Zehntausend Meilen durch den Großen Westen der Vereinigten Staaten (3)

Textdaten
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Autor: Udo Brachvogel
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Titel: Zehntausend Meilen durch den Großen Westen der Vereinigten Staaten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 570–574
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Beschreibung des Yellowstone-Nationalparks, ausschließlich der Mammoth Hot Springs
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Zehntausend Meilen durch den Großen Westen der Vereinigten Staaten.[1]

Von Udo Brachvogel. Mit Illustrationen von Rudolf Cronau.
III.
Die Geschichte des Nationalparks des Yellowstone. – Entdeckung und Erforschung des Wunderlandes. – Seine Constituirung als Volksdomäne. – Der Yellowstonesee. – Das Grand Cañon. – Die Fälle des Yellowstone. – Tower Creek, East Fork und Gardinerfluß.

Das weiße Miniaturgebirge der „Mammuth-Thermen“ war das erste der in dem heutigen Nationalpark des Yellowstone angesammelten wasservulcanischen Wunder, welches von den kaukasischen Entdeckern und Pionieren dieser Region erblickt wurde. Der Weg, den wir zu seiner Erreichung eingeschlagen (vergl. Nr. 23), der von Norden her, war auch der ihrige gewesen. Sie kamen von Montana, und zwar aus den Golddistricten des von den Felsengebirgen durchzogenen westlichen Montana, welches längst eine von der pacifischen Küste aus überkommene Minenbesiedelung besaß, während die östlichen zwei Drittel des riesigen Territoriums noch für ein Jahrzehnt und mehr der Jagd- und Kriegsgrund der jetzt auf Bundesreservationen beschränkten Sioux sein sollte.

Wer aber waren diese ersten weißen Entdecker der „Mammuth-Thermen“, oder wie sie von ihnen in durchaus bezeichnender Weise genannt wurden, der White Mountain Hot Springs, der „Heißen Quellen des Weißen Berges“ und damit des Yellowstone Wunderlandes überhaupt? Obgleich es keinem Zweifel unterliegen kann, daß schon Lewis und Clark auf ihrem großen nordwestlichen Entdeckerzuge im Anfang dieses Jahrhunderts, welchem man die Kenntniß der Stromsysteme des Missouri und des Columbia zu danken hatte, auch das Quellengebiet des Yellowstone berührt haben, so sind ihre Berichte doch in Betreff der merkwürdigen Dinge, welche demselben neuerdings seine Weltberühmtheit eingetragen haben, so gut wie stumm.

Die ersten Nachrichten darüber, welche nach etwas Anderem klangen, als nach Indianergefabel und Trappermärchen, gelangten 1856 zu den Ohren des Vereinigten Staaten Generals Warren, welcher ein Militärcommando in jenen damals noch völlig weltentlegenen Grenzländern führte. Die Sache erschien der höchsten Beachtung werth, und der General legte noch im selben Jahr der Bundesregierung den Plan einer officiellen Erforschung des im Herzen der Felsengebirge liegenden Hochthales vor, welches nicht nur in höchsten Höhen liegende Bergseen, mächtige Wasserfälle und ungeheure Cañons[2], sondern auch siedende Teiche, kochende Riesenspringquellen und brennende Ebenen umschließen sollte.

Die Ungläubigkeit jedoch, auf welche die große Neuigkeit in Washington stieß, vereitelte die Ausführung des Planes für die nächste Zeit, bis ihn der bald darnach ausbrechende große Bürgerkrieg vollends in Vergessenheit zurückdrängte. Und so blieb denn die thatsächliche Entdeckung des wunderstrotzenden Landes zwei Privatleuten, den unternehmenden Montanaer Pionieren Cook und Folsom, vorbehalten, welche im Sommer 1869 von Norden aus dahin vordrangen und so bestimmte Nachrichten über die von ihnen geschauten Naturmirakel und Naturmysterien zurückbrachten, daß die Regierung nicht umhin konnte, sich des alten Warren’schen Projects zu erinnern und die Yellowstone Angelegenheit sofort in ihre eigene Hand zu nehmen.

Schon im nächsten Frühjahr erfolgte in ihrem Auftrage die erste Exploration des geheimnißreichen Gebiets durch den Generalvermesser des Territoriums Montana, Washburne, welcher die Berichte Cook’s und Folsom’s in mehr als vollstem Umfange bestätigte. Hieran endlich schloß sich im Jahre 1871 die große Regierungsexpedition unter Leitung des schon damals als Felsengebirgserforscher bewährten Bundesgeologen, Professor F. W. Hayden, welche als die eigentliche Erschließung und Eroberung des Yellowstone-Quelllandes zu bezeichnen ist.

