf die Pass legen …“
„Der Hies? Warum thust Du’s nit selbst?“
„Weil …“ rief er und hielt inne; die Antwort schien ihm Ueberwindung zu kosten. „Weil ich nicht kann … meine Büchs’ ist nicht im Stand … es ist ‘was zerbrochen dran!“
Während des Gesprächs waren sie im Hause angekommen; der Bursche trat, als wollte er einer Fortsetzung ausweichen, in die Küche, wo auf dem Heerde ein erlöschendes Feuer glomm; er setzte sich in die Ecke, nahm ein Scheit und den mächtigen Schnitzer dazu und begann so emsig Spähne zu schneiden, als thue es noth, noch eilig sein Tagewerk fertig zu bringen. Die Base machte sich am Heerde zu schaffen, blinzelte aber immer nach ihm hin und konnte sich wieder nicht enthalten, vor sich hinzubrummen oder nach dem landüblichen Ausdruck „ein bissel laut zu denken“! „Ja, ja,“ meinte sie, „zerbrochen kann was sein – aber nit am Gewehr …“
Einige Secunden war es still – dann trat sie sachte hinter ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter „Laß ein gescheidtes Wort mit Dir reden, Vestl,“ sagte sie. „Du gefallst mir gar nit mehr …“
„Warum?“ fragte er kurz und ohne aufzublicken. „Thu’ ich was Unrecht’s?“
„Unrecht’s! Was nit gar! Du bist ein braver Bursch’, Du halt’st den Vetter in Ehren, denn Du thust, was er verlangt hat! Du hast keine Büchs’ mehr angerührt seit der Sichelhenk, bist bei keinem Jagen mehr gewesen, bei keinem Schiesset .… Du hast kein Wirthshaus mehr g’seh’n, kein’ Kegelstatt und kein’ Tanz … Du arbeit’st den ganzen Tag und arbeit’st für ihrer Drei …“
Sylvester hielt mit Schnitzen inne und sah sie an. „Also bin ein ordentlicher Mensch, ein richtiger Bauer? Red’ Basel, ich möcht’s von Dir hören, daß ich ein richtiger Bauer bin.“
„Das bist, Vestl,“ bestätigte sie eifrig. „Das müßt’ Dir Dein Feind nachsagen … Du bist überall Der Erste, wo’s Zugreifen heißt, und der Letzte, der die Händ’ in Schooß legt … und doch bist der alte Vestl nimmer! Der Bub’, der den Kopf sonst so hoch ‘tragen hat und daher’gangen ist, als wenn ihn der Boden brennen thät! Du bist stat und red’st nix und deut’st nix und wann’s Feierabend ist, kannst im Zwielicht dasitzen und vor Dich hinschau’n, ganze halbe Stunden lang … Was hast, Vestl? Darf die alte Basel, die Mutterstell’ vertreten hat an Dir, nit wissen, was Dich druckt?“
„Mich?“ fragte er abgewandt und scheu wie zuvor. „Wüßt’ nit, was mich drucken sollt’.“
„Red’ nit die Unwahrheit!“ fuhr die Frau wieder fort, „es nützt Dich doch nichts. Wenn Du Dich aber so anstellst, dann will ich, wenn ich auch nur eine alte Frau bin, Dir sagen, was vorgeht in Dein’ jungen Gemüth! Du bist harb (unwillig) auf Dich selbst und bist zu stolz, es Dir selber einzugestehen …“
Er stieß ein kurzes Lachen aus, das ziemlich gezwungen klang.
„Dein hölzernes Gelachter macht mich nit irr’, Vestl! Ich weiß doch, was ich weiß, harb bist auf Dich selber und das von wegen nichts Andrem, als von wegen der Brautschau …“
Sylvester lachte nicht mehr.
„Ich hab’ Dir’s gleich im Anfang gesagt, es ist ein Frevel, was Du Dir von dem Musikanten hast aufschwatzen lassen. Aber Du in Dein’ leichten Sinn hast es nit für möglich gehalten, daß Dein übermüthig’s Herz sich auch rühren kann … Drum hat Dir unser Herrgott gezeigt, daß er kein’ Spaß mit sich treiben laßt; er hat Dir gezeigt, was er kann – er hat Dir gezeigt, was er für Dich bestimmt hat gehabt und aufgehoben, und hat Dir’s wieder genommen. Du hättest können einen Schatz heben, aber Du hast ihn beschrieen und nichts ist Dir übrig ‘blieben, als der Verdruß über dich selber …“
„Es ist nit wahr, Basl … es ist nit das, was mich aus einander bringt – wenn ich es doch eingesteh’n muß … es ist das Gered’, das dumme Gered’, das überall herumgeht. Der Muckl, die Schwatz-Mirl, hat Alles ausgeplauscht; Jedes weiß davon und ich kann mich nirgends mehr seh’n lassen. Ich fürcht’, es thät mich wer fragen oder spötteln oder gar Trutzliedeln singen auf mich und das gäb’ ein Unglück … denn ich thät’s nit leiden!“
„Ja, ja,“ sagte die Hauserin nickend, „es ist schon was an dem, was Du sagst, aber das Wahre, die Hauptsach’ ist’s doch nit. Es nutzt Dich nichts, wenn Du vor mir Verstecken spielst, ich seh’ Dir in’s Herz, als wenn Du ein Fensterl unterm Brustfleck hätt’st … Nit, daß die Leut’ davon reden; daß das Dirn’l Dich abgetrumpft hat, das ist, was Du nit verwinden kannst. Spreiz’ Dich, so viel Du willst, ich weiß doch, die Clar’l hat Dir’s angethan und wenn sie Ja gesagt hätte, Du thät’st die Leute wohl reden lassen, mein’ ich alleweil …“
„Nein, Basel,“ rief der Bursche, der immer erregter zugehört, und warf den Schnitzer weg, „Du bist doch auf dem Holzweg… Ja, sie hat mir gefallen, ich will’s nit leugnen, das Herz ist mir auf’gangen und ich hab gemeint, ich seh’ einen Engel stehen, vorn an der Evangeliseiten, aber das ist lang vorbei, verbissen und verwunden und verscherzt, sie hat mir die Leviten gelesen, daß mir die Augen auf’gangen sind sperrangelweit! Du sagst, ich wär’ übermüthig? Sie ist’s, Basel, Niemand als sie, wenn sie glaubt, sie darf einem richtigen Burschen und Bauern sein ehrlich’s Wort vor die Füß’ werfen, wie man kein’ Bettelmann einen Pfennig hinwirft! Und Du sagst selber, ich bin ein richtiger Bauernbursch!“
„Alles wahr, aber verdenken kann ich’s dem Madel doch nit,“ erwiderte die Frau, „g’rad viel kann sich ein Madel nit darauf einbilden, wann ihr ein Mannsbild einen Antrag macht,
nit weil sie ihm gefallt und weil er sie gern hat, sondern weil sie das Loos ‘troffen hat … aber wer weiß, ob der erste Unwillen ihr nit lang vergangen ist? Ob es ihr nit auch geht wie Dir und ob sie nit anders reden thät, wenn Du ihr jetzt ein Wort vergönnen thät’st …“
„Ich?“ rief Sylvester aufspringend. „Ich sollt’ noch einmal hinsteh’n vor die trutzige Dingin und ihr wohl gar ein gutes Wort geben? Eher sterben! Ja, ich hab’ sie gern gehabt, zu tiefst von Herzensgrund gern, aber sie glaubt’s ja nit, daß ich ein Herz hab’! Sie glaubt, daß ich gar nit weiß, daß ich keine Ahnung davon hab’, was das heißt, Jemand gern haben … und sie soll Recht haben in ihrer Gescheidtheit! Sie soll sehen, daß ich wirklich kein Herz hab’, daß ich sie und die ganze Narrethei vergessen kann, als wie …“
