Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche/Kapitel XXIX

← XXVIII. Entrückung Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche (1880) von Edmund Veckenstedt
XXIX. Aufhocker
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Die Bedeutung der Doppellinie erläutert Veckenstedt im Vorwort auf Seite V folgendermaßen: „Die Sagen und Märchen der deutschredenden Wenden finden sich in jedem Abschnitte nach dem Zeichen, welches zwei parallele Striche bilden.“ Ferner führt er auf Seite X den Grund der Kennzeichnung an: „Nicht unwillkommen wird, hoffe ich, der Forschung die Art sein, wie ich die reine Sorbentradition von derjenigen Ueberlieferung geschieden habe, welche zwar auf wendischer Grundlage ruht, aber eben weil sie einem Geschlecht deutschredender Menschen entnommen ist, vielleicht eine oder die andere Modification erlitten hat.“
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XXIX.
Aufhocker.

1.

Vor längerer Zeit pflegte ein Mann in der Gulbener Haide des Sonntags zu wilddieben, er wurde aber dabei von einem Förster erschossen. Zur Strafe für seinen Jagdfrevel war er verdammt, des Sonntags in der Gulbener Haide umzugehen. Immer nämlich, wenn Jemand an einem Sonntage durch die Haide ging und unterwegs auch nur einen Laut von sich gab, sprang ihm der frühere Wilddieb auf den Rücken, und er musste ihn bis zur Haide hinaus tragen. An der Grenze der Haide sprang er dann wieder ab. Jetzt ist die Haide von dem Wilddieb, welcher verwünscht war, frei geworden. Das aber ist so zugegangen.

An einem Ostertage wollte ein Mann durch die Haide nach Gulben gehen. Er war gewohnt, wo er ging und stand, zu pfeifen. Als er in die Haide kam, mochte er auch jetzt sein Pfeifen nicht einstellen. Da er aber fürchtete, er werde den früheren Wilddieb tragen müssen, so sprach er: „Dies ist der Tag des Herrn.“ Darauf ging er ruhig seiner Wege, pfiff wie immer und nichts geschah ihm. Seit der Zeit muss der frühere Wilddieb Ruhe gefunden haben, denn so viel Menschen auch später durch die Haide gegangen sind, nie ist ihnen mehr etwas geschehen.

Gulben.     
2.

Auf der Stradower Brücke ist es nicht richtig, wie die Bewohner des Dorfes versichern. Dort haben schon Viele [328] eine weisse Frau gesehen, welche mit klagender Geberde an der Brücke sitzt. Sowie die Leute dort vorübergehen, verschwindet sie, dann aber hockt sie den Vorübergehenden auf, so dass diese eine schwere Last zu tragen haben. Die also Geplagten sind froh, wenn sie die ersten Häuser des Dorfes erreicht haben, denn dort verschwindet der Spuk.

Stradow.     
3.

In Werben lebte einmal ein Schmied. So oft derselbe ausging, setzte sich ihm stets eine schwarze Gestalt auf den Rücken, welche er tragen musste. Einstmals, als er die Gestalt nahen sah, ergriff er in seinem Zorn das Gewehr und schoss darnach. Da flog die Gestalt hoch in die Luft, aber sie warf einen schweren Stein auf ihn herab, welcher den Schmied erschlug.

Werben.     
4.

In Sergen hat gar Mancher des Abends ein rothes Kalb gesehen. Wer das Kalb sah, der musste sagen: „Was wollt Ihr? Ich gehe nach Hause.“ That er das, so geschah ihm nichts. Nun ging einmal ein junger Bursch zur Spinnte. Dem begegnete das rothe Kalb auch. Der Bursch aber sagte nichts, als er das rothe Kalb sah. Plötzlich sprang ihm eine Katze auf den Rücken. So sehr er sich bemühte, dieselbe abzuschütteln, es gelang ihm nicht. Eiligst lief er darauf nach Hause. Vor der Wohnung war die Katze plötzlich vom Rücken weg, der Bursch aber starb drei Tage darauf.

Sergen.     





5.

Einst ging ein Bauer von Tschacksdorf nach Domsdorf. An einem Scheidewege sah er plötzlich eine kleine, weisse Gestalt. Der Bauer ging ruhig daran vorüber. Er hatte aber noch keine drei Schritte gemacht, so fühlte er, wie ihm etwas auf den Rücken sprang, das er trotz aller Mühe, es abzuschütteln, tragen musste. Erst als er sein Dorf erreicht [329] hatte, fiel die Last von seinem Rücken. Der Bauer wollte wissen, was ihn bedrückt habe, allein so viel er sich darnach umblickte, er sah nichts. Als er auf seinem Rückwege an einen Kreuzweg kam, belästigte ihn dieselbe Gestalt wieder. Jetzt wollte er, um die Last nicht noch einmal schleppen zu müssen, umkehren, allein in demselben Augenblick erhielt er einen furchtbaren Schlag, so dass er ruhig weiter ging. Auf seinem Wege kam er bei einem alten Gemäuer vorüber. In dem Augenblick hörte der Bauer darin ein furchtbares Gepolter. Er aber setzte seinen Weg ruhig weiter fort. Erst als er sein Heimathsdorf erreicht hatte, fühlte er sich von seiner Last frei, bekam aber noch einen furchtbaren Schlag, so dass er taumelte. Der Bauer hat oft erzählt, dass dies die furchtbarste Nacht seines Lebens gewesen ist.

