Wild-, Wald- und Waidmannsbilder/15. Ein Hirschkampf

Textdaten
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Autor: Guido Hammer
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Titel: Ein Hirschkampf
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 437-439
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 15.

Ein Hirschkampf.

Es war Oktober und schon Dämmerung geworden, als ich auf einer meiner Streifereien von Tyrol nach dem bairischen Hochgebirge ein einsam liegendes Forsthaus erreichte, in dem ich ein Obdach für die Nacht suchte und die gastlichste Aufnahme fand. Dabei wurde mir die Freude, Augenzeuge echt gebirgischer Fröhlichkeit zu werden. Im Hausflur hatten sich nämlich die am Tage im Forste beschäftigten Holzknechte und die im försterlichen Anwesen arbeitenden kernfesten „Dirndeln“ zur Löhnung eingefunden und tanzten nun hinterher jauchzend nach dem klingenden Spiel einer Cither, die einer von den anwesenden Männern mit ungemeiner [438] Fertigkeit schlug. Auch schmucke Jägerbuben, die zum Forsthause gehörten, widerstanden nicht der lockenden Musik und den teil kecken Mädeln; ja selbst der alte, aber noch rüstige Oberförster führte sein dralles Ehegespons zum Reigen. Da herrschte keine vornehme Abgeschlossenheit zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Alle waren von unbefangener Lust und rein menschlichem Gemeinsinn beseelt. Mit harmlosestem Frohsinn nahm die Frau Oberförsterin den Tanz vom Jägerburschen und von dem dickbeschuhten, ja wohl gar barfüßigen Holzknechte an, während sich der Oberförster mit einem schmucken Sennermädel drehte. Ich, der ich nicht tanzen kann, beschränkte mich auf das Zusehen, noch mehr aber auf’s Zuhören; denn Citherklang ist schon an und für sich, noch dazu aber mit so frischer Ursprünglichkeit und in so passender Umgebung von Menschen und Natur vorgetragen, für mich das Non plus ultra von Musik, und gern will ich mich für ein solches Bekenntniß ob meines kindlichen Standpunktes auf diesem Gebiete belächeln lassen. Habe ich doch ein Recht, meinen Genuß eben so hoch anzuschlagen, als die in höhern Sphären Schwelgenden.

Als das improvisirte Tanzvergnügen sein Ende genommen, ging ich mit der Försterfamilie auf deren freundliche Einladung in die hirschgeweihgeschmückte Unterstube, um dort in ihrem Kreise den Abendimbiß einzunehmen. Suppe, geräuchertes Wildpret und Schmarren, dazu ein Maß frisches Bier, mundeten köstlich nach dem weiten Marsch. Außerdem wurde das Mahl durch manche interessante Jagdgeschichte gewürzt, denn da man mich als so ein zur „grünen Farbe“ gehöriges Stückchen zu nehmen anfing, wurde selbst der eine Bursche, ein schon ziemlich bejahrter, finsterer, aber kernfester, wettergebräunter Jäger, gesprächiger, als er sonst wohl sein mochte. Eh er aufthaute, hatte er mich wenigstens mit fast mürrischem Blicke, dem jedoch bei näherer Betrachtung eine gewisse Gutmüthigkeit nicht fehlte, betrachtet. Es war spät geworden, denn die Uhr im großen, dunkeln Nußbaumgehäuse hob schnarrend aus und verkündete durch zehnmaligen Kuckuksruf die vorgerückte Stunde. Durch die kleinen Fenster schien hell der Mond herein, und Nebel durchzogen die vor dem Hause liegenden Thalschluchten. Auf einmal hörte man den fernen Schrei eines Hirsches. Hoch horchte ich auf, und selbst auf die daran gewöhnten Jäger verfehlte der markige Ton nicht seinen anziehenden Zauber auszuüben. Alle wurden ruhig und lauschten dem geliebten Klänge. Ich öffnete das Fenster, durch welches der frische Waldeshauch einströmte, um den Ruf des fern stehenden Brünstigen deutlicher vernehmen zu können. „’s ist der Vierzehner, der oben auf der steilen Eck unter der Geiswand steht,“ sagte jetzt Seph, so hieß der alte Bursche, der so zu sagen ein Inventar in der Försterei geworden war; denn seit vierzig Jahren hat er schon drei Herren in demselben Forsthause gedient. „’s bleibt doch der schönste Brunftplatz dort oben, den wir hier in der Gegend haben; da könnst halt,“ fuhr er zu mir sich wendend fort, „was schauen, wenn Du länger da bliebst und mit aufstiegst. Ja, was war das halt für ’n Anblick, als ich vor acht Jahren von dem obern Pürschhaus aus den mörderischen Kampf der beiden Hirsche mit ansah, wovon die über der Thüre hängenden Geweih’ herrühren.“ Da mir diese schon beim Eintritt aufgefallen, da sie augenscheinlich im Kampfe unzertrennlich in einander verwirrt worden waren, wie das je zuweilen vorkommt, so waren mir diese Andeutungen eines Augenzeugen des geschehenen Kampfes von höchstem Interesse, und ich wendete daher meine ganze Beredsamkeit auf, den Veteran der Jägerei zu einer umständlichen Erzählung zu bewegen. Es gelang mir leichter, als ich vermuthet hatte. Nachdem ich das Fenster wieder geschlossen hatte, denn es war draußen empfindlich kalt, und die Flamme im Kamin frisch angeschürt worden war, setzten wir uns wieder an den großen achteckigen, geschnitzten Ahorntisch, und Seph fing an zu erzählen. Mit vollster Spannung hörte ich zu, während sich die Andern, die diese Geschichte allerdings nicht das erste Mal vernehmen mochten, einem sanften Schläfchen überließen.

