Bekanntmachung, betreffend die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Glashütten, Glasschleifereien und Glasbeizereien sowie Sandbläsereien

Gesetzestext
korrigiert
Titel: Bekanntmachung, betreffend die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Glashütten, Glasschleifereien und Glasbeizereien sowie Sandbläsereien.
Abkürzung:
Art:
Geltungsbereich:
Rechtsmaterie:
Fundstelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1902, Nr. 13, Seite 65 - 71
Fassung vom: 5. März 1902
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 8. März 1902
Inkrafttreten:
Anmerkungen:
aus: {{{HERKUNFT}}}
Quelle: Scan auf Commons
Editionsrichtlinien zum Projekt
Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia
Bild
[[Bild:{{{BILD}}}|200px]]
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[Index:|Indexseite]]

[65]


(Nr. 2846.) Bekanntmachung, betreffend die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Glashütten, Glasschleifereien und Glasbeizereien sowie Sandbläsereien. Vom 5. März 1902.

Auf Grund der §§. 120e, 139a der Gewerbeordnung hat der Bundesrath die nachstehenden

Bestimmungen, betreffend die Beschäftigung von Arbeiterinnnen und jugendlichen Arbeitern in Glashütten, Glasschleifereien und Glasbeizereien sowie Sandbläsereien,

erlassen:

