Zu dem Briefe des Generals v. Thielmann an den Hofrath Böttiger 1811

Die Letzte des altsächsischen Geschlechtes von der Sahla Zu dem Briefe des Generals v. Thielmann an den Hofrath Böttiger 1811 (1893) von Ernst Freiherr von Friesen
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896)
Die ersten Anzeichen der lutherischen Bewegung in Dresden
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Zu dem Briefe des Generals v. Thielmann
an den Hofrath Böttiger 1811.

In Nr. 2, Jahrgang 1893 der „Dresdner Geschichtsblätter" ist ein Aufsatz enthalten, betitelt: „Ein Brief des Generals v. Thielmann an Hofrath Böttiger 1811", der in seinen Einleitungs- und Schlußworten eine Rechtfertigung der Handlungsweise Thielmanns, ja sogar eine Verherrlichung dieses merkwürdigen Mannes enthält. Als sächsischer Soldat, dessen Herz warm für das geeinigte Deutschland schlägt, kann ich mich nicht enthalten, die politischen Wandelungen, denen der Charakter Thielmanns binnen weniger Jahre unterworfen war und unter deren Einfluß der fragliche Brief geschrieben wurde, näher zu beleuchten.

Adolf Thielmann wurde 1791 zu den Husaren mit Vortheil aus seinem bisherigen Regiment versetzt; eine Auszeichnung, die nicht Jedem passirte, denn nur die fähigsten Cavallerie-Offiziere wurden ausgewählt, um in dieses Regiment versetzt zu werden. – Die Rheinfeldzüge 1795 und 1796 trugen ihm den Heinrichsorden ein, welcher nur an sieben Offiziere ausgegeben wurde. Trotzdem war Thielmann mit seinem Schicksal unzufrieden und beabsichtigte 1804, Dienste in Oesterreich zu nehmen, von dem er sich damals Großes versprach. Dem Wohlwollen seines Obersten von Trützschler verdankte er es, daß er diesen Schritt aufgab. Der Kurfürst bewilligte ihm eine monatliche Zulage von 10 Thalern.

1806 wurde er nach der Schlacht von Jena, wo er gegen Napoleon gefochten, vom General v. Zezschwitz in das französische Hauptquartier geschickt, um über Auswechselung von Gefangenen zu verhandeln. Er überschritt hierbei seine Instruktion und wollte mit Napoleon über einen Frieden mit Sachsen unterhandeln. Napoleon äußerte hierüber seine Verwunderung, da Thielmann dazu keine Instruktion habe, und bedeutete ihm, daß er bereits dem Major Funcke gesagt habe, er werde sich mit dem Kurfürsten von Sachsen als nicht im Kriege befindlich betrachten, wenn dieser Dresden nicht verlasse und sich von Preußen trenne. Thielmann äußerte später: sowie Funcke damals die Monarchie, so habe er die Armee gerettet.

Die Unterhaltung mit Napoleon hatte seine politischen Ansichten vollständig geändert, er war zum glühenden Verehrer Napoleons geworden. Mit diesen Ansichten als Courier nach Dresden zum Kurfürsten zurückgekehrt, erlaubte er sich, seinem Monarchen auf das Dringlichste die Nothwendigkeit und die Vortheile einer Verbindung mit Napoleon auseinanderzusetzen.

Er wurde Major und Flügeladjutant, 1807 dem in Polen stehenden sächsischen Corps und 1808 dem [83] Marschall Davoust beigegeben, mit dem er in der engsten Verbindung stand.

1809 außer der Tour im März zum Oberstlieutenant und am 12. April bereits zum Oberst und königlichen Generaladjutant ernannt, kommandirte er nach Abmarsch der Armee nach dem Süden die in Sachsen zurückgebliebenen sächsischen Truppen in dem Feldzuge gegen Oesterreich. Wie sehr er von seiner Schwärmerei für Oesterreich zurückgekommen, beweist, daß er bei einer Rekognoscirung, die ihn in den böhmischen Ort Nixdorf führte, den dortigen Behörden und Einwohnern eine fulminante Rede hielt, die mit den Worten begann: „Das Haus Habsburg hat aufgehört zu regieren.“

Von einer Erwärmung für deutsche Gefühle war bei Thielmann damals keine Rede, denn abgesehen davon, daß Oesterreich die Befreiung Deutschlands auf seine Fahnen geschrieben hatte, kämpfte mit ihm der Herzog von Braunschweig-Oels, der, gewiß ein durchaus deutschgesinnter Mann, Alles that, was in seinen Kräften stand, um den Sinn für Deutschthum zu erwecken. Wie wenig Sinn Thielmann damals noch für solche Gedanken hatte, beweist seine Proklamation, welche er von Zittau aus erließ und in welcher er den Herzog von Braunschweig einen Räuberhauptmann nannte. – Der „Räuberhauptmann“ brachte ihm einen scharfen Tadel seines. Königs ein. –

Betrachten wir nun den Brief vom 1. August 1811, so muß derselbe doch einiges Befremden hervorrufen. – Wie kann ein Mann, der 1804 für und 1809 gegen Oesterreich ist, der 1806 vom Bekämpfer Napoleons durch eine einzige Unterredung mit ihm zu dessen eifrigstem Verehrer umgewandelt wird, der 1809 den deutschesten Mann damaliger Zeit einen Räuberhauptmann nennt und 1811 „Männer sucht, welche ihre Freiheit lieber mit dem Eisen als mit der Feder vertheidigen“ – wie kann ein solcher Mann in uns den Glauben erwecken, daß er es ehrlich meint und keine Phrasen macht? – Er schreibt weiter: „Vor Allen aber gehören dazu Fürsten, und die haben wir nicht.“ – War denn der Herzog von Braunschweig kein Fürst? – aber freilich, das Haus Habsburg hatte für Thielmann aufgehört zu regieren.

