Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen/Dschesireh. Von Dschesireh nach Mosul

Von Saïrd nach Dschesireh Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen
von Paul Müller-Simonis
Mosul. Die Stadt. Die Christen des Orientes. Die Mission der Dominikaner
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Zwanzigstes Kapitel.
Dschesireh. Von Dschesireh nach Mosul.
Der chaldäische Bischof. Die Stadt Dschesireh und ihre Geschichte. Verkehrte Abreise und deren Folgen; Blokade durch den Regen. Entschluß, Mosul mit einem Kellek zu erreichen. Entlassung der Katerdschis. Transport unseres „Haufes“ auf das Floß. Abreise. Schlechte Reise zu der großen Brücke von Dschesireh. Rubahi; Schneesturm. Einige Worte über die Kurden und Kurdistan. Feschabur; Not wegen der Stromschnellen. Karatschek-Dagh; arabisches Lager; eine eisige Nacht. Der Butma-Dagh; neue Stromschnellen. Eski-Mosul; Lauf der Flöße; Mosul.
12. Dezember.

Wir hatten vor, den in Dschesireh residierenden Dominikanerpater Galland um Gastfreundschaft zu bitten. Da er aber abwesend war, klopften wir an der Thüre des chaldäischen Bischofs an, der uns mit der größten Liebenswürdigkeit aufnahm. Seine Behausung ist neu und reinlich, aber leider nur für wärmere Länder berechnet, so daß man bei den Fenstern mit den schlecht schließenden viereckigen Papierstücken, bei den Thüren, die im Sommer so angenehm sind, weil sie stets frische Luft einlassen, und bei dem gänzlichen Mangel an Heizmaterial herrlich untergebracht ist, um im Winter die größte Kälte zu leiden.

Der Bischof ist noch jung, groß und besitzt vornehme Manieren. Er ist eine Zeit lang bei den Chaldäern in Malabar gewesen und versteht etwas englisch. Wie die meisten orientalischen Bischöfe ist auch er arm; die Chaldäer, seine Schafe, sind armselige Landleute ohne Vermögen. Sie bilden eine sehr dünngesäete Bevölkerung.[1]

Der Bischof empfing uns in seinem Diwan, der auch bald mit Notabeln gefüllt war, die kamen, um die vornehmen Fremden zu begrüßen. Da wir durch und durch kalt waren, wünschten wir nur eines: nämlich in Ruhe unsere Kleider wechseln zu können. Indessen erfüllten wir zunächst unsere Pflichten der Gesellschaft gegenüber. Aber nach Ablauf einer Stunde war der Diwan noch immer nicht leer. Wr wollten uns zurückziehen, um die nötigen Veränderungen in unserer Toilette vorzunehmen, als man uns zu verstehen gab, da das Haus sehr klein sei, so sei der Diwan eigentlich unser Zimmer, wo wir Herr und Meister wären. Es blieb uns denn auch nichts anderes übrig, als daß wir uns als solche betrachteten und begannen, unsere Kleider zu wechseln – aber niemand machte eine Bewegung, sich zu entfernen. Was sollten wir thun? Es blieb uns nichts weiter übrig, als diesen Wechsel vor dem Bischof und den Vornehmen ganz vorzunehmen. Die Sache kam ihnen ganz natürlich vor, und wir glaubten uns in das Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten, zu dessen bekanntem „lever“ versetzt.

13. Dezember.

Der Regen floß andern Tages in Strömen, weshalb der Tag mit angenehmem Geplauder und kleinen Spaziergängen zwischen gewaltigen Regengüssen verfloß.

Dschesireh kann sich ebenfalls eine Ruine nennen. Sein vollständiger Name – Dschesireh-ibn-Omar „Insel des Sohnes Omars“ – deutet auf eine verhältnismäßig junge Stadt mit mohammedanischem Ursprunge hin. Gewöhnlich aber nimmt man an, daß die Gründung der Stadt lange Zeit vor der Entstehung des Islams geschehen ist. Sie nimmt eine natürliche Terrasse ein und ist von den Hügeln durch eine kleine Ebene getrennt, die der Tigris sehr leicht überschwemmt. Der Gedanke, aus dem Plateau von Dschesireh eine Insel zu machen, lag sehr nahe, man brauchte nur einen Kanal aus dem Flusse um die Stadt zu leiten. In gewöhnlichen Zeiten ist der Kanal meistens trocken; unterhalb der Stadt führt eine Brücke über denselben. Gegenwärtig befindet sich diese Brücke in einem sehr kläglichen Zustande; von den Gewölben ist nichts mehr geblieben, von den Pfeilern sind auch schon einige aus der senkrechten Richtung bedeutend herausgekommen. Aber man benutzt sie doch noch, indem man einen unsicheren Boden aus schlecht gezimmertem Holze darauf gelegt hat. Nur mit Furcht kann man die Brücke benutzen, und dennoch ist sie der einzige Weg, der die Stadt mit dem Festlande verbindet.

Die Sage schreibt die Gründung der Festung Dschesireh den Genuesern zu, wie sie es bei fast allen Schlössern und festen Plätzen in Kleinasien thut; in Wirklichkeit sollen Festung und Mauern durch Omar den Abdulaziz, den achten Khalifen aus dem Hause der Ommiaden, gegründet worden sein;[2] heute sind nur noch die Ruinen davon vorhanden. Aber ihre Steinlagen, die aus schwarzem Basalt und weißem Kalkstein abwechseln, geben noch heute der Stadt ein merkwürdig zierliches und künstlerisches Aussehen.

Fürsten aus der Familie der Ommiaden zogen Nutzen aus der zunehmenden Schwäche der Khalifen und machten Dschesireh zu ihrer Hauptstadt.[3] Nach mancherlei Abwechselungen, nachdem sie von Timur eingenommen und ausgeplündert worden war, wurde sie der Zufluchtsort des kurdischen Emirs vom Bohtan.

