Zur Kritik der Hegel’schen Rechtsphilosophie

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Autor: Karl Marx
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Titel: Zur Kritik der Hegel’schen Rechts-Philosophie. Einleitung.
Untertitel:
aus: Deutsch-Französische Jahrbücher; S. 71–85.
Herausgeber: Arnold Ruge, Karl Marx
Auflage:
Entstehungsdatum: 1843/44
Erscheinungsdatum: 1844
Verlag: Bureau der Jahrbücher
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Erscheinungsort: Paris
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Quelle: Scans auf Commons
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Weitere verfügbare E-Texte: Marx Engels Werke (MEW). Dietz Verlag, Berlin. Band 1. Berlin/DDR. 1976. S. 378-391. (Zeno.org Mirror)
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[71]
Zur Kritik der Hegel’schen Rechts-Philosophie
von Karl Marx.

EINLEITUNG.

Für Deutschland ist die Kritik der Religion im Wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.

Die profane Existenz des Irrtums ist compromittirt, nachdem seine himmlische oratio pro aris et focis widerlegt ist. Der Mensch, der in der phantastischen Wirklichkeit des Himmels, wo er einen Uebermenschen suchte, nur den Wiederschein seiner selbst gefunden hat, wird nicht mehr geneigt sein, nur den Schein seiner selbst, nur den Unmenschen zu finden, wo er seine wahre Wirklichkeit sucht und suchen muss.

Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewusstsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben, oder schon wieder verloren hat. Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, ausser der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Societät. Dieser Staat, diese Societät produziren die Religion, ein verkehrtes Weltbewusstsein, weil sie eine verkehrte Welt sind. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr encyklopädisches Compendium, ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer Point-d'honneur, ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.

Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth [72] einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.

Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.

Die Kritik hat die imaginairen Blumen an der Kette zerpflückt, nicht damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche. Die Kritik der Religion enttäuscht den Menschen, damit er denke, handle, seine Wirklichkeit gestalte, wie ein enttäuschter, zu Verstand gekommener Mensch, damit er sich um sich selbst und damit um seine wirkliche Sonne bewege. Die Religion ist nur die illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewegt, solange er sich nicht um sich selbst bewegt.

Es ist also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etabliren. Es ist zunächst die Aufgabe der Philosophie, die im Dienste der Geschichte steht, nachdem die Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist, die Selbstentfremdung in ihren unheiligen Gestalten zu entlarven. Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.

Die nachfolgende Ausführung - ein Beitrag zu dieser Arbeit - schliesst sich zunächst nicht an das Original, sondern an eine Copie, an die deutsche Staats- und Rechts-Philosophie an, aus keinem andern Grunde, als weil sie sich an Deutschland anschliesst.

Wollte man an den deutschen status quo selbst anknüpfen, wenn auch in einzig angemessener Weise, d.h. negativ, immer bliebe das Resultat ein Anachronismus. Selbst die Verneinung unserer politischen Gegenwart findet sich schon als bestaubte Thatsache in der historischen Rumpelkammer der modernen Völker. Wenn ich die gepuderten Zöpfe verneine, habe ich immer noch die ungepuderten Zöpfe. Wenn ich die deutschen Zustände von 1843 verneine, stehe ich, nach französischer Zeitrechnung, kaum im Jahre 1789, noch weniger im Brennpunkt der Gegenwart.

Ja, die deutsche Geschichte schmeichelt sich einer Bewegung, welche ihr kein Volk am historischen Himmel weder vorgemacht [73] hat, noch nachmachen wird. Wir haben nämlich die Restaurationen der modernen Völker getheilt, ohne ihre Revolutionen zu theilen. Wir wurden restaurirt, erstens, weil andere Völker eine Revolution wagten, und zweitens, weil andere Völker eine Contrerevolution litten, das einemal, weil unsere Herren Furcht hatten und das anderemal, weil unsere Herren keine Furcht hatten. Wir, unsere Hirten an der Spitze, befanden uns immer nur einmal in der Gesellschaft der Freiheit, am Tag ihrer Beerdigung.

Eine Schule, welche die Niederträchtigkeit von heute durch die Niederträchtigkeit von gestern legitimirt, eine Schule, die jeden Schrei des Leibeigenen gegen die Knute für rebellisch erklärt, sobald die Knute eine bejahrte, eine angestammte, eine historische Knute ist, eine Schule, der die Geschichte, wie der Gott Israels seinem Diener Moses, nur ihr a posteriori zeigt, die historische Rechtsschule, sie hätte daher die deutsche Geschichte erfunden, wäre sie nicht eine Erfindung der deutschen Geschichte. Shylock, aber Shylock der Bediente, schwört sie für jedes Pfund Fleisch, welches aus dem Volks herzen geschnitten wird, auf ihren Schein, auf ihren historischen Schein, auf ihren christlich-germanischen Schein.

