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Titel: Zum ersten Mal
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 127
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[127] Zum ersten Mal von einem überseeischen Unternehmen deutscher Hand und deutschen Capitals berichten zu können, gehört zu denjenigen Erscheinungen in Deutschland, welche wir dem Aufschwung zu nationalem Bewußtsein in allen Volkskreisen verdanken. Wir brauchen unsere Leser nicht an die Zeit zu erinnern, wo bei uns Volk und Industrie in der Dienstbarkeit vor dem Ausland sich gegenseitig zu übertreffen suchten. Wem es seine Mittel erlaubten, schmückte sich und sein Haus mit Erzeugnissen französischen Geschmacks oder englischer Kunstfertigkeit. Ein Hut konnte nur von Paris gut sein, ein Bleistift nur aus England. Um ihre Werkstätten nicht schließen zu müssen, arbeiteten viele der geschicktesten deutschen Handwerker und Künstler entweder für französische und englische Häuser, oder erkauften sich die Erlaubniß, ihre Erzeugnisse mit deren Firmen auszustatten. Ein Herzog von Coburg brachte einen Sattel von Paris mit heim und zeigte ihn seinem Hofsattler als eine Musterarbeit, aber zugleich mit dem Bedauern, daß, wenn etwas daran reiße, hier Niemand es ihm so trefflich wiederherstellen könne. Der Mann betrachtete das Werk mit eigenthümlichem Wohlgefallen und ersuchte Se. Durchlaucht, eine kleine unscheinliche Naht öffnen zu dürfen. Sie wurde gegeben, und der Herzog las mit Staunen die Firma seines Hofsattlers. „Ja, Durchlaucht, wenn meine Sättel erst in Paris waren, sind sie zehnmal mehr werth, als von hier,“ sagte mit vollem Recht der deutsche Meister. Und ebenso überzeugt vom Werth des Fremden pries einmal Alexander von Humboldt in Berlin ein illustrirtes Werk mit angeblich englischem Kupferstich und Buntdruck, mit derselben Ueberzeugung behauptete er, daß so etwas nur in England, nimmermehr aber in Deutschland hergestellt werden könne, bis man ihm nachwies, daß Stich und Druck aus einer Berliner Werkstatt hervorgegangen seien. Hat doch bekanntlich H. Heine sogar jedem deutschen Mädchen die Anmuth abgesprochen, die er an einer Tänzerin auf einem Pariser Balle bewunderte, bis diese ihm mit zierlichster Verneigung sagte: „Ich danke Ihnen, ich bin aus Schwabach bei Nürnberg.“

Ist auch die Zeit dieser Erniedrigung unseres Gewerbs- und Kunstfleißes vor dem Ausland vorbei, Dank dem erwachten Nationalehrgefühl und vor Allem den großen Welt-Industrie-Ausstellungen, auf welchen die deutsche Nation die segensreichsten Siege dieses Jahrhunderts errungen, namentlich dadurch, daß sie ihren industriellen Werth nicht nur vom Ausland anerkannt sah, sondern selbst kennen lernte, –- so hält das alte Vorurtheil doch bei großen Unternehmungen hartnäckig Stand, und dahin gehören Eisenbahnen, Gasanstalten und Wasserleitungen: sie überlassen deutsche Staaten und Gemeinden nur allzugern heute noch englischem und französischem Capital und Unternehmungsgeist. Sehen wir doch selbst die schweren Millionen für Kriegsschiffe nach England und Frankreich gehen, anstatt sie dem jetzt so stark besteuerten deutschen Fleiße zu Gute kommen zu lassen; denn daß die Deutschen, deren Eisen- und Stahl-Industrie selbst England mit Neid und Besorgniß für die Zukunft betrachtet, zum Bau von Panzerschiffen unfähig sein sollten, glaubt heutzutage Niemand mehr.

