Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Daniel Friedrich Schleiermacher

Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Daniel Friedrich Schleiermacher
Untertitel:
aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 331–332
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Daniel Friedrich Schleiermacher.
Geb. d. 21. Nov. 1768, gest. d. 12. Febr. 1834.


Der lichthellen Geister einer, die mit glänzendem Wirken in ihre Zeit, in ihr Jahrhundert traten, schon im Leben gefeiert und als einer der würdigsten und bedeutendsten Zeitgenossen anerkannt, nach seinem Hinscheiden aber doppelt verehrt und des Dankes der Nachwelt im vollen Maaße werth befunden.

Schleiermacher wurde zu Breslau geboren; der Vater war reformirter Feldprediger. Der Sohn bestimmte sich frühzeitig für das theologische Studium; er besuchte als Knabe das Pädagogium der Brüdergemeinde zu Niesky, dann deren Seminarium zu Barby, was freilich nicht die Orte waren, wo ein Geist, wie der Schleiermachers, Ermunterung zu seinem Fluge hoffen durfte. Schleiermacher fühlte das, und ging, da die Gnade bei ihm nicht zum Durchbruch kam, im Jahre 1787 nach Halle, dort Theologie zu studiren, mit welcher er das Studium der Philosophie und Philologie in passende Verbindung brächte. Nach vollendeten Universitätsstudien wurde Schleiermacher Erzieher bei dem Grafen Dohna v. Schlobitten auf Finkenstein in Preußen, und nahm später eine Stellung am Schullehrerseminar zu Berlin unter Gedike an. Im Jahre 1794 wurde er zum Prediger ordinirt, empfing ein Pfarramt zu Landsberg an der Warthe, und kehrte 1796 nach Berlln zurück, wo er Prediger am Charité- und Invalidenhause wurde, und zugleich nun seine ausgezeichnete schriftstellerische Laufbahn begann. Bald gewahrte die Welt in den Schriften Schleiermacher’s einen hellstrahlenden Geist; er neigte sich Friedrich Schlegel zu und trug die Philosophie Platons im Herzen. Durch Schlegel angeregt und anfangs mit ihm gemeinsam, wurde Schleiermacher der gediegene und beste Uebersetzer der Werke des griechischen Weltweisen, den kein älterer wie kein neuerer zu übertreffen vermag. Schleiermacher folgte 1802 einem Ruf als Hofprediger nach Stolpe, und erhielt auch einen Ruf an die Hochschule Würzburg, den er ablehnte, schon weil seine Regierung dies wünschte, aber gewiß auch aus innern Gründen, denn wie hervorragend ehrenvoll auch Würzburg sich stets unter den deutschen Universitäten behauptet, für einen Lehrer der protestantischen Theologie und einen Philosophen von Schleiermachers Geist und Lehrweise [Ξ] konnte sie, dieß lag in allen Verhältnissen, keinen Boden abgeben. Um so williger nahm er noch in demselben Jahre einen gleichen Ruf nach Halle an, und las dort mit Glück und Beifall theologische Encyklopädie, Exegese und Dogmatik, wie Moral. Vom Jahr 1807 an, in welchem für Halle ein unglücklicher Wendepunkt eintrat, siedelte Schleiermacher wieder nach Berlin über, hielt dort öffentliche Vorlesungen, und zeigte sich von einem warmen Vaterlandsgefühl beseelt, das keine feindliche Bedrohung fürchtete. Im Jahre 1809 erhielt er eine Predigerstelle, an der Dreifaltigkeitskirche, verheirathete sich, und wirkte später als ordentlicher Professor der Universität. Er wurde im Jahre 1811 zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften ernannt, und 1814 zum Secretair der philosophischen Klasse. Schleiermachers Wirken und seine Werke gewannen im Leben wie in der Literatur gleichmäßig eine hohe Bedeutung; er war ein Mann, der das Leben wie die philosophische Wissenschaft von der richtigen Seite zu erfassen verstand, er ließ die Zeit und ihre Verhältnisse auf sich einwirken und wirkte auf sie belebend und fördernd ein; er suchte nicht mit der bei allem Geistreichthum doch bornirten Einseitigkeit moderner Philosophen das Christenthum zu vernichten, sondern die Gemüther für dasselbe zu beleben, zu erwärmen und zu begeistern. Schleiermacher war »fromm« nicht angelernter, sondern angeborener, mit der Muttermilch eingesogener Ueberzeugung, daher zum Theologen wahrhaft berufen, daher geboren für die Kanzel mehr noch als für den philosophischen Lehrstuhl, wie sehr er auch diesen zierte. In der Philosophie fand Schleiermacher die Bausteine für seine Theologie, während andere in ihr nur die Mauerbrecher finden, mit der sie das christlichkirchliche Lehrgebäude in Trümmer zu stürzen wähnen und versuchen. Will man Schatten in ihm finden, so sind diese offen und klar blosgelegt in den »ihm zugeschriebenen« Briefen über Schlegels Lucinde, deren Richtung in sein eigenes Leben mit einer von der Sitte nicht gut geheißenen Liebe trat, die ihm grausames Weh schuf, aber auch Selbstüberwindung lehrte. Und dennoch heben, läutern und verklären diese Briefe des Buches unlautere und unsittliche Elemente, das als eine jugendliche Verirrung de Verfassers seine Stellung in der Literatur behauptet. Wo sind auf Erden die Geister, die niemals irren und fehlen?

Schleiermacher forderte, und dieß macht ihn so bedeutsam in seiner Stellung als Theolog, als Nothwendigkeit für den künftigen Geistlichen das im Gemüth Vorhandensein des religiösen Sinnes; er verlangt nicht peinliche Orthodoxie, aber er verwarf unbedingt den vagen, alles höhere begeisternde religiöse Leben verflachenden Rationalismus, Zu seinen bedeutendsten Werken gehört seine »Dogmatik«, außer ihr verfaßte er ungemein viele meist zuerst einzeln gedruckte Predigten, gelehrte Streit- und Flugschriften und Abhandlungen; seine Predigten erschienen auch in mehreren Sammlungen. Schleiermacher war als Prediger ausgezeichnet, jedem Alter verständlich, klar und eindringlich, daher beliebt und von der Gemeinde hochwerth gehalten. Er war dabei körperlich und geistig vollkommen rüstig und verstand die schöne Kunst, die so viele Gelehrte nicht verstehen, ebenmäßig zu leben, Schritt zu halten in Arbeit und Erholung und seine Arbeitskraft auf das angemessenste zu verwenden; er beherrschte sich und ließ momentane Verstimmungen seines geistigen oder körperlichen Organismus andere nicht fühlen. Er war, wie ein Kritiker seiner mit J. Chr. Gaß gewechselten, 1852 herausgebenen Briefe schön und gut sagt: ein Virtuos des Lebens und des Denkens, und daher der gereifte Weise, dem auch das sterben nicht schwer wurde. Ueber den am Ende der Laufbahn siech und welk werdenden Körper siegte noch lange des Mannes kräftiger Geist, und es blieb, auch in der Stunde des Todes hell in ihm, wie es in ihm hell gewesen war durch ein langes, reiches Leben. Noch am Tage seines Hinscheidens nahm er das Abendmahl und reichte es den Seinen; er brach selbst das Brot nach dem Brauch seiner Kirche – der Kelch des Lebens versüßte ihm den Kelch des Todes. Als seiner Hand das erste entsank, sank er selbst und war nicht mehr.