Die Ergebnisse der Expedition waren die denkbar glänzendsten und übertrafen selbst die phantastischsten Erwartungen. Vollends gekrönt aber wurde sie durch den Erfolg, welchen der amtliche Bericht Professor Hayden’s in Washington hatte: durch die wahrhaft hochsinnige Congreßacte vom 2. März 1872, welche auf diesen Bericht hin jenes mit Schönheiten und Merkwürdigkeiten so einziger Art übersäete Gebiet in einer sich zwischen 44° und 45° nördlicher Breite und 110° und 111° westlicher Länge erstreckenden Ausdehnung unter dem Namen eines Nationalpark des Yellowstone als „ein der amerikanischen Nation für alle Zeiten zu Vergnügungs-, Erholungs- und Gesundheitszwecken vorzubehaltendes und in diesem Sinne von der Bundesregierung selbst zu verwaltendes Volkseigenthum“ reservirte.

Seitdem gehört das Yellowstone-Gebiet thatsächlich der Nation, wenigstens in Beschreibungen, Schilderungen und Abbildungen aller Art.

Um sich in Gestalt allsommerlicher Vökerwanderungen auch thatsächlich in den Genuß seiner Herrlichkeiten zu setzen, harrt die amerikanische Nation freilich noch des Zeitpunkts, da die Nord-Pacificbahn ihre große Mission im Nordwesten der Vereinigten Staaten auch soweit ausgeführt, den heute noch außerhalb jedes geregelten Verkehrs liegenden Nationalpark mit der nächsten Station ihres eisernen Ueberlandweges, Bozeman in Montana, durch eine Zweiglinie verbunden haben wird. Erfreulicher Weise ist das lediglich eine Frage verhältnißmäßig kürzester Zeit, und hoffentlich wird sich dann auch von der Regierung sagen lassen, daß sie inzwischen gleichfalls das Ihrige gethan haben wird, um das einstweilen noch der primitivsten Verkehrsanlagen entbehrende und nur mit Hülfe eigener Reise- und Lagerausrüstungen zu erreichende und zu bereisende Hochgebirgsasyl des Nationalparks jenes vollkommnen Wildnißcharakters zu entkleiden, in welchem es bis zu dieser Stunde nur solchen Touristen zugänglich war, denen es in ihrem Verlangen nach seinen Wundern selbst auf eine kleine Afrika- oder Australienexpedition nicht ankam.

Wie die 3575 englische Quadratmeilen[3] messende Volksdomäne vor dem bei den Mammuth-Thermen ihre Nordgrenze überschreitenden Yellowstone-Fahrer daliegt, sondert sie sich, wie von selbst, zu ziemlich gleichen Hälften in einen östlichen und einen westlichen Wunderbezirk. Beiden gemeinsam ist, wie schon der grandiosen Mammuth-Thermen-Ouverture, die auf Schritt und Tritt souverain zu Tage tretende Herrschaft der wildesten vulcanischen Schöpfungsgewalten und, im holdesten Widerspruch dazu, das Waldwachsthum, welches, im übrigen Großen Westen der Prairien und der Felsengebirge so gut wie ein vollkommener Fremdling, hier plötzlich in einer Fülle und Allgegenwärtigkeit auftritt, als habe sich’s die Natur zur Aufgabe gemacht, in diesem Alpenheiligthum neben all ihrem Barocksten und Großartigsten auch nicht eine ihrer Lieblichkeiten fehlen zu lassen.

Und ferner ist es beiden Hälften gemeinsam, daß ein Paar [571] der herrlichsten Gebirgsströme – in der östlichen der Yellowstone selbst, in der westlichen der als Quellarm dem Missouri zuströmende Madison – gewissermaßen den schimmernden Faden bilden, an dem die einzelnen Naturwunderperlen dieses Zauberlandes aufgereiht sind.