Gutmüthige Enthusiasten dagegen, Deutschthümler von Blut und Freisinnige von Reflexion, suchen unsere Geschichte der Freiheit jenseits unserer Geschichte in den teutonischen Urwäldern. Wodurch unterscheidet sich aber unsere Freiheitsgeschichte von der Freiheitsgeschichte des Ebers, wenn sie nur in den Wäldern zu finden ist? Zudem ist es bekannt: Wie man hineinschreit in den Wald, schallt es heraus aus dem Wald. Also Friede den teutonischen Urwäldern!

Krieg den deutschen Zuständen! Allerdings! Sie stehn unter dem Niveau der Geschichte, sie sind unter aller Kritik, aber sie bleiben ein Gegenstand der Kritik, wie der Verbrecher, der unter dem Niveau der Humanität steht, ein Gegenstand des Scharfrichters bleibt. Mit ihnen im Kampf ist die Kritik keine Leidenschaft des Kopfs, sie ist der Kopf der Leidenschaft. Sie ist kein anatomisches Messer, sie ist eine Waffe. Ihr Gegenstand ist ihr Feind, den sie nicht widerlegen, sondern vernichten will. Denn der Geist jener Zustände ist widerlegt. An und für sich sind sie keine denkwürdigen Objekte, sondern ebenso verächtliche, als verachtete Existenzen. Die Kritik für sich bedarf nicht der Selbstverständigung mit diesem Gegenstand, denn sie ist mit ihm im Reinen. Sie gibt sich nicht mehr als Selbstzweck, sondern nur noch als Mittel [74] Ihr wesentlicher Pathos ist die Indignation, ihre wesentliche Arbeit die Denuntiation.

Es gilt die Schilderung eines wechselseitigen dumpfen Drucks aller socialen Sphären auf einander, einer allgemeinen, thatlosen Verstimmung, einer sich eben so sehr anerkennenden als verkennenden Beschränktheit, eingefasst in den Rahmen eines Regierungssystems, welches von der Conservation aller Erbärmlichkeiten lebend, selbst nichts ist als die Erbärmlichkeit an der Regierung.

Welch ein Schauspiel! Die ins unendliche fortgehende Theilung der Gesellschaft in die mannigfaltigsten Raçen, welche mit kleinen Antipathien, schlechten Gewissen und brutaler Mittelmässigkeit sich gegenüberstehn, welche eben um ihrer wechselseitigen zweideutigen und argwöhnischen Stellung willen alle ohne Unterschied, wenn auch mit verschiedenen Formalitäten, als koncessionirte Existenzen von ihren Herren behandelt werden. Und selbst dies, dass sie beherrscht, regiert, besessen sind, müssen sie als eine Concession des Himmels anerkennen und bekennen! Andrerseits jene Herrscher selbst, deren Grösse in umgekehrtem Verhältnisse zu ihrer Zahl steht!

Die Kritik, die sich mit diesem Inhalt befasst, ist die Kritik im Handgemenge und im Handgemenge handelt es sich nicht darum, ob der Gegner ein edler, ebenbürtiger, ein interessanter Gegner ist, es handelt sich darum, ihn zu treffen. Es handelt sich darum, den Deutschen keinen Augenblick der Selbsttäuschung und Resignation zu gönnen. Man muss den wirklichen Druck noch drückender machen, indem man ihm das Bewusstsein des Drucks hinzufügt, die Schmach noch schmachvoller, indem man i e publicirt. Man muss jede Sphäre der deutschen Gesellschaft als die partie honteuse der deutschen Gesellschaft schildern, man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt! Man muss das Volk vor sich selbst erschrecken lehren, um ihm Courage zu machen. Man erfüllt damit ein unabweisbares Bedürfniss des deutschen Volks und die Bedürfnisse der Völker sind in eigener Person die letzten Gründe ihrer Befriedigung.

Und selbst für die modernen Völker kann dieser Kampf gegen den bornirten Inhalt des deutschen status quo nicht ohne Interesse sein, denn der deutsche status quo ist die offenherzige Vollendung des ancien régime und das ancien régime ist der versteckte Mangel des modernen Staates. Der Kampf gegen die deutsche politische Gegenwart [75] ist der Kampf gegen die Vergangenheit der modernen Völker, und von den Reminiscenzen dieser Vergangenheit werden sie noch immer belästigt. Es ist lehrreich für sie, das ancien régime, das bei ihnen seine Tragödie erlebte, als deutschen Revenant seine Komödie spielen zu sehen. Tragisch war seine Geschichte, so lange es die präexistirende Gewalt der Welt, die Freiheit dagegen ein persönlicher Einfall war, mit einem Wort, so lange es selbst an seine Berechtigung glaubte und glauben musste. So lange das ancien régime als vorhandene Weltordnung mit einer erst werdenden Welt kämpfte, stand auf seiner Seite ein weltgeschichtlicher Irrthum, aber kein persönlicher. Sein Untergang war daher tragisch.

