St. Ottilien (Badisches Sagen-Buch)

Textdaten
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Autor: August Schnezler
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Titel: St. Ottilien
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 394–395
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons und Google
Kurzbeschreibung:
siehe auch St. Ottilien bei Freiburg
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St. Ottilien

In eurem Schatten ist mir wieder leicht,
Ihr meiner Kindheit schon vertrauten Bäume!
Frisch leb’ ich auf und manche Sorge weicht,
Betret’ ich wieder diese stillen Räume;

5
Ich sitze wieder auf der alten Bank,

Vor mir die Schale Milch zum Morgentrank,
Und meinem innern Blick vorüber gleiten
Des träumerischen Knaben schönste Zeiten.

Das Glöcklein läutet aus der Waldkapell’

10
Zum Himmelsfrieden aus dem Weltgewühle,

Und nieder steig’ ich zu dem Wunderquell
In des umgitterten Gewölbes Kühle;
Da wird die alte Zeit mir offenbar,
Ich wasche mir die Augen wieder klar,

15
Zurückversetzt bin ich in ferne Tage,

Lebendig wird mir dieser Berge Sage.

Fort ist jedwede Spur von Menschenhand;
Das Kirchlein ist, die Quelle mir verschwunden,
Nichts seh’ ich mehr, als eine Felsenwand,

20
Ringsum nur Wald, dicht von Gesträuch durchwunden

Ich höre keinen Laut, als nur ganz weit
Den Schlag der Drossel durch die Einsamkeit,
Sonst überall ein feierliches Schweigen, –
Da rauschts und knisterts plötzlich in den Zweigen;

25
Und eine holde Jungfrau stürzt hervor,

Scheu wie ein Reh und bleich wie eine Lilie,
Und knieend schreit zum Himmel sie empor:
„O Mutter Gottes, rett’, o rett’ Ottilie!
Dicht hinter mir sind die Verfolger her,

30
Die wunden Füße tragen mich nicht mehr;

O rette mich vor dem verhaßten Freier
Und hülle gnädig mich in deinen Schleier!“

So ruft sie kaum, als aus des Waldes Grund
Wildjubelnd Ritter mit Gefolge dringen;

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35
„Hier ist sie!“ ruft es roh von Mund zu Mund,

„Das scheue Bräutchen kann nicht mehr entspringen!“
Und fassen will sie schon der wilde Hauf,
Ein Donnerschlag – da springt die Felswand auf,
Ottilie fliegt hinein, und wie zum Spotte

40
Schließt sich der Felsen wieder vor der Rotte.


Und an dem Orte, wo die Wand sich schloß,
Entspringt dem Felsen murmelnd eine Quelle;
Die Männer schrei’n: „Des Herren Macht ist groß!“
Und fallen betend nieder an der Stelle.

45
Ein Jeder wäscht die trüben Augen klar,

Und fühlt sich umgewandelt wunderbar;
Bald ist der Quell gefaßt, der Platz gelichtet,
Und ein Altar der Heiligen errichtet. –

So zog vorbei die alte Zeit an mir

50
Und strahlte durch die Träume meiner Kindheit,

Wohl mancher Pilger wusch die Augen hier,
Und heilte sich damit von seiner Blindheit;[1]
Dem echten Glauben wird der Blick erhellt,
Er sieht das Licht in dunkler Sagenwelt

55
Und geht im Wald, auf dichtverwachsnen Wegen

Dem morgenrothen Gipfel froh entgegen.

A. Schzlr.
(Die Ottilien-Sage ist noch von Mehreren bearbeitet, u. A. von K. Simrock, Benedticte Naubert und Adolf Stöber. Siehe des Letzteren „Gedichte.“ Hannover, 1845. Hahn.)

  1. Dieser Quelle wird eine augenheilende Kraft zugeschrieben.