Zwischen den Paschaliks von Diarbekr und von Mosul, deren Verbindungsweg es vollständig beherrschte, machte der Emir von Dschesireh der Hohen Pforte viel zu schaffen. Endlich war deren Geduld erschöpft und sie ergriff energische Maßregeln. Reschid Pascha bemächtigte sich der Stadt im Jahre 1836 und machte daraus einen Trümmerhaufen. Die heutige Stadt ist nur mehr ein großes Dorf, das auf und zwischen die Trümmer gebaut ist. Die Stadt zählt achthundert Häuser, darunter hundertzwanzig christliche.[4]

14. Dezember.

Am folgenden Morgen klärte sich der Himmel auf, und darauf hin befahlen wir, aufzubrechen. Aber die Karawane war um Mittag erst fertig, und da sah der Himmel schon wieder drohend aus.

Skizze der Lage von Dschesireh.

Wir mußten also von neuem den Tigris überschreiten. Der gewöhnliche Landungsplatz ist das steile Ufer unterhalb des Khanes; damit aber die durch das Regenwetter stark angeschwollenen Fluten die vorgeschichtliche Barke nicht weit über diese Stelle hinwegtragen, muß der Abfahrtspunkt weiter stromaufwärts verlegt werden (zum Punkte D). Das System ist schon sehr primitiv; aber es wäre nur halb so schlimm, wenn wir vom Hause des Bischofs in gerader Linie zu dem Orte der Einschiffung gehen könnten. Aber jetzt zeigte sich wieder so recht die türkische Wirtschaft.

Zwei Tage vorher war der Kanal, der Dschesireh umgiebt, noch beinahe ganz trocken, und man konnte ihn leicht durchwaten. Aber nun war er ganz mit Wasser angefüllt, so daß von einem Durchwaten desselben keine Rede mehr sein konnte. Da man große Mühe hatte, die einzige Barke der Stadt bis zu dem erwähnten Einschiffungsplatz zu schaffen, so blieb uns kein anderer Weg übrig, als die erwähnte baufällige Brücke zu überschreiten, dann den Kanal in einem weiten Umweg durch allen Schmutz zu umgehen, um auf diese Weise den „Quai der Einschiffung“ zu erreichen.

Während dieser Reise, die eine gute Stunde in Anspruch nahm, fing es wieder schrecklich zu regnen an, und dazu erhob sich ein heftiger Sturm. Unsere fünf Bootsleute erwarteten uns, indem sie halb erfroren waren; es mußte ihnen große Mühe gemacht haben, die Barke in dem teilweise gefrorenen Wasser bis dorthin zu lenken.

Aber jetzt standen wir vor einem neuen Hindernis. Die Karawane war zu groß, um in einem Male übergesetzt zu werden. „Wir können eure Pferde übersetzen oder auch euch mit dem Gepäck,“ sagten die Schiffer, „aber bei dem Stand des Flusses und dem schrecklichen Wind wird es uns nicht möglich sein, heute noch eine zweite Fahrt zu unternehmen.“ Die Leute hatten nur zu sehr die Wahrheit gesagt; der Sturm wurde noch stärker und das Tosen des Flusses schrecklich. Was war zu thun? Sollten wir das Gepäck über den Fluß schaffen lassen? Aber wenn der Fluß noch während der Nacht stieg, was sehr wahrscheinlich war, und dadurch für den anderen Tag jede Passage unmöglich machte, was sollten wir dann in dem halb zerfallenen Khan machen, da wir ohne Transportmittel, ohne die Pferde gewesen wären? Nach einer dreiviertelstündigen Beratung und dazu noch in dem heftigsten Regen entschieden wir uns schließlich für das Klügste, nämlich zurückzukehren. Dies war sehr weise von uns; denn während der Beratungen neben der Barke war der Fluß so sehr gestiegen, daß er uns beinahe eingeschlossen hätte. Dieses Hindernis war freilich leicht zu überwinden, aber man sieht daraus doch die Gewohnheiten des Tigris.

Wir traten also den Rückzug an; aber dieses Mal ersparte uns die Barke, die bis zum Kanal (B) gebracht worden war, den langen Umweg, den wir an demselben Tage hatten machen müssen. Die Bagage und Reitpferde, die wir unsern Leuten anvertraut hatten, machten die unangenehme Promenade allein. Huschanna ritt den Dschamusch und wollte eine Pfütze überspringen, aber Roß und Reiter verschwanden gänzlich in dem gelblichen Moraste. Die Pfütze ist ein tiefes Loch; beide aber zogen sich aus demselben ohne besondere Verletzungen. Huschanna trug meine Tasche mit meinen Papieren; aber das beste an der ganzen Affaire war doch das, daß kein Tropfen Wasser in die Tasche eingedrungen war. Aber eines meiner Barometer, das sich in der Halfter des Sattels befand – dasselbe, das in den Tandur in Akhlat gefallen war – ging dabei zu Grunde.

Wir kehrten also zu dem ausgezeichneten Bischof zurück, in Wirklichkeit ein Rückzug wie in Rußland 1813.

Man kündigte uns eine gute Nachricht an: Pater Galland war soeben nach Dschesireh zurückgekehrt; er war halb tot, da auch er in ein Schlammloch unterwegs gefallen war.[5]

15. und 16. Dezember.