I. Die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Glashütten, Glasschleifereien und Glasbeizereien sowie Sandbläsereien unterliegt folgenden Beschränkungen:
1. In solchen Räumen, in denen vor dem Ofen (Schmelz-, Kühl-, Glüh-, Streckofen) gearbeitet wird, und in solchen Räumen, in denen eine außergewöhnlich hohe Wärme herrscht (Häfenkammern und dergleichen), darf Arbeiterinnen und Knaben unter vierzehn Jahren eine Beschäftigung nicht gewährt und der Aufenthalt nicht gestattet werden. Ausnahmen hiervon kann der Bundesrath zulassen.
2. In solchen Räumen, in denen Rohstoffe oder Glasabfälle zerkleinert oder gemischt werden, oder in denen mit flüssigem Fluorwasserstoffe gearbeitet wird, darf Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern eine Beschäftigung nicht gewährt und der Aufenthalt nicht gestattet werden.
3. Mit Arbeiten am Sandstrahlgebläse dürfen Arbeiterinnen und jugendliche Arbeiter nicht beschäftigt werden.
4. Mit Schleifarbeiten dürfen Knaben unter vierzehn Jahren und jugendliche Arbeiterinnen nicht beschäftigt werden. Mit denjenigen Schleifarbeiten, bei welchen die Glaswaaren trocken geschliffen werden oder [66] das Schleifrad nicht durch mechanische Kraft angetrieben wird, dürfen auch erwachsene Arbeiterinnen nicht beschäftigt werden. Ausnahmen von ihrer Verwendung beim Trockenschleifen kann die höhere Verwaltungsbehörde auf Antrag des Arbeitgebers gestatten, sofern durch zweckentsprechende Betriebsanlagen für eine ständige wirksame Absaugung des entstehenden Staubes gesorgt ist.
5. Junge Leute männlichen Geschlechts dürfen, soweit deren Beschäftigung nach diesen Bestimmungen zulässig ist, nur beschäftigt werden, wenn durch ein Zeugniß eines von der höheren Verwaltungsbehörde zur Ausstellung solcher Zeugnisse ermächtigten Arztes dargethan wird, daß die körperliche Entwickelung des Arbeiters eine Beschäftigung ohne Gefahr für die Gesundheit zuläßt.
Das ärztliche Zeugniß ist vor Beginn der Beschäftigung dem Arbeitgeber auszuhändigen, welcher damit wie mit dem Arbeitsbuche (§. 107 der Gewerbeordnung) zu verfahren hat.
II. In Glashütten, in denen die Glasmasse gleichzeitig geschmolzen und verarbeitet wird – abgesehen von denjenigen Spiegelglashütten, welche gewalztes Glas herstellen –, dürfen für die Beschäftigung junger Leute männlichen Geschlechts bei den Arbeiten vor dem Ofen (Schmelz-, Kühl-, Glüh-, Streckofen) die Bestimmungen des §. 136 der Gewerbeordnung mit folgenden Maßgaben außer Anwendung bleiben:
1. Die Arbeitsschicht darf einschließlich der Pausen nicht länger als zwölf Stunden, ausschließlich der Pausen nicht länger als zehn Stunden dauern.
Die Gesammtdauer der Beschäftigung darf innerhalb einer Woche ausschließlich der Pausen sechzig Stunden nicht überschreiten.
Die Arbeit muß in jeder Schicht durch eine oder mehrere Pausen in der Gesammtdauer von mindestens einer Stunde unterbrochen sein. Unterbrechungen der Arbeit von weniger als einer Viertelstunde kommen auf die Pausen in der Regel nicht in Anrechnung. Eine der Unterbrechungen muß mindestens eine halbe Stunde dauern.
Die höhere Verwaltungsbehörde kann jedoch solchen Betrieben, in welchen die jungen Leute in achtstündigen oder kürzeren Schichten beschäftigt werden und in denen die Beschäftigung der jungen Leute so wenig anstrengend und naturgemäß mit so zahlreichen, hinlängliche Ruhe gewährenden Arbeitsunterbrechungen verbunden ist, daß schon hierdurch eine Gefährdung ihrer Gesundheit ausgeschlossen ist, auf Antrag unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs gestatten, diese Arbeitsunterbrechungen auf die einstündige Gesammtdauer der Pausen auch dann in Anrechnung zu bringen, wenn die einzelnen Unterbrechungen von kürzerer als einviertelstündiger Dauer sind; eine der Unterbrechungen muß jedoch auch in diesen Fällen stets mindestens eine [67] halbe Stunde dauern. Diese Erlaubniß darf nur ertheilt werden, wenn die Dauer der den jungen Leuten zwischen je zwei Arbeitsschichten gewährten Ruhezeit in Tafelglashütten mindestens vierundzwanzig Stunden, in Hohlglashütten mindestens sechzehn Stunden beträgt.
2. Bei Tag- und Nachtbetrieb muß wöchentlich Schichtenwechsel eintreten. Diese Bestimmung findet auf diejenigen Glashütten keine Anwendung, in denen die Beschäftigung so geregelt ist, daß für die jungen Leute zwischen je zwei Arbeitsschichten eine Ruhezeit von mindestens vierundzwanzig Stunden liegt.
3. Während der Pausen für die Erwachsenen dürfen junge Leute nicht beschäftigt werden.
4. Zwischen je zwei Arbeitsschichten muß eine Ruhezeit von mindestens zwölf Stunden liegen.