Auch eine sichtbare Gebirgsscheide besteht zwischen diesen beiden Parkregionen. Sie erstreckt sich, dem Lauf des Yellowstoneflusses aufwärts folgend, über den 10,600 Fuß hohen Mount Washburne bis zu dem fast ebenso hohen „Elephantenrücken“ im Nordwesten des hier den Fluß entsendenden Yellowstonesees, um sich dann um diesen letzteren herum noch weiter südlich bis zu dem 9800 Fuß messenden Flat Mountain zu schwingen. Ihr gegenüber aber, auf dem Ostufer, erhebt sich eine Gruppe kaum weniger hoher Pics – Mount Langford, Mount Doane, Mount Stevenson – welche den bereits in der Höhe des Rigigipfels liegenden Seespiegel auf allen Seiten mit einer wolkenentrückten, firnenschimmernden Alpeneinfassung umgeben.

7427 Fuß über der Meeresfläche liegend und in seiner von einem unregelmäßig gezackten Maulbeerblatt entlehnten, wechselvollen Gestalt einen Flächenraum von nahezu 400 englischen Quadratmeilen bedeckend, ist der Yellowstonesee von dem halben Dutzend Alpenseen, welche wie krystallene Kleinode über das Wald-, Wiesen- und Bergland des Nationalparks ausgestreut sind, nicht nur der weitaus größte, sondern auch sicherlich einer der schönsten Hochgebirgsseen der Erde.

Und aus diesem 300 und mehr Fuß tiefen, vom ewigen Schnee der umliegenden Bergriesen genährten Fluthenreservoir fließt der Yellowstonefluß majestätisch zu Thal. Ruhig und gemessen strömt er krystallklar und eisigfrisch während der ersten zwölf Meilen seines Laufes durch einen natürlichen Hochpark dahin, welcher im Frühling und Sommer den üppigsten Gras- und Pflanzenwuchs entfaltet, und dem man es in diesem Vegetationsschmuck um so weniger ansehen würde, daß er sich über einem ununterbrochenen Reich vulcanischen Lebens dahindehnt, bräche nicht dasselbe auch hier in der Gestalt unzähliger heißer Quellen auf Schritt und Tritt an die Oberwelt.

Am See wie am Flusse, ja an mehr als einer Stelle bis in das eiskalte Bereich des ersteren selbst hinein, kochen, brauen und qualmen diese Wasser- und Schlammvulcane. Bald sieden sie, winzigen, oft kaum handgroßen Wasserspringteufeln gleich, unmittelbar aus dem Boden heraus; bald erscheinen sie in der großartigeren Gestalt von dampfenden Teichen und Becken mit jenen magischen Azurfluthen und kaleidoskopisch-bunten Niederschlägen, die wir schon bei den Mammuth-Thermen bewundert haben; bald kochen sie in fußhohen Kraterkegeln eigenen Aufbaues empor, in denen sie hier und da sogar die flachen Uferwasser des Sees durchbrechen und über ihre Umrandung hinweg glühende Sturzwellen in das eiskalte Element umher entsenden. Indessen nicht das heiße Gequell des Innern der Erde, sondern der schönste und frischeste aller Hochlandströme ihrer Oberfläche ist der gebietende Held des grandiosen Naturdramas, das sich hier vor uns entrollt.

Die Fälle des Yellowstone und das Grand Cañon! Es ist ein zweimaliger Sturz, den der junge Stromriese vollführen muß, um in die Abgrundtiefen des ersten und ungeheuerlichsten jener vier Cañons zu gelangen, in denen er sich auf einer Laufstrecke von nahezu achtzig Meilen quer durch die ehernen Rippen der Felsengebirge den Weg in die offenen Plains von Montana erzwingt. Den Namen des „Grand Cañon“ hat man diesem Schlunde zum Unterschiede von den drei übrigen Yellowstoneschluchten beigelegt, deren zwei letzte bereits jenseits der Nordgrenze des Nationalparks liegen. Aber wenn es hier auch das einzige Naturgebilde seiner Art wäre, hier oder in sonst einem andern Gebirge der Welt – der Name des „Großen“ wäre ihm doch zugefallen.