Da saßen wir nun richtig in der Mausefalle! Auf dem rechten Ufer des Tigris konnten wir Mosul nicht erreichen, weil da alles Wüste ist, die in dieser Jahreszeit nicht bereist werden kann; es ist aber auch unmöglich, den Tigris zu passieren. Und selbst wenn uns dies noch gelänge, so hätten wir die schöne Aussicht, vier bis fünf Tage in dem von dem Regen aufgeweichten Boden im Schlamme zu waten. In dieser traurigen Lage ging uns plötzlich ein Licht auf: wir könnten ja Mosul auf einem Kellek erreichen. Dieser Vorschlag wurde auch sogleich adoptiert.

Ohne Zweifel stand uns kein Kellek erster Klasse zur Verfügung, denn die „Häfen“, von denen diese Fahrzeuge gewöhnlich auslaufen, sind Diarbekr in gewissen Zeiten und Mosul das ganze Jahr. In Dschesireh stellt man bloß Kelleks für Warentransporte her. Doch ließen wir uns davon nicht beeinflussen, sondern suchten die Sache in Gang zu bringen. Zunächst machten wir also Einkäufe zu einem Kellek von 162 Schläuchen.

Der Kellek ist ein Fahrzeug, das aus Schläuchen von Hammelfell zusammengesetzt ist, die mit Luft gefüllt sind. Diese Schläuche werden der Länge nach auf achtzehn anderen Schläuchen befestigt. Diese achtzehn Schläuche sind mit Stricken auf dünnen Stangen festgebunden, die wiederum rechtwinkelig auf fünf in der Längsrichtung befestigten Hölzern ruhen. Dieses ist der Boden des Kelleks, an dem sich kein einziger Nagel befindet; alles wird mit Stricken zusammengehalten oder noch besser mit Weidenschleifen. Auf diese durchsichtige Zimmererei muß nun ein Fußboden gelegt werden. Die Sache ist sehr leicht – man legt einfach eine Menge Holzknüttel neben einander; diese werden nicht befestigt, weil sie weggenommen werden müssen, damit man nach den Schläuchen sehen kann. Dieser Fußboden ist freilich sehr primitiv und bietet Veranlassung, etwas Gymnastik zu üben, wenn man sich hin- und herbewegen will, auch gestattet er, eine große Anzahl Fußbäder gratis zu nehmen.

Da die Schläuche ein unbedeutendes Gewicht haben und zugleich eine sehr große Menge Wasser verdrängen und das Fahrzeug sehr leicht ist, so hat es auch keinen bedeutenden Tiefgang, so daß man eine große Menge Waren auf einem Kellek unterbringen kann.

Nachdem der Kellek so weit fertig gestellt war, handelte es sich darum, für uns ein Obdach auf demselben herzurichten. Der Bischof strengte sich sehr dabei an, denn wir selbst hatten zu wenig Erfahrung in dieser Geschäftsbranche.

Unser Erstaunen wurde sehr groß, als wir unsere Wohnung entstehen sahen, aber nicht am Ufer des Flusses, sondern in dem Hofe des Bischofs. Es war dies ein wirkliches Häuschen; das Gerüst war aus leichtem Holze und die Wände aus dickem Filz hergestellt. Das Haus hatte eine Länge von vier Archinen[6] 12,75 Meter) und eine Breite von 3½, Archinen (2,40 Meter); die Höhe bis zum Dache betrug 1,80 Meter. Der Fußboden war aus Brettern von alten Kisten hergestellt; an der Seite des Häuschens hatte man sogar einen Anbau angebracht, einen geheimen[WS 1] Zufluchtsort, der direkt mit dem Wasser des Flusses in Verbindung stand.

Nachdem der Grund zu dem Häuschen und der Fußboden hergestellt waren, wurde das Ganze über die Mauern des bischöflichen Hofes gebracht, um die Fertigstellung auf dem nächsten Grundstück vorzunehmen.

Es war sehr interessant, die Zimmerleute bei ihrer Arbeit zu sehen. Die Faulheit oder das Verlangen, so bald als möglich ausruhen zu können, ließ sie mit einer wahren Wut arbeiten; sie schrieen, arbeiteten darauf los und beeilten sich sehr. Wer sie gesehen hätte, wäre sicher auf den Gedanken gekommen, diese Leute seien die thätigsten der ganzen Welt; aber aller Fleiß hatte nur den einen Zweck: sehr rasch Kief machen und eine Pfeife rauchen zu können.

Nachdem die Zimmerleute ihre Arbeit fertig hatten, kam ein armer Teufel, halbnackt und vor Kälte zitternd, und bedeckte alles mit dicken Teppichen aus kurdischem Filz, deren wir siebzehn notwendig hatten.

Als dieser mit seiner Arbeit fertig war, entließen wir unsere Katerdschis. Sie waren angeworben gegen täglichen Sold mit der Verpflichtung, uns bis Mosul zu geleiten. Natürlich begannen sie damit, den Sold für die noch nicht zurückgelegte Reise von Dschesireh nach Mosul zu fordern. Wir gingen darauf ein, stellten aber die Bedingung, daß sie dann nach Mosul kämen, um dort den Lohn in Empfang zu nehmen. Nachdem sie sich diese Sache überlegt hatten, zogen sie es aber vor, mit dem Solde bis Dschesireh zufrieden zu sein und so bald als möglich nach Wan zurückzukehren. In dieser Jahreszeit hatten sie keine Aussicht, auf der Rückreise eine Karawane begleiten zu können, wohl aber hatten sie, je länger sie zögerten, um so mehr den Schnee zu fürchten. Wir gaben ihnen noch ein gutes Backschich, und sie zogen befriedigt von dannen. Wir brauchten uns über sie wirklich nicht zu beklagen; wenn man sie für das nimmt, was sie in Wirklichkeit sind, nämlich für Briganten, so muß man sagen, daß sie uns wirklich gute Dienste geleistet haben.

Sahto sollte in Begleitung von Lazarus unsere Reitpferde nach Mosul führen, so bald die Wege brauchbar geworden sein würden.

