Bayerischer Verwaltungsgerichtshof - Satzungsmäßige Haftungsbeschränkung

Entscheidungstext
Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Ort: München
Art der Entscheidung: Urteil
Datum: 17. Oktober 1984
Aktenzeichen: 5 B 83 A.1134
Zitiername:
Verfahrensgang: vorgehend Verwaltungsgericht Würzburg
Erstbeteiligte(r): eine Blumenhandelsgesellschaft
Gegner: Klingenberg am Main
Weitere(r) Beteiligte(r):
Amtliche Fundstelle:
Quelle: Scan von DVBl 1985, S. 903–904
Weitere Fundstellen: BayVBl 1985, 407–409; NVwZ 1985, 844–845
Inhalt/Leitsatz:
Zitierte Dokumente: Marktsatzung vom 6. April 1979
Anmerkungen:
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Art. 34 GG; § 839 BGB; Art. 24 BayGO

Zur Zulässigkeit der satzungsmäßigen Beschränkung der Haftung einer Gemeinde aus dem Benutzungsverhältnis und aus § 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit und zur Einordnung einer Verpflichtung der Gemeinde, sich über den Zugang einfacher Briefsendungen Gewißheit zu verschaffen.

BayVGH, Urteil vom 17. 10. 1984 – Nr. 5 B 83 A 1134 –

[1] Gegenstand der Verwaltungsstreitsache sind Schadensersatzansprüche, welche die Kl. wegen der zeitlichen Verlegung des Kathreinermarktes in K. gegen die Beklagte geltend macht.

[2] Nach § 12 Abs. 1 Buchst. c) der Marktsatzung der Stadt K. findet der Kathreinermarkt als Jahrmarkt am letzten Sonntag im November statt. Für den Jahrmarkt 1980 erhielt die Kl., die einen Blumenhandel betreibt, unter dem 30. 7. 1980 eine Gestattung der Benutzung. Durch Satzung zur Änderung der Marktsatzung vom 14. 11. 1980 wurde § 12 Abs. 1 Buchst. c) wie folgt geändert: »Sollte der 1. Adventssonntag auf den letzten Sonntag im November fallen, so findet der Kathreinermarkt am Sonntag davor (zweitletzter Sonntag im November) statt.« Die Änderungssatzung trat nach ihrem § 2 am Tage nach der öffentlichen Bekanntmachung in Kraft. Durch Schreiben vom 20. 10. 1980 teilte die Bekl. die Vorverlegung des Marktes auf den 23. 11. 1980 mit. Die Kl. behauptet, das Schreiben der Bekl. vom 20. 10. 1980 nicht erhalten zu haben. Die Ehefrau des Inhabers der Kl. fuhr mit einem vollbeladenen Blumenwagen mit einer Begleiterin am 29. 11. 1980 nach K., um die Vorbereitungen für den vermeintlichen Markttermin am 30. 11. 1980 zu treffen.

[3] Da es der Kl. nicht gelang, die Blumen anderweitig zu verkaufen, verlangt die Kl. von der Bekl. Schadensersatz. Das LG hat die zunächst dort erhobene Klage an das VG verwiesen. Sie blieb in beiden SubInstanzen erfolglos.

Aus den Gründen:

[4] Der VGH läßt es auf sich beruhen, ob den Bediensteten der Bekl. hinsichtlich der Nichterfüllung von Verpflichtungen aus dem Benutzungsverhältnis oder allgemeiner Amtspflichten schlechthin kein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann, wie das vom VG angenommen wurde. Auch wenn eine förmliche Zustellung der Mitteilung über die Verlegung des Markttermins nicht vorgeschrieben ist (vgl. Art. 1 Abs. 5 VwZVG), könnte doch eine Verpflichtung bestehen, sich über den Zugang der Verlegungsmitteilung in geeigneter Weise Gewißheit zu verschaffen. Eine solche Verpflichtung kann auf den rechtsstaatlichen Vertrauensgrundsatz zurückzuführen sein, konkret darauf, daß der Kl. in der Platzzusage der ursprüngliche Termin benannt worden ist und sie ihre Dispositionen hieran ausgerichtet hat. Die Vernachlässigung einer derartigen Verpflichtung könnte jedoch nur dann zu einer Haftung der Bekl. führen, wenn ihren Bediensteten Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden müßte. Auf diese Verschuldensgrade ist nämlich die Haftung der Bekl. nach § 16 Abs. 2 Satz 2 der Marktsatzung der Beklagten beschränkt. Diese Haftungsbeschränkung gilt für alle Tatbestände innerhalb des Marktbenutzungsverhältnisses, soweit es sich nicht um die straßen- und wegerechtliche Verkehrssicherungspflicht handelt. Der Regelungsgehalt ergibt sich insoweit eindeutig aus dem Zusammenhang der Vorschrift, die zunächst auf die Straßen- und wegerechtliche Haftung für die Benutzung der Straßen und Plätze verweist und sodann »im übrigen« die Haftungsbeschränkung normiert. Bei der Terminsänderung handelt es sich um einen Vorgang, der eine Modalität des Benutzungsverhältnisses darstellt, und nicht etwa wie die Platzzusage mit Terminsbestimmung erst dessen [904] Begründung dienen und haftungsrechtlich anderen Regeln unterworfen sein kann.

[5] Die Bediensteten der Bekl. haben es nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig unterlassen, sich über den Zugang der Änderungsmitteilung Gewißheit zu verschaffen. Sie haben weder gewußt, daß das von ihnen unstreitig zur Post gegebene Schreiben vom 20. 10. 1980 die Kl. nicht erreicht noch haben sie es – im Sinne grober Fahrlässigkeit – übersehen, einfachste, ganz naheliegende Überlegungen anzustellen (vgl. RGZ 163, 106). Davon könnte nur gesprochen werden, wenn das Nichtzustellen einfacher Briefsendungen wahrscheinlich wäre. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, weil nach der Lebenserfahrung im Bereich der Deutschen Bundespost mit pünktlicher Beförderung und störungsfreiem Einlauf bei der richtigen Stelle gerechnet werden kann. Das gilt auch für die Beförderung mit einfachen Briefen (vgl. BGH, NJW 1953, 824 sowie BayObLG, NJW 1978, 1489). Ein Anlaß, für eine besonders schnelle Benachrichtigung durch Eilbrief oder Telegramm zu sorgen, bestand angesichts des Zwischenraums von über einem Monat zwischen dem Absenden des Schreibens vom 20. 10. 1980 und dem endgültigen Markttermin am 23. 11. 1980 nicht. Von diesem Gesichtspunkt abgesehen konnten die Bediensteten der Bekl. berücksichtigen, daß die Terminverlegung als Satzungsänderung im Amtsblatt der Bekl. veröffentlicht worden ist und damit jedermann zur Kenntnis stand. Auch wenn mit dieser öffentlichen Form der Bekanntgabe nicht die Notwendigkeit entfällt, die Terminänderung ebenso wie die Terminbenennung konkret mitzuteilen, vermindert sie doch die subjektive Vorwerfbarkeit des Risikos, daß die Einzelzustellung ihren Empfänger nicht erreicht. Die Bediensteten der Bekl. durften damit rechnen, daß die Kl. von Amtsblattveröffentlichungen Kenntnis nimmt, die ihren Berufsbereich betreffen, mit der Folge, daß das Unterlassen der Nachfrage nicht den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründet.

