Ueber die Industrie im Allgemeinen und die sächsische ins Besondere

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Titel: Ueber die Industrie im Allgemeinen und die sächsische ins Besondere
Untertitel:
aus: Album der Sächsischen Industrie Band 1, in: Album der Sächsischen Industrie. Band 1, Seite 1–3
Herausgeber: Louis Oeser
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Louis Oeser
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Erscheinungsort: Neusalza
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Quelle: Commons und SLUB Dresden
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[1]
Ueber die Industrie im Allgemeinen und die sächsische ins Besondere.




Die Industrie ist die Königin der Welt, die mit einer unwiderstehbaren Allgewalt, wenn auch langsam und nach und nach, aber dafür um so sicherer und fester den ganzen Erdkreis unter ihren Scepter beugt. Sie regt alle geistigen Kräfte auf, weckt den schlummernden Funken und facht ihn an zu einem Weltbrande, der nicht etwa das Bestehende zerstört und vernichtet, sondern – vielmehr dem Phönix gleich, der sich in die Flammen stürzt, um daraus neugeboren, geläutert und in größerer Reinheit hervorzugehen und mit kühnem Fluge sich zum Himmel empor zu schwingen – um das Höchste und Großartigste zu erschaffen, das schon Bestehende zu vervollkommnen und zur möglichst größten Vollendung auszubilden.

Hiervon geben die Eisenbahnen, Dampfschiffe, Kanäle und elektrischen Telegraphen – alles Schöpfungen und Erfindungen der Industrie und die beredtesten Wunderwerke und Zeugnisse der Größe des menschlichen Geistes – den besten und eindringlichsten Beweis. Durch sie rückt sie die entferntesten Nationen einander näher und zieht sie alle in den Kreis der Cultur und Weltbildung, welche stets und in allen Zeiten – trotzdem, daß es den Anschein hat, als ob nur allein der höchste Materialismus ihr alleiniger Zweck sei – auch vornehmlich ihr Gefolge gebildet haben, wie die Geschichte lehrt.

Vor ihr verschwindet jede Entfernung, jedes Hinderniß und Hemmniß muß am Ende weichen; sie durchsticht Landengen und Gebirge, gräbt Canäle und weist Flüssen und Strömen andere Bahnen an, sie baut Eisenbahnen und Dampfschiffe, errichtet elektrische Telegraphen, und auf diese Weise, indem sie jede menschliche und Natur-Kraft ihren Zwecken und Bestrebungen dienstbar macht, umarmt sie gleichsam mit ihren beschwingten Sendboten die ganze Erde. Die Thatsachen für die Macht der Industrie sind unleugbar; vor ihr ist die Zerstückelung Deutschland’s verschwunden, sie kennt keine getrennten deutschen Länder, sondern nur deutsche Provinzen, und befestigt mit jedem Tage immer mehr das Band, welches 40 Millionen Deutsche umschlingt. – In Indien hat sie sich eine der großartigsten Schöpfungen gegründet, wie die Weltgeschichte keine ähnliche kennt; die britischen Colonien daselbst, ein Reich, größer als das Alexanders des Großen, sind das Resultat und die Eroberung einer einfachen Handelscompagnie.

Deshalb hat auch die Industrie nicht mehr nöthig, ihre Anerkennung als eine der ersten Mächte der Erde zu verlangen, da sie dies ja in der That schon ist; sie ist, wie ein großer Staatsmann sagt, eine Großmacht in Europa geworden und greift nach der Herrschaft über die Welt. Ihre Riesenschritte sind unaufhaltbar, und sind gleich große und gleich sichere Anbahnungen zu ähnlichen Schritten im Gebiete des Geistes, unerläßliche Grundlagen, auf denen die Vorsehung den höheren Ausbau errichtet.

Aber dieser hohe Preis, den die Industrie am Ziele bietet, will im Schweiße des Angesichts verdient sein, er ist nicht ein Preis der Unthätigkeit, sondern der Anstrengung, des Kämpfens und Ringens. Hier ist kein Stillstand möglich, es gilt einen unaufhörlichen Kampf, der ewig lebendig bleibt, einen Kampf, der alle Kräfte bewegt, alle Kräfte der Gesellschaft herbeizieht und doch kein Schlachtfeld röthet. Durch alle Länder gehet dadurch eine Gährung oder Bewegung, die keine zerstörende Revolution, sondern neue Kräftigung und Sicherung alles Bestehenden, die nicht zerstören, sondern aufbauen und erhalten, nur Glück und Segen verbreiten will.