Unterdessen war unsere Wohnung ganz fertig geworden und die Teppiche auf gehängt; jetzt handelte es sich darum, die Wohnung zu dem Kellek zu transportieren. Am 16. um 11 Uhr des Vormittags begannen wir mit diesem schwierigen Geschäfte.

Fünfzehn Hammals (Träger) übernahmen dieses Geschäft. Nach orientalischer Art begannen sie mit Schreien und Kommandieren, dann hoben sie langsam das Gebäude in die Höhe und legten es auf ihre Schultern. Man hätte glauben können, die berühmte Sänfte Richelieus sich bewegen zu sehen; aber es fehlte die allgemeine Ruhe. Hier war die ganze Einwohnerschaft unter heiterem Geplauder versammelt, und unsere Hammals marschierten unter faulen Witzen und allgemeiner Heiterkeit; es war ein wirkliches Fest für die Leute.

Wir kamen an eine schlimme Passage, nämlich an eine Straße, die zu beiden Seiten mit Häusern eingefaßt ist. Klatsch, stößt unser Haus an und zerstört ein Wetterdach an der rechten Seite! Zur allgemeinen Freude hebt es gleich darauf an der linken Seite der Straße die Ecke eines Daches fort. Die Leute schrieen wohl ein wenig, wagten aber keine ernstliche Reklamation. Endlich kamen wir zu der schlimmsten Stelle; der Weg führt, um an das Ufer zu kommen, durch eine Mauerbresche, die ziemlich eng ist. Das ganze Gebäude seufzte und krachte, ging aber doch hindurch. Endlich waren wir an dem Ufer. Ohne viele Umstände wurde das fertige Haus auf den Kellek gesetzt, und die Reise konnte losgehen.

17. Dezember. Abreise 1½ Uhr.

Rasch wurden Gepäck und Lebensmittel besorgt, und gleich nach ein Uhr konnten wir absegeln. Der Bischof begleitete uns bis Rubahi.

Durch die Strömung fortgerissen, näherte sich der Kellek rasch den Ruinen der großen Brücke, von der nur mehr ein vollständiger Bogen und ein Pfeiler sichtbar waren, zwischen denen die Trümmer eines andern Pfeilers, die unter dem Wasser verborgen waren, einen bedeutenden Strudel hervorriefen. Die Strömung selbst ist dort sehr stark und wechselt oft plötzlich die Richtung.

Der Feldmarschall Moltke litt im Jahre 1838, als er noch in türkischen Diensten war, hier Schiffbruch. Sein Kellek wurde durch den Strudel hinweggerissen und ganz von dem Wasser verschlungen.[7]

Franz Kirchheim, Mainz.       Lichtdruck von J. B. Obernetter, München.
Dschesireh-ibn-Omar.

Diese Erinnerung und der unordentliche Lauf, den unser Fahrzeug nahm,

waren nur zu gut geeignet, uns einen leichten Schauder zu verschaffen; der Kellekdschi – leider hatten wir nur einen, was sehr unklug von uns war – gebrauchte seine Ruder aus allen Kräften; pfeilschnell kamen wir an den Rand des Strudels. Aber anstatt uns anzuziehen, stieß er uns durch eine seitliche Bewegung sehr kräftig gegen den Bogen der Brücke. Die gefährliche Stelle lag glücklich hinter uns. Wir atmeten wieder auf, aber wir waren alle etwas bleich geworden.

Bettelnder Kurde.

Jetzt durften wir auch daran denken, einen Blick auf die Ruinen der Brücke zu werfen, von denen uns die Strömung nun rasch hinwegriß. Die Konstruktion der Brücke muß herrlich gewesen sein; die Steinlagen bestehen aus abwechselnden Schichten von schwarzem Basalt und weißem Kalkstein. Der noch vorhandene Bogen, der sehr schöne, kühne Formen aufweist, trägt in Basreliefs die Zeichen des Tierkreises. Die Erbauung der Brücke scheint zu den Zeiten der Fürsten aus dem Hause der Sassaniden geschehen zu sein.[8]

Die Entfernung zwischen dieser Brücke und Dschesireh legt den Gedanken nahe, daß die Brücke ursprünglich nicht für Dschesireh bestimmt war. Oppert nimmt an, daß sich an dieser Stelle Besabde oder die Doppelstadt befand, die in den Keilinschriften erwähnt wird.

Die Ufer des Tigris sind niedrig; jedoch stoßen an manchen Stellen die Hügel an den Fluß. Die zahlreichen Dörfer, die den Fluß begleiten, bieten höchst traurige Anblicke. Der Hunger, der den Bohtan verwüstete, hat auch hier gewütet, und zudem sind die Leute denselben Gewalttätigkeiten seitens der türkischen Verwaltung ausgesetzt, wie auch anderswo.

Um 4½ Uhr kamen wir in Rubahi an. Unser gastfreundlicher Bischof schied hier von uns, um seine Dörfer zu besuchen.

18. Dezember.

O Täuschung! Fast den ganzen Tag wehte ein heftiger Schneesturm von Südwesten her.

Es war unmöglich, weiter zu fahren; denn bei dem geringen Tiefgang des Kelleks und der großen Oberfläche unseres Hauses, die dem Winde auch eine breite Angriffsfläche bot, konnten wir nicht vorankommen. Zudem ließ sich der Kellek auch nicht lenken; die Ruder dienten nur dazu, um ihn in der richtigen Strömung zu halten und dem Winde ein Gegengewicht zu bieten, wenn er uns auf Sandbänke treiben sollte. Es blieb uns also nichts übrig, als den Kellek beizulegen und dies bei einer durchdringenden Kälte. Alle außergewöhnlichen Winterkleider, deren wir uns nicht einmal in Wan bedient hatten, wurden aus den Koffern geholt und schützten uns doch kaum vor der Kälte.