Das jetzige deutsche Regime dagegen, ein Anachronismus, ein flagranter Widerspruch gegen allgemein anerkannte Axiome, die zur Weltschau ausgestellte Nichtigkeit des ancien régime, bildet sich nur noch[1] ein, an sich selbst zu glauben, und verlangt von der Welt dieselbe Einbildung. Wenn es an sein eignes Wesen glaubte würde es dasselbe unter dem Schein eines fremden Wesens zu verstecken und seine Rettung in der Heuchelei und dem Sophisma suchen? Das moderne ancien régime ist nur mehr der Komödiant einer Weltordnung, deren wirkliche Helden gestorben sind. Die Geschichte ist gründlich und macht viele Phasen durch, wenn sie eine alte Gestalt zu Grabe trägt. Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist ihre Komödie. Die Götter Griechenlands, die schon einmal tragisch zu Tode verwundet waren im gefesselten Prometheus des Aeschylus, mussten noch einmal komisch sterben in den Gesprächen Lucians. Warum dieser Gang der Geschichte! Damit die Menschheit heiter von ihrer Vergangenheit scheide. Diese heitere geschichtliche Bestimmung vindiciren wir den politischen Mächten Deutschlands.

Sobald indes die moderne politisch-sociale Wirklichkeit selbst der Kritik unterworfen wird, sobald also die Kritik zu wahrhaft menschlichen Problemen sich erhebt, befindet sie sich ausserhalb des deutschen status quo oder sie würde ihren Gegenstand unter ihrem Gegenstand greifen. Ein Beispiel! Das Verhältnis der Industrie, überhaupt der Welt des Reichthums zu der politischen Welt ist ein Hauptproblem der modernen Zeit. Unter welcher Form fängt dies Problem an, die Deutschen zu beschäftigen? Unter der Form der Schutzzölle, des Prohibitivsystems, der Nationalökonomie. Die Deutschthümelei ist aus dem Menschen in die Materie gefahren und so sahen sich eines Morgens unsere Baumwollritter und Eisenhelden [76] in Patrioten verwandelt. Man beginnt also in Deutschland die Souverainetät des Monopols nach Innen anzuerkennen, dadurch dass man ihm die Souveränität nach Aussen verleiht. Man beginnt also jetzt in Deutschland anzufangen, womit man in Frankreich und England zu enden beginnt. Der alte faule Zustand, gegen den diese Länder theoretisch im Aufruhr sind, und den sie nur noch ertragen, wie man die Ketten erträgt, wird in Deutschland als die aufgehende Morgenröthe einer shönen Zukunft begrüsst, die kaum noch wagt aus der listigen Theorie in die schonungsloseste Praxis überzugehn. Während das Problem in Frankreich und England lautet: Politische Oekonomie oder Herrschaft der Societät über den Reichthum, lautet es in Deutschland: National-Oekonomie oder Herrschaft des Privateigenthums über die Nationalität. Es gilt also in Frankreich und England das Monopol, das bis zu seinen letzten Consequenzen fortgegangen ist, aufzuheben; es gilt in Deutschland bis zu den letzten Consequenzen des Monopols fortzugehen. Dort handelt es sich um die Lösung und hier handelt es sich erst um die Collision. Ein zureichendes Beispiel von der deutschen Form der modernen Probleme, ein Beispiel wie unsere Geschichte, gleich einem ungeschickten Rekruten, bisher nur die Aufgabe hatte, abgedroschene Geschichten nachzuexerciren.

Ginge also die gesammte deutsche Entwicklung nicht über die politische deutsche Entwicklung hinaus, ein Deutscher könnte sich höchstens an den Problemen der Gegenwart betheiligen, wie sich ein Russe daran beteiligen kann. Allein wenn das einzelne Individuum nicht gebunden ist durch die Schranken der Nation, ist die gesammte Nation noch weniger befreit durch die Befreiung eines Individuums. Die Scythen haben keinen Schritt zur griechischen Kultur vorwärts gethan, weil Griechenland einen Scythen unter seine Philosophen zählt.

Zum Glück sind wir Deutsche keine Scythen.

Wie die alten Völker ihre Vorgeschichte in der Imagination erlebten, in der Mythologie, so haben wir Deutsche unsre Nachgeschichte im Gedanken erlebt, in der Philosophie. Wir sind philosophische Zeitgenossen der Gegenwart, ohne ihre historischen Zeitgenossen zu sein. Die deutsche Philosophie ist die ideale Verlängerung der deutschen Geschichte. Wenn wir also statt die œuvres incomplètes unsrer reellen Geschichte, die œuvres posthumes unserer ideellen Geschichte, die Philosophie, kritisiren, so steht unsere Kritik mitten unter den Fragen, von denen die Gegenwart sagt: that is the Question. [77] Was bei den fortgeschrittenen Völkern praktischer Zerfall mit den modernen Staatszuständen ist, das ist in Deutschland, wo diese Zustände selbst noch nicht einmal existiren, zunächst kritischer Zerfall mit der philosophischen Spiegelung dieser Zustände.