Fünfzehn Meilen lang klafft die Schlucht in die Erde hinein, zwischen jäh abstürzenden, von Klippen und Zacken starrenden Wänden, deren Höhe zwischen 1000 und 1800 Fuß wechselt. In der Tiefe aber, wo diese gelb- und rothleuchtenden, hier und da in geradezu unheimlichem Contraste von trotzenden, schwarzen Basaltsäulen und Gesimsen durchbrochenen und getragenen Wandungen spitzwinklig zusammenstoßen, rast der gestürzte Fluß. Wer schwindelfrei genug ist, von einer der scharfen Kanten des Absturzes aus einen Blick in die Tiefe hinunterzuwerfen, vermeint auf dem Grunde eine blaugrün schillernde Silberschlange dahinschießen und zischen zu sehen. Mehr jedoch, als den Blick hinunterzusenden, ist auch dem Schwindelfreiesten nicht gestattet. Selbst nur ein Stück des Absturzes hinabzuklimmen, ist einstweilen kaum unter den größten Schwierigkeiten und auch unter ihnen nur an einzelnen Stellen möglich, obschon versichert wird, daß gleich im Beginne des Schlundes ein Kletterpfad existire, auf dem man unter Zuhülfenahme von Gemsensehnen im Stande sei, sich die ganze Cañonwand hinabzuarbeiten und aus nächster Nähe zu schauen, „was sich birgt auf des Schlundes tiefunterstem Grunde“.

Wer einst diesen Pfad gefunden, hat wohl ein Recht, auf die Unbeirrbarkeit seiner Nerven, die Unfehlbarkeit seiner Muskeln zu trotzen. Und wer ihm nachwandelt, kaum minder. Ist es doch noch keineswegs für ihn damit gethan, daß er nur die Tiefe selbst erreicht. Dort beginnt für ihn der Kampf um einen festen Halt für Fuß und Hand erst recht, dort hat er sich des selber zerschmetterten und darum alles in seinen Bereich Kommende seinerseits wieder zerschmetternden Wildstroms zu erwehren. Nur an die Zacken des unmittelbaren Wasserrandes festgeklammert, oder auf einem der Steinblöcke im Fluß selber Fuß fassend, mag er nach der Oberwelt zurückblicken – denn ein Pfad, ein Uferrand, ein Rastfleck neben diesem rasenden Acheron ist nirgends gelassen. Nichts herrscht dort unten, als er!

Aber er hat auch seinen Preis für diese Herrschaft zu zahlen gehabt. Ein Fluthen-Phaëthon mußte er hinunterstürzen in die grausige Tiefe, damit sie Niemandem gehöre, als ihm, hinunterstürzen in die Nacht des Abgrundes aus den Sonnenregionen des Wald- und Wiesen-Hochthals, welches der krystallgeborene Seesprößling bis dahin durchflossen. Und nicht einmal ein einfaches Phaëthon-Schicksal war dazu hinreichend. Ein zwiefacher Sturz war nöthig, um diese Niederfahrt in die Unterwelt zu vollführen. Kaum eine Meile von einander entfernt liegen die beiden Wasserfälle und sind durch eine sich immer mehr vertiefende Schlucht verbunden, in welcher der Fluß als ununterbrochene Stromschnelle abwärts schäumt, der obere hat eine Höhe von 150 Fuß und der untere, in das Grand Cañon herabstürzende eine solche von 350 Fuß. Nur das Doppelmeer des Niagara-Sturzes übertrifft an Masse des Wassers diese Fälle. An Höhe erreicht selbst er den unteren kaum zur Hälfte. Weithin hallt der Donner der niedertobenden Fluthen. Ein stetes Schleiergewölk steigt, die eigentlichen Geheimnisse des Sturzes verhüllend, aus der Tiefe empor. Seine Feuchtigkeit wird einer üppigen Sommer-Vegetation an den Basalt- und Sandsteinwänden umher zum Lebenselement und wölbt, wenn der Sonnenglanz auf sie niederstrahlt, des Regenbogens Friedensbrücke über all den Vernichtungskrieg der gähnenden Tiefe. Dazu grüßt aus der Höhe ein durch zwei Drittel des Jahres in ungetrübter Bläue strahlender Himmel, von den Rändern des grimmen Schlundes selber aber ein compacter Waldwuchs hernieder, der nicht nur wie ein gigantischer Moosteppich über die schärfsten Kanten quillt, sondern vereinzelte Tannen-Vorposten nach der Tiefe entsendet, wo eben nur die gelben und rothen Geröll-Abstürze einen Platz zum Wurzelfassen gewähren.