[2] Auf die Industrie mit allen ihren Zweigen und Branchen läßt sich am wahrsten der Ausspruch Schiller’s, mit dem er die Künste schildert, anwenden:

Wir kommen von fernher,
Wir wandern und schreiten
Von Völkern zu Völkern,
Von Zeiten zu Zeiten,
Wir suchen auf Erden ein bleibendes Haus;
Um ewig zu wohnen
Auf ruhigen Thronen,
In schaffender Stille,
In wirkender Fülle,
Wir wandern und suchen und finden’s nicht aus.




Werfen wir nach diesen allgemeinen Betrachtungen nun den Blick insbesondere auf unser Vaterland Sachsen, so werden wir finden, daß Sachsen nicht nur blühend in Kunst und Wissenschaft, sondern auch hauptsächlich unermüdlich betriebsam ist und seine Industrie kühn wetteifert mit allen ihren Rivalinnen. Sächsische Gewerbs-Produkte und Erzeugnisse finden sich auf allen Weltmärkten, auf allen Industrie-Ausstellungen, und da überall unter denen, welche mit den vorzüglichsten Preisen gekrönt wurden. Sachsens Name hat in industrieller Hinsicht überall einen sehr guten Klang, und es giebt in der ganzen Welt kein anderes Land, welches bei einem so geringen Flächenraum eine solche Betriebsamkeit, solche Vielseitigkeit, solche Gewerbsthätigkeit entwickelt; es heißt daher mit Recht von unserm Sachsen in jenem Vaterlandsliede:

In Wissenschaft und Kunst so reich,
Ist es an Fleiß der Biene gleich,
Denn was es schafft mit seiner Hand,
Geht weithin über Meer und Land!

Kann sich der sächsische Gewerbfleiß – seiner Natur und seinen Verhältnissen nach – auch nicht gänzlich zur exotischen Riesenmäßigkeit englischer Fabrikthätigkeit emporschwingen, so spricht er dafür um so mehr durch eine naturgemäße Entfaltung an und bietet bei näherer Betrachtung nicht minder interessante Gesichtspunkte; denn er wetteifert kühn und mit unverkennbarem Glück mit allen seinen Rivalen und kann sich dreist jedem derselben an die Seite stellen; ja viele übertrifft er schon längst, oder steht dies binnen Kurzem in Aussicht; durch andere wird er wenigstens nicht verdunkelt, in einzelnen Fällen sogar, wie z. B. in der Damastweberei, steht er einzig und unübertroffen da. Kein Zweig bleibt ganz unversucht und unvertreten, kein Feld, und wäre es ein noch so fremdes, ganz unbebaut, und so gleicht unsere vaterländische Industrie einer großen Musterkarte, wozu alle Gewerbszweige ihre Muster und Proben geliefert haben.

Aber dafür ist auch die sächsische Industrie nicht erst ein Kind der neuen Zeit, nicht erst hervorgerufen durch das ruh- und rastlose, fieberhaft erregte, krankhafte, hastige Streben der Gegenwart, Alles zu erfassen, Alles umzustürzen, und in Allem – wenn auch nur dem äußeren Scheine nach – zu glänzen, sondern vielmehr ist, wie ein berühmter industrieller Schriftsteller sagt, alt und tief das Gepräge der sächsischen Industrie, aber frisch und lebendig der Ausdruck dieses Gepräges; es findet weit umher seine Geltung.