Unsere von Kälte durchdrungenen Leute hatten alle Energie verloren. Der zu Regen gewordene Schnee begann durch den Filz zu sickern. Es würde genügen, um uns alle vor dem Wasser zu schützen, wenn wir unsere beiden großen undurchdringlichen Reisedecken auf unserm Hause ausbreiteten. Als wir aber an das Werk gehen wollten, war es unmöglich, unsere Leute von der Stelle zu bringen. Wir konnten ihnen noch so klar machen, um was es sich handelte, alles war vergebens; sie waren eben so große Fatalisten wie die eifrigsten Mohammedaner. Es war nach ihrer Ansicht beschlossen, daß wir durchnaß werden sollten; weshalb sollte man dies zu umgehen suchen? Hyvernat und ich waren also gezwungen bei einer Kälte, die uns die Finger erstarren machte, unsere Reisedecken, so gut es eben ging, auf dem Hause auszubreiten; aber nun drohte der Wind, sie zu entführen. Wir mußten sie auch noch an den Filz befestigen – das Geschäft war für Anfänger schwierig, so daß unsere Finger zu bluten anfingen; aber wir waren wenigstens vor dem Regen geschützt.

Ein armer Kurde kam zitternd vor Fieber bei diesem schrecklichen Wetter von einem benachbarten Dorfe, um uns aufzusuchen; er litt schrecklich, wahrscheinlich an einer Rückenmarkskrankheit. Er hatte Sahto getroffen, und dieser hatte ihm erzählt, daß wir ihn wunderbar von einem ähnlichen Leiden geheilt hätten – er hatte nämlich einen Fluß, wofür wir ihm ein Senfpflaster gaben. Auf diese Erzählung hin machte sich der arme Kurde auf den Weg in dem festen Vertrauen, bei uns Heilung zu finden. Wir waren gezwungen, unserm Rufe als Arzte Ehre zu erweisen; denn wenn wir uns unfähig erklärt hätten, so hätte der Kurde gemeint, es mangele uns an gutem Willen, und dies hätte ihn tief betrübt. Wir entdecken also an unserm Patienten irgend eine Krankheit, fügen aber hinzu, daß dieselbe langwierig und schwer zu heilen sei, und daß wir ihm wegen der großen Gefahr, die damit verbunden sei, die Mittel nicht anvertrauen könnten. Wir gaben ihm etwas Chinin, das vielleicht sein Fieber etwas vertrieb. Ohne Zweifel ist der arme Kerl aber nicht mehr lange gelaufen.

Andern Tages sollten wir, wenn es dem Winde gefiel, in eine gemischte Gegend kommen, wo arabische Nomaden, Kurden und Chaldäer zusammenstoßen: es ist dies eigentlich nicht mehr Kurdistan. während der Sturm nun tobt, wollen wir noch einiges über die gefürchteten Kurden hören.

In Wirklichkeit ist es mir nicht gelungen, viele Nachrichten über die Kurden zu erhalten. Armenier oder Chaldäer haben mit den Europäern hinsichtlich der Religion manche Berührungspunkte; Missionare und Reisende haben sie in der Nähe studiert. Viele von ihnen sprechen die eine oder andere europäische Sprache, so daß es leicht ist, sie näher kennen zu lernen.

Der Kurde ist das Gegenteil davon, nämlich ein verschlossenes Wesen; als Brigant gehört er nicht zu den Leuten, die man gerne besucht. Er selbst liebt es nicht, in Beziehung zu Fremden zu treten, um stets freie Hand zu haben.

Von dem Ursprung der Kurden kann ich nicht sprechen, da die Meinungen darüber sehr geteilt sind. Ich glaube zwar, daß man die Kurden kühn als ein Mischvolk aus verschiedenen Rassen betrachten kann.

Vor allem ist der Kurde Straßenräuber; infolgedessen besitzt er auch alle Eigenschaften und Mängel, die dieses Handwerk mit sich bringt. Solange nicht ein Reisender offizieller Gast der Kurden ist, bleibt er in den Augen des Kurden ein verdächtiges Wesen, eine gute Beute zum Ergreifen, und in diesem Falle macht sich der Kurde nichts daraus, Täuschung anzuwenden und seinen Meineid durch doppelsinnige Erklärungen zu beschönigen. Ist er aber einmal als Bundesgenosse gewonnen, so ist der Reisende in dem ganzen Gebiete des betreffenden Stammes in Sicherheit. Aber die menschliche Natur ist zuweilen schwach; die Gesetze der Gastfreundschaft sind dem Kurden nur in dem Gebiete seines Stammes heilig, und man hat Beispiele zu verzeichnen, daß ein Kurde einen Abstecher in ein benachbartes Gebiet machte, um daselbst den auszuplündern, den er Tags vorher unter seinem Dache beherbergt hatte.

Der Kurde ist Mohammedaner, zeigt aber für seine Religion wenig Eifer.

Der Rang, den die Frau in der kurdischen Familie einnimmt, ist ein Zeugnis, das sehr zu Gunsten dieser Rasse spricht; es beweist nämlich, daß der Islam es noch nicht vermocht hat, einen gewissen Fonds von Anstand und moralischer Reinheit zu vernichten.