Fünfzehn Meilen nach Norden erstreckt sich das Grand Cañon – je weiter von den Fällen fort, um so tiefer, um so mehr seine oberen Ränder einander nähernd, um so schauriger. Ganz aber, als ob Dante Alighieri hier einst den Schatten des Virgil getroffen, um mit ihm die Reise in das furchtbare Reich der Unterwelt anzutreten, schiebt und drängt sich das aufstarrende Felsengemäuer und Klippengezack am Ende des Cañons zusammen, dort, wo dem Yellowstone von Westen her der Wildbach des Tower Creek[4] in Gestalt einer scheinbar aus der Mitte der linken Schluchtwand hervorschießenden Cascade von 150 Fuß Tiefe zuschäumt.

Die Seitenschlucht, in der dieses tolle Wildwasser, fast einen beständigen Fall bildend, aus den ewigen Schneespalten des Mount Washburne herniederjagt, hat ihrer Schauerlichkeit halber den infernalischen Namen „The devil’s denn“ („Des Teufels Spelunke“) erhalten. Um den letzten Wassersturz aber, in welchem sich der Tower-Bach nach dem Yellowstone hinunterschleudert, thürmt sich vulcanisches Gestein in Zinnen, säulenartigen Thürmchen, spitzigen Nadeln und sonstigen Formen von wahrhaft wunderbarer Phantastik auf. Ihr dunkles Zacken- und Rankenwerk drängt dem Beschauer unwillkürlich die Vorstellung auf, daß es der gothische Gestaltungsgedanke war, welcher der Natur vorschwebte,

[572–573]

Das „Grand Cañon“ des Yellowstone. 0Nach der Natur gezeichnet von dem Specialartisten der „Gartenlaube“ Rudolf Cronau.

[574] da ihre feurigen Gewalten dies Felsen- und Klippenwesen aus der Erde steigen ließen.

Ein anderer Nebenfluß, welchen einige Meilen weiterhin der hier zwischen zurücktretenderen Thalwänden einherfließende und für eine kurze Strecke breit und voll aufathmende Yellowstone aufnimmt, ist der East Fork. Inmitten eines ganzen Dampfhofstaates von Schwefelquellen, Schlammvulcanen und allerlei kleinerem Thermengelichter tanzt er aus den Bergketten hernieder, die sich im Osten des Nationalparks aufthürmen. Aber er vereinigt seine Wasser mit denen seines Hauptflusses nur, um bald darauf mit diesem gemeinsam in die Felsenenge des nächsten Cañons desselben zusammengepreßt zu werden. Neun Meilen hat sich der Fluß durch die einander oft Stirn an Stirn gegenüberstehenden Felsenwälle dieser zweiten Steilschlucht hindurchzuwaschen, um beim Austritt aus ihr nahezu 2500 Fuß tiefer als bei seinem Ausfluß aus dem See dahinzuströmen.

Und hier, beim Austritt des Yellowstone aus dem zweiten Cañon, ist es auch, wo der Gardiner-Fluß, den wir mit seinen klaren und kühlen Fluthen den Fuß des von tausend heißen Quellen durchkochten Mammuththermen-Berges bespülen sahen, in jenen hineinfällt und so eine Art lebendigen Bandes zwischen den vorwiegend landschaftlichen Wundern der östlichen, der eigentlichen Yellowstone-Region des Nationalparks und den rein vulcanischen Mirakeln seiner westlichen Hälfte herstellt. Die im Rüstzeug aller nur denkbaren Farben- und Formenzauber die Wacht am nördlichen Eingang zum Wunderland haltenden Mammuththermen kennen wir bereits.

Für den dreifachen Geysergürtel des Madison-Flusses und damit für das eigenste Reich, welches sich hier alle bösen und alle guten Geister des ewigen Feuers errichtet haben, müssen Zeichner und Schilderer auch Raum und Rahmen einer eigenen Skizze beanspruchen.


  1. Unter Meilen sind in diesen Artikeln stets englische Meilen verstanden, von denen 46/10 auf die deutsche Meile gehen.
  2. Unter der spanischen Bezeichnung „Cañon“ versteht man die einen so eigenen Charakterzug der Gebirgsländer des Großen Westens bildenden „Steilschluchten“ seiner Flüsse, welche, durch äonenlange Erosionsarbeit entstanden, weder an Höhe noch an Steilheit ihrer Wände in andern Erdtheilen ihres Gleichen haben.
  3. Es ist eben im Congreß auf das Betreiben General Sheridan’s im Werk, die Nationalparkdomäne um weitere 3000 englische Quadratmeilen zu vergrößern, sodaß sie dann an Größe dem Königreich Württemberg gleichkäme.
  4. Creek = Bach.