5. An Sonn- und Festtagen darf die Beschäftigung nicht in die Zeit von sechs Uhr Morgens bis sechs Uhr Abends fallen. Die Vorschrift findet, wenn mehrere Festtage auf einander folgen, nur auf den ersten Festtag Anwendung.
III. In Glashütten, in denen die Schmelzschicht und die Verarbeitungsschicht mit einander wechseln, dürfen für die Beschäftigung junger Leute männlichen Geschlechts bei den Arbeiten vor dem Ofen (Schmelz-, Kühl-, Glüh-, Streckofen) die Bestimmungen des §. 135 Abs. 3, §. 136 der Gewerbeordnung mit folgenden Maßgaben außer Anwendung bleiben:
1. Die Gesammtdauer der Beschäftigung darf innerhalb einer Woche ausschließlich der Pausen nicht mehr als sechzig Stunden betragen.
Innerhalb zweier Wochen darf von der Gesammtdauer der Beschäftigung in die Zeit von sechs Uhr Abends bis sechs Uhr Morgens nicht mehr als die Hälfte fallen.
Die Dauer der Pausen muß für Schichten von höchstens zehn Arbeitsstunden mindestens eine Stunde, für Schichten mit längerer Arbeitszeit mindestens eine und eine halbe Stunde betragen. Unterbrechungen der Arbeit von weniger als einer Viertelstunde Dauer werden auf die Pausen nicht in Anrechnung gebracht; eine der Pausen muß mindestens eine halbe Stunde dauern.
2. In der Zeit von sechs Uhr Abends bis sechs Uhr Morgens darf die Beschäftigung ausschließlich der Pausen die Dauer von zehn Stunden nicht überschreiten.
3. Während der Pausen für die Erwachsenen dürfen junge Leute nicht beschäftigt werden.
4. Zwischen je zwei Arbeitsschichten muß eine Ruhezeit liegen, welche mindestens die Dauer der zuletzt beendigten Schicht erreicht. Innerhalb [68] der Ruhezeit ist eine Beschäftigung mit Nebenarbeiten gestattet, wenn die jungen Leute vor Beginn oder nach dem Ende dieser Beschäftigung noch für eine Zeit von der Dauer der zuletzt beendigten Schicht ohne jede Beschäftigung bleiben. Die Dauer der Beschäftigung mit Nebenarbeiten kommt auf die Gesammtdauer der wöchentlichen Arbeitszeit in Anrechnung.
5. An Sonntagen darf die Beschäftigung nur einmal innerhalb zweier Wochen in die Zeit von sechs Uhr Morgens bis sechs Uhr Abends fallen.
IV. Für Glashütten, welche von den unter II und III nachgelassenen Ausnahmen Gebrauch machen, finden die Bestimmungen des §. 138 Abs. 2 Satz 3 der Gewerbeordnung mit folgenden Maßgaben Anwendung:
1. Das in den Fabrikräumen auszuhängende Verzeichniß der jungen Leute ist in der Weise aufzustellen, daß die in derselben Schicht Beschäftigten je eine Abtheilung bilden.
2. Das Verzeichniß braucht in Glashütten der unter III bezeichneten Art für die bei Arbeiten vor dem Ofen beschäftigten jungen Leute eine Angabe über die Arbeitstage, die Arbeitszeit und die Pausen nicht zu enthalten. Statt dessen ist dem Verzeichniß eine Tabelle nach dem anliegenden Muster beizufügen, in welche während oder unmittelbar nach jeder Arbeitsschicht die vorgesehenen Eintragungen bewirkt werden.
Die Tabelle muß mindestens über die letzten vierzehn Verarbeitungsschichten Auskunft geben. Der Name desjenigen, welcher die Eintragungen bewirkt, muß daraus zu ersehen sein.
Von der Führung der Tabelle können einzelne Hütten durch die höhere Verwaltungsbehörde auf Antrag unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs für solche im Einzelnen namhaft zu machende Arbeiten entbunden werden, bei denen für die jungen Leute nach der Art dieser Arbeiten in dem betreffenden Betriebe regelmäßig mindestens Pausen von der unter III Ziffer 1 bestimmten Dauer eintreten. Ueber diejenigen Hütten, welche hiernach von der Tabellenführung entbunden sind, hat die höhere Verwaltungsbehörde nach dem anliegenden Muster ein Verzeichniß zu führen. Ein Auszug aus diesem Verzeichnisse, der das abgelaufene Kalenderjahr umfaßt, ist bis zum 1. Februar jedes Jahres durch die Landes-Zentralbehörde dem Reichskanzler vorzulegen.
V. In Glashütten, Glasschleifereien und Glasbeizereien sowie in Sandbläsereien muß an einer in die Augen fallenden Stelle eine Tafel ausgehängt werden, welche in deutlicher Schrift die Bestimmungen unter I wiedergiebt.
In denjenigen Glashütten, welche von den unter II nachgelassenen Ausnahmen Gebrauch machen, muß diese Tafel außerdem die Bestimmungen unter [69] II und IV Ziffer 1, in denjenigen Glashütten, welche von den unter III nachgelassenen Ausnahmen Gebrauch machen, die Bestimmungen unter III und IV Ziffer 2 enthalten.
Die Vorschriften im §. 138 Abs. 2 Satz 4 der Gewerbeordnung und unter Ziffer 6 Abs. 2 der Bekanntmachung vom 13. Juli 1900 (Reichs-Gesetzbl. S. 566) bleiben unberührt.
VI. Die vorstehenden Bestimmungen treten am 1. April 1902 in Kraft und haben für zehn Jahre Gültigkeit.
Berlin, den 5. März 1902.
Der Stellvertreter des Reichskanzlers.

Graf von Posadowsky.

Anlagen. Bearbeiten