In physischer Einsicht sind die Kurden schön gebaut; sie haben regelmäßige Züge, zuweilen sogar ein beinahe griechisches Profil. Gewöhnlich tragen sie Schnurrbärte, bloß die alten Leute lassen den ganzen Bart stehen. Ihre Kleidung ist sehr einfach; sie braucht nicht eingehend beschrieben zu werden, denn die Illustrationen in diesem Werke zeigen dieselbe zur Genüge. Ehemals waren ihre Angriffswaffen Bogen, Wurfspieß, Lanze und Keulen; heute haben sie noch die Lanze beibehalten und den kleinen runden Schild aus Büffel, oder Elefantenfell; der Bogen ist ersetzt worden durch ausgezeichnete Flinten, oft durch ganz moderne Karabiner, die freilich alle eingeschmuggelt worden sind. Die Hirten tragen noch die Keule, die in ihren Händen eine gefürchtete Waffe ist. Von dem Dolche braucht man nicht zu sprechen, da er von dem Kurden unzertrennlich ist.

Die Reisenden, welche die Kurden ganz in der Nähe studiert haben, teilen dieselben in zwei Kategorien: Assireten und Guranen. Die ersteren bilden die Kriegerkaste, sind rauh von Sitten und Gebräuchen. Die Guranen sind friedlicher, treiben gewöhnlich Ackerbau und bilden in jedem Stamm einen untergeordneten Klan unter der Herrschaft der Kriegerkaste. Wir sind nicht lange genug bei dieser Völkerschaft gewesen, um ein Urteil über die Richtigkeit dieser Einteilung abgeben zu können.

In geographischer Hinsicht hat die Herrschaft der Kurden keine bestimmten Grenzen, was nur eine natürliche Folge des halb-nomadischen Charakters der meisten Stämme ist; überall vermischt sich das Kurdische mit der Eigentümlichkeit seßhafter Stämme. Die wirkliche Mitte ihres Gebietes findet sich indes auf dem Plateau von Wan; aber ihr Gebiet, das sie durchstreifen, ist ungeheuer. Die Gegend, die sie ohne Auflösung des Zusammenhanges einnehmen, reicht von Hamadan bis Aintab und ist wenigstens tausend Kilometer lang und zweihundertfünfzig Kilometer breit.

In den Thälern, wo sie in kompakten Stämmen zusammenwohnen, besonders in dem Becken des großen Zab, bilden sie eine ziemlich mächtige Nation, die den Ehrgeiz besitzt, einen besonderen Staat zu bilden.[9] Aber ihre Einteilung in Klane, ihre abenteuerlichen Gewohnheiten, selbst die Gestaltung ihres Terrains widersetzen sich der Bildung einer wirklich kurdischen Nation. Jeder Stamm ist eifersüchtig auf seinen Nachbar, und wenn ein etwas mächtiger Klan einen gewissen Einfluß auf einige andere Klane ausübt, ist dieses Bündnis doch immer sehr unsicher, es entsteht und löst sich wieder auf durch Bürgerkriege. Auch die gänzliche Ohnmacht der türkischen Regierung erklärt sich nur durch die bedeutende Unabhängigkeit, deren sich heute noch eine große Zahl dieser Stämme erfreut.

Die Einteilung der kurdischen Stämme ist sehr unsicher, selbst die Namen der einzelnen Stämme sind nicht immer mit Bestimmtheit anzugeben; es genügt oft, daß ein Chef sich einen besondern Beinamen zulegt, damit sein Name auf den Stamm übergeht, wodurch dann große Konfusionen entstehen. Missionare, die sich lange Zeit in jenen Gegenden aufgehalten haben, haben eine Einteilung versucht.

Pater Garzoni teilte die Kurden in fünf große Zweige:

  1. Kurden von Bitlis (Bitlisi);
  2. Kurden von Dschesireh (Bohtan);
  3. Kurden von Ahmadiah (Bahdinan);
  4. Kurden von Dschulamerik (Schamto, Hakkiari);
  5. Kurden von Karak’olan (Suleimanieh, Sorân).[10]

Die militärischen Expeditionen der Türken nach Kurdistan von 1820 bis 1840 scheinen die Macht der Kurden so weit gebrochen zu haben, daß sie keine Überfälle mehr wagen; aber innerhalb der Grenzen des Gebietes, die oben erwähnt worden sind, entstehen doch noch kleinere Kämpfe und Raubzüge gleichsam unter den Augen des Sultans. Die Türkei hat die Unterwerfung der Kurden bloß begonnen, aber sie besitzt die Energie nicht, die Unterwerfung zu vollenden.

19. Dezember. Abreise 6½ Uhr.

Das Wetter hatte sich während der Nacht beruhigt, und durch die Unterstützung eines frischen Nordostwindes konnten wir mit Tagesanbruch die Anker lichten. Die Sonnenstrahlen glänzten in herrlicher Weise regenbogenartig auf den schneeigen Gipfeln des Dschudi-Dagh. Diese den Europäern beinahe ganz unbekannten Gebirge werden von den Leuten der dortigen Gegend sehr verehrt, die hierher die biblischen Erinnerungen der Sündflut verlegen; eine Spitze des Gebirges, der Nisir, macht sogar dem Ararat Konkurrenz.

Zwei Stunden später, nachdem wir Rubahi verlassen hatten, kamen wir an die Mündung des Khabur in den Tigris. Durch diesen bedeutenden Fluß sehr vergrößert, wird der Tigris großartig. Er erreicht in jener Gegend die Breite des Rhône bei Lyon, aber auch dessen Ungestüm.

Feischabur, wo wir gegen neun Uhr des Abends ankamen, ist auf eine hohe Felsenklippe von verwittertem Gestein erbaut, auf einen der letzten Ausläufer des Sakho-Dagh. Das Dorf liegt malerisch über dem Flusse, und ein zierlicher Wasserfall trägt zur Belebung des Panoramas viel bei.