Es war, wie gesagt, vor acht Jahren gewesen, als unser Seph vom Pürschgang nach einem alten Gemsbock erfolglos abgestanden und beim Niedersteigen das sogenannte hohe Pürschhaus erreicht hatte. Dort hatte er, ermüdet von der Jagd, sich auf die Matte gelegt und dem sinkenden Tag in’s umschleierte Auge geblickt. Wer da gesehen hat, wie wunderbar erhaben ein anbrechender Abend in den Alpen wirkt, wenn die scheidende Sonne die silberbemoosten Tannen, die saftigen Almen, so wie die starren, zerklüfteten Felsenwände mit ihren schneebedeckten Häuptern überglüht, während über das Drunterliegende bereits der dämmernde Schatten seinen Schleier zieht, unter dem die aufsteigenden Nebel wogen, der wird es selbst von einem dort lebenden Gebirgsjäger begreiflich finden, daß er sich zuweilen gern in solche Anschauungen versenkt. Die Sonne war bereits hinter den zackigen Gebirgsriesen verschwunden gewesen, und schon hatte sich unser Waidmann zum weiteren Niedersteigen gerüstet, als ihn der Schrei eines Hirsches wiederum gefesselt. Der Schall war von der gegenüberliegenden sogenannten steilen Eck, einem freien, nur mit wenigen alten Tannen bestandenen suhlenreichen Platze, herübergekommen. Dieser ist nach drei Seiten von steilen Felsenwänden und wäldigen Schluchten – das Ganze hieß die „Geiswand“ – umschlossen, während die vierte, offene Seite als eine Klippe ein mächtiges Thal hoch überragt, welches tief unten in seinem Bette einen rauschenden Gebirgsbach führt.

Der Hirschschrei ließ unsern Seph sofort das Auge dorthin wenden und, da es ziemlich weit hinüber war, das Fernglas, das in dortiger Gegend meist jeder Jäger bei sich führt, zur Hand nehmen. So konnte er einen starken Zwölfender beobachten, der eben aus der Suhle getreten war und nun das mit sich geführte Wild zusammengetrieben hatte. Dann, gleichsam als Herrn des Platzes sich zeigend, war er hingetreten, um doppelt mächtig seinen gewaltigen Ruf ertönen zu lassen, der grollend die abendliche Ruhe durchtönt hatte. Nachdem dem rollenden Echo wieder die tiefe Gebirgsstille gefolgt war, die nur durch das Rauschen fallender Sturzbäche oder bisweilen durch das Rollen eines vom Tritt des Wildes sich losbröckelnden und hüpfend der Tiefe zueilenden Steines unterbrochen wird, war der Schrei eines andern, aber ebenfalls drüben stehenden Hirsches und zwar aus den Schlüften unmittelbar an der Geiswand erschollen. Gleich wie ein elektrischer Schlag hatte es da den platzbeherrschenden Hirsch herumgerissen, und mit schnaubender Wuth hatte er dem nahen Nebenbuhler geantwortet. Jetzt war der andere auf freier Stätte erschienen und hatte mit kecker Stirn und Stimme den Gegner abermals gefordert. Wüthend hatte dieser das zackige Geweih zur Erde gesenkt und mit demselben die auf der Erde liegenden, faulenden Stämme zerfetzt, so daß die Stücke in der Luft umherflogen. Dann war er schnaubend und gurgelnd dem Eindringenden entgegengestürzt, der, nicht minder kampfbegierig, wiederum jenem zugestürmt, so daß sie sich etwa in der Mitte des Platzes getroffen hatten. Prasselnd waren sie mit den Geweihen zusammengeflogen, und indem der unberechtigte Buhler dabei auf die Vorderläufte niedergestürzt, wäre er beinahe verloren gewesen. Doch rasch sich aufraffend, war er flüchtig geworden, und zwar nach der offenen Seite hin. Verfolgt, hatte er, jedenfalls um dem gefährlichen Terrain am Abhange auszuweichen, sich wieder gestellt, so daß abermals der Zwölfer mit wüthender Kraft klirrend in die Stangen des andern Hirsches gerannt war, ohne aber diesmal den Widersacher zu stürzen. Dennoch war dieser augenscheinlich schwächer gewesen, denn im Drängen war er rückwärts gewichen, ohne daß beide mit den Köpfen auseinander gekommen. So hatten sie sich Kopf an Kopf gedrängt, und selbst wenn einer oder der andere zu Fall gekommen, waren dennoch die Geweihe, wie mit eisernen Zangen gehalten, aneinander gefesselt geblieben.