Da ist es allerdings etwas Außerordentliches, daß endlich einmal ein deutsches Haus eine der größten Unternehmungen der Gegenwart selbständig in die Hand nimmt: eine neue, directe telegraphische Verbindung von England und Ostindien durch Preußen, Rußland und Persien. Von den Regierungen der genannten vier Staaten ist bereits dem Hause „Siemens und Halske“ in Berlin (dessen enge Verbindung mit der hier mitbetheiligten Firma „Siemens Brothers“ in London allerdings das für den englischen Nationalstolz sonst darin liegende unerträgliche Opfer an Nationalehre ansehnlich gemildert hat) die Genehmigung zum Bau dieser Linie unter ziemlich liberalen Bedingungen ertheilt.

Unmittelbare Beziehungen zu Deutschlands Großverkehr hat diese Bahn allerdings nicht, eben weil sie ausdrücklich nur in England und Ostindien Ausmündungen ihres elektrischen Stromes beabsichtigt; Preußen, Rußland und Persien werden nur die gefälligen Träger und Hüter desselben im britischen Interesse sein. Unsere Freude beschränkt sich vorläufig darauf, deutschen Unternehmungsgeist an einem so großen auswärtigen Werke hauptbetheiligt zu sehen, und wir erhöhen unsere Freude, wenn wir die ganze Großartigkeit des Verbindungszwecks uns vor Augen führen, begründet auf das Ergebniß des bisherigen telegraphischen Betriebs über Constantinopel und durch das rothe Meer. Der gegenseitige Gesammtverkehr Englands und Ostindiens beziffert sich mit achthundert Millionen Thaler. Trotz der vielen Unzuträglichkeiten namentlich des türkischen Theils der bisherigen sogenannten Ueberlandpost – die Depeschen waren von Constantinopel bis Kuradja, hundert Meilen vor Bombay, durchschnittlich acht Tage unterwegs, oft selbst fünfzehn Tage! ja, es kamen sogar sehr bedeutende Depeschen-Ausbeutungen, -Fälschungen und -Unterschlagungen vor, was Alles die neue Linie zu einer Nothwendigkeit macht –- und trotz des hohen Preises von fünfunddreißig Thaler für eine einfache Depesche sind täglich durch Constantinopel nach und von Indien im Durchschnitt zweihundert Depeschen befördert worden. Wie aber muß dieser Verkehr sich steigern, wenn es Siemens und Halske gelingt, die Verbindungszeit zwischen England und Ostindien auf drei bis vier Stunden zu bringen, denn länger soll, nach deren Berechnung, eine Depesche von Teheran, der Hauptstadt Persiens, bis wohin das englisch-indische Eisenbahnnetz reicht, nach London nicht laufen dürfen. Dieser Strang vermittelt sonach den Verkehr zwischen Westeuropa und einem asiatischen Handelsgebiet von vierundvierzigtausend Quadratmeilen und hundertsechsunddreißig Millionen Menschen; da aber von England das Telegraphenkabel nach Amerika reicht und von Ostindien der Draht auch nach China und Japan weiter gehen wird, so stellt dieser Strang zugleich die erste kürzeste Verbindung von drei Erdtheilen her, und eine deutsche Hand ist es, welche die Stimmen der Völker von Amerika bis Europa und bis zum fernsten Asien zusammenführt!

Möge nur auch von den deutschen Gesandten und Consuln diesem kühnen deutschen Unternehmen in der Fremde ein besserer Schutz zu Theil werden, als leider viele Deutsche ihn bisher für ihre so vielfach gefährdeten Interessen im Ausland gefunden haben. Wir wollen das Sündenregister dieses Theils unserer diplomatischen Verwaltung hier nicht erst aufdecken, hoffen aber, daß die Telegraphen allerwärts es ihre Sorge sein lassen, derartige Pflichtvernachlässigungen unnachsichtlich in die Heimath zu tragen. In solcher Weise kann auch diese deutsche Ueberland-Linie Nutzen für Deutschland bringen, bis dieses selbst in die Lage kommt, seine Finger auf überseeische Drähte zu legen.