„Red’ nit so daher,“ unterbrach ihn die Alte, „wenn Du Dich im Spiegel anschau’n könntest, dann würd’st sehen, daß Dein Geschau’ zu denen Reden nit stimmt! Du hast die Narrethei nit vergessen … aber wenn Du mit dem Madel nit reden willst, was meinst dazu, wann ich’s probiren thät und thät’ anklopfen – weißt, so ganz fein und von der Fern?“
„Basel,“ rief der Bursche noch erregter, „um Alles in der Welt, thu’ das nit! Wenn Du mich nur ein bissel gern hast, thu’s nit! Schau, wenn ich wüßt’, daß Du das thät’st, heut noch ging’ ich aus dem Haus und morgen aus dem Dorf!“
„Na, na, ist schon wieder Feuer im Dach?“ erwiderte sie lachend. „Wenn Du’s nit haben willst, ich kann die Hand davon halten, ich kann’s bleiben lassen! … Aber wie soll’s nachher mit Dir werden, armer Bub’?“
„Sorg’ nit, Basel,“ entgegnete er sich zusammennehmend mit anscheinender Ruhe. „Ich werd’s wohl zwingen, ich will tüchtig arbeiten, Tag und Nacht arbeiten, daß ich’s bei Tag vergess’ und bei Nacht verschlaf’ vor Müdigkeit … Ich hab’ einmal zug’schaut, wie das wilde Feuer eingeschlagen hat im Wald und wie der Forstner es an’gangen ist, daß er’s überwältigt hat … mit’m Löschen wär’ nichts ausgericht’ gewesen, aber so haben wir weit herum einen Graben ‘zogen um die Brandstatt und haben das Holz ausgehau’t rings herum; was drinnen war, das haben wir verloren ‘geben und es hat einige Tag’ gedauert, bis Alles niedergebrennt g’wesen ist zu lauter Aschen und Kohlen, aber das Feuer ist nit drüber hinaus gesprungen und d’rum herum ist der Wald steh’n blieben, frisch und grün … So will ich’s auch machen, Basel … aber der Hund rebellt draußen! Der Vetter kommt heim, ich hör’ ihn schon, wann er so schreit, ist er übel aufgelegt, da will ich ihm lieber aus dem Weg gehen…“ Kaum war er durch die Hinterthür aus der Küche geschlüpft, als der Brunnhofer schon die Hausthür aufgerissen hatte und den Schnee von den Füßen stampfend durch den Gang herangepoltert kam. Er trug eine erwürgte, übel zerzauste Henne in der Hand. „Hab’ ich’s nit alleweil gesagt,“ rief er die Hauserin an, „der Mader wird so lang um den Taubenkobel und um den Hühnerschlag herumschleichen, bis er ein Unglück angerichtet hat? Glücklicher Weis’ bin ich just daher gekommen und hab ihn versprengt und hab’ ihm das Hendel da noch abg’jagt! Wo ist der Vestl? Warum hat er dem Mader nit aufgepaßt? Warum hat er ihm keine Fallen aufg’stellt? Warum hat er ihn nit erschossen?“
„Na, sturmt’s wieder?“ entgegnete die Hauserin mit gelassenem Lachen. „Der Bub’ wird bald gar nit mehr wissen, was er thun und lassen soll, daß er’s recht macht! Erst soll er kein’ Stutzen mehr anrühren und nachher soll er wieder auf den Mader Jagd machen!“
„Will mich die Schwagerin trotzen?“ fragte der Bauer und zündete paffend die ausgegangene Pfeife wieder an. „So ist’s nit gemeint, das weiß sie recht gut! Ein richtiger Bauer muß auch umzugehen wissen mit einem Schuß, damit er dem Schelmenvolk und dem Raubzeug Eins auf den Pelz brennen kann, wenn’s noth thut! Darum kann er doch ein Bauer sein und braucht keinen Jäger zu spielen! Aber wo ist der Bub’? Er soll herkommen, gleich auf der Stell’! Ich will meinen Zorn an ihm auslassen!“
„Wie kann ich wissen, wo er steckt?“ sagte die Schwägerin gleichgültig. „Hat lang gewartet auf den Schwager, von wegen dem Essen; dann ist er fort, wird ihm wohl die Zeit lang geworden und der Appetit vergangen sein!“
„Mir ist er auch vergangen,“ brummte der Alte, „der Verdruß bringt mich noch um mit dem Buben, wenn nit ein End’ hergeht!“
„Ich begreif’ den Schwager nit, wie soll er denn ein End’ machen?“
„Ja, wenn ich das selber wüßt’! Glaubt die Schwagerin, ich thät dann lang mit der Stang im Nebel herumfahren? Sternsacra, das ist ja das Kreuz und das Elend! Es ist wahr, er hat mir den Willen gethan mit dem Jagen und Schießen, aber jetzt soll er mir auch mit dem Heirathen den Willen thun und soll nit herumgehen, als wenn ihm die Hennen das Brod genommen hätten! In der ganzen Gegend ist Alles voll von der Geschicht’ mit seiner Brautschau; jetzt soll er’s auch durchfechten und soll zeigen, daß er Schneid’ hat und ein Madel zu kriegen weiß und wenn sie sich noch so harb anstellt und noch so schiech! Ich kenn’ das Madel, sie ist sauber, ist fleißig und ordentlich und wann sie auch nichts hat, als wie sie geht und steht, sie bringt was in’s Haus, was mir abgeht, ein’ guten Humor und ein lachend’s, ein freundlich’s Gesicht …“
„Wann der Schwager mit ihr ist, wie mit uns,“ entgegnete die Hauserin, „dann vergeht ihr das Lachen in den ersten vierzehn Tagen! Wann der Schwager freundliche Gesichter sehen will, muß er nit selber den ganzen Tag herumgeh’n, wie ein verlegen’s Donnerwetter!“
„Na, die Schwagerin wird doch nit empfindlich sein wollen,“ lachte der Bauer, „und wird ihr Gesicht vergleichen mit dem von der Kohlenbrenner-Clar’l? Und kurz und gut, er hat sie sich ausgesucht und soll sie mir in’s Haus bringen, so will ich’s haben! Das ist eine Brunnhoferin, wie ich sie mir ein’bildt und gewünscht hab’, da geht ein ganz anderes Leben an, wann die kommt!“
„Da wird der Schwager schon müssen Geduld haben,“ sagte die Hauserin, nicht ganz ohne Gereiztheit, „da ist nichts zu machen, der Vestl ist in der Sach’ einmal zu bockbeinig und will von der Clar’l nichts mehr wissen und wenn nit vielleicht mit ihr eher ein g’scheidtes Wort zu reden ist …“
„Sternsacra,“ brach er wieder los, „das ist ja eben mein Verdruß und mein Elend, daß das Madel, wenn’s möglich ist, noch bockbeiniger ist, als der Schlingel von einem Buben! Ich will’s der Schwagerin nur eingesteh’n … ich hab’ mir’s auf heut’ verspart gehabt, auf den heiligen Abend, da bin ich hinüber in die Kohlhütten, mit dem Madel zu reden, und g’rad komm’ ich davon her! Ich hab’ Zwiesprach’ mit ihr gehalten und hab’ ihr zugeredt, der Herr Pfarrer könnt’s nit besser machen und nit eindringlicher, aber es hat Alles nix genutzt, sie ist steif und fest dabei ‘blieben und hat Nein g’sagt! Es ist mir wohl vorkommen, als wenn sie alleweil die Augen voll Wasser hätt’ dabei, aber sie war nicht zu bewegen! Sie thät’ sich Sünden fürchten, hat sie gesagt, auf eine solche Art und Weis’ in heiligen Eh’stand zu treten! …