Die deutsche Rechts- und Staatsphilosophie ist die einzige mit der officiellen modernen Gegenwart al pari stehende deutsche Geschichte. Das deutsche Volk muss daher diese seine Traumgeschichte mit zu seinen bestehenden Zuständen schlagen und nicht nur diese bestehenden Zustände, sondern zugleich ihre abstrakte Fortsetzung der Kritik unterwerfen. Seine Zukunft kann sich weder auf die unmittelbare Verneinung seiner reellen, noch auf die unmittelbare Vollziehung seiner ideellen Staats- und Rechtszustände beschränken, denn die unmittelbare Verneinung seiner reellen Zustände besitzt es in seinen ideellen Zuständen und die unmittelbare Vollziehung seiner ideellen Zustände hat es in der Anschauung der Nachbarvölker beinahe schon wieder überlebt. Mit Recht fordert daher die praktische politische Parthei in Deutschland die Negation der Philosophie. Ihr Unrecht besteht nicht in der Forderung, sondern in dem Stehnbleiben bei der Forderung, die sie ernstlich weder vollzieht, noch vollziehen kann. Sie glaubt, jene Negation dadurch zu vollbringen, dass sie der Philosophie den Rücken kehrt und abgewandten Hauptes - einige ärgerliche und bannale Phrasen über sie hermurmelt. Die Beschränktheit ihres Gesichtskreises zählt die Philosophie nicht ebenfalls in den Bering der deutschen Wirklichkeit oder wähnt sie gar unter der deutschen Praxis und den ihr dienenden Theorien. Ihr verlangt, dass man an wirkliche Lebenskeime anknüpfen soll, aber ihr vergesst, dass der wirkliche Lebenskeim des deutschen Volkes bisher nur unter seinem Hirnschädel gewuchert hat. Mit einem Worte: Ihr könnt die Philosophie nicht aufheben, ohne sie zu verwirklichen.

Dasselbe Unrecht, nur mit umgekehrten Faktoren, beging die theoretische, von der Philosophie her datirende politische Parthei.

Sie erblickte in dem jetzigen Kampf nur den kritischen Kampf der Philosophie mit der deutschen Welt, sie bedachte nicht, dass die seitherige Philosophie selbst zu dieser Welt gehört und ihre, wenn auch ideelle, Ergänzung ist. Kritisch gegen ihren Widerpart verhielt sie sich unkritisch zu sich selbst, indem sie von den Voraussetzungen der Philosophie ausging, und bei ihren gegebenen Resultaten entweder stehen blieb oder anderweitig hergeholte Forderungen und Resultate für unmittelbare Forderungen und Resultate der Philosophie [78] ausgab, obgleich dieselben - ihre Berechtigung vorausgesetzt - im Gegentheil nur durch die Negation der seitherigen Philosophie, der Philosophie als Philosophie, zu erhalten sind. Eine näher eingehende Schilderung dieser Parthei behalten wir uns vor. Ihr Grundmangel lässt sich dahin reduziren: Sie glaubte, die Philosophie verwirklichen zu können, ohne sie aufzuheben.

Die Kritik der deutschen Staats- und Rechtsphilosophie, welche durch Hegel ihre konsequenteste, reichste und letzte Fassung erhalten hat, ist beides, sowohl die kritische Analyse des modernen Staats und der mit ihm zusammenhängenden Wirklichkeit, als auch die entschiedene Verneinung der ganzen bisherigen Weise des deutschen politischen und rechtlichen Bewusstseins, dessen vornehmster, universellster, zur Wissenschaft erhobener Ausdruck eben die spekulative Rechtsphilosophie selbst ist. War nur in Deutschland die spekulative Rechtsphilosophie möglich, dies abstrakte überschwängliche Denken des modernen Staats, dessen Wirklichkeit ein Jenseits bleibt, mag dies Jenseits auch nur jenseits des Rheins liegen: so war eben so sehr umgekehrt das deutsche vom wirklichen Menschen abstrahiren das Gedankenbild des modernen Staats nur möglich, weil und insofern der moderne Staat selbst vom wirklichen Menschen abstrahirt oder den ganzen Menschen auf eine nur imaginäre Weise befriedigt. Die Deutschen haben in der Politik gedacht, was die andern Völker gethan haben. Deutschland war ihr theoretisches Gewissen. Die Abstraktion und Ueberhebung seines Denkens hielt immer gleichen Schritt mit der Einseitigkeit und Untersetztheit ihrer Wirklichkeit. Wenn also der status quo des deutschen Staatswesens die Vollendung des ancien régime ausdrückt, die Vollendung des Pfahls im Fleische des modernen Staats, so drückt der status quo des deutschen Staatwissens die Unvollendung des modernen Staats aus, die Schadhaftigkeit seines Fleisches selbst.