Wir hielten einige Augenblicke an, um Eier einzukaufen; man versprach uns Eier, aber niemand war zu sehen, der sie uns brachte. Schließlich verloren wir die Geduld und fuhren weiter. Kaum hatte sich der Kellek in Bewegung gesetzt, als ein Bengel aus allen Kräften gelaufen kam, der die Eier brachte. Der Kellekdschi hielt sich nahe an dem felsigen Ufer, da er dort eine Stelle zu finden hoffte, wo er anlegen konnte, um die Lebensmittel in Empfang zu nehmen. Es gelang ihm aber nicht, und was noch schlimmer war, er bemerkte zu spät, daß die Strömung stärker wurde und uns geradenwegs zu großen Stromschnellen trug. Das Fahrwasser befindet sich ungefähr an dem andern Ufer des Flusses. Es mußte um jeden Preis dorthin gerudert werden, wenn wir nicht in Stücke gehen sollten. Der Kellekdschi ruderte aus allen Kräften; noch ungefähr zehn Meter und wir hatten das Fahrwasser erreicht, als plötzlich der Kellek durch eine Welle hinweggerissen wurde. Sie trug uns rechts auf einen spitzen Felsen, hob noch den Vorderteil unseres Fahrzeuges in die Höhe und wurde dann schwächer. Einige Schläuche borsten mit großem Geräusch, das ganze Fahrzeug knirschte, wir waren auf den Felsen gespießt. zum Glück für uns; denn wenn unsere tolle Fahrt noch länger gedauert hätte, so wären sämtliche Schläuche geplatzt, und wir hätten jämmerlich Schiffbruch gelitten.

Die Lage war für uns nicht angenehm. Wir mußten zunächst den Kellek flott machen und dann das Fahrwasser zu erreichen suchen, indem wir zwischen zwei Felsen hindurchfuhren. Da wir die anfängliche Schnelligkeit nicht mehr hatten, konnte dies gelingen.

Der Fährmann stellte sich ins Wasser und hob mit vieler Mühe den Hinterteil des Kellek in die Höhe; wir stießen ab, wobei wieder einige Schläuche platzten; der Kellekdschi gab der Fähre noch einen kräftigen Stoß von der Seite und sprang dann zu seinen Rudern. wie ein Strahl kamen wir zwischen den Felsen hindurch. Die Stromschnelle trieb uns in das richtige Fahrwasser, wir waren gerettet. Gott sei Dank! alles war vorübergegangen, aber die Viertelstunde war doch höchst unangenehm.

Gegu, der auf dem Lande keine Furcht kennt, hatte hier aber jede Spur von Beherztheit eingebüßt und zitterte wie Espenlaub. Unser armes Haus beunruhigte mich sehr, denn bei jeder Schwierigkeit, die entstand, krachte es schrecklich; es ist dies ein Fall, in die Elastizität der Materie Vertrauen zu setzen.

Im ganzen waren zwanzig Schläuche geplatzt, die jedoch von dem Kellekdschi sehr schnell repariert wurden; er besitzt ein unglaubliches Talent, dieselben in einem Augenblick zu füllen.

Der Karatschok-Dagh, der dem Tigris parallel läuft, ist nur eine unbedeutende Gebirgskette; aber der Sturm vom vorigen Tage hatte ihn wie auch den Sakho-Dagh mit Schnee bedeckt.

Die Ufer des Flusses sind bald steile, erdige Anhöhen von zwei bis drei Meter Erhebung, bald Kiesbänke; die Tiefe scheint außerordentlich verschieden. Durch den geringen Tiefgang unseres Kelleks konnten wir überall hinkommen (er ging kaum zwanzig Centimeter tief).

Gegen Mittag fuhren wir ziemlich rasch durch sehr schöne Schluchten zwischen Felsklippen aus Kalkstein hindurch, deren Schichten vollständig horizontal liegen.

Ankunft 4 Uhr 50 Minuten.

Unsere Reise endigte an diesem Tage bereits um viereinhalb Uhr; der Kellekdschi fand ein angenehmes Gestade zum Anlegen, und er behauptete, etwas weiter biete sich kaum mehr eine Stelle zum Halten. Wir benutzten die letzten Stunden des Tages, um einen kleinen Spaziergang auf dem Boden von Mesopotamien zu machen; er ist hier mit Rohr und Tamarisken bedeckt. Wir entdeckten ein arabisches Lager; die arabischen Nomaden waren ohne Zweifel durch unser Schießen nach den Feldhühnern und Lerchen erschreckt worden. Wir mußten die kommende Nacht etwas auf unserer Hut sein.

Arabisches Zelt.

Unser Zabtieh – es war vielleicht noch eine Nachwirkung der Szene von Feischabur – hatte am Abend einen starken Fieberanfall.

20. Dezember. Abfahrt 6 Uhr 30 Minuten.

Der Mondenschein war sehr schön, aber so eisig war auch die Nacht; das Wasser in den Schläuchen war gefroren; eine dicke Schicht Rauhfrost bedeckte Zelt und Koffer; auch das Wasser in den Krügen war gefroren.

Wir konnten erst nach Tagesanbruch fahren, wo die Sonne unsere gefrorenen Schläuche auftaute, denn der Kellekdschi erklärte, daß gefrorene Schläuche einigermaßen starken Wellen keinen Widerstand entgegensetzen könnten.

Während des ganzen Tages sollten wir den Butma-Dagh umfahren; der oft so majestätisch dahinrauschende Tigris macht eine Menge Biegungen, die sich auf der Karte nicht einmal andeuten lassen. Bald nähert er sich ganz merklich dem Sakho-Dagh; übrigens sind auf dem Ufer Mesopotamiens die Hügel höher. Eine große Anzahl von Dörfern liegt an den Ufern ; aber es war uns nicht möglich, ihre Namen festzustellen, wie es auch schwer fällt, sich zu orientieren. Bei den Namen der Berge war der Kellekdschi, der bloß kurdisch verstand, stets im Widerspruch mit der Karte. Bald engen der Butma-Dagh und die Ausläufer des Sanho-Dagh den Fluß sehr ein und bilden (gegen drei Uhr) herrliche Schluchten, woselbst auch die Strömung stark ist.