Sünden fürchten! Wahr ist’s ja, so recht sauber ist die Art und Weis’ nit … wie ihm solches Zeug nur einfallt, dem Kreuzkopf, dem verzwickten! … aber das ist ja doch nix als Spreizerei! Die ganze Welt ist verkehrt, sonst hat man Teufelsnoth g’habt, die jungen Leuteln auseinander zu halten: die Zwei sollten zusammen können und möchten’s heimlich auch, und wenn sie sich noch ärger verstellen, und die wollen nit! Thät Noth, man thät’ sie mit Gewalt zwingen zu einander!“
„Ich denk’ halt,“ sagte die Hauserin, als sie zu Worte kommen konnte, „das muß man den jungen Leuten selber überlassen und der Zeit!“
„Hat sich was zu überlassen!“ rief er wieder ärgerlich. „Als wenn keine Zeit zu verlieren wär’! Das Gered’, und das Gefrag’ und das Geschau’ ist dem Madel schon zuwider worden, die Mutter ist wieder wohlauf, die Clar’l will fort, morgen, in aller Früh; sie will wieder hinein zu ihren Gefreundten in Tirol und will nit eher wieder kommen, als bis kein Mensch mehr daran denkt und bis der Vest’l geheirath’ hat… Aber meinetwegen, ich will mich auch nichts mehr d’rum kümmern… Warum soll ich mir die Feiertag’ verderben lassen! Darnach ist auch wieder eine Zeit und wenn ich mir einmal was in Kopf gesetzt hab’, dann führ’ ich’s doch durch, es wird auch für die Hacken noch ein Stiel zu finden sein! Jetzt aber richt’ sich die Schwagerin zusamm’, ich geschirr’ die Fuchsen ein und schieb’ den Rennschlitten heraus: wir wollen nach Schliers hinüberfahren in die Metten … wir machen den Weg über Westerhof… Der See kracht
alle Augenblick’, als wenn eine Kanon’ losg’schossen wurd’, ich denk’, es ist gescheidter, wir bleiben auf dem Land…“
Bald hernach flog klingendes Schellengeläut die Straße nach dem Dorfe hin, in weitem Bogen das Seegestade umkreisend. Es ging auf Mitternacht; blauschwarze Finsterniß senkte sich wie ein undurchdringlicher Vorhang vom Himmel herab, kein Sternlein durchblitzte sie, das Schneelicht allein diente dazu, die Wege etwas zu erhellen; dagegen kamen von allen Seiten, die Höhen nieder und aus den Büschen hervor, helle feurige Punkte aufgetaucht, wie Irrlichter oder riesige Leuchtkäfer, es waren die Kienfackeln und Laternen, die den andächtigen Kirchfahrern leuchteten auf der Wanderung zu dem nächtlichen Gottesdienste. Das ist ein lieber, heilig gehaltener Brauch, und wen nicht Krankheit zu Hause hält oder Alter oder wer nicht die Hauswache hat, der unterläßt kaum denselben zu üben. Das gab manch’ wunderbares Bild, wenn hier und da eine Schaar aus dem Dunkel, aus Gebüsch oder Ebene auftauchte, roth beschienen von dem Fackelschein, der die wankenden Streiflichter über die Schneefläche breitete und an den Stämmen der Bäume hin; dann schritten sie Alle, tief verhüllt, bald ernst und schweigend, bald auch in lautem Wechselgebet vorüber, um nach einigen Augenblicken wieder im Dunkel zu verschwinden. Durch die erhabene Nacht und ihr Feier-Schweigen aber tönte das Glockengeläut wie ferner Gesang von unsichtbaren Lippen: ein Lobgesang voll gewaltiger Melodie, die Geburt dessen verkündend, mit dem das Heil in die Welt gekommen und die versöhnende Liebe.
Die Pfarrkirche vermochte kaum die Schaar der zudrängenden Beter aufzunehmen; wenn die Kirchenthür sich aufthat, flammte das Licht der Altäre hinaus in das doppelt nächtliche Dunkel umher, den Nahenden entgegen, wie das Thor der himmlischen Einigkeit aufspringen mag vor dem, der erwachend angewandelt kommt aus der Grabnacht der Erde.
Auch die schöne Köhlerin fehlte nicht; aber diesmal stand sie nicht wie beim Erntefest an dem kerzenflammenden Altar – unter dem Chore, hinter einer Säule hatte sie das dunkelste Plätzchen ausgesucht, um ihrem Gebete obliegen zu können, ungestört von Blick und Wort der Andern, die nicht immer Schick und Ort beachten, wo es gilt, dem Muthwillen Luft zu machen oder heimlicher Bosheit. In kindlicher Unbefangenheit legte sie sich, all’ ihr Leid und all’ ihre Sorge dem Himmel dar und betete um die Wiederkehr der arglosen Heiterkeit, die noch vor kurzer Zeit ihr so eigen gewesen war, wie dem Vogel der Flug und der Gesang. Es war ihr schwer im Herzen und unruhig im Sinn; der Besuch des alten Brunnhofer und was er ihr gesagt, war doch tiefer gedrungen, als sie zeigen mochte, auch fiel es ihr schwer, daß sie nach kaum ein paar Wochen Aufenthalt wieder fort sollte aus der Heimath, in der es ihr, sie wußte selber nicht warum, so gut zu gefallen anfing, wie noch nie, dann aber konnte sie’s wieder nicht verwinden, daß sie zum Spiel und Gespött gemacht worden; sie grollte dem, der ihr das angethan und sie abermals hinaustrieb in die Fremde, und doch konnte sie auch nicht vergessen, daß es ja nur auf sie ankam, immer zu bleiben, bei ihm zu bleiben und wenn auch der Verstand ihr immer zuflüsterte, daß es nur ein leeres Wort sei, dem sie nicht glauben dürfe … im Herzen klang es doch wieder und wieder nach, wie er vor ihr gestanden und sie so aufrichtig angeschaut und gesagt hatte … „Schau, ich hab’ Dich so viel gern…“
– – – Als das Hochamt mit der dreifachen Messe zu Ende und vom Chore herab das einfache Lied der Hirten verklungen war, wogte die Menge wieder in’s Freie; trotz der Eile aber entging es Manchem nicht, daß der Hirtengesang ist den frühern Jahren anders geklungen habe, als heuer. „Sonst, sagten und fragten sie untereinander, „ist der Muckel dabei gewesen und hat zu dem Gesang und zu der Orgel auf seinem Klankenett geblasen, daß es sich angehört hat, als wär’s eine Hirtenschalmei, und daß man geglaubt hat, man stehe wirklich mit den Hirten an der Krippe! Hat doch noch nie gefehlt, es muß was Besondres dazwischen gekommen sein, daß er heut’ nicht mit geblasen hat, der Muckel!“
Beschleunigten Schrittes wanderten die Leute den Häusern zu, denn nach langer Fastenzeit winkte dort ein reichlicher Imbiß aus Fleisch bestehend, das außerdem nur zu den heiligen Zeiten auf dem Tische des Bauern erscheint. An diesem Tage aber hat jedes Haus, das es nur irgend vermag, seine Schüssel mit Braten oder Mettwurst, in den wohlhabenden wird ein lange für diesen Tag herangemästetes Schwein gestochen und in allen Formen verspeist. Auch im Wirthshause war es gedrängt voll; es gab genug des jungen ledigen Volks, das sich da zusammenfand, und auch mancher Hausvater fühlte sich bewogen einzutreten und sich mit Weib und Hausgenossen durch ein Glas wärmenden Kirschgeist oder kräftig-bittern Enzian zu stärken für die weite Heimwanderung in dem kalt anbrechenden Wintermorgen.