Schon als entschiedner Widerpart der bisherigen Weise des deutschen politischen Bewusstseins, verläuft sich die Kritik der spekulativen Rechtsphilosophie nicht in sich selbst, sondern in Aufgaben, für deren Lösung es nur ein Mittel gibt: die Praxis.

Es fragt sich: Kann Deutschland zu einer Praxis à la hauteur des principes gelangen, d. h. zu einer Revolution, die es nicht nur auf das officielle Niveau der modernen Völker erhebt, sondern auf die menschliche Höhe, welche die nächste Zukunft dieser Völker sein wird. [79] Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muss gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift. Die Theorie ist fähig, die Massen zu ergreifen, sobald sie ad hominem demonstriert, und sie demonstriert ad hominem, sobald sie radikal wird. Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst. Der evidente Beweis für den Radikalismus der deutschen Theorie, also für ihre praktische Energie ist ihr Ausgang von der entschiedenen positiven Aufhebung der Religion. Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem categorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist, Verhältnisse, die man nicht besser schildern kann als durch den Ausruf eines Franzosen bei einer projektirten Hundesteuer: Arme Hunde! Man will euch wie Menschen behandeln!

Selbst historisch hat die theoretische Emancipation eine spezifisch praktische Bedeutung für Deutschland. Deutschlands revolutionaire Vergangenheit ist nämlich theoretisch, es ist die Reformation. Wie damals der Mönch, so ist es jetzt der Philosoph, in dessen Hirn die Revolution beginnt.

Luther hat allerdings die Knechtschaft aus Devotion besiegt, weil er die Knechtschaft aus Ueberzeugung an ihre Stelle gesetzt hat. Er hat den Glauben an die Autorität gebrochen, weil er die Autorität des Glaubens restaurirt hat. Er hat die Pfaffen in Laien verwandelt, weil er die Laien in Pfaffen verwandelt hat. Er hat den Menschen von der äussern Religiosität befreit, weil er die Religiosität zum innern Menschen gemacht hat. Er hat den Leib von der Kette emancipirt, weil er das Herz in Ketten gelegt.

Aber, wenn der Protestantismus nicht die wahre Lösung, so war er die wahre Stellung der Aufgabe. Es galt nun nicht mehr den Kampf des Laien mit dem Pfaffen ausser ihm, es galt den Kampf mit seinem eigenen innern Pfaffen, seiner pfäffischen Natur. Und wenn die protestantische Verwandlung der deutschen Laien in Pfaffen, die Laienpäbste, die Fürsten samt ihrer Klerisei, den Privilegirten und den Philistern, emancipirte, so wird die philosophische Verwandlung der pfäffischen Deutschen in Menschen das Volk emancipiren. Sowenig aber die Emancipation bei den Fürsten, so wenig wird die Secularisation der Güter bei dem Kirchenraub [80] stehen bleiben, den vor allen das heuchlerische Preussen ins Werk setzte. Damals scheiterte der Bauernkrieg, die radikalste Thatsache der deutschen Geschichte, an der Theologie. Heute, wo die Theologie selbst gescheitert ist, wird die unfreiste Thatsache der deutschen Geschichte, unser status quo, an der Philosophie zerschellen. Den Tag vor der Reformation war das officielle Deutschland der unbedingteste Knecht von Rom. Den Tag vor seiner Revolution ist es der unbedingte Knecht von weniger als Rom, von Preussen und Oesterreich, von Krautjunkern und Philistern.

Einer radikalen deutschen Revolution scheint indessen eine Hauptschwierigkeit entgegen zu stehn.

Die Revolutionen bedürfen nämlich eines passiven Elementes, einer materiellen Grundlage. Die Theorie wird in einem Volke immer nur so weit verwirklicht, als sie die Verwirklichung seiner Bedürfnisse ist. Wird nun dem ungeheuern Zwiespalt zwischen den Forderungen des deutschen Gedankens und den Antworten der deutschen Wirklichkeit derselbe Zwiespalt der bürgerlichen Gesellschaft mit dem Staat und mit sich selbst entsprechen? Werden die theoretischen Bedürfnisse unmittelbar praktische Bedürfnisse sein? Es genügt nicht, dass der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muss sich selbst zum Gedanken drängen.