Tschacksdorf.     
6.

Nicht weit von Boblitz hat früher die alte Burgschänke gelegen. In der Schänke haben böse Geister gehaust. Nun waren einmal zwei alte Männer aus Boblitz in Lübbenau gewesen. Sie hatten sich spät auf den Heimweg gemacht. Als sie an die Bergschänke kamen, sassen sie dort ein Weilchen, um Abendbrod zu essen. Als sie gegessen hatten, sagte der Eine von ihnen: „Wir wollen machen, dass wir fortkommen, denn um zwölf Uhr ist es hier nicht richtig.“ Darauf gingen sie fort. Sie waren aber kaum ein paar Schritte vom Hause weg, als der Eine von ihnen aus vollem Halse schrie: „Mein Gott, hilf mir doch, mir sitzt ja was auf dem Rücken.“ Der Andere wollte zuspringen. In demselben Augenblick aber hatte er auch etwas auf seinem Rücken sitzen. Die beiden alten Männer haben die Last wohl zehn Minuten weit schleppen müssen, dann war dieselbe plötzlich verschwunden.

Boblitz.     
7.

Man erzählt, dass früher in einem gewissen Garten in Pritzen sich eine Gestalt gezeigt hat, welche den Vorübergehenden auf den Rücken zu springen pflegte. Hatte sie [330] der Betreffende dann bis zu einem gewissen Baume getragen, so war sie stets vom Rücken verschwunden.

Einstmals ging ein Mann bei dem Garten vorüber. Auch ihm sprang die Gestalt auf den Rücken. Er wusste nicht, dass er sie nur bis zu einem gewissen Baume tragen müsste, deshalb schlug er nach ihr. Da aber wurde die Gestalt böse, schlug ihn wieder und traf den Mann so, dass er mit dem einen Auge blind wurde. Die Gestalt blieb auf dem Rücken des Mannes bis an dessen Wohnung, ja sie trat mit in die Stube ein und blieb am Bett stehen. Der Mann wurde schwer krank und entging mit Mühe dem Tode.

Pritzen.     
8.

In der Nähe von Alt-Döbern hauste früher ein kleiner Mann, welcher den Vorübergehenden auf den Rücken sprang. Wem das geschah, der musste ihn ruhig tragen. Einst sprang er einem Leinweber auf den Rücken. Er liess sich von diesem eine bestimmte Strecke tragen, wie er das immer zu thun pflegte, dann verschwand er plötzlich. Der Leinweber hatte ihn nicht tragen wollen, er hatte auf alle Weise versucht, ihn abzuschütteln. Dafür rächte sich der kleine Mann, denn am dritten Tage, nachdem dies geschehen, war der Leinweber todt.

Alt-Döbern.     
9.

Einem Nachtwächter in Sandow war seine Frau gestorben, er aber wusste es nicht, da er im Augenblick des Todes seiner Frau im Dienste war. Auf seinem Heimwege war es ihm, als trage er eine schwere Last auf dem Rücken. Er fühlte sich erst erleichtert, als er seine Schwelle betrat. Da fand es sich, dass seine Frau gestorben war. Als er sein Begegniss einer klugen Frau erzählte, sagte ihm diese, er habe seine todte Frau getragen.

Sandow.     
10.

Noch vor etwa zwanzig Jahren hauste hinter der heutigen Stadtmühle ein grosser, schwarzer Hund. Es hatte mit diesem Hunde eine eigene Bewandtniss, denn derselbe [331] war ohne Kopf und sprang Jedem, welcher in der Nacht zwischen zwölf und ein Uhr bei der Mühle vorüberging, auf den Rücken. Sobald der Betreffende den Hund auf dem Rücken hatte, war es ihm, als müsse er eine furchtbar schwere Last tragen. In dem Augenblick aber, wenn er mit dem ersten Fusse die Sandower Brücke betrat, sprang der Hund von seinem Rücken herab und eilte davon. Das hat er viele Jahre getrieben, jetzt aber muss er verschwunden sein, denn Niemand hat ihn neuerdings mehr gesehen.

Cottbus.     



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