Der Ehren- und Eckplatz in der großen Gaststube war schon von Anfang besetzt. Da saß die Kramer-Waben im höchsten Staat, neben ihr der Vater, zwischen Beiden der Clarinetten-Muckel, und nun wußten die eintretenden Kirchgänger wohl, warum er heute zum ersten Male gefehlt bei dem Hirtengesang. Vor der Gesellschaft standen in unordentlicher Fülle Krüge und Flaschen, Gläser und Schüsseln durcheinander, und das fette Gesicht des Dicken glänzte wie die würfelartig eingeschnittene Schwarte des duftigen Schweinebratens vor ihm. Er ließ es sich weidlich schmecken und schien nichts dawider zu haben, daß seine Nachbarin zur Linken ihm geschäftig die besten und saftigsten Bissen auf den Teller legte, während der Nachbar zur Rechten ihm unermüdlich immer wieder das Glas füllte und, was leer geworden, um neuen Vorrath vertauschen ließ. Dennoch stahl sich in manchen Augenblicken, wo es unbemerkt möglich war, sein forschender Blick seitwärts, wie der eines Gefangenen, der nach einer Gelegenheit zu entwischen umherspäht; hatte er aber die Unmöglichkeit wahrgenommen, so kehrte er zu den Schüsseln zurück und machte sich darüber her mit dem Todesmuthe eines Verurtheilten, dem man zur Henkermahlzeit auftischt, was nur gut und theuer ist. Der alte Krämer, dessen Fröhlichkeit ein unwiderlegliches Zeugniß ablegte für das, was er schon geleistet, war in seinem rosenfarbensten Humor: er wollte offenbar seinen Reichthum zeigen und ergötzte sich an dem stummen Erstaunen der Bauern an den nächsten Tischen, wenn er immer nach dem Allerbesten rief, den gebrachten Wein mit Zunge und Gaumen schlürfend prüfte wie ein gewiegter Kenner, und endlich, um der Zecherei die Krone aufzusetzen, nicht ruhte, bis der Wirth im Kellerwinkel noch ein paar von der letzten Primiz oder Kirchweihe übrig gebliebene Flaschen mit blanken Blechhelmen herbeischleppte und die knallenden Stöpsel den verdutzten Zuschauern um die Köpfe flogen.
„Zeit und Weil’ ist ungleich!“ rief der Krämer und schlug auf den vollen Geldgurt um seinen Bauch, daß es klingelte. „Die Zeiten muß man ehren, damit sie Einen wieder ehren! Man macht nicht alle Tag Stuhlfest! Nicht wahr, Vettermann?“ fuhr er mit einer Art freundlicher Herablassung gegen den Wirth fort, der eben eine neue Tracht frisch abgebräunter Leberwürste auf den Tisch setzte und mit höflichem „Wohl bekomm’s“ die grüne Schlegelkappe lüftete. „Was will man machen, wenn man Kinder hat! Einmal muß man doch daran denken, daß man sich in die Ruh’ setzt und läßt die jungen Leut’ ihr Glück probiren – na, Unsereiner kann’s ja thun! Freilich, mir hätt’s nit pressirt und meiner Waben noch weniger – aber der da, mein Schwiegersohn, hat keine Ruh’ mehr gegeben und hat’s abs’lut haben wollen, daß wir heut’ schon hinein sind auf’s Landgericht und haben Richtigkeit gemacht … Hat wohl gedacht, der Silberfisch könnt’ ihm noch auskommen oder abgefangen werden! Hat mir ja das Haus schier niedergerennt … Red’ Schwiegersohn!“ schloß er und stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Seite, „ist’s etwa nit so, wie ich sag’?“
Der Musikus hatte den Mund voll und konnte als Antwort nur einen brummenden Ton hervorbringen, der eben so gut als Nein gedeutet werden konnte, wie als Ja; er machte eine hastige Bewegung, denn es hatte ihm inwendig einen Stich gegeben, wie damals, als er auf den Stufen zur Kirchhofthüre gesessen und die Jungfern mit ihrer Ehrenführerin vorüber ziehen sah. Die Bauern aber steckten die Köpfe zusammen und zischelten und lachten; der Bräutigam sah gar nicht aus, als ob er so besonders stürmisch gewesen, und wenn sie es auch nicht laut erzählten, weil der Reichthum doch überall einen gewissen, mindestens äußerlichen Respect findet, so erzählten sie sich heimlich mit um so größerer Lustigkeit das gerade Gegentheil von dem, was der prahlende Krämer gesagt. Wußte doch fast jedes Kind, daß es der Krämer gewesen, der auf Anstiften der Tochter nicht geruht, bis er den Clarinettisten, der vor ihm hergelaufen war wie ein Hase beim Treibjagen, in’s Netz gescheucht hatte. „Die Geschichte mit der Brautschau gab den Anlaß dazu, wie es einen bessern und willkommneren nicht hätte geben können, denn das Gerede war überall verbreitet und wenn es wo gefehlt hätte, sorgte die schneidige Waben redlich dafür, daß es immer wieder frischen Anlauf und neue Nahrung fand und daß der alte Krämer, wo er sich nur befand, daheim oder im Wirthshaus, auf der Reise oder auf dem Jahrmarkt, nichts Anderes zu hören bekam, als die Geschichte vom Clarinetten-Muckel, der seine Tochter zur Braut gewählt und nun doch sitzen lassen wolle, bis ihm endlich die Galle stieg und er schwor, der Geschichte ein Ende zu machen. „Ich hab’ ihm einmal den Weg gezeigt aus meinem Hause hinaus,“ rief er, „jetzt will ich ihm den Weg hinein zeigen und wenn es mich den letzten Kronthaler kosten sollte!“
Den kostete es nun eben nicht, aber es war immerhin kein kleines Stück Arbeit, hinter dem Flüchtigen her zu sein „wie der Teufel hinter der armen Seele“. Wenn er unbemerkt in ein Wirthshaus zu schlüpfen gedachte, verging keine Viertelstunde und es trat der Krämer in die Stube; galt es, irgendwo zum Tanze aufzuspielen, so war das erste Gesicht, das er von seinem erhöhten Sitze aus erblickte, das seines Verfolgers, der ihm mit höhnischer Freundlichkeit den Krug zubrachte, damit er ihm Bescheid thun solle auf die Gesundheit seiner Braut. Wenn es dann anging, drückte er ihn in eine Ecke hinein und floß über von lockenden Versprechungen des Reichthums und behaglichen Wohlergehens oder er kramte allerlei Schreckbilder aus, um durch Einschüchterung zu erreichen, was etwa der Verführung trotzen zu wollen schien. Er fabelte ihm vor, daß er ihm einen Injurien-Proceß an den Hals werfen werde, weil er seine Tochter in der Leute Mund gebracht und sie nicht wieder zu Ehren bringen wolle – er ließ ihn merken, daß der gestrenge Herr Landrichter auf dem Punkte stehe, sich der Sache anzunehmen und ihm das Musikmachen zu verbieten, denn einem Menschen, der sich erlaube, Spaß zu treiben mit so heiligen Dingen, könne man nicht erlauben, bei den Vergnügungen ruhiger und gesitteter Landbewohner auch nur die Clarinette an den Mund zu setzen. Die Tochter ließ es ebenfalls nicht fehlen, sich zur rechten Zeit einzufinden und die Liebenswürdige zu spielen, daß er manchmal sich erst besinnen mußte, warum er sich denn so sehr sträube, sich ihr gefangen zu geben, denn die schneidige Waben verstand es, so sanft zu reden, als wäre sie gar nicht im Stande, ein böses Wort auszusprechen, und streichelte ihn wie ein schnurrendes Kätzlein, das die Krallen einzieht. Das war mehr, als der Clarinetten-Muckel zu ertragen vermochte; er fing an, blaß zu werden und vom Fleische zu fallen, und glaubte sogar zu bemerken, daß der dünne Haarkranz um seine Platte beginnen wolle, noch dünner zu werden. Die unablässige Verfolgung und Hetze raubten ihm die Ruhe und gewohnte Gemüthlichkeit und verdarben jeden Spaß – er mußte sich diesen Widersacher vom Halse schaffen, wenn er nicht zu Grunde gehen sollte, und da er ihn nicht zu besiegen vermochte, entschloß er sich, zu ihm überzugehen.