Aber Deutschland hat die Mittelstufen der politischen Emancipation nicht gleichzeitig mit den modernen Völkern erklettert. Selbst die Stufen, die es theoretisch überwunden, hat es praktisch noch nicht erreicht. Wie sollte es mit einem salto mortale nicht nur über seine eignen Schranken hinwegsetzen, sondern zugleich über die Schranken der modernen Völker, über Schranken, die es in der Wirklichkeit als Befreiung von seinen wirklichen Schranken empfinden und erstreben muss? Eine radikale Revolution kann nur die Revolution radikaler Bedürfnisse sein, deren Voraussetzungen und Geburtsstätten eben zu fehlen scheinen.

Allein wenn Deutschland nur mit der abstrakten Thätigkeit des Denkens die Entwicklung der modernen Völker begleitet hat, ohne werktätige Parthei an den wirklichen Kämpfen dieser Entwicklung zu ergreifen, so hat es andrerseits die Leiden dieser Entwicklung getheilt, ohne ihre Genüsse, ohne ihre partielle Befriedigung zu theilen. Der abstrakten Thätigkeit einerseits entspricht das abstrakte Leiden andrerseits. Deutschland wird sich daher eines Morgens auf dem Niveau des europäischen Verfalls befinden, bevor es jemals auf dem Niveau der europäischen Emancipation gestanden hat. Man [81] wird es einem Fetischdiener vergleichen können, der an den Krankheiten des Christenthums siecht.

Betrachtet man zunächst die deutschen Regierungen und man findet sie durch die Zeitverhältnisse, durch die Lage Deutschlands, durch den Standpunkt der deutschen Bildung, endlich durch eignen glücklichen Instinkt getrieben, die civilisirten Mängel der modernen Staatswelt, deren Vortheile wir nicht besitzen, zu combiniren mit den barbarischen Mängeln des ancien régime, dessen wir uns in vollem Masse erfreuen, so dass Deutschland, wenn nicht am Verstand, wenigstens am Unverstand, auch der über seinen status quo hinausliegenden Staatsbildungen immer mehr participiren muss. Gibt es z. B. ein Land in der Welt, welches so naiv alle Illusionen des constitutionellen Staatswesens theilt, ohne seine Realitäten zu theilen, als das sogenannte constitutionelle Deutschland? Oder war es nicht nothwendig ein deutscher Regierungseinfall, die Qualen der Censur mit den Qualen der französischen Septembergesetze, welche die Pressfreiheit voraussetzen, zu verbinden! Wie man im römischen Pantheon die Gœtter aller Nationen fand, so wird man im heiligen römischen deutschen Reich die Sünden aller Staatsformen finden. Dass dieser Eklekticismus eine bisher nicht geahnte Höhe erreichen wird, dafür bürgt namentlich die politisch-ästhetische Gourmanderie eines deutschen Königs, der alle Rollen des Königthums, des feudalen wie des büreaukratischen, des absoluten, wie des constitutionellen, des autokratischen wie des demokratischen, wenn nicht durch die Person des Volkes, so doch in eigner Person, wenn nicht für das Volk, so doch für sich selbst zu spielen gedenkt. Deutschland als der zu einer eignen Welt constituirte Mangel der politischen Gegenwart, wird die specifischdeutschen Schranken nicht niederwerfen können, ohne die allgemeine Schranke der politischen Gegenwart niederzuwerfen.

Nicht die radicale Revolution ist utopischer Traum für Deutschland, nicht die allgemein menschliche Emancipation, sondern vielmehr die theilweise, die nur politische Revolution, die Revolution, welche die Pfeiler des Hauses stehen lässt. Worauf beruht eine theilweise, eine nur politische Revolution? Darauf, dass ein Theil der bürgerlichen Gesellschaft sich emancipirt und zur allgemeinen Herrschaft gelangt, darauf, dass eine bestimmte Klasse von ihrer besondern Situation aus die allgemeine Emancipation der Gesellschaft unternimmt. Diese Klasse befreit die ganze Gesellschaft, aber nur unter der Voraussetzung, dass die ganze Gesellschaft sich in der Situation [82] dieser Klasse befindet, also z. B. Geld und Bildung besitzt oder beliebig erwerben kann.

