Wolfram von Eschenbach dichtet den „Parzival“

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Titel: Wolfram von Eschenbach dichtet den „Parzival“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 433, 447
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[433]

Wolfram von Eschenbach dichtet den „Parzival“.
Nach einem Gemälde von Franz Hein.

[447] Wolfram von Eschenbach dichtet den „Parzival“ (Zu dem Bilde S. 433.) Unter den Werken, welche die mittelalterliche Blüthe unserer deutschen Litteratur hervorgebracht hat, steht der „Parzival“ Wolframs von Eschenbach mit in erster Reihe. Wolfram bezeichnet den Höhepunkt des sogenannten „Höfischen Epos“, das neben ihm noch in Hartmann von der Aue und Gottfried von Straßburg hervorragende Vertreter hatte. Aber während Hartmann die Klosterschule besucht und Gottfried gar eine umfangreiche gelehrte Bildung sich angeeignet hatte, die er in seiner Dichtung „Tristan und Isolt“ mit Geschick und Anmuth zu verwerthen wußte, verstand Wolfram, obwohl mit allerlei Kenntnissen in Astronomie, Naturgeschichte, Heldensage etc. ausgerüstet, doch nicht einmal die Kunst des Lesens und Schreibens. Er wurde erzogen wie damals die meisten Ritter, d. h. nur im Waffenhandwerk und in anderen ritterlichen Uebungen. Was er sonst lernte, das flog ihm mehr zufällig an.

Um so größer muß unser Erstaunen sein, wenn wir erfahren, daß es sich bei Wolframs „Parzival“ nicht einmal um eine selbständige Schöpfung seines Geistes, seiner Phantasie, sondern um eine wenn auch freie Uebersetzung aus zwei französischen Quellenschriften handelt! Wie soll man sich vorstellen, daß Wolfram den ungeheuren Stoff in sich aufgenommen und verarbeitet habe, der seine viele Tausende von Versen umfassende Dichtung erfüllt und der ihm keineswegs etwa von Jugend auf geläufig sein konnte? Da wir die eine seiner Quellen, das Werk des Chrestien de Troies, noch besitzen, so können wir gelegentlich wörtliche Anlehnung an die Vorlage feststellen – welch ein Gedächtniß müßte der Dichter gehabt haben, wollte man annehmen, daß er das ohne besondere Hilfe vermocht hätte!

Die Nachrichten über Wolframs Leben fließen sehr, sehr spärlich und sie geben uns keine genaue Auskunft darüber, wie Wolfram zu Werke ging. Es bleibt der Phantasie überlassen, sich das auszumalen, und von diesem Rechte hat auch Franz Hein, ein jüngerer Karlsruher Künstler, Gebrauch gemacht, als er das schöne Bild entwarf, das wir in unserer heutigen Nummer wiedergeben. Im üppigen Grün eines Burggärtchens, an schwerem steinernen Tisch, sitzen drei Gehilfen des Sängers, zwei Mönche, ein alter und ein junger, als dritter im Bunde aber Wolframs holdseliges Töchterlein, dessen Spur man in des Vaters Dichtungen mehrfach entdecken zu können glaubt. Das Mädchen liest aus dem vor ihm aufgeschlagenen Buche – es muß wohl Chrestien de Troies sein – einen Abschnitt vor, dann hält sie inne, bis der Vater das Gehörte in deutsche Verse gefaßt und den schreibekundigen Mönchen in die Feder diktiert hat. So schreitet die Arbeit vor, Stück für Stück, und die hilfreichen Mönche lohnt von Zeit zu Zeit ein Trunk aus dem kühl gelegten Gebinde zu ihrer Seite für die willige Mitarbeit am Werke des Dichters.

Wolfram von Eschenbach ist in seiner Heimath so wenig vergessen wie sonst im deutschen Volke. Die Stadt Eschenbach in Mittelfranken hat sich daran gemacht, in ihren Mauern eine Wolframbibliothek zu gründen und ein historisches Festspiel zu Ehren des großen Mitbürgers zu veranstalten, der dort vor mehr als siebenhundert Jahren – man weiß es nicht genau, wann – das Licht der Welt erblickte, ebendort um das Jahr 1220 starb und in der Kirche Unserer lieben Frau begraben wurde.