Er ward allmählich unempfindlicher gegen die Sticheleien, die er von Andern zu hören bekam, daß er wohl thue, eine reiche Frau zu nehmen, die zu dem Gelde auch gleich die Geldcasse mitbringe, oder daß er nicht mehr nöthig habe, in den Wirthshäusern herumzuziehen, weil nun die Frau ihm selber zum Tanz aufspielen werde – sein Widerstand ward immer schwächer und schwächer und zuletzt hatte er eingewilligt, ohne eigentlich Ja gesagt zu haben.
An Neckereien fehlte es auch diesen Abend nicht.
In einer Ecke, dem Brauttische gegenüber, hatten sich einige Burschen bereit gesetzt und ließen sich Karten geben, zum Scheine nur, als ob sie ein Spiel machen wollten: im Ernste war der Tag zu heilig dazu. „Nun,“ riefen sie herüber und ließen die Blätter schwirrend durch die Hand gleiten, „wie ist’s, Clarinetten-Muckel? Uns fehlt der vierte Mann – willst nit ein Labet mitmachen?“
In den Augen des Gerufenen leuchtete es unwillkürlich auf, er mochte auch mit den Beinen unterm Tisch eine Bewegung gemacht haben, als verspüre er Lust, der Aufforderung nachzukommen; aber ein Puff, den ihm die Nachbarin zur Linken ebenfalls unterm Tisch versetzte, brachte ihn augenblicklich wieder zur Besinnung. Mit der andern Hand hielt sie ihm während dessen das gefüllte Glas hin, um mit ihr anzustoßen; sie lächelte ihn auf’s Freundlichste an und schalt ihn dabei leise tüchtig aus. „Untersteh’ Dich,“ sagte sie, „nur mit einem Aug’ zu Deinen alten Cameraden hinüber zu blinzeln – jetzt gehörst Du nirgends hin, als zu mir her!“
Ehe Muckl antworten konnte, rief es ihm schon wieder von anderer Seite zu. Die Kellnerin, eine runde lustige Dirne, die eben nebenan eine Ladung von Krügen absetzte, nickte mit der Vertraulichkeit einer alten Bekannten herüber. „Wirst wohl nit hochmüthig werden, Klankenetten-Muckl,“ sagte sie, „und wirst mich auch einladen zur Hochzeit? Ich mach’ Dir’s wett’ – ich mach’ auch nächstens Stuhlfest, da kannst mir dann einen neuen Landlerischen aufspielen dafür!“
Auch hier war dem Geplagten die Antwort erspart; ein Puff unterm Tisch von der andern Seite belehrte ihn, daß der Krämer ihn der Mühe überheben wolle. „Weißt was, Kathl,“ sagte er, „laß Dir die Musikanten aus der Stadt kommen, daß sie Dir zu Deiner Hochzeit aufspielen! Mein Schwiegersohn rührt kein’ Klankenett mehr an, daß Du es weißt – bei dem geht’s jetzt aus einem andern Ton, als daß er den Bauern noch was vorblasen müßt’!“
„Wie ist das?“ riefen Stimmen dagegen. „Sind wir ihm die Zeit her gut genug gewesen, daß er sein Brod verdient hat von uns? Und jetzt wär’s ihm zu gering, daß er uns Bauern was vorblasen sollt?“
„Das leiden wir nit!“ schrieen Andere. „‘Naus mit ihm! Packt’s ihn am Kragen und zieht’s ihn über’n Tisch – er soll uns was vorblasen und gleich jetzt, oder wir kehren den Stiel um und spielen auf, daß er dazu tanzen soll …“
Der glückliche Hochzeiter begann in gelinden Angstschweiß zu gerathen, denn die entrüsteten Bursche waren aufgesprungen und schrieen in gedrängtem Kreise lärmend auf die verdutzte Gesellschaft hinein – wer weiß, wozu es vielleicht noch gekommen, trotz der Heiligkeit des Abends, wäre nicht plötzlich vor dem Hause lautes ängstliches Rufen vernehmbar geworden. Es kam immer näher, es war deutlicher Hülferuf; Alles hielt inne und wandte sich der Thür zu, ein Knecht stürzte fast athemlos herein und brachte die Nachricht, es sei Jemand im See durch’s Eis gebrochen – man höre das grausliche Geschrei aus der Ferne, aber es traue sich Niemand hinein, denn das Eis sei mürb und brüchig, der See sei dort am allertiefsten und wer hineinkomme, zumal unter’s Eis, sei mit dem Andern rettungslos verloren.
Nur wenige Augenblicke und die Stube war fast geleert; Viele rannten hinab zum Seegestade, an welchem schon Einige rathlos schreiend durcheinander liefen. Es begann eben schwach zu grauen und über die beschneite Eisdecke hin war eine dunkle Stelle zu erkennen, von welcher der Hülferuf schon ermattet und in immer längeren Absätzen herüber kam. „Die Lise ist’s,“ tönte es den Kommenden entgegen, „der Stimme nach ist’s kein anderer Mensch, als die Botenlise! Sie ist Nachts im Dorf gewesen und muß auf dem Heimweg’ die ausgesteckte Bahn auf dem See verfehlt haben! So muß sie an ein Fischloch gekommen sein und ist eingebrochen!“
Ueber der unruhigen Menge, an einer etwas erhöhten Stelle, von der man den ganzen See übersah, stand unter dem weitverzweigten dunklen Gezweige eines mächtigen Buchenstammes eine dicht verhüllte weibliche Gestalt und starrte unbeweglich nach dem Orte des Unheils.