[6] Gegen die Haftungsbeschränkung in der Marktsatzung der Bekl. bestehen aus übergeordnetem Recht keine Bedenken. Es entspricht anerkannten Rechtsgrundsätzen, daß die Haftung aus dem öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnis ebenso wie eine Haftung aus zivilrechtlichen Vertragsverhältnissen grundsätzlich durch den Satzungsgeber auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt werden kann (vgl. BGHZ 61, 7/13 m. N., ferner Tiemann, BayVBl. 1974, 57, Rüfner, DÖV 1973, 808, Menger/Erichsen, VerwArch. 1974, 219/223). Aber auch die gesetzliche Haftung aus § 839 BGB, Art. 34 GG (Art. 97 BV) läßt sich nach Auffassung des VGH satzungsmäßig auf diese Verschuldensgrade einschränken. Der VGH folgt nicht der Meinung, daß eine Beschränkung der Haftung des Hoheitsträgers allein dem staatlichen Gesetzgeber vorbehalten ist, weil nur diesem die Disposition über die Haftungsbegründungsnorm in § 839 BGB zusteht (vgl. Menger/Erichsen, aaO, S. 225; von Mutius, JuS 1978 181/183, Hölzl/Hien, GO, Std. Jan. 1983 Art. 21 Anm. 3 d). Dieser Argumentation steht die kompetenzrechtliche Lage entgegen, wie sie vom BVerfG bei der Überprüfung des StHG dargelegt wurde: Sie gibt dem Bund die Gesetzgebungsbefugnis für das bürgerliche Recht, die persönliche Haftung des Beamten zu regeln, verwehrt es ihm aber, unter diesem Kompetenztitel ein umfassendes Staatshaftungsrecht zu schaffen (BVerfGE 61, 149/201). Art. 34 GG bietet durch die Verwendung des Wortes »grundsätzlich« landesrechtlichen Modifikationen der Haftungsübernahme Raum (BVerfG, aaO, S. 199). Daß für diese Beschränkungen nur der Landesgesetzgeber selbst, nicht aber der örtliche Satzungsgeber zuständig sein soll, kann aus dem Wortlaut des Art. 34 GG nicht entnommen werden (vgl. Maunz/Dürig/Herzog, GG, Std. Sept. 1983 Art. 34 Rdnr. 34 Fußn. 10). Auch Art. 97 BV bietet nach Maßgabe des Willkürverbots Raum für satzungsmäßige Haftungsbeschränkungen (VerfGH 23, 47/52 f.). Bei der weiteren Frage der Bestimmtheit der gesetzlichen Ermächtigung zur satzungsrechtlichen Haftungseinschränkung hält der BGH die allgemeine Ermächtigung der Gemeinden, ihre eigenen Angelegenheiten durch Satzung zu regeln, dann nicht für ausreichend, wenn der Bürger einem Anschluß- und Benutzungszsang unterworfen werden kann (BGHZ 61, 7/15). Ob dem zuzustimmen ist (krit. Menger/Erichsen, aaO), kann aus doppeltem Grunde auf sich beruhen. Einerseits schreibt die vorliegende Marktsatzung keinen Benutzungszwang vor, so daß der Gesichtspunkt des Eingriffs in Freiheit und Eigentum als Begründung für die Notwendigkeit einer besonderen Ermächtigung (vgl. auch BVerwGE 6, 247/250) ausscheidet. Andererseits enthält die BayGO – im Gegensatz zu der vom BGH geprüften GO NW – nicht nur eine generelle Ermächtigung zur Regelung der eigenen Angelegenheiten (Art. 23 GO) und des Anschluß- und Benutzungszwangs (Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 GO), sondern die ausdrückliche Ermächtigung, die Benutzung der öffentlichen Einrichtungen zu regeln (Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO). Hierin liegt auch die Ermächtigung, die Haftung als einen wesentlichen Bestandteil der Nutzungsordnung festzulegen (vgl. Widtmann, GO 4. Aufl. Art. 24 Anm. 4).

[7] Nach alledem steht der Bekl. die satzungsmäßige Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zur Seite; die gegen sie gerichtete Klage ist unbegründet, ohne daß es einer Feststellung der Schadenshöhe bedarf.