Keine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft kann diese Rolle spielen, ohne ein Moment des Enthusiasmus in sich und in der Masse hervorzurufen, ein Moment, worin sie mit der Gesellschaft im Allgemeinen fraternisirt und zusammenfliesst, mit ihr verwechselt und als deren allgemeiner Repräsentant empfunden und anerkannt wird, ein Moment, worin ihre Ansprüche und Rechte in Wahrheit die Rechte und Ansprüche der Gesellschaft selbst sind, worin sie wirklich der sociale Kopf und das sociale Herz ist. Nur im Namen der allgemeinen Rechte der Gesellschaft kann eine besondere Klasse sich die allgemeine Herrschaft vindiciren. Zur Erstürmung dieser emancipatorischen Stellung und damit zur politischen Ausbeutung aller Sphären der Gesellschaft im Interesse der eignen Sphäre reichen revolutionaire Energie und geistiges Selbstgefühl allein nicht aus. Damit die Revolution eines Volkes und die Emancipation einer besondern Klasse der bürgerlichen Gesellschaft zusammenfallen, damit ein Stand für den Stand der ganzen Gesellschaft gelte, dazu müssen umgekehrt alle Mängel der Gesellschaft in einer andern Klasse concentrirt, dazu muss ein bestimmter Stand der Stand des allgemeinen Anstosses, die Incorporation der allgemeinen Schranke sein, dazu muss eine besondre sociale Sphäre für das notorische Verbrechen der ganzen Societät gelten, so dass die Befreiung von dieser Sphäre als die allgemeine Selbstbefreiung erscheint. Damit ein Stand par excellence der Stand der Befreiung, dazu muss umgekehrt ein andrer Stand der offenbare Stand der Unterjochung sein. Die negativ-allgemeine Bedeutung des französischen Adels und der französischen Klerisei bedingte die positiv-allgemeine Bedeutung der zunächst angrenzenden und entgegenstehenden Klasse der Bourgeoisie.

Es fehlt aber jeder besondern Klasse in Deutschland nicht nur die Consequenz, die Schärfe, der Muth, die Rücksichtslosigkeit, die sie zum negativen Repräsentanten der Gesellschaft stempeln könnte. Es fehlt eben so sehr jedem Stande jene Breite der Seele, die sich mit der Volksseele, wenn auch nur momentan identificirt, jene Genialität, welche die materielle Macht zur politischen Gewalt begeistert, jene revolutionäre Kühnheit, welche dem Gegner die trotzige Parole zuschleudert: Ich bin nichts, und ich müsste alles sein. Den Hauptstock deutscher Moral und Ehrlichkeit, nicht nur der Individuen sondern auch der Klassen, bildet vielmehr jener bescheidene Egoismus, welcher seine Beschränktheit geltend macht und gegen [83] sich geltend machen lässt. Das Verhältniss der verschiedenen Sphären der deutschen Gesellschaft ist daher nicht dramatisch, sondern episch. Jede derselben beginnt sich zu empfinden und neben die andern mit ihren besondern Ansprüchen hinzulagern, nicht so bald sie gedrückt wird, sondern so bald ohne ihr Zuthun die Zeitverhältnisse eine gesellige Unterlage schaffen, auf die sie ihrerseits den Druck ausüben kann. Sogar das moralische Selbstgefühl der deutschen Mittelclasse beruht nur auf dem Bewusstsein, die allgemeine Repräsentantin von der philisterhaften Mittelmässigkeit aller übrigen Klassen zu sein. Es sind daher nicht nur die deutschen Könige, die mal-à- propos auf den Thron gelangen, es ist jede Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft, die ihre Niederlage erlebt, bevor sie ihren Sieg gefeiert, ihre eigne Schranke entwickelt, bevor sie die ihr gegenüberstehende Schranke überwunden, ihr engherziges Wesen geltend macht, bevor sie ihr grossmüthiges Wesen geltend machen konnte, so dass selbst die Gelegenheit einer grossen Rolle immer vorüber ist, bevor sie vorhanden war, so dass jede Klasse, sobald sie den Kampf mit der über ihr stehenden Klasse beginnt, in den Kampf mit der unter ihr stehenden verwickelt ist. Daher befindet sich das Fürstenthum im Kampf gegen das Königthum, der Bureaukrat im Kampf gegen den Adel, der Bourgeois im Kampf gegen sie alle, während der Proletarier schon beginnt, sich im Kampf gegen den Bourgeois zu befinden. Die Mittelclasse wagt kaum von ihrem Standpunkt aus, den Gedanken der Emancipation zu fassen, und schon erklärt die Entwickelung der socialen Zustände, wie der Fortschritt der politischen Theorie diesen Standpunkt selbst für antiquirt oder wenigstens für problematisch.