Jetzt wurden Fackeln gebracht; ihr Schein flackerte weit hinaus und beleuchtete denselben.
„Sie rührt sich auf einmal nicht mehr!“ sagte Einer, „sollte sie schon untergegangen sein …“
„Wär’ kein Wunder, wenn sie schon erstarrt wär’ in dem kalten Bad …“ rief ein Anderer, „aber das ist es nicht! Es ist schon Jemand draußen bei ihr …“
„Bei ihr draußen? Wer thät sich untersteh’n, da hinaus zu geh’n!“
„Es ist doch so – ich seh’s ganz deutlich, wie er sich niederbückt … er will sich auf den Boden niederlegen und auf dem Eis zu ihr hinrutschen …“
Der Ruf einer fernen Männerstimme ward vernehmbar.
„Hörst? … Er sagt, es soll Niemand nachgeh’n – das Eis sei zu schwach und trage die Last nicht …“
„Der kecke Mensch! Wer ist es nur?“
„Ich weiß nicht – aber ich mein’, ich wollt’s errathen, … es ist nicht leicht Einer, der so viel Schneid’ hat … es muß der Brunnhofer Vestl sein, mein’ ich!“
Die Vermuthung war vollkommen begründet. In der Unruhe seines Gemüths war er vom Hause fort und auf einem Umwege dem Dorfe zugewandert; er wollte Niemand begegnen, um ein Gespräch zu vermeiden, das ihn vielleicht nur erbittert haben würde; er wollte mit sich und seinen Gedanken allein sein, und sich durcharbeiten durch all’ die Sorgen und Hoffnungen in ihm. So war er zu spät an die Kirche gekommen, als der Gottesdienst bald zu Ende war, und konnte sich nur mit Mühe in eine Ecke hinter der Thür drücken – aber auch da litt es ihn nicht lange; als er den Blick erhob, traf er gegenüber auf eine knieende, in Gebet versunkene, ihm nur zu wohlbekannte Gestalt – eh’ sie ihn gewahr werden konnte, entrann er wieder der gefahrvollen Nähe und stürmte an den See hinab – in Nacht und Frost war es dem jagdgehärteten Burschen wohler, als in der dumpfen lichtstrahlenden Kirche; eine Wildfährte, die er im Zwielicht gewahrte, führte ihn den See entlang und gerade im rechten Augenblick zur Stelle, die ersten Hülfsrufe der Verunglückten zu vernehmen und zu ihrer Rettung bereit zu sein.
Ueber den Anwesenden lag die lautlose Stille angstvoller Erwartung.
„ … Jetzt ist er ganz nah’ dabei …“ flüsterte der Eine, „wenn sich die Frau um aller Heiligen willen nur ruhig hält, wenn er nach ihr faßt, sonst bricht der Eisrand – sie reißt ihn mit hinunter und sie sind alle Beide verloren!“
Sie schwiegen wieder; die Verhüllte droben unter der Buche drückte sich fest an den Stamm – die Hände streckte sie aus, als vermöchte sie, den Eisrand zu stützen, daß er nicht einbrach.
„Gott sei ewig Lob und Dank!“ rief es jetzt von allen Seiten, „er hat sie glücklich herausgebracht … er ist schon ein gutes Stück von dem Loche weg … jetzt ist die größte Gefahr überstanden! Herrgott, ist das eine Angst gewesen, vom bloßen Zuschau’n – ich denk’ meiner Lebtag d’ran!“
Freudig drängte Alles dem Kommenden entgegen, der das triefende erstarrte Mütterchen, einer Todten ähnlich, sichern Trittes und kräftigen Armes an das Ufer trug und dort sachte und sorgsam in den Schnee niederlegte. „Schafft ‘was her, daß man eine Tragbahre machen kann,“ sagte er ruhig, „die Alte muß gleich in’s Dorf hinein gebracht werden zum Bader, sonst bringt sie der Schrecken um und die Erkältung … sie ist so schon zwischen Leben und Sterben.“
Einige machten sich rasch daran, seine Anordnung auszuführen; Andere traten hinzu, gaben Vestl die Hand und klopften ihm auf die Schulter und rühmten ihn wegen seines Muthes und wegen seiner kaltblütigen Besonnenheit.
Die Gestalt auf der Anhöhe trat ganz vor, daß sie jeden Laut hören, jede Silbe verstehen konnte.
Sylvester wehrte das Alles ab. „Laßt mich in Ruh’ und macht nicht so viel Wesens,“ sagte er, „es ist nicht der Mühe werth, daß man davon redet! Wenn man ein bissel vorsichtig ist und sich leicht macht, ist es keine Kunst – da trägt das Eis
noch mehr … Aber tummelt Euch, Leute, sonst stirbt mir die Alte unter den Händen …“
In dieser Beurtheilung des Zustandes der Geretteten aber irrte er sich doch; unerwartet begann sie sich zu regen, schlug die Augen auf und blickte irr wie fragend und suchend umher. Sie schien sich mit Schrecken zu besinnen, was mit ihr geschehen aber der Frost und das Entsetzen hatte sie der Sprache beraubt: sie vermochte nur, unverständliche Laute zu stammeln; dankstrahlend hing ihr Auge an Sylvester und sie riß seine Hand an sich, als wolle sie selbe an die Lippen drücken.
Eh’ er das zu hindern vermochte, verwandelte sich aber die Geberde des Dankes in eine Bewegung neuen Schreckens – mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in den See hinaus: ihre erregten Sinne vernahmen, was bisher in dem Drängen und Wirrsal des Ereignisses Niemand beachtet hatte.
Vom See her erscholl mattes Gewinsel.
„Was ist denn das?“ frug man. „Ist denn noch wer draußen im See? … Das ist doch keine menschliche Stimm’ …“
„Bläß’ …“ schrie die Alte plötzlich laut aufkreischend, „mein Hund, mein alter treuer Bläß’ … er liegt draußen im Wasser und kann nicht heraus … Bläß’, Bläß! O, er ist zu alt und zu matt … er geht zu Grund, wenn sich Niemand über ihn erbarmt …“
„Wie kommt denn das Vieh da hinaus?“ rief unwillig Einer von denen, die vom Ufer zugeschaut hatten. „Wird sich wohl nochmal Eins seinetwegen hinaus wagen sollen in die augenscheinliche Todesgefahr!“
„Der Hund,“ sagte Sylvester, „ist ihr wahrscheinlich nach, hat sie heraus ziehen wollen und ist drüber selber hineingefallen …“
„Ja, ja – so ist es,“ rief die jammernde Alte, welche den eignen gefährlichen Zustand ganz vergessen zu haben schien, „und dafür, daß er mich hat retten wollen, soll er zu Grund geh’n … Komm’, Bläß, komm …“ schrie sie mit Anstrengung, damit das Thier sie hören und sich selbst heraus arbeiten sollte.
Schwaches, klägliches Geheul war die Antwort.