Es konnte dies aber nur dadurch geschehen, daß die sächsische Industrie jederzeit rüstig fortgestrebt zu immer größerer Vervollkommnung und künstlerischer Ausbildung und Betreibung aller ihrer Zweige; denn nur indem der Geist hierbei rastlos thätig ist, die vorgefundenen Kenntnisse und Fertigkeiten bis zur höchsten Kunst zu steigern, ist es allein möglich, die Industrie zu dem emporzuheben, was sie sein soll: die Beherrscherin [3] und Beglückerin der Menschen; und eine ächte, wahre Industrie, betrieben mit möglichster künstlerischer Vollendung, bedingt und erzeugt nur Volkswohlstand. Mit voller Wahrheit läßt sich hier unsers trefflichen Schillers Wort, etwas variirt, anwenden:

Im Fleiße kann Dich die Maschine meistern,
In richt’ger Arbeit selbst ein Rad Dein Vorbild sein,
Dein Wissen theilest Du mit theoret’schen Geistern,
Die Kraft hast Du mit Dampf gemein:
Die Kunst, o Mensch, hast Du allein!

Durchwandert man im Geiste die lange Reihe der bei uns blühenden Gewerbszweige, so drängt sich unwillkürlich die Erscheinung der merkwürdigsten Vielseitigkeit der sächsischen Industrie auf. Welche Fülle von Arbeitsfächern in dem kleinen Lande! Hier finden wir, um nur beispielsweise Einiges anzuführen: den uralten, in neuester Zeit wiederum in neuer, verjüngter und erhöhter Blüthe prangenden Bergbau mit allen seinen Branchen, die Porzellanfabrikation, die Maschinen-Bau-Fabriken, Papiermanufacturen, Steingut- und Thonwaaren-Fabriken, die Tuchfabrikation, die Kunst- und Maschinenweberei (Baumwollenweberei vom luftigen Bobbinet an bis zum stärksten Piqué, vom ordinärsten Mousselin bis zum feinsten Mull; die Leinen- und Damast-, Seiden- und Schaafwollenweberei), verbunden mit der ihnen verwandten Spinnerei, Bleicherei, Färberei und Appretur; Zeug- und Kattundruckereien; Band- und Posamentierwaarenfabrikation, Spitzen-, Nähwaaren- und Teppich-, Wachstuch- und Leder-, Holzwaaren- und Strohwaaren-, Tabak- und Zucker-Fabrikation; die Metall-Fabrikation (Eisen-Fabrikation, Stahl-Fabriken, Draht- und Messingwerke, Kupferhämmer, Gold- und Silberspinnereien u.s.w.); Fabriken für chemische Präparate (z. B. Oleum, Salzsäure, Bleiweiß etc.), Instrumenten-Fabrikation, Pulver-Fabriken, sowie auch Parfümerie-, Chocoladen-, Cichorien- und Essig-Fabriken, Bijouteriewaaren-, Wand- und Stutzuhren-, Glas- und Papiermaché-Waaren- und Tapeten-Fabriken, und sogar Fabriken für künstliche Locken, Blumen, Puppenköpfe und – moussirende Weine (Champagner-Fabrik); ferner noch eine große Anzahl anderer Industriezweige, welche alle hier mit zu erwähnen, für unsere Einleitung zu weitläufig werden dürfte!

Welche großartige und vielseitige Betriebsamkeit, von dem Kühnsten und Höchsten bis zum Kleinsten und Unbedeutsamsten, thut sich uns hieraus kund! Wahrlich, Sachsens Gewerbfleiß gleicht einem vielverzweigten Baum, dessen Wurzeln sich weithinein in’s Land verbreiten. Wird auch im Laufe der Zeit eine derselben als morsch und unbrauchbar, oder überwuchert und überflügelt von andern, abgehauen: der Stamm grünt fort, treibt neue Keime und setzt neue Blüthen an!

Diese Zuversicht wird und muß unsere Industriellen trösten, wenn auch – was nie ganz ausbleibt – bisweilen Zeiten des Druckes kommen, denn ebenso wenig als ein Winter ewig dauern kann, ebenso gewiß kommt dann stets wieder für sie ein Frühling mit seinem neuen Aufblühen und ein Sommer und Herbst mit ihren Blumen, Früchten und Ernten!

Und so schließen wir diese einleitende Abhandlung mit dem herzlichen Wunsche in Bezug auf unsere herrlich blühende sächsische Industrie:

Mit der duft’gen Blüthe paare
Prangend sich die gold’ne Frucht,
Stehe in dem Sturm der Jahre,
Daure in der Zeiten Flucht!