In Frankreich genügt es, dass einer etwas sei, damit er alles sein wolle. In Deutschland darf einer nichts sein, wenn er nicht auf alles verzichten soll. In Frankreich ist die partielle Emancipation der Grund der universellen. In Deutschland ist die universelle Emanzipation conditio sine qua non jeder partiellen. In Frankreich muss die Wirklichkeit, in Deutschland muss die Unmöglichkeit der stufenweisen Befreiung die ganze Freiheit gebären. In Frankreich ist jede Volksklasse politischer Idealist und empfindet sich zunächst nicht als besondere Klasse, sondern als Repräsentant der socialen Bedürfnisse überhaupt. Die Rolle des Emancipators geht also der Reihe nach in dramatischer Bewegung an die verschiedenen Klassen des französischen Volkes über, bis sie endlich bei der Klasse anlangt, welche die sociale Freiheit nicht mehr unter der Voraussetzung gewisser, [84] ausserhalb des Menschen liegender, und doch von der menschlichen Gesellschaft geschaffener Bedingungen verwirklicht, sondern vielmehr alle Bedingungen der menschlichen Existenz unter der Voraussetzung der socialen Freiheit organisirt. In Deutschland dagegen, wo das praktische Leben ebenso geistlos, als das geistige Leben unpraktisch ist, hat keine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft das Bedürfniss und die Fähigkeit der allgemeinen Emancipation, bis sie nicht durch ihre unmittelbare Lage, durch die materielle Notwendigkeit, durch ihre Ketten selbst dazu gezwungen wird.

Wo also die positive Möglichkeit der deutschen Emancipation?

Antwort: in der Bildung einer Klasse mit radikalen Ketten, einer Klasse der bürgerlichen Gesellschaft, welche keine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft ist, eines Standes, welcher die Auflösung aller Stände ist, einer Sphäre, welche einen universellen Charakter durch ihre universellen Leiden besitzt und kein besondres Recht in Anspruch nimmt, weil kein besondres Unrecht, sondern das Unrecht schlechthin an ihr verübt wird, welche nicht mehr auf einen historischen, sondern nur noch auf den menschlichen Titel provociren kann, welche in keinem einseitigen Gegensatz zu den Konsequenzen, sondern in einem allseitigen Gegensatz zu den Voraussetzungen des deutschen Staatswesens steht, einer Sphäre endlich, welche sich nicht emancipiren kann, ohne sich von allen übrigen Sphären der Gesellschaft und damit alle übrigen Sphären der Gesellschaft zu emancipiren, welche mit einem Wort der vœllige Verlust des Menschen ist, also nur durch die vœllige Wiedergewinnung des Menschen sich selbst gewinnen kann. Diese Auflösung der Gesellschaft als ein besonderer Stand ist das Proletariat.

Das Proletariat beginnt erst durch die hereinbrechende industrielle Bewegung für Deutschland zu werden, denn nicht die naturwüchsig entstandne sondern die künstlich producirte Armuth, nicht die mechanisch durch die Schwere der Gesellschaft niedergedrückte, sondern die aus ihrer akuten Auflœsung, vorzugsweise aus der Auflösung des Mittelstandes hervorgehende Menschenmasse bildet das Proletariat, obgleich allmählig, wie sich von selbst versteht, auch die naturwüchsige Armuth und die christlich germanische Leibeigenschaft in seine Reihen treten.

Wenn das Proletariat die Auflœsung der bisherigen Weltordnung verkündet, so spricht es nur das Geheimnis seines eignen Daseins aus, denn es ist die faktische Auflösung dieser Weltordnung. Wenn das [85] Proletariat die Negation des Privateigenthums verlangt, so erhebt es nur zum Prinzip der Gesellschaft, was die Gesellschaft zu seinem Princip erhoben hat, was in ihm als negatives Resultat der Gesellschaft schon ohne sein Zuthun verkörpert ist. Der Proletarier befindet sich dann in Bezug auf die werdende Welt in demselben Recht, in welchem der deutsche König in Bezug auf die gewordene Welt sich befindet, wenn er das Volk sein Volk, wie das Pferd sein Pferd nennt. Der König, indem er das Volk für sein Privateigenthum erklärt, spricht es nur aus, dass der Privateigenthümer König ist.

Wie die Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so findet das Proletariat in der Philosophie seine geistigen Waffen, und sobald der Blitz des Gedankens gründlich in diesen naiven Volksboden eingeschlagen ist, wird sich die Emancipation der Deutschen zu Menschen vollziehn.

Resümiren wir das Resultat:

Die einzig praktisch mögliche Befreiung Deutschlands ist die Befreiung auf dem Standpunkt der Theorie, welche den Menschen für das höchste Wesen des Menschen erklärt. In Deutschland ist die Emancipation von dem Mittelalter nur möglich als die Emancipation zugleich von den theilweisen Ueberwindungen des Mittelalters. In Deutschland kann keine Art der Knechtschaft gebrochen werden, ohne jede Art der Knechtschaft zu brechen. Das gründliche Deutschland kann nicht revolutioniren, ohne von Grund aus zu revolutioniren. Die Emancipation des Deutschen ist die Emancipation des Menschen. Der Kopf dieser Emancipation ist die Philosophie, ihr Herz das Proletariat. Die Philosophie kann sich nicht verwirklichen ohne die Aufhebung des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung der Philosophie.

Wenn alle innern Bedingungen erfüllt sind, wird der deutsche Auferstehungstag verkündet werden durch das Schmettern des gallischen Hahns.


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