Lange hatten sie so mitsammen den Kampfplatz behauptet, obgleich sie immer weiter dem abschüssigen Hange der überragenden Klippe nahe gekommen. Keiner war gewichen, keiner Sieger geblieben. Endlich war der Schwächere gestrauchelt und zum Unterliegen gekommen. Durch die Anstrengung, sich wieder emporzuraffen, und durch den unausgesetzten Druck des nunmehrigen Siegers, der wohl jetzt gern von ihm gelassen hätte, wäre er nicht so fest angeschmiedet gewesen, war der Niedergekämpfte in's Rutschen gekommen, dem sich der Sieger vergeblich entgegenstemmte. Erst langsam, dann schneller, hatten die beiden Hirsche immermehr dem abschüssigen Hange sich genähert, bis der Liegende an einem Latschengebüsche momentan Halt gefunden. Hier hatte er mit seinen letzten Kräften versucht, sich nochmals aufzurichten, war aber dadurch von seinem letzten schwankenden Hort, dem zähen Geäste, losgelassen geworden und beim abermaligen Weitergleiten, das jetzt in erschreckender Geschwindigkeit begonnen, hatte er seinen Ueberwinder mit zu Boden gerissen. Aller Gegenwirkung unfähig, waren nun die beiden mächtigen Thiere in rasender Schnelle der letzten Klippe entgegengerollt. Gleich einer gewaltigen Lawine hatten sie Aeste, Geröll und lose liegende Felsblöcke mit sich fortgerissen, die in weiten Sprüngen polternd und prasselnd in die schon nächtig [439] werdende Tiefe gestürzt, daß es dröhnend herauf geschallt, wenn die Trümmer, durch die Tannenwipfel brechend, auf das im Thale lagernde Gestein aufgeschlagen. Aber wie ein bloßer Schauer, der einem rauschenden Gewitterstrom vorangeht, war dieser Steinregen dem unvermeidlichen Sturze der dem Tote verfallenen Hochgeweihten vorausgegangen. Das Rollen der verkämpften Recken war zu einem Ueberschlagen geworden; wie ein gewaltigen Rad, dessen Achse die beiden engverknüpften Köpfe bildeten, hatten sie in gewaltigen Kreisen den letzten festen Standpunkt unter sich gefühlt, wobei der zuerst über dem Abgrund schwebende Hirsch noch die äußerste ohnmächtige Anstrengung gemacht, sich mit den Vorderläuften zu erhalten, der über ihn wegschlagende Kampfgenosse aber weit hinaus in die schwarzblaue Tiefe geschleudert worden und so, engverkettet mit seinem Feinde, in dem endlos scheinenden Abgrund verschwunden war.

Dem Auge entzogen, hatte man nur noch das aufdröhnende Rauschen, Knacken und Krachen gehört, als die beiden massigen Körper durch die alten Tannen gebrochen, so wie den donnerähnlichen Schall, als die gekrönten Leiber tief unten das nackte Gestein berührt hatten; dann hatte nur das Weiterpollern der immer noch tiefer Fallenden Kunde gegeben von dem erschütternden Vorfall.

Ruhe, tiefe Grabesruhe war darauf eingetreten, das; es – wie der Erzähler hinzufügte – ordentlich peinlich gewesen, und er, der feste Jäger, erschreckt worden sei, als minutenlang nachher noch gelockertes Gestein in die schauerliche Tiefe gerollt.

Während der letzten Scene war der Mond über das zackige Gebirge aufgestiegen und hatte den einsamen, tannenumrauschten Gebirgspfad beleuchtet, den unser Seph hinabgeschritten zum trauten Försterhause.

Am andern Tage war der Bursche mit Holzknechten in’s Thal gegangen, um die Zerschmetterten aufzusuchen. Ganz zerfetzt hatten sie auf einem alten Pürschpfad zwischen mächtigen, üppigbemoosten Felsblöcken gelegen, noch im Tode mit ihrem zackigen Hauptschmuck vereint. Hoch über ihnen hatte, angelockt von der willkommenen Beute, ein Adlerpaar gekreist. Bald waren sie hereingeschafft gewesen, und das Wildpret hatte man unter die armen Bewohner des Thales vertheilt. Die Geweihe aber, einen Zehner und einen Zwölfer, hatte sich Seph zur Erinnerung vorbehalten.

So lautete die Erzählung des urwüchsigen Burschen, aus dessen Munde sie freilich doppelten Reiz empfing; denn wo auf der Welt giebt es eine treuherzigere Sprache, als unter dem getreuen Volke in den Hochgebirgen von Baiern und Tyrol? Für mich ist ein solcher stämmiger, gerader, wettergepeitschter, sonnverbrannter, schöngestalteter Gebirgsjäger, wenn er Einem mit seinem herzigen „Grüß’ Di’ Gott!“ die Hand reicht, ein wahres Ideal. Und ist ein frischer Naturmensch, selbst in seiner Unwissenheit, die ja vielfach durch gesunden Geist und biedere Gesinnungen ersetzt wird, nicht fast beneidenswerth?