Nehmen wir aber einmal an, es seien keine Phrasen gewesen, was Thielmann schrieb; wie konnte er dann als Offizier weiter dienen? – War denn nicht schon damals der einzig mögliche Ausweg der Abschied, das Verlassen der von ihm aufgegebenen sächsischen Sache? – Dies hätte aber nicht mit den ehrgeizigen und egoistischen Plänen eines Thielmann gestimmt. Mit solchen Gedanken im Innern hat er weiter gedient, ist in den Feldzug 1812 nach Rußland gezogen, hat dort um die Gunst Napoleons und der französischen Heerführer gebuhlt, hat selbst noch auf dem unglückseligen Rückzuge zur „Heiligen Schaar“ gehört, welche zum persönlichen Schutze Napoleons gebildet wurde. Ist das Ueberzeugungstreue?

Im Dezember 1812 aus Rußland zurückgekehrt, wurde er, nachdem er kurze Zeit die in der Nieder-Lausitz aufgestellten Truppen kommandirt hatte, mit dem Kommando der Festung Torgau und der Reorganisation der dort befindlichen sächsischen Truppen betraut. Es dürfte dem Verfasser des beregten Aufsatzes in den „Dresdner Geschichtsblättern“ wohl schwer fallen, nachzuweisen, daß Thielmann vom Dezember 1812 bis zum Mai 1813, wo er den königlichen Dienst verließ, „dafür eintrat, daß der König Friedrich August der Gerechte die Sache Napoleons verlasse und zu den Verbündeten übergehe.“ – Außer dem dienstlichen hat wohl kein Briefwechsel mit dem Könige stattgefunden, und der vorhandene dienstliche Briefwechsel beweist das Gegentheil.

Trotzdem bemühte sich Thielmann in jener Zeit – natürlich gegen den Willen seines Königs – die ihm anvertrauten Truppen zum Eidbruche zu verleiten. Da seine Versuche in dieser Richtung, welche an dem denkwürdigen 27. April offen zu Tage traten und Aufklärung über seine Gesinnung gaben, als er sagte: „Jenseits des Rheines sind meine Sterne untergegangen, von dort her habe ich kein Heil und keine Vergebung meiner gethanen Schritte zu erwarten“, an den ehrenwerthen Gesinnungen der sächsischen Offiziere scheiterten, blieb ihm auch jetzt wieder nichts weiter übrig, als um seinen Abschied zu bitten, den ihm Friedrich August der Gerechte gewiß nicht verweigert haben würde. Dies that Thielmann nicht, sondern verließ, nachdem er auf des Königs Befehl den Franzosen die Festung geöffnet hatte, ohne Abschied seinen Posten. Durch den Major v. Watzdorf übersandte er dem König ein Schreiben des Inhalts: „Die Festung Torgau, die ich Ew. Majestät treu erhalten habe, ist übergeben. Ew. Königlichen Majestät lege ich meine 32 jährigen Dienste hiermit allerunterthänigst zu Füßen.“ – Diese Art, den Dienst zu verlassen, nennen wir Soldaten Desertion. Oberstlieutenant Aster, sein Generalstabschef, welcher ähnliche Ansichten wie Thielmann hegte, bat in aller Form um seine Entlassung, welche ihm auch huldvoll gewährt wurde, und nie hat man ihm darüber einen Vorwurf gemacht. – Zu erwähnen ist noch, daß Thielmann, der sein Gehalt bis zum 1. Juli voraus empfangen hatte, sich noch 2250 Thaler bei seinem Weggange am 11. Mai aus der Kriegskasse auszahlen ließ.

Dem Leser bleibe es überlassen, über den Werth der im Briefe vom 1. August 1811 enthaltenen Auslassungen zu urtheilen. Ein Mann, der, begeistert von einer großen Idee, einem edlen Ziele zustrebt, wird, [84] auch wenn er sein Ziel nicht erreicht, stets unsere Sympathie für sich haben; ist die Erreichung des edlen Zieles aber nur der Deckmantel zur Befriedigung der persönlichen Eitelkeit und des schmutzigen Egoismus, dann werden wir uns mit Verachtung von ihm abwenden.

Wer sich ein unbefangenes Urtheil über den General v. Thielmann bilden will, lese die Schriften von Hüttel, de L'Or, Oberreit und Graf von Holtzendorff, von denen ich die letztere, welche aktenmäßig ist, meiner kurzen Auseinandersetzung zu Grunde gelegt habe.
Frhr. von Friesen,
Generalmajor z. D.