Wir kamen immer mehr aus den kurdischen Regionen heraus, denn der Kellekdschi nannte uns bald schon eine Menge arabischer Dörfer auf dem linken Ufer.

Eski-Mosul.

Nach vier Uhr durchfuhren wir sehr starke Stromschnellen grade an dem Fuße einer Felsenklippe, auf der zwei Dörfer stehen (auf dem rechten Ufer) und fuhren dann eine halbe Stunde durch die Schluchten des Butma-Dagh. Der Fluß muß hier eine ungeheure Tiefe haben, da er sehr eingeengt und von einer Strömung kaum etwas wahrzunehmen ist. Der Kellek lief hier auf einer Sandbank auf. In dieser Einsamkeit hört man kein Geräusch und keine Störung, so daß der Abend in dieser Stille wirklich zauberhaft war. Das Mondlicht, das von dem ruhigen Wasserspiegel zurückstrahlte, zerteilte auf den hohen Felsklippen große Schatten und fremden Lichterschein. Über unsern Häuptern zeigte der Himmel von Mesopotamien eine wunderbare Durchsichtigkeit.

21. Dezember. Abreise 5½ Uhr.

Ungeachtet eines leichten Nebels setzten wir uns doch schon gegen 5½ Uhr in Bewegung. Gegen acht Uhr kamen wir an Eski-Mosul vorbei, wovon aber nur mehr ein festes Schloß auf einem Hügel erhalten ist. Die Strömung war sehr stark, so daß an ein Halten hier nicht gedacht werden konnte.

Ein wenig später bemerkten wir sechs mit Waren beladene Kelleks. Diese kamen von Dschesireh und hatten einen guten Vorsprung vor uns. Unser Kellekdschi, der etwas ehrgeizig war, suchte ihnen zuvorzukommen; aber die Wirkung seiner Ruderschläge war sehr schwach, so daß er nach einer dreistündigen, angestrengten Thätigkeit erst an die Spitze der sechs andern Kelleks kommen konnte.

Ein wenig stromabwärts werden die Hügel immer niedriger und laufen in langen, wellenförmigen Erhebungen aus.

Endlich gegen zwei Uhr bemerkten wir ein ruiniertes Schloß, und ein wenig weiter hob sich ein Minaret in die Luft: es ist Mosul. Wir waren am Ende unserer ersten Kellekfahrt, die zwar manche Unannehmlichkeiten für uns hatte, aus denen wir uns aber stets glücklich gezogen hatten.

Es würde wenig Kosten verursachen, um die Kellekfahrten zwischen Dschesireh und Mosul ganz gefahrlos zu machen, aber es ist eben in der Türkei.

Mosul präsentiert sich dem Reisenden ganz stolz. In der Höhe der Stadt erhebt sich das Ufer des Flusses ganz steil und bildet eine hohe Terrasse, die mit Wällen und großen zerfallenen Bauten gekrönt ist. Diese Terrasse bildet den äußersten Punkt der Stadt nach Norden zu. Von hier aus laufen dem Fluß entlang ebenfalls zerfallene Wälle. Der Kellek legte an einem der Thore an, nicht weit von einer großen, steinernen Brücke, die, wie es mir schien, auf festem Lande errichtet ist.

Der Fußgänger ist im Oriente wenig geachtet; darum war es für uns keine geringe Mühe, uns einen Weg durch die Menge zu bahnen, die sich zu den Zugängen der Brücke und in die engen Kreuzwege des Bazars drängte. Endlich kamen wir an der Dominikaner-Mission an, wo wir schon angekündigt waren.

Armenisches Grabkreuz.


  1. Nach den Angaben des Bischofs zählt die chaldäische Diözese Dschesireh nur 4555 Katholiken nach chaldäischem Ritus. In geographischer Hinsicht bildet die Diözese ein unregelmäßiges Trapez, dessen kleinere Grundlinie an den Tigris stößt (Fenndück im Norden gehört schon zu Saïrd; Nahrawan bildet die Südgrenze), und das dann immer breiter wird bis zu den Bergen des Hakkiari. Baschkala hängt auch von Dschesireh ab.
  2. Barb, nach Scheref, Phil. hist. Klasse der Kaiserl. Akad. der Wiss. Wien 1859. Januarheft S. 30.
  3. Barb, 33 Kurdendynastien S. 9.
  4. Davon sind 55 chaldäisch, 15 syrisch, 40 jakobitisch und 10 armenisch-gregorianisch.
  5. Pater Galland hat besonders den Distrikt von Medeat zu besorgen; auf einer Reise von Medeat nach Dschesireh wurde er am 17. Juni 1890 von den Kurden ausgeplündert. (Missions cath. 1890, 134.)
  6. Eine türkische Archine ist gleich 0.685 Meter. Siehe etwas weiter (Kapitel XXIII) die Zeichnung des vollkommenen Kelleks, auf dem wir die Reise von Mosul nach Baghdad zurücklegten.
  7. Moltke, Briefe über die Türkei S. 237.
  8. So sagte mir auch Siousi, der französische Konsul in Mosul. Vergleiche auch Oppert, Expédition I. 64 und Atlas, dritte Lieferung.
  9. Kurdische Bevölkerung (annähernd):
    türkisch Kurdistan und Klein-Asien: 1300000
    Persien: 500000
    Afghanistan und Beludschistan: 5000
    russisches Transkaukasien: 13000
    ---
    1818000

    (E. Reclus, Geogr., IX. 342).
  10. Ritters Erdkunde IX. 630.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gegeheimen