„Er ist schon zu matt,“ sagte der Bauer wieder, „und das Eis ist zu glatt, an dem kann er sich nicht halten … macht, daß wir ins Dorf hinein kommen, sonst tragen wir Alle einen Denkzettel davon … Komm, Alte, gieb’ Dich drein, um den alten Hund ist doch kein Schad’.“
Sie wollten die Frau anfassen und weiter bringen, aber mit einer Kraft, die man ihr nicht zugetraut hätte, stieß sie Alle von sich und brach in herzzerreißendes Jammergeschrei aus … „Mein Bläß … mein treu’s Thier,“ rief sie, „ich kann ihn nit so zu Grund’ geh’n lassen – ich hätt’ keine ruhige Sterbstund’, wenn ich ihm so gedankt hätt’ für seine Treu’ und seine Anhänglichkeit … Ich bin nur ein arm’s Weib: ich hab’ nichts als ein goldens Ringel daheim, das hab’ ich mir aufgespart für die höchste Noth … ich geb’s her, wer mir den Bläß’ wieder bringt …“
Es regte sich Niemand, der Lust gehabt hätte, den Preis zu verdienen – das Heulen des Hundes klang noch einmal herüber; noch kläglicher als zuvor, es war die letzte Anstrengung vor dem Untersinken.
„So laßt’s mich selber hinaus,“ rief sie wieder und wollte sich aufraffen, „so viel Kraft werd’ ich noch haben, daß ich dem armen Hund helfen kann! Es ist das einzige Geschöpf, das mein gehört und das mich gern hat … Laßt’s mich los, Leut’, und halt’s mich nit – Ihr müßt gar nit wissen, wie das thut, das einzige Geschöpf verlieren müssen, das Ein’ gern hat …“
„Sei still, Alte,“ sagte Sylvester, dazwischen tretend, „behalt’ Dein Ringel – Du sollst Deinen Hund wieder haben …“
„Vestl …“ rief es von allen Seiten durcheinander … „Du wirst doch nicht …“ aber ehe Jemand gedacht oder vermocht hätte, ihn aufzuhalten, war er schon auf dem Eise und eilte mit sicher bemessenem Schritt der gefährlichen Stelle zu. In einiger Entfernung davon zog er die Jacke aus, ließ sich wieder platt auf das Eis nieder und schob, sich so langsam gleitend bis in die Nähe des Eislochs vor, dann warf er die Jacke davor hin, daß das Thier, sie mit den Zähnen packen und sich daran festhalten solle …
Am Gestade war es wieder still, wie im Grabe; die Verhüllte auf dem Hügel war in die Kniee gesunken, einem leblosen Bilde gleich.
„Alle Heiligen stehen ihm bei,“ flüsterte es jetzt durch die Runde, „wenn er nur kein Unglück hat, es wär’ doch jammerschad’ um den prächtigen Burschen … Jesus Maria, das Eis kracht … es bricht ein …“
Ein eigenthümlich knirschender Ton klang herüber – vom Hügel her gellte ein lauter Angstschrei …
Aber dem behenden gewandten Burschen war inzwischen das Wagstück dennoch gelungen: instinctmäßig hatte das Thier sich an der Jacke empor geholfen und rannte nun mit Freudengeheul der rufenden Herrin zu.
Sylvester warf einen Blick nach der Gegend, von woher der Schrei erklungen war; dann schritt er, die Versammlung am Ufer umgehend, die Seebahn dahin, in der Richtung der Heimath. Bald verloren sich auch die Leute vom Gestade und brachten die Alte, die von Dank und Freude überströmte, in das Dorf – die Verhüllte zögerte noch eine Weile, dann schlug auch sie den Weg gegen die Berghöhe ein.
Die beiden Wandrer gewahrten einander wohl in der herandämmernden Morgenhelle – sie schienen sich auch zu kennen und es war manchmal, als ob sie, unwillkürlich angezogen, sich näher kämen und sich zu begegnen wünschten; dann aber wirkte es wieder wie geheimnißvolle Abstoßung – sie flohen weit auseinander und schwanden endlich nach verschiedenen Seiten in Gebüsch und Wald.
Am andern Morgen, am fröhlichen Weihnachtstage schien es, als ob das ganze Thal, der Feier bewußt, sich in seinem schönsten Schmucke zu zeigen suchte. Der ganze Himmel glich einem blauen, lichtdurchflammten Krystall; eine erhabene ruhende Königin lag die Erde, in den weiten fleckenlosen Schnee-Hermelin gehüllt, und wie unschätzbares Geschmeide in ihrem Haar funkelten Reifdiamanten an jedem Aste und Reislein.
Das Gemüth des alten Brunnhofers wollte zu der allgemeinen Helle und Heiterkeit nicht stimmen; er hatte das mürrische Angesicht durch das Guckloch im Fenster der obern Stube gesteckt und hörte ziemlich verdrossen ein paar arm gekleideten Kindern zu, die dem alten Brauche gemäß vor dem Hause standen zum „Christkindl-Singen“. Sie trippelten mit den kleinen Füßen, denn es war wieder kalt geworden gegen den Tag, die Händchen hielten sie unter der Schürze und in der Tasche versteckt, die kleinen Gesichter waren frostgeröthet, aber die Stimmen klangen hell und frisch; sie waren wohlgemuth, denn sie hatten schon an einigen Häusern gesungen, und überall war die Aufnahme freundlich gewesen und die Gabe reichlich – was durften sie nicht erst an dem reichen Brunnhofe erwarten! Sie sangen das uralte Volkslied von den Hirten, die einander staunend erzählen, was sich in der heiligen Nacht Wunderbares begeben, und das da anfängt:
- „Holla, Jackel, was ist das?
- Ich mein’ schier, ich hör’ etwas –
- Was soll der G’sang bedeuten,
- ‘S ist zu fruh, zum Tag-Anläuten
Und dann wieder sprachen sie, den nahen Jahreswechsel voraus verkündend, den althergebrachten Volksgruß
- „Glückselig neues Jahr!
- Ein Christkind’l in ‘kraustem Haar,
- Auf ein’ goldenen Tisch
- Ein’ bachenen (gebacken) Fisch,
- Dazu ein Glasel Meth und Wein,
- Kann Bauer und Bäuerin lustig sein!“
„Ihr könnt mir gestohlen werden mit Eurem Glückwunsch,“ murrte der Alte. „Bei uns in der Einöd’ heroben giebts weder Bauer noch Bäurin, wo soll da das Christkind’l herkommen im ‘krausten Haar…“
Schon hatte er ein paar Pfennige in ein Papier gewickelt und wollte sie den Kindern zuwerfen, mitten in der Bewegung hielt er inne: vom Zaune her kam raschen Schrittes ein Mädchen, ein dichtes Tuch über Kopf und Schultern, in der Hand den Wanderbündel.
Es war die Köhlerin, auf der Wanderung aus der Heimath.
„Grüß’ Gott,“ rief er ihr zu, „willst nit einkehren auf dem Brunnhof? Ich mach’ mein freundlichstes Gesicht und Du hast es versprochen, wenn Du wieder vorbei kommst; und wenn der Bauer unter der Thür steht und Dich anlacht mit dem ganzen Gesicht…“
„Versprochen hab’ ich’s wohl,“ erwiderte sie stockend, „aber Du wirst mir’s wohl schenken müssen, Brunnhofer … es hat sich gar viel verändert seitdem…“
Der Bauer wollte antworten, aber er gewahrte im Augenblick, daß ein dunkles Roth die Züge des Mädchens überdeckte und daß ihr Blick auf einen andern Punkt gerichtet war, als auf ihn und sein Fenster. Eine Ahnung dämmerte ihm auf; hastig schloß er das Guckloch und eilte hinab.
Während des Gesprächs hatte Sylvester die Hausthür geöffnet und war betroffen auf der Schwelle stehen geblieben…
„Wenn ich Dir im Weg’ umgeh’ …“ sagte er mit schwankender Stimme, „sag’s nur, ich kann geh’n … aber schlag’s dem Vetter nicht ab; ich bitt’ Dich auch darum, kehr’ ein auf dem Brunnhof…“
Sie dachte zu enteilen und stand festgewurzelt; er wollte gehen und blieb doch an der Stelle, stumm sahen sie einander an; ungewiß, zweifelnd, halb unbewußt hob er die Arme – ein Zittern durchflog ihren Körper und das Wanderbündelchen glitt herab in den Schnee. Es war nicht zu sagen, wer dem Andern entgegengeeilt, aber in Mitten des Weges trafen sie zusammen und hielten einander umschlungen, fest, innig und wortlos.
„Sternsacra …“ sagte der Alte, der in die Thür getreten, und wischte sich die Augen.
„Willst jetzt einkehren auf dem Brunnhof?“ fragte Sylvester leise das zärtlich an seiner Brust emporblickende Mädchen.
„… Ja …“ flüsterte sie innig und ebenso leise.
„Und willst da bleiben?“
„Ja…“
„Bleiben – für Zeit und Ewigkeit?“
„Ja.“
„Und glaubst mir jetzt, daß ich weiß, was das heißt, Jemand gern haben von Herzens Grund? Und wie ist Dir der Glauben ‘kommen?“
„Heut’ Nacht, Vest’l,“ erwiderte sie mit leichtem Stocken, „ich hab’ Alles mit ang’sehn, drunten am See … wer das thut, einem armen alten Mutterl sein’ einzige Lebensfreud’ zu erhalten, der hat ein Herz und noch dazu ein recht gut’s…“
„Also vergeben und vergessen?“
„Alles!“
„Und wieder ist’s der See, der uns zusammen ‘bracht hat, wie das erste Mal! Jetzt ist er mir noch einmal so schön und mein’ Lieb’ zu Dir, die soll dauern, so lang noch ein Tröpfel Wasser in ihm ist…“
„Sternsacra,“ rief der Brunnhofer dazwischen und zwang sich zu lachen, um seine Rührung zu verbergen, „ich glaub’ hell-licht, sie nimmt den Buben blos deswegen, weil er einen alten Hund aus dem See ‘zogen hat…
- O Weiberleut, Weiberleut
- Seid’s nit zum Ergründen:
- Eh’ wollt’ i’ an Kreuzer
- Im Schliersee find’n!
He, Schwagerin,“ fuhr er fort und that einen gellenden Pfiff, „da komm’ die Schwagerin heraus, geb’ sie jedem von den Christkindlsängern da, die mir das Glück ang’sungen haben, einen Zwanziger und schau’ sie sich das Paar’l an und führ’ sie’s hinein in’s Haus; auf die Läng’ könnt’s doch zu kalt werden da im Freien, selber für die jungen Leut’!“
Die Frau trat herzu, nicht wenig erstaunt über die unvermuthete Wendung, doch desto mehr von ihr erfreut; mit lachendem Mund und thränenden Augen führte sie die Glücklichen in’s Haus, die selbst nicht wußten, wie ihnen geschehen war. „Gott sei Lob und Dank,“ sagte der Bauer leise zu ihr, indem sie hinter dem Paare hergingen, „nun kann ich, wenn’s in die Ewigkeit geht, dem Bruder Andrä doch sagen, daß ich Wort ghalten hab’ …“
„Redlich und ehrlich,“ erwiderte die Hauserin und schüttelte ihm die Hand, „ich mein’, er müßt’ jetzt schon vom Himmel ’runter schau’n und seine Freud’ daran haben!“ –
Zum Dreikönigstage war wirklich Hochzeit auf dem Brunnhofe und seit Menschengedenken war keine unter solchem Jubel gefeiert worden und solchem Zulauf; es hatte auch nicht leicht ein schöneres Paar gegeben, noch eines, das sich gefunden und geworben auf so seltene Art. So sehr auch der Clarinetten-Muckel unter dem Doppelpantoffel von Frau und Schwiegervater stand, hatte er es doch durchgesetzt, daß sie Alle mit zu Gaste waren beim Mahl, und ließ sich’s durch die saure Miene des Krämers nicht wehren, dem Cameraden aus der alten, lustigen, freien Zeit eine Ehre anzuthun und zum Brauttanz den versprochenen Landlerischen aufzuspielen.
Er übertraf sich selber dabei, der Ländler war einzig wie die ganze Hochzeit.
Als er vorüber war und der Bräutigam zu ihm trat, ihm dankend die Hand zu schütteln, flüsterte er ihm rasch und heimlich zu: „Du hast wohl Ursach’, daß Du mir dankst, Vestl, Du hast ein Röserl gekriegt, schön und frisch und schier gar ohne Dorn, aber das kann der beste Gärtner nit auseinander klauben, was ich für eine Blum’ erwischt hab’ …“
„Was giebt’s denn da für Heimlichkeiten auszumachen?“ fuhr die Waben, die ihren Mann keine Secunde aus den Augen ließ, dazwischen. „Darf man’s nit auch wissen?“
„O ja, warum denn nit,“ stammelte Muckel erschrocken. „Wir haben nur davon gered’t und uns darüber gefreut, daß die Brautschau so gut ausgefallen ist für ihn …“
„Für alle Zwei, will ich hoffen?“
„Versteht sich, Weiberl, versteht sich – für alle Zwei!“ erwiderte er mit süß-saurem Lächeln und folgte wieder zum Tisch, nicht ohne sehnsüchtigen Blick auf die Musikantenbühne und die geliebte Clarinette.
Diese sollte ihm aber nicht für immer entrissen bleiben; als der alte Krämer das Zeitliche gesegnet, gelang es ihm, seine Schneidige zu bereden, daß sie Haus und Hof verkauften und in den Markt zogen. Da war die Stelle des Marktthürmers oder Musikmeisters frei; Muckel erhielt sie und die Frau fügte sich darein, war er ja doch kein Musikant und Gesell mehr, sondern wohlbestallter Meister. Da hatte er nun wieder den alten lieben Trost, und wenn die Frau ihr Uebergewicht zu sehr geltend machte, wußte er, wohin er sich flüchten konnte.
Sein Ländler aber ist unvergessen; noch jetzt, nach mehr als fünfzig Jahren, darf bei keiner Hochzeit der „Brautschau-Landler“ fehlen, wenn auch Niemand den Namen des Urhebers kennt oder die Geschichte seiner Entstehung.
Einem fröhlichen Studenten, der auf fröhlicher Fußwanderung zu einer fröhlichen Bauernhochzeit kam, wurde Beides von einem uralten Bäuerlein erzählt, das mit dabei gewesen.
Auf dem Brunnhofe aber war mit Clar’l das neue Leben, das der Alte erwartet hatte, wirklich eingezogen; die junge Bäurin behielt ihr heiter lachendes Angesicht und es vergingen Wochen, in denen der verjüngte Alle sein Poltern ganz vergessen zu haben schien: Jetzt hausen längst deren Enkelkinder auf dem Gute, aber der Wohlstand und der Frohsinn sind dort daheim und bezeugen, daß sie gut eingeschlagen